SCHLACHTGETÜMMEL

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Anthelia, die Nichte der vor Jahrhunderten halb Europa beherrschenden dunklen Hexe Sardonia, hat nach der Inbesitznahme des von Dementoren entseelten Körpers von Bartemius Crouch Junior mehrere Erfolge aber auch einige Niederlagen hinnehmen müssen. Sie errichtete einen weltweiten Hexenorden, den sie das Netz der Spinne nennt und der sich aus Mitgliedern einer ohnehin schon dubiosen wie geheimnisvollen Schwesternschaft zusammensetzt, aber auch solche Hexen aufnimmt, die wie Anthelia das große Ziel verfolgen, die gesamte Welt unter die alleinige Vorherrschaft der Hexen zu stellen. Ihr gelang es, Hallitti, eine der neun Töchter des Abgrundes, in einem mörderischen Kampf zu besiegen und zu vernichten. Sie entzog dem in England wütenden Schwarzmagier Voldemort die Bündnispartner in Übersee und konnte ihn selbst in einem Duell an den Rand der Vernichtung treiben, was ihr beinahe selbst zum Verhängnis wurde. Sie offenbarte sich den anderen ähnlich wie sie gesinnten Hexen und schloß ein Bündnis mit ihnen. Doch ihr gelang es nicht, an die wahrhaft mächtigen Hinterlassenschaften aus dem sagenhaften alten Reich zu gelangen. Ja, sie muß mit ansehen, wie Voldemort knapp vor ihr an das mächtige Schwert des uralten Feuermagiers Yanxothar gelangt. Die Genugtuung, daß Voldemort es nicht lange behalten kann reicht jedoch nicht ganz aus. Als dann noch der russische Dunkelmagier Igor Bokanowski, dessen Spezialität die Züchtung gefährlicher Ungeheuer und Doppelgänger seiner selbst ist, die Zaubererwelt unterwerfen will, kann sie beinahe nur tatenlos zusehen, wie dieser sich mit den Getreuen Voldemorts eine höllische Schlacht liefert und dabei scheinbar mit seiner Burg verbrennt. Doch sie erkennt, daß er nicht gestorben ist und das flammende Inferno, dem seine Burg angeblich zum Opfer fiel nur eine machtvolle Elementarzauberei zur Ablenkung ist. Um auf Gegner wie Voldemort, die noch lebenden Abgrundstöchter und Bokanowski vorbereitet zu sein verlockt sie Voldemort dazu, seine Dementoren, die als einzige dunklen Kreaturen in ihr altes Heimatdorf Millemerveilles eindringen können loszuschicken, um Sardonias Erbe zu bergen. Sie schafft es, die magische Truhe ihrer Tante an sich zu bringen, weil Sardonias Macht jeden abweist, der nicht in ihrem Sinne handeln will, erst recht alle Zauberer. Mit Hilfe des in der Truhe enthaltenen Erbes Sardonia beschwört sie schließlich die vergessen gehoffte Armee der Insektenmenschen herauf und bringt sie an einen anderen Ort. Dies wird jedoch von den Institutionen der Zaubererwelt bemerkt. Anthelia beschließt daher, zumindest anklingen zu lassen, daß es jemanden gibt, die Anspruch auf Sardonias Erbe hat und in ihrem Sinne handelt. Sie bedauert, daß eine ihrer wertvollsten Kundschafterinnen, Ardentia Truelane, der Neugier ihrer Arbeitskollegin Jane Porter zum Opfer fällt und gemäß Anthelias Verratsunterdrückungsfluch zusammen mit Jane Porter vernichtet wird. Schon bald wird sich zeigen, daß Anthelias Befürchtungen, mit mächtigen Gegnern aneinanderzugeraten mehr als begründet ist.

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Endlich war es soweit. Er hatte sich rascher erholt als er selbst es für möglich gehalten hatte. Die vermaledeiten Dementoren hatten ihn fast erledigt, wenn er nicht Sardonias Feuerkuppel beschworen und den mächtigen Ortsvertauschungszauber seiner Burg aufgerufen hätte. Über die Hälfte seiner lebenden Abbilder war getötet worden, und viele seiner Kreaturen hatten für ihn im Kampf gegen diesen englischen Gernegroß Voldemort ihr Leben eingebüßt. Mehr noch als die Schmach, große Teile seiner Macht eingebüßt zu haben und sein Heil in der Flucht suchen zu müssen bedrückte Igor Bokanowski jedoch die Frage, woher Voldemort gewußt hatte, wo sein Versteck zu finden war. Niemand hatte die Burg finden dürfen. Ihm fiel ein, daß jemand seine über Russland verteilten Doppelgänger einen nach dem Anderen aufgespürt und kampfunfähig gemacht hatte. War das jemand aus der Bande des schlammblütigen Gernegroß? Nur das konnte es sein. Dann fiel ihm ein, woher dieser englische Widerling wissen konnte, wo die Burg war. Natürlich! Der Kerl hatte sich ja mit Vampiren eingelassen. Diese Blutsauger hatten wohl gedacht, der gerechtfertigten Vernichtung entgehen zu können, wenn sie ausspionierten, wo Bokanowskis Burg lag. Na, diese Bande Nachtschwärmer würde er bald endgültig vom Erdboden getilgt haben. Die würden sich noch umsehen, wenn seine weißen Antivampirfledermäuse sich prächtig erholt hatten. Einige von ihnen flogen ja noch in der Gegend umher und suchten sich ihre Opfer. Dann fiel ihm noch ein, daß jemand unsichtbar beobachtet hatte, wie er sich mit Voldemort herumgeschlagen hatte. Da dieser Jemand die magische Energieblase erzeugt hatte, vermutete er, daß es wohl eher eine Hexe gewesen war, weil die diesen Zauber am besten benutzen konnten.

"Euer Osterfest wird deine Beerdigung sein, Voldemort, du dreckiges Schlammblut!" Fauchte Bokanowski, als er, drei Wochen nach der Schlacht um seine Burg, vierzig neue Doppelgänger begrüßen konnte. Dann schmunzelte er. "Wenn meine Rache greift wirst du freiwillig angekrochen kommen und mich um Gnade anbetteln." Dann sah er zwölf seiner neu geschaffenen Ebenbilder an, die alle mit einem Seelenstern versehen waren, der sie am selbständigen Denken hinderte.

"Ihr zwölf werdet meine Trümpfe sein, mit denen ich die Zaubererwelt von hinten aufkrempeln werde. Geht nach Griechenland und findet eine der dort noch rumkriechenden Hydren! Wenn ihr sie aufgestöbert habt, müßt ihr sie alle zwölf zugleich angreifen und ihr die sieben Köpfe runterhauen und sofort hiermit die Wunden verstopfen, daß ihr keine neuen nachwachsen können." Er gab an sieben seiner Abbilder lange Fackeln aus. "Entzündet die, wenn ihr die Bestie köpft und stopf die in die Wunden. Wenn ihr kein Kopf mehr wachsen kann, zerlegt den Schlangenleib und bringt mir das Fleisch, nach möglichkeit noch mit genug Blut daran. Dann werde ich euch die Macht geben, meine Augen, Ohren und Münder in der Zaubererwelt zu sein, ohne daß jemand draufkommt, wer ihr seid."

"Ja, Doktor Bokanowski", erwiderten die zwölf im Chor. Igor fand es schon lange nicht mehr unheimlich, seine eigene Stimme aus anderen Mündern zu hören. Er empfand es als herrlich, solche Macht zu haben. Dann gab er an die übrigen fünf noch rasiermesserscharfe Schwerter und große Kessel aus, in denen das Fleisch der zu erlegenden Hydra aufbewahrt werden sollte. Dieses sollte ihm helfen, den ultimativen Trank fertigzustellen, in dem er seine Diener dann wie in einer Badelösung mit einer ungeheuren Macht versehen wollte. Experimente von Slytherin hatten bewiesen, daß es möglich war. Doch die Wirkung wäre unumkehrbar, wenn sie einmal aufgerufen würde. Deshalb hatte Slytherin es nie gewagt, selbst in dem Gebräu aus Hydrablut und anderen Ingredientien zu baden.

Die zwölf Ebenbilder Bokanowskis nickten simultan und verließen die Burg, die nun, nachdem der Angriff Voldemorts ihren Herren zum Ortswechsel gezwungen hatte, an einer unzugänglichen Felsenküste des schwarzen Meeres zwischen zwei hohen Felsentürmen verborgen lag.

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Anthelia war froh, daß die wiedererweckten Entomanthropen so unbemerkt von der Bretagne in die Pyrenäen verlegt werden konnten. In einer einzigen Nacht hatte sie die hundert Insektenwesen, zu denen eine einzige Königin gehörte, in einer für Muggel schwer zu findenden Höhle untergebracht. Als sie alle erweckten Geschöpfe sicher verstaut hatte atmete sie auf. Hier würde man sie nicht vermuten, dachte sie. Mit Hilfe des großen Bernsteins, der mit einigen anderen Dingen in der Truhe ihrer Tante Sardonia gelegen hatte, befahl sie den Insektenwesen, in einen halb so tiefen Schlaf zu sinken wie sie ihn vorher geschlafen hatten. Lediglich sieben von ihnen ließ sie wach, damit sie der Königin Futter geben konnten. Denn diese würde bald die ersten Eier legen, die bereits vor Jahrhunderten befruchtet worden waren. Die Larven, die wie eine Mischung aus Mensch und Made aussehen würden, benötigten Fleisch und Fruchtsaft. So schickte sie die sieben Entomanthropen aus, um in den Wäldern und auf den Weiden in der Umgebung Tiere zu erbeuten.

"Ihr dürft nur Tiere töten. Menschen sollt ihr leben lassen, solange sie euch nicht in die Quere kommen!" Befahl Anthelia. Sie wußte, daß die Insektenwesen gerne Menschen erbeuteten, wenn sie eine Königin zu versorgen hatten. Doch sie durften vorerst nicht auffallen. Solange keiner wußte, daß die Entomanthropen Sardonias erwacht waren, würde sie sie als Geheimwaffe in Bereitschaft halten, wenn Voldemort oder Bokanowski erneut anmaßend würden. Denn sie wußte, daß mit nur hundert Entomanthropen nicht viel auszurichten war. Überhaupt wollte sie diese Wesen nach Möglichkeit nur dann einsetzen, wenn sie nicht um eine gewaltsame Auseinandersetzung herumkam. Daß dies schon bald der Fall sein würde, darüber war sich die wiedergekehrte Nichte Sardonias vollkommen im klaren. Sie hoffte nur, daß sie dann nicht in die Defensive geraten würde. So schickte sie die sieben wachgebliebenen Arbeitsentomanthropen los und disapparierte, um in ihrem Hauptquartier, der nun verborgenen Daggers-Villa, auf Donata Archstones täglichen Bericht aus dem Ministerium zu warten.

Als die strohblonde Hexe, die für den Überflug mit den Insektenwesen einen schlichten Arbeitsumhang trug im geheimen Hauptquartier ihrer Schwesternschaft eintraf, wurde sie bereits von Louisette Richelieu und Patricia Straton erwartet. In einem der oberen Stockwerke hörte sie Dido Pane, die mit irgendwem spielte.

"Meine Mutter ist oben, höchste Schwester", dachte Patricia, Die junge aber mächtige Hexe mit dem dunkelbraunen Schopf ihrer Anführerin zu. Anthelia sah sie an und schickte zurück, daß es gut sei, wenn Dido abgelenkt würde.

"Sie suchen nach den Entomanthropen", sagte Louisette Richelieu auf französisch und gab Anthelia zwei Zeitungen zu lesen.

"Dann hat das doch wer beobachtet", knurrte die höchste Schwester des Spinnenordens und ging die Artikel durch, die über das Wiederauftauchen und die Suche nach den Entomanthropen berichteten. "Ich hörte sogar, daß Minister Grandchapeau eine Geheimsitzung mit Leuten angesetzt hat, die sich mit Sardonia und ihrer Macht auskennen."

"Ich habe eine solche Einladung nicht erhalten", erwiderte Anthelia überheblich dreinschauend. "Alle anderen sogenannten Experten können nur vom Hörensagen und lückenhaften Niederschriften zehren. Insofern stimmt mich dieser Aktionismus eher heiter als besorgt."

"Höchste Schwester, möchtest du uns nicht doch sagen, wohin du diese Bie..., ähm, Wesen gebracht hast?" Fragte Patricia Straton vorsichtig.

"Nein, dies möchte ich nicht", erwiderte Anthelia sehr bedrohlich klingend. "Ich werde diese Geschöpfe hüten und keinem Kunde geben, wo sie sind. Ich möchte nämlich nicht, daß sie unkontrolliert umherschwärmen. Ich möchte sie nämlich ausschließlich für unvermeidbare Kampfhandlungen aufsparen und nicht wahllos damit auftrumpfen." Patricia Straton nickte. Wenn Anthelia nicht wollte, daß außer ihr jemand wußte, wo die Entomanthropen nun waren, dann sollte sie auch nicht weiter danach fragen.

"Halte deine Ohren weiter offen, Louisette, falls die sogenannten Experten irgendwas kundtun, wie gegen mich und Sardonias Geschöpfe vorgegangen werden mag!" Gab Anthelia ihrer französischen Bundesschwester mit auf den Heimweg. Diese nickte und verabschiedete sich von Anthelia und Patricia Straton.

"Aus Russland war zufällig niemand hier?" Fragte Anthelia Patricia Straton. Die junge Hexe schüttelte den Kopf. Dann fragte sie:

"Denkst du, dieser Bokanowski wird sich bald wieder melden?"

"Nun, er wird wohl ein wenig behutsamer vorgehen als vorher", sagte Anthelia. "Sein Großangriff mit den mörderischen Kugelgeschöpfen ist ja gescheitert, und die Schlacht um seine Burg hat ja alle in den Glauben versetzt, daß er gestorben sei. Diesen Eindruck wird er so lange es geht aufrecht erhalten, denke ich. Doch ich möchte jeden kleinsten Hinweis auf irgendwelche Absonderlichkeiten prüfen, der mich aus Russland erreicht."

"Und was machen wir, wenn wir rausfinden, was dieser Bokanowski vorhat?" Wollte Patricia Straton wissen.

"Dann haben wir nur eine Möglichkeit, nämlich ihn endgültig zu vernichten. Ich hoffe nur, daß wir früh genug erfahren, was er im Schilde führt und nicht vor einem großen Scherbenhaufen zu stehen kommen, wenn wir seiner Taten gewahren."

"Verstehe", sagte Patricia Straton.

"Warum ich auch noch da bin, höchste Schwester", sagte Patricia noch. "Davenport will herausfinden, wer alles zu irgendwelchen Hexenschwesternschaften gehört. Lady Daianira hat bei unserer Versammlung vor einem Tag was erwähnt, daß Davenport es zum Thema seines Wahlkampfes gemacht hat, alle geheimen Bündnisse aufzudecken, weil er klare Verhältnisse haben will. Sein Gegenkandidat ist übrigens Norman Ironquill, der ein guter Freund von Jasper Pole gewesen sein soll. Der fing nämlich damit an, daß Davenport wohl gemeinsame Sache mit den schweigsamen Schwestern mache, seitdem die ihm ungewollt zum Amt verholfen haben. Er meint eigentlich uns, weil wir durch die Sache mit Hallitti und weil wir den Jungen Julius haben davonkommen lassen die Amtsenthebung Poles bewirkt haben."

"Soso, und daß Schwester Donata Archstone zur Leiterin der Strafverfolgungsabteilung geworden ist stützt diese Behauptung natürlich", grinste Anthelia überlegen. "Was wissen wir über diesen Norman Ironquill?"

Patricia holte zur Antwort eine Pergamentrolle aus ihrer Handtasche, die sie auseinanderzog und über ihre ganzen neunzig Zentimeter auf jenen Steintisch ausbreitete, auf dem Anthelias Seele mit ihrem jetzigen Körper vereinigt worden war. "ich ging davon aus, daß du alles über ihn wissen wolltest, höchste Schwester. Deshalb haben Schwester Donata, meine Mutter und ich uns dahintergeklemmt, alles rauszufinden. Das wesentliche steht bereits in den ersten Zeilen", sagte sie und fuhr mit dem rechten Zeigefinger über das lange Pergamentstück. Anthelia besah sich die zusammengetragenen Angaben über Norman Ironquill, der ursprünglich als Norman Chesterfield am sechsten Dezember 1941 als Kind eines amerikanischen Marinesoldaten und einer Kellnerin im Marinestützpunkt Pearl Harbor auf Hawaii geboren wurde. Seine Eltern kamen einen Tag nach seiner Geburt bei einem Angriff japanischer Luftstreitkräfte ums Leben, worauf der Junge bei seiner Tante väterlicherseits und deren Familie aufwuchs. Beinahe wäre er mit sieben Jahren von seinem fünfzehn Jahre alten Vetter in der Badewanne ersäuft worden, weil der Junge bereits starke Zauberkräfte entwickelt habe. Anthelia zog die Stirn kraus, als sie weiterlas, daß Norman Ironquill dem Mordversuch entging, weil er unbewußt eine Kopfblase gezaubert hatte und sein Vetter einen starken Energiestoß abbekommen hatte, der ihn fast getötet hätte. Daraufhin gaben seine Pflegeeltern ihn an Spezialisten der Armee ab, weil sie mit den sogenannten Mutantenkräften des Jungen nicht mehr fertigwurden. Eine Zaubererfamilie adoptierte ihn auf Vorschlag des damaligen Zaubereiministers und gab ihm ihren Nachnamen. Noch vor Thorntails wurde festgestellt, daß seine leiblichen Eltern weit zurück in der Ahnenlinie magisch begabte Vorfahren gehabt hatten. Die damalige Studie von Ruster und Simonowsky zur besonderen Ausprägung von Zauberkräften bei Kindern aus anscheinenden Nichtmagierfamilien mit weit zurückliegenden Zauberervorfahren bestätigte sich also. Ironquill galt als zweiter anerkannter Ruster-Simonowsky-Zauberer, was ihm ermöglichte, in Thorntails die meisten Zauber ohne sie auszusprechen zu wirken. Außerdem, so hatten Donata Archstone und Lady Daianira Hemlock herausgefunden, entwickelte Norman als besondere Fähigkeit, daß er elementare Kräfte in sich konzentrieren und umgewandelt und gerichtet freisetzen konnte, was ihm mit sieben wohl auch das Leben gerettet hatte. Er konnte also aus einem Windstoß, dessen Kraft er aufnahm einen Feuerstrahl machen oder einen Blitz irgendwo einschlagen lassen, wenn er genug Sonnenwärme in sich angestaut hatte. Anthelia wiegte den Kopf. Als sie las, daß Ironquill erst dreizehn ZaGs und dann noch sieben UTZs erworben hatte und jahrelang in der Abteilung für experimentelle Magie gearbeitet hatte, aber auch schon diplomatisch tätig gewesen war. Daß er trotz der unglaublich starken Zauberkräfte kein größenwahnsinniger zauberer geworden war verdankte die Zaubererwelt Gwendoline Beanstock, die er in Thorntails lieben lernte und die ihm den nötigen Rückhalt gab, um sich nicht als Sonderling zu fühlen. Mit ihr zusammen bekam er fünf Kinder, die alle magisch begabt waren und zwischen 1972 und 1978 in Thorntails eingeschult wurden. Als seine Familie und er im Mai 1994 von einer Gruppe Hexen überfallen wurde, starb seine Frau. Norman Ironquill konnte sich mit seinen Kindern retten und diese außerhalb der USA unter falschem Namen unterbringen. Nur bei zwei Kindern wußte Lady Daianira, daß es sich um Ironquills Kinder handelte. Die anderen drei suchte sie noch.

"Hat Daianira mit dem Überfall etwas zu tun gehabt?" Fragte Anthelia, nachdem sie den detaillierten Bericht studiert hatte.

"Gwendoline Beanstock war eine von uns, also eine der Entschlossenen Schwestern, höchste Schwester. Doch sie wollte Lady Daianiras Vorrangstellung nicht anerkennen und hat versucht, uns alle auffliegen zu lassen, also zu verraten, wer dazugehört. Weil sie von ihrem Mann wohl ein Artefakt zur schnellen Flucht bekommen hat, jagte Lady Daianira sie bis zu ihrem Wohnhaus, wo es zu einem magischen Kampf kam, bei dem sie starb. Norman konnte mit seinen Kindern flüchten. Wie, wußte Daianira nicht. Im Keller des Hauses wurde ein großer Haufen Asche gefunden. Kein Wunder, daß Norman nicht gut auf die Schwesternschaft zu sprechen ist."

"Wieso steht das hier nicht?" Fragte Anthelia sehr ungehalten. Patricia errötete. Dann sagte sie:

"Das gehört zu den Sachen, die Lady Daianira niemals aufschreiben würde, weil es ihr nämlich beinahe alle Macht gekostet hätte. Denn sie kann nicht an Norman heran, solange sie nicht weiß, wo die drei Söhne von ihm sind, weil sie fürchtet, daß Gwendoline diesen schlummernde Erinnerungen übertragen hat, die freigesetzt werden, wenn beide Eltern tot sind."

"Das heißt, die beiden erkannten Kinder sind Hexen?" Fragte Anthelia. Patricia nickte. Natürlich konnte Anthelia darauf schließen, weil Daianira diese Kinder ja sonst sofort beseitigt hätte, um ihre Macht zu erhalten. Gegen Hexen erhoben die schweigsamen Schwestern nur die Hände oder Zauberstäbe, wenn sie in unmittelbarer Lebensgefahr schwebten.

"Ich werde mit Hilfe meiner eingerichteten Verbindung mit deiner früheren Anführerin sprechen, Schwester Patricia. Auf jeden Fall weiß ich nun, weshalb dieser Zauberer einen großen Unmut gegen Hexenschwesternschaften hegt. Offenbar hat seine Frau den Eid gebrochen und ihm gestanden, daß sie nicht nur eine ehrbare Haus- und Familienhexe war."

"Meine Mutter hörte mal sowas, daß Lady Daianira vorhat, die beiden bereits erkannten Kinder Ironquills in Gewahrsam zu nehmen und sie dazu zu bringen, bei uns einzutreten. Doch erst will sie wissen, wo deren Brüder sind."

"Nun, vielleicht sollten wir uns dieser Hexen annehmen. Wenn ich diese Beschreibung von Ruster und Simonowsky richtig in Erinnerung habe, die mir Bartemius Crouch dankenswerterweise bereitgestellt hat, können Abkömmlinge von solchen ebenfalls gut zaubern, was sie für alteingesessene Zaubererfamilien entweder sehr attraktiv oder verabscheuenswürdig macht, je danach, ob es Slytherinianer, Sardonianerinnen oder sogenannte gemäßigte Zaubererfamilien sind."

"So heißt es", sagte Patricia Straton. Sie war wohl auf der Hut, ihren Geist zu verschließen, damit Anthelia nicht mitbekam, daß ihr die Vorstellung, einen Ruster-Simonowsky-Zauberer zum Vater ihrer Kinder zu machen sehr behagte. Außerdem konnte sie sich vorstellen, daß Anthelia genau deshalb auch gegen jede Vernunft darauf verzichtet hatte, Julius Andrews zumindest zur Aussage unfähig zu machen.

"Wie gesagt werde ich mit Daianira Hemlock sprechen, um zu erörtern, inwieweit Ironquill und Davenport unserer doch gemeinsamen Sache gefährlich werden könnten. Danke für die umfassende Kunde, Schwester Patricia!" Patricia Straton verneigte sich ehrerbietig vor Anthelia und verabschiedete sich.

"Da kommst du nicht dran", hörte Anthelia Dido flöten. Sie befand, nach oben zu gehen und es sich anzusehen, was ihre Mitbewohnerin trieb.

Ein Stockwerk über dem Weinkeller der Daggersvilla hielt Dido Pane gerade ihren Zauberstab in der Hand und dirigierte damit einen kleinen, rosaroten Stoffball, der etwa zwei Meter über dem Boden herumschwirrte. Eine schneeweiße Katze mit dunkelgrünen Augen versuchte, den herumtelekinierten Stoffball im Sprung zu fangen. Doch Dido ließ den Ball knapp vor dem zupacken der Krallen wegspringen, und die Katze landete ohne Beute aber lautlos auf ihren vier Samtpfoten. Als Anthelia den Salon betrat hing der rosarote Ball gerade auf Höhe des Esstisches. Mit einem geschmeidigen Satz sprang die Katze auf den Tisch und ohne Übergang nach vorne .... und hielt beim Landen Den Ball zwischen den Vorderzähnen. Anthelia vermeinte ein triumphierendes Glitzern in den dunkelgrünen Augen zu sehen. Dido versuchte, den Ball mit dem Aufrufezauber aus dem Maul der katze zu reißen. Doch diese hielt ihre Beute fest.

"Wie ich sehe hast du erkannt, wie erheiternd telekinetische Magie sein kann, Schwester Dido. Nun lass deine Gespielin aber auch im Gefühl des Erfolgs in Ruhe!"

"Penny ist ja wirklich clever, Höchste Schwester", sagte Dido. "Die hat mich gut auf Trab gehalten. Aber sie kann den Ball nicht essen. Der ist nur aus Plüsch."

"Den kann ich abhelfen", sagte Anthelia. "Penny, lass aus!" Befahl sie dann wie eine Herrin einem Hund. Die Katze sah sie an, verzog dabei das Gesicht so, als würde sie grinsen und spuckte den bereits gut eingespeichelten Flauscheball wieder aus. Anthelia benutzte ihre angeborene Telekinese, um den Ball ohne Zauberstabführung zu sich hinfliegen und auf dem Boden landen zu lassen. Dann vollführte sie eine blitzartige Abfolge von Zauberstabbewegungen und verwandelte den Stoffball in ein saftiges Stück Schinken.

"Katzen spielen, um ihr Jagdvermögen zu üben, Schwester Dido. Dann wollen wir ihr auch den vollen Genuß am Beutefang gewähren", sagte Anthelia mit warmer Stimme. Die Katze trat vor und ergriff das Schinkenstück mit dem maul und zog sich damit unter eine der gemütlichen Sitzbänke zurück.

"Schwester Patricia hat mir gesagt, daß ihre Mutter morgen wieder mit mir üben will. Aber morgen ist doch Ostern", sagte Dido. Anthelia sah sie ruhig an, während die weiße Katze genüßlich schmatzte und dabei ein wohliges Schnurren von sich gab.

"Ich denke, genau deshalb wird sie morgen nicht mit dir hier im Haus bleiben, sondern durch die Natur ziehen, um dir Zaubertrankzutaten an ihren üblichen Standorten zu zeigen. Da ich morgen selbst anderweitig beschäftigt bin freut es mich, daß sie dich in diesen Dingen unterweisen will."

"Ja, aber Ostern", quängelte Dido. "Du hast mich bis heute nicht zu meiner Familie gelassen, weil du sagst, die denken, ich sei tot, weil der dunkle Lord mich und Meister Nitts getötet hat. Aber ich möchte mal wieder zu anderen Leuten, um zu sehen, was im Moment so läuft, höchste Schwester. Bittö!"

Wenn Walpurgis ist feiern wir zusammen mit anderen Hexen und Zauberern", sagte Anthelia. "Ostern ist kein Hexenfest. Es wurde von Leuten erfunden, die den nazarenischen Zimmermannssohn und Wanderprediger anbeten, in vielen Fällen aber nicht mehr seinen Lehren folgen. Es bleibt dabei, du gehst morgen mit Schwester Pandora aus, um die Verbreitungsorte für wichtige Kräuter und zaubertrankzutaten zu studieren." Dido verzog zwar das Gesicht, doch sie wußte zu gut, daß der unerbittliche Blick Anthelias und ihre ernste Stimmlage bedeuteten, daß sie bloß keinen Widerspruch wagen sollte. Leicht schmollend zog sich das immer noch schlachsige Hexenmädchen, das längst schon vergessen hatte, daß sie früher ein Junge namens Ornatus Pane gewesen war, in die zugewiesene Dachkammer zurück.

"Wenn du mit deiner Beute fertig bist, Schwester Pandora, dann komm bitte zu mir in unserem Versammlungsraum!" Flüsterte Anthelia. Die Katze, die immer noch an ihrem Stück Schinken kaute, nickte wahrhaftig menschlich. Anthelia disapparierte, um wenige Meter weiter unten wieder aufzutauchen. Denn in den alten Weinkeller der Daggers-Villa konnte man nur durch Apparieren gelangen.

Etwa fünf Minuten später schluckte die weiße Katze das letzte Bißchen Schinken hinunter, kam unter der Bank hervor und schien sich aufzublähen. Sie stellte sich auf die Hinterbeine und wuchs innerhalb einer Sekunde zu einer hochgewachsenen Gestalt auf. Das weiße Fell verschwand blitzartig unter einem roten Umhang, und am Kopf schnellte eine dunkelbraune Mähne heraus, die bis auf den Rücken hinabreichte. Das einzige, was von der hochwangigen Frau, die nun dastand an die weiße Katze erinnerte, waren die dunkelgrünen Augen. Eine Sekunde später verschwand sie mit leisem Plopp im Nichts, um beinahe im selben Augenblick im Weinkeller wieder aufzutauchen.

"Hui, dieses Fangtraining zehrt gut an der Kondition", begrüßte Pandora Straton ihre höchste Bundesschwester. "Danke für den Schinken, höchste Schwester!"

"Mich freut, daß unsere jüngste Mitschwester ihre Zauberkräfte immer besser zu handhaben versteht und du ihr gute Momente der Erheiterung geboten hast. Aber ich möchte dich bitten, dich morgen bereitzuhalten, wenn ich mit deiner offiziellen Anführerin unterhandeln muß."

"Es geht um Ironquill und seine Hexenjagdcampagne, die er Davenport aufgehalst hat, richtig, höchste Schwester?"

"Sehr richtig, Schwester Pandora. Ich möchte näheres über diese Affäre mit der Gemahlin dieses Zauberers ergründen, um dessen Gemütszustand und Antrieb zu erforschen. Sollte es sein, daß dieser zauberer der nächste Minister für Magie wird, so will ich alles wissen, was ihn lenkt und treibt, um möglichst ohne handgreiflich werden zu müssen mit ihm fertig zu werden. Außerdem wird Donata Archstone gleich bei mir vorsprechen und berichten, wie der amtierende Zaubereiminister seine Amtsgeschäfte fortführt. Ich möchte, daß du dem beiwohnst."

"Ich hoffe, Dido bleibt jetzt in ihrem Zimmer. Wenn sie wieder runterkommt und ich nicht mehr da bin könnte sie argwöhnisch werden", erwiderte Pandora Straton leise. Anthelia nickte zwar, sagte dann aber, daß das ihr geringstes Problem sei. Wie recht sie damit hatte, sollte sie bereits in wenigen Sekunden erfahren.

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Gemäß dem gregorianischen Kalender würde in vier Tagen Ostern gefeiert. Doch sowohl für die zwölf absolut identischen Männer mit den beinahe dreieckigen Gesichtern und den dunklen Augen, wie auch für die hier lebenden Menschen würde das wichtigste Fest der christlichen Welt erst zwei Wochen später begangen. Sie standen im kargen Bergland auf der griechischen Insel Rhodos, wo das hiesige Zaubereiministerium eine mit Muggelabwehrzaubern gesicherte Sperrzone für magische Kreaturen eingerichtet hatte, wie auf Kreta, Mykonos und Korfu. Irgendwo in einer dieser Schutzzonen sollten noch große Hydren herumstreunen, Schlangenungeheuer mit sieben Köpfen, die eine unglaublich lange Lebenszeit hatten und beinahe unmöglich zu töten waren, weil an Stelle eines abgehackten Kopfes sofort zwei neue nachwuchsen, wenn nicht innerhalb von einer Sekunde der Halsstumpf ausgebrannt und verstopft wurde, weshalb die griechischen Beseitigungszauberer nie unter acht Mann gegen ein solches Ungeheuer vorgingen. Denn die andere Möglichkeit war zu gefährlich, den Sud des Todestaublattes in vier der vierzehn Nasenlöcher zu träufeln, wenn es im Bann gegen dunkle Reptilienwesen gefangen war. Das tückische an einer Hydra war jedoch ihre Fähigkeit, die Gestalt vor kurzem verschlungener Opfer anzunehmen. So konnte eine solche Kreatur überall lauern, ohne aufzufallen.

"Siebenunddreißig, dort vorn liegt was", sagte Neunzehn. Der angesprochene Mehrling von Neunzehn, auch nur ein Abbild des Originals, nickte und deutete ebenfallls nach vorne. Dort erhob sich ein gelblicher Hügel, der unvermittelt bebte und sich aufrichtete, bis ein Wesen mit dem Körper eines Löwen und dem Kopf einer Menschenfrau erkennbar war.

"Lassen wir die laufen oder bringen wir die um?" Wollte Sechsundzwanzig, ein anderer der zwölf wissen.

"Tut die uns nichts, tun wir der nichts", sagte Neunzehn, den sein Herr und Original zum Anführer bestimmt hatte. Da trottete das Wesen heran, und es blieb nicht alleine. Von drei Seiten her kamen solche Wesen herangetrottet. Das war neu, daß Sphingen im Rudel auftraten, auch wenn die Verschmelzung zwischen Löwe und Mensch das durchaus ermöglichte.

"Sei es also blutig", knurrte Neunzehn, als die erste Sphinx, die Anführerin wohl, mit säuslender Betonung sprach. Doch weil die zwölf Bokanowski-Abbilder kein Griechisch verstanden, war es eh egal, ob dieses Wesen der alten Leidenschaft des Rätselratens folgte oder gleich einen Angriff ankündigte. Die zwölf Igors wirbelten herum. Je zwei zielten auf eine der herangekommenen Sphingen und riefen völlig synchron "Avada Kedavra!" Die Zauberkreaturen versuchten zwar, den grünen Todesblitzen durch blitzartiges Abtauchen zu entgehen. Doch weil je zwei zugleich auf sie losbrausten erwischte sie mindestens einer. Keine zwei Sekunden später lagen die sonst so schnellen und starken Wesen tot am Boden.

"Das ist nicht gut, wenn die Wildhüter die finden", meinte Neunzehn. Seine Mehrlingsbrüder nickten. Doch was hätten sie tun sollen. Aus der Schutzzone konnte nur ein darauf eingestimmter Wildhüter disapparieren.

"Lassen wir die hier liegen", sagte Neunzehn dann und führte seine Truppe weiter. Die in ihren Nacken sitzenden Seelensterne pulsierten sacht und hielten die Verbindung zwischen ihnen und ihrem Gestaltgeber aufrecht.

Sie marschierten weiter, wobei sie mit grünlichem Zauberlicht alle Bodenunebenheiten und Büsche absuchten, ob dort ein Tier versteckt war, das eine getarnte Hydra sein mochte. Als sie am Rande einer Schlucht ein Kaninchen fanden, das seelenruhig die spährlichen Grashalme ausrupfte, meinte einer der Mehrlinge, daß sowas bestimmt ein guter Festtagsbraten sein mochte. Sein Mehrlingsbruder stutzte jedoch, weil das kaninchen nicht flüchtete, sondern sie mit einem kurzen Rundblick lauernd ansah. Sofort ließ er eine Fontäne kalten Wassers aus seinem Zauberstab sprudeln und traf das Kaninchen damit voll am Kopf. Es sprang zurück. Dann schien es von innen her aufzuquellen, wurde breiter aber vor allem länger. Die Mehrlinge triumphierten. Sie hatten ihr Opfer gefunden, das wohl glaubte, sie würden sein Opfer.

"Wollte sich wohl von hinten über uns hermachen", lachte Neunzehn, als seine Gefährten sich zu einem Halbkreis formierten. Das vermeintliche Kaninchen wuchs derweil zu einem an die zwölf Meter langem Ungetüm mit einem schwarz-rot-braun gesprenkelten Schlangenkörper und einem in sieben Auswüchse unterteiltem Hals, an denen je ein breiter Schädel saß. Blitzschnell warf sich das Ungeheuer nach vorne, laut und angriffslustig aus allen sieben Mäulern fauchend. Die sieben am nächsten stehenden Igors sangen laut eine Bannformel her, die das Schlangenmonster mit einem Schauer blauer Blitze eindeckte und innerhalb einer Sekunde erstarren ließ. Dann schwangen die sieben ihre Hiebwaffen, während der achte mit einer Zauberstabbewegung alle mitgeführten Fackeln entzündete. Mit einer einzigen Bewegung aller sieben Arme wurden der Hydra sämtliche Köpfe abgehauen. Keinen Moment später stießen die brennenden Fackeln in die Wunden und ließen übel riechenden Dampf herauswabern. Das Ungeheuer zuckte zweimal in größter Todesqual, wobei sein Schwanz wie eine gigantische Peitsche durch die Luft zischte. Dann lag der Leib der überwältigten Hydra still da.

"War doch ein Kinderspiel", frohlockte Neunzehn, als er mit den fünfen, die die Kessel getragen hatten, um das Schlangenungeheuer herumging, während seine Kameraden den Leib der erbeuteten Hydra in große Stücke zerschnitten und diese in die Kessel warfen. Sie waren auf der Hut, das überaus klebrige und giftige Blut nicht mit bloßen Händen zu berühren. Als sie ihre Kessel gefüllt und sorgfältig mit Schraubdeckeln verschlossen hatten, liefen sie so schnell es ging davon.

Als sie aus dem Schutzbereich herauswaren, wobei sie darauf achteten, nicht weitere Hydren auf sich aufmerksam zu machen, konnten sie disapparieren. So heimlich wie sie gekommen waren verschwanden sie nun.

Igor Bokanowski freute sich wie ein kleiner Junge, als er mehrere Dutzend Kilogramm grünlich-rotes Hydrafleisch im eigenen Blut vor sich hatte. Seine zwölf Auserwählten hatten schnell, sauber und unbeobachtet gearbeitet. Jetzt galt es, die bereits fertige Essenz der alten Rezeptur Slytherins folgend mit dem Sud aus dem Fleisch des erlegten Schlangenungeheuers zu vermischen. Mit Mundschutz und armlangen Handschuhen angetan arbeitete Bokanowski in einem seiner Labore, wo ein mannshoher Kessel stand, in dem alles von einem meterlangen Rührlöffel selbstätig umgerührt wurde. Blubbernd stiegen gelbe, grüne und milchige Blasen aus dem dickflüssigen Gebräu heraus, Dichter Dampf waberte durch das Labor, suchte sich seinen Weg durch die in der Decke befindlichen Lüftungsschlitze, die in einen hohen Schornstein mündeten, der im Zentralgebäude der Burg errichtet war und jeden giftigen Brodem hinausleiten sollte, weit genug fort von allen Wesen, die ihn sonst eingeatmet hätten. Bokanowski befolgte die alchemistischen Anweisungen, die vor bald tausend Jahren von Salazar Slytherin in einem seiner geheimsten Bücher niedergeschrieben worden waren. Zwar war Slytherin auch nicht der Erfinder dieses Gebräus, hatte dessen Wirkung und Zubereitung jedoch genauestens erforscht und niedergeschrieben. Nach vier Stunden durfte Igor Bokanowski das Ergebnis bewundern, eine rötliche, doch ziemlich durchsichtige Flüssigkeit, auf deren Oberfläche kein bißchen Schaum zu erkennen war.

"Mit diesem Gebräu schreibe ich ab heute Zaubererweltgeschichte!" Rief er triumphierend durch die Atemschutzmaske. "Arcadi wird bald nicht mehr dasein."

Er ließ das kochendheiße Gebräu ein wenig abkühlen. Dann bewegte er den Riesenkessel, in dem er selbst stehend unter Wasser sein konnte in Schräglage und füllte vorsichtig den Inhalt auf zwölf Badebottiche um, bis diese randvoll waren. Den Rest der Flüssigkeit wollte er zu weiteren Experimenten behalten. Denn er hoffte, daß die darin gespeicherten Eigenschaften einer Hydra noch machtvollere Sachen bewirken konnten, wenn er sie verschiedenen Prozeduren aussetzte oder mit anderen Substanzen vermengte. Er befahl die zwölf die er losgeschickt hatte zu sich. Widerstandslos zogen sie sich aus und stiegen in die immer noch heißen Badebottiche. Auf einen Befehl Bokanowskis hin tauchten sie ganz unter und hielten die Luft an. Es vergingen dreißig Sekunden, dann waren es vierzig. Dann sah Igor, wie sich die Haut der Badenden schwarz-rot-braun verfärbte. Immer noch hielten sie den Atem an. Als dann die fünfzigste Sekunde verronnen war befahl Igor: "Mund auf und schlucken!" Die zwölf Badenden gehorchten. Denn die Seelensterne in ihren Nacken zwangen sie zu absolutem Gehorsam. Die parasitären Kleinlebewesen selbst blieben von dem Umwandlungsprozess unbetroffen, da sie unter der Haut ihrer Wirte wohnten. Die zwölf Abbilder schluckten mehrmals, bevor Bokanowski ihnen befahl, aus den Wannen zu steigen. Troffnass verließen die zwölf wie unter Drogen ihre Badebottiche und standen leicht zitternd vor plötzlicher Kälte vor Bokanowski, ihrem Meister und Gestaltgeber. Die Verfärbung der Haut ließ jedoch schon wieder nach. Statt dessen begannen die zwölf wie unter starken Magenkrämpfen zusammenzuzucken, sich zu krümmen und zu winden. Dieser schauerliche Vorgang dauerte eine Minute an. Dann war alles vorbei.

"Bleibt so stehen, bis ihr trocken seid!" Befahl Bokanowski und beschwor einen tropenwarmen, sanft wehenden Luftstrom herauf, der seine Ebenbilder einhüllte und langsam trockenblies. Ein leichtes Glitzern blieb als Spur des schauderhaften Bades auf der Haut jedes einzelnen zurück. Dann, als hätten sie einen Aufwecktrank eingenommen, verflog die Kraftlosigkeit und Apathie der zwölf Ebenbilder.

"Ihr seid nun Träger einer großen Macht. Wer ist euer Herr und Gebieter?" Sprach Bokanowski zu seinen Abbildern.

"Ich habe nur einen Herren und Gebieter: Igor Bokanowski!" Skandierten die zwölf im Chor. Ihr Original und Meister atmete auf. Die Seelensterne waren wirklich noch unbeeinflußt am Werk.

"Am liebsten würde ich einen von denen zu Voldemort schicken, um ihm den Schlag seines Lebens zu versetzen. Doch ich will erst die Kontrolle über die wichtigsten Zaubererinstitutionen haben", dachte Bokanowski. Dann gab er jedem einzelnen seiner frisch im Hydrafleischsud gebadeten Doppelgänger auf, was er zu tun hatte. Er wollte keine Zeit mehr verlieren. Wenn in Russland Ostern gefeiert wurde, wollte er bereits am Ziel sein. Dann würde es nicht mehr wichtig sein, ob Arcadi ihm seinen Stuhl überließ, dann würde er Arcadis Stuhl haben, und niemand würde das überhaupt mitbekommen.

Als die zwölf Abbilder unterwegs waren, um ihren Sonderauftrag zu erfüllen, kehrte Bokanowski in seine Ruhegemächer zurück. Er lauschte der nur für ihn so herrlichen Musik aus tierhaften Lauten und Schreien, die von seinen neugezüchteten Bestien herrührten. Bald würde er seine Heuschreckenmenschen ausschicken, die den Insektenkreaturen Slytherins und Sardonias in nichts nachstanden. Wenn er erst alle Schlüsselstellungen der Zaubererwelt besetzt hatte, konnte er das gemeine Volk nach belieben tyrannisieren. Vor allem aber konnte er seinen Feldzug gegen die Vampire fortsetzen. Ja, und dann würde er sich grausam an Voldemort rächen. Dem würden seine Dementoren dann auch nichts mehr nützen.

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Der Karfreitag war für Professeur Blanche Faucon ein ziemlich ungemütlicher Tag. Erst hatte sie auf Geheiß des Zaubereiministers die geheime Besprechung der Sardoniaspezialisten, zu denen auch sie und ihre Tochter Catherine gehörten bei sich einberufen. Dabei hatte sie am Morgen von Cassiopeia Odin brühwarm erzählt bekommen, daß der von ihr protegierte Zauberschüler Julius Andrews ausgerechnet mit Mildrid Latierre, einer Enkeltochter ihrer Intimfeindin Ursuline Latierre, zusammengefunden haben sollte. Sie hatte den Jungen zur Rede gestellt, und der hatte es ihr völlig unbekümmert, ja sehr aufmüpfig bestätigt. Dann war noch Mildrids Mutter dazugekommen und hatte sich eingemischt, weil sie angeblich das Recht dazu hatte. Doch weil sie die Besprechung mit Catherine, dem Minister und ihren Kollegen Delamontagne und Tourrecandide nicht länger unterbrechen konnte, war sie abgezogen, hatte ihren Gesprächsteilnehmern gegenüber verheimlicht, wie wütend sie war, vor allem auf Catherine und mußte feststellen, daß niemand wußte, was sie nun gegen die Entomanthropen tun konnten. Sie hatte zwar eine magische Waffe erwähnt, das Schwert der Entschmelzung, das angeblich irgendwo auf der Erde versteckt war. Doch wo es genau lag wußte sie genausowenig wie die anderen. Dann, am Nachmittag, wollte sie mit Julius' Mutter über die Sache mit Mildrid sprechen, sie dazu bringen, gegen deren Mutter Anzeige zu erstatten, um diese für sie unzulässige Verbindung zu beenden, bevor sie richtig begonnen hatte. Sie sezte sich einige dutzend Meter von ihrem Haus entfernt hin und wartete darauf, daß Julius sie anmentiloquieren würde. Denn in ihrem Haus ging das nicht, und Julius wußte ja nicht, daß die Besprechung echt dort stattgefunden hatte. Als es ihr zu lange dauerte, versuchte sie eine Exosenso-Verbindung mit ihm zu bekommen. Doch als sie sich dann ohne Vorwarnung in der Wahrnehmungswelt eines ungeborenen Kindes wiederfand und die Verbindung nicht mehr lösen konnte, wußte sie, daß sie sich in arge Schwierigkeiten und eine äußerst schwache Position gebracht hatte. Wütend herrschte sie die werdende Mutter dieses Kindes an, die Verbindung zu trennen. Es widerte sie an, ausgerechnet in der Sinneswelt von Hippolyte Latierres ungeborenem Kind gefangen zu sein, dem Kind der Hexe, deren Vater sie, Blanche Faucon, einst für sich gewonnen zu haben glaubte, bis sie den größten menschlichen Fehler ihres damals jungen Lebens begangen hatte. Dabei erfuhr sie nolens volens, auf welche Weise Julius Andrews und Mildrid Latierre sich einander anvertraut hatten. Diese Neuigkeit versetzte ihr einen herben Schock.

Erst nach vielem Zetern und einer kurzen Gedankenbotschaft an Julius Andrews erhielt sie ihre angeborene Wahrnehmung zurück. Wütend und im Gefühl totaler Hilflosigkeit zitierte sie Catherine zu sich. Als diese ihr dann gestand, daß sie davon gewußt hatte, was Julius und Mildrid angestellt hatten, ließ sie sich dazu hinreißen, ihrer schwangeren Tochter auf jede Wange eine Ohrfeige zu geben. Rechtschaffend wütend verließ Catherine darauf das Haus ihrer Mutter. Blanche Faucon blieb in ohnmächtigem Zorn und hilflos wie ein Kind zurück. Eine Stunde dauerte es, bis sich ihr sonst so klarer Verstand wieder meldete. Sie hatte sich gegen zwei werdende Mütter vergangen. Die eine hatte sie widerrechtlich auf magische Weise in ihrer Privatsphäre gestört, auch wenn sie nicht die Absicht dazu hatte. Die andere hatte sie körperlich angegriffen. Wenn sie damit nicht ihr ganzes Leben in Schutt und Asche zerfallen sehen wollte mußte sie wohl oder übel nachgeben, was Julius Andrews anging. Außerdem gab es weitaus drängendere Probleme. So überwand sie sich und stattete ihrer Tochter und Julius und seiner Mutter einen Besuch zwischen Trotz und Abbitte ab. Sie wußte, daß sie nun jederzeit belangt werden konnte, wenn sie von sich aus in die von den Latierres gestiftete Beziehung zwischen Julius und Mildrid hineinfuhrwerkte. Außerdem wollte sie den Jungen nicht durch ihren alten Groll gegen die übergewichtige Mehrfachmutter Ursuline verlieren. Jetzt, wo sie wußte, daß es an ihr lag, sein Schicksal in für ihn und alle anderen nützliche Bahnen zu lenken, durfte sie sich nie wieder dieser alten Wut hingeben. Sicher hatte sie nach Beauxbatons mit ihrem viel zu früh verstorbenen Mann eine mehr als schöne Zeit gehabt. Doch die Erinnerungen an die Zeit damals lag immer noch wie ein Eisblock auf ihrem Herzen. Doch sie mußte sich beherrschen, an die Gegenwart und Zukunft denken. Da war die Wiedergekehrte, entweder Sardonia selbst oder ihre Nichte Anthelia, die das alte Erbe an sich gebracht haben mochte. Da war der böse Zauberer, der sich Voldemort nannte, der Mörder ihres geliebten Ehemannes, und da waren die Entomanthropen, von denen bisher keiner wußte, wer sie letzthin erweckt hatte und wo sie jetzt waren.

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Es war nacht über dem Berg bei Washington. Nebelfetzen trieben, vom kalten Wind vorangeblasen, wie gejagte Geister um die Flanke des Berges herum. Der Mond wurde immer wieder von dichten Wolken verdeckt, so daß zwischendurch völlige Dunkelheit diesen Ort umhüllte. Es krachte laut wie ein Feuerwerkskörper, und auf dem mittleren Sattel des Berges stand ein gedrungen wirkender Mann, nicht übermäßig groß, der einen Kapuzenumhang trug. Heute, in der Nacht von Karfreitag zu Samstag westlicher Zeitrechnung, würde er seinem Herrn und Gestaltgeber einen wichtigen Teilsieg ermöglichen. Er mußte nur in die gegen Apparieren abgeschirmten Räume gelangen, ohne dabei die Sicherheitszauber auszulösen. Sein Ziel wurde nur von dieser magischen Sicherung geschützt. Keine Leibwachen, die direkt bei ihm waren. Wie einfältig waren doch die Amerikaner. In seiner Heimat würde es ungleich schwerer sein, überhaupt in die Nähe der Zielperson zu kommen, auf die sein Herr und Vorbild es auch noch abgesehen hatte. Dort unten ruhte der armselige Aushilfszaubereiminister, der erst seit etwas mehr als einem halben Jahr im Amt war. Neunzehn fühlte die unbändige Kraft, die ihn durch das Bad im Hydra-Gebräu und einigen Schlucken davon durchströmte. Doch er mußte sich vorsehen, ihr nicht selbst zu verfallen. Doch sein Seelenstern pulsierte kraftvoll und hielt den ohnehin unterdrückten Geist fest in seinem Bann. Der eine, der echte Igor Bokanowski, erfuhr über dieses nützliche Lebewesen im Genick seines Abbildes, was dieses mit seinen Sinnen wahrnahm, durchdachte und fühlte.

"Dort zwischen den Felsen, Neunzehn", wisperte eine lautlose Stimme in seinem Kopf. Neunzehn legte sich auf den Boden und suchte die Ritze. Ja, da war ein warmer Luftstrom zu fühlen. Also handelte es sich um einen Abluftausgang des weitläufigen Komplexes. Die Ritze war jedoch nur achtzehn Zentimeter breit, dafür aber einen Meter lang. Ja, so ging es. Neunzehn fühlte, wie er sich darauf einließ, geschmeidig durch den Abluftausgang zu dringen. Die Kraft der Hydra verlieh ihm die Fähigkeit, vorübergehend alle Eigenschaften einer Schlange anzunehmen. So zog sich sein Körper in die Länge. Die Gliedmaßen zogen sich in den Leib zurück. Dann war es soweit. Neunzehn steckte seinen flach gewordenen Kopf in den Spalt und robbte lautlos hinein. Doch kaum war er durch, fiel er bereits in die Tiefe. Offenbar war unter dem Abluftkanal bereits ein breiter Schacht. Neunzehn streckte sich, traf mit Kopf und Hinterkörper gegen die Wände. Er rollte sich mehr instinktiv zu einem elastischen Knäuel zusammen, bevor er auf hartem Gestein aufschlug und einmal wie ein praller Gummiball abprallte. Dann lag er still. Er fragte sich, ob er bereits irgendwelche Meldezauber ausgelöst hatte. Denn es wäre ja durchaus auch möglich, daß jemand in Nebelform ...

"Dagegen schützt ein Luftwirbel, der im Schacht erzeugt wird", fiel es ihm ein. Dann sah er sich um. Seine Augen hatten sich wundersamerweise an die totale Dunkelheit gewöhnt. Ja, er vermochte in diesem Zustand zu sehen, wo warme und kalte Stellen waren. Mit großer Anstrengung konzentrierte er sich auf seine ursprüngliche Gestalt. Eerst als er seine Arme und Beine wieder frei bewegen konnte, erkannte er, daß er hier nicht weiterkommen würde. Jetzt fühlte er auch den starken Luftstrom, der nicht einfach die warme Abluft nach oben trug, sondern sich wie ein schwacher Wirbelsturm im Kreis drehte. Keiner in Nebelform würde hier unbeschadet hereinkommen. Ein einfacher, festgelegter Luftverwirbelungszauber ersparte viele Meldezauber, erkannte Neunzehn. Dann fiel ihm ein, daß er einen Auftrag hatte. Sein Seelenstern trieb ihn an, an den Wänden des Schachtes hinaufzuklettern. Er prüfte vorsichtig, ob ein Zauberspürer in diesem Schacht eingesetzt wurde. Wäre dem so gewesen, hätte er nur noch eine Selbstlevitation zum Ausgang zaubern und sich erneut in Schlangenform hinauswinden können. Doch im Schacht wirkte nur der spürbare Luftwirbelzauber. So hielt sich Neunzehn die Zauberstabspitze an jede Hand und jeden Fuß und murmelte dabei: "Muscapedes!" Er fühlte, wie seine Hände und Füße sich veränderten. Selbst in seinen Schuhen fühlte er, wie sie sich am Boden festsaugen wollten. Er legte seine Hände an die Wände und fühlte, wie diese anhafteten wie Eisenstücke an einem schwachen aber brauchbaren Magneten. Mit dieser vorübergehenden Fähigkeit, sich an glatten Wänden sicher festhalten zu können turnte Neunzehn hinauf, bis seine haftfähigen Hände auf kaltes Metall stießen. Neunzehn zog sich vor den vergitterten Abluftausgang und blickte kurz hindurch. Seine nun Wärmeunterschiede wahrnehmenden Augen unterschieden Schreibtische und einen Metallschrank. Das gitter zu lösen wäre hier unsinnig gewesen. Also kletterte er weiter. Er wußte, daß der Anhaftungszauber auf seinen Händen und Füßen nur fünf Minuten vorhielt. Vielleicht würde er bei seinem umgewandelten Körper sogar noch früher erlöschen. So beeilte sich der Mehrling Igor Bokanowskis, schnüffelte und spähte, wann er entdlich an Zugängen vorbeikam, die nichts mit dem Bürokomplex zu tun hatten. Als er schließlich die nach erkaltetem Bratenfleisch und edlem Holz duftende Abluft aus oberen Etagen witterte und vor das Gitter gelangte, atmete er auf. Er hatte es geschafft, noch innerhalb der Zeit an den Ort zu kommen, den er suchte. Er tippte sich mit dem Zauberstab an den Körper und dachte "Finis Incantato, womit er die anhaftende Wirkung seiner Hände und Füße wieder aufhob. Dann richtete er, sich mit einer Hand eisern am spezialgehärteten Stahlgitter und den Füßen auf dem Sims haltend, den Zauberstab auf den mittleren Querstab und murmelte "Ferrugo!" Ein rötliches Licht glomm auf, das den Stahl innerhalb einer halben Minute an einer Stelle durchrosten ließ. Als Neunzehn erkannte, daß der magisch beschleunigte Rost einen breiten Streifen um den Stab gebildet hatte, drehte er daran. Es knirschte metallisch. Dann ruckte es, und der Gitterstab war durch.

"Ihr seid wahrhaft einfältig", knurrte Neunzehn. Sicher, der Durchrostungszauber hatte viermal so lange gebraucht wie bei unbehandeltem Stahl oder Eisen. Doch gebracht hatte er trotzdem, was von ihm verlangt wurde. Neunzehn lehnte den herausgelösten Stab an die Wand und bearbeitete den unteren Querstab, wobei er diesmal den Ferrugo-Zauber mit größerer Stärke wirken ließ. Nach fünfzehn Sekunden konnte er auch den zweiten Stab aus der Halterung drehen und neben den schon herausgetrennten Stab legen. Nun war die Öffnung breit genug, um ihn, wieder in Schlangenform, hindurchzulassen. Doch als er durch das Gitter schlüpfte, fühlte er ein Kribbeln, daß durch den Körper ging. Er wußte, daß er wohl einen Spürzauber berührt hatte und vielleicht nur noch wenige Sekunden hatte, bevor die davon alarmierten Sicherheitstruppen zur Stelle sein würden. Er warf sich in den Raum, der die persönliche Küche des Ministers war. Hier arbeiteten drei Hauselfen, die hoffentlich gerade schliefen.Neunzehn wand und schlängelte sich unter dem Tisch hindurch und erreichte eine Tür. Mit großer Anstrengung dachte er daran, wieder seinen gewöhnlichen Körper zu haben. Dann hörte er bereits eilige Schritte von irgendwo her. Sie kamen zu früh!

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Bokanowski verfolgte die Aktion seines Ebenbildes in Amerika aus mehreren tausend Kilometern Entfernung. Zwar war die Sichtverbindung schlecht, und er hörte nur dumpf, was am Ziel geschah, doch daß sein Ausgesandter gerade von drei Sicherheitszauberern gestellt wurde bekam er zu gut mit. Doch für diesen Fall hatte er Neunzehn mit einer Kombination aus Betäubungsdunst und Widerstandstrank ausgestattet. Konzentrierter Rauschnebel, extrahiert aus den Säften der Rauschnebelhecke, waberte auf und betäubte die drei Wächter so schnell, daß sie nicht einmal einen Hilfeschrei ausstoßen konnten. Der neunzehn eingeflößte Gegentrank bewahrte ihn vor diesem Schicksal.

"Du hast wohl eine Minute. Gehe hin und erfülle deinen Auftrag!" Befahl Bokanowski, der das Verbindungsstück zu Neunzehns Seelenstern in Händen hielt. Sein Handlanger und Doppelgänger gehorchte, unfähig zu eigenen Entscheidungen. Er rannte aus der Küche hinaus, umwölkt vom versprühten Rauschnebel, der möglicherweise noch andere Opfer finden mochte, bevor er unschädlich verdunstete. Igor wußte nicht genau, wo die privaten Schlafräume waren. Doch sein Doppelgänger war so schnell unterwegs, daß er nicht daran zweifelte ... Ja, er sah wohl im Dunkeln, wo eine Wärmequelle lag, deren Ausstrahlung wie ein diffuser Lichtfleck im dichten Nebel auf einer Tür glomm. Neunzehn wußte bestimmt, daß die Tür mit einem besonderen Schließzauber versperrt war, den nur der Siegelring des amtierenden Ministers unterbrechen konnte. Doch Neunzehn wußte natürlich, wie er die Tür aufbekommen konnte. Er klopfte lautstark gegen die Tür und rief mit verstellter Stimme:

"Minister Davenport, wir werden angegriffen!"

"Was ist?!" grummelte es ungehalten und sehr schläfrig von der anderen Seite der Tür her.

"Das Ministerium, Sir! Vermummte Hexen oder Zauberer stürmen das Ministerium! Wir müssen Sie in Sicherheit bringen!"

"Hier bin ich sicherer als sonstwo", maulte es hinter der Tür. Igor grinste verschmitzt. Seine Sprachübungen zahlten sich doch aus. Er konnte britisches oder amerikanisches Englisch akzentfrei sprechen, wie auch Deutsch, Polnisch, Französisch und Spanisch, wobei er hier sogar zwischen europäischem und südamerikanischem Akzent wechseln konnte, was gerade benötigt wurde.

"Sie haben große Fässer dabei, womöglich Erumpenthornflüssigkeit, Sir!" Rief Neunzehn hektisch tuend. Da hörte er Schritte jenseits der Tür. Seine Wärmesicht zeigte ihm eine schemenhafte Leuchtgestalt, deren Wärmeausstrahlung von der Tür fast gänzlich verschluckt wurde. Dann klickte es dreimal, und die Tür flog auf. Kaum war dies passiert stieß Neunzehn seinen Zauberstab vor und wirkte unhörbar einen Erstarrungszauber. Minister Davenport war noch zu schläfrig, um irgendwas dagegen machen zu können. Zwar würde jetzt unten in der Sicherheitsabteilung eine Folge von Alarmzaubern losschrillen, weil jemand im privaten Wohnbereich des Ministers einen Erstarrungsbann gewirkt hatte, doch Neunzehn brauchte nur fünf Sekunden, um zu tun, was er tun mußte. Er sprang durch die Türöffnung, riss den erstarrten Minister mit sich hinein und warf die Tür ins Schloß zurück. Der Verriegelungszauber ließ die drei Sperren mit lautem Klick zuschnappen. So'n Pech aber auch, daß nur der ministerielle Siegelring die Tür öffnen konnte, von innen wie von außen. Wieder hörte Neunzehn eilige Schritte. Er hoffte, daß von dem ausgeblasenen Rauschnebel noch genug in den Fluren hing, um die neuen Wächter auszuschalten. Doch an und für sich war es auch egal. Mit einer blitzschnellen Bewegung zauberte er sich seine Kleidung vom Leib. Dann umschlossen seine Hände den Hals des Ministers. Er fühlte, wie der Drang, ihn zu töten in ihm mächtig wurde. Doch er durfte Davenport nicht töten. Er war keine Hydra, die sich die Opfer einverleiben konnte, deren Form sie annehmen wollte. Er hatte nur einen Teil ihrer Macht, und dieser Teil tat seine Wirkung.

Davenport fühlte, wie die ihn umklammernden Hände ihm nicht nur die Luft abzuschnüren drohten. Er fühlte mit Schrecken, wie etwas von innen her aus seinem Körper hinaus in die ihn umklammernden Hände überfloß. Sowohl körperlich wie geistig fühlte er sich von einer Sekunde zur anderen immer matter. Dabei meinte er, zu halluzinieren. Denn er glaubte, alles um ihn herum würde immer größer, auch die Hände des Eindringlings, der ihn so unverzeihlich leicht ausgetrickst und überwunden hatte. Sie umfingen erst seinen Hals, dann seinen Kopf und Oberkörper, schienen ihn wie eine Zitrone auszuquetschen, daß er immer kleiner wurde. Er fühlte, wie seine Gedanken immer träger wurden, bis er in einer gewaltigen Größenexplosion seiner Umgebung in ein tiefschwarzes Nichts hinüberglitt.

Neunzehn, der das Wissen seines Vorbildes besaß, wußte, wie der Zauber wirkte, den das Bad im Sud des Hydrafleisches und -blutes ermöglichte. Der von ihm umklammerte Minister wurde von Sekunde zu Sekunde kleiner, nur sein Schlafanzug und sein Ring behielten ihre Größe. Neunzehn pflückte den immer winziger werdenden Minister aus der Schlafanzugjacke und hielt ihn nur noch mit zwei Fingern, bis er gerade einmal daumenlang war. Gleichzeitig prickelte es Neunzehn im ganzen Körper. Sein Kopf brummte wie ein Hornissennest. Dann meinte er, andere Bilder zu sehen, Geräusche zu hören und sich in rasender Fahrt zu mehreren Orten zu bewegen. Sein Seelenstern blähte sich auf und zog sich zusammen wie ein angestrengt schlagendes Herz. Die Flut von geistigen Eindrücken, die Neunzehn ereilte, drohte, den Seelenstern zu überfordern. Erst als nach genau zehn Sekunden der magische Aufruhr vorbei war, kehrte das den Willen beherrschende Kunstgeschöpf zu seinem üblichen Stadium zurück. Sein Wirtskörper jedoch sah nun total verändert aus. Nackt und anscheinend gerade aus dem Bett gestiegen stand da Barney Davenport, der Zaubereiminister der vereinigten Staaten von Amerika. Von draußen hörte er, wie mehrere schwere Körper hinfielen.

"Hat der Rauschnebel doch noch gewirkt", grinste der Mann, der jetzt wie Davenport aussah. Das Original lag reglos und gerade einmal daumenlang in seiner rechten Hand.

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Die innere Sicherheitsabteilung wurde von den anspringenden Alarmzaubern fast kalt erwischt. Irgendwas war durch das Lüftungsgitter in die Küche der Privatetage eingedrungen. Sofort wurden fünf Mann losgeschickt, die nachsehen und einen möglichen Eindringling festnehmen sollten. Dann meldete die Überwachung, daß ein Erstarrungszauber aufgerufen worden war. Zunächst ging der Diensthabende der Sicherheitsabteilung davon aus, daß der Eindringling überwältigt worden war. Doch als nach einer halben Minute noch keine Vollzugsmeldung bei ihm einging stutzte er. Er schickte weitere Leute aus, begleitete sie sogar in gebührendem Abstand selbst. Als sie in die privaten Bereiche des Ministeriums eindrangen und durch die großen Panorama-Illusionsfenster in die draußen herrschende Dunkelheit blickten, mußten sie erst Licht haben. Ja, da lagen die fünf ausgeschickten Wachen. Ein merkwürdiges Gefühl wie von einer einschläfernden Droge machte sich breit. Sofort erzeugten die Wachen Kopfblasen und riefen einen Luftumwälzungszauber auf, um Rauch und andere schädliche Gase aus dem Raum zu entfernen. Alle Räume wurden besetzt. Lautstark wurde "Raum gesichert!" gerufen, nachdem mit Vivideo-Zaubern nach fremden Lebewesen gesucht worden war. Dann war nur noch das Schlafzimmer des Ministers übrig. Morton Tallon, der Leiter der Sicherheitsabteilung klopfte an und rief, daß sie die Tür öffnen müßten, wenn nicht in fünf Sekunden jemand öffnete. tatsächlich tat sich die Tür auf, und ein sichtlich ungehaltener Minister Davenport blickte heraus.

"Was ist denn los, meine Herren?!" Polterte er. "Was fällt Ihnen ein, mich in meiner wohlverdienten Ruhe zu stören?!"

"Eindringlingsalarm, Sir. Jemand ist bei Ihnen eingedrungen und hat unsere Wachen betäubt. Wir müssen nachsehen, wo er ist", sagte der Leiter der Sicherheitsabteilung. Dann stürmten seine Leute das Schlafzimmer und unterzogen es dem Vivideo-Zauber, jedoch ohne Erfolg.

"Der muß hier sein", schnarrte einer. Davenport blickte ihn finster an.

"In mein Schlafzimmer kann keiner rein. Die Tür ist dreifach bezaubert und mit Durolignum-Elixier unaufbrechbar gemacht. Außerdem ist ein Wehrzauber gegen gasförmige Eindringlinge eingerichtet, wie Sie sicher wissen, Morton. Wo soll denn der Eindringling sein?"

"Der muß noch im Bereich sein", knurrte Morton Tallon und blickte mit seinen dunkelblauen Augen lauernd umher, ob nicht gleich doch jemand aus einem Versteck springen würde. "Warum sollten sonst die Wachen betäubt sein?"

"Womöglich hat er versucht, bei mir einzudringen und ist zurückgeschlagen worden. Dann ist er in Nebelform wieder hinaus."

"Im Luftschacht rotiert eine schnelle Luftsäule, die jeden nebelförmigen Eindringling an den Rand der Zerstreuung zwingt. Keiner würde es wagen, in Nebelform dort hinauszuentweichen", beharrte Morton darauf, daß der Eindringling noch da sein mußte. Dann hob er seinen Zauberstab und rief: "Revelo Umbrorigines!" Mit jenen Zaubern, die verwandelte Lebewesen aufspüren konnten, wurde das ganze Schlafzimmer und alle anderen Räume durchforstet. Doch es fand sich nichts. Der kleine Metallzylinder, der in der Schublade des Nachtkonsölchens lag, verriet nicht, was er beinhaltete. Eine mehrstufige Magiedurchdringungsbehandlung isolierte den darin eingesperrten und handlungsunfähigen Mann.

"Das geht nicht an. Hier muß er doch sein", knurrte der Leiter der inneren Sicherheitsabteilung. Dann meinte der Minister:

"Wahrscheinlich war es ein Kobold. Die können durch fast alle Wände gehen. Außerdem können die sich wie Fliegen an jeder glattenSteinwand festsaugen und daran hinauf- und hinunterklettern. Der hat bestimmt ein Betäubungsgas freigesetzt und versucht, mich zu erwischen. Als das nicht klappte, ist er wieder verschwunden."

"Und der Erstarrungszauber?" Fragte der Leiter der Sicherheitsabteilung. Doch auch darauf hatte Davenport eine Antwort parat:

"Wie oft habe ich angemahnt, daß die Feineinstellung der Erkennungszauber dringend überprüft werden müsse. Sie wissen, daß ein Erstarrungszauber ähnliche Anzeichen zeigt wie der Selbstverhärtungszauber eines Koboldes. Womöglich wollte der Wicht durch die Tür springen."

"Die letzte Prüfung ist erst ein Jahr her, Herr Minister", sagte einer der Bereitschaftswächter.

"Eben, und wie oft schlug der Spürzauber seitdem an?" Fragte der Minister.

"Hömm, kein einziges Mal, Sir."

"Magieermüdung setzt frühestens nach einem halben Jahr ein. Prüfen Sie unverzüglich die Wirksamkeit der betreffenden Spür- und Meldezauber!" Befahl Davenport barsch. "Offenbar hat die in die Wände und Türen eingelagerte Blockade den Kobold doch wirksam abgeschreckt. Er ist geflüchtet und bestimmt schon tief unter der Erde zurück zu seiner Räuberhöhle. Sie wissen doch, daß im letzten Jahr ein Kobold versucht hat, in unsere Geheimarchive einzudringen. Vielleicht gehört er zu einer organisierten Bande von Antizauberer-Kobolden. Morgen werde ich mit Donata Archstone und Mike Paddles sprechen. Sichern Sie wieder alle Zugänge!"

"Wenn wir wissen, wie dieser Kerl durch ein geschmiedetes Gitter kommen konnte", spielte Morton Tallon seinen nächsten und womöglich letzten Trumpf aus.

"Ich hätte auf Donata hören und jemanden aus ihrer Eingreiftruppe an ihre Stelle setzen sollen, Tallon. Von ätzenden Säuren haben Sie wohl noch nie was gehört, wie? Das lernt an und für sich jeder im Alchemiunterricht. Bei wem Hatten Sie den?" Knurrte der Minister nun wild entschlossen, die Störung seiner Nachtruhe nicht mehr länger hinzunehmen.

"Professor Verdant", knurrte Tallon, der diese Behandlung von oben herab nicht so unbeeindruckt hinnehmen wollte.

"Da sieht man es. Die hat sich eher mit pflanzlichen Sachen beschäftigt. Wir hatten bei Purplecloud. Die versteht was von ihrem Fach", sagte der Minister barsch. "Wenn das Lüftungsgitter durchgebrochen sein sollte, reparieren Sie es und stimmen sie den Warnzauber auf die magische Aura von Kobolden ab, damit dieser Wicht oder Komplizen von dem nicht noch mal meine Nachtruhe stören können!"

"Natürlich, Herr Minister", bestätigte Tallon die Anweisung. "Ich werde noch drei Bereitschaftszauberer in der Küche und im Wohnzimmer unterbringen, um einen neuen Angriffsversuch abzuwehren."

"Das hätten Sie mal vorher machen sollen", knurrte Davenport verärgert. Tallon sah ihn abbittend an und meinte:

"Das war bisher nie nötig, mehr als die Bereitschaftstruppe zu Ihrem Schutz abzustellen, Sir. Aber ich sehe es wohl ein, daß die Zeiten sich geändert haben. Ich schlage vor, daß Wishbone hier bei Ihnen im Zimmer bleibt und als letzte Absicherung aufpasst."

"Das kommt nicht in Frage", knurrte Davenport. "Den Zaubereiministern und -ministerinnen ist eine lückenlose Privatsphäre garantiert. Selbst Notstände wie bevorstehende Angriffe bösartiger zauberer dürfen daran nicht rühren. Pflanzen Sie so viele von Ihren Leuten vor der Tür hin. Aber in mein Schlafzimmer kommt mir keiner rein. Und wenn ich morgen aufstehe, haben die Leute sich im Wohnzimmer aufzuhalten, bis ich mit meinen Verrichtungen fertig bin. Damit wir uns ganz klar Verstehen."

"Natürlich", erwiderte Tallon leicht enttäuscht. Zumindest sollte der Minister dies denken. Dann wünschte er ihm noch eine gute Nacht und sah zu, wie Davenport die Tür von innen schloß.

"Wishbone, Sie bleiben vor der Tür!" Kommandierte er. Dann schickte er drei weitere Leute ins Wohnzimmer und zwei in die Küche. Die drei Hauselfen wurden geweckt, um sich ebenfalls in der Küche bereitzuhalten. Als alle eingeteilt waren, nahm Tallon ein Etui aus seiner linken Innentasche und reichte es Wishbone. Leise flüsterte er ihm zu:

"Setzen Sie die Durchblickbrille auf und behalten Sie den Minister im Auge! Wenn er in einer Stunde noch der ist, den wir gerade erlebt haben, tun Sie die Brille wieder fort. Andernfalls machen Sie sofort Meldung!"

"Sie vermuten Vielsaft-Trank?" Flüsterte Wishbone so leise, daß außer Tallon nur noch eine hätte hören können, was er sagte, und die war zum großen Glück für alle Beteiligten gerade in Cloudy Canyon, wo Norman Ironquill morgen seinen Wahlkampfauftritt haben würde. Den mußten die von der Strafverfolgungsabteilung absichern, damit es nicht hieß, daß die nordamerikanische Zaubererwelt die Ministerkandidaten nicht gleichbehandelte.

"Wenn in Einer Stunde nichts darauf hindeutet, daß wir verladen wurden, setzen Sie die Brille ab und bleiben nur so vor der Tür!" Wisperte Tallon. Laut sagte er dann noch: "Wishbone, halten Sie bloß Ihren Zauberstab bereit. Kobolde können sich unsichtbar machen. Schicken Sie bei der geringsten Merkwürdigkeit einen Schockzauber los!"

"Verstanden, Mr. Tallon!" Bestätigte Wishbone mit der Routine des gehorsamen Wachbeamten.

Doch als mehr als eine Stunde vergangen war und Wishbone außer einem im Bett liegenden Minister nichts sehenswertes bemerkte, empfand er es als erledigt. jemand hatte die Sicherheitsmaßnahmen getestet, tatsächlich einige Wächter überwältigt und mußte dann unverrichteter Dinge wieder abziehen. Zumindest hatte niemand den Minister gegen einen unter Vielsaft-Trank stehenden Gegner austauschen können.

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Vier sind drin", stellte Bokanowski fest. Davenport war der leichteste Fang gewesen. An und für sich war der Herr der Monsterburg nicht abgeneigt, Minister Arcadi zukommen zu lassen, wie leicht der nordamerikanische Zaubereiminister zu überfallen und gegen einen Doppelgänger auszutauschen war. Doch gerade Arcadi wollte er auch noch in seine Gewalt bringen und an seine Stelle einen seiner mit dem Hydrafleischgebräu außen wie innen veränderten Doppelgänger hinsetzen, der dann ganz in Bokanowskis Sinne schalten und walten würde. Um sicherzustellen, daß er auf jeden Fall einen amerikanischen Zaubereiminister unter Kontrolle hatte, sollte ein weiterer Doppelgänger Igors den Herausforderer Norman Ironquill vor der Pressekonferenz abfangen und ersetzen. Zwar würden die Strafverfolgungszauberer ihn mit gewissen Schutzzaubern umgeben, aber ihn nicht hermetisch abschirmen können wie sie es angeblich mit Davenport getan hatten. Dann wollte er sich mit den größeren Zaubererschulen und den Zaubereiministerien befassen, deren Landessprachen er akzentfrei beherrschte. Zumindest hatte er jetzt schon einige wichtige Stellungen besetzt, um bald alle zwölf Doppelgänger in den von ihm gewünschten Schlüsselpositionen zu haben. Arcadi, daß wußte er, würde der schwerste Brocken sein. Er würde seinem Spezialdoppelgänger drei gewöhnliche Abbilder seinerselbst zur Seite stellen, um notfalls eingreifen zu können, falls der alte Bär doch noch Verdacht schöpfte. Bisher sollten alle glauben, daß der achso gefährliche Igor Bokanowski, dem sie seinen Doktortitel nicht mehr gönnten, obwohl er ihn redlich verdient hatte, mit seiner Burg verbrannt war. Klappte es mit den zwölf Doppelgängern, so würde er wohl auch in weniger bedeutsame Stellungen Ersatzleute einschmuggeln, bis er ein dichtes Netz ausgeworfen hatte, durch das nichts und niemand mehr schlüpfen konnte. Wenn alles so glatt lief wie die ersten vier Austauschmanöver würde niemand überhaupt bemerken, wer bald die ganze Welt beherrschte.

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Donata Archstone hatte die persönliche Leitung der Sicherheitsmaßnahmen übernehmen wollen. Doch Ironquill zeigte ihr gegenüber eine unverantwortliche Abneigung. Als sie am Morgen des Ostersamstags vor das fein herausgeputzte weiße Haus des Ministerkandidaten trat, um mit Norman Ironquill persönlich zu klären, welche Sicherheitsmaßnahmen sie für seinen Wahlkampfauftritt vorgesehen hatte, blickte der gut durchtrainierte, dunkelblonde Zauberer mit den hellbraunen Augen sehr mißmutig durch das kleine Fenster in seiner Haustür.

"Ich habe gedacht, Davenport schickt mir die zweite Garde", knurrte Ironquill verbittert. "Aber daß er mir seine Gehilfin Archstone persönlich vorbeischickt spricht dafür, daß er Angst vor mir hat. Was wollen Sie, Ma'am?"

"Ich bin als Leiterin der Strafverfolgungsbehörde für Ihre Sicherheit abgestellt, Mr. Ironquill. Das wissen Sie doch, daß bei Neuwahlen die Kandidaten von uns beschützt werden."

"Dann kann ich mir ja gleich den Todesfluch in den Leib jagen", knurrte Ironquill. Donata wußte, woher diese tiefe Verbitterung kam, die schon sehr nahe am Abgrund des Hasses entlangbalancierte.

"Dann müßte ich Minister Davenport melden, daß Sie selbstmord begangen haben und darauf drängen, die Wahl zu verschieben. Wollen Sie, daß der Minister dadurch ohne faire Wahl im Amt bestätigt wird und wir alle damit leben müssen, vielleicht nicht demokratisch genug zu sein?"

"Auf jeden Fall will ich mit Ihnen nichts zu schaffen haben, Ms. Archstone. Weiß ich, ob Sie nicht für die Mörderinnen meiner Frau arbeiten?" Knurrte Ironquill nun ehrlich gehässig.

"Nein, das wissen Sie nicht", erwiderte Donata ruhig. "Aber wenn ich irgendwas mit diesem Anschlag zu tun hätte, dann würde ich bestimmt nicht offen vor sie hintreten, sondern hätte Sie schon längst mit dem Imperius-Fluch belegt, als sie heute Morgen hinter Ihrem Haus den Garten inspiziert haben. Also benehmen Sie sich bitte nicht wie ein bockiges Kind und öffnen Sie mir die Tür, um mit mir zu sprechen. Muß ja nicht jeder mitkriegen, was für Sicherheitsmaßnahmen ergriffen wurden."

"Meine Sicherheit ist die, daß Sie weit weg von mir sind, Archstone. Verschwinden Sie! Sofort!"

"Sie wissen, daß ich im Rahmen meiner Kompetenzen die Veranstaltung untersagen kann, wenn Sie nicht bereit sind, mit uns zu kooperieren. Also machen Sie sofort die Tür auf und ..." Unvermittelt entstand vor Donata Archstone aus dem Nichts heraus ein orangeroter Feuerball, der leise grummelnd auf sie zuflog, gelenkt und gerade so noch kontrollierbar, wie sie sah. Sie wich zurück, denn von der Feuerkugel ging eine sengende Hitze aus.

"Wenn Sie in zwei Sekunden nicht aus meinem Antiapparierbereich verschwunden sind kriegen Sie den ab!" Drohte Ironquill. Donata sah, wie der kürbisgroße Feuerball lodernd auf sie zuglitt, dabei immer mehr flackerte. Sie warf sich herum und lief über den plattierten Weg zum offenen Gartentor. Hinter sich fühlte und hörte sie die gelenkte Flammenkugel. Erst als sie durch das Tor war und dieses von selbst zufiel, ließ die sengende Hitze in ihrem Nacken nach. Sie wandte sich um und sah, wie der Feuerball mit leisem Plopp in weißen Rauch aufging. Diese perfekte Manipulation mit den Elementen gehörte zu Ironquills besonderer Fähigkeit, wußte sie. Wenn er wollte konnte er die Kraft des Wassers in Wind oder Wind in Feuer verwandeln. Einen Glutball aus leerer Luft zu beschwören war wohl eine von Ironquills Leichteren Übungen.

"Dann werde ich wohl die Veranstaltung absagen müssen", knurrte Donata Archstone. Sie stellte sich den Marktplatz von Cloudy Canyon vor, wo ein großes Podium aufgebaut war. Dort sollten interessierte und fachkundige Zuhörer und Reporter der amerikanischen Zaubererzeitungen erfahren, was Ironquill als Zaubereiminister tun wollte. An und für Sich dauerte ein regulärer Wahlkampf ein halbes Jahr. Doch Davenport wollte so schnell es ging klare Verhältnisse schaffen, ob er weitermachen oder sich zurückziehen sollte.

Mit lautem Knall apparierte Donata auf dem Marktplatz, wo sie fast in Linda Knowles hineingelaufen wäre. Die kaffeebraune, sehr attraktiv aussehende Reporterhexe mit den rotbraunen Locken sah Donata aus ihren fast schwarzen Kulleraugen interessiert an. Donata straffte sich. Sollte sie gleich hier und jetzt öffentlich verlautbaren, daß wegen der Weigerung des Kandidaten, mit den Sicherheitstruppen zusammenzuarbeiten die Veranstaltung abgesagt würde? Dann würde sie dieser berufsneugierigen Person da ein gefundenes Fressen liefern, wieso sie absagen wollte. Dann wurde ihrer beider Aufmerksamkeit von vier bulligen Zauberern in silbernen Umhängen abgelenkt, die das Podium gerade mit goldener Zaubertinte verzierten.

"Moment, die Herren, wer sind Sie und was tun Sie hier?" Wandte sich Donata an die Zauberer.

"Ach, Donata Archstone persönlich? hat man es Ihnen nicht erzählt, daß Mr. Ironquill keine Ministeriumstruppen hier haben will?" Erwiderte einer der vier mit dröhnender Baßstimme. Jetzt erkannte Donata ihn.

"Silas Lynch? Hat Mr. Ironquill sich breitschlagen lassen, Ihre Firma für die gewährleistung seiner Sicherheit zu engagieren?" Knurrte sie verächtlich. Silas Lynch war zu seiner Zeit ein Lieblingsschüler von Ares Bullhorn gewesen. Er und seine sechs Freunde hatten nach Thorntails eine Privatfirma für magische Sicherheit und Schutzmaßnahmen gegründet, die Treuschatten-Kompanie. Wo Swift noch die Strafverfolgungsabteilung geleitet hatte, war dieser mehrere Male mit den Treuschatten zusammengerasselt, weil deren begüterte Kundschaft gerne ihre Geheimnisse hüten wollte. Jedoch hatte selbst Arco Swift nichts aufbieten können, um Lynch und seinen Treuschatten etwas anhängen und ihre Firma schließen zu können. Doch diese Bande jetzt hier zu sehen war für Donata wie ein Schlag ins Gesicht. Als dann auch noch Linda Knowles mit ihrer zuckersüßen Stimme fragte, ob Mr. Lynch nun beabsichtige, zur amtlichen Leibwache des hoffnungsvollen Kandidaten zu gehören, lachte dieser und sagte:

"Wenn's Geld stimmt und ich überzeugt bin, daß Norman keinen Mist mit meiner Firma vorhat, Mädel, setz ich mich bei dem vor die Schlafzimmertür und passe auf, daß den keiner falsch zudeckt."

"Sie waren schon immer vulgär, Silas", knurrte Donata, während Linda den bulligen Chef der Treuschatten-Kompanie fasziniert anblickte. Dann fiel ihr ein, wie sie den selbstherrlichen Privatsicherheitsexperten aus dem Konzept bringen konnte: "Sie sagen, wenn das Geld stimmt, Silas. Was wenn nicht mehr gezahlt wird oder jemand anderes Ihnen ein besseres Angebot macht?"

"Ah, Sie wollen mal wieder die Moralkeule schwingen, Donnie. Dann sag ich's Ihnen, wo das flotte Zeitungsmädel dabeisteht: Wir heißen "Treuschatten-Kompanie" oder auch TSK. Der Name bedeutet, daß wir denen, die uns einmal engagiert haben, niemals mit dem Besenstiel ins Reisigwerk reinbrettern, auch wenn das Geschäftsverhältnis schon vorbei ist. Wenn Mr. Ironquill demnächst Minister Ironquill heißt und denkt, mit euch besser und billiger auszukommen und uns nich' mehr braucht, werden wir nicht zu irgendwem rüberrennen, der ihm am Zeug flicken will. Wir verkaufen Sicherheit, keine Selbstjustiz oder Rollkommandos."

"Bei Ihrem Familiennamen wäre ich da nicht so sicher", stichelte Donata Archstone.

"Hey, jetzt nicht persönlich werden, Ms. Archstone!" Knurrte Silas. "Kann ich was dafür, daß ich aus 'ner Familie abstamme, deren Muggelzweig für den mordenden Mob steht, was aber schon lange her ist."

"Ich wollte Sie bestimmt nicht beleidigen, Sir. Ich stelle lediglich fest, daß das Vertrauen in die ministerialen Sicherheitsorgane ein wesentlicher Ausdruck des Vertrauens in das Ministerium an sich bedeutet und ein Ministerkandidat, der sich nicht auf den ihm zustehenden amtlichen Schutz verlassen möchte gewiß sehr genau abwägen sollte, auf wen er sich verläßt", erwiderte Donata Archstone kalt.

"Nimm's nicht so tragisch, Donnie, daß wir für den guten alten Ironquill die Schutzengel geben", erwiderte Silas Lynch und rief seinen Leuten zu: "Hey, wenn die Rune da nicht mit der Friedensrune zusammenkommt können wir den Mordlustdämpfungsdom vergessen! Das machst du noch mal neu, bevor ich die Zauber drüberspreche!"

"Geht klar, Boss!" Blaffte der in Silber gehüllte Treuschatten-Zauberer.

"Mordlustdämpfungsdom? Davon habe ich noch nie was gehört", wandte sich Knowles an Lynch.

"Das ist auch nichts für deine feinen Ohren, Lino. Das'n Betriebsgeheimnis, klar?" Grummelte Lynch mit leicht geröteten Ohren. Donata sah ihn abschätzig an.

"Sie wissen, Mr. Lynch, daß ein solcher Gemütsbeeinflussungszauber nicht frei von Nebenwirkungen ist. Bei allem Respekt vor Ihren Erfindungen wissen Sie genau, daß mit zunehmender Menge Leute ein großflächiger Gemütsbeeinflussungszauber leicht zu Sinnestäuschungen oder Angsthalluzinationen führen kann. Am besten beschränken Sie sich auf Aggressions-Spürzauber und teilen weitere ihrer schnellen Greifer und Stopper ein, mit denen Sie ja Reklame laufen. Es sei denn, Sie möchten die Sicherheitsbelange doch mir und meinen Leuten überlassen."

"Ich könnte jetzt was sagen, was Sie mit dem Angebot machen können, Lady, aber wegen Beamtenbeleidigung kriegt mich keiner dran, Ms. Archstone", knurrte Lynch. Linda Knowles winkte derweil ihrem Fotografen. Doch Lynch schickte vier wie gewöhnliche Zauberer gekleidete Burschen aus, die im Handumdrehen den Bildermacher umzingelten und zu seiner vorbestimmten Position zurückdrängten.

"Hier kuckt uns keiner zu, Lino. Donnie, am besten apparierst du zu deinem Noch-Boss und verkündest dem, daß sein schärfster Konkurrent in besten Händen ist. Kannst ihm ja meine Karte mitbringen." Lynch griff unter seinen silbernen Umhang und fischte ein Kartenetui aus Drachenhaut heraus, dem er ein mit Blattgold umrahmtes Stück Karton entnahm, daß er Donata Archstone reichte. Linda Knowles beugte sich herüber und wollte die Karte lesen. Silas versuchte, sie zurückzustubsen, als Donata sie warm anlächelte und ihr wortlos die Visitenkarte überließ.

"Wenn Sie darauf angespielt haben, daß mein Vorgesetzter auf Ihre Dienste verfallen könnte, dann fühlen Sie sich bitte nicht all zu enttäuscht, wenn er weiterhin die Kompetenz der amtlich ausgewählten Experten bevorzugt", sagte sie ruhig. Dann wandte sie sich an Linda Knowles, auf die gerade weitere Treuschatten zukamen, um sie fortzuführen. "Zitieren Sie mich bitte wörtlich! Trotz massiver Abneigung gegen amtlich zugebilligte Sicherheitsexperten halte ich es für meine Pflicht, die Sicherheit der Veranstaltung im Vorfeld zu prüfen. Gegebenenfalls werde ich darauf drängen, die Wahlveranstaltung zu verschieben, bis alle Bedenken meinerseits restlos ausgeräumt sind."

"Dann schreib gleich hinterher, daß Norman Ironquill, der zukünftige Zaubereiminister, auf meinen Vorschlag hin Anklage gegen Minister Davenport und die ihm unterstehenden Sicherheitsbehörden wegen Behinderung seiner Bürgerrechte, Erstattung entstandener Unkosten und versuchte Rufschädigung erheben wird, Lino!"

"Danke für die interessanten Eindrücke, Mr. Lynch, Ms. Archstone", flötete Linda Knowles und zog sich zurück.

"Das ihr mir ja ungesagt zaubert, wenn ihr eure Abschnitte präpariert!" Knurrte Lynch seine Mitarbeiter an. "Die darf kein Wort von den Formeln mitkriegen, die wir entwickelt haben."

"Es ist kein sonderliches Geheimnis, wie der sogenannte Mordlustdämpfungsdom errichtet werden kann, Silas", schnarrte Donata. "Da Ms. Knowles zu den besten Zauberkunst- und Verteidigungsschülerinnen ihres Abschlußjahrgangs gehört dürfte sie auch so ergründen, wie eure Firma arbeitet."

"Ich würde Ihnen empfehlen, Ihrem Boss Meldung zu machen, daß die Veranstaltung hier gut abgesichert ist. Wir brauchen die Büro- und Streifenleute von euch nicht. Ich schaukel die Kiste mit sieben Mann sicher nach Hause wie 'ne glückliche Mutter ihr Baby."

"Ich werde trotzdem zwanzig Mann abstellen, um die Veranstaltung zu sichern. Wenn sich einer von Ihnen oder Sie selbst dabei in den Weg stellen, findet die Schau nicht statt, Mr. Lynch", knurrte Donata.

"Wie gesagt, was sicherheitsmäßig läuft habe ich von Mr. Ironquill volles Hausrecht. Ich kann Sie also auch vom Platz runterwerfen lassen, wenn Sie hier die Amtstussi raushängen lassen."

"Sie hielten noch nie viel von gepflegter Ausdrucksweise, Mr. Lynch", schnaubte Donata. "Aber ich habe den amtlichen Befehl, die Wahlkampfveranstaltungen von Mr. Ironquill abzusichern, um ihm eine faire Chance einzuräumen ..."

"Zum Teufel damit", schnaubte nun Lynch und lief auf einmal davon, als sei jemand hinter ihm her oder etwas natürliches dränge ihn zu einem bestimmten Ort.

"Wilson, da stimmt was nicht", mentiloquierte Donata einem ihrer Beamten, der auf dem Marktplatz die sicherheitsrelevanten Punkte inspizierte. "Ironquills Privatsicherheitsdienst scheint Probleme zu haben."

"Wo Sind Sie, Donata?" Fragte Wilson auf gedanklichem Weg zurück.

"Südbereich des Podiums. Treuschatten-Chef Lynch soeben sehr eilig davongerannt. Könnte ein sicherheitsproblem sein."

"Okay, komme rüber", knurrte es gedanklich in Donatas Kopf. Doch Wilson kam nicht. Die Treuschatten hatten eine Appariersperre errichtet, obwohl dies gegen die Notfallverordnungen der magischen Personenverkehrsabteilung verstieß, bei einer größeren Veranstaltung weitläufige Apparierwehren zu errichten. Denn es konnte ja durchaus passieren, daß jemand krank wurde oder aus sonstigen Gründen Hilfe schnellstmöglich zur Stelle sein mußte. So prallte Crake Wilson mit voller Wucht gegen die unsichtbare Barriere und wurde an seinen Ausgangspunkt zurückgeworfen. Er schaffte es gerade noch: "Mist, eine Mauer!" zu mentiloquieren. Dann hörte Donata nichts mehr von ihm. Statt dessen richtete sich ihr Augenmerk auf einen Zauberer, der von seinen Kollegen gerade begutachtet wurde. Er lag unter dem Podium und bewegte sich nicht. Donata lief hinüber, ignorierte die sich ihr entgegenstreckenden Zauberstäbe und herrschte Lynch an, was passiert war.

"Sauerei sowas. Phil hat eine Ladung eines Betäubungsgebräus ins Gesicht bekommen. Meine Jungs müssen rauskriegen, was für'n Sauzeug das ist. Ich muß den Platz dichtmachen."

"Das ist dann wohl mein Ding, Silas", knurrte Donata Archstone. Dann erkannte sie, daß der Zauberer unter einer Decke lag und wollte wissen, warum er zugedeckt worden sei.

"Der war so gut wie nackt, verdammt noch mal", schnaubte Lynch. "Aber jetzt schwirr ab zu deinem Boss. Ich kriege die Kiste alleine hin!" Schnarrte Lynch sehr angriffslustig. Dann hob er den Zauberstab. Donata Archstone hatte ihren jedoch auch schon in der Hand. Als Lynch ansetzte, einen wohl schon eingerichteten Personenausschlußzauber wirksam werden zu lassen, umspielte Donata ein Kranz aus goldenen Lichtblitzen.

"Ich werde Ihnen helfen, mich mit dem Absentius-zauber fortzuschaffen", knurrte Donata Archstone, als das Tosen der goldenen Blitze immer wilder wurde. Dann krachte es laut, und die Blitze flogen laut zischend in alle Richtungen weg. Lynch verlor den Zauberstab aus der Hand, während das Podium wild erbebte und dann ruhig stand. Außer den Leuten in Silberkleidung und Donata war jetzt keiner mehr auf dem Platz. Selbst die Reporter waren fort, von einer starken Magie einfach mehrere hundert Meter nach außen getragen und sanft abgesetzt worden.

"Mist verdammt!" Fluchte Lynch. "Woher kannst du denn einen Abwehrzauber, Donnie?"

"Ich habe meine Spezialzauber wohl studiert, Silas", schnarrte Donata. "Außerdem weißt du genau wie ich, daß bei Angriffen auf Zauberer oder Hexen meine Abteilung hinzugezogen werden muß und nicht wie eine Bande unwillkommener Vagabunden fortgejagt werden darf."

"Das ist meine Sache hier. Die haben meinen Mitarbeiter mit so'nem Schlafelixier vollgesaut. Ich kriege raus, wer das war. Dann kannst du gerne kommen und den mitnehmen."

"Wir kriegen raus, wer das war. Fangen wir mal damit an, indem ich frage, was dieser Mitarbeiter zu tun hatte."

"Der sollte Norman Ironquill durch unseren Antiapparierdom lotsen, ohne daß der gleich hunderte von Autogrammen oder Interviews geben muß. Der wollte gerade los und zu Ironquill ... Ouuuu, großer Drachenmist!!" Lynch war auf einmal kreidebleich geworden. Auch bei Donata heulten innere Alarmsirenen sturm.

"In fünf Sekunden habt ihr die Appariersperre aufgehoben, damit wir zu Ironquill kommen", knurrte Donata Archstone wütend. Dann mentiloquierte sie drei Beamten, die nicht in der Nähe waren, sie sollten sofort zum Haus von Norman Ironquill. Da sie jeden einzeln anmentiloquieren mußte und keine Rundrufmöglichkeit besaß, dauerte es bald zwanzig Sekunden, bis jeder ihrer Beamten in Marsch gesetzt war. Doch der Apparitionswall war noch nicht beseitigt.

"Wieso kriegt ihr diese Mauer nicht weg?" Knurrte Donata Archstone. Lynch blaffte zurück:

"Denken Sie, Frau Strafverfolgungshexe, daß wir eine Ruckzuck-Mauer hinknallen, die jeder mittelmäßige Zauberkünstler in vier Sekunden runterreißen kann? Das dauert noch eine halbe Minute, bis die ineinandergreifenden Zauber entflochten und aufgehoben sind. Ist wie damals in Thorny, wo nur bestimmte Räume durch Apparieren zu erreichen waren."

"Ihnen ist klar, Mr. Lynch, daß Sie soeben nicht nur eine grobe Verletzung der magischen Personenverkehrsgesetze begangen, sondern ihren Auftraggeber wahrscheinlich in große Gefahr gebracht haben. Gnade ihnen jeder Gott, an den wer glaubt, daß Ihr Auftraggeber unversehrt gefunden wird!"

"Konnte ich das wissen, daß meine Leute das nicht mitkriegen, wenn wer mit einem Betäubungselixier ankommt? Ich habe Giftspürer ausgegeben, um bösartige Tränke und Essenzen zu finden. Aber mit sieben Mann ist das wohl nicht so einfach."

"Will sagen, Sie haben auf Kosten ihres Auftraggebers am nötigen Personal gespart", knurrte Donata. Dann flimmerte die Luft. "Ist die Mauer jetzt weg?" Fragte sie. Zur Antwort disapparierte Silas Lynch wortlos. Donata disapparierte auch. Sie ahnte, daß er zum Haus von Ironquill wollte. Dort selbst bot sich ihr ein schlimmes Bild.

__________

Fünfzehn fühlte die Kraft der getöteten Hydra. Ihm war danach, den nächsten Menschen anzufallen und sich dessen körperlich-geistige Struktur einzuverleiben. Doch er mußte ruhig bleiben. Er beobachtete die Sicherheitszauberer als Pressefotograf getarnt durch das Teleobjektiv der mitgenommenen Kamera, das jedoch auch mit einem Lautverstärkertrichter verbunden war. So konnte Fünfzehn hören, was die beobachteten sprachen. Als er erfuhr, daß einer von ihnen, ein gewisser Phil Clover, die Zielperson herbringen sollte, erhielt er von seinem Herrn und Gestaltgeber den Einsatzbefehl. Er fotografierte das Podium, wobei er einmal herumging, betrachtete die vier Leiter der Sicherheitstruppe, die mit Runen daran herumwerkelten. Die würden nicht viel bringen, wenn er, Fünfzehn, seinen Auftrag erledigt hatte und in weniger als einer halben Stunde hier zu den einfältigen Amerikanern sprechen würde, um seine Ziele zu verkünden. Er wartete, bis der Abholer losgehen wollte. Diese Trollköpfe hatten bereits eine Appariersperre hochgezogen, wie er mit Hilfe eines kleinen Incantimeters ablesen konnte, das diesen Raum durchdringende Zauber anzeigte. Er packte seine Ausrüstung ohne Hektik fort, holte im Rücken von Phil eine Phiole hervor, als dieser die Grenze des Sperrbezirks erreichte und sprang vor. Das Hydragebräu verlieh ihm eine erhöhte Kraft und Gewandtheit, solange er nicht mehr als Schminke und Haartöner zur Selbstveränderung benutzte oder die wahre Macht des Bades einsetzte. Er erreichte Phil und schleuderte ihm schwungvoll den Inhalt der Phiole ins Gesicht, ein Konzentrat des Akromantullagiftes, das bei bloßem Hautkontakt eine komaähnliche Bewußtlosigkeit herbeiführte. Phil konnte noch nicht einmal mehr um Hilfe rufen, als ihn das Gift ins Gesicht traf. Er fiel um wie eine Marionette, deren Fäden durchgeschnitten worden waren. Fünfzehn wußte, daß er nur eine halbe Minute hatte, bevor einer der Sicherheitsleute aufmerksam werden konnte. Er zog den niedergestreckten Zauberer magisch die Kleidung aus, wirbelte herum ... und stand nun in der Kleidung des Überfallenen da. Seine eigenen Sachen ließ er mit einer Zauberstabbewegung wortlos in Nichts aufgehen. Dann duckte er sich, lief los. Bis die Kollegen des Zauberers begriffen, was passiert war, würden gut und gern zwei Minuten vergehen. Er verließ den Schutzbereich und disapparierte so leise es ging.

"Bin am Zielort", dachte er nur, als er vor dem fein herausgeputzten Haus mit Garten stand. Rasch verstaute er die Kamera in der Aktentasche, die er von Phil Clover mitgenommen hatte und trat an das Tor. Er prüfte mit einem Aufspürzauber, ob im Tor irgendwelche Zauberfallen verankert waren. Doch offenbar hatte der Hausbesitzer nur einen besonders guten Verschlußzauber eingearbeitet und verließ sich ansonsten auf die sein Grundstück überdeckende Appariersperre, von der Fünfzehn gehört hatte. Bokanowskis Spezialdoppelgänger zog am Glockenseil, das rechts neben dem Tor angebracht war. Eine Klappe im rechten Pfosten sprang auf, und eine Stimme drang Blechern heraus: "Wer da!"

"Clover, Phil, Sir. Mr. Lynch hat mich geschickt, um Sie abzuholen, Sir", erwiderte Fünfzehn mit hoher Stimmlage und in blitzsauberem New Yorker Dialekt.

"Moment, ich prüfe das nach", kam die blecherne Antwort. Fünf Sekunden später schnarrte es: "Stimmt alles. Kommen Sie rein!" Mit sechsfachem Klicken sprangen die unsichtbaren Verriegelungen des Tores auf, das ohne Quietschen nach innen aufschwang. Fünfzehn betrat den plattierten Weg, der rechts und links von bunten Blumen- und Gemüsebeeten gesäumt wurde. Er näherte sich der Haustür. Würde ihn hier noch eine böse Überraschung erwarten? Doch die Tür ging einfach auf, und da stand er, der blonde Zauberer mit den hellbraunen Augen, angetan mit einem Bordeauxroten Umhang mit Stehkragen. Unter dem linken Arm trug der zauberer einen walnußbraunen Spitzhut, den er wohl gleich noch aufsetzen wollte. Das war alles? Keine Sicherheitsüberprüfung? Keine Feinderkennungszauber? Fünfzehn war auf der Hut.

"Sie kommen erst einmal rein, damit wir alles besprechen können, bevor Sie mich hinbringen, Mr. Clover", knurrte Ironquill. Irgendwie klang das nicht erleichtert oder entspannt, sondern abwehrbereit, fand Fünfzehn. Doch er mußte sich dem Zauberer nähern, ihn mit beiden Händen fest umfassen, um die Wandlungsmagie in Kraft zu setzen. So überschritt er die Türschwelle und folgte dem Ministerkandidaten. Die Tür schwang zu. Klick-klick! Unsichtbare Verriegelungen hatten die massive Tür versperrt. War das normal oder ...

"Hände hoch!" Schnarrte Ironquill unvermittelt. Von den Seitengängen her schoben sich stumpfgraue, klobige Gestalten heran. Trolle! Doch Fünfzehn ließ es kalt, gleich von zwei Sicherheitstrollen gepackt zu werden, deren Intelligenzquotient zusammengenommen nur ein Achtel dem von Bokanowski selbst entsprechen mochte.

"Bringt Ihnen auch nichts, Gosbodin!" Grummelte Fünfzehn überlegen grinsend und warf sich nach vorne. Ironquill, der gerade seinen Zauberstab auf ihn richtete, wurde von dem so plötzlichen Angriff kalt erwischt, daß sein Schockzauber einen der Trolle am elefantenartigen Fuß erwischte. Der Troll blökte unwirsch, weil ihm jemand den Fuß betäubt hatte. Denn es wären drei Schocker gleichzeitig nötig, um einen Troll umzuhauen. Fünfzehn ließ seine Hände vorschießen und sich um den Hals Ironquills schließen. Gleich würden die dummen Sicherheitstrolle was erleben, was sie unmöglich verarbeiten konnten. Er fühlte, wie der Rausch der Kraft anwuchs, die er von der Hydra bekommen hatte. Gleich würde die Wandlung einsetzen und ... Aaaaauuuaa! Der Seelenstern blähte sich für einen winzigen Moment fast faustgroß auf, während ein Schmerz wie eine den Körper treffende Flammengarbe durchraste. Der Würgegriff um Ironquills Hals lockerte sich unverzüglich, und Ironquill kam frei. Doch der Ministerkandidat war von der Situation selbst noch zu überrumpelt, als daraus seinen Vorteil zu ziehen. Fünfzehn sah den zauberstab, der sich beinahe zögernd auf ihn richtete. In einem Anflug von Geistesgegenwart trat er danach und fegte ihn aus Ironquills hand. Dann griff er erneut nach dem Hals des Kandidaten, der nun, wo er entwaffnet worden war, zurückspringen und seinen Trollen den Eindringling überlassen wollte. Doch Fünfzehn war gewandter als Ironquill, auch wenn sein Körper dem Alter seines Originals entsprach. Doch die innen wie außen angewendete Essenz der Hydra verstärkte eben seine körperlichen Fähigkeiten. Aber warum hatte die Wandlung nicht eingesetzt? Wieder packte er zu. Wieder wurde er keine Sekunde später von einer feuerartigen Schmerzattacke übermannt, die ihn zurückwarf.

"Du Schweinehund, was willst du mir antun, häh?!" Schnaubte Ironquill und hieb nach Fünfzehn. Von hinten sauste die Faust eines Trolls heran. Fünfzehn rollte sich für einen Menschen überaus biegsam zusammen und ließ den Schlag ins Leere zischen. Beinahe hätte die einfältige Kreatur ihren Herren selbst erwischt. Fünfzehn wirbelte herum, als der am Fuß gelähmte Troll heranhumpelte und sich mit der Eleganz eines herabstürzenden Felsblocks auf den Eindringling werfen wollte. Doch dieser entging dem Angriff durch eine gewandte Ausweichbewegung. Da hörte er etwas knistern, und keinen Moment später traf ihn eine elektrische Entladung wie der wortwörtliche Blitz aus heiterem Himmel. Am Rande der Ohnmacht schrie Fünfzehn vor Schmerz auf. Gleichzeitig fühlte er etwas in seinem Nacken zerbersten, und als würde eine frische Brise durch seinen Kopf wehen bekamen seine Gedanken auf einmal mehr Fahrt als vorher. Er erkannte, daß der elektrische Überschlag ihn fast betäubt hätte. Wie konnte Ironquill ohne Zauberstab eine gerichtete Entladung erzeugen?

"Verdammt!" Hörte er Ironquill fluchen, weil sein Gegner nicht am Boden lag, sondern sich wieder herumwarf. Doch Fünfzehn griff nicht noch einmal an. Er überlegte. Er war doch nicht Fünfzehn, ein Diener, der nur so aussah wie Igor Bokanowski. Er war der echte Igor Bokanowski, das Original. Was immer passiert war, die Kopie hatte ihn mit einem Seelenstern versehen, und der war jetzt tot. Doch er hatte im Sud der Hydra gebadet und damit deren kraft erhalten, die er nur einmal anwenden mußte. Die Trolle rückten vor. Gleich würden sie ihn packen. Er hob seinen Zauberstab und rief: "Avada Kedavra!" Der ihm nächste Troll wurde am Bein getroffen und krachte zu Boden. Sein Kamerad brüllte angriffslustig und wollte vorspringen. Doch Trolle waren doch nur Kraftprotze ohne Finesse und Gewandtheit. So erwischte ihn ein weiterer grellgrüner Blitz bevor er den vom Seelenstern erlösten Bokanowski niederwalzen konnte. Wieder knisterte es. Wieder traf eine elektrische Entladung von irgendwo her auf Bokanowski. Er schrie wieder auf und fühlte, daß er fast ohnmächtig wurde. Um seinem Gegner das falsche Gefühl der Überlegenheit zu geben stellte er sich betäubt.

"Pech gehabt, Bursche. Hättest mich gleich mit dem Todesfluch angreifen sollen. Aber mir war klar, daß du mich lebend haben wolltest, weil du sonst bestimmt nicht brav vor dem Tor gewartet hättest, bis ich dich reinlasse", triumphierte Ironquill. Dann bückte er sich und griff nach Bokanowskis Zauberstab und zog daran. Da hörte die Verstellung auf, und der angeblich besiegte Eindringling schnellte hoch. Er ließ den Stab fallen und packte mit beiden Händen den Hals, diesmal entschlossen, die Wandlung gegen jeden unerwarteten Widerstand zu erzwingen. Wieder brannte es in seinem Körper wie Feuer, als er Ironquill festhielt. Dieser röchelte, weil der Eindringling ihn wahrhaft den Atem nahm. Weil der Schmerz der irgendwie wirkenden Gegenkraft nun ungefiltert durchdrang, fühlte Bokanowski nicht, wie sein Körper wahrhaftig von innen her zu brennen begann. Als dann eine Flammenwolke aus ihm herausbrach und ihn und seinen Gegner einhüllte, war der letzte Gedanke Bokanowskis, daß er versagt hatte. Ironquill, der trotz der offensichtlichen Schmerzen seines Gegners nichts machen konnte, wurde unvermittelt wie mit glühenden Zangen am Hals Getroffen. Für einen winzigen Moment sah er noch den grellen Feuerstoß, der sein Gesicht traf, bevor Hitze und Schmerz ihm alle Sinne raubten. Bokanowskis Körper verging in Sekunden zu glühender Asche, während Ironquill wie eine große Fackel loderte, vom Hitzeschock gnädigerweise aller weiteren Schmerzen entrissen, die sein nun brennender Körper noch hätte empfinden können.

__________

Schon vor dem Haus konnten Lynch und seine Leute, sowie Donata Archstone und ihre herbeigerufenen Sicherheitsexperten den Qualm sehen, der unter der Tür hindurchdrang. Zwei Sicherheitsbeamte versuchten, die Tür mit Öffnungszaubern und Sprengflüchen aufzubrechen. Doch die Tür widerstand jedem Zauber, der sonst eine Tür in weniger als einer Sekunde aus dem Weg geräumt hätte.

"Verdammt, wir kriegen die Tür nicht auf!" Brüllte einer von Donatas Leuten.

"Da soll ja auch niemand rein!" Knurrte Lynch. Dann trat er vor und stieß zwei tierhafte Laute aus. Ein blaues Flackern überzog die Tür, dann gab sie nach.

"Was war das denn?" Fragte einer von Donatas Mitarbeitern.

"Das wollt ihr gerne wissen, wie? Betriebsgeheimnis", blaffte Lynch und preschte los, um in das Haus zu gelangen. Donata nahm ihre Mitarbeiter bei Seite und zischte:

"Das war eine Passwortkombination, die die Sperrzauber überwinden konnte. Lynch hat seinem Kunden wohl dazu geraten, mehrstufige Schutzzauber auf die Tür zu legen, die aber mit zwei Worten und einem Zauberstab außer Kraft gesetzt werden können." Dann lief auch sie hinein.

Der Flur brannte bereits lichterloh, weil das Öffnen der Tür frische Luft hineingelassen hatte. Mit Brandlöschzaubern schlugen die herbeigeeilten Helfer in die gierige Flammenwolke hinein, bis diese dem vereinten Angriff unterlag und zu beißendem Rauch wurde. Als die Helfer dann mit Luftreinigungszaubern den giftigen Qualm niedergeschlagen hatten, erkannten alle, daß sie zu spät gekommen waren. Zwar war das Gesicht des am Boden liegenden Zauberers bereits kohlschwarz verbrannt, doch ein wenig seiner Haare verriet, daß hier Norman Ironquill einen grausamen Tod gestorben war.

"Verflucht noch mal!" Fauchte Lynch, der mit weit aufgerissenen Augen dastand und auf den halbverbrannten Leichnam starrte.

"Das ist Ihre Schuld!" Schrillte Donata Archstone. "Sie hätten mehrere Leute abstellen sollen oder es besser doch uns überlassen, Mr. Ironquill zu schützen."

"Dein arrogantes Gefasel kannst du dir sonstwo hinstecken, Donata Archstone!" Blaffte Lynch und machte Anstalten, der Strafverfolgungsleiterin an die Gurgel zu gehen. Doch sowohl seine Leute als auch Archstones Assistenten hielten ihn davon ab. Dann meinte einer:

"Unsere beiden Trolle sind tot. War bestimmt der Todesfluch! Wieso hat der Bastard Mr. Ironquill nicht auch so getötet?"

"Vielleicht wollte er ihm den Imperius-Fluch aufhalsen", vermutete Lynch. "Unser Kunde konnte Elementarkräfte ohne Zauberstabführung freisetzen. Vielleicht hat er den Angreifer damit erwischt, der aber zu nahe bei ihm stand."

"Ich denke, Mr. Silas Lynch, daß Sie absofort nichts mehr mit dieser Sache zu tun haben und wir von der magischen Strafverfolgungsbehörde diesen höchst unerfreulichen Zwischenfall untersuchen", beharrte Donata nun auf die alleinige Autorität in diesem Fall.

"Vergiss es, Donnie. Wir haben dem Drachen erlaubt, uns vor die Füße zu scheißen und werden dem Biest selbst die Grähten brechen", knurrte Lynch. "Ich lasse mir keinen Kunden unbeantwortet unter der Nase wegmurksen. Deine Clowns können sich hier austoben. Aber ich bleibe mit meinen Jungs an der Sache dran", knurrte Silas Lynch noch. Donata sah ihn abfällig an und sagte zu ihren Leuten:

"Räumen Sie das Haus. Die Herren hier sind unerwünscht. Falls sie Widerstand leisten betäuben und in Gewahrsam nehmen!"

Lynch und seine Leute wirbelten herum, um sich der Entfernung vom Tatort zu widersetzen. Donata sah zu, wie sich ihre Leute mit denen von Lynch ein wildes Zauberergefecht lieferten, während sie in sicherer Entfernung mentiloquierte:

"Ironquill ermordet. Keine Tatzeugen. Unerwünschte Personen am Tatort leisten Widerstand! Hundertschaft zu Ironquills Anwesen!"

Keine fünf sekunden später krachte es mehrmals draußen vor dem immer noch offenen Gartentor. Donata wirkte den Sonorus-Zauber und rief:

"Silas, lassen Sie das! Ich habe hundert Leute herbeordert. Ergeben sie sich!"

"Dreckige alte Sabberhexe!" Blaffte Silas Lynch, als er mit einem Schildzauber drei Schocker gleichzeitig parierte. Dann stürmten die herbeigerufenen Strafverfolgungszauberer ins Haus. Lynch und seine Leute wurden entwaffnet und mit Handschellen gefesselt. Immerhin hatten sie Widerstand gegen ministerielle Ordnungskräfte geleistet.

"mein Anwalt wird eurer Firma Feuer unterm Kessel machen", hörte Donata noch Lynch knurren. Dann sah sie zu, wie er und seine Mitarbeiter abgeführt wurden. Als sie nun darangehen wollte, die ordentliche Ermittlung einzuleiten, tauchte niemand anderes als Zaubereiminister Davenport persönlich vor dem Gartentor auf. Er war nur in Begleitung zweier Leibwächter, darunter Wishbone, einen Angehörigen der inneren Schutztruppe, den Donata selbst zum Wachhabenden der Stufe zwei ausgebildet hatte.

"Sir, es tut mir Leid, Ihnen mitteilen zu müssen ...", setzte Donata an. Doch Davenport schnitt ihr mit einer wilden Geste das Wort ab und trieb die herbeigerufenen Zauberer bei Seite.

"Das hat ein Nachspiel, wenn es stimmt, daß Ironquill tot ist", knurrte Davenport und ging nach vorne. Er betrat das Haus und besah sich den Tatort. Dann kam er zurück und blickte Donata sehr tadelnd an.

"Donata, Sie haben versagt, um es so drastisch wie nötig zu formulieren", sagte er mit einer gnadenlosen Kälte. "Ich habe Ihnen persönlich den Schutz von Norman Ironquill anbefohlen. Er hätte gar nicht sterben dürfen."

"Ich wollte ihn persönlich bewachen, Sir. Aber er weigerte sich, meine Empfehlungen auch nur anzuhören. Seine Aversion gegen Hexen in Führungspositionen, Sir", knurrte Donata, die wußte, daß sie hier und jetzt einen schweren Schlag erhalten hatte, der ihre Karriere beenden und sie obendrein zur Unperson im Ministerium machen konnte.

"Dann haben Sie ihn sich selbst überlassen?" Fragte Davenport sehr mißtrauisch klingend.

"Keineswegs, Herr Minister. Ich habe versucht, einige Beamte abzustellen, ihn zu bewachen. Doch er hielt es für nötig, sich mit der privaten Sicherheitsfirma von Mr. Silas Lynch einzulassen, der meine Bemühungen um notwendige Schutzmaßnahmen aktiv unterbunden hat. Aus seinen Reihen wurde jemand betäubt und der Kleidung beraubt. Als wir schnellstmöglich aufbrechen wollten, um Mr. Ironquill zu beschützen, hinderte uns ein von Mr. Lynch errichteter Apparitionswall am schnellen fortkommen. So kamen wir wohl eine Minute zu spät hier an, Sir."

"Sie hätten sich von dem alten Ruster-Simonowsky-Knaben nicht verscheuchen lassen dürfen. Sie hätten ihm zu verstehen geben müssen, daß Sie in meinem persönlichen Auftrag handeln", knurrte der Minister.

"Was meinen Sie, was ich getan habe, Sir. Bei allem Respekt, Mr. Ironquill stellte sich sehr stur. Ich wollte sicherstellen, daß er am Ort seiner Wahlkampfveranstaltung die größtmögliche Absicherung bekommt. doch eben dort wurde ich von Mr. Silas Lynch an der Durchführung der Absicherungsmaßnahmen gehindert."

"Ich fürchte, Donata, ich muß Sie einstweilen suspendieren, um den Verdacht auszuschließen, daß die Ermittlungen dieses höchst unwillkommenen Vorfalls nicht unbefangen und korrekt und für die Presse unhinterfragbar durchgeführt werden."

"Sir, ich habe nichts getan, was das Leben Mr. Ironquills gefährdet hätte. Wenn Mr. Lynch nicht so stur gewesen wäre, hätte ich ..."

"Hätte, wäre, würde", knurrte der Minister. "Sie haben mein Vertrauen in Sie sehr enttäuscht, Donata. Sie sind hiermit beurlaubt. Ich übernehme pro Tempore die Ermittlungen und werde sie an jemanden weitergeben, der über jeden Zweifel der Öffentlichkeit erhaben ist. Bitte entfernen Sie sich von diesem Grundstück und warten Sie auf eine amtliche Eule, die meinen weiteren Beschluß überbringen wird!"

"In Ordnung, Herr Minister", knurrte Donata widerwillig dreinschauend. Dann deutete sie eine Verbeugung an und wandte sich ihrem ranghöchsten Mitarbeiter zu.

"Sie haben es gehört, Cardigan! Ich habe mit der Ermittlung nichts mehr zu tun. Unterstützen Sie den Minister und den von ihm bestimmten Stellvertreter!"

"Kein Problem", erwiderte Lawrence Cardigan, der in der Hierarchie der Strafverfolgungsabteilung auf dem vierten Platz rangierte und sich insgeheim schon eine doppelte Beförderung ausmalte, falls der Minister noch mehr Köpfe rollen lassen würde. Donata verließ das Grundstück von Ironquill und rannte fast wieder in Lino hinein, die mit ihren überempfindlichen Ohren mitbekommen hatte, was sache war, sich aber schön im Hintergrund gehalten hatte, um nicht aufzufallen.

"Haben Sie alles mitgehört, Ms. Knowles?" Knurrte Donata Archstone. Linda Knowles nickte und sah erwartungsvoll in Donatas Gesicht. Diese schüttelte den Kopf und sagte:

"Da ich soeben meines öffentlichen Amtes vorübergehend enthoben wurde, bin ich Ihnen und anderen Vertretern der Öffentlichkeit gegenüber keine Stellungnahme schuldig. Guten Tag noch!"

"Moment, Ma'am, Sie können doch nicht einfach so kommentarlos abrücken. Die Presse kann Ihnen helfen, Ihre Unschuld zu beweisen", versuchte Linda Knowles, die ihr entgleitende Beute doch noch zu halten.

"Erklären Sie mich nicht erst für schuldig, dann müssen Sie meine Unschuld auch nicht beweisen!" Herrschte Donata die Reporterin an. Dann disapparierte sie mit lautem Knall, wohl in voller Absicht, die magischen Ohren Linos zu überlasten. Doch diese waren darauf abgestimmt, zu laute Geräusche auf verträgliches Maß herunterzufiltern. Das wußte Donata Archstone wohl nicht, und im Moment hatte die bestimmt auch andere Sorgen, erkannte Linda Knowles. Was Donata tatsächlich umtrieb, konnte selbst sie nicht erahnen, obwohl ihre magischen Ohren ihr sonst vieles erschlossen, was anderen verborgen blieb. Hätte sie gewußt, wen Donata in diesem Moment aufsuchte, es wäre der Knüller ihrer Karriere gewesen, aber ganz bestimmt nur dann, wenn sie schneller an eine Druckerpresse gekommen wäre als diejenige Person sie erwischt hätte, zu der Donata direkt hinapparierte. Doch Linda Knowles ahnte es eben nicht, und sie hatte auch etwas anderes, an dem sie sich festbeißen konnte. Denn sie konnte aus sicherer Entfernung belauschen, wie die Ministeriumsleute mit den Ermittlungen begannen und hörte den Minister Anweisungen erteilen. Ihm wollte sie bald ganz offiziell einen Besuch abstatten und ihn zu diesem Vorfall befragen, von dem sie dann natürlich auf ganz andere Weise Wind bekommen haben würde. Sie verbarg sich hinter einem hohen Baum, mehrere Dutzend Meter außerhalb der Grundstücksgrenze und lauschte. Sie zählte im Geist die Leute. Die Hundertschaft die eben noch eingetrudelt war, zerstreute sich langsam wieder. Der Minister hatte befohlen, nur fünf Leute an der Ermittlung zu beteiligen. Sie horchte auf die Atemgeräusche zwischen den halblaut gesprochenen Worten und vernahm das Pochen der Herzen. Seltsam! Fünf Leute und der Minister waren am Tatort. Aber sie hörte sieben Herzen. Obwohl, daß was sie da sehr leise pochen hörte, klang nicht nach einem menschlichen Herz. Es gab beinahe unhörbare Geräusche ab, alle zwei Sekunden eines, als habe jemand das Herz eines ungeborenen Kindes verlangsamt. Sie hatte genau das einmal erlebt, als ihre hochschwangere Cousine einen schwächeanfall und starke Blutungen erlitten hatte. Da hatte der Heiler ihren Körper und den des Kindes auch verlangsamt, um ohne Zeitdruck die notwendigen Heilzauber wirken zu können. So ähnlich hörte es sich nun im Haus an. Doch da lief keine schwangere Frau herum, deren Baby wegen irgendwas verlangsamte Körperfunktionen aufwies. Seltsam!

Sie hörte, daß zwei der fünf Zauberer aus dem Haus traten und den Auftrag hatten, die Umgebung nach Spuren abzusuchen. Linda Knowles befand, zu ihrem Fotografen zurückzukehren, der noch am Podium stand und nicht mitbekommen hatte, wie sie einfach so davongeschlichen war.

__________

Gerade als Anthelia Pandora gesagt hatte, daß sie auf Donatas Bericht wartete, apparierte diese auch schon. Ein feiner Dunst von Qualm und verbranntem Fleisch umstrich den Körper der Strafverfolgungshexe. Diese sah sehr beklommen auf Anthelia, die sie erwartungsvoll anblickte.

"Höchste Schwester, der Gegenkandidat von Davenport ist tot, und Davenport hat mich vorübergehend von allen Verpflichtungen entbunden, um sich nicht für die Presse angreifbar zu machen."

"Wie bitte?" Knurrte Anthelia. Dann gebot sie, daß Donata ihre Geschichte erzählte. Als sie dies mit großem Unbehagen getan hatte, sagte Anthelia leicht verbittert aber nicht strafend dreinschauend:

"Nun, du hättest diesem ignoranten Burschen deine Dienste aufzwingen können, Schwester Donata. Andererseits wolltest du nicht unnötig auffallen, was ja durchaus in meinem Sinne ist. Aber der gewaltsame Tod dieses Mannes stört unsere Pläne empfindlich. Davenport hat sehr übereilt aber nichts desto trotz unangenehm für uns gehandelt. Wenn du einstweilen deiner Ämter enthoben wurdest, heißt dies auch, daß wir im Moment keinen Einblick in die magische Strafverfolgungsbehörde besitzen. Schlimmer noch, die bisher so unauffällige Kontrolle über den Minister ist uns entglitten. Wenn du nicht mehr zu ihm vortreten darfst, wirst du ihm nicht mehr entlocken können, was ihm zugetragen wurde oder ihm einen konkreten Befehl geben können. Aber berichte mir bitte noch, was der amtierende Zaubereiminister vor dieser Tragödie getan hat!" Donata gab ihren Bericht ab, tief im Gefühl, nun wertlos geworden zu sein. Würde Anthelia sie jetzt verstoßen, ja möglicherweise töten?

"Ich fürchte, höchste Schwester, die Sache könnte für uns unangenehmer verlaufen als es aussieht", sagte Pandora. "Ironquill galt als Feind aller geheimen Hexenschwesternschaften. Sollten die Zeitungen das aufgreifen und ihre Geschichten draus stricken dürften harte Zeiten für unsereins anbrechen. Ich denke, der Minister hat dich deshalb so schnell suspendiert, um gerade diesen Verdacht weit von sich zu weisen. Ironquill hat gute Freunde, die ihn sehr gerne im Ministerbüro gesehen hätten. Die werden diese Lino und andre Berufsneugierige entsprechend füttern, um die von Davenport wohl oder übel mitgetragene Verfolgung geheimer Hexenschwesternschaften zu einer offenen Aversion gegen mächtige Hexen ausufern zu lassen."

"Nun, ein weiteres Tehma, daß ich mit Daianira Hemlock besprechen werde", gab Anthelia scheinbar unbeeindruckt zur Antwort. Dann wandte sie sich wieder an Donata Archstone.

"Welcher Zauberer aus deinem Wirkungskreis besitzt die größten Erfolgsaussichten, in dein Amt berufen zu werden, Schwester Donata?"

"Cardigan könnte es sein, oder Wilson, falls er den guten alten Arco Swift nicht rehabilitiert und reaktiviert", sprach Donata einige Vermutungen aus. "Allerdings könnte ich mir auch Morton Tallon als neuen Strafverfolgungsleiter vorstellen. Immerhin wurde er mein Nachfolger in der inneren Sicherheitsabteilung."

"Nun, so werden wir die Kandidaten beobachten, um über sie möglicherweise den alten Zugang zurückzugewinnen", sagte Anthelia. "Ich kenne diese Situation aus meinem ersten Leben. Da mußte ich auch wertvolle Kontakte einstweilen aufgeben, weil argwöhnische Beamte sie zu entlarven drohten. Am besten begibst du dich an einen Ort, wo dich viele Leute sehen können und bleibst dort, weit ab vom Ministerium! Was immer demnächst dort stattfindet darf nicht im Ansatz mit dir in Verbindung gebracht werden."

"Ich kann nach Kanada. Da habe ich Verwandte", sagte Donata Archstone. Anthelia nickte zustimmend. Donata Archstone atmete auf. Sie durfte gehen. Sie wurde nicht getötet. Warum nicht, beantwortete ihr Antehlia im nächsten Satz:

"Sollte sich erweisen, daß der Minister nun eine veritable Hexenjagd ausruft und zu Rang und Ansehen gelangte Hexen bedrängt, könnte ich befinden, eine Gegenbewegung ins Leben zu rufen und mit Hilfe meiner neuen Bündnisschwester Daianira auf die möglichst gewaltlose aber öffentlichkeitswirksamste Weise stattfindende Amtsenthebung des Ministers hinzuwirken. Sollte mir ein solches Unterfangen glücken benötige ich eine Getreue, die sich im Gefüge des Ministeriums auskennt und unauffällig handeln kann, wenn bestimmte Dinge ins Werk gesetzt werden müssen. ich wünsche dir die nötige Erholung, Schwester Donata. Wie empfohlen halte dich möglichst dort auf, wo viele Zeugen bekunden können, daß du eindeutig nicht an einer ruchbaren Sache teilhaftig bist!"

"Danke, Höchste Schwester, daß du mir die Möglichkeit gibst, meinen Fehler wieder gut zu machen", sagte Donata aufatmend. Dann verabschiedete sie sich von Pandora und empfahl ihr, sich mit Patricia möglichst gut aus allen Sachen herauszuhalten, die um das Ministerium herum passieren würden..

"Ich kann mit Patricia nicht einfach außer Landes gehen, ohne unangenehme Fragen heraufzubeschwören", sagte Pandora ruhig. "Aber ich denke, ich werde mit der höchsten Schwester einen Weg finden, die Sache nicht ausufern zu lassen." Donata nickte ihr kameradschaftlich zu und disapparierte.

"Eine interessante, wenn auch unwillkommene Wendung der Ereignisse, Schwester Pandora", seufzte Anthelia. "Wir sind zum Abwarten verurteilt, bis wir wissen, welche Schritte der amtierende Zaubereiminister unternommen hat. Erst dann können wir darauf eingehen", sagte Anthelia. Eine Wartehaltung war der Nichte Sardonias zu vertraut, um sich darüber zu ärgern, untätig ausharren zu müssen.

"Ich frage mich, wer Ironquill ermordet hat und wie. Soweit ich weiß hat er gute Schutzzauber gelernt und konnte Elementarkräfte aus dem Nichts beschwören."

"Laut Schwester Donata war dies ja auch wohl sein Verhängnis", erwiderte Anthelia ungehalten klingend. "Aber die Frage nach dem Mörder ist schon wichtig. Wer hätte ein Interesse daran, den Kandidaten für das Amt des Zaubereiministers zum Tode zu befördern?"

"Jemand, der ihn für gefährlich hielt, höchste Schwester", vermutete Pandora Straton. Anthelia nickte. Dann fügte sie hinzu:

"Somit wird der Verdacht genährt, die Feinde des Zauberers könnten seinen Tod beschlossen haben, weil er gute Aussichten hatte, in das Amt des Ministers berufen zu werden. Da er nur deine früheren Bundesschwestern als erwiesene Feindinnen vorweisen kann, werden natürlich alle darauf abzielen, geheimen Sororitäten nachzuspüren, ja möglicherweise einen Freibrief fordern, verdächtige Hexen ohne langwierige Gerichtsbarkeit zu bestrafen, sollten diese sich zu sehr verdächtig machen. Andererseits handelte es sich bei dem Verschiedenen um einen Abkömmling nichtmagischer Eltern mit weit weit zurückliegender Zaubererverwandtschaft. Insofern dürften uns wie dem Ministerium gleichermaßen bisher unerkannt gebliebene Gesinnungsgenossen des Waisenknabens Tom Riddle möglicherweise darauf ausgegangen sein, ihn nicht zum mächtigsten Zauberer des nordamerikanischen Erdteils emporsteigen zu lassen. - Natürlich. Es mag auch angehen, daß ausländische Magier ein heeres Interesse daran haben, keinen ihrer Meinung nach unreinen Zauberer, der noch dazu mit besonders hohen Gaben gesegnet war, zum ranghöchsten Zauberer der vereinigten Staaten gereichen zu lassen. Dann hätten wir es womöglich mit jemandem zu tun, auf dessen Lebenszeichen ich schon etliche Wochen gewartet habe. Doch dann drängt sich mir eine neue Frage auf: Will dieser Jemand nur Wirrsal stiften oder einen bestimmten Zweck erfüllen?"

"Du sprichst von dem Russen Bokanowski. Ich glaubte an und für sich, daß er sich erst einmal für lange Zeit zurückgezogen hat. Was brächte ihm der Mord an einem ausländischen Ministeranwärter, wenn er sich nicht aus seinem Versteck trauen darf?"

"Wie gesagt könnte er Wirrsal stiften wollen oder darauf setzen, daß ein Teil der westlichen Zaubererwelt geschwächt wird, um dann, wenn er es wagen sollte, sein Versteck zu verlassen, leichtes Spiel zu haben. Immerhin haben wir selbst mit dieser Methode der gezielten Unruhe die Anhängerschaft des Waisenknabens vernichtet. Er könnte ähnliche Pläne verfolgen. Immerhin bilden sich viele Russen etwas auf ihre Kunde vom Schachspiel ein und denken in Kategorien nötiger Züge und Gegenzüge, ob sie scheinbar verlustreich oder unerwartet erfolgreich verlaufen mögen."

"Ich fürchte, höchste Schwester, wenn wir uns zu sehr auf Vermutungen einlassen verrennen wir uns. Und genau dann wären wir die Dummen", wandte Pandora vorsichtig ein. Anthelia nickte bestätigend.

"So werden wir tun, was ich empfahl und ausharren, welche Veränderungen der Feuertod des Norman Ironquill hervorbringen mag."

__________

Zwischen Schrecken, Wut und Enttäuschung hing er fest. Igor Bokanowski hatte gerade über die mit allen Doppelgängern errichtete Sinnes- und Gedankenfernverbindung verfolgen müssen, wie Fünfzehn wirkungslos die hydrische Gestaltwandlung versuchte und dann, als dieser Ironquill auf eine tückische Weise elektrische Kraft freigesetzt hatte den ihn beherrschenden Seelenstern verlor. Der Schmerz, den Fünfzehn dabei fühlte, war auf den Herrn und Meister selbst zurückgestrahlt. Dann war es dunkel und Still gewesen. Bokanowski wußte, daß er die Kontrolle verloren hatte. Es dauerte einige Dutzend Sekunden, bis ihm klar wurde, daß sein Abgesandter nun unbeherrschbar war. Somit blieb ihm nur die Distignitus-Verbindung. Er wirkte den Fluch der Verbrennung aus der Ferne, um nicht von seinem Doppelgänger selbst bedroht werden zu können. Immerhin gelang dieser Fluch noch, und Fünfzehn fand den schnellen Feuertod. Erst jetzt konnte sich der Meister dunkler Künste an lebenden Wesen darauf besinnen, was genau passiert war. Er hatte Fünfzehn, einen seiner wahllos auserkorenen Träger der Hydrakräfte losgeschickt, um den Anwärter auf das Amt des Zaubereiministers zu ersetzen. Doch irgendwie hatte der Kerl Widerstand leisten können, womöglich noch ohne es vorher zu wissen, daß er das konnte. Ja, Ironquill war schlichtweg immun gegen die Verwandlungskraft der Hydra, die dem Opfer Körpermaterie und Willenskraft entzog, um den, der sie anwandte Gestalt und bewußte Erinnerungen des Opfers zu übertragen. Ein innerer Widerstand, körperlich und geistig, hatte Ironquill davor bewahrt, zu einem daumenlangen Rest seiner Selbst zu werden, nicht tot, aber handlungsunfähig. Er hatte einen der zwölf opfern müssen, um nicht von jemandem, der wußte und dachte wie er bedroht werden zu können. Ob Ironquill es mitbekam, wie sein Angreifer verbrannte, bestenfalls selbst dabei umkam, konnte Bokanowski zu diesem Zeitpunkt nicht sagen. Er überlegte, was er jetzt tun sollte. Da fiel ihm ein, daß er den an Davenports Stelle gesetzten Ableger seiner Selbst benutzen konnte, es herauszufinden. Etwas ärgerlich war er darüber, daß seine Experimente mit den Seelensternen nicht vorangekommen waren. Zwar konnte er Ebenbilder von sich selbst über mehrere tausend Kilometer fernbeobachten und gegebenenfalls instruieren. Doch bei ihm unähnlichen Wirten würde lediglich eine Reihe von Basisbefehlen wirksam, und die Fernüberwachung war ab zweihundert Kilometern nicht mehr möglich. Er hoffte bald die dritte Generation der so nützlichen Geisteskontrollwesen züchten zu können, die sowohl die immer noch große Empfindlichkeit gegen Elektrizität verloren als auch stark genug waren, die magische Fernüberwachung über zweihundert Kilometer hinaus zu sichern, auch wenn sie anderen Wirten angesetzt wurden. Doch seine Abbilder konnten in seinem Sinne schneller handeln als Sklaven, die bei neuen Situationen neue Befehle erfragen mußten. So empfand er es nicht als zu ärgerlich, auf die magische Wandlungsfähigkeit einer Hydra zurückgreifen zu müssen. Von dem Gebräu aus ihrem Fleisch und Blut besaß er noch genug, um eine neue Wanne zu füllen, in der ein neuer Doppelgänger von ihm die besondere Kraft empfangen sollte. Doch erst wollte er wissen, wieso die Übernahme Ironquills mißlungen war. So stimmte er sich auf die Verbindung mit seinem Ebenbild Nummer neunzehn ein. Schon nach fünf Sekunden konnte er durch das leicht verschwommene und wie durch Watte gefiltert klingende Sinnesleben seines Erfüllungsdoppelgängers mitbekommen, wie dieser von Davenports Leuten erfuhr, daß Ironquill in seinem eigenen Haus verbrannt sei, nachdem jemand versucht habe, ihn zu überfallen. Doch von einem Angreifer sei keine Spur zu finden gewesen. Sofort instruierte er den Davenport-Ersatz, die Ermittlungen an sich zu ziehen. Er wußte, daß Ironquill den Minister dazu antreiben wollte, Jagd auf geheime Hexenschwesternschaften zu machen. Bokanowski kam dies jetzt sehr zu Pass. er beschloß, einen übermächtigen Feind, eben eine solche Hexengilde, für den Tod Ironquills herhalten zu lassen. So gab er den Befehl aus, alle Hexen in leitenden Positionen zu überprüfen und jede Ermittlung im Todesfall Ironquill persönlich zu leiten. Sein Doppelgänger interpretierte den Befehl noch so, daß er als erste Amtshandlung Donata Archstone suspendierte, um sie aus allen Sachen herauszudrängen. Denn sie würde nun neugierig und wütend sein, weil sie als Sicherheitsbeauftragte versagt hatte und nun wohl wissen wollte, was Ironquill widerfahren war. Als er mitbekam, wie sein Davenport-Nachahmer mit nur fünf Mann das Haus durchsuchte und dabei einen kleinen, stark verformten Metallklumpen vom Tatort entfernte, ohne das jemand es mitbekam, atmete er auf. Der Aufbewahrungszylinder, den er nach Anweisungen Slytherins für jeden seiner HydraWandler, wie er sie nannte, geformt und bezaubert hatte, war nun sichergestellt und würde keine unliebsamen Fragen nach sich ziehen. In diesen Zylindern, die gegen Lebensquell- und Originalgestalterkennungszauber abgeschirmt waren, wurden die durch die Hydrawandlung verkleinerten Körper der Ersetzten aufbewahrt. Auch Bokanowski kannte das Problem, daß magisch eingeschrumpfte Lebewesen mit der unbehandelten Umgebungsluft immer schwerer zurechtkamen, je stärker sie eingeschrumpft wurden. Somit wurde den scheintoten Gefangenen zumindest die für die verlangsamte Atmung nötige Luft entsprechend aufbereitet. Slytherin war einfach ein Genie. Er verlachte diesen sogenannten dunklen Lord, der sich anmaßte, sich Slytherins wahrer Erbe zu nennen, wenn dieser doch auf die wirklich mächtigen Dinge des alten Meisters verzichtete und lieber irgendwelche Experimente mit seinem eigenen Leben anstellte. Doch das Feuerschwert, das Drachen unterwerfen konnte, hätte er sich auch gerne besorgt, mußte Bokanowski anerkennen. Nur Pech, daß dieser britische Idiot es verloren hatte. Nun, vielleicht konnte er es sich ja holen und damit zum Herrn der Drachen werden, dachte der russische Dunkelmagier. Dann mußte er sich jedoch wieder auf einen anderen Punkt konzentrieren. Er hatte vier wichtige Zauberer Europas und den nordamerikanischen Zaubereiminister gegen wandlungsfähige Doppelgänger ausgetauscht. Doch drei Positionen, die er unbedingt haben wollte, konnte er nicht so leicht erobern, weil die Zielpersonen zu gut bewacht wurden oder in für alle dunklen Kreaturen und deren Abkömmlinge unerreichbaren Ort wohnten. Außerdem galt es nun, herauszubekommen, warum Ironquill nicht übernommen werden konnte. Er fragte über die telepathische Verbindung zu Neunzehn alias Barney Davenport, was dieser über Ironquill wisse. Als habe er Legilimentik angewendet sprudelte eine Flut von Erinnerungen zu Igor Bokanowski zurück. So erfuhr dieser, daß Ironquill kein gewöhnlicher Zauberer war, sondern wegen eingeschlafener und über Generationen nicht wiedererweckter Zauberkräfte in beiden Ahnenlinien besondere Zauberstärke besaß und auch, daß er dadurch die seltene Gabe besessen hatte, Elementarkräfte zu beeinflussen, Wasserkraft in Feuer, Wind in Erdbewegungen oder Feuer in Windstöße zu verwandeln. Dadurch waren die beiden elektrischen Entladungen möglich geworden, die den Seelenstern getötet hatten, erkannte Bokanowski. Die Bezeichnung Ruster-Simonowsky-Zauberer war ihm zwar geläufig, aber als Reinblüter hatte er dieses Phänomen mit der gebotenen Verachtung und Desinteresse gewürdigt. Das, so mußte er jetzt erkennen, war offenbar falsch gewesen. Denn was immer den inneren Widerstand Ironquills gegen die Hydrawandlung und seinen Austausch hervorrief mußte mit dieser seltenen Vererbung zu tun haben. Er fragte über die Seelensternverbindung, ob in Davenports nun zugänglichen Erinnerungen enthalten war, wieviel Ruster-Simonowsky-Zauberer je existiert hatten und wie viele gegenwärtig bekannt waren. Womöglich mußte er diese Mißgeburten ausschalten, bevor sie seinen Plänen noch einmal schaden konnten. Auf die Anfrage erhielt er weitere zusammenhängende Erinnerungen, die Davenport bekannt waren. Demnach gab es in den letzten fünfhundert Jahren zwölf nachträglich als solche bezeichnete Ruster-Simonowsky-Zauberer und -hexen. Gegenwärtig waren dem Minister nur drei bekannt, von denen einer gerade eben gestorben war. die beiden anderen, ein sechzig Jahre alter Zauberer aus Spanien namens Orfeo Colonades, der im dortigen Ministerium in der Tierwesenbehörde arbeitete, sowie ein Bursche namens Julius Andrews, zu dem seine Anfrage noch haarsträubende Einzelheiten eingetragen hatte, war Schüler in der Beauxbatons-Akademie, die er wie Durmstrang und Hogwarts auf der Liste zu übernehmender Einrichtungen stehen hatte. Den spanischen Zaubereiminister würde er bald schon kontrollieren, wußte er. Immerhin hatte er bereits einen Erfüllungsgehilfen in dessen Nähe untergebracht. War dieser Orfeo Colonades dabei zu beachten oder nicht? An und für sich konnte er den auch ahnungslos weiterleben lassen. Doch wußte er heute, ob er nicht morgen auch die Tierwesenabteilungen verschiedener Zaubereiministerien beherrschen mußte? Er überlegte, ob es nicht sinnvoll sei, Colonades zu töten, um einem gewöhnlichen Zauberer, der dann wohl leicht zu ersetzen war Platz zu machen. Doch dann fragte sich Bokanowski, ob der Widerstand Ironquills wirklich auf dieses Ruster-Simonowsky-Phänomen zurückging oder andere Ursachen hatte. Ja, er überlegte, ob diese besondere Kraft der Ruster-Simonowsky-Zauberer nicht von ihm ausgenutzt werden konnte. Mit Vererbungen und Magie an und in Lebewesen wußte doch niemand besser bescheid als er. Da war es doch möglich, solche unrechtmäßig hohen Potentiale zu erforschen und für sich und seine Handlanger nutzbar zu machen. Ein teuflisches Grinsen überflog das beinahe dreieckige Gesicht Bokanowskis. Wären ihm jetzt Hörner gewachsen, hätte niemand ihn von jenem in verschiedenen Eingottreligionen erwähnten Fürsten der Dunkelheit auseinanderhalten können. Vielleicht, so dachte er, würde er bald nicht nur wichtige Posten der Zaubererwelt übernehmen, sondern ein Mittel in Händen halten, die eigene Zauberkraft um ein vielfaches zu steigern. Er mußte nur an diese Ruster-Simonowsky-Mißgeburten herankommen. Was Colonades anging, so konnte er diesen einfach an einen beliebigen Ort kommandieren lassen, wenn er in zwei Tagen Zaubereiminister Pataleón übernahm. Was diesen Wunderbengel Julius Andrews anging, der laut Davenports Erinnerungen eine direkte Konfrontation mit einer der neun unheimlichen Kreaturen aus dem Schoß Lahilliotas überstanden hatte, so erfuhr er, daß dieser Bengel in Paris lebte, wenn er nicht gerade in Beauxbatons war und daß dieser häufig im vermaledeiten Dorf Millemerveilles seine Ferientage verbrachte. Er verwünschte Sardonia, die wie er an Slytherins Erbe gerührt hatte, aber nicht den Geist seines Hinterlassers verehren wollte, daß sie ihr Heimatdorf unter einen magischen Schutz gestellt hatte, der alle der unbändigen Macht zugetanen oder aggressiven Kreaturen abhielt. Würde der Drecksbengel dort sein, war nicht an ihn heranzukommen. Also mußte er, wenn er ihn in seine Gewalt bringen wollte, in Paris zuschlagen. Doch dies hieß, erst in Spanien wie Frankreich die entscheidenden Stellen übernommen zu haben, um beide gleichzeitig attackieren zu können. Denn wenn der eine verschwand war der Andere gewarnt. So wollte er erst seine gerade frisch zementierte Stellung in Amerika sichern, um die, die er offen auftreten lassen mußte, besser überwachen zu können. Er wähnte sich jedoch sicher genug, als Davenport ein Interview mit Vertretern einer Zaubererzeitung namens Stimme des Westwinds geben wollte. Das war der ultimative Test, um zu beweisen, wie perfekt der Ersatz war. Denn mit allen abrufbaren Erinnerungen des Originals konnte Neunzehn jeder Frage gelassen entgegensehen. Weil er im Moment nichts anderes tun konnte, da seine ausgeschickten Hydrawandler sich erst noch in die entsprechenden Positionen bringen wollten, befand Igor Bokanowski, der Befragung zu lauschen. Das gab ihm auch einen Eindruck, wie amerikanische Reporter handelten.

Als er durch Neunzehns Augen sah, wie eine sehr anziehende Hexe mit rotbraunen Locken und kaffeebrauner Hautfarbe in das prunkvolle Büro trat, lehnte er sich selbst in seinen hohen Stuhl zurück und überließ es seinem umgewandelten Erfüllungsgehilfen, mit der Reporterin zu sprechen.

_________

Linda Knowles blickte auf das Zweiwegezifferblatt ihrer zierlichen, silbernen Armbanduhr. Neben den vier Zeigern für Heimatortszeit, Standortszeit, Minuten und Sekunden war am Außenrand noch eine goldene Windrose angebracht, die wie die Uhrzeitziffern in zwölf Abschnitte unterteilt war. Eine smaragdgrüne Markierung zeigte an, in welche Himmelsrichtung sie genau ging, Norden, Nordnordosten, Nordosten und so weiter. Somit war die Uhr Zeitmesser und Kompaß in einem. Prazap warb sogar schon mit der lange angebahnten Verschmelzung zwischen dem Naviskop, daß die genauen Standortkorrdinaten anzeigte und der bereits bei vielen vielreisenden Zauberern und Hexen so beliebten Weltzeituhr. Ein mündlicher Befehl, so hatte Linda gelesen, würde dann zwischen Zeitanzeige und Ortsanzeige wechseln. Einer ihrer muggelstämmigen Kollegen beim Westwind, der die einmann-Abteilung Zaubertech und Muggeltech betreute, hatte mal behauptet, in der Zaubererwelt würde es bald Armbanduhren geben, die so umfangreich seien wie die in der Muggelwelt immer ausgefeilter werdenden Mobiltelefone, die in absehbarer Zeit Wecker, Standortbestimmer, Nachrichtensende- und Empfangsgeräte, Fernsprecher, fotografische Kameras und Tonaufzeichnungsgeräte in einem einzigen Apparat vereinen würden. So käme die Technik der Zaubererwelt nicht umhin, ebenfalls Mehrzweckgeräte zu erfinden und in Mengen herzustellen. Natürlich war das von den magischen Grundlagen her schon lange möglich. Doch offenbar war die Zeit für derartige Einheitsartefakte noch nicht reif genug gewesen. Erst als Linda Knowles, die von guten Freunden wie sie nicht sonderlich mögenden Zeitgenossen Lino genannt wurde, vor dem Büro des Zaubereiministers stand und ihre magischen Ohren spitzte, dachte sie daran, was sie gleich alles fragen wollte. Es war jetzt genau vier Stunden her, daß sie den Tod Ironquills mitbekommen hatte. Erst vor einer Stunde war eine offizielle Verlautbarung an ihre Zeitung und die Konkurrenten vom Kristallherold ergangen. Sie hatte erfahren, daß Ms. Donata Archstone wegen groben Fehlverhaltens bei der Sicherung des Ministeranwärters Ironquill ihrer Ämter enthoben worden war und ein zunächst vorübergehendes Zutrittsverbot zu den internen Räumen des Ministeriums erhalten hatte und sich zu Verwandten nach Otawa in Kanada abgesetzt hatte. Davenport hatte den der Öffentlichkeit bis dahin nicht sonderlich erwähnenswerten Lucas Wishbone zum neuen Leiter der inneren Sicherheitsabteilung erhoben und dessen Vorgesetzten Morton Tallon zum Leiter der Strafverfolgungsbehörde befördert. Mit diesen Zauberern wollte sie sich unterhalten, wenn sie das ihr und ihrem Konkurrenten McMillan zugesagte Einzelinterview mit Minister Davenport geführt und dessen Ergebnis an ihre Redaktion geeult hatte. Sie versuchte, ein Wort von dem zu erwischen, was drinnen gesprochen wurde. Doch sie bekam nur ein Sirren zu hören, was ihr verriet, daß Davenport einen Klangkerker errichtet hatte, den selbst ihre überfeinen Ohren nicht durchdringen konnten, gegen die gesunde Wolfs- und Katzenohren stocktaub erschinen. Sie zog sich ein wenig zurück, um das nur für magische Ohren vernehmbare Sirren nicht zu laut zu hören. Erst als die Türklinke gedrückt wurde und ein Mann wie ein Weinfaß in schottischer Tracht herauswalzte, fingen ihre Ohren wieder alle Geräusche auf, die dort drinnen erzeugt wurden.

"Hi, Lino, ich habe dir noch die Familiensachen übrig gelassen. Die Politik habe ich exklusiv", lachte der korpulente, rothaarige Zauberer, Vergus McMillan die Konkurrentin an. Diese grinste jedoch vergnügt und meinte:

"Dann hätte mich der Minister gar nicht erst gebeten, zu ihm zu kommen, Vergy. Aber ich denke, ich habe genug Fragen, um deinen und meinen Redakteur gut zu bedienen. Mach's gut, und iss genug, bevor du vom Fleisch fällst."

"Halt die Ohren steif!" Wünschte McMillan im Gegenzug und schob sich durch die Vorzimmertür hinaus auf den Gang.

"Sie können jetzt hineingehen", sagte Davenports Untersekretär locker und winkte Linda Knowles zu, durch die geöffnete Bürotür zu treten.

"Hi, Ms. Knowles. Sie sind mal wieder überaus pünktlich", begrüßte sie Davenport mit jovialer Betonung und festem Händedruck. Dann deutete er auf den freien Stuhl ihm gegenüber. Linda nickte und dankte ihm und nahm Platz. Der wuchtige Schreibtisch trennte nun den Minister von der ihn befragenden Reporterin.

"Ich dachte zunächst, meinen Fotografen mitzubringen, Sir. Aber Sie baten darum, in Ihren Amtsräumen nicht fotografiert zu werden."

"Nun, meine Amtsräume sind durch meine Vorgänger gut genug bekannt. Ich lege doch etwas mehr wert auf Ruhe im Amt, Ms. Knowles", erwiderte der Minister und winkte der Tür. Diese schloß sich. "Ich habe vorhin einen Klangkerker errichtet, damit Ihr Kollege vom Herold die Chance hatte, seine eigenen Notizen zu verfertigen, ohne daß Sie ihm interessante Details fortschnappen können. Also fangen Sie bitte an, Ihre ganz eigenen Fragen zu stellen!"

"Nun, beginnen wir damit, wie Sie genau vom Tod Ihres Mitbewerbers um das Amt des Zaubereiministers erfuhren", fing Lino das Interview an.

"Ich bekam heute Morgen die Nachricht von einem Mitarbeiter der Strafverfolgungsabteilung, daß mein Mitbewerber im Zuge einer Sicherheitspanne von einem oder einer Unbekannten überfallen und dabei durch einen Feuerzauber getötet wurde. Ich eilte sofort an den Tatort und verschaffte mir einen persönlichen Ein- und Überblick. Wie genau Norman Ironquill starb, ob jemand ihn mit Feuermagie angegriffen hat oder er einen Feuerzauber freisetzte, der seiner Kontrolle entglitt, ist bisher nicht bekannt", sagte der Minister.

"Wie genau haben Sie Mr. Ironquills Leichnam vorgefunden, Sir?" Fragte Linda. Wie der Minister so vor ihr saß wirkte er abgebrüht und auf alles gefaßt. Aber irgendwas war merkwürdig. Sie hörte sein Herz ruhig und gleichmäßig schlagen. Kein Anzeichen von Aufregung. Doch da war noch ein rhythmisches Geräusch, daß wie ein verzögertes Herz klang und im Vergleich zum eigentlichen Herzschlag nur ein Viertel so laut erschien.

"Nun, ich traf nach der Benachrichtigung vor dem Anwesen meines Mitbewerbers ein und suchte den Fundort auf. Er war fast zur Hälfte verbrannt. Offenbar wurde er das Opfer eines Feuerzaubers. von einem Angreifer oder einer Angreiferin war jedoch keine Spur zu finden."

"Dann wird die Person wohl disappariert sein", warf Linda ein, die wußte, daß Ironquill einen Apparitionswall um sein Anwesen gezogen hatte. Davenport schüttelte prompt den Kopf und sagte:

"Mr. Ironquill hat gegen unbefugte Aparatoren eine Abwehrmauer errichtet, Ms. Knowles." Linda lauschte auf die Worte, die von ihren magischen Ohren selbstätig gespeichert wurden, daß sie sie später noch einmal nachhören konnte. Gleichzeitig schrieb eine Flotte-Schreibefeder mit, was der Minister sagte. Aber dieses zusätzliche leise Wummern, daß alle zwei Sekunden erklang irritierte sie etwas. Doch sie durfte es sich nicht anmerken lassen.

"In Ihrer Pressemitteilung haben Sie erwähnt, daß Ms. Archstone vorübergehend suspendiert ist. Geben Sie ihr die Schuld an Mr. Ironquills Tod?" Preschte sie wagemutig vor.

"Nun, sagen wir es mal so: Ich möchte ohne öffentlichen Argwohn ergründen, was geschehen ist. Da der bedauerliche Tod meines Mitbewerbers höchstwahrscheinlich auf eine Panne in der Sicherheit zurückzuführen ist, will ich vermeiden, daß Kritiker einwerfen, die für die Panne verantwortliche Amtsperson würde die Ermittlungen zu ihren Gunsten abschließen. Ich hoffe stark, daß Ms. Archstone keine Schuld an dem Vorfall trägt, kann jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausschließen, daß sie die Hauptlast an diesem Vorkommnis trägt. Eben deshalb habe ich sie einstweilen von allen amtlichen Verpflichtungen entbunden. Sollte sich erweisen, daß sie nichts dafür kann, was passiert ist, werde ich sie natürlich wieder in ihre Ämter einsetzen. Einstweilen wird Mr. Morton Tallon, der bisher die Schutztruppe des Ministeriumskomplexes leitete, die Gesamtverantwortung für die Strafverfolgungsabteilung übernehmen, und Mr. Wishbone wird die Leitung der inneren Schutztruppe innehaben."

"Es hieß, Sie selbst hätten die Ermittlungsleitung inne, Herr Minister. Belastet es Sie nicht zu sehr?"

"Ich möchte jeden Vorwurf vermeiden, ich würde es billigend in Kauf nehmen, daß der aussichtsreichste Mitbewerber um das Amt des Zaubereiministers einfach so getötet wurde, sei es bei einem Unfall oder durch einen Mordanschlag."

"Nun, Sie sagten, es sei niemand am Tatort angetroffen worden. Woher wissen Sie dann, daß es ein Überfall war und kein Unfall?" Bohrte Linda nach.

"Weil einer von Mr. Ironquills privat engagierten Helfern kurz vor dem Zwischenfall angegriffen und betäubt worden ist. Wir vermuten, er oder sie hat die diesem Zauberer zugedachte Aufgabe übernehmen wollen, die darin bestand, Ironquill sicher zum Veranstaltungsort für seinen Wahlkampfauftritt zu bringen. Nur so läßt sich auch erklären, wie jemand Zutritt zum Haus von Norman Ironquill erhielt."

"Ich war in Cloudy Canyon. Ich erfuhr, daß die Treuschatten-Kompanie von Mr. Silas Lynch als Sicherheitsmannschaft von Mr. Ironquill persönlich beauftragt worden ist. Wissen Sie etwas darüber, wie gut diese Firma mit den Mitarbeitern von Ms. Archstone zusammenarbeitete?"

"Nun, ich kenne Mr. Lynch nur flüchtig und weiß, daß er sehr verbissen arbeitet. Von ihm weiß ich ja auch, daß es einer seiner Mitarbeiter war, der zuerst überfallen wurde. Ob er irgendeine Mitschuld trägt werden die Ermittlungen zeigen", erwiderte der Minister beinahe unbeeindruckt. Doch Linda hörte seinen Herzschlag leicht beschleunigen, und auch dieses schwache Pulsieren klang nun etwas schneller. Sie überlegte, ob der Minister über diese Sache mehr wußte als er jetzt sagen wollte. Dann fragte sie:

"Wenn Mr. Ironquill wirklich überfallen und dabei getötet wurde, wer käme dafür am ehesten in Frage?"

"Ich werde jetzt hier keine unbegründeten Verdächtigungen in den Raum stellen, Ms. Knowles. Mr. McMillan hat das auch schon wissen wollen. Ich sage dazu nur, daß wir in jede denkbare Richtung ermitteln wollen."

"Wenn Sie die Ermittlungen leiten, Sir, dann besteht doch erst recht der Verdacht, daß Sie den Vorfall nicht gründlich genug aufklären wollen. Wie können Sie sich gegen solche Vorwürfe schützen?"

"Zum einen habe ich die Ermittlungen nur übernommen, um sicherzustellen, daß im Bezug auf einen Anschlag ermittelt wird, sonst hätte ich ja gleich einen Unfall proklamieren lassen können. Außerdem wollte ich jeden, der wegen der Verantwortung befangen ist ausschließen, um eine objektive Untersuchung zu gewährleisten. Und bevor Sie mich fragen, ob ich selbst nicht auch befangen sei, da es bei dem Toten um einen direkten Mitbewerber ging, so gebe ich Ihnen darauf die Antwort, daß ich ja selbst die Neuwahl anberaumt habe, um der nordamerikanischen Zaubererwelt die Gelegenheit zu geben, über das Ende oder die Fortsetzung meiner Amtszeit zu befinden. Es wäre also sehr inkonsequent, wenn ich es einfach so hinnehme, daß ein Mitbewerber gewaltsam zu Tode kommt."

"Nun, es ist ja doch sehr weit verbreitet, daß Mr. Ironquill nach dem gewaltsamen Tod seiner Frau gegen tatsächliche oder von ihm vermutete Geheimgesellschaften Front macht und Sie dazu bringen wollte, nach dubiosen Schwesternschaften zu suchen und diese gegebenenfalls zu zerschlagen. Könnte dies nicht zum Tod von Mr. Ironquill geführt haben?" Warf Linda Knowles einen Köder aus. Sie lauschte auf den Minister. Diese zusätzliche Geräuschquelle bei ihm beunruhigte sie langsam, obwohl sie nach außen hin gefaßt und charmant wirkte.

"Wir wissen alle, daß es in den letzten Wochen zu mehreren sehr bedauerlichen Zwischenfällen kam, die durchaus auf das Konto bösartiger Gruppen gehen können. Ich möchte nicht ausschließen, daß solche Leute es gerne sähen, wenn wir hier in einer Atmosphäre von Furcht und Unsicherheit leben, um unsere Gesellschaft zu destabilisieren. Ob Mr. Ironquill ein weiteres Opfer dieser Terroristen wurde muß ja noch geklärt werden." Linda hörte, wie sich der Herzschlag des Ministers beruhigte. Auch dieses Pulsieren ebbte wieder ab. Offenbar hatte ihre Frage ihm geholfen, etwas zu sagen, was ihn ruhiger machte. Also ging er wohl darauf aus, jemanden für den Tod Ironquills verantwortlich zu machen, ließ aber offen, wen.

"Dann haben Sie Ms. Archstone nicht etwa ihrer Ämter enthoben, weil sie eine Hexe ist, Sir?" Fragte sie dann wieder herausfordernd.

"Wie erwähnt habe ich sie suspendiert, um befangene Personen von den Ermittlungen auszuschließen. Ziehen Sie bitte daraus nicht den Schluß, ihr Geschlecht habe damit zu tun!" Erwiderte der Minister. Linda legte sich die nächsten Fragen zurecht. Sie wollte gerne noch wissen, ob Ironquills Tod nun bedeutete, daß der Minister die Wahl absagte, ob er dessen Ideen aufgreifen würde und ob er sich nicht auch vorstellen könne, daß jemand aus dem Ausland für den Tod des Mitbewerbers verantwortlich sein könne. Sie überlegte sich, ob sie nur den Unnennbaren erwähnen sollte oder die Informationen über andere böse Zauberer und Hexen einbeziehen sollte. Da fiel ihr noch etwas ein, mit dem sie den Minister hoffentlich zu einer nicht ganz so routinierten Antwort verleiten konnte.

"Stimmt es, das Mr. Ironquill ein Ruster-Simonowsky-Zauberer war?" Fragte sie scheinheilig lächelnd.

"Ich denke, die Antwort auf diese Frage ist überflüssig, weil gerade Ihre Zeitung einen umfangreichen Artikel über Mr. Ironquills Herkunft und Werdegang gebracht hat, Ms. Knowles. Also was wollen Sie wirklich wissen?" Erwiderte der Minister, tatsächlich leicht angespannt klingend. Auch sein Herzschlag beschleunigte sich wieder etwas, und dieses merkwürdige leise Wummern nahm ein wenig an Geschwindigkeit und Lautstärke zu.

"Nun, da ich das jetzt als offizielle Bestätigung von Ihnen nehmen darf frage ich, ob Leute, die was gegen muggelstämmige Zauberer haben diesen Vorfall verschuldet haben könnten. Ich denke da an jenen, der in England als Sie-wissen-schon-Wer für viele brutale Übergriffe verantwortlich ist oder einen russischen Zauberer namens Igor Bokanowski, von dem zuverlässige Quellen mir berichtet haben, daß er mit dem britischen Dunkelmagier zusammenarbeitet. Befürchten Sie, daß die Strafverfolgungsbehörde bereits von Anhängern dieser beiden Zauberer unterwandert ist?"

"Bokanowski? Da sind Ihre ominösen Quellen nicht auf dem neusten Stand, Ms. Knowles", erwiderte der Minister leicht erregt. "Besagter Zauberer hat sich mit dem von Ihnen erwähnten Magier aus England angelegt und wurde dabei getötet, wie ich erfahren durfte. Meine Quellen sind da wohl noch besser informiert als Ihre. Und was diesen britischen Schwarzmagier angeht, so trägt der Tod von Mr. Ironquill nicht die typischen Merkmale seiner Untaten. Die Frage nach Handlangern oder Sympathisanten dieses Zauberers im Ministerium weise ich entschieden zurück. Wir sind nicht unterwandert." Der Minister sprach leicht verärgert, als ginge es nur darum, eine böswillige Behauptung zurückzuweisen. Doch Linda hörte nun gezielter auf das ihr fremdartige Klopfen, das genau bei dieser Antwort um einige Takte schneller erklang. Sie wußte immer noch nicht, was es war und wollte nicht einfach fragen, ob der Minister was an sich hatte. Ihr war unbewußt klar, daß sie auf diese Frage nicht nur keine Antwort, sondern statt dessen großen Ärger bekommen würde. Irgendwas war da nicht in Ordnung, und sie wollte gegen ihre sonstige Art nicht mit der Tür ins Haus fallen, sondern sich langsam herantasten. So fragte sie, ob es denn zumindest sein könne, daß jemand im Bann des Imperius-Fluches die Untat begangen haben könnte, also von jemandem gezwungen worden sei, zu morden. Der Minister schloß das nicht aus. Dann kam Linda noch einmal auf die besonderen Eigenschaften Ironquills zu sprechen und fragte, ob der Umstand, daß dieser ein Ruster-Simonowsky-Zauberer war, im Ministerium viel Sympathie oder Antipathie erzeugt habe. Immerhin hätte der ja dann als Minister alle befehligen können.

"Ich habe hier keine Umfragen gemacht, wer warum bei den Beamten hier sympathischer herüberkommt, weil die Hexen und Zauberer hier einen Eid geleistet haben, jedem ordentlich eingesetzten Zaubereiminister und damit der nordamerikanischen Zaubererwelt zu dienen. Da Sie mit dieser Frage wohl eher wissen wollten, ob ich persönlich was an dieser Eigenheit von Mr. Ironquill auszusetzen habe oder nicht: Überragende Zauberfähigkeiten sind keine Garantie für einen überragenden Zaubereiminister. Da spielen ganz andere Fähigkeiten die entscheidende Rolle. Soweit ich weiß hat Mr. Ironquill seinen Wahlkampf auch nicht darauf ausgerichtet, daß er ein Superzauberer ist, sondern daß er sich für kompetent genug hält, Minister zu werden. Nun werden wir nicht mehr mitbekommen, ob er damit recht hatte."

"Nun, immerhin sind Sie durch einen Ruster-Simonowsky-Zauberer ins Amt gelangt, Sir. Der Vorfall mit der sogenannten Tochter des dunklen Feuers, die zu den neun unheimlichen weiblichen Zauberwesen gehörte, die als Töchter des Abgrunds bezeichnet werden, bei dem der europäische Zauberschüler Julius Andrews fast Opfer dieser Kreatur wurde, brachte Ihren Vorgänger politisch zu Fall, weil dieser die Vorkommnisse unterschlagen und die Zaubererwelt in Ahnungslosigkeit halten wollte. Insofern könnten Sie ja durchaus eine gewisse Dankbarkeit für Ruster-Simonowsky-Zauberer empfinden", wagte sie eine Vermutung, um zu sehen, wie der Minister damit umging. Davenport überlegte einige Sekunden. Linda blickte ihn genau an. Doch am meisten lauschte sie auf die Geräusche seines Körpers. Sein Herz schlug etwas schneller, und für einen Moment klopfte jenes geheimnisvolle zusätzliche Etwas fast genauso laut wie das Herz. Hatte sie ihn an einer empfindlichen Stelle erwischt?

"Die Art, wie ich Minister wurde schmeckt mir persönlich nicht, Ms.Knowles. Deshalb wollte ich ja Wahlen abhalten lassen, um den Ruch des Opportunisten loszuwerden, als den mich Ihre Kollegen unterschwellig betitelt haben, als ich nach der Aburteilung meines Vorgängers nicht freiwillig zurücktrat, um mich einer ordentlichen Wahl zu stellen. Ob dieser Bursche ein Ruster-Simonowsky-Zauberer ist und sein Vater wegen seiner Begierden diesem Succubus in die Fänge geriet ärgert mich eher als der Umstand, Minister geworden zu sein. Dafür haben zu viele Leute ihr Leben gelassen, um mich dafür zu bedanken, daß ich deshalb dieses Amt habe, Ms. Knowles. Ich muß mich schon wundern, wie Sie mir diese Anmutung vorzulegen wagen", knurrte Davenport. Linda grinste innerlich. Sie hatte den Minister aus der Fassung gebracht und zu zwei unbedachten Äußerungen verleitet. Zum einen sprach er von dem Wahlvorhaben in der Vergangenheitsform. Zum anderen machte er unterschwellig klar, daß er mit dem Jungen, den sie einmal interviewen durfte nichts zu tun haben wollte. Sie sagte darauf:

"Nun, ich muß wissen, woran wir sind, nachdem ein aussichtsreicher Mitbewerber um das Ministeramt ums Leben kam. Immerhin könnte die Sicherheit der amerikanischen Zaubererwelt erneut bedroht sein, wie bei besagtem Fall mit Hallitti. Ich möchte meinen Lesern sagen, ob wir erneut in Gefahr sind oder nicht. Aber Sie sagten eben, daß Sie wahlen abhalten lassen wollten, Sir. Heißt das, daß Sie dieses Vorhaben einstweilen zurückstellen? Immerhin war Ironquill nicht der einzige Kandidat um das Ministeramt. Werden die Wahlen jetzt aufgeschoben? Wenn ja, bis wann?"

"Aha, das war's also", knurrte der Minister verbittert. "Gut, die Antworten sollen sie haben. Wenn jemand sich in unserem Land wieder regelmäßig durch Gewalttaten betätigt, werde ich das nicht verschweigen, sondern die Öffentlichkeit sofort darüber informieren, auch und vor allem um ihr die Möglichkeit zu geben, bei der Suche nach solchen Leuten zu helfen. Zum anderen kann ich natürlich jetzt nicht einfach den Wahlkampf weiterführen, als wenn nichts gewesen wäre. Auch die anderen Mitbewerber werden verstehen, daß es besser ist, wenn vorerst keine Veranstaltungen mehr stattfinden und die im Mai geplante Wahl verschoben wird. Das neue Datum werde ich dann bekanntgeben lassen, wenn wir wissen, was mit Mr. Ironquill passiert ist und wir die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen oder zumindest benennen können. Im Klartext: Durch Mr. Ironquills Tod ist der Wahlkampf von meiner Seite her beendet. Ich werde mit allen Mitbewerbern konferieren, um einen neuen Termin zu beraten. Noch was?"

"Natürlich, Sir", erwiderte Linda unbeeindruckt. "Wie kann die Öffentlichkeit Ihnen helfen, den Vorfall aufzuklären?"

"Dazu werde ich in einer öffentlichen Stellungnahme allen betreffenden Kollegen gegenüber früh genug Rede und Antwort stehen, Ms. Knowles. Möchten Sie noch etwas wissen?"

"Ja, möchte ich", spielte Linda Knowles das Trumpfas aus, daß sie bis zum Schluß im Ärmel verborgen gehalten hatte. "Könnte der versuchte Einbruch in Ihre Privaträume was mit dem Tod von Mr. Ironquill zu tun haben? Und haben Sie vielleicht deshalb auf die Leitung der Ermittlungen bestanden, weil Sie doch wissen, wer dahintersteckt?"

"Worauf spielen Sie da an, Linda?" Fragte Davenport nun sehr gereizt zurück. Linda hörte sein Herz nun wieder schneller schlagen und vernahm auch, daß unabhängig davon dieses Pulsieren schneller ablief, nicht in einer rhythmischen Verbindung mit dem Herzschlag selbst, sondern wie ein eigenständiges, wohl aufgeregtes Wesen. Wieder drängte sich ihr der Eindruck auf, einer schwangeren Frau und ihrem Ungeborenen zu lauschen. Doch das konnte es doch nicht sein. Sie ahnte, daß genau diese Anspielung die routinierte Gesprächsführung des Ministers wie ein schweres Erdbeben erschütterte. Um ihre eigene Selbstsicherheit zu wahren und die des Ministers noch mehr zu erschüttern legte sie dar, daß sie von nicht zu benennenden Leuten aus der inneren Sicherheitstruppe erfahren habe, daß jemand in der vergangenen Nacht versucht habe, in die Privaträume des Ministers vorzudringen. Sie setzte dem noch einen drauf und erwähnte, daß jemand es gezielt auf die Führung der amerikanischen Zaubererwelt abgesehen haben müsse. Davenport wollte natürlich wissen, von wem sie diese angebliche Sensationsnachricht bekommen habe. Doch sie schüttelte den Kopf und verwies auf das der Presse gegebene Recht zum Schutz der Informationsquellen. Davenport keuchte einmal und sagte dann:

"Dann sage ich Ihnen mal was: Wer Ihnen da immer was auch immer verkaufen wollte, es ist keinen Knut wert. Es hat keinen Einbruchsversuch gegeben. Sonst würde ich ja wohl kaum ohne großen Sicherheitstrupp in der Welt herumreisen oder Sie undurchsucht zu mir vorlassen, um mich zu interviewen. Ich fürchte, Ihre sogenannten sicheren Quellen haben ihnen mit Lügen vergifteten Dreck hingeworfen. An Ihrer Stelle würde ich diesen Leuten sofort in den Allerwertesten treten und um der eigenen Seriosität Willen mit keinem Wort nacherzählen, was die Ihnen zum Fraß vorgeworfen haben. Ich habe Sie an und für sich für intelligent genug gehalten, nicht auf jeden Baum zu klettern, den jemand anbellt. War das jetzt alles?" Linda hörte kurz in die Umgebung. Die Herzschläge und das Pulsieren waren nun sehr schnell. Der Minister log, und ihm sollte das klarsein, daß sie das mitbekam. Dennoch wollte er ihr nicht die Frage beantworten, die sie gestellt hatte. Sie dachte auch, daß sie ihren Informanten schnellstmöglich warnen mußte, daß der Minister demnächst eine geheime Untersuchung lostreten konnte, um das Plappermaul zu finden, daß da so unbekümmert den Einbruchsversuch ausgeplaudert hatte, über den sie erst am Morgen vor der Wahlkampfveranstaltung näheres erfahren hatte. Vor allem dieses nun wie wild pulsierende Etwas bedeutete ihr, daß sie sich nun auf sehr dünnes Eis begeben hatte, unter dem eine bisher ungreifbare, tödliche Gefahr lauern mochte. Sie war schon lange genug im Geschäft um zu wissen, wann ein Wort ein Wort zu viel sein konnte. Und so sagte sie nach außen ruhig und leicht abbittend wirkend:

"Nun, das erklärt natürlich, daß ich die Meldung erst bekam, nachdem das mit Mr. Ironquill passiert ist, Sir. Natürlich hätte ich dem erst nachgehen müssen, bevor ich Sie mit dieser Vermutung behelligte, die wohl auf Profitgier beruht. Sie können versichert sein, daß ich grundsätzlich jede Information prüfe, indem ich mehrere Quellen befrage, ob die Neuigkeit tatsächlich stimmt oder nur von jemandem in die Welt gesetzt wird, der sich wichtig machen will. Ich entschuldige mich für diese Anmaßung. Aber Sie wissen ja, daß wir vom Westwind gerne alle Neuigkeiten so schnell wie möglich bringen wollen. Sein Sie bitte beruhigt, daß ich über das gerade erwähnte kein Wort schreiben werde. Von meiner Seite war es das einstweilen, Sir. Vielen Dank für die Zeit, die Sie für mich erübrigt haben!"

"Bitte sehr", knurrte der Minister. Seine Körpergeräusche waren jedoch noch nicht ruhiger geworden. "Passen Sie also demnächst auf, wem Sie was abkaufen!" Sagte er dann noch schulmeisterisch. Dann öffnete er die Tür, verabschiedete sich von Linda Knowles und ließ sie hinaus.

Linda durchquerte das Vorzimmer ohne ein Wort und bestieg den Aufzug. Ein ungutes Gefühl machte sich in ihr breit. Sie ahnte, daß sie gerade einen schlafenden Drachen gekitzelt hatte und bangte darum, ob dieser gleich mit einer Pranke nach ihr schlagen oder sie ansatzlos mit seinem Maul packen und am Stück hinunterschlucken würde, wenn er nicht befand, sie vorher mit dem eigenen Flammenatem gut durchzubraten. Doch schlafende Drachen zu kitzeln war ihr Job und auch ihre Leidenschaft. Meistens hatte sie noch rechtzeitig gehört, wenn der von ihr gepiesackte Drache verärgert war und sich gut abgesichert, um den Wutausbruch abzufangen. Doch hier im Ministerium war sie alleine. Der Minister hatte gelogen, das wußte sie. Nicht nur, daß er wußte, wer für den Tod Ironquills verantwortlich war, sondern auch darüber, daß dieser Vorfall mit dem Einbruchsversuch zusammenhing. Am Meisten jedoch beunruhigte sie dieses fremdartige Pulsieren, daß sie gehört hatte. Was zum Donnervogel war das? Ein sehr beklemmender Gedanke kam ihr, daß der Minister womöglich von etwas befallen war, einem parasitischen Wesen, wie einem großen Floh oder einem Bandwurm ... Fast wäre sie vor Schreck der Länge nach in die Kabine gefallen, die gerade mit ihr Richtung Foyer hinabratterte. Sie atmete zweimal ein und aus. Dann versuchte sie, sich wieder zu beruhigen. Sie hatte den Minister angesehen. Er trug nichts sichtbar am Körper, daß wie ein grüner Wurm aussah. Außerdem hatte er sich ganz normal bewegt und gesprochen. Was sie einmal mit Schrecken über eine bösartige Züchtung gehört hatte, die intelligente Wesen versklaven konnte, traf hier nicht zu. Außerdem sollte das Wissen über diese Kreaturen vor Jahrhunderten ausgerottet worden sein, zum Glück für die Menschheit. Aber der Gedanke an ein parasitisches Wesen, daß den Minister befallen hatte wollte nicht verfliegen. Wenn das stimmte, dann schwebte sie in großer Gefahr. Denn dann würde Davenport sie als gefährliche Mitwisserin jagen, festnehmen lassen oder ihr im Vorbeigehen auch einen fremdartigen Untermieter in den Leib treiben. Davenport konnte einfach jemanden von der inneren Schutztruppe beauftragen, sie festzunehmen, weil sie geheime Unterlagen geklaut hatte oder etwas mitgehört hatte, was nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. Sie mußte aus dem Fahrstuhl raus, bevor dieser auf der Empfangsebene ankam.

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Bokanowski verfolgte das Interview, daß zunächst belanglos für ihn ablief. Doch als diese Frau Fragen stellte, die seinen Doppelgänger erregen mußten, ja von irgendwo her wußte, was in der Nacht passiert war, schaffte er es nicht, Neunzehns Seelenstern schnell genug zu beruhigen. Dieser wiederum hämmerte auf seinen Wirt ein, bloß die Ruhe zu bewahren und nicht wütend zu werden. Igor erkannte noch schneller als sein Erfüllungsgehilfe, daß diese Frau ahnte, was los war. Allerdings erschien sie ihm nicht sonderlich intelligent, ihre Vermutungen offen auszusprechen, dachte der Schöpfer des falschen Davenport. Immerhin schaffte er es, sie abzuwimmeln, ohne daß sie weitere unangenehme Fragen stellen konnte. Das hätte nicht passieren dürfen, daß sie einen Zusammenhang zwischen dem Einbruch und dem ungewollten Tod Ironquills herstellte. Er mußte herausfinden, woher sie die Information hatte. Zu seiner Beruhigung dachte sein Handlanger ähnlich, so daß er ihm keinen entsprechenden Befehl erteilen mußte. Der falsche zaubereiminister überlegte, ob er sie festnehmen lassen oder draußen im Freien beschatten lassen sollte. Er entschied sich für die zweite Möglichkeit. Er schrieb auf einen Zettel: "Achtung! Linda Knowles beim Verlassen des Ministeriums heimlich verfolgen!" drückte mit dem Siegel auf seinem Ring einen Stempel darunter und beförderte die Anweisung mit der Rohrpost express zum Wachposten auf der Empfangsebene. Jemand der gelernt hatte, Apparatoren zu verfolgen würde gleich hinter Linda Knowles hersetzen, beziehungsweise erst einmal auskundschaften, wo sie apparierte. Wenn sie das Flohnetz benutzte, würde der Zielkamin von dem Flohnetz-Überwacher im Ministerium notiert, und falls sie den Förderkorb zur Oberfläche benutzte, würden dort wohl schon getarnte Beamte warten. Er rechnete durch, daß der Fahrstuhl, wenn sie sofort einen erwischt hatte, eine Minute bis unten brauchte, weil er an jedem Stockwerk anhielt, ob jemand zusteigen wollte oder nicht. Also hatte die Abteilung gerade noch eine halbe Minute zeit, die Anweisung umzusetzen. Er fragte sich, wer dieser Hexe die Information zugespielt haben konnte, wo er selbst befohlen hatte, niemanden zu informieren. Ihm fiel eine Unterhaltung ein, die der, dessen Platz er gerade einnahm vor einem Jahr mit Nancy Gordon, der Mitarbeiterin im Muggelkontaktbüro geführt hatte, als sie sich in der Mitarbeitercafeteria getroffen hatten. Sie hatte ihm erzählt, daß ihr Cousin Edgar Fowler für Linda Knowles schwärme und nicht wisse, wie er an sie herankommen könne. Beide hatten damals gelacht und gescherzt, daß "Lino" weder Augen noch Ohren für männliche Avancen habe, ja das sogar vermutet würde, sie fühle sich zu Frauen hingezogen, weil sie schon in Thorntails keinen festen Freund haben wollte. Diese Unterhaltung war ein Jahr her. Doch für Davenports Doppelgänger war sie so Frisch wie ein Erlebnis von vor einer Stunde. Konnte es sein, daß dieses Flittchen das mitbekommen und diesen verliebten Gockel bezirzt hatte, ihr für gewisse Zugänglichkeiten geheime Informationen zuzuspielen? Wenn er wußte, wo dieses Weib hinging, würde er befinden, was er mit diesem Idioten anstellen würde. Edgar Fowler war einer der Leibwächter, die nicht vom Rauschnebel betäubt worden waren. Am besten trommelte er alle Beteiligten der letzten Nacht zusammen und verhörte sie nacheinander.

Nach fünf Minuten kam eine Rohrpost zu Davenports Doppelgänger zurück, daß niemand im Ministerium mitbekommen habe, daß Linda Knowles das Machtzentrum der nordamerikanischen Zaubererwelt verlassen habe. Die Anweisung sei sofort umgesetzt worden, und Apparitionsspürer hätten keine Disapparition verzeichnet, die von der Empfangsebene aus durchgeführt wurde. Kein Kamin sei benutzt worden, und der Besucherkorb sei nicht bewegt worden.

"Das kann nicht sein. Die muß doch aus dem Gebäude raus sein", dachte Neunzehn alias Davenport. Dann erkannte er, daß Linda Knowles wohl noch im Ministerium war.

"Offenbar hat dieses Biest Lunte gerochen und den Fahrstuhl vorher schon verlassen. Aber entkommen kann sie nicht", dachte der falsche Davenport und gab wiederum schriftlich die Anweisung aus, alle Räume des Ministeriums mit Enttarnungs- und Fernbilderkennungszaubern zu durchsuchen. Das Ministerium war ein Netzwerk aus Überwachungszaubern, das jederzeit zupacken konnte, wenn ein Verdächtiger an den Signalfäden entlangstrich. Spätestens seit dem dreisten Einbruch eines Koboldes, der in die geheimen Archive wollte, waren die Überwachungszauber dichter und vielseitiger gestaffelt worden. Diese Linda Knowles würde ihm nicht entgehen.

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Linda wußte, daß es viele Spürzauber gab, die auf Apparitionsversuche, Flüche und Verhüllungszauber ansprachen. Außerdem konnten sie bei Bedarf magische Augen, vergleichbar mit Fernbildverpflanzungszaubern bemühen, die für nichtmagische Augen unsichtbar im Mauerwerk der Decken eingelassen und beliebig geschwenkt und mit Ranholbefehlen auf bestimmte Personen und Dinge eingestellt werden konnten. Es gab nur zwei Orte, wo derlei nicht benutzt wurde: Die Privaträume des Ministers und die Badezimmer für Besucher und Angestellte. Ihr Informant hatte ihr einmal beschrieben, wo die sanitären Anlagen für Angestellte lagen. Denn die Besuchertoiletten lagen auf der Empfangsebene, wo sie nicht hinkommen wollte. Sie dachte daran, daß sie wohl in zehn Sekunden aus dem Fahrstuhl hinaus und an einen der unbeobachtbaren Orte gelangen mußte. Gleich würde der Fahrstuhl im dritthöchsten Stockwerk über der Empfangsebene halten. Sie dachte daran, was Maya Unittamo ihr einmal im Verwandlungsunterricht gesagt hatte, wo sie beide das Letzte Jahr in Thorntails verbrachten, sie als Schülerin und Mrs. Unittamo als Lehrerin. "Wenn du mal ganz rasch zwischen vielen Leuten durchmußt, die nicht sehen sollen, daß du es bist, gib dir ein belangloses Aussehen!" Sie hob ihren Zauberstab und vollführte rasche Bewegungen damit. Sie mußte sich beeilen, um noch vor dem Halt des Fahrstuhls fertig zu sein. Als der Fahrstuhl hielt und die weiblich klingende, magische Stimme verkündete, welche Abteilungen hier zu finden waren, verließ eine durchschnittlich groß gewachsene Frau mit aschblonder Frisur in einem mittelblauen Umhang die Kabine und ging ohne Hast durch die Gänge. Im Geist zählte sie von zwanzig Sekunden rückwärts hinunter. Als sie bei zehn war, gewann sie einen leeren Korridor und blickte sich um, wo die beiden verheißungsvollen Türen lagen. Die, auf der eine gelangweilt dreinschauende Frau in Rock und Bluse abgemalt war, benutzte sie. Sie lauschte, ob jemand hinter ihr her war oder jemand in einer der Kabinen war. Sie hatte Glück. Die Kabinen waren leer. Der Erste Zielpunkt war erreicht. Doch wie ging es von hier aus weiter?

"Da muß ich jetzt durch", dachte Linda etwas angewidert, als sie in einer der Kabinen in die zumindest gut geputzte Schüssel blickte. Sie hatte sich früher schon häufig gefragt, wozu diese Verwandlungsübungen mit Zustandsänderungen gut waren. Jetzt hatte sie eine verdammt brauchbare Anwendung. Zunächst einmal kehrte sie die eingeschränkten Veränderungen an sich wieder um, damit sie von ihrer gewohnten Ausgangsform aus weitermachen konnte. Dann überlegte sie, wie viele Sekunden sie benötigen würde, um den Zauber auszuführen und wie stark sie sich konzentrieren mußte, um dabei nicht endgültig verlorenzugehen. Sie wußte, daß ihre magischen Ohren einen gewissen Eigenwiderstand gegen Verwandlungszauber besaßen. Doch den hatte sie im Lauf der Jahre oft genug ausgetestet. Manchmal war es schon praktisch, einen Ohne-Gleichen-Utz in Verwandlung abgeräumt zu haben. So belegte sie die Spülung mit einem Belastungszauber, der in genau dreißig sekunden in Kraft treten sollte und überwand ihren Widerwillen, kniete sich auf die Toilettenschüssel und vollführte den entscheidenden Zauber. Sie fühlte, wie ihre Ohren wild ruckelten und es darinnen wie ein wilder Bienenschwarm brummte. Doch dann gaben auch sie dem Verflüssigungszauber nach. Für einige zeit würde Linda wohl nichts hören, bis sie sich wieder zurückverwandelte, wußte sie. Doch das war wahrlich das kleinste Übel. Als sie wie aus einem großen Eimer ausgegossen in der Schüssel verschwand und sich dabei höllisch auf den eigenen Zusammenhalt konzentrieren mußte um nicht im gewöhnlichen Wasser zu zerlaufen, dachte sie nur noch daran, daß sie irgendwann einmal ihre Memoiren schreiben und diesen Tag und die Erlebnisse darin besonders hervorheben wollte. Als dann die magisch verzögerte Spülung ansprang glaubte Linda, mehrere Dutzend Mäuler würden sie packen und in alle Richtungen auseinanderreißen. Dann meinte sie, mit einem mörderischen Tempo in einen tiefen Schacht zu stürzen, dabei ständig auseinander und wieder zusammengeknäuelt zu werden, bis sie in einen Sog geriet, der sie langzog wie eine gigantische Streckbank. Ob sie schrie wußte sie nicht. Das würde auch niemand anderes hören, wenn die Schallwellen im mitfließenden Wasser zerstreut wurden. Sie fühlte, wie sie langsam die Balance über den Zauber verlor. Wenn sie nicht bald ihre feste Form zurückbekam, würde sie wirklich zerfließen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Sie zwang sich, nicht daran zu denken. Sie kämpfte gegen dieses Gefühl an, immer mehr dahinzudämmern. Als sie endlich fühlte, wie sie gleichmäßig dahintrieb, zählte sie im Geist noch zehn Sekunden ab. Dann schleuderte sie den Gedanken an die Rückverwandlung von sich, das er ihren ganzen Körper wie ein elektrischer Schock durchraste und alle gerade flüssigen Bestandteile ihrer Selbst zusammentrieb, sich wieder zu festen Strukturen zu verbinden. Als dann mit einem lauten Brummton und dann einem wilden Ruckeln ihr Gehör wiederkehrte wußte sie, daß sie den Wahnsinnstauchgang wohl überstanden hatte. Doch nun lag sie in einer stinkenden Brühe in einem engen Tunnel, konnte gerade so nach Luft schnappen und wäre fast an dem fauligen Gemisch erstickt. Sie zauberte schneller als üblich eine Kopfblase, durch die sie vor den Gasen und dem Schmutzwasser geschützt atmen konnte. Dann schwamm sie durch die bräunliche Brühe bis zu einer großen Halle, in der ein gewaltiger See lag, aus dem ab und an Gasblasen gluckerten und blubberten. Das war die Sickergrube des Ministeriums. Die Gase entwichen in einen Abluftschacht, während die Flüssigkeit langsam im Inneren des Berges versickerte und dort von den Gesteinsmassen gefiltert wurde. Linda lauschte mit ihren wiedererwachten Zauberohren, ob jemand in der Nähe zu hören war. Doch im Umkreis von mehreren Dutzend Metern konnte sie keinen menschlichen Laut ausmachen. Sie schwamm an den Rand des Abwassersees und kletterte das glitschige Ufer hinauf. Dann, als sie festen Halt hatte, disapparierte sie so leise sie konnte.

Sie wußte, daß sie nicht bei sich oder in der Redaktion auftauchen durfte, bis sie wußte, wie sie ihre Vermutung belegen oder zersträuen konnte. Vielleicht war diese ganze ekelhafte Flucht auch völlig dafür gewesen, wo sie gerade herkam, dachte Lino, als sie am Ufer eines verschwiegenen Flüßchens in Idaho apparierte. Dort entledigte sie sich ungeniert ihrer zum Himmel stinkenden Kleidung, ließ sogar die Schreibutensilien verschwinden und badete wie die Natur sie ursprünglich geschaffen hatte in den dahinplätschernden Fluten, trank von dem klaren, sauberen Wasser und reinigte alle zugänglichen Stellen ihres Körpers so gründlich wie sonst nicht. Dann suchte sie sich mehrere herumliegende Zweige zusammen und verwandelte diese in frische Kleidung. Denn aus ihrem Haus, das einige tausend Kilometer weit fortlag, konnte sie unmöglich ihr passende Sachen herbeiholen. Als sie dann wieder von üblem Geruch befreit und züchtig verhüllt vom Flußufer forttrat, erschrak sie. In der Nähe glitt etwas über den Boden, es schritt nicht, es schwebte, wobei die es umstreichende Luft ein nur für sie hörbares Säuseln verursachte. Dann hörte sie auch den Atem und den Herzschlag. Sie war sich sicher, was da auf sie zugeglitten kam. Sie hoffte nur, daß das Flüßchen mit seiner natürlichen Kraft dieses Wesen auf Abstand halten würde.

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Morpuora hatte es langsam satt, immer wieder in einen anderen Wald umziehen zu müssen. Seitdem sie auf der Flucht vor dem gräßlich aussehenden Zauberer mit der Schreivogelstimme mit ihren engsten Verwandten in dieses Land auf der Sonnenuntergangsseite des großen Wassers gekommen war, war sie von ihrer neuen Beschützerin immer wieder an einen anderen Ort gebracht worden, wo sie einige Tage lebte, bis ihre Beschützerin, die sich ihr als wiederverkörperte Anthelia zu erkennen gegeben hatte, sie wieder anderswo hinbrachte, weil jemand hinter ihr herjagte. Doch in diesem Wald wollte sie gerne einige Monate bleiben.

Als sie auf der Suche nach kleineren Tieren, die ihren Hunger einigermaßen stillen konnten durch den verlassenen Wald glitt und fühlte, daß sie sich dem kleinen, aber doch lästigen Fließwasser näherte, das den Wald am Leben hielt, hörte sie von dort, wo das Wasser dahinplätscherte einen lauten Knall, dessen Ursache sie zu gut kannte. Jemand von den die Zauberkraft besitzenden Bodenläufern war aus der leeren Luft gekommen. War das Anthelia? Hieß das, sie mußte wieder umziehen? Sie fühlte, wie sich in ihr der Widerwille regte, diesen ruhigen Ort zu verlassen, auch wenn hier keine Jungen der Bodenläufer zu finden waren. Dann hörte sie, wie dieser Ankömmling im Wasser planschte und glitt weiter auf das sie langsam erschöpfende Gewässer zu, daß wie ein langsam wirkendes Schlafmittel ihre Körperkraft absaugte. Sie mußte sehen, wer da angekommen war und warum. Sie stieg bis zur Krone des nächsten Baumes auf und spähte zum Fließgewässer, wo ein nacktes Weibchen der bleichhäutigen Großen gerade aus dem Wasser stieg. Sie sah zu, wie die Fremde sich mit Zauberkraft aus toten Ästen neue Kleider machte und sich dann leicht keuchend hinsetzte. Morpuora glitt aus der Baumkrone heraus in einem sanften Gleitflug hinunter in Richtung Fließgewässer. Die Fremde hörte zu atmen auf. Morpuora fühlte, daß sie belauert wurde. Aber das konnte nicht sein. Sie war noch fast hundert Schrittlängen von dem Wasser fort, und näher als zehn konnte sie wohl nicht heran, ohne ganz erschöpft zu werden. Sie stieg wieder einige Körperlängen nach oben und beobachtete mit ihren raubvogelgleichen Augen, die zwar etwas an Weitblick eingebüßt hatten aber dennoch jedem Auge der bleichhäutigen Großen weit überlegen war umher. Die bleichhäutige Fremde saß da und lauschte mit angestrengt gespitzten Ohren. Konnte die sie etwa hören? Das war doch nicht möglich. Die Großen waren doch so gut wie taub. Wer ihnen was sagen wollte, mußte keine zwei Schritte vor ihnen stehen, und wer rufen wollte, mußte sich mindestens auf hundert Schritte annähern, besser noch näher. Und sie, Morpuora, machte bei ihrem Flug so gut wie kein Geräusch, von der an ihrer Kleidung und dem Haar entlangstreichenden Luft abgesehen. Nein, die Fremde konnte sie nicht hören! Doch wem oder was lauschte die Fremde dann? Sicher, es gab hier viele Vögel, die ihre Lieder sangen. Aber so wie sich die einst in England als Stammesmutter der Waldfrauen gefeiert wie gefürchtete Morpuora belauert fühlte, spürte die Fremde ihr nach. Wußte die etwa, daß sie gerade hier wohnte. Gehörte sie zu denen, die sie jagten oder zu denen von Anthelia? Das mußte sie rausfinden, ohne sich dabei sehen zu lassen. So glitt sie in geringer Höhe über den Waldboden dahin, lauschte dem leise plätschernden Wasser und fühlte dessen Kraft, die an ihrer eigenen Körperkraft sog wie einer der bleichen Nachtwandler mit den spitzen Fangzähnen, die ebenfalls von fließendem Wasser erschöpft oder gar totgemacht werden konnten.

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Linda Knowles hörte die um etwas streichende Luft immer näher kommen. Ihre magischen Ohren hatten die Richtung auf die Gradsekunde genau ausgemacht. Sie blickte noch einmal auf das dahinplätschernde Gewässer. Würde es genug Kraft haben, um die heranschwebende Sabberhexe auf Abstand zu halten? Sie wußte, daß fließende Gewässer Vampire und Sabberhexen arg beuteln konnten, je mehr Wasser im Fluß war desto stärker, so daß solche Geschöpfe keinen Fluß überqueren oder gar darin schwimmen konnten. Doch die Sabberhexe kam näher, war sich wohl sicher, nicht bemerkt zu werden. Linda hatte einmal Grizwald Paddington und seine merkwürdige Freundin Aubartia interviewt und dabei interessante Einblicke in Denken und Leben der sogenannten Waldfrauen erhalten. Daher wußte sie, daß diese überragende Sinne, aber auch unschlagbare Instinkte für Beute oder Gefahren besaßen. Aubartia, die dem Kinderraub abgeschworen hatte, hatte ihr damals erzählt, daß sie genau fühlen konnte, wenn irgendwas bedrohliches in der Nähe war. Mochte diese Sabberhexe hier sie nun für eine Bedrohung halten oder sich nur belästigt fühlen, weil sie, Linda, in ihren Wald hineinappariert war? Die gerade auf der Flucht befindliche Reporterhexe griff ihren Zauberstab fest und sicher. Sie wußte, daß diese Kreaturen sehr schnell sein konnten, wenn sie wollten. Sollte die Sabberhexe sie angreifen, wollte sie ihr einen Schockzauber überbrennen, falls dieses Geschöpf dem nicht auswich und ihr dafür an den Kragen ging. An und für sich könnte sie auch gleich disapparieren. Aber wohin? Außerdem interessierte es sie, wie nahe die Sabberhexe an den schmalen Fluß herankonnte. Sie lauschte auf den Atem und den Herzschlag der Kreatur, die sie bestimmt auch schon hören und wahrscheinlich auch sehen konnte. Womöglich sog dieses Geschöpf bereits ihren Körpergeruch in die Nasenflügel ein und erkannte, daß es kein Kind oder halbwüchsiger Bursche war, sondern eine erwachsene Hexe.

Jetzt war die leise herangleitende Sabberhexe wohl nur noch fünfzig Meter entfernt. Ja, da konnte Linda etwas grünes zwischen den dichten Büschen entdecken, daß sich vorsichtig bewegte, wohl auch darauf gefaßt, dem Flußufer nicht zu nahe zu kommen. Sie hob den Zauberstab an, bereit, bei der ersten zu schnellen Bewegung den Schocker loszuschicken. Doch die Sabberhexe schien nicht auf einen blitzartigen Vorstoß auszugehen. Linda erkannte, daß das Wesen schwarzbraunes Struwelhaar besaß und fühlte etwas wie eine große Kraft, die in diesem Wesen lauerte. Immer näher kam die Sabberhexe heran, dann hielt sie inne, senkte sich auf den Boden herab und fand mit ihren knorrigen Füßen mit den langen, beweglichen Zehen daran sicheren Halt an einer Wurzel. Linda sah in die gelben Augen mit den weißen Pupillen, die sie unvermittelt an ein sie belauerndes Raubtier denken ließen. Das grünhäutige Geschöpf grinste sie herausfordernd an. Linda hielt den Zauberstab auf die Fremde gerichtet. Da hörte sie sie mit leiser, quäkiger Stimme flüstern:

"Bist ein wenig überängstlich, was?" Kein natürliches Menschenohr hätte diese Worte wahrnehmen können. Doch Linda wußte das in diesem Moment nicht genau, wie weit sie noch magisch verstärkt oder schon für gewöhnliche Hexen und Zauberer vernehmbar diese Worte hörte. Sie verzog ihr Gesicht bei dieser Bemerkung. Dann zischte sie verbittert:

"Vor dir habe ich bestimmt keine Angst, Sabberhexe." Auf diese Entfernung konnte nur eine Sabberhexe dieses Flüstern verstehen, und so vermochte es auch die, die gerade vor Linda stand, keine fünfzehn Meter entfernt. Offenbar war dies die Grenze, die die Sabberhexe nicht überschreiten wollte oder konnte.

"Warum kannst du so gut hören, eh?" quäkte die Sabberhexe belustigt und hob wieder vom Boden ab, um langsam, ja beinahe im Schneckentempo näherzukommen. Also war die kritische Nähe zum Fluß noch nicht erreicht.

"Hat dich nicht zu interessieren", knurrte Linda, bevor ihr klar wurde, daß die Sabberhexe es wohl schon längst mitbekommen hatte, daß sie sie gehört hatte, eben durch ihren Gefahreninstinkt.

"Wer bist du, Weibchen?" Fragte die Sabberhexe, die immer noch näher herankam, bis sie fast schwerfällig keine zehn Schritte entfernt auf dem Boden landete und sich gerade noch aufrecht hielt.

"Betrifft dich nicht", knurrte Linda, bevor sie merkte, daß es doch egal war, ob die Sabberhexe es wußte oder nicht. Diese sah sie belustigt grinsend an und kicherte mit rauher Stimme. Dann quäkte sie:

"Du hast recht, warum sollte es Morpuora interessieren, wer da in ihren Wald reinkommt, einfach so und in diesem Fließwasser da rumplanscht und dann aus toten Ästen neue Anziehsachen macht." Linda zuckte zusammen. "Ah, du hast schon von mir gehört, wie?" Setzte die Sabberhexe nach. Linda zwang sich, keine Regung zu zeigen. Ja, sie kannte den Namen Morpuora. Sie hatte von einer in England lebenden Sabberhexe dieses Namens erfahren, die unter Ihresgleichen wie eine Königin herrschte und viele unschuldige Kinder und die Unschuld vieler halbwüchsiger muggelstämmiger Zauberschüler auf dem Gewissen hatte. Der letzte große Fall war die Sache Tim Abrahams und Roy Fielding gewesen. Sie hatte damals gerade als Voluntärin beim Westwind angefangen und noch nicht ihre magischen Ohren besessen. Dennoch war ihr Gedächtnis und ihr Gespür für Sensationen schon sehr gut ausgeprägt gewesen. Im letzten Sommer sollte diese Morpuora von dem Schwarzmagier, dessen Name niemand zu nennen wagte, in ihrem Heimatwald verbrannt worden sein. Diese Erwähnung und der Umstand, daß Sabberhexen nicht über sich bewegendes Wasser fliegen konnten sprach dagegen, es hier mit eben dieser Morpuora zu tun zu haben. Womöglich war der Name bei Sabberhexen häufig wie Betty, Nancy oder Lisa in Amerika.

"Soso, du heißt also Morpuora", grummelte Linda. "So hieß mal eine in England", fügte sie hinzu. Die Sabberhexe grinste sie an und nickte. Dann deutete sie mit ihrem spinnenbeingleichen Zeigefinger auf ihren Körper und quakte:

"Ja, die wohnt da nicht mehr. Ich bin das. Einer wollte mich zwar totmachen, aber jetzt bin ich hier. Und wer bist du?"

"Ich bin Linda", sagte Linda Knowles kühl. "Ich wollte nur hier baden und dann neue Sachen anziehen, um dann weiterzureisen. Mach's also gut unt ..." Da streckte die Sabberhexe ihre rechte hand vor. Unvermittelt traf Linda eine unbändige Kraft, die sie erstarren ließ, während Morpuora leise sang. Sie wußte, sie hatte nicht richtig aufgepaßt und war dem Bann der Sabberhexen erlegen. Morpuoras Gesang lähmte nicht nur ihren Körper, sondern auch ihren Geist. Sie fühlte, wie sie immer träger dachte und dann von einem schwarzen Nebel umhüllt wurde, der selbst für ihre Ohren absolute Stille über sie brachte.

"Mich hier bedrohen wollen. Da mußt du sehr viel schneller werden, Weibchen", knurrte Morpuora gereizt und blickte triumphierend auf die von ihr überwältigte Hexe, deren Zauberstab gerade der schlaffen Hand entfiel, bevor die Hexe selbst zu boden sank. Morpuora wußte, daß sie dieses Weibchen ihrer neuen Beschützerin melden mußte, falls wieder wer hinter ihr selbst herjagte und sie wohl wieder den Wohnort wechseln mußte. Außerdem konnte sie nicht mehr näher heran, um sich das große Weibchen selbst zu holen, weil der Fluß ihr dann Alle Kraft entreißen würde. So wandte sie sich um und wankte leicht benommen davon, bis sie weit genug fort war, um sich in die Luft zu erheben und davonzufliegen. In ihrem Versteck fand sie den Rufstein, den ihr Anthelia gegeben hatte. Sie brauchte ihn nur in die Hand zu nehmen und zu sagen:

"Anthelia, ich rufe dich!" Der blaue Stein in ihrer Hand vibrierte wild und wurde beinahe glühend heiß. Dann erstarb alle Regung in ihm. Statt dessen ploppte es leise, und sie war da, Antehlia.

"Am Fließwasser lliegt eine eurer Frauen. Sie konnte mich hören, obwohl ich noch sehr weit von ihr weg war. Linda heißt sie, hat sie mir verraten. Ich mußte machen, daß sie schläft, weil sie ihren Kraftverstärkerast auf mich gerichtet hatte und ich nicht wollte, daß sie mich damit umhaut", berichtete Morpuora in der Sprache der grünen Waldfrauen, die Anthelia gut beherrschte.

"Oh, wenn die Zeitungsschreiberin Linda Knowles dich aufgespürt hat vermögen andere ihr zu folgen", knurrte Anthelia verärgert. Ich werde mich ihrer annehmen. Wo am Flußufer bist du ihr begegnet?"

"Dort, wo die fünf stämmigen Bäume mit den wilden Blättern stehen", sagte Morpuora, die sich jetzt fragte, ob Anthelia sie gleich wieder durch die Leere in der Luft anderswo hinbringen würde. Doch Anthelia nickte nur und verschwand mit leisem Plopp in der leeren Luft.

Sie tauchte am Flußufer auf und suchte die fünf stämmigsten Bäume, die alle wild wucherndes Laubwerk hatten. Als sie endlich die bezeichneten Bäume erblickte, fand sie auch die reglos am Boden liegende Linda Knowles, deren Bild sie von ihren Mitschwestern Pandora und Patricia her kannte. Sie erinnerte sich auch daran, daß diese Reporterin den Jungen Julius Andrews über den Zusammenstoß mit Hallitti befragt hatte. Womöglich bot ihr Linda Knowles eine große Fülle von Informationen. Sie näherte sich der Hexe, nahm deren Zauberstab an sich und hob sie mit der eigenen telekinetischen Kraft an. Sollte sie sie in ihr Hauptquartier bringen? Doch bevor sie das konnte mußte Morpuora den Bann wieder von ihr nehmen. Gegen den Einschläferungszauber der Sabberhexen gab es noch kein Mittel, wußte Anthelia. Sie fragte sich zwar, wieso in den dreihundert Jahren keiner Fortschritte in der Erforschung dieser Wesen gemacht hatte, nahm es aber zunächst als gegeben hin, daß sie Morpuora dazu auffordern mußte, diese Hexe zu erwecken.

Anthelia zauberte eine Trage, bettete Linda Knowles darauf und nahm einen der Griffe, um dann zu Morpuora zu apparieren. Es bedurfte keiner großen Überredungskunst. Morpuora weckte Linda auf, die von Anthelia gefesselt und deren Augen verbunden wurden. Dann ergriff Anthelia die Trage mit der Gefangenen und disapparierte mit ihr. Morpuora sollte sich für's erste nicht mehr aus dem Versteck wagen, egal was passierte.

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Linda Knowles erwachte vom quäkigen Gesang der Sabberhexe. Sofort erkannte sie, daß sie gefangengenommen worden war, nicht von der Sabberhexe, sondern von jemandem anderen, die noch bei ihr war. Denn sie hörte eine warme Altstimme in der Sprache der Sabberhexen sprechen:

"Bleibe hier, egal was du hörst, Morpuora!" Also konnten ihre magischen Ohren ihr auch diese nichtmenschliche Sprache verständlich machen. Das nächste, was sie mitbekam war eine Apparition. Dann fühlte sie, wie die Haltestricke um Brust und Bauch gelöst wurden. Ihre zusammengeschnürten Arme und Beine blieben jedoch gefesselt. Außerdem hatte ihr jemand ein gänzlich lichtundurchlässiges Tuch vor die Augen gebunden. Aber ihre Ohren funktionierten noch wie immer, ja und weil es für sie nun dunkel war konnte sie sich noch besser darauf konzentrieren, was sie ihr vermittelten. Sie lag in einem hallenden Raum, wie die paar Schritte, die sie seit der Ankunft hier gehört hatte deutlich verrieten, wohl ein Kellerraum, der an einen anderen, größeren Kellerraum anschloß. Von oben hörte sie mehrere Herzen leise schlagen, sowie Atemgeräusche. Bei einem schlagenden Herzen war sie sich sicher, daß es einem Kind oder einem Halbwüchsigen gehörte. Das andere Herz gehörte einem kleineren Tier, einem Hund oder einer Katze. Doch das ihr am nächsten schlagende Herz gehörte dieser Hexe, die sie beim Aufwachen gehört hatte. Dann vernahm sie, wie das Tier ohne klickende Schrittgeräusche näherkam. Es war also doch eine Katze. Dann meinte sie eine Veränderung der Herztöne zu hören, sie verschoben sich unheimlich, bis sie statt des Katzenherzens das Herz eines Menschen schlagen hörte. Doch bevor ihr der Gedanke an einen Animagus richtig ins Bewußtsein gestiegen war, krachte es doppelt, so daß Linda meinte, in zwei zeitgleiche Explosionen geraten zu sein, was ihr traumatische Eindrücke von jenem Unfall in der Zaubertrankbrauerei in Westvirginia in Erinnerung brachte, wo sie von einem überlauten Knall total betäubt von einer heißen Druckwelle niedergeschmettert am Boden gelegen hatte und schon glaubte, gleich zu sterben, bis sie in der der Brauerei angeschlossenen Heilerabteilung wieder aufwachte und keinen Laut mehr hören konnte.

Jetzt hörte sie das Herz des Animagus in unmittelbarer Nähe schlagen und erkannte an den die Stimmbänder sehr sehr Sacht anstreichenden Atemgeräuschen, daß es eine Frau war. Also war es eine Animaga. Hexen, nur Hexen? Linda schwante, daß sie vom Regen in die Traufe geraten war, von einer möglichen Festnahme im Ministerium in die Fänge einer Hexenschwesternschaft, womöglich jener dubiosen Nachtfraktion der schweigsamen Schwestern. Dann mochte die Frau mit der warmen Altstimme deren Anführerin sein. Ja, und diese stand mit Sabberhexen in Verbindung, hatte diese Morpuora womöglich wirklich aus England gerettet und in den Wald gebracht, wo sie auf sie getroffen war.

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"Sag kein einziges Wort, Schwester Pandora", mentiloquierte Anthelia, als Pandora Straton im Versammlungsraum der Spinnenschwestern appariert war. Natürlich hatte Pandora die auf dem Marmortisch auf einer Trage liegende Hexe sofort erkannt, trotz der rabenschwarzen Augenbinde. Natürlich wußte sie auch, daß Linda Knowles ein überragendes Gehör besaß. Jedes weit entfernte Flüstern war für sie wie ein Ruf aus unmittelbarer Nähe. Linda Knowles beziehungsweise Lino kannte Pandora Straton und ihre Familie von einem Interview vor fünf Jahren. Insofern war Antehlias Anweisung schon berechtigt. So überließ Pandora der von ihr zu neuem körperlichem Dasein verholfenen Anführerin das folgende Verhör.

Anthelia holte aus einem kleinen Schrank, den die Spinnenschwestern in diesen Raum gestellt hatten eine kleine Flasche und ein Trinkglas. Aus der Flasche füllte sie etwas einer glasklaren Flüssigkeit in das Glas um, schenkte noch einen Schluck rotwein nach und stellte Wein und Zaubertrank in den Schrank zurück.

"Ein achtzehnhundertsiebenundfünfziger Bordeaux, Madame", sagte Anthelia ruhig. "Sein Sie nicht so unzivilisiert, diesen auszuspucken!" Linda Knowles kämpfte vergeblich gegen ihre Fesseln an und versuchte um Hilfe zu rufen. Doch das brachte ihr nur ein, daß ein ausreichender Schluck aus dem Glas in ihren weit geöffneten Mund schwappte und Anthelia sie dazu zwang, zu schlucken, um nicht zu ersticken. Als der Reporterhexe der Inhalt des Glases eingeflößt worden war, begann Anthelia mit ihrer Befragung.

"Sind Sie die Reporterin Linda Knowles?"

"Ja, das bin ich", sagte Linda leicht entrückt klingend.

"Was suchten Sie in dem Wald, in dem ich sie gefunden habe?"

"Ich wollte mich nur waschen. Ich kenne den Fluß da und wußte, daß die mich dort nicht so schnell suchen würden", erwiderte Linda frei von Widerwillen. Anthelia nickte. Offenbar griff sie nun auch mit ihrer seltenen Gabe, Gedanken zu erfassen ohne Legilimentieren zu müssen in Lindas Bewußtsein hinein.

"Warum sind Sie in diesen Wald gegangen?" Fragte Anthelia weiter. Darauf erzählte ihr Linda mit Worten und Gedanken, was sie erfahren und erlebt hatte. Auch über jenes merkwürdige Geräusch, daß sie beim Interview des Ministers gehört hatte und ihre abenteuerliche Flucht aus dem Ministerium gab sie frei heraus Auskunft. Sie konnte nicht anders. Denn das mit dem Wein verabreichte Veritaserum zwang sie dazu, jede ihr gestellte Frage vollständig und wahrheitsgetreu zu beantworten. Anthelia verhörte sie eine ganze Stunde lang, wobei sie erfuhr, von wem Linda es wußte, was in der Nacht passiert war und was sie selbst am Tatort des Mordes an Ironquill mitbekommen hatte. Dann fragte sie sie auch zu dem Interview mit Julius Andrews aus und dem, was sie mit ihren Ohren sonst noch so mitbekommen habe und könne, worauf Linda Knowles eine detaillierte Beschreibung ihres magischen Gehörs ablieferte, etwas, daß sie an und für sich als wichtigstes Geheimnis ihres Lebens hüten wollte. Als Anthelia auch erfuhr, daß die magischen Ohren ihr fremde Sprachen verständlich machten und einen Zeitraum von zwei Stunden lang alle erfaßten Worte und Geräusche aufbewahrten und widergeben konnten verzog sie etwas das Gesicht. Ihr Plan, die Reporterhexe mit einem Vergessenszaubertrank mit der Dosierung für die verstrichene Zeit seit der Begegnung mit der Sabberhexe zu bearbeiten würde also fehlschlagen, wenn diese Lino ihre Ohren auf Wiederhören einstimmte. Doch dann fiel ihr was besseres ein. Sie fragte Linda Knowles, ob sie glaubte, daß der Minister irgendwie verändert sei. Linda bejahtte es und erzählte ihr, was sie über Willenswickler gehört hatte, aber nicht glaube, daß der Minister genau von diesen Kreaturen befallen war. Anthelia nickte. Dann sagte sie ihr:

"Ich werde Sie jetzt an einen sicheren Ort bringen. Von dort aus können sie gehen, wohin sie wollen, wenn Sie wieder aufwachen. Sie sind nicht meine Feindin." Dann brachte sie die Gefangene ohne weiteres Wort fort. Als sie zurückkehrte fragte Pandora ihre Anführerin, ob Linda Knowles einen Gedächtniszauber bekommen habe. Denn immerhin habe sie im Hauptquartier doch mithören können, daß ein Kind und eine Animaga waren.

"Tja, und mit dieser sensationellen wie unzulänglichen Erkenntnis wird sie nicht viel anfangen können, wenn sie nicht weiß, wo sie war und bei wem", erwiderte Anthelia lächelnd. "Mein Plan, ihr einen Vergessenstrank zu verabreichen, hätte bei ihrem extraordinären Gehörsinn nicht geholfen. So hat sie alle Erinnerungen behalten, die schwerer wiegen als eine Gedächtnislücke. Sie weiß zwar nun von Morpuora, aber nicht mit wem sie in Verbindung steht. Falls sie es wagen sollte, Hescher des Zaubereiministeriums in den Wald zu führen, in dem Morpuora gerade wohnt, wird sie sich selbst der Gefahr aussetzen, von jenem Zaubereiminister festgesetzt oder getötet zu werden."

"Sie sagte was von einem merkwürdigen Geräusch wie ein verlangsamt schlagendes Herz eines Ungeborenen", erinnerte sich Pandora an eine Aussage der gefangenen Reporterhexe.

"Ja, diese Aussage erscheint mir höchst erschreckend. Sie besitzt die Kunde von den Willenswicklern, deren bildhafter Spuk von Julius Andrews und Lady Medea ausgetrieben werden konnte, aber was da wirklich mit dem Minister umspringt weiß sie nicht."

"Ein anderer Parasit, höchste Schwester. Könnte es sein, daß jemand den Minister damit behangen hat, damit der tut, was jemand anderes will?" Wollte Pandora wissen.

"Ich hege einen Verdacht, der, wenn er sich bestätigt, großes Ungemach bedeutet", erwiderte Anthelia.

"Möchtest du es mir verraten, woran du denkst?" Fragte Pandora vorsichtig. Statt einer gesprochenen Antwort flutete ein Wort durch ihr Bewußtsein, ein Name: "Igor Bokanowski"

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Davenports Doppelgänger fühlte sich mehr als unwohl. Seit zwei Stunden suchten die Sicherheitstruppen nach Linda Knowles, bestrichen jeden Winkel des Ministeriums mit Verwandlungsenthüllungszaubern, Lebensquellfindern und anderen Enthüllungszaubern, gingen die Aufzeichnungen der Zauberspürvorrichtungen durch und fanden innerhalb des Ministeriums nichts, was auf eine Anomalie hinwies, bis jemand den Vorschlag machte, die nähere oder fernere umgebung abzusuchen. Dabei stellten sie fest, daß keine hundert Meter vom Ministerium entfernt, mitten in der von außen unzugänglichen Sickergrube ein Disapparitionszauber wirksam wurde. Sofort wurde festgestellt, wo der Endpunkt lag. Doch das Ergebnis zeigte lediglich, daß er irgendwo in Idaho zu finden war.

"Wir haben doch Spürsteine in Idaho", knurrte Davenport, als Lucas Wishbone, der neue Leiter der inneren Sicherheitstruppen ihm das Ergebnis mitteilte.

"Ja, aber wie alles in Amerika ist es schwierig, größere Landstriche zu überwachen. Daher funktionieren die Spürsteine vordringlich in Muggelsiedlungen, nicht im Gebirge oder in Wäldern. Außerdem, wie soll jemand genau gewußt haben, wie er oder sie in die Sickergrube hineinkommt, ohne zu apparieren. Die Aufzeichnungen zeigen nur, daß jemand disappariert ist."

"Wishbone, ich weiß echt nicht, womit Sie das verdient haben, daß ich Sie zum Leiter des inneren Sicherheitstrupps berufen habe", blaffte Davenport den noch jungen Zauberer zornig an. "Diese Person hat ein sehr riskantes Manöver durchgeführt, um uns zu entwischen. Warum können wir eigentlich keine direkten Verwandlungszauber aufspüren?"

"Öhm, weil diese auf anderen Ebenen ablaufen als reine Flüche, Sir", erwiderte Wishbone verschreckt. "Sie meinen, sie habe sich in etwas verwandelt?"

"Ich glaube, ich sollte diesen einfältigen Trottel wieder zum Wachdienst runterstufen", dachte Davenports Doppelgänger wütend auf sich selbst, daß er nicht auf diese Möglichkeit gestoßen war. "Wishbone, natürlich hat die sich verwandelt und an einen Ort begeben, wo wir dummerweise keine Zauberspürer angebracht haben. Ab heute werden auch in den Toilettenräumen magische Augen und Spürzauber eingerichtet."

"Öhm, Sir, das ist gegen die Bestimmung zur Wahrung der Intimsphäre. Das wurde bereits vor hundert Jahren vom Zwölferrat eindeutig verfügt, daß Badezimmer und Schlafräume nicht amtlich überwacht werden dürfen, solange es keinen eindeutigen Hinweis auf eine bevorstehende Straftat gebe. Wir dürfen die Toilettenräume nicht überwachen, genauso wie Ihre Räumlichkeiten, Sir. Sonst hätten wir ja ganz schnell herausbekommen, wer bei Ihnen einzudringen versucht hätte." Davenports Augen blitzten bedrohlich auf, und Wishbone schloß krampfhaft den Mund, um nicht noch etwas unbedachtes auszusprechen.

"Dieses Weib ist uns durch die Toiletten entwischt, Sie Idiot!" Bellte der Zaubereiminister. "Die hat sich schlicht in reines Wasser verwandelt, nur durch die eigene Magie am Zerfließen gehindert und hat sich durch das Abwasserrohrsystem in die Sickergrube spülen lassen, wo sie erst wieder feste Gestalt annahm und dann disapparierte. So einfach ist das, verdammt noch mal!" Wishbone erbleichte. Auf eine solch tolldreiste Idee mußte man erst einmal kommen. Aber es wäre durchaus möglich.

"Dann ist die jetzt irgendwo in Idaho. Ich gebe Mr. Tallon Bescheid, er möchte sie dort suchen, Sir", stieß Wishbone schnell hervor. Doch Minister Davenport blickte ihn warnend an und knurrte wie ein angriffslustiger Wolf:

"Das ist einzig meine Aufgabe, wer mit der Suche betraut wird, Mr. Wishbone. Sie bleiben im Ministerium und hüten Ihr Büro. Überlassen Sie es mir, die Suche zu leiten! Sein Sie froh, daß Ich Sie nicht sofort dazu abstelle, fortan alle Toiletten im Ministerium zu putzen, damit Sie erkennen, wie dreist dieses Weib Sie an der Nase herumgeführt hat!"

"Sehr wohl, Sir! Ich bleibe im Büro, Sir", erwiderte Wishbone so unterwürfig er konnte. Dann durfte er endlich gehen. Auf dem Weg zurück in das Büro seines früheren Vorgesetzten Morton Tallon mußte er jedoch darüber nachdenken, was mit dem Minister los war, daß er so wild hinter Lino her war, daß diese keine andere Möglichkeit gesehen hatte, als sich ausgerechnet durch eine Toilettenschüssel abzusetzen. Denn Lino, das wußte er, war dafür bekannt, einen sicheren Gefahreninstinkt zu besitzen. Was immer sie während des Interviews erfahren hatte mußte ihr solche Verfolgungsangst eingejagt haben, daß sie gar nicht erst versucht hatte, auf den üblichen Wegen das Zaubereiministerium zu verlassen. Das wiederum hieß für Wishbone, ebenfalls äußerst vorsichtig zu sein. Irgendwas stimmte mit Davenport nicht, und er konnte nicht einmal sagen, was.

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Bokanowski war wütend auf sich selbst, daß er nicht daran gedacht hatte, dieses Weib Knowles daran zu hindern, aus dem Ministerium zu entkommen. Sein Doppelgänger hätte sie mit Leichtigkeit überwältigen können. Jetzt war dieses Frauenzimmer mit den magischen Ohren frei und konnte ... Womöglich hatte sie erkennen können, was mit dem Doppelgänger nicht stimmte. Bokanowski stampfte mit dem rechten Fuß auf. Mochte es sein, daß die sacht pulsierenden Seelensterne hörbare Laute von sich gaben, die nur jemand mit vielfach verstärktem Gehör wahrnehmen konnte? Daran hätte er viel früher denken müssen. Doch würde man ihr glauben, wenn sie was von merkwürdigen Lauten berichtete? Er schmunzelte. Diese Linda Knowles war bekannt für sensationelle Geschichten. Aber andererseits wurde sie auch für ihre wahrheitsgetreuen Berichte geschätzt und gleichermaßen gefürchtet, weil das was sie schrieb geglaubt und nachgeprüft werden konnte. Er hatte einen unnötigen Fehler begangen, einen Fehler, der seine ganze heimliche Operation mit einem Schlag zunichte machen konnte. jetzt hieß es, möglichst unauffällig zu sein, möglichst nicht noch mehr Staub aufzuwirbeln und keinem schlafenden Drachen zu nahe zu kommen. Womöglich konnte er es so hinstellen, daß Linda Knowles für unglaubwürdig angesehen wurde. Wishbone würde nun eingeschüchtert in seinem Büro hocken und hoffen, Morton Tallon würde hinter Knowles herjagen. Doch genau das würde der falsche Davenport nicht anordnen. Knowles war entkommen. Die Milch war verschüttet. Alles was nun noch getan werden konnte war, abzuwarten, ob sie sauer wurde oder jemand anderes sie aufwischen würde, ohne daß der Minister in Verdacht geriet.

"Verdammte Amerikaner", schnaubte Bokanowski. "Ich hätte diese Knowles gar nicht erst zu Neunzehn vorlassen dürfen." Er dachte an die noch in der Zaubererwelt herumlaufenden Hydrawandler, die in Lauerstellung waren, um die angewiesenen Ziele anzugreifen. In zwei Tagen würden seine Handlanger in Spanien und Frankreich ihre neuen Rollen übernommen haben. Dann konnte er sich auf die Lösung des Ruster-Simonowsky-Problems konzentrieren. Falls die in Amerika doch zu mißtrauisch würden, würde er Neunzehn befehlen, den echten Davenport zu töten, sich daraufhin zurückzuverwandeln und genug Spuren hinterlassen, die auf jenen britischen Schlammblutbengel hindeuteten, der sich als größter Zauberer aller Zeiten verstand. Er ärgerte sich darüber, daß er nicht wußte, wer alles zu diesem Frechling gehörte, der es gewagt hatte, ihm dreißig verdrehte Drachen zu schicken und seine Burg mit diesen Dementoren und Golems anzugreifen. Sonst wäre es ihm ein Leichtes gewesen, einen Hydrawandler auszuschicken, der einen der Getreuen ersetzte, um diesen Bastard hinterrücks zu erledigen. Aber den würde er bald aus dem Weg räumen. Wenn ihm die wichtigsten Zaubereiministerien der Welt unterworfen waren würde das Kapitel Voldemorts Rückkehr rasch beendet. Denn dann würde er die internationalen Vereinbarungen dahingehend umändern lassen, daß jeder nach Macht gierende Zauberer und vor allem solche mit Muggelvergangenheit bei Sicht getötet würde, und seine Anhänger auch. Die waren einfach zu zögerlich, wenn es um die Durchsetzung der Ordnung ging, dachte Bokanowski. Hätte er nicht seine Ebenbilder, so wäre er schon längst von Arcadis Truppen getötet worden, falls er sein sicheres Versteck verlassen hätte. Eben über Arcadi wollte er dann durchsetzen, daß auch in anderen Ländern die Tötung machtgieriger Zauberer gesetzlich erlaubt wurde. Doch dazu mußte er erst alle wichtigen Ministerien beherrschen. In vier tagen würden alle Hydrawandler ihre Positionen eingenommen haben. Dann wollte er persönlich zu Arcadi gehen, zusammen mit dem letzten Hydrawandler. Er wollte dann zusehen, wie Arcadi ersetzt wurde und dessen verkleinerten Originalkörper in einem Schaukasten seiner Burg verwahren, den er jeden Tag ansehen konnte.

Auf jeden Fall wollte er jetzt nicht mehr von seinem Weg abrücken. Seine Kreaturen waren noch nicht zahlreich genug, um eine offene Schlacht mit den Truppen des Ministers oder mit anderen Feinden zu suchen, und es wäre dann auch nicht nötig, wenn seine Ziele auch so erreicht würden und er die Welt mit einem unsichtbaren Netz überziehen konnte, wie eine dicke Spinne, die wartete, daß eine fette Fliege hineingeriet.

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Linda Knowles erwachte aus einem unfreiwilligen Nickerchen. Irgendwas hatte sie unsanft geweckt. Es war, als sei sie aus geringer Höhe auf den Boden gefallen. Sie fühlte leichte Schmerzen in Rücken und Ellenbogen. Sie dachte daran, daß sie wohl noch gefesselt war und jetzt wohl mißhandelt werden sollte. Doch da fiel ihr auf, daß ihre Fesseln, die Augenbinde und die Trage verschwunden waren. Dennoch war es um sie herum dunkel. Sie tastete sich ab und stellte erstaunt fest, daß sie noch alle Sachen an und bei sich hatte, mit denen sie nach dem Bad im Fluß in den Bann der Sabberhexe geraten war. Sie lauschte in die Dunkelheit. Nahe und ferne Geräusche einer tiefen Nacht umgaben sie, das leise Rascheln von Wind in Wipfeln, leises Schnaufen, Schnarchen und Säuseln schlafender Tiere, Eulenrufe und das für Normalohren unhörbare pulsierende Quieken jagender Fledermäuse, dessen Echo von vielen Bäumen widerhallte. Die Jäger der Nacht waren also unterwegs, und die Tagtiere lagen in tiefem Schlaf. Als Linda sicher war, daß kein Mensch oder ein verdächtiges Wesen in unmittelbarer Nähe war entzündete sie ihr Zauberstablicht und sah sich um. Sie befand sich in einer leeren Blockhütte. Keine Möbel, keine Fenster, nur eine niedrige Tür. Sie erinnerte sich an alles, was ihr passiert war: Das Interview mit dem Zaubereiminister, bei dem sie merkwürdige Geräusche gehört hatte, die abenteuerliche Flucht durch das Abwassersystem, das Bad im Fluß und die Sabberhexe, die sich als Morpuora vorgestellt hatte. Dann war sie von einer fremden Hexe verschleppt worden und von dieser und einer im Raum befindlichen animaga, die jedoch kein Wort gesagt hatte verhört worden. Sie schüttelte sich, wenn sie daran dachte, daß sie das berüchtigte Veritaserum eingeflößt bekommen hatte. So wußte diese Hexe jetzt alles, was Linda Knowles wußte. Ja, und sie hatte sie einfach in dieser Hütte abgesetzt, ohne ihr das Gedächtnis zu nehmen, was Linda nun als schlimmer empfand als fehlende Erinnerungen. Diese Hexe hatte ihr überdeutlich gezeigt, wie mächtig sie sich fühlte, wenn sie sie unbehandelt irgendwo sich selbst überlassen konnte. Sie erinnerte sich an das Interview mit Julius Andrews, über das sie dieser Fremden ebenfalls vollständig berichtet hatte. Dieser hatte davon gesprochen, daß die Anführerin der Hexen, die wie zufällig im richtigen Moment aufgetaucht waren, als er beinahe von Hallitti überwältigt worden war, eine Altstimme besessen hatte. Konnte es angehen, daß Linda Knowles genau dieser Hexe nun begegnet war? Aber warum hatte diese ihr dann nicht das Gedächtnis verändert oder sie gleich nach dem Verhör umgebracht? Sollte sie, Linda Knowles genannt Lino, noch etwas für diese Hexe erledigen? Oder fühlte die sich einfach nur zu sicher? Linda ärgerte sich, daß sie auf keine dieser Fragen eine einigermaßen brauchbare Antwort finden konnte. Das wäre der Knüller ihres Lebens geworden. - Doch halt! Genau das konnte der Grund sein, daß diese Hexe ihr Gedächtnis nicht verändert hatte. Sie mochte es darauf anlegen, daß Linda alle Wichtel auf das Dach scheuchte, die in der amerikanischen Zaubererwelt herumwuselten, um dieser Hexe freie Bahn zu geben, das dabei entstehende Chaos auszunutzen. Linda ärgerte sich, daß sie dieses Erlebnis nicht versilbern konnte, ob mit oder ohne die Erinnerung daran. Doch diese Hexe verschätzte sich, wenn sie davon ausging, daß sie, Linda Knowles, lange den Mund oder die Feder ruhighalten würde. Wenn sich eine Gelegenheit bot, die ganze Sache öffentlich zu machen, ohne dieser fremden Hexe freie Bahn zu verschaffen, würde sie sofort ihren Redakteur ... Ihr fiel ein, daß sie ja immer noch auf der Flucht vor dem Zaubereiminister war und dieser wohl langsam dahintergestiegen sein mußte, wie sie ihm entwischt war. Wurde sie nun landesweit gesucht? Sie mußte doch irgendwo hin, um zu essen und vor allem die Lage zu ergründen. Doch wenn in der Redaktion des Westwinds jemand auf sie wartete, um sie festzunehmen ... Sie mußte anderswohin, und zwar so weit es ging ohne Zauberkraft zu benutzen. Hier in der Hütte mochte es nicht aufgespürt werden, was sie zauberte. Doch draußen. Sie verließ die Hütte durch die leise knarrende Tür. Disapparieren wollte sie nicht. Denn ihr schwante, daß sie entweder nicht auf diese Weise entkommen konnte oder der zeitlose Ortswechsel aufgespürt werden konnte. Falls die fremde Hexe und ihre Animagus-Gefährtin sie überwachten, würden sie davon ausgehen, daß sie die Hütte auf die schnellste Weise verließ. Sie konnte sich sogar vorstellen, daß ein magisches Bildverpflanzungsartefakt darin versteckt war, daß jemandem zeigte, daß sie gerade aufgestanden und durch die Tür hinausgegangen war. Natürlich war die Tür auch mit einem Bewegungsmeldezauber verbunden, der anschlug, wenn sie geöffnet wurde. So oder so wollte Linda nicht disapparieren. Sie ging durch den Wald, suchte zunächst eine unüberschaubare Stelle im Unterholz um ihre Blase zu erleichtern und marschierte dann stramm drauf los. Nach zwei Stunden bedauerte sie es, daß sie zwar magische Wunderohren besaß, aber keine gleichfalls überragenden Beine. Sie erinnerte sich daran, daß die magische Heilkunde solche Ersatzglieder schon seit mehr als hundert Jahren verwendete und Leute, die damit weiterlebten große Lasten bewegen oder sehr schnell oder sehr ausdauernd vorankommen konnten. Von einem britischen Drachenjäger namens Perseus Forester, der über einige Ecken mit der Thorntails-Lehrerin Forester verwandt war, wußte sie, daß dieser seine Arme im Dienst eingebüßt hatte und nun zwei silberne Kunstarme hatte, mit denen er sehr schwere Sachen hochheben konnte. Über den Ex-Auror Alastor Moody wußte sie, daß dessen magisches Auge ihren Ohren nicht nachstand, was die Überlegenheit gegenüber angeborenen Organen anging. Sie lauschte immer wieder, ob hinter ihr jemand herlief, Tier, Mensch oder Zauberwesen. Doch in diesem Waldstück schlief alles, was nicht jagte. Nur einmal hörte sie das für Normalohren unhörbare Flügelschlagen einer Eule, die gerade hinter einer Maus her war, die Linda keine zwanzig Schritt entfernt im Gebüsch atmen hören konnte. Wie ein Donnerschlag in absoluter Stille traf das laute Rascheln der zuschlagenden Eule die Reporterhexe. Doch es tat ihr nicht in den Ohren weh. Sie wußte aus ihrem Wartungsheft, daß sie Lautstärken aushielt, die einemilliardemal so stark waren wie das leiseste Geräusch, daß sie hören konnte. Sie ging weiter, horchte nur darauf, ob ihr jemand folgte, verließ nach drei Stunden den Wald in nördlicher Richtung und lauschte wieder. Irgendwo in zwei Kilometer Entfernung rauschte und brummte es. Sie kannte diese Geräusche gut genug um zu wissen, daß sie in der Nähe einer Autoschnellstraße der Muggel war. Das war eine Idee. Sie würde versuchen, bei einem der durch die Nacht fahrenden Muggel mitzufahren. Doch sie wollte sich nicht einfach so irgendwem ausliefern, um vielleicht überwältigt, ausgeraubt, vergewaltigt und womöglich getötet zu werden. Also hatte sie nur die Wahl, entweder zu disapparieren oder weiter zu Fuß zu gehen. Sie beschloß, zumindest den nächsten Haltepunkt für weitreisende Autofahrer zu suchen, wo sie ihre Fahrzeuge mit Treibstoff füllten und sich selbst mit Nahrung versorgten oder schliefen. So hielt sie so gut es das Gelände zuließ so weit auf die Schnellstraße zu, daß sie von dort aus nicht gesehen wurde, aber hören konnte, wenn irgendwo Automobile anhielten oder mehrere Leute zusammenstanden. Sie lauschte auf die aus den vorbeijagenden Autos klingende Musik. Eine Frauenstimme sang:

"Die ganze Nacht ist meine Welt,
Großstadtlichter, angemalte Mädchen"".

"Soso", dachte Linda Knowles. Von einem anderen Fahrzeug kam eine gesungene Botschaft herüber: "Papa war ein rollender Stein. Wo immer er den Hut hinlegte konnte er zu Hause sein", und wieder ein anderer Autofahrer genoss die fünfte Symphonie von Beethoven, die Linda einmal in New York gehört hatte, als sie mit Vertretern des Muggelverbindungsbüros in der Philharmonie war. Wohin mochten diese Leute mit ihren giftigen Qualm und Lärm ausstoßenden Vehikeln unterwegs sein? Wo war sie denn eigentlich? Sie konnte von ihrer Uhr nur die genauen Himmelsrichtungen ablesen, aber nicht den Standort bestimmen. Wie sehr wünschte sie sich, daß jemand aus der Zukunft bei ihr auftauchte und ihr das angekündigte Einheitsmodell mit eingebautem Naviskop in die Hand drückte. Doch dieser rettende Geist erschien nicht, und so lief sie weiter, immer weiter.

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"So, du hast Lino gefangen, weil sie unsere grüne Freundin Morpuora aufgestöbert hat?" Fragte Donata Archstone Anthelia, als diese am Morgen des Ostersonntags in Kanada auftauchte und sich mentiloquistisch bei Donata angekündigt hatte. Nun saß Donata mit ihrer Anführerin in der Nähe des großen Landhauses, in dem ihre Verwandten wohnten und hörte sich die Geschichte an, die Anthelia berichtete. Ein magischer Runenkreis verhinderte es, daß außenstehende verstanden, was gesagt wurde. Als Anthelia alles wichtige aus dem Verhör widergegeben hatte meinte Donata:

"Das war's also. Irgendwer ist zu dem Minister und hat ihm etwas verpaßt, daß ihn kontrolliert, besser als Imperius vielleicht. Das gleiche wollte derjenige wohl auch bei Ironquill machen und hat dabei eine ungerichtete Elementarentladung verursacht. Das würde auch dazu passen, daß Davenport sofort den Tatort absichern und die Ermittlungen übernehmen wollte. Warum hast du Lino laufen lassen? Falls ich das fragen darf, höchste Schwester."

"Ich habe sie im Wald bei der Stadt namens Santa Barbara ausgesetzt, wo die leere Hütte steht, die Schwester Patricia mal erwähnt hat. Vielleicht ist sie noch dort, falls sie nicht befindet, in die Zivilisation zurückkehren zu dürfen. In der Nähe ist eine dieser widerlichen Automobiltrassen, wo diese Blechvehikel ungehindert dahinbrausen können. Vielleicht appariert sie ja irgendwo."

"Ich denke, du hast Linda Knowles' Gedächtnis verändert", vermutete Donata. Doch Anthelia schüttelte den Kopf. Dann erklärte diese ihrer Mitschwester, daß sie davon ausging, daß Linda Knowles entweder baldmöglichst ihrem Vorgesetzten die Geschichte zur Veröffentlichung erzählen würde oder sich tunlichst versteckt hielt. In beiden fällen würde es im Zaubereiministerium Wirbel geben, und sie, Anthelia, könnte nachforschen, was mit Minister Davenport passiert sei.

"Wenn du recht hast, höchste Schwester, so könnte dieses feindliche Wesen, daß Davenport kontrolliert Geschwister haben, die andere wichtige Leute unter Kontrolle haben. Dann müßte der Strafverfolgungsleiter dem nachgehen, solange er nicht selbst von einem solchen Schmarotzer befallen ist."

"Wenn es diese Art von Versklavungsorganismus ist, die mir in Russland auffiel, so hoffe ich, seinen Absender zu finden. Unabhängig davon, ob der Leiter der Strafverfolgungsabteilung eures Zaubereiministeriums frei oder gleichfalls unterjocht ist ist es meine Angelegenheit, dem Sklaven auf den Zahn zu fühlen. Womöglich gelingt es mir, den Parasiten zu überlisten. Immerhin weiß der Minister nichts von der Bezauberung, die wir an ihm vornahmen, und somit weiß es auch nicht der versklavende Organismus."

"Du möchtest ihm auf den zahn fühlen, höchste Schwester. Aber du wirst so wie du bist nicht ins Ministerium hineingelangen, jetzt wo Lino ihnen regelrecht durch den Abfluß geglitten ist", sagte Donata Archstone.

"Ich werde dem Minister morgen Früh schon einen Besuch abstatten. Diese Linda Knowles hat mir verraten, wem sie ihr Wissen über den nächtlichen Einbruch verdankt. Es steht zu vermuten, daß Davenport, befallen oder zu freiem Handeln fähig, diese Sicherheitslücke schnell schließen wird. Unsere Schwestern überwachen ihn bereits."

"Öhm, Vielsaft-Trank, höchste Schwester?"

"Etwas besseres als das", sagte Anthelia überlegen lächelnd. "Morgen werde ich mehr wissen."

"Ich hoffe, der Minister kann von diesem Parasiten befreit werden", sagte Donata Archstone. "Allein die Vorstellung, daß jemand solche Wesen züchten kann ist erschreckend."

"Deshalb werde ich so schnell es geht die Brutstätte dieser abartigen Organismen suchen und finden und den, der sie betreibt ein für alle Mal aus der Welt stoßen. Immerhin bin ich mir sicher, wer es ist."

"Igor Bokanowski?" Fragte Donata Archstone. Anthelia nickte wild. Donata konnte es ruhig wissen, ob der russische Feind sich zurückgemeldet hatte. Anthelia wußte auch, daß sie wohl nicht viel Zeit hatte, um den Aufenthaltsort der verschwundenen Burg der Bestien zu ergründen. Denn wenn Bokanowski seine Versklavungskreaturen in größeren Mengen heranzüchten konnte standen ihm alle Türen der Zaubererwelt offen, ohne daß er jemanden direkt angreifen mußte. Dann würde er wie sie ein Spinnennetz über die Welt spannen und nur noch auf die dort hineingeratende Beute lauern. Auch deshalb mußte sie ihm bald Einhalt gebieten, bevor er ihr und allen Anderen über den Kopf wuchs. Sicher, sie konnte Voldemort darauf bringen, den lästigen und gefährlichen Nebenbuhler zu bekämpfen und sich selbst zurückziehen. Doch zum einen würde der Waisenknabe nach dem gescheiterten Raub von Sardonias Erbschaft nicht mehr so leicht zu irgendwelchen Aktionen zu bewegen sein, auch wenn sie ihm im Grunde rechtkamen. Zum anderen hatte sie ja mit eigenen Augen gesehen, wie kläglich der offene Angriff auf die Burg gescheitert war. Nein, sie mußte erst wissen, wo Bokanowski hauste, in die Nähe der Burg gelangen und dann, alleine oder mit Hilfe ihrer neu erweckten Armee eindringen und dem Scheusal und seinem Bestienstall den Garaus machen. An und für sich mußte sie dazu mehrere befallene zauberer oder Hexen finden, um wie vor wenigen Monaten den Standort der Burg zu ermitteln. Jedenfalls würde sie morgen den Minister aufsuchen, ohne daß jemand Verdacht schöpfte.

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"Blanche, du mißt dieser Verbindung viel zu viel schlechtes bei", sagte die füllige Hexe, die Professeur Faucon gegenübersaß. "Ich gebe zwar zu, daß mir die Sitten und Gepflogenheiten der Latierres auch nicht sonderlich liegen. Aber wie du habe ich lernen müssen, die eigenen Aversionen zurückzustellen und mich an reinen Fakten zu orientieren. Der ist jetzt bei denen im Château Tournesol?"

"Ja, Eleonore, da ist er wohl", knurrte Professeur Faucon. Sie mußte unbedingt ihre Selbstbeherrschung wiederfinden. Was ihr am Freitag nach der Unterredung mit den Ministerialbeamten widerfahren war durfte sich keinesfalls wiederholen. Andererseits wußte Eleonore Delamontagne nicht einmal ein Viertel dessen, was damals in Blanche Faucons sechstem Jahr in Beauxbatons passiert war, wo ihr die ZAG-Schülerin Ursuline Latierre dieses verhängnisvolle Gespräch aufgenötigt und sie zu einer vollkommen unverzeihlichen Aktion verleitet hatte. Damals war sie wirklich noch ein trolldummes Mädchen gewesen, das sich einbildete, superklug zu sein und noch dazu im Recht. Diese Einstellung zum Leben hatte sie in eine Lage gebracht, die sie selbst als gemeine Falle ansah, aber auch als größte Dummheit ihres Lebens betrachten mußte. Ursuline hatte die Art, wie Blanche Faucon, die damals noch Rocher geheißen hatte, immer für dröge und kalt angesehen und sie dann, wenn es sich anbot, immer wieder darauf herumgehackt, wie sie im Gegenzug die lockere, ja freizügige Art mit Jungen umzuspringen verurteilt und an verschidenen Stellen gerügt hatte. Dann war sie stellvertretende Saalsprecherin des grünen Saales geworden, während Ursuline wohl nie diesen Rang erreichen würde. Vielleicht hätte sie ihr damals nicht zu viele Strafpunkte wegen Sittenwidrigkeiten aufhalsen sollen, dachte Blanche Faucon häufig genug. Womöglich wäre Ursuline dann nicht darauf verfallen, ihr, Blanche, diesen verhängnisvollen Vorschlag zu machen. Doch jetzt war jetzt und vor ihr saß nicht Ursuline Latierre, sondern Eleonore Delamontagne.

"Der Junge wurde von Mildrid über die sagenumwobene Brücke der vereinenden Leichtigkeit getragen und von Martine nicht?" Fragte Eleonore ruhig.

"Dies erfuhr ich bei jenem unliebsamen Zwischenfall, der Antoine und Hera so besorgt hat", erwiderte Blanche Faucon mißmutig. Eleonore nickte. Immerhin hatte sie ihrer Nachbarin geraten, diese Sache möglichst nicht breitzutreten. Dann meinte sie: "Ja, aber das zwingt den Jungen doch nicht gleich, mit Mademoiselle Latierre die Ehe einzugehen, oder?"

"Offenbar weißt du wenig von dieser Festung. Die dort lebenden Hexen, die den Mond als ihre Mutter verehren verlangen von jedem Paar, daß die vereinigende Leichtigkeit bei der Überquerung der Brücke erfährt, daß es sich seelisch und Körperlich vollständig annähert, solange es unter ihrem Dach weilt. Sie feiern die seelische und körperliche Liebe, Eleonore." Blanche Faucon errötete von den Wangen bis zu den Ohren. Eleonore Delamontagne nickte.

"Dann ist davon auszugehen, daß die beiden dies erfahren und danach gehandelt haben", sagte sie beinahe unbeeindruckt klingend. "Die Frage ist, ob Martines und Mildrids Mutter davon wußte."

"Für mich stellt sich diese Frage nicht. Sie hat es darauf ankommen lassen, um dem Jungen diese Entscheidung aufzuzwingen, Eleonore. Sie hat ihn dazu gedrängt, entweder mit Martine oder Mildrid zusammenzufinden, in jeder Hinsicht, Eleonore. Insofern kann ich jetzt nichts mehr dagegen tun. Ich bedauere es, daß dieses korpulente Frauenzimmer mal wieder seinen Willen bekommen und einen sehr vielversprechenden Zauberer in die eigene Blutlinie einbinden wird und dieser dies auch noch mit großem Vergnügen annehmen wird. Aber ich habe mich bereits zu weit aus dem Fenster gelehnt und kann um der gesellschaftlichen Verpflichtungen wegen, die ich hier und in Beauxbatons eingegangen bin nicht mehr dagegen angehen. Das könntest höchstens du tun, Eleonore."

"Mit welcher Begründung?" Wollte Eleonore Delamontagne wissen. "Immerhin wohnt der junge Mann nicht in Millemerveilles." Blanche Faucon verzog das Gesicht und entgegnete ungehalten:

"Ich ging davon aus, dir läge genauso viel an dem Jungen wie mir. Sollte ich mich so getäuscht haben?"

"Absolut nicht, Blanche. Mir liegt wie dir eine Menge daran, den Jungen anständig aufzuziehen und in unserer Welt seinen Platz finden zu lassen. Natürlich werde ich mich mit ihm unterhalten. Aber wenn stimmt, was du sagst, habe ich ebenso wenig dagegen aufzubieten wie du. Ich kann und werde lediglich mit ihm über die sich ihm nun eröffnenden Zukunftsaussichten sprechen und ihm die mir zustehenden Hilfestellungen geben. Ich werde nicht als deine Rachebotin auftreten, Blanche. Du gehst mir zu emotional an die Sache heran. Damals, wo es sich anbahnte, daß Julius und Claire zusammenfinden würden, warst du wesentlich sachlicher als jetzt. Ich kann mir echt nicht vorstellen, was dich dermaßen gegen diese Bindung aufbringt, auch wenn ich mit den Latierres zugegebenermaßen meine Schwierigkeiten habe. Ich muß jedoch auch anerkennen, daß die meisten Mitglieder dieser Familie in ihren Anstellungen verläßlich und redlich arbeiten und sich um ihre Familienmitglieder kümmern, ihnen familiäre Bindungen also schon wichtig sind wie auch angesehene Arbeit. Bemühungen, die Mutter des jungen Mannes zu einer Anzeige gegen die Mutter der jungen Frau zu bewegen sind durch deine übereifrige Vorgehensweise ja vereitelt worden und offenbar von ihr selbst für unnötig befunden worden. Wie gesagt möchte ich gerne mit dem jungen Mann alleine sprechen. Ich habe dazu bereits mit deiner Tochter Rücksprache gehalten. Wenn Julius von seinem Besuch im Schloß seiner zukünftigen Verwandtschaft heimkehrt wird sie ihm meine Botschaft weitergeben. Wenn Julius kein Problem darin sieht, wird er zu mir kommen."

"Und wenn er es nicht für nötig hält, Eleonore?" Fragte Blanche Faucon.

"Kann ich ihm immer noch einen Heuler zukommen lassen, was ihm einfiele, mich derart undankbar zu behandeln, Blanche. Aber ich möchte es mit ihm alleine ausmachen, was ihn erwartet und was er zu tun gedenkt."

"Er wird von diesem Muttertier Ursuline schon bearbeitet, daß er nicht mehr auf Leute hört, die sich ihm gegenüber verpflichtet fühlen, wenn es nicht seine eigenen Verwandten sind. Wart's nur ab!"

"Wie gesagt, Blanche, wird es sich zeigen, wie er auf meine Anfrage reagiert. Außerdem gibt es für dich und mich drängendere Dinge, die wir nun bereden sollten. Wir haben schon viel zu viel Zeit vertan. Wir müssen demnächst damit rechnen, daß der Zaubereiminister sich genauestens erkundigt, was wir von Sardonias Erbe wußten und bewußt verschwiegen haben. Mach dir keine falschen Vorstellungen, daß er sich mit einem "Davon haben wir nichts gewußt" abspeisen läßt!"

"Natürlich ist ihm klar, daß wir wußten, daß es noch etwas hier gab, daß sie hinterlassen hat. Ich selbst habe ihm ja auch berichtet, was ich darüber denke, daß es eine mögliche Wiederkehrerin entweder Sardonias oder Anthelias gibt."

"Eine was, Blanche!" Fragte Eleonore sichtlich erschüttert. Blanche Faucon seufzte tief. Das hatte sie Eleonore natürlich nicht erzählt. Außerdem hatte sie es eigentlich nicht vor, ihr das haarklein zu berichten. Deshalb meinte sie:

"Nach dem, was dem Jungen mit dem Succubus passiert ist und was diese Hexe die ihn gerettet hat darüber gesagt hat, er würde genug von ihr wissen, daß er sie wiedererkennen würde muß ich annehmen, daß sie eine Wiederverkörperung von entweder Sardonia oder Anthelia ist. Letztendlich bestärkt wurde ich durch die Aktion der Dementoren und dem Wiederauftauchen der Entomanthropen", erwiderte Blanche Faucon. "Denn eins ist klar, Eleonore: Voldemort kann unmöglich an Sardonias Hinterlassenschaft rühren. Sardonia wird alles getan haben, um sie vor ihrer Sache feindlich gesinnten Zauberern zu schützen. Selbst wenn eine Gehilfin dieses Psychopathen versucht, dort heranzukommen wird sie abgewiesen, wenn sie nicht für die Herrschaft der Hexen auf Erden eintritt."

"Das bestätigt, was ich von anderen erfahren habe", grummelte Eleonore Delamontagne. "Und du wolltest mir diese Vermutung nicht zumuten, weil ich verspäteten Mutterfreuden entgegenging, oder?" Erwiderte die in Millemerveilles für gesellschaftliche Belange zuständige Dorfrätin. Sie wirkte sichtlich verärgert, nachdem sie eben noch zu tiefst erschüttert war.

"Diese Vermutung gehört eigentlich zu den Dingen, über die zu sprechen mir untersagt ist", grummelte Blanche nun auch verärgert.

"Dann werde ich bei dem anstehenden Gespräch mit Monsieur Grandchapeau klarstellen, daß Dinge, die von gesellschaftlichem Belang sind, sofern sie aus Millemerveilles hinausgehen oder uns hier direkt betreffen auch meine kenntnisnahme verlangen, Blanche. Weißt du vielleicht schon mehr, was diese ominöse Wiederkehrerin angeht?"

"Wie gesagt ist es eine Vermutung und mehr darüber zu erwähnen würde Sachen berühren, die im Moment noch der Geheimhaltung unterliegen." Lautes Babygeschrei drang aus einem anderen Winkel des herrschaftlichen Hauses.

"Du hast Glück, Blanche, daß mein Sohn im Moment mehr Beachtung nötig hat als eure Geheimniskrämerei. Aber ich werde meine Ankündigung wahrmachen und dem Minister nahelegen, mich in eure kleine Diskussionsrunde einzubeziehen, soweit meine Mutterpflichten dies gestatten. Da Catherine bereits in eurem verschwiegenen Arbeitskreis Mitglied ist wird ja niemand wagen, mich wegen der Mutterschaft ausschließen zu wollen."

"Gut, mach das", erwiderte Blanche Faucon und verabschiedete sich einfach von der Hausherrin, die ihren erst wenige Wochen alten Sohn versorgen mußte.

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Belle Grandchapeau genoß den Ostersonntag mit ihrem Mann Adrian auf der Insel Korsika. Bald waren sie ein ganzes Jahr verheiratet, und bisher hatten weder seine noch ihre Arbeit die leidenschaftliche Beziehung getrübt. Zwar hatte Belle bis zu diesem Tag noch kein Anzeichen gefühlt, daß ihr junges Eheglück bald greifbare Früchte tragen würde, doch sie hatte es sich langsam abgewöhnt, neidisch auf die immer runder werdenden ehemaligen Mitschülerinnen Jeanne und Barbara zu blicken. Vielleicht würde sich ihr Wunsch nach einem Kind erfüllen, wenn sie sich nicht so vehement verkrampfte, eines zu empfangen. Das war ja keine Frage von Wollen und Erwarten, sondern von Glück und Hoffnung. Zumindest nutzten sie und Adrian die Gelegenheiten, die sich boten, um darauf hinzuwirken. So auch jetzt, als sie an einem einsamen Strand miteinander hemmungslos zusammenkamen, immer und immer wieder. Belle und Adrian tobten sich auf der großen Daunendecke aus, als wäre es das erste Mal. Sie hatten und wollten nur sich.

Etwa hundert Meter entfernt hockte eine Seemöwe, weiß wie Schnee und lauschte den Lauten der Lust, die herüberdrangen. Im Kopf der Möwe stieg ein Gedanke auf, der das Federkleid des Vogels rascheln ließ: "Muß ich wirklich das Weib übernehmen, wenn die so spitz ist?" Erst als die beiden jungen Eheleute ihre Leidenschaft ausgiebig genug ausgelebt hatten flog die Möwe auf und segelte laut schreiend den Strand entlang. Gleich würde es passieren. Es war an diesem Wochenende immer wieder passiert. Ja, da stand die junge Frau auf, ihr dunkelblondes Haar schweißnaß glänzend, auf dem Gesicht ein überglückliches Strahlen. Gleich würde sie ins Wasser gehen, um die Hitze der eben erlebten Liebe herunterzukühlen, während ihr Mann einfach auf der Decke liegen blieb und sich der wohligen Erschöpfung hingab, die seine Betätigung nach sich zog. Das war zumindest in den letzten beiden Tagen immer wieder passiert, wußte der gerade über den Strand fliegende Vogel. Als die Frau im Wasser war und mit einigen Stößen hinausschwamm, glitt der Vogel wie zufällig über sie hinweg, steuerte auf den einige hundert Meter entfernten Felsen zu und ging dahinter nieder. Die Frau im Wasser hatte es zwar gesehen, aber nicht für sonderlich beachtenswert gehalten. Denn sie schwamm einfach weiter. Hinter dem Felsen lag ein winziger Metallzylinder. Die Möwe ergriff ihn mit dem Schnabel und hielt mit den Krallen des linken Fußes dagegen, als sie den Schraubverschluß aufdrehte. Als dieser offen war schüttelte sie ein winziges, schneeweißes Etwas heraus, das auf dem sandigen Boden wie eine Schneeflocke wirkte. Dann, mit einem einzigen Schnabelhieb, spießte die Möwe das Etwas auf, das sich schlagartig blutrot verfärbte, schüttelte es wieder ab und breitete die Flügel aus. Ein heftiger Schüttelkrampf durchzuckte den Vogel, der unvermittelt von innen her anzuschwellen begann, einen kurzen Schrei ausstieß und dann den Schnabel fest schloß, der wie die Federn auch immer weiter zurückgebildet wurde, je größer der Vogel wurde, der immer mehr menschliche Form bekam. Das Federkleid zog sich zurück, aus den Flügeln wurden Arme, und die langen Krallen an den Füßen wurden zu fünf Zehen an schmalen Füßen. Dann stand da ein nackter, kleiner und gedrungen wirkender Mann mit beinahe dreieckigem Gesicht, der etwas seinen Rücken hinaufwandern fühlte, bis es ihm wieder im Nacken saß. Aller Widerwille gegen das, was er tun sollte verflog augenblicklich, jetzt, wo der Seelenstern sich wieder in der Idealstellung befand. Igor 23, der einfach nur Dreiundzwanzig genannt wurde, stand völlig unbekleidet da. Seine Sachen hatte er im Sand vergraben, als er beschlossen hatte, die beiden jungen Eheleute bei ihren Ferientagen zu beobachten und den richtigen Zeitpunkt abzupassen. Er sah auf den Kadaver der Möwe, die gerade noch ein winziges weißes und nun blutrotes Etwas war. Ein großes, rundes Loch führte wie ein Tunnel durch den Brustkorb und oberen Rücken des toten Vogels. Dreiundzwanzig achtete nicht darauf. Er suchte und fand seinen Zauberstab im Sand und nahm diesen wie den Metallzylinder an sich. Mehr benötigte er nicht. Er schlich leise in Richtung Meer zurück, wo Belle Grandchapeau immer noch badete. Dann richtete er den Zauberstab auf den auf der Decke hingestreckten Adrian und murmelte: "Venisomnius!" Der Zauberstab vibrierte sacht, als ein unsichtbarer Strahl einschläfernder magie herausdrang und als breiter Fächer sein Ziel fand, das beinahe übergangslos in einen tiefen Schlaf versank. Wer diesen Zauber meisterlich beherrschte, konnte damit auch ohne das Cantasomnius-Geträller Leute schnell außer Gefecht setzen, wenn sie nicht gleich geschockt oder getötet werden sollten. So würde der Bursche zum einen so tief schlafen, daß er die gleich folgenden Ereignisse nicht mitbekommen und in einer Stunde von allein wieder aufwachen würde.

"Und sowas ist die Tochter des Zaubereiministers", spottete Dreiundzwanzig im Geiste. Kein Leibwächter war hier. keiner der aufpaßte, daß der Hexe und ihrem Gatten nichts passierte. Dreiundzwanzig hatte drei volle Tage damit zugebracht, genau das nachzuprüfen. An den Zaubereiminister selbst kamen sie im Moment nicht heran. Aber das würde sich heute noch ändern. Dreiundzwanzig sah auf das Meer, ging darauf zu und rief dann:

"Madame, ihr Mann ist ohnmächtig geworden!"

Belle erschrak, als sie die hier völlig unerwartete Männerstimme hörte, wo sie gerade ganz nackt war. Doch sie wandte sich um und erblickte einen ebenfalls nackten Mann, der am Strand stand und ihr zuwinkte. Sie erschrak wieder. Das war doch bestimmt eine Falle. Wo sollte sie hin? Wieso hatten sie ihres Vaters Vorschlag zurückgewiesen und keine Leibwächter mitgenommen? Wer war dieser Kerl mit dem beinahe dreieckig wirkendem Gesicht? Sie wußte nur, daß sie jetzt ans Land mußte, um disapparieren zu können, ob nackt oder nicht. Doch der Fremde würde in jedem Fall schneller an dem Punkt sein, an dem sie ans Land klettern konnte. Die einzige Möglichkeit war die Flucht aufs offene Meer hinaus. Aber das bot auch keine guten Chancen. Sie zögerte einen Moment zu lange. Da traf sie der Schockzauber.

Als sie wieder erwachte lag sie neben Adrian auf der Decke, über ihr hockte der Fremde, triumphierend auf sie herabblickend. Sie errötete. Hatte sich dieser Wüstling etwa über sie hergemacht? Das konnte sie nicht mit Bestimmtheit ausschließen, wo sie gerade erst mit Adrian intim geworden war. Doch der Fremde schien ihre Gedanken zu erfassen. Warum hatte sie keine Occlumentie benutzt?

"Die Art, deinen Körper zu nehmen wäre mir persönlich auch lieber, Weib. Aber mein Meister will, daß ich es anders mache", schnarrte er ekelhaft überlegen. Dann packte er mit seinen groben Händen an ihren Hals und drückte ihn zu. Sie versuchte, sich aus dem Würgegriff zu lösen. Doch der Fremde besaß übermenschliche Kräfte. Mehr noch, ihre eigene Kraft schwand, und das schlimmste war, daß der Verbrecher immer größer wurde und seine Hände zu monströsen Pranken anwuchsen, die sie bald nicht nur am Hals hielten. Bevor ihr die Sinne schwanden sah sie noch, wie sich der Brustkorb des Fremden veränderte. Die buschige Harpracht zog sich unter die Haut zurück und sacht begannen zwei eindeutig weibliche Rundungen anzuschwellen, im gleichen Maße wie der Fremde Wuchs, begleitet vom immer lauter werdenden Rauschen der Brandung. Dann übermannte sie die Bewußtlosigkeit. Sie hörte nicht mehr, wie der Fremde leise wehklagte, weil sein Körper sich vollständig veränderte.

"Ist ja noch schlimmer als bei dem Vogel", quängelte er mit einer Stimme, die gerade zwischen Mann und Frau wechselte. Als die Metamorphose endlich vollendet war, stand eine Belle bis in allen Einzelheiten gleichende Frau auf der Decke und hielt etwas winziges zwischen den Fingern, das sie vorsichtig in den Metallzylinder legte und diesen schloß.

"Das hätte der Meister selbst machen sollen", knurrte Dreiundzwanzig, der sich trotz Seelenstern sichtlich unwohl in dem übernommenen Körper fühlte. Dann flossen ihm die Erinnerungen seines Opfers zu, die belanglosen wie die wichtigen, die beruflichen wie die privaten. Er fühlte es im ganzen Körper, wie es ihn nach dem mann verlangte, der da auf der Decke lag und noch über fünfzig Minuten schlafen würde. Er begehrte diesen Burschen immer mehr. Da trat der Seelenstern in Aktion und trieb ihm die Gefühle aus.

"Du kannst diesen Tölpel vernaschen, wenn er wieder aufwacht. Bis dahin erinnere dich gefälligst nur an das wesentliche!" sauste eine Anweisung über seinen Nackenwirbel hinauf in seinen Kopf. Dreiundzwanzig nickte nur. Im Moment fühlte er gar nichts anderes mehr.

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"Ist dir nicht gut, Nathalie?" Fragte Armand Grandchapeau seine Frau, die für einen Moment kreidebleich geworden war. Nebenan raunte es von dreißig geladenen Gästen her, die zur Ostertagsfeier im Ballsaal des Ministeriums versammelt waren. Der französische Zaubereiminister hatte seine Frau auf den Balkon begleitet, um einige Minuten Frische Luft zu atmen. Einige der Gäste qualmten ungehemmt Zigarren oder Pfeifen. Das vermutete er auch als Grund für die Übelkeit seiner Frau.

"Mir war eben total schwindelig, Armand. Kann am Qualm liegen oder am Champagner. Oder wir dürfen bald auch wen ganz kleinen begrüßen."

"Nicht, daß ich nichts dafür getan hätte, daß du das noch einmal erleben könntest, ma Chere. Aber jetzt machst du wohl einen Scherz, oder?" Erwiderte Monsieur Grandchapeau verlegen lächelnd. Seine Frau grinste keineswegs damenhaft zurück und erwiderte:

"Dann wäre die Tageszeit etwas merkwürdig, Cherie. Aber schön, daß du mich immer noch als Mutter deiner Kinder haben möchtest und nicht nur als treusorgende Ehefrau."

"Geht es dir wirklich gut, Nana?"

"Ja, Armand, es geht wieder. Mein Körper mußte sich wohl auf frische Luft umstellen. Hippolyte hat's gut, daß sie wegen der Schwangerschaft und ihrer Familie die passende Ausrede hat, nicht hier zu sein."

"Die wäre auch nicht hier, wenn sie nicht schwanger wäre, ma Chere. Oder sollte ich mich allen Ernstes mit aller ministeriellen Autorität gegen ihre Mutter stemmen, wenn die ihre vielen Kindlein zum Osterfest versammelt sehen möchte?"

"Der Anstand würde es ihr von selbst gebieten, wenn du alle Abteilungsleiter und -leiterinnen eingeladen hast. Aber da Belle mit Adrian auch nicht da ist, obwohl du der Zaubereiminister bist, können wir Hippolyte schlecht herbeizwingen."

"Das war keine gute Idee, das Kind ohne Schutztruppe verreisen zu lassen", seufzte der Minister. "Gerade wo das mit diesen Ungeheuern aufgekommen ist und wir wissen, daß der englische Verbrecher jederzeit seine Kreaturen herüberschicken kann ist es unverantwortlich."

"Armand, als wir gerade ein Jahr verheiratet waren wollten wir auch keinen in der Nähe rumlungern haben, wenn wir uns richtig miteinander ... Naja, du weißt schon."

"So heftig wird das zwischen den beiden nicht laufen. Oder hat sie dir erzählt, du würdest demnächst Oma?"

"Bisher nicht, Armand. Aber das will nichts heißen", erwiderte Madame Grandchapeau. Von drinnen rief jemand nach dem Hauselfen, der die Gesellschaft betreute und lachte.

"Midas hat schon einiges getrunken", stellte Armand Grandchapeau fest. "Komm, lass uns wieder reingehen, bevor er noch auf dem Tisch tanzt wie bei Belles Hochzeit!"

"Recht hast du", erwiderte Nathalie Grandchapeau. "Aber vorher möchte ich dir noch sagen, daß ich Martha für übermorgen herbestellt habe. Ich will von ihr noch mehr über diesen Nordatlantikpakt wissen. Sie soll mir bis dahin genug zugängliche Informationen aus diesem Internet zusammentragen. Möchtest du dabeisein?"

"Klingt in Anbetracht dessen, was vor ein paar Tagen passiert ist belanglos. Aber damals wo Julius mir den Vortrag über die Atomwaffen der Muggel gehalten hat hat er dieses Bündnis auch erwähnt. Ich bin also dabei, Nathalie. Sage Martha, wenn der Junge möchte, kann er mitkommen!"

"Ich fürchte, der Junge wird langsam zum Mann, Armand. Jedenfalls hörte ich von Hippolyte sowas, er müsse sich zwischen mehreren Mädchen entscheiden."

"Dann hat die ihn wohl schon für ihre Zweitgeborene in Aussicht, Nathalie. Sonst würde sie dir das nicht freiwillig erzählen, wo sie gerade ihr drittes Bündel Leben heranträgt."

"Das betrifft uns ja auch nicht, wenn er nicht Adrian aus dem Feld schlagen will", erwiderte Nathalie. Offenbar ging es ihr nun wieder gut genug, fand der Minister und legte seinen Arm um sie. Sanft schob er sie vor sich her durch die offene Balkontür, durch den Gang in den Ballsaal. Ein Leibwächter trat aus der Deckung und schloß die einbruchssichere Balkontür.

Einige Stunden später, als sich alle mit Rauchen, Champagner, Met, Rot- und Weißwein, sowie flotten oder anmutig langsamen Tänzen in eine wohlige Erschöpfung gebracht hatten, meldete ein Hauself, daß Madame Belle Grandchapeau wieder zurücksei, zusammen mit Adrian Grandchapeau.

"Hups, Regnet's auf ... hicks .. Korschikaa?" Lallte Midas Colbert, "Oder hat deine Belle meii-nn Adrian fe-fe-fertigg'macht?" Er lachte laut über seine derbe Bemerkung. Die anderen Gäste, selbst schon gut mit Alkohol bedacht, lachten leise darüber. Der Minister sagte dem Hauselfen, er möge die beiden hereinführen. Als Belle und Adrian dann unter Beifall hereinkamen lachte Midas Colbert wieder. Er sah Belle an und dann seinen Sohn, der etwas verlegen in die im dichten Qualm erlesener Tabake sitzenden Hexen und Zauberer anblickte. Belle hingegen studierte sehr aufmerksam die Gästeschar und grinste dann. Alle blickten auf die beiden Heimkehrer, die gut gebräunt aussahen und wohl sehr viel schönes erlebt haben mochten. Adrian sah seinen Vater beschämt an, als der fragte, ob die beiden am ganzen Körper so braun aussahen. Er meinte dazu nur:

"Hast du den Champagner schon im Haushalt erfaßt, Papa?"

"Daschundallesch andere hiier auch", gluckste Midas Colbert. Um die Festlichkeit nicht unnötig zu trüben ließen sich Belle und Adrian darauf ein, mitzufeiern.

Als der Abend vorbei war und die Gäste aufbrachen nahm Belle ihren Vater bei Seite und flüsterte ihm zu:

"Jetzt wissen wir auch, warum Adrian bei dem blauen Haufen gewohnt hat. Aber die Ferien waren schön."

"Och, habt ihr viel Sport getrieben, was?" Gluckste der Minister weinselig. Wenn jetzt Reporter vom Miroir Magique hier wären ... Aber die wurden bei derlei Festen gut auf Abstand gehalten. Belle nickte nur.

"Machst du morgen frei oder mußt du arbeiten?" Fragte Belle.

"Ich muß morgen arbeiten. Da deine Mutter für Dienstag eine interessante Informationsveranstaltung zum sogenannten Nordatlantikpakt vorgeschlagen hat, werde ich die ganzen bürokratischen Sachen vorziehen, um Dienstags Luft zu haben. Wieso fragst du?"

"Och, weil ich eigentlich mit euch und Adrian in die Pyrenäen wollte. Nach dem Meer ein wenig Bergwandern. Aber das können wir ja später machen."

"Och, bist du Adrian jetzt doch leid, weil er dich nicht in andere Umstände versetzt hat?" Lachte Armand Grandchapeau.

"Wir üben noch", erwiderte Belle leicht errötend. Dann wünschte sie ihrem Vater eine gute Nacht und ging zu ihrem Mann zurück, mit dem sie in das eigene Haus floh-pulverte. Hier waren zehn ministerielle Sicherheitszauberer, die das junge Paar beschützen sollten. Im Schlafzimmer, daß zu einem permanenten Klangkerker bezaubert war, fanden die beiden nach der ganzen Strandliebe endlich die Zeit, richtig auszuschlafen. Vor allem Adrian wunderte sich, daß er schon so ausgelaugt gewesen war, daß er am Nachmittag eine volle Stunde verschlafen hatte. Sein Vater durfte das bloß nicht hören, wo der angeblich mit seiner Mutter einen 24-Stunden-Marathon der Liebe hingelegt hatte, um ihn endlich auf den Weg zu bringen. Vielleicht sollte er das mit Belle auch probieren. Hätte er gewußt, was wirklich am Nachmittag gelaufen war, und wer da in Wirklichkeit neben ihm im Bett lag, hätte er vor blankem Entsetzen die Flucht ergriffen.

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Daianira Hemlock war nicht gerade begeistert, Anthelia bei sich zu empfangen. Vor allem jetzt, wo Davenport kurz davorstand, allen Hexen in wichtigen Berufen die Arbeitserlaubnis zu entziehen, weil er fürchtete, die entschlossenen Schwestern hätten seinen Gegenkandidaten Ironquill ermordet. Doch sie hatte sich damals auf das Bündnis mit der Wiedergekehrten eingelassen, und außer, daß diese ihr wohl weiterhin Mitschwestern abzuwerben schien hatte sie ihr selbst nicht ins Handwerk gepfuscht. Aber umgekehrt hatte sie auch keine Möglichkeit, Anthelia die Stirn zu bieten. So biss sie die Zähne zusammen und wartete auf die strohblonde Hexe, die in den letzten Tagen womöglich noch mächtiger geworden war als Daianira.

"Ich grüße dich, Lady Daianira", sagte Anthelia sehr erhaben klingend. Doch dann war die Höflichkeit auch schon verbraucht. "Dir ist klar, daß wir großen Ärger haben?" Fragte sie kalt wie ein Dolch.

"Hast du Ironquill umgebracht?" Versetzte Daianira ebenso gefährlich.

"Da hätte ich genauso wenig von wie du, Daianira. Oder hättest du diesen Aufwiegler umgebracht, wo dann alle hinter uns herjagen?"

"Eben deshalb hättest du es durchaus sein können, um die wahren Schwestern zu gefährden und mir abspenstig zu machen."

"Ich werde dieses Land nicht in die Zeit vor meiner Tante zurückwerfen, um einen törichten Hetzer zum schweigen zu bringen, Daianira. Aber ich weiß jetzt wer es war und werde ihn mir vornehmen."

"So, du weißt es?!" Schrillte Daianira. "Meine Nichte wurde heute schon von Tallon und seinen Leuten heimgesucht und soll morgen zum Ausschuß für den Mißbrauch der Magie. Lächerlich! Fehlt nur noch, daß sie mich belästigen! Wer soll das mit Ironquill gemacht haben. Der Minister selbst, damit er sich dessen Ideen aneignen und obendrein die Demokratie in der Zaubererwelt zu Gunsten eines engstirnigen Patriarchensystems abschaffen kann?"

"Mit dem zweiten liegst du richtig, Daianira", erwiderte Anthelia ruhig. Jemand will eure Wahlfreiheit zu Gunsten eines patriarchischen Herrschaftssystems umbauen und unsere ehrbaren Mitschwestern zu Sündenböcken machen. Mit dem ersten hast du nicht recht. Nicht der Minister hat den Mord begangen, sondern ein sehr mächtiger Dunkelmagier aus dem russischen Reich, der vor mehreren Monaten erstmalig die Hände nach der Welt ausgestreckt hat. Ihm ist danach, alle mit Angst und Schrecken zu unterwerfen, mit einem Heer von Ungeheuern und Abbildern seiner selbst."

"Bokanowski? Der ist tot. Der Emporkömmling hat seine Burg gestürmt und abgefackelt. Ich weiß das genau, weil ich ein paar gute Freunde in Moskau habe. Die haben den verräterischen Sicherheitsabteilungsleiter aufgegriffen, der Zeuge der Vernichtung war."

"Ach, Petrov", erwiderte Anthelia. "Wenn das deren und dein Zeuge ist, dann doch nur, weil ich ihn vor dem Sturz in die Tiefe bewahrt habe, den der Waisenknabe ihm als Lohn für seinen Verrat zugedacht hatte", erwiderte Anthelia. "Ja, ich war auch dabei. Deshalb bin ich ja auch jetzt hier, um mit dir über ihn zu sprechen. Aber jetzt, wo er eine Methode gefunden hat, ihm bisher feindselige Zauberer zu versklaven, drängt die Zeit wohl mehr als ich befürchtet habe."

"So, du hast den Kampf gesehen. Dann haben sie dich nicht gesehen, weil du einen Harvey-Besen benutzt hast, wie? Dann sag mir mal, warum alle glauben, dieser Bokanowski sei mit seiner Burg restlos verglüht."

"Ich kann es dir sagen. Aber du würdest es mir nicht glauben, auch wenn deine englische Bundesschwester Ursina den Zauber schon angewandt hat, um dem Waisenknaben zu entwischen. Wie er das Inferno bewirkt hat, ohne darin zu vergehen, kann und werde ich dir hier und jetzt vorführen, um deinen Unglauben zu beseitigen."

"Ach, wie denn?" Schnarrte Lady Daianira. Sie spielte bereits mit dem Gedanken, Anthelia in einem unachtsamen Moment zu überrumpeln und als Mirabellenbaum in ihren großen Garten zu stellen. Doch im Moment wirkte Antehlia sehr entschlossen und auf der Hut. So ließ sie sie erst reden, hörte sogar zu, was sie erzählte. Das mit den unzähligen Ebenbildern Bokanowskis war auch ihr bekannt gewesen, auch das mit den mörderischen Kugelwesen, die beinahe zu einer Städte und Menschen verschlingenden Pest geworden wären, wenn nicht jemand eine Möglichkeit gefunden hätte, sie mit bestimmten Tönen zu töten. Als Anthelia von den Versklavungsparasiten erzählte, glaubte Daianira zunächst, die Machtkonkurrentin würde sie verulken. Doch Anthelia sprach so ernst und entschlossen, daß sie schnell die Zweifel verlor. Doch als es um die Burg ging, sagte sie nur, daß sie kein Feuer kenne, daß wie die Tiefen der Hölle lodere, ohne etwas zu verzehren. Selbst sie hatte mit Feuerringen immer nur Feuerabsperrungen erschaffen, aber kein Flammenmeer, in dem ein ganzes Haus unbeschadet stehen konnte. Anthelia trat vor die Haustür. Lady Daianira sah ihr zu, wie sie langsam um das Haus herumschritt und einen schwebenden Singsang anstimmte. Jetzt konnte sie sie einfach niederfluchen und ...

"Denke nicht einmal daran, Daianira!" mentiloquierte Anthelia ihr. Da erkannte sie, daß sie vergessen hatte, ihren Geist zu verschließen. Das holte sie zwar nach, aber die Warnung wirkte einige Minuten. Als sie dann doch den Zauberstab hob, umfloss Anthelia eine goldene Aura, die sich ausbreitete und mit einem Mal zu einer turmhohen, alles umher einhüllenden Feuerkuppel wurde. Sie sprang in ihr Haus, als das Brüllen der mehrere Dutzend Meter hohen Flammen und ein Hauch sengender Hitze sie trafen. Anthelia trat gelassen in das Haus zurück und beobachtete, wie das infernalische Feuer immer dichter wurde. Sie fühlten zwar sengende Hitze. Doch das Haus brannte nicht, obwohl es so aussah, als stehe es in hellen Flammen.

"Das ist Sardonias Feuerdom. Peinlich für dich, daß du dich eine Sprecherin der entschlossenen Schwestern heißt und noch nie davon gehört hast. Es wird nun aus den Feuern unter der Erde und dem Feuer der Sonne heraus gespeist und eine Viertelstunde wüten, ohne das, was ich mit meinem magischen Umschreiten eingefaßt habe zu berühren. Nur wer von außen in den eingefaßten Bereich gelangen will wird in wenigen Sekunden zu Asche zerfallen!" Rief Anthelia über das Brausen und grollen der magischen Feuersphäre hinweg. "Dieser Schutz gewährte Bokanowski die unbemerkte Flucht und den Anschein, er sei in einem von ihm aus Versehen heraufbeschworenen Inferno vergangen. Er hat seine Burg im Schutz der Flammenkuppel mit dem Spatialis-Commutatus-Zauber versetzt, einem der mächtigsten Zauber überhaupt. Doch dieser kann nur zwischen zwei Orten wirken und nur hin- oder zurückwirken. Ich vermag durch das Erbe meiner Tante, den Zauber zu unterbrechen, so daß ich ihn dazu zwingen kann, an dem von ihm gewählten Standort zu bleiben, solange er seine Bestienbrutstätte nicht auffgibt. Und selbst das werde ich verhindern. Denn ich werde ihn dort bannen und dann mit seinem Pfuhl der Ungeheuer in wahrem Feuer verglühen lassen, ohne daß er wiederkehrt. Allerdings muß ich vorher ergründen, wem er alles seine Parasiten angehängt hat und ob diese noch genauso hinfällig sind wie jene, mit denen er seine eigenen Ebenbilder geknechtet hat, daß sie nicht denken, er selbst zu sein."

"Beeindruckender zauber, Anthelia und auch beeindruckende Worte. Aber denk dran, daß solche Magie womöglich doch aufgespürt werden kann", feixte Daianira. Anthelia nickte nur und sagte:

"Du selbst hast diesen Bereich mit Gegenspürsteinen besetzt, die gegen jene des Ministeriums arbeiten und selbst die mächtigsten Magien unentdeckt lassen. Sonst wäre ich nie auf die Idee verfallen, Sardonias herrliche Flammenkuppel hier und jetzt heraufzubeschwören. Und was das mit dem Mirabellenbaum angeht, Daianira, so hätte alleine der Versuch, mich zu schocken übel nach hinten ausgeschlagen, abgesehen davon, daß ich meinen Widerstand gegen ungewollte Verwandlungen immer schon sehr gut erprobt habe. Ich wage sogar zu behaupten, daß selbst deine Kraft es nicht vermocht hätte, mir eine ungewollte Daseinsform aufzuzwingen. Eher hätte ich dich niedergeworfen und zu einer mir nicht mehr nachstellenden Daseinsform verholfen. Überdenke es also in Zukunft sehr sorgfältig, ob du mich zur Feindin haben möchtest oder nicht!"

"Eines Tages wird deine Arroganz dich selbst aus der Weltgeschichte fegen", dachte Daianira, wobei sie sorgfältig darauf achtete, ihren Geist okklumentisch verschlossen zu halten. Aber woher wußte Anthelia das mit den Gegenspürsteinen? Natürlich hatte sie es von den abtrünnigen, die ihr zugelaufen waren, ohne den Mut zu besitzen, sich offen von ihr loszusagen und sie ihnen nicht einmal mit dem Wahrheitszauber der Versammlungshöhle auf die Schliche kommen konnte, wie sie nun wohl sicher wußte. So konnte sie im Moment nur wie gehabt weitermachen, ja mußte allen Schwestern das gleiche Maß an Vertrauen oder Mißtrauen entgegenbringen und hoffen, entweder dadurch die Abtrünnige zu erwischen oder einer ihr getreuen nicht zu viel Mißtrauen zu zeigen. Außerdem hatte Anthelia mit ihrer Zentralen Führerschaft eine geniale Verbindung zu vielen Ländern, wo die entschlossenen Schwestern sonst erst miteinander hätten kontaktfeuern müssen oder sich heimlich treffen mußten. anthelia hatte ein Hauptquartier, in das die von ihr eingeschworenen und zum Stillschweigen verfluchten jederzeit hingelangen konnten. Merkwürdigerweise wußte Daianira genausowenig über den Standort des Hauptquartieres wie die anderen Ladies der entschlossenen Schwestern.

Tatsächlich brach nach einer Viertelstunde die turmhohe Flammenkuppel ohne großen Übergang in sich zusammen und verpuffte ohne Rauch und Funkenflug. Danach sprach Anthelia weiter mit der amerikanischen Hexenlady über Bokanowski, was sie über diesen herausgefunden hatte, und daß sein Vernichtungsdrang Vampiren gegenüber daher rührte, daß seine geliebte Frau Opfer eines Vampirs geworden war.

"Ich hörte von diesen weißen Fledermäusen, die Europa heimsuchen und Vampire jagen", erwiderte Lady Daianira. "Hierher werden sie wohl nicht kommen, zu viel freier Ozean dazwischen."

"Ich denke, wenn er es will, schleppt er diese Vampirtöter auch in die Erdteile, die von weiten Ozeanen umspült werden ein", erwiderte Anthelia. "Da du wie ich Kontakte zu jenen Vampiren der hellen Mondphase besitzt sollte es dir nicht egal sein, diesen Bokanowski bald loszuwerden."

"Ich glaubte bis vor kurzem, ihn losgeworden zu sein", knurrte Daianira. "Aber leider muß ich erkennen, daß deine Geschichte durchaus stimmen kann. Es sähe ihm ähnlich, einen Zaubereiminister zu unterwerfen und damit einen großteil der Zaubererschaft seines Landes zu kontrollieren. Dann verstehe ich auch, warum er nun danach trachtet, alle Hexen aus einflußreicher Stellung zu entfernen. Lino ist bei dir?"

"Ich habe sie an einen Ort gebracht, an dem sie so schnell keiner sucht, ihr aber die Wahl gelassen, sich in die Zivilisation zurückzubegeben oder nicht", sagte Anthelia.

"Suche und finde sie und bringe sie besser in deinem Hauptquartier unter, bis das mit dem versklavten Davenport bereinigt ist!" Schnarrte Daianira.

"Wozu?" Fragte Anthelia. Spätestens morgen wird der Zaubereiminister von dem Joch des widernatürlichen Organismusses befreit sein. Wenn ich glück habe, werde ich erfahren, wer noch alles befallen ist und die Pestgrube aufdecken, aus der dieser Unrat entschlüpft ist."

"Große Worte von einer, die mal größer werden wollte als ihre Tante", stichelte Daianira, die im Moment wohl wieder selbstsicherer zu sein schien.

"Nur die Wahrheit, Daianira. Gebiete denen, die dir folgen, sie mögen sich bereithalten, jene, die der versklavte Minister wider sie aussendet ohne sie zu töten zurückzuschlagen. Denn wahrlich denke ich, daß er keinen Tag mehr verstreichen lassen will, um euch empfindlich zu treffen."

"Und was ist mit denen, die dir folgen, Anthelia. Gehört Donata Archstone auch dazu?"

"Wie kommst du auf sie?" Fragte Anthelia.

"Weil sie so einfach nach Kanada ging, ohne sich gegen die Entlassung zu wehren, als wüßte sie, daß der Minister nicht mehr Herr seiner Sinne ist."

"So, sie ist in Kanada", erwiderte Anthelia überrascht tuend. "Und ich fragte mich schon, wo ich sie finden kann, um ihr meine Unterstützung anzubieten. Eine Schwester in wichtiger Stellung wäre dir wie mir sehr zuträglich."

"Sie ist bereits eine meiner Schwestern", knurrte Daianira. "Also lass sie in Ruhe, falls du sie nicht schon längst zur Untreue verleitet hast, was ich bedauerlicherweise nicht beweisen kann", knurrte Daianira. Anthelia nickte ihr vielsagend zu. Dann sagte sie noch:

"Der Fall Bokanowski deckt auf, daß es bald von Nöten ist, mich nicht nur euch Sprecherinnen zu offenbaren. Sei darauf gefaßt, daß ich bald zu allen entschlossenen Schwestern sprechen werde. Und wage nicht einmal, dies zu unterbinden. Ich erhalte Kunde davon, wenn du derartiges auch nur andenkst. So lebe einstweilen wohl!" Sie verließ das Haus Daianiras und saß auf einem Harvey-Besen auf, den sie in einer Nische abgestellt hatte. Sofort wurde sie unsichtbar und war fort, ehe Daianira erkannte, in welche Richtung sie flog. Die Hexenlady ging nachdenklich in ihr schönes Haus zurück und setzte sich in den Salon. Diese Anthelia war mächtig, für sie natürlich zu mächtig. Aber wenn es stimmte, daß Bokanowski, der Naturschänder und Lebensfeind, immer noch lebte und nun mit widerlichen Parasiten versuchte, mächtige Diener zu bekommen, sollte diese Antehlia den doch bekämpfen. Gewann sie, waren sie ihn los. Verlor sie, würde Daianira einen Weg finden, ihn zu erledigen. Aber zumindest wäre dann auch Anthelia verschwunden. Radierten sie sich gegenseitig aus, dann war es natürlich noch viel besser. Dann war nur der irre Emporkömmling übrig, mit dem sie sich herumschlagen mußten. So oder So, im Moment konnte und wollte sie nichts unternehmen.

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Rodrigo Pataleón thronte förmlich in seinem großen, schwarzen Ohrensessel in seinem runden Zimmer, das viele Dutzend Meter unter dem tiefsten Metro-Schacht der pulsierenden Hauptstadt Spaniens gelegen war. Er rauchte gerade seine Zigarre, die ihm sein Amtskollege aus Kuba vor einem Monat mitgebracht hatte, als sich die panhispanischen Zaubereiminister zu ihrer alljährlichen Lichtmessversammlung getroffen hatten. Der magische Luftfilter sog den dicken, blauen Dunst sofort auf, als dieser bis zur Decke emporgestiegen war. Im Moment war außer dem behäbig wirkenden Zauberer mit dem aschgrauen Haarkranz und der Goldrandbrille mit kreisrunden Gläsern niemand im Zimmer. Die vier spitzbogenartigen Fenster zeigten genau die Aussicht, die ein Betrachter genau über dem Ministerium haben würde, ein Rundblick in Mitten des Retiro-Parks. Niemand hätte vermutet, das knapp einhundert Meter unter dem Platz die wichtigste Einrichtung der spanischen Zaubererwelt ja auch der ganzen Spanisch sprechenden Länder Südamerikas zu finden war. So hätte der ehrwürdige Herr in Priestergewändern, der gerade die Ruhe des Parkes Genoß, mit Sicherheit die Flucht ergriffen, wenn er gewußt hätte, daß die von seiner Religion streng verachtete Zauberei ihre Hauptverwaltungsbehörde unter seinen Füßen betrieb und jederzeit jemanden zu ihm hätte hochschicken können, gleich einem aus höllischem Abgrund auffahrendem Dämon. Pataleón richtete die glühende Spitze seiner Zigarre auf die Tür, als wolle er diese besonders einräuchern. Sein Blick galt dem aufgeschlagenen Aktenordner, der vor ihm auf dem Tisch lag. Der spanische Zaubereiminister hatte keine rechte Lust, diesen Vorgang zu studieren. Aber er mußte es tun. Denn der Leiter der Strafverfolgungsabteilung, Fausto Durante, bestand darauf, daß der Minister selbst alles las, was es über die sogenannten Entomanthropen gab, die in Frankreich wieder aufgetaucht sein sollten.

"Im Jahre 1563 erstmalig beobachtet", las er halblaut. "wurden von der damaligen Großmeisterin dunkler Kräfte namens Sardonia nach mutmaßlichen Vorgaben Salazar Slytherins aus gemeinen Honigbienen der Species Apis mellifera und Menschen beiderlei Geschlechts zusammengekreuzt. Verfahren bis heute Unbekannt. Merkmale: Körperlänge zwischen 2 bis 2,50 Meter, schlanker Insektenkörper mit gelb-schwarzem Ringelpanzer exakt wie bei natürlichen Insekten, zwei Flügelpaare, vier Arme und zwei Beine Menschenähnlich. Kopf menschenähnlich mit normalem Mund, großen Facettenaugen, großen runden Ohren, Nasenstumpf und etwa einen Arm lange behaarte Tastorgane. Körperkraft am Boden entspricht der fünfzehn bis zwanzig athletisch ausgereifter Männer. Vermutete Höchstgeschwindigkeit am Boden unter Benutzung der hinteren Arme 80 Stundenkilometer. Im Flug annähernd 200 Stundenkilometer." Er dachte daran, daß die modernen Rennbesen also locker mit diesen Wesen mithalten konnten, was ihn etwas beruhigte. Doch dann las er weiter: "Körperpanzerung widersteht allen stumpfen Hiebwaffen und ist sehr reißfest, widersteht Feuer und ätzenden Gasen oder Flüssigkeiten. Fluchresistenz 99 %." Das trieb ihm eine große Falte auf die Stirn. "Bisher nur von Avada Kedavra zu bekämpfen. Blankwaffen und Metallgeschosse können bei ausreichender Wucht den Panzer durchdringen. Gelungene Abschüsse von Entomanthropen mittels Armbrustbolzen aus gehärtetem Stahl. Eingeschränkte Wirkung des magischen Feuerballs. Hitzebeständig bis 500 Grad Celsius, sehr hohe Gifttoleranz (können aufgenommene Gifte zu den selbst erzeugten in der Giftvorratsblase zur Einspritzung in ihren ausfahrbaren Giftstachel einlagern. Erwiesene Schwachpunkte: Keine große Intelligenz (Schwarmdenken mit absoluter Hörigkeit dem sie kontrollierenden Meister gegenüber), sind abhängig von Kommunikationsstoffen ihrer Brutmutter und erstarren bei Temperaturen unter -5 Grad Celsius und sterben bei Temperaturen unter -30 Grad Celsius innerhalb einer Viertelstunde ab." Pataleón grummelte, daß genau dieses Wetter sehr häufig in Spanien vorkäme, was er natürlich ironisch meinte. Dann las er noch: "Höchste belegte Anzahl: 3000 Exemplare, davon 2995 Schwarmmitglieder und 5 gefundene Brutmütter (Königinnen). Art der Fernüberwachung und Befehlsübermittlung: Unbekannt." Er knurrte wie ein wütender Wolf und verlor fast die brennende Zigarre aus dem Mund. "Gelungene Vernichtung fast aller Exemplare und vier Königinnen bei den Kämpfen zwischen Sardonia und einer der sogenannten Abgrundstöchter (Siehe Beschreibung Succubus / Lahilliotas Töchter), bis nach dem Sturz Sardonias 1642. Es wird gemutmaßt, das die letzte Königin mit 100 Arbeitsentomanthropen irgendwo in den Bergen der Bretagne verborgen ist, um im Bedarfsfall neue Kolonien zu schaffen. Doch jede bisherige Suche brachte weder einen Beweis für noch gegen die Existenz überlebender Exemplare dieser Züchtungen. Weiterhin wird gemutmaßt, daß das sagenumwobene Kurzschwert der Entschmelzung, daß nach überliefertem Wissen aus dem ebenso sagenumwobenen alten Reich (auch Atlantis genannt) eine effektive Waffe gegen diese Wesen darstellt, da dieses magisch fusionierte Geschöpfe, ob gerade erschaffen oder durch ermöglichte Fortpflanzung aus jeder Folgegeneration in die Ausgangswesen zerlegt." Der Zaubereiminister schloß den Aktenordner und legte ihn auf den Tisch zurück. Das konnte ja was geben, wenn diese Ungeheuer wirklich von irgendwem losgelassen würden. Selbst wenn es bei den Hundert blieb, die da noch versteckt gewesen waren, war das eine unbedingt zu beachtende Gefahr, vor allem wenn sie wie Drachen eine verdammt hohe Magie- und Giftresistenz besaßen. Über die passive Transfigurationsresistenz stand in der Akte nichts. Aber er konnte sich denken, daß ein Verwandlungsgroßmeister mindestens zehn Versuche benötigte, um eine Verwandlung eines Wesens hinzubekommen, neun zu viel. Wenn dann, wie bei Schwarmtieren üblich, noch mehr als nur ein Exemplar zur gleichen Zeit in der Nähe war, versagte jeder Verwandlungsversuch.

"Miguel, ich schreibe gleich eine Nachricht an meinen französischen Kollegen Grandchapeau. Wie gut ist ihr Französisch?" Wandte sich Pataleón über das Sprechrohr an seinen Untersekretär eine Etage über ihm.

"Meine Rechtschreibung ist soweit brauchbar, Exzellenz. Soll ich zum Diktat kommen?"

"Ja, bitte", sagte der spanische Zaubereiminister. Als sein Untersekretär zu ihm gekommen war diktierte er ihm die Anfrage an die Adresse des französischen Zaubereiministers, von dem er besonders erfahren wollte, ob bei den Entomanthropen eine PTR ermittelt werden konnte und ob es sich bei dem Schwert der Entschmelzung nur um einen Mythos handele oder es tatsächlich existiert habe und womöglich nachgeschmiedet werden könne. Als der Brief dann unterwegs war lehnte sich der Minister wieder zurück und genoß die Zigarre bis zum letzten Rest. Er blickte aus dem nördlichen Fenster und sah die in Sonntagsgarderobe gekleideten Muggel durch den Park flanieren. Viele Familien nutzten den heiligen Ostersonntag, um mit ihren Verwandten durch die gepflegten Parkanlagen zu spazieren, nachdem sie vorher dem österlichen Gottesdienst beigewohnt hatten. Pataleón war einige Male in einer der umliegenden Kirchen gewesen und hatte sich Weihnachts- oder Ostermessen angesehen. Er teilte zwar den Glauben an die Hoffnung auf eine Erlösung vom Bösen, aber nicht die Ansichten der Kirchenvertreter bezüglich Gottes Wort oder dem sogenannten Antichristen, sowie die grundsätzliche Ablehnung der Zauberei als böses Übel, wobei sie begründeten, daß wer sich der Zauberei ergebe den heeren Grundsatz, daß nur Gottes Wille zu geschehen habe widersetzte. Da mußte sich Pataleón doch schmunzelnd fragen, was an der technischen, mechanisierten und elektrisch betriebenen Welt anders war als in der zauberei, wo jedermann gegen die göttliche Einteilung von Tag und Nacht verstoßen durfte, wenn er oder sie elektrisches Licht mit einem Fingerdruck ein- und ausschaltete, ja dieses Licht heutzutage schon bei einbrechender Dunkelheit von seelenlosen Rechenmaschinen eingeschaltet wurde, von der Medizin, die Menschenleben besser bewahren konnte als die Natur alleine ganz zu schweigen. Sicher hatte die Kirche immer auch gegen die wissenschaftlich entdeckten und erfundenen Neuerungen gewettert, aber Zauberei war und blieb den Vertretern der römisch-katholischen Weltordnung immer noch das größte Gräuel.

"Herr Minister", unterbrach die Stimme seines Untersekretärs ihn in seinen Gedanken über Weltordnungen und Weltanschauungen. "Eine schnelle Eule aus Gibraltar. Señor Ortega bittet um Ihr persönliches Erscheinen. Er hat dort etwas über die vermißte Kreatur, diese Itoluhila in Erfahrung gebracht."

"Mein Persönliches Erscheinen? Das ist doch eine Sache für die Abteilungen von Durante und Molinar", erwiderte der Minister.

"Offenbar geht es um Informationen, die jemand anbietet. Ich schicke Ihnen den Brief herunter."

Mit lautem Fauchen fuhr ein zusammengerolltes Stück Pergament aus dem Sprechrohr, daß im Bedarfsfall auch als direkte Rohrpost benutzt werden konnte. Er nahm den Brief und las, daß ein zauberer aus Libyen eine Erfindung anzubieten habe, die speziell zum Aufspüren jener Kreaturen benutzt werden konnte, die zu den Abgrundstöchtern gehörten. Gelänge dies, so José Ortega, ein guter Beamter des Zauberwesenbüros, könnten sie nicht nur Itoluhila aufstöbern und eventuell vernichten, sondern auch die andere wache Kreatur bekämpfen, ja auch die genauen Standorte der Höhlen ermitteln, in denen die restlichen schlafenden Kreaturen verborgen waren. Zwar war vielen Zaubereiministerien der ungefähre Ort bekannt, wo die schlafenden Abgrundstöchter ruhten, aber genau herankommen konnte bisher niemand, geschweige die Verstecke betreten. Pataleón las, daß der betreffende Zauberer zur Bruderschaft des blauen Morgensterns gehöre, jedoch nicht nur seinen Mitbrüdern diese Waffe anbieten wolle, damit jedes mächtige Zaubereiinstitut diesen Wesen nachjagen konnte. Obendrein sollte dieser Zauberer, dessen Namen der Minister nicht richtig behalten konnte, eine Golem-Massenvernichtungswaffe ersonnen haben. Da die letzten Überfälle Voldemorts auch gezeigt hatten, daß ihm ein Golemmeister zur Seite stand erschien es dem Zaubereiminister sehr günstig, ein solches Artefakt oder eine Zaubereianleitung in die Hände zu bekommen. Ortega führte am untersten Ende des Pergamentes aus, daß die spanische Zaubererwelt dadurch eine ergiebige Geldquelle in die Hände bekommen könne. Doch der Minister dachte nicht in Einnahmekategorien, sondern nur daran, wirksame Waffen gegen Golems oder andere düstere Kreaturen in Händen zu haben. Doch er wollte nicht die Katze im Sack kaufen. Doch weil er ausdrücklich persönlich erscheinen sollte, um bestenfalls den Vertrag vorzubereiten und die Geldanweisung in die Wege zu leiten, mußte er sich gut überlegen, ob er auf die Sache eingehen oder es besser lassen sollte. Es konnte ja auch eine Falle sein. Immerhin, so hatte er von Nachrichtensammlern in Amerika zugetragen bekommen, war einen Tag vorher der Gegenkandidat von Zaubereiminister Davenport getötet worden. Doch er beschloß, eine Leibwache mit Tarnumhängen mitzunehmen. So sagte er seinem Untersekretär, daß er mit zehn Mann aufbrechen und nach Gibraltar reisen würde, um den Ominösen Anbieter und Ortega zu treffen. Keine fünf Minuten später waren zehn der bestausgebildeten Zauberer aus der ministerialen Leibgarde angetreten, um zusammen mit dem Minister und seinem Untersekretär nach Gibraltar zu reisen. Sobald sie an dem vereinbarten Treffpunkt nicht weit vom weltberühmten Affenfelsen eintrafen sahen sie überhaupt nichts. Erst als sich ein Reißverschluß in leerer Luft zeigte und zu einem dreieckigen Durchgang auseinanderzog erkannte der Minister, daß sich vor ihnen eines der legendären Spähzelte befand, eine sündteuere Konstruktion aus den Häuten von Tebos und dem silbergrauen Fell der Demiguisen-Affen, von denen auch einige für die meisten Augen unsichtbar auf dem Felsen herumturnten. Ortega trat aus der Öffnung, während die Leibwächter sich sofort daranmachten, das Zelt mit Spürzaubern zu durchkämmen. Sie fanden jedoch nur Ortega, keinen weiteren Menschen.

"Oh, da sind Sie ja schon, Exzellenz", grüßte der kleinwüchsige Zauberer mit schwarzem Haar und spitzen Ohren, der mutmaßlich einen Kobold in der Ahnenreihe hatte den Minister mit einer tiefen Verbeugung.

"Wundert mich, daß ich Sie hier alleine treffe", sagte der Minister argwöhnisch. "Sie schrieben doch was von einem Hasan Al-Weiß-nicht-mehr-wer, also einem aus Libyen, der mir sagenhafte Dinge verkaufen wollte."

"Nun, Hasan ist gerade in drängenden Angelegenheiten hinter dem Felsen. - Nein, Paco, den lassen Sie besser von selber zurückkommen." Ein Leibwächter wolte schon ausschwärmen, den Affenfelsen zu untersuchen. "Wir müssen die Privatsphäre des Meisters respektieren, unter allen Umständen. Deshalb hat das Zelt hier auch keine Toiletteneinrichtung."

"Wann wird er denn zurückkehren?" Fragte der Minister immer noch mißtrauisch.

"Nun, er ist vor einer Minute aufgebrochen. Da ich ihn natürlich nicht fragen konnte, was er nun verrichten muß kann er jede Sekunde zurücksein oder noch einige Minuten ausbleiben."

"Gut, ich komme zu Ihnen in das Zelt. Meine Leibwachen bleiben hier draußen in Deckung, falls er darauf ausgeht, mir was zu tun!" Ordnete der Minister an, nahm dann aber noch zwei Leibwächter mit ins Zelt. jetzt, wo sie durch die Tarnung hindurchgeschlüpft waren, konnte der Minister eine kleine aber gemütliche Wohneinrichtung mit einem Divan, einem Tisch, mehreren Öllampen und einem Regal mit Geschirr und anderen Gebrauchsgegenständen sehen. Unter dem Tisch standen mit weichem Fell gepolsterte Hocker bereit. Die Leibwächter sagten, daß nichts magisches oder verdächtiges an den Sachen war.

"Es wird etwas heiß hier", meinte Ortega und griff behutsam nach dem Reißverschluß und zog daran. "Das Zelt hat eine Selbstkühlung. Es könnte in Mitten der Sahara stehen, ohne daß jemand drinnen schwitzt oder friert", fügte er noch hinzu, während er den Reißverschluß zuzog und das Zelt und dessen Insassen damit komplett tarnte. Kaum war das Zelt Verschlossen verstummte sogar jedes Geräusch von außen. Die Leibwächter, nun von der eigenen Unsichtbarkeit irritiert, stießen Laute der Entrüstung aus. Der Minister wollte gerade fragen, wozu es gut sei, wenn alle Geräusche von außen ausgesperrt würden, als Ortega und Miguel wie in einem einstudierten Duett "Avada Kedavra" riefen. Der Minister sah mitten aus der leeren Luft die grünen Todesblitze und hörte das verhängnisvolle Sirren. Doch nicht ihm galt der Doppelschlag. Als er links und rechts von sich zwei schwere Körper niederstürzen hörte, war ihm klar, daß gerade seine beiden Leibwächter eliminiert worden waren. In einem Anflug von Geistesgegenwart warf er sich zu Boden, wollte auf den Reißverschluß des Zeltausgangs zukriechen, als ihn bereits jemand von hinten packte und in den Schwitzkasten nahm. Er rief um Hilfe. Doch offenbar gelangten auch keine Geräusche nach draußen. Als er dann noch einen grellen Feuerschein sah, der das Zelt wie eine Kuppel überdachte, stockte ihm der Atem.

"Deine Leute hätten nicht gleich ins zelt stürmen sondern den Boden der Umgebung nach dem Einstieg zur Höhle absuchen sollen, Rodrigo", knurrte Miguel Jerez überlegen. Dann hätten sie alles gefunden, was dich noch hätte retten können. Jetzt sind die alle tot, und du gehörst dem Herrn und Gebieter."

"Zur Hölle mit euch", knurrte Pataleón und versuchte, dem unsichtbaren Gegner mit einem Ellenbogenstoß an den Kopf die Überheblichkeit auszutreiben. Doch da war noch jemand heran und ergriff ihn bei den Armen. Miguel ließ von dem Minister ab, der einen Fußtritt austeilte und den unsichtbaren Gegner irgendwo traf. doch das führte nur dazu, daß er brutal niedergestoßen wurde. Jemand hockte sich auf seine Beine, während der zweite ihm die Arme auf den Rückenbog, bis Pataleón den Schmerzensschrei nicht mehr unterdrücken konnte.

"Hast dir wohl eingebildet, wir wären Schwächlinge, was?" Knurrte Ortegas Stimme. Oder war das am Ende nicht Ortega? "Sieben, hol unseren Kameraden endlich raus, damit die Runde vollständig wird! War ja doch einfacher als gedacht."

"Dann müssen wir ihn schocken, bevor der wieder wie ein Gaul austritt", knurrte Miguel. Der Minister versuchte, sich aus der doppelten Umklammerung zu befreien. Doch es gelang nicht. Die beiden Verräter waren zu stark für ihn, was eigentlich seltsam war, wo er jeden Tag mit einem Schwermacherkristall seine Stärke und Ausdauer trainierte. Als ihn ein Schockzauber traf, verflogen erst einmal alle Gedanken.

"Dieser Idiot!" Schnaubte Ortega, als er das Zelt wieder öffnete. "Aber die Sache mit den versteckten Feuerzaubern und der nicht direkt im Zelt wirkende Doppelklangkerker waren erfolgreich."

"Wie erklären wir, daß zehn Leibwächter draufgingen?" Fragte der, der bis eben noch als Miguel angesprochen worden war. "So wie es ist. Wir sind in eine Falle geraten und mußten uns zurückziehen. Die Leibwachen haben unseren Rückzug gedeckt. Wo sie blieben wissen wir nicht. Aber hol schon unseren Bruder aus der Lampe, damit Pataleón auch in die noble Sammlung wichtiger Zauberer aufgenommen wird!" Knurrte Ortega, der in Wirklichkeit Igor 11 oder Elf hieß. Sieben alias Miguel Jerez griff nach einer der kleineren Öllampen, schraubte den Deckel ab und fischte einen fingerlangen Metallzylinder heraus, den er öffnete und vorsichtig ein winziges, menschliches Wesen herausholte und vorsichtig auf den Boden stellte. Das Wesen zog einen haardünnen, gerade einen Millimeter langen Zauberstab hervor und deutete auf sich selbst, worauf es innerhalb von wenigen Sekunden zu einem etwa 1,50 Meter großen, gedrungen wirkenden Mann heranwuchs. Draußen tobte immer noch das magische Feuer. Doch es würde in knapp zehn Minuten zusammenbrechen. Vielleicht würden dadurch noch einige Leibwächter des Ministers den Tod finden. Denn sie wußten ja nicht, wo sie apparieren sollten, um ihrem Herrn zu helfen. Igor 22, auch nur Zweiundzwanzig genannt, sah seine Beute, den Zaubereiminister an und verzog das Gesicht.

"Habt ihr den geschockt?" Fragte er auf russisch, der eigentlichen Sprache des teuflischen Trios, das nun mit einem bewußtlosen Zaubereiminister und zwei toten Leibwächtern im Zelt stand.

"Blieb nichts anderes übrig, Zweiundzwanzig. Der hat um sich geschlagen und getreten und ist ziemlich stark. Er trainiert mit einem Schwermacherkristall", sagte Elf. Sieben nickte bestätigend.

"Macht den wieder wach, weil ich sonst seine ganzen Erinnerungen nicht übernehmen kann!" Knurrte Zweiundzwanzig. Sieben, der gerade den Untersekretär des Zaubereiministers verkörperte, hob seinen Zauberstab und sprach "Enervate". Als der Minister wieder zu sich kam, sah er die Zelteinrichtung und die Leichen seiner Beschützer. Dann erkannte er den dritten Mann und fragte sich, wo der plötzlich hergekommen war. Doch viel schlimmer war, daß er ihn erkannte.

"Verdammt, Bokanowski!" Knurrte er. "Ihnen habe ich diesen Überfall also zu verdanken!" Der Minister fischte nach seinem Zauberstab. Doch da war zweiundzwanzig bereits bei ihm und umklammerte seinen Hals. Pataleón konnte den Zauberstab zwar noch ziehen, doch ein gezielter Tritt seines angeblichen Untersekretärs fegte diesen aus der Hand. Dann setzte bei Pataleón das ein, was seinem amerikanischen Kollegen Davenport und einigen anderen Zauberern bereits zugestoßen war. Als er nur noch ein winziges Abbild seiner selbst war, jedoch aktionsunfähig war, wurde er in den kleinen Metallzylinder gesperrt, aus dem Zweiundzwanzig vor einer Minute hervorgekommen war.

"Fehlen jetzt nur noch der Franzose, der Deutsche, der Engländer und Arcadi", sagte Zweiundzwanzig, der nun haargenau wie Pataleón aussah und klang und nun auch alles wußte, was dieser wußte.

"Wollte der Herr und Gebieter nicht diesen Ruster-Simonowsky-Zauberer von hier haben?" Fragte Elf alias Ortega.

"Erst wenn wir auch den Franzosen haben", sagte Sieben. Dann deutete er auf Elf. "Du weißt, daß der Herr und Gebieter dich in Frankreich haben will?" Fragte er. Natürlich wußte Elf es. Er sollte Grandchapeau übernehmen, wenn Dreiundzwanzig diesen dazu überreden konnte, mit ihm alleine einen kurzen Ausflug zu unternehmen. Wenn das erledigt war, würde sowohl Orfeo Colonades als auch der in Paris lebende Bengel Julius Andrews so gleichzeitig es ging in die Hände des Meisters fallen. Elf griff in eine andre Öllampe auf dem Tisch und holte einen weiteren Metallzylinder heraus. Er schraubte den Deckel ab und holte ebenfalls ein winziges Menschlein heraus, das genau wie Ortega aussah. Er schloß den Zylinder wieder. Dann warf er den beinahe leblosen Körper Ortegas mit großer wucht gegen das Regal, wo er wie eine plattgehauene Stubenfliege auseinanderplatzte. Sofort setzte bei Elf die Rückverwandlung in sein eigentliches Ich ein. Eine grauenhafte Wandlung vollzog sich auch mit den zerschmetterten Überresten Ortegas, die anwuchsen und bald so wirkten, als sei der Zauberwesenexperte aus großer Höhe abgestürzt. Doch die drei Handlanger Bokanowskis beachteten es nicht weiter, Sie gossen alles Öl aus den Lampen, das von ihrem Herrn und Meister mit einem besonderen Zusatz versehen worden war, daß es fünfmal so schnell abbrannte wie gewöhnlich. Elf nahm eine der Zigarren des Ministers und zündete sie an. Er legte sie so in das Regal, das ihre glühende Asche in weniger als einer Minute in das ausgegossene Schnellbrennöl fallen und dieses schlagartig entzünden würde. mit dem gefangenen Minister im für Spürzauber undurchdringlichen Metallzylinder verließen sie das Zelt und durchquerten die immer noch lodernden Flammen von innen nach außen, ohne Schaden zu nehmen. Erst wenn sie es wagen sollten, umzudrehen und zurückzulaufen, würde ihnen Sardonias Flammenkuppel zum Verhängnis. Das Spähzelt würde gleich von alleine brennen und durch das vergossene Öl zu einem Haufen Asche zerfallen. Die drei Handlanger Bokanowskis disapparierten in verschiedene Richtungen. Da trafen gerade mehrere Spürtrupps des Zaubereiministeriums ein und standen vor der Feuerkuppel.

"Also war es doch eine Falle", knurrte Durante, der Leiter der Strafverfolgungsabteilung. "Das ist dieselbe Feuerkuppel, mit der Sardonia vor mehr als dreihundert Jahren gearbeitet hat. Sie ist undurchquerbar. Also vergessen Sie den Flammengefrierzauber und den Brandlöscher!"

"Zauberfeuer kann doch durch anderes Zauberfeuer aufgehoben werden, Señor Durante", versuchte sich einer der Strafverfolgungszauberer in Klugheit.

"Das hier nicht, weil es für die ganze Dauer aus den unerschöpflichen Feuerquellen von Sonne und Erdkern gespeist wird. Was Sie da sehen ist also verpflanztes und auf diesen Bereich gerichtetes Sonnenfeuer und solches aus dem Erdkern. Das kriegen Sie mit dem Brandlöscher oder eigenen Feuerzaubern nicht gelöscht."

"Dann ist der Minister tot?" Fragte einer.

"Woll'n hoffen nicht", knurrte Durante. Sie warteten noch, bis die Flammenkuppel zusammengebrochen war. Dahinter loderte jedoch noch ein Feuer, das dicken Qualm ausstieß. Es konnte mit den Brandlöschzaubern und starken Wasserstrahlen innerhalb von zehn Sekunden erstickt werden. Doch viel zu finden war nicht mehr. verkohlte Knochensplitter und Asche waren die Zeugen dessen, was hier passiert war. Doch als ein Bote aus dem Ministerium in sicherer Entfernung apparierte und Durante zurief, der Minister sei in Sicherheit, atmeten alle auf. Doch zehn Leibwächter waren verschwunden, möglicherweise tot, und auch Ortega war nicht aufzufinden. pataleón verfügte, daß über die Angelegenheit solange nicht gesprochen und erst recht nichts der Zeitung gesagt werden sollte, bis eindeutig feststand, wer die Falle gestellt hatte. Pataleón schloß nicht aus, daß jemand aus dem Ministerium Verbindung zu den Verbrechern unterhalten habe. Diesen Maulwurf galt es zu erwischen, sagte Pataleón seinem Strafverfolgungsleiter und dem Leiter der inneren Schutztruppe, den er gebeten hatte, die Angehörigen der zehn getöteten Leibwächter erst übermorgen zu informieren, wenn klar war, ob sie wirklich gestorben waren oder nicht. Zumindest wurden sie einstweilen vertröstet, daß sie wegen der Bedrohung aus England und anderswo einen zusätzlichen Bereitschaftstag einlegen und dafür im Ministerium verbleiben sollten. So erfuhr die Öffentlichkeit in Spanien und darüber hinaus nicht, daß der Minister zu einem merkwürdigen Treffen ausgezogen war und nur mit dem Untersekretär und ohne Leibwache zurückgekehrt war.

__________

Antehlia wußte, was sie tun mußte. Sie hatte Donata Archstone eine Eule an Edgar Fowler schicken lassen, deren Brief besagte, er sei in Gefahr, weil jemand Linda Knowles gefangen genommen und dabei erfahren habe, er habe Interna aus dem Ministerium verraten. Als Edgar Fowler, ein noch sehr junger Zauberer mit schlachsiger Statur und kurzem blondem Haar mit einem Besen und einer Reisetasche unter dem Arm sein Haus verließ, folgte ihm Antehlia auf ihrem Harvey-Besen. Er sah sich immer wieder um, flog große Umwege, bis er Kurs auf einen kleinen Wald nahm, der in der Nähe seiner Heimat lag. Dort landete er. Keine fünf Sekunden später traf ihn ein Schockzauber. Anthelia schnellte von ihrem Besen herunter, schrumpfte Fowler auf zehn Zentimeter ein, verbarg ihn behutsam in ihrem Umhang und saß wieder auf. Da hörte sie aus der Ferne anfliegende Besen. Sie hob ab, unsichtbar und beinahe vollkommen lautlos. Als sie erkannte, daß es Zauberer aus dem Ministerium waren, erkannte sie, daß sie wohl gerade in letzter Sekunde an Edgar Fowler herangekommen war. Sie flog einige hundert Meter weit und disapparierte dann vom Boden aus. Sie landete an der Grenze der vereinigten Staaten und Kanadas und wartete genau vier Sekunden. Dann verschwand sie erneut und erschien in der Daggers-Villa. Da dieser Ort von einem Fidelius-Zauber geschützt war, würde niemand nachvollziehen können, wo sie endgültig gelandet war. Sie bettete Fowler im Weinkeller auf den Tisch, wo sie selbst einst ihren Körper empfangen hatte, deckte ihn zu. Erst morgen Früh würde sie ihn in die Zivilisation zurückkehren lassen, wenn sie sich nach ihm totgesucht hatten.

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Linda Knowles konnte bald nicht mehr. Wie ging der Ausdauerzauber noch mal? Ach nein, dazu fehlte ihr ja schon die Kraft. Sie mußte was machen. Sie mußte irgendwie von hier fort und an einen Ort, wo sie zunächst ausschlafen und dann planen konnte, was sie tun konnte. Sie wußte, daß ihr niemand glauben würde, daß mit Davenport was nicht stimmte. Niemand? Sie konnte sich jemanden vorstellen, der das mit Davenport abkaufen würde, ohne sie gleich an den Minister auszuliefern. Ihr Redakteur würde die Geschichte bringen, allerdings den Minister diesbezüglich befragen lassen und damit das Elend doch noch über sie hereinbrechen lassen. Die einzige, die ihr glauben und sie erst einmal verstecken würde war Maya Unittamo, ihre alte Hauslehrerin. Doch die wohnte in New Orleans. Wie weit mochte das von hier fort sein? Egal! Sie mußte die Apparition in den Weißrosenweg wagen. Zumindest war es noch dunkel genug. Sie konzentrierte sich auf den Eingang zum betrunkenen Drachen, der weithin beliebten Gastwirtschaft und Herberge und stellte sich vor, jetzt genau dort zu stehen, mit allen Fasern ihres Körpers. Als sie fast schon glaubte, dort zu stehen und genug Willenskraft in sich angesammelt hatte, warf sie sich in die Apparition hinein. Wie laut sie disapparierte war ihr in diesem Moment egal.

Als sie schließlich am ausgesuchten Ort stand hörte sie jedoch den aus großer Entfernung zu ihr zurückkehrenden Widerhall des lauten Knalls, mit dem sie hier aufgetaucht war. Sofort duckte sie sich und eilte so leise sie konnte davon, noch bevor Bachus Vineyard, der Wirt des betrunkenen Drachens erbost das über der Eingangstür gelegene Schlafzimmerfenster aufriss und seinen Kopf in die klamme, kühle Nachtluft hinausstreckte. Er blickte sich um. War da nicht gerade wer ganz hastig die Straße entlanggelaufen? Wer zum versoffenen Donnervogel hatte es gewagt, um fünf uhr Morgens mit solch einem Radau zu apparieren. Seine Frau Philomena grummelte schlaftrunken:

"Was'n Los, Bach? Mach Fenster zu. Is' fies kalt draußen."

"Irgendwer ist da gerade ziemlich laut vor unserer Eingangstür appariert und dann einfach weggerannt, als wäre jemand hinter ihm her."

"jemand der spät nach Hause gekommen ist und nicht vor dem eigenen Haus apparieren wollte", knurrte Philomena Vineyard. "Mach wieder zu, Bach!"

"Ich weiß nicht, ob ich das nicht melden soll", sagte der Wirt des betrunkenen Drachens.

"Nur, wenn was passiert, Bach. Mach zu!" Nölte seine Frau. Er schloß das Fenster wieder und kehrte zu ihr ins Bett zurück. In einer halben stunde würden sie eh aufstehen, damit pünktlich um sechs der Betrieb im Schankraum losgehen konnte.

Linda Knowles derweil erreichte das Haus Weißrosenweg 51 und klingelte vorsichtig. Wenn Maya ihre halbe Verwandtschaft hier hatte, dann konnte sie schlecht für Linda sorgen, fiel ihr jetzt erst ein. Als dann eine kleine Hexe mit weißblondem Haar die Tür aufsperrte und Linda sofort erkannte, wurde sie ohne großes Begrüßungsritual ins Haus gezogen.

"Bist auf der Flucht, wie? Vor wem, Mädchen?" Flüsterte sie ganz leise, aber unüberhörbar laut genug für Linda. Sie ließ sich erst in den Salon führen. Dort errichtete Maya Unittamo einen Klangkerker und imperturbierte sogar die Tür, sperrte den Kamin und holte mit einer lockeren Zauberstabbewegungsabfolge eine große Flasche und zwei Gläser aus dem Nichts.

"Ich wollte Sie nicht belästigen, Mrs. Unittamo. Aber ich fürchte, man wird hinter mir hersein."

"Wer?" Fragte Maya Unittamo. "Man ist für mich nicht existent", fügte sie hinzu. Linda erinnerte sich. Maya sagte höchst selten "Man", wenn sie was verdeutlichen wollte. Bei einem Tadel sagte sie "Das gehört sich nicht" oder "Das ist nicht richtig" statt "das tut man nicht". Auch sonst fand sie andere Begriffe für das verallgemeinernde "Man". So erzählte sie ihr bei dem heraufbeschworenen Met, was ihr passiert war und das sie sich wunderte, daß diese Hexe, die sie verhört hatte sie einfach so irgendwo abgeladen hatte.

"Oh, Mädchen, das wäre der Knüller deines Lebens, wie? Der Minister ist von einem Parasiten befallen, der nur für dich hörbar klopft, du kannst dir nicht anders helfen als dich durch ein Klo spülen zu lassen und landest in einem Wald, wo eine Sabberhexe namens Morpuora haust, die dich mal eben mit ihrem Schlafbann überrumpelt. Tja, und diese Hexe, die dich verschleppt und verhört und dann einfach so ausgesetzt hat ist die Krönung des ganzen. Aber ich glaube dir jedes Wort, Lino. Das mit dieser ominösen Hexe und Morpuora habe ich von woanders her schon, und was dem Minister passiert sein mag ist für mich auch leider nur zu vorstellbar. Allerdings heißt das, daß wir alle uns wohl gut ducken müssen."

"Vor allem kann ich erst einmal nicht nach Hause oder in die Redaktion. Die könnten sogar hier in den Weißrosenweg kommen."

"Dann sollte ich dich mal gut unterbringen. Wie war das, deine Ohren streiken bei Verwandlungen?"

"Zumindest habe ich das bei der Verflüssigung so empfunden und bei Autonebulation. Wenn ich ein Lebewesen werde, geht's, weil ich da entsprechende Hörnerven ausbilde. Aber der Umbroriginis-Zauber, Mrs. Unittamo.""

"Hmm, ja, den zu umgehen ist nicht einfach. Hmm, geht aber klar. Ich werde dich ein paar Tage bei mir unterstellen können, ohne daß das jemand mitkriegt. Kuck mal auf die Fensterbank!" Linda blickte auf die breite Marmorfensterbank, wo vier große Tontöpfe mit schönen Frühlingsblumen und ein paar Kakteen standen. "Such dir eine aus!" Sagte Maya. Linda verstand. Sie hatte es zweimal gemacht, sich in eine Pflanze zu verwandeln und mehrere Tage vor einem Haus zu lauern, bis sie genug Material gesammelt hatte. Die Sinneswelt der Pflanzen war zwar etwas gewöhnungsbedürftig, aber zumindest konnte sie ihre magischen Ohren benutzen, die zwar mit einem leisen Summen während der Verwandlungszeit protestierten, aber nicht ausfielen oder einen in den Wahnsinn treibenden, überlagernden Pfeifton produzierten. Ein Gestaltwandel zu einem Tier brachte nur ein Brummen, während die Verwandlung nicht vollendet war. Dann ging es aber. Linda suchte sich einen einen halben Meter hohen Kaktus aus. maya nickte und schickte Kaktus und Topf mit einem Ortsversetzungszauber an einen anderen Platz. Dann beschwor sie einen identischen Blumentopf herauf, ließ aus ihrem Zauberstab mit "Venihumus" frische Erde hineinfallen und sah dann Linda an, die anstalten machte, sich zu verwandeln.

"Neh, Mädchen, das läßt du mich besser machen!" Sagte Maya und drückte den Zauberstab von Linda herunter, bevor sie die erste Geste machen konnte. "Ich kenne die Pflanze bis auf den letzten Stachel genau und habe doch mehr Übung darin. Außerdem muß ich erst den Topf mit einem Contraroriginis-Zauber belegen, damit nicht irgendein Schlaumeier vom Ministerium mit dem Umbroriginis-Zauber rausfindet, wer sich da von mir gießen lassen möchte." Sie zauberte mit einigen Stupsern an den Topf ein blaues Leuchten, das einige Sekunden vorhielt und dann verschwand. Dann bat sie Linda, sich mit nackten Füßen in den großen Topf zu stellen. Als sie das tat, fühlte sie auch schon, wie sie darin einsank und fest verwurzelt wurde, während ihre Arme zu zwei von mehreren dicken, stacheligen Blättern wurden und ihr Kopf sich fast in den Körper zurückzog. Erst summte es sehr laut in ihren Ohren, dann gerade so laut, als lausche sie einem entfernten Elektrotransformator, den sie auf ihrer Jagd nach Neuigkeiten schon häufiger bei elektrischen Geräten der Muggel hatte surren hören können. An das Geräusch konnte sie sich gewöhnen, zumal sie alles andere wie gewohnt laut hörte. Sie vernahm die Herzschläge der im Haus befindlichen Verwandten und das leise Sirren des Klangkerkers, das wohl im Ultraschallbereich für Normalohren lag. Als sie sich nicht mehr bewegen konnte und auch ihren Herzschlag und Atem nicht mehr hörte, sagte Maya unittamo: "Nur zwei Sekunden, Lino! Ich dachte deine PTR sei durch die Ohren um einiges höher geworden." Linda konnte nicht sprechen. Aber sie konnte mentiloquieren. So teilte sie ihrer altehrwürdigen Komplizin auf Zeit mit, daß sie sich mal hatte messen lassen und bei vier von hundert eingeordnet worden war.

"Als du von Thorny weggegangen bist lag deine PTR bei zwei, Lino. Auf jeden Fall kannst du jetzt für ein paar tage da bleiben. Aguamenti!" Linda fühlte und hörte den dünnen Wasserstrahl, der aus Mayas Zauberstab zu ihr in die weiche Erde drang und in ihre zu Wurzeln gewordenen Füße hineinsickerte. Sie wurde nun auf die Fensterbank gestellt und so gedreht, daß ihr Gesichtsfeld auf den Salon gerichtet war. Sie fühlte die prickelnden Sonnenstrahlen, die ihre Blätter berührten und zusammen mit dem Wasser und den darin gelösten Nährstoffen alle Erschöpfung der nacht vertrieb wie starker Kaffee. Wielange würde sie nun hier ausharren und den Salon mit etwas mehr Sauerstoff anreichern müssen oder dürfen? Jedenfalls würde hier so schnell keiner nach ihr suchen.

Maya betrachtete die Pflanze, die vorhin noch die sehr anziehende aber auch sehr neugierige Musterschülerin Linda Knowles gewesen war. Sie fragte sich, ob sie wirklich das richtige tat, dem Minister nicht zu erzählen, daß sie sie getroffen hatte. Doch in ihrem Kopf, der schon bald hundert Jahre im Gebrauch war, schwirrten Gedanken und Erinnerungen. Sie hörte die leider für immer dahingegangene Jane Porter sagen, daß es wohl jemanden geben mochte, die sich in der Hierarchie der Nachtfraktion hocharbeiten wollte. Sie erinnerte sich an Maria Montes, die eigentlich als Muggelfrau zu sehende Polizeiagentin, die dieses sehr starke Artefakt besaß, von dem sie sich damals noch nicht sicher war, ob es nicht eines der magischen Erbstücke der Kinder Ashtarias war. Jetzt wußte sie es genau, nach all den Ereignissen um diese Abgrundstochter Hallitti, diese Hexen, die sie vernichtet hatten und diversen Abgängen hochrangiger Hexen und Zauberer war ihr sonnenklar, daß Lino nicht übertrieben hatte. Sie konnte sich auch denken, daß diese ominöse Hexe, die sie verschleppt und verhört hatte, diejenige war, die Julius Andrews vor Hallitti gerettet hatte. Offenbar war diese Hexe skrupellos in der Verfolgung ihrer Ziele, ging dabei aber nicht über jede sich anbietende Leiche. Was den Minister anging, so fragte sie sich jetzt, ob der schon immer von einem solchen Leiseklopfer - ein besseres Wort fiel ihr nach Linos Beschreibung nicht ein - befallen war oder erst vor kurzer Zeit? Dann stach ihr die Antwort schmerzhaft ins Gehirn. Natürlich mußte das seit kurzer Zeit sein, weil Lino es sonst schon viel früher mitbekommen hätte und ja ausgerechnet in der Nacht davor ein Einbruchsversuch stattgefunden hatte. Der Einbruch war wohl gelungen. Aber nicht um den Minister oder etwas ihm wichtiges mitzunehmen, sondern ihm etwas dazulassen, was ihn auf Linie brachte, irgendwem zu dienen. Es war kein grüner Willenswickler. Soviel stand fest. Dann wäre der Minister ja wesentlich langsamer gewesen. Sie mußte jemandem darüber Mitteilung machen, ohne daß der Minister es mitbekam. Einfach verreisen konnte sie nicht, weil sie den ganzen Stall Verwandtschaft hier hatte. Blieben also nur Briefe oder Bilder. Wie gerne hätte sie jetzt mit Jane gesprochen. Doch die war nicht mehr da. Doch dann viel ihr ein, wen sie anschreiben konnte. So holte sie Pergament und Schreibzeug und schrieb einen langen Brief, in dem sie Linos Aussagen so haarklein sie sich daran erinnern konnte schilderte und mit den Worten schloß:

"Ich bin mir sicher, keinem sensationellen Schabernack aufzusitzen und garantiere Ihnen, daß ich Ihnen auch keinen Unsinn erzählen will.
Mit kollegialen Grüßen
                    Maya Unittamo"

Sie ging leise in ihre kleine Privateulerei unter dem Dach und gab ihrer Schneeeule Blizzard den Brief mit. Das sehr junge, ausdauernde Männchen sollte zunächst nach Kanada fliegen und von dort aus die Nordatlantikstrecke bis England und dann bis Millemerveilles. Sie hoffte, daß der schnelle, kleine Kerl in nur vier Tagen am Ziel sein würde, also am Mittwoch. Sie hatte es mal geschafft, ihn ohne Flohnetz in einer Woche bis nach Australien zu schicken, wobei er erst bis fast runter zur Antarktis und von da zwischen Feuerland und Neuseeland einen Flugmarathon hingelegt hatte. So wunderte sie sich schon gar nicht mehr, als Blizzard mit nur zehn Flügelschlägen mehr als hundert Meter von ihrem Haus entfernt zu einem kleinen Punkt zusammengeschrumpft war. Wenn er die Strecke flog, die sie ihm genau beschrieben hatte, konnte er bei Erschöpfung irgendwo zwischenlanden. Sie kehrte zurück in den Salon, warf noch einen Blick auf Lino und widmete sich dann ihren Gästen.

__________

Der Montag war gekommen. Anthelia hatte den restlichen Sonntag darauf gehört, ob wegen Linda Knowles oder Edgar Fowler etwas an die Öffentlichkeit gedrungen war. Sie ärgerte sich, daß sie nun auch auf die verläßliche Informationsquelle Donata Archstone verzichten mußte. Aber der pickierten Daianira Hemlock ging es da ja nicht anders, dachte sie mit leichter Schadenfreude. Sie wußte, daß das Eis nicht gerade dick und fest war, auf das sie sich gleich wagen würde. Andererseits war sie durch Linda Knowles' Bericht in eine günstige Lage versetzt worden, doch noch eher als erwartet handeln zu können. Sie begab sich um genau sieben Uhr Morgens, als Dido Pane mit Izanami Kanisaga, der japanischen Mitschwester über die Hexen und Zauberer in Fernost sprach, in den Weinkeller, wo der immer noch betäubte Edgar Fowler lag. Sie holte zwei Metallringe hervor, die sie bereits einmal erfolgreich eingesetzt hatte. Etwas mulmig war ihr schon, wenn sie daran dachte, wie aufwühlend die Verwandlung gleich sein würde. Sie berührte einen der Ringe mit ihrem Zauberstab, und er sprang auf. Sie legte ihn dem Betäubten um den Hals. Wach mußte der Junge dafür wirklich nicht sein. Das hätte Dairon dann eindeutig in seine Gebrauchsanweisung geschrieben. Sie tippte den zweiten Ring an, öffnete ihn so und legte ihn sich um den eigenen Hals und schloß ihn. Sogleich spannte sich leise sirrend ein goldener Lichtbogen zwischen Edgar und ihr, wurde zu zwei goldenen Spiralen und dann zu rotgoldenen Körperauren, die beide umhüllten. Anthelia meinte, von eiskalten Fäusten durchgewalkt zu werden, während sie in einem eiskalten Strudel zu treiben glaubte. Sie fühlte Schmerzen, die sie fast aufschreien ließen. Dann war es auch schon vorbei. Die Leuchterscheinungen und das Kältegefühl verflogen, und auf dem Tisch lag Anthelias Körper, bewußtlos. Edgar Fowler stand im rosaroten Umhang vor dem langen Tisch mit den Daunendecken und dem Körper Anthelias darauf. Doch es war Anthelias Geist, der nun in Edgars Körperform dastand, bis jemand einen der beiden Ringe zu lösen vermochte. Sie mentiloquierte Pandora, sie solle zu Izanami und Dido beschäftigen, da sie ausgehen müsse. Dann wartete sie, während die Erinnerungen Edgars in ihr Bewußtsein strömten, wie damals, als sie für einige Stunden den Körper einer Geschichtsprofessorin und Expertin für Vorstellungen dämonischer und himmlischer Wesen ausgeborgt hatte, um einen völlig wertlosen Versuch zu unternehmen, den Anführer einer großen Verbrecherbande daran zu hindern, Hallitti und ihren Abhängigen weiter zu jagen. Sie hörte, wie Pandora oben eintraf, holte einen Tarnumhang aus dem abschließbaren Schrank und warf ihn sich über. Dann disapparierte sie so leise es ging, um knapp hundert Meter vor dem Ministerium wieder aufzutauchen. Sie wußte, daß sie mit den ganzen verfluchten Gegenständen am Leib unmöglich in das Ministerium hineinkonnte. Würde sie durchsucht, käme sie keinen Meter mehr weit. Sie entsann sich, daß es in der Nähe des Ministeriums einen Bergrücken gab, auf dem ein Beobachtungsstand lag, von dem aus die Gegend nach Muggeln abgesucht werden konnte, woraufhin dann ein Apparitionswall um den Berg hochgezogen wurde und der Besucherkorb außer Betrieb blieb, bis der oder die Muggel wieder außer Sichtweite war. Sie blickte sich um und entdeckte einen kleinen Felsvorsprung. Da diese Leute da nur auf Leute blickten, die von weit her zu Fuß anreisten oder mit einem Muggelfahrzeug ankamen, würde sie erst einmal unbehelligt bleiben. Sie ging ruhig, aber wachsam den Weg entlang, den Bergwanderer benutzen konnten, erreichte nach etwa einer Stunde das Plateau und näherte sich leise dem Häuschen, in dem drei Zauberer vor drei Bildverpflanzungsleinwänden saßen, die von gut versteckten Teleskopen mit davon aufgefangenen Bildern beliefert wurden.

"Heute nix los, Roy", hörte sie telepathisch mit, wie jemand mit seinen Kollegen sprach. Das würde sich gleich ändern. Sie konnte keinen Fluch loslassen, weil das sofort Alarm geschlagen hätte. Aber Fernbewegungszauber waren hier oben nicht zu erfassen, wie töricht.

"Erst um zehn wird's prickelnd, Clark", sagte Roy Conners gerade zu Clark Stanley. Anthelia schlich sich noch näher heran. Dann konnte sie die drei sehen. Sie erkannte sie als Roy Conners, Clark Stanley und Frank Neumann, Kollegen von Edgar Fowler und heute wohl zum Muggelmeldedienst abkommandiert. Sie sah Roy Conners an, der sich gerade in seinem Stuhl zurücklehnte und Konzentrierte sich. Mit einem telekinetischen Stoß warf sie den Stuhl so heftig um, das Conners mit dem Hinterkopf auf die Schreibtischkante schlug. Als seine Kollegen den "Unfall" bemerkten und ihm zur Hilfe kamen packte etwas Stanleys arm und führte ihn zu einem wuchtigen rechten Haken, der Neumann voll an der Nase erwischte und außer Gefecht setzte. Er selbst bekam den nun leeren Stuhl von unten gegen das Kinn geschmettert und ging ebenfalls KO.

"Das sollte Donata wissen, wenn sie hier wieder arbeiten darf", dachte Anthelia belustigt und mitleidsvoll, bevor sie Edgars zauberstab nahm und ihn an zwei Stellen an die Tür tippte, wobei sie die zwei Losungsworte der Woche wisperte. Brav ging die Tür auf. Anthelia trat in das Häuschen ein und besah sich mit dem anerzogenen Verantwortungsgefühl der Heilerin den angerichteten Schaden. Conners blutete am Hinterkopf. Die beiden anderen lagen schlaff und bleich am Boden. Sie behandelte die Verletzungen und gab den dreien eine Dosis eines Schlaftrankes, den sie in weiser Voraussicht eingesteckt hatte, um unnötige Zuschauer ohne den Zauberstab benutzen zu müssen aus dem Verkehr zu ziehen, wie Cecil sich einmal ausgedrückt hatte. Sie schloß die Tür, blickte noch einmal auf die Leinwände, stellte die Stühle zurecht und besah sich die drei Messingräder, mit denen der Muggelalarmzustand ausgelöst werden konnte. Das eine brachte die bezauberten Teilstücke zusammen, die ein Antiapparitionsfeld erzeugten. Das zweite stoppte den Besucherkorb. Das dritte informierte alle Abteilungen im Ministerium über die Annäherung. Sie drehte erst das Antiapparitionsrad, dann das für den Korb und dann das für den Alarm. Die umgekehrte Reihenfolge wäre die vorschriftsmäßige gewesen, wußte sie. Aber sie setzte andere Prioritäten. Sie trug die drei betäubten Wächter hinaus und hinter das haus. Danach versperrte sie die Tür mit einer Verschlußzauberkombination, wobei sie ihren eigenen Zauberstab verwendete. Dann griff sie zum Ende des Sprachrohrs. Von jemanden unten hörte sie telepathisch mit, wie eine weiblich modulierte magische Stimme ausrief, daß wegen unmittelbarer Nähe nichtmagischer Personen das Apparieren vorübergehend unmöglich und der Besucherkorbbetrieb eingestellt war. Sie wartete fünf Minuten, während die Alarmansage immer und immer wieder durch die Abteilungen klang.

Dann sagte sie mit Edgars Stimme:

"Hi, Leute, hier der entflogene Vogel Eddie Fowler. Ich will mit dem Boss alleine reden, hier oben im Muggelmeldehäuschen. Wenn der nicht raufkommt oder meint, wen hochzuschicken bleiben alle Sperren zu, und ich fliege zu meiner Süßen Lino und lasse sie den Westwind das Lied singen, daß der Boss nicht hören will."

Es verging keine halbe Minute, da erklang die Antwort von Wishbone, wie sie aus Edgars Erinnerungen erkannte:

"Eddie, was soll der Drachenmist. Wir suchen dich schon überall. Komm zu uns runter und lass dich zum Boss bringen. Der will mit dir reden. Aber mach sofort die Apparitionssperre und das Geblubber aus. Wir haben hier 'ne Schulklasse aus Thorny."

"Um so besser. Dann kriegen die gleich mit, was mir die lauschige Lino gesungen hat, nachdem die sich vorgestern durch das Damenklo gespült hat. Ich kann von hier aus auch direkt in alle Abteilungen reinsprechen, wie du weißt, Luke."

"Du bist wohl verrückt geworden, Eddie. Außerdem heißt das im Moment Mr. Wishbone. Nachdem du vorgestern Feierabend gemacht hast hat der Boss mich zum Leiter der inneren Schutztruppe befördert."

"Na dann herzlichen Glückwunsch nachträglich", gab Anthelia unangemessen locker klingend zurück. "Okay, Mister Wishbone, sagen Sie seiner Exzellenz, dem Zaubereiminister, gleich singe ich ihm vor, was morgen im Westwind und dem Herold zu lesen sein wird, daß sie sichere Beweise hat, daß mit dem Boss was nicht stimmt."

"Der Minister kommt nicht rauf. Du kommst runter!" Knurrte Wishbone. Anthelia lächelte.

"Okay, dann spreche ich jetzt zu allen Abteilungen", sagte sie locker. Wishbone lachte nur. Doch dann meldete sich der Minister selbst:

"Wishbone, sagen Sie dem Deserteuer und Verräter, ich nehme seine Einladung an!"

"Deserteur hat mitgehört, Sir", erwiderte Antehlia und forschte nach, wo der Minister stecken mochte. Immerhin konnte er sich in die allgemeine Sprechanlage einschalten. "Kommen Sie alleine zu mir, Sir. Andere zu schicken würde die heftig aus dem Tritt bringen, wie meine Freunde Roy, Frank und Clark. Ich will nur wissen, was an Linos Geschichte echt oder getürkt ist. Dann mache ich dem ganzen Spuk ein Ende und lasse mich gerne einbuchten."

"Das glaube ich Ihnen zwar ganz und gar nicht, aber ich habe wohl keine andere Wahl. Prinzipalin Wright hat wohl schon erfahren, daß wir hier eine Absperrung haben."

"Dann kommen Sie jetzt. Allein", erwiderte Anthelia. "Ich habe einen Meldezauber aufgerufen, der mir zeigt, wenn mehr als einer zu mir hochfährt", fügte sie hinzu. Das stimmte zwar nicht, wäre aber auch nicht nötig gewesen. Der Minister grummelte. Dann sagte er, Edgar solle den Alarm ausstellen. Anthelia tat dies.

Eine halbe Minute später raste der ministerielle Sonderfahrstuhl nach oben, Anthelia fühlte sofort, daß da eine wohlvertraute telepathische Strömung war, die tendentiell nach Südwesten wies. Südwesten? Saß Bokanowski etwa in den Staaten? Das konnte nicht angehen. Aber vielleicht konnte sie seinen Sklaven austricksen. Sie rechnete sogar damit, daß der Zaubereiminister unter dem Einfluß Bokanowskis die unverzeihlichen Flüche anwendete. Mit einer Hand umklammerte sie ihr Seelenmedaillon, um einen Imperius-Angriff zurückzuschlagen. Dann hielt der Fahrstuhl knapp neben dem Häuschen. Sie lauschte telepathisch, ob noch jemand mitgefahren war. Doch erst als sie Davenport wütend und mit Einsatzbereitem Zauberstab vor der Tür erscheinen sah wußte sie, daß sie beide es unter sich ausmachen würden.

"Tür auf!" Knurrte der Minister, während Anthelia ihn telepathisch abhörte. Seinen Geist hielt er verschlossen. Doch der verräterische Strom halbgedanklicher Impulse war schon überdeutlich. Ja, und er pulsierte wahrhaftig. Offenbar hatte sie damals in Russland nur auf die Ausrichtung geachtet. Anthelia spannte sich an, entspannte sich und entriegelte die Tür. Diese flog nach innen auf, und der Minister sprang herein. Wie einfältig war er doch. Anthelia fing ihn telekinetisch ab, hob ihn vom Boden und ließ ihn in der Luft hängen. Perplex von der Wendung wollte der Minister den Zauberstab auf sie richten, da hielt sie ihren silbergrauen Stab in der Hand. Der Minister erstarrte. Offenbar kannte da wer genau diesen Stab. "Iovis amplifico!" Rief Anthelia, wobei sie mit dem Stab auf den Hals des Ministers deutete. Ein gleißender Blitz schlug laut krachend über. Das konnte den Tod des Ministers bedeuten, wußte sie. Aber zumindest würde das ihn beherrschende Geschöpf abgetötet. Tatsächlich empfing sie eine Art kurzen, aber lauten Schrei und verlor fast den telekinetischen Halt. Schlaff hing der Minister in der luft. Sie ließ ihn auf den Boden sinken, warf die Tür zu und verriegelte sie wieder. Dann sah sie, wie der Minister aufsprang und auf sie losgehen wollte. Sie rief:

"Frühling kommtin meinen Sinn,
wenn in der Sonn' schmilzt Schnee dahin!"

"Häh?! Was soll denn das jetzt", knurrte der Minister. Dann schien in ihm etwas umzuspringen. Anthelia dachte erst, der Auslöser für den unterbewußten Gehorsamszauber greife doch. Doch dann grinste der Minister und sah sie an.

"Gut, du Mistkerl hast mich enttarnt. Aber Danke, daß du mir diesen Seelenstern weggebrannt hast. Jetzt kann meine billige Kopie mich nicht mehr fernüberwachen."

"Wer bitte?" Fragte Anthelia teilweise ehrlich erstaunt.

"Gib's zu, du arbeitest für den Kerl, der uns damals schon die Suppe versalzen wollte. Aber dein Pech, daß ich alleine bin. Deine Telekinese nützt dir gleich nichts mehr. Contramotus!" Rief er, mit dem Zauberstab auf sich deutend. Anthelia wußte, daß sie ihn jetzt für fünf Minuten nicht mehr fernbewegen konnte. Da schoss er auch schon auf sie zu. Sie tauchte ab. Da fiel ihr ein, daß er sich irrte. Ihn konnte sie zwar nicht mehr beeinflussen. Krach! Der nächste stuhl flog Davenport an den Kopf und warf ihn um. Doch irgendwie schien er hart im Nehmen zu sein und kam wieder hoch. Diesmal traf der Stuhl den vorschnellenden Zauberstab. Der damit aufgerufene Fluch fraß sich laut knisternd durch die Bildverpflanzungsleinwand, die laut prasselnde Blitze sprühte, sich dabei schwarz verfärbte und wie verbrennendes Laub zerfiel. Dann sauste der fernbewegte Stuhl noch einmal auf den Brustkasten des Ministers und trieb ihm laut pfeifend die Luft aus den Lungen. Anthelia wartete nicht mehr, bis der Mann da vor ihr sich bewegte, sondern fesselte ihn magisch. Sofort kämpfte er gegen die Stricke an, die ihn banden, spannte sie gefährlich stark.

"Wer bist du!" Rief Anthelia nun sehr gefährlich klingend.

"Ich bin der Zaubereiminister von Amerika, Blödmann! Gleich bin ich frei, und dann erwürge ich dich mit bloßen Händen, du Wicht!"

"Du bist niemals der echte Zaubereiminister!" Rief Anthelia gefährlich klingend. ""Wer bist du!"

"Dein größter Alptraum, du junger Narr. Euer aller größter Alptraum bin ich." Anthelia empfing Gedanken. Der Fremde war zu sehr mit seinen Fesseln beschäftigt. Sie rief ihm zu, daß sie keine Angst vor Voldemort habe, und sie ihn für klüger gehalten habe. Da lachte der Zauberer, der gerade einen der sonst so unzerreißbaren Stricke angerissen hatte.

"Ich bin doch nicht dieser Schlammblüter Voldemort! Ich bin Doktor Igor .... Aarrrg!" Anthelia hätte den Namen nicht einmal soweit mit den Ohren hören müssen. Sie hatte genug aufgefangen. Als dann eine Schmerzenswelle den Körper des Fremden durchpulste wußte sie, daß sie keine Sekunde verlieren durfte. Mit einem lauten Rattern drehte sich das Antiapparitionsrad zurück in seine Ruhestellung. Als der gefesselte Mann von innen her aufglühte, disapparierte Anthelia. Der aus dem angeblichen Zaubereiminister herausplatzende Feuerball ergriff den Boden, den Tisch und die leicht brennbaren Leinwände.

"Feuer! Feuer! Feuer!" Plärrte jene weibliche Zauberstimme, diesmal sehr erregt betont. Doch da keiner hier war, der darauf hören konnte, ja kein lebendes Wesen in der Nähe war, trat sofort die Löschvorrichtung mit tiefgekühltem Kohlendioxyd in Kraft, vertrieb Hitze und Sauerstoff und ließ das Feuer innerhalb von Sekunden ersterben. Doch von dem gefesselten Mann war schon nichts mehr übrig.

Anthelia apparierte in der Nähe des Ministeriums. Unter dem Tarnumhang verfolgte sie mit, wi innen die Leibwache ausschwärmte und den Direktfahrstuhl aufsuchte. Dann fiel einem auf, daß die Apparitionsmauer nicht mehr da war und wechselte Zeitlos in das Muggelmeldehäuschen hinauf. Dann ging die Nachricht an die innere Sicherheitsabteilung, daß der Minister tot sei. Anthelia nutzte diesen Schreckmoment aus und apparierte in der Eingangshalle. Sie wußte von Donata, was sie anstellen konnte, um den Notfallzustand auszulösen. Feuer war zu einfach und zu gefährlich für die unschuldigen Besucher hier. Also feuerte sie statt dessen drei mächtige Flüche in drei Richtungen, darunter einen Todesfluch, der sirrend in die Decke fuhr. Sofort ging der Vollalarm los.

"Achtung! Sofortige Evakuiierung! Das Zaubereiministerium wird angegriffen! Achtung! Sofortige Evakuierung! Das Zaubereiministerium wird angegriffen!" Bellte die allgegenwärtige magische Stimme befehlsbetont. Immerhin hatten die sich für soetwas eine Frauenstimme ausgesucht, stellte Anthelia anerkennend fest. Sie schleuderte noch einen Todesfluch in die nächste Wand, nachdem sie sicher war, keinen zu treffen, der oder die in Panik davonrannte. Dann disapparierte Anthelia, um sofort im Büro des Ministers aufzutauchen, wo das Schrhillen der Alarmglocke und die zur Evakuierung auffordernde Stimme laut genug zu hören waren. Sie sah auf den Boden und entdeckte einen schwer verletzten Mann, der so aussah, als sei er beinahe zerquetscht worden. Um seinen Körper herum verstreut lagen halbrunde Metallsplitter wie Scherben eines winzigen Glases. Anthelia erkannte, daß sie dem Zaubereiminister entweder langwierig behandeln mußte oder ihm den Todesfluch als Gnadenstoß geben konnte. Immerhin konnte der Minister an den schweren Quetschungen gestorben sein, die das Freisprengen des winzigen Metallgefäßes ihm bereitet hatte. Ja, das war wohl die bessere Lösung! "Avada Kedavra!" Rief sie. Zu dem übrigen Alarm schrillte jetzt noch ein Warnton. Anthelia machte, daß sie wegkam, erst in die Damentoilette bei Columbus, Ohio, und von da in die Daggers-Villa!

Dort kehrte sie die Körpertausch-Verwandlung wieder um. Dann mentiloquierte sie Donata Archstone, sofort zu ihr zu kommen. Das tat sie sooft, bis es krachte und die zur Zeit suspendierte Strafverfolgungsleiterin im Versammlungsraum stand. Als sie sah, wer auf dem Tisch lag, sah sie Anthelia an.

"Ich habe eine sehr heimtückische Sache aufgedeckt und beendet, Schwester Donata."

"Ich hörte es gerade, daß jemand ins Ministerium eingedrungen ist. Ich habe noch ein paar nette Kollegen da, die mir das per Blitzboten zugestellt haben. Hast du Davenport getötet?"

"Ja, letztendlich habe ich das", sagte Anthelia. "Ich gab ihm den Gnadenstoß, weil er bereits zu schwere innere Verletzungen und Knochenbrüche aufwies. Hätte ich als Heilerin dort gestanden, wäre es ein wochenlanger Prozeß gewesen, ihn annähernd wiederherzustellen. Das Leben war nur noch ein kleiner Funke. Er zuckte nicht einmal, als der Fluch ihn berührte. Aber das eigentlich ungeheuerliche daran ist, er wurde durch einen Eindringling ersetzt, der wiederum ein Simulacrum dessen ist, den ich von Anfang an in Verdacht hatte."

"Bokanowski. Moment, der hat einen Doppelgänger des Ministers erschaffen. Was sollte das dann mit diesem Parasiten?"

"Ganz einfach und auch genial. Bokanowski erbrütet Ebenbilder seinerselbst und versieht diese mit seinem Wissen und Können. Damit diese es nicht wieder ihn einsetzen können werden sie wohl im frühstadium mit diesen Parasiten - wie nannte er es selbst? -, diesen Seelensternen, versehen, um sicherzustellen, daß das Abbild nicht das Original angreifen kann. Als ich den Parasiten abtötete wurde der Geist des Abbildes frei und vermeinte, das Original zu sein. Doch sein Schöpfer hat noch eine Vorkehrung ersonnen, um seine Ebenbilder davon abzuhalten, seinen Platz einzunehmen. Wenn sie ihm entgleiten, ruft er den Distignitus-Fluch auf, dem er wohl alles unterwirft, was seine Bestien-Brutstätte verläßt."

"Verstehe. Aber was hat das mit dem echten Minister zu tun?" Fragte Donata.

"Bokanowski ist ein wahrer Meister in der Manipulation mit lebenden Wesen. Er schickte Handlanger aus, eine Hydra zu erlegen. Wer es schafft, Fleisch und Blut einer dieser von schneller Selbstheilung begüterten Schlangenwesen zu erbeuten und es mit diversen Ingredentien zu einem Sud zu verkochen und diesen in eine oder mehrere Zuber gießt und freiwillige oder unfreiwillige Probanden darin baden und davon kosten läßt, verleiht diesen die Gaben der Hydra, wie eine Schlange zu kriechen, übermenschliche Kraft aufzuwenden und durch Berührung Körper und Wissen eines Opfers zu übernehmen. Dabei muß das Opfer jedoch am Leben gehalten werden. Das Opfer schrumpft zusammen und kann in einem magischen Gefäß geborgen werden. Stirbt das Opfer, kehrt der Eindringling in seine wahre Gestalt zurück. Stirbt der Eindringling, wächst das Opfer sofort wieder zur vollen Größe an. Befindet es sich dabei in einem Metallbehälter, wie der Minister es bedauerlicherweise tat, wird der Körper dabei zusammengepreßt, bis die Umhüllung abgesprengt wird oder das Opfer unrettbar zerquetscht wird wie eine Fliege unter dem Hammer. Slytherin ersonn diese perphide Manipulation, und weil meine Tante nicht alles von ihm übernehmen wollte hat sie niemals an dieses Zauberwerk gerührt."

"Unglaublich!" Stieß Donata aus. "Dann hieße das ..."

"Das der Naturschänder bereits mehrere getreue Sklaven in den Machtzentren der ganzen magischen Welt untergebracht hat", vollendete Anthelia den Gedanken ihrer Mitschwester.

"Moment, daß hieße dann auch, daß der Tod von Ironquill auch auf diesen Kerl zurückginge. Aber wieso wurde der getötet und nicht wie Davenport ausgetauscht?" Wollte Donata Archstone wissen. Anthelia überlegte. Diese Frage war schon berechtigt. Dann zuckte sie unter der blitzartigen Erkenntnis zusammen und sah Donata mit weit aufgerissenen Augen an.

"Offenbar besitzen jene, die Ruster-Simonowsky-Zauberer heißen, eine natürliche Barriere gegen die Vereinnahmung durch einen Magier, der sich die Kräfte der Hydra nur zu einem Teil aneignen konnte. Da dieser Ironquill ein solcher war und obendrein elementare Kräfte freisetzen konnte, steht zu vermuten, daß er seinen Angreifer zurückschlagen konnte. Doch dieser wehrte sich und täuschte einen Feuerunfall vor, bevor er aus mir unerfindlichem Grunde selbst die Existenz einbüßte. Natürlich kann es sein, daß Ironquill die Kraft der Elektrizität, die ein Kind des Feuers ist, anwandte, um den Gegner zu lähmen und dabei den ihm zugefügten Parasiten abtötete, worauf dessen Herr und Schöpfer ihn kurzerhand verglühen ließ. Daran wird es liegen."

"Es gibt nur drei Ruster-Simonowsky-Zauberer in der ganzen Welt. Gut, jetzt nur noch zwei", erwiderte Donata. "Einer lebt in Spanien. Den anderen kennst du schon sehr gut."

"Vertücktes Verhängnis! Dieser Naturschänder wird nach dem Fehlschlag mit Ironquill darauf sinnen, das Geheimnis der Widerstandskraft zu ergründen. Wenn es, wie du sagst, nur noch zwei solche Zauberer auf Erden gibt, so wird er danach trachten, sie in seine Gewalt zu bringen. Wo lebt dieser Spanier genau?"

"Das weiß ich nicht, höchste Schwester. Ich habe mich nur schlau gelesen, als ich Ironquills Herkunft und Werdegang studierte. Hätte ja durchaus mein nächster Vorgesetzter werden können."

"Oh, da sprichst du was an. Jetzt wird es einstweilen große Unordnung im Ministerium geben und jemand wird die Nachfolge pro Tempore übernehmen müssen. Wer könnte dies sein?"

"Swift ist raus, ich im Moment auch, bleiben noch Tallon als der Dienstälteste nach mir und Milton Cartridge, der vor Pole schon Leiter der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit war. Auf den tippe ich jetzt, höchste Schwester."

"Gut, so werden wir uns über diese Zauberer kundig machen. Halte dich bis zur Beruhigung der Lage in Kanada auf, um nicht in Verdacht zu geraten, den Minister getötet zu haben! Womöglich ergibt sich für Daianira Hemlock, dich und mich sogar eine Gelegenheit, unseren Einfluß ohne Gewaltanwendung zu steigern."

"Du möchtest mich im Ministerium haben, höchste Schwester? Im Moment erscheint mir dieser Posten etwas zu kurzlebig."

"Besprich das mal mit Lady Daianira!" Erwiderte Anthelia lächelnd. Donata nickte schwerfällig. Dann deutete sie auf Fowler. "Was machen wir mit dem?"

"Ich überlasse ihn dir. Töte ihn oder verfüge über sein Leben wie du möchtest", erwiderte Anthelia ruhig. Sie ahnte, daß Donata zu viel Mitgefühl für den Kollegen hatte und wollte ihr die Chance geben, etwas für ihn zu tun.

"Methode Todesser. Ich nehme ihn mit, manipuliere Sein Gedächtnis und gebe ihm die Überzeugung ein, er sei dem Imperius-Fluch unterworfen gewesen. Wenn er sich dann stellt und verhört wird werden sie keine andere Erklärung finden."

"Dann überlass mir die Gedächtnisveränderung!" Sagte Anthelia ruhig.

Als Edgar Fowler sieben Stunden später vor seinem Haus wieder aufwachte warteten bereits Strafverfolgungszauberer auf ihn. Er beteuerte seine Unschuld und daß ihn jemand mit einem dreieckigen Gesicht, dem Akzent nach ein Russe dazu angestiftet habe, Davenport umzubringen. Daß es sich um den falschen handelte, wußte Edgar nicht. Zumindest ging nun rum, daß ein russischer Feind das amerikanische Zaubereiministerium angesägt hatte. Wie Donata vermutete, wurde keine zwölf Stunden nach dem Aufruhr im Ministerium Mr. Milton Cartridge vor der versammelten Presse zum neuen Zaubereiminister ausgerufen. Er sagte sofort, daß Ende Juli Neuwahlen stattfinden würden und er diesmal nichts dem Zufall überlassen wolle, um sich und die ehrenwerten Kandidatinnen und Kandidaten vor heimtückischen Mordanschlägen zu schützen. Schade, daß Linda Knowles das nicht selbst mitbekam. Doch während sie die warmen Sonnenstrahlen und die ausgeatmete Luft im Salon zu Sauerstoff und Zucker verwandelte, erzählte ihr Maya, was in der Zeitung stand und riet ihr, bis zum Ende der Woche zu warten und dann wieder an die Öffentlichkeit zu treten.

__________

Armand Grandchapeau hörte am Montag über mehrere Blitzboten, daß sein Amtskollege Davenport, mit dem er vor kurzem noch persönlich gesprochen hatte, Opfer eines Mordanschlages geworden war, nachdem sein Gegenkandidat bereits ermordet worden war. Ihm gefiel es nicht, daß es in Amerika schon wieder zu gewaltsamen Vorfällen gekommen war, und das noch kurz nach dem Wiederauftauchen der Entomanthropen. Er schickte sofort ein Beileidsschreiben an Davenports Angehörige los und teilte schriftlich mit, daß er dem wohl bald neuen Zaubereiminister seine volle Unterstützung im Kampf gegen die dunklen Mächte gewähren würde. Als er noch hörte, daß ein junger Leibwächter des Ministers entführt und zum Mord an dem Minister verflucht worden war, erbleichte er. Wie konnte jemand so nahe an einen der Leibwächter herankommen. In den Meldungen hieß es, der wahre Täter sei klein und gedrungen gewesen und habe ein fast dreieckiges Gesicht besessen. Diese Beschreibung kannte er zu gut. Er wollte sofort den Strafverfolgungsleiter damit beauftragen, eine Fahndung nach Igor Bokanowski herauszugeben, der anscheinend nicht in seiner Burg verbrannt war, als seine Frau und seine Tochter ihn zu sprechen wünschten.

"Herr Minister", begrüßte Belle ihn vorschriftsmäßig und professionell. "Bevor wir uns morgen Madame Andrews' Vortrag anhören würde ich gerne mit Ihnen und dem spanischen Zaubereiminister über das Thema der Muggelwaffen sprechen. Madame Grandchapeau verriet mir, daß Señor Pataleón bisher nur unzureichend über die Kernspaltungswaffen der Muggelwelt informiert wurde. Womöglich können wir ihn für morgen auch einladen, den Vortrag zu hören. Soviel ich weiß spricht Madame Andrews auch Spanisch."

"Nun, ich könnte ihn schriftlich anfragen, ob er Lust hat", meinte Monsieur Grandchapeau wohlwollend lächelnd. "Aber Sie wissen ja, Madame Grandchapeau, daß es viele Zauberer und Hexen gibt, die nicht nur kein Interesse an den technischen Erzeugnissen der Muggelwelt haben, sondern sie schlicht verachten und mit Mißachtung würdigen, wenn ihnen jemand darüber etwas beibringen möchte."

"Nun, deswegen wäre es nicht so übel, wenn wir beide zu ihm hinreisten und im direkten Gespräch mit ihm erörtern, ob er das wissen will oder nicht", sagte Belle ruhig. Ihre Mutter nickte.

"Dann müßte ich auch den englischen Zaubereiminister hinzuziehen, der Fairness halber."

"Das haben Madame Grandchapeau und ich auch schon erörtert", sagte Nathalie. "Allerdings ist Minister Scrimgeour zurzeit mit der Jagd nach dem Unnennbaren beschäftigt und wagt es nicht, sein Land nur für eine Minute zu verlassen, und Minister Güldenberg aus Deutschland konferiert mit den Honoratioren seines Landes in der Burg Greifennest, bevor die Schüler dorthin zurückkehren."

"Interessant, das wußte ich nicht. Aber Minister Güldenberg hat es auch nicht nötig, seine Innenpolitik mit mir abzustimmen, solange es nicht um das Vorgehen gegen gemeinsame Feinde geht."

"Julius, ähm, Monsieur Andrews hat uns doch damals die Gefahren der Atomwaffen erläutert, weil er fürchtet, der Unnennbare könnte sich ihrer bedienen", wandte Nathalie Grandchapeau ein. Der Minister nickte. Damit war ihm klar, was seine beiden Mitarbeiterinnen und Familienangehörigen wollten. Er stimmte zu. Belle, die als einzige aus der Familie nicht nur Englisch sondern auch Spanisch dazugelernt hatte, sollte als Übersetzerin aushelfen, wenn Pataleón auch nicht gerade wenig Französisch konnte. Sie verabredeten sich für den Nachmittag. Grandchapeau mußte vorher kurz die Erlaubnis einholen, seinen spanischen Kollegen zu besuchen. Dieser zeigte sich sehr erfreut und lud den französischen Kollegen ein, ihn auf der Isla Comoda zu besuchen, einem kleinen und unortbaren Eiland westlich von Mallorca, wo die wohlhabendsten und wichtigsten Zaubererfamilien Spaniens kleine Landgüter, Fincas, besaßen. Keine drei Stunden später brachen der Minister und seine Tochter ohne zusätzliche Leibwache durch das Flohnetz auf. Pataleón wollte es gemütlich machen und erklärte, daß sein Haus mit dem Sanctuafugium-Zauber abgesichert sei. Das dies gelogen war, wußte zu diesem Zeitpunkt nur die Person, die Körper und Kenntnisse von Belle Grandchapeau übernommen hatte und nur durch den Seelenstern davon abgehalten wurde, die von Belle sonst gut unterdrückten Gelüste mit Adrian hemmungslos auszuleben. Als Grandchapeau keine zwei Stunden später bei Rotwein und Tapas dem Amtskollegen erzählte, was an einer Informationsveranstaltung über den Nordatlantikpakt so wichtig für die Zaubererwelt war, entschuldigte sich Belle für einige Minuten. Sie verließ den Raum und blieb einige Minuten aus. Als sie zurückkehrte, war sie nicht mehr allein. Neben ihr betrat ein kleiner, gedrungener Mann mit beinahe dreieckigem Gesicht und dunklen Augen den Raum und sah den Minister aus Frankreich an wie ein Kater die Maus. Noch bevor Grandchapeau die Falle als solche erkannte, war er von seinem spanischen Amtskollegen und seiner eigenen Tochter, die unerwartete, übermenschliche Kräfte besaß, überwältigt worden, und der Doppelgänger Bokanowskis ergriff die Kehle des Ministers, um diesen mit der Kraft der Hydra einzuschrumpfen, um dessen genaues Abbild zu werden.

"Gut, wenn ihr morgen diese neunmalkluge Nichtmagierin und ihren Sohn bei euch habt, kriege ich vom Meister bescheid. Dann hole ich Colonades ab. Dreiundzwanzig, du bringst den Jungen dann zur Burg. Nimm unsere Zylinder mit. Wir wissen ja jetzt, daß das auch über große Entfernung geht. Der Meister will sie in seinen Schaukasten stellen, zusammen mit denen, die noch ausstehen."

"Güldenberg ist in Greifennest", sagte Belles Doppelgängerin, die eher ein Er war. "Den schwedischen, bulgarischen und belgischen Zaubereiminister haben wir sicher. Der rumänische wird diese Nacht dazukommen. Vielleicht haben wir den Deutschen übermorgen auch."

"Das will der Meister. Also, besorge diesen Schlammblutmutanten. Dann bringe ich euch noch meinen. Soll der Meister sehen, was er mit ihnen anfangen kann", sagte Zweiundzwanzig, alias Rodrigo Pataleón. So zogen sie los, die drei Hydrawandler Bokanowskis, der bald nicht mehr aufzuhalten war.

__________

Anthelia beriet sich noch am Montag mit ihren wichtigsten Mitschwestern aus aller Welt, zu denen in diesem Fall auch die Russin Vera Barkow gehörte, die bereits einmal mit Anthelia gegen Bokanowskis Züchtungen gekämpft hatte. Beide legten dar, was sie von Igor Bokanowski wußten. Anthelia vermutete, daß dieser Zauberer ein unbrechbares Mißtrauen gegen jeden anderen Menschen hegte, daß er immer und überall die vollkommene Herrschaft haben wollte. Das sah sie als einen Schwachpunkt. Der andere Schwachpunkt, den sie sah, war eine übermäßige Selbstverliebtheit, die wohl darauf zurückging, daß er keinen anderen lieben oder verehren mochte.

"Er ist ein Einzelgänger, der Ebenbilder seiner Selbst erschaffen muß, um gemeinschaftliche Handlungen hinzubekommen", sagte sie. Dann erklärte sie noch, was sie durch die Begegnung mit dem Abbild Davenports erfahren hatte. Sie sprachen darüber, daß Bokanowski seine Abbilder mit diesen Parasiten fernüberwachte und dabei deutliche Gedankenströme ausstrahlten, auch wenn die Wirtskörper sich okklumentisch verschlossen hielten. Patricia Straton nickte. Außer Anthelia konnte auch sie ohne Legilimentik worthafte Gedankenausstrahlungen hören, ebenso wie die französische Zaubertranklehrerin Professeur Fixus. Pandora fragte, ob diese Gedankenausstrahlungen nicht mit irgendwelchen Geräten angemessen werden könnte und sorgte für eine lange Diskussion über bereits erfundene Geräte, die das Gemüt und bestimmte Gedanken wahrnehmen konnten, allerdings nur bei direktem Körperkontakt. Sie erkannten, daß sie mindestens einige Wochen experimentieren müßten, um eine Spürvorrichtung zu erschaffen, die aus sicherer Entfernung ansprach, legten dies aber als Ziel ihrer Schwesternschaft fest, ein solches Gerät zu entwickeln, sollte es nicht möglich sein, Bokanowski Einhalt zu gebieten. Anthelia bat Patricia Straton darum, mit ihr nach möglichen Abbildern Bokanowskis zu suchen, um im günstigsten Fall über die Gedankenströme, die sich nach den Himmelsrichtungen ausrichteten, den neuen Standort der Burg zu bestimmen. Stand dieser fest, würde Anthelia mit fünfzig Entomanthropen angreifen.

"Ich werde keine von euch dazu zwingen, mich in die Bestienburg zu begleiten, zumal ich durch das Erbe meiner großmächtigen Tante weitere kraftvolle Flächenzauber erworben habe, mit denen ich alleine mehr ausrichte als wenn ich mit einer großen Zahl von Helferinnen dort erscheine. Bokanowskis Verteidigung ist auf einen Großangriff ausgelegt. Ich werde ihm zur Ablenkung Sardonias fliegende Ungeheuer schicken, die versuchen sollen, die Burg und was darin ist zu übernehmen. Er wird wohl bald die Überlegenheit zurückgewinnen. Zumindest soll er das denken. Das wird mir die Gelegenheit geben, bis zu ihm vorzudringen und ihn endgültig zu entmachten."

"Wenn Davenport von diesem Kerl übernommen wurde, könnte der doch auch andere Zaubereiminister schon längst kontrollieren, vielleicht sogar schon seit Wochen, seitdem wir das letzte Mal von ihm hörten", wandte Vera Barkow ein. Anthelia nickte.

"Davon gehe ich sogar aus, daß er bereits ihm lohnenswerte Persönlichkeiten beherrscht. Deshalb werden Schwester Patricia und ich uns auch nach diesem Treffen stehenden Fußes nach Europa begeben und die wichtigsten Zentren der dortigen Zaubererwelt besuchen. Da wir im Moment die einzigen wirklichen Gedankenfernspürer sind, könnnen wir nur zwei Orte zur selben Zeit aufsuchen. Werden wir fündig, können wir wie vor einigen Wochen, wo Schwester Vera und ich bereits wider diesen Naturschänder vorgingen ergründen, wo seine Pestgrube liegt."

"Du sagtest was von den Ruster-Simonowsky-Zauberern. Sollen wir die überwachen, die es noch gibt?"

"Du hast recht, Schwester Pandora. Es ist möglich, sie als Köder zu benutzen. Allerdings werden wir nicht an Julius Andrews herankommen, solange er im Schutze des Sanctuafugium-Zaubers oder unter dem Abwehrdom von Millemerveilles lebt. Aber den spanischen Zauberer können wir wohl finden. Aber wie wir ihn als Köder einsetzen können weiß ich nicht. Pontivirginum wie bei Julius Andrews erscheint mir bei diesem Mann unmöglich, da er wohl verheiratet und Vater dreier Kinder ist."

"Außerdem wissen wir nicht, ob und wann Bokanowski ihn zu fangen versuchen könnte", meinte Pandora Straton. Ihre Tochter bat ums Wort und wandte ein:

"Höchste Schwester, sollte Bokanowski die lebenden Ruster-Simonowskys in seine Gewalt bringen, wird er auch den Jungen irgendwie aus dem Schutz herauslocken, unter dem er gerade steht. Er bräuchte im Grunde nur den französischen Zaubereiminister, wenn er den sowieso beherrschen will, dazu zu bringen, ihn irgendwo hinzubestellen und Schnapp!"

"Natürlich", knurrte Anthelia, während alle anderen zustimmend nickten. "Somit werde ich nach Frankreich aufbrechen, um Monsieur Grandchapeau und seine Familie zu überprüfen. Die Wahrscheinlichkeit, daß der Naturschänder ihn bereits gegen seinen in der Hydraessenz gebadeten Sklaven an dessen Stelle gesetzt hat liegt sehr hoch. Womöglich mußte er hierfür sogar einen aus seiner Nähe austauschen. Das Geschlecht des Opfers muß nicht dem des Angreifers entsprechen. Somit mag der Widerling Zugriff auf dessen Familienangehörige nehmen, wenn sie den Schutz von Leibwächtern verlassen. Schwester Patricia, du begibst dich nach Spanien, wo du den dort lebenden Ruster-Simonowsky-Zauberer überwachst! Womöglich wurde oder wird der spanische Zaubereiminister ebenfalls von einem wandlungsfähigen Abbild des Naturschänders ersetzt", legte Anthelia die Marschroute fest. "Die Kunst der Jagd liegt nicht im Gebrauch von Fallen und Waffen alleine, werte Schwestern. Sie besteht vor allem darin, zu wissen, wer Jäger und wer Gejagter ist. Dies mußten wir bereits erfahren, als es wider die Tochter des dunklen Feuers ging. die Aussicht, mindestens einen der gefährlichsten Magi dieser Zeit vom Angesicht der Erde zu tilgen gebietet uns, diese überlebenswichtige Erkenntnis erneut zu bestätigen. Wir müssen darauf sinnen, immer die Jägerinnen zu sein, solange wir mit derartigen Feinden belastet sind."

"Was sollen wir tun?" Fragte Pandora Straton?

"Haltet eure Sinne geschärft und verfolgt das Geschehen in euren Ländern! Denn sollten wir es nicht schaffen, den hinterhältigen Plan Bokanowskis zu Schanden werden zu lassen, müssen wir uns darauf einstellen, gegen dessen Auswirkungen anzukämpfen", erwiderte Anthelia. Danach besprachen sie noch die Gegebenheiten der beiden noch lebenden Ruster-Simonowsky-Zauberer und was Bokanowski davon haben könnte, sie einzufangen. Als nach zwei Stunden die Besprechung zu Ende war und alle ausländischen Mitschwestern sich verabschiedet und abgesetzt hatten meinte Anthelia zu Patricia Straton:

"Ich fürchte, wir haben nur noch Tage, um den Vorstoß Bokanowskis zu beenden. Also sollten wir keine weitere Zeit mehr verlieren."

"Wenn dieser Orfeo Colonades wirklich ein Ziel ist, dann könnte Bokanowski ihm doch einfach diesen Parasiten anhängen. Er bräuchte ihn dann nicht entführen zu lassen", sagte Pandora.

"Ich mutmaße, daß er mit ihm Versuche anstellen will, um die Quelle seiner Zauberkraft zu erforschen und für sich selbst nutzbar zu machen. Er wird ihn entführen müssen, um dies zu tun", sagte Anthelia.

"Ich kann machen, daß ich immer in seiner Nähe bin", sagte Patricia. "Erstmal prüfe ich den spanischen Zaubereiminister, ob der schon befallen beziehungsweise ausgetauscht ist, um die Burg zu suchen. Mindestens drei Ausgangspunkte müssen wir haben, um eine einigermaßen brauchbare Zielpunktbestimmung zu kriegen."

"Ich werde unseren jungen Kundschafter dazu bringen, seine Rechenmaschine zu bemühen, diese Ermittlung schnell und präzise durchzuführen. Wir prüfen erst auf Befall, geben die Werte von Stärke und Richtung an ihn weiter und lassen uns von ihm das Ergebnis geben, Schwester Patricia. Falls das nicht vorliegt, bevor Orfeo Colonades entführt wird, unternimm was dir einfällt, um in seiner Nähe zu bleiben.!"

__________

Es war herrlich lange her, daß Cecil Wellington das letzte Mal von Anthelia oder ihren Mitschwestern etwas gehört hatte. Er war mit Laura Carlotti zusammen, mit der er sich für ihrer Beider Eltern nicht gerade gewollt immer besser verstand. Er fühlte, daß sie bald mehr wollte als Küssen und Kuscheln. Doch ihm lag die Warnung Anthelias im Magen, daß er nur solange einen gesunden, kraftstrotzenden Körper behalten würde, solange er kein Kind gemacht hatte und dann nur noch dreimal Sex haben konnte, bevor sein Körper verfiel. Deshalb war er seinem spießigen Ersatzvater, dem Senator, in diesem Punkt sehr ähnlich geworden, nicht einfach so drauflos zu lieben. Gut, er konnte verhüten und die Bettgenossin, in diesem Fall Laura, dazu anhalten, auch zu verhüten. Aber das war keine hundertprozentige Garantie, und deshalb wollte er sich nicht einfach in was hineinfallen lassen, wenn er meinte, es noch aufschieben zu können. Laura fühlte es wohl auch, daß er ihr nicht sofort alles geben wollte und fand es etwas schade, wenn sie in den Ferien doch nur nett zusammensitzen und sich höchstens lange Küsse geben konnten. Aber sie akzeptierte es wohl noch, daß er nicht sofort alles mit ihr anstellen wollte. Außerdem war sie selbst streng katholisch erzogen. Heimliche Liebe würde sie wohl noch irgendwie hinbekommen. Aber wenn sie schwanger würde durfte sie das Kind nicht abtreiben, weil das für sie Mord war. Immerhin tasteten sich beide schon sehr gut an einander heran. Als Cecil seine Hand behutsam unter Lauras Rock gleiten ließ hörte er überdeutlich in seinem Kopf:

"Auch wenn sie danach verlangt, daß du ihre Scham liebkost wirst du dich jetzt von dieser Maid abwenden und in dein Wohnhaus zurückkehren. Ich benötige dich und deine Kunst an der Rechenmaschine!"

"Hey, was ist", kicherte Laura mädchenhaft, weil Cecil seine Hand etwas zu schnell zurückzog. "Da ist nichts, was du nicht schon mal angefaßt hast, Caro Mio!"

"'tschuldigung, Bellissima. mir ist genau jetzt blödsinnigerweise eingefallen, daß ich noch dieses Internet-Konferenzprogramm checken muß, daß ich für den Computerkurs schreiben wollte. Wenn ich das nicht bis übermorgen rübergemailt habe kriege ich wohl ein D in dem Fach, und das wäre mir selbst zu blöd, wo ich nach der Schule Webseitenersteller werden will."

"Och, ich dachte schon, du hättest Gottes Stimme gehört, es ja nicht zu wagen, an mir rumzuspielen", sagte Laura und griff ihrerseits an eine Körperstelle Cecils, wo eigentlich niemand außer ihm hinfassen sollte. Er ließ es sich für drei Sekunden gefallen. Doch dann sagte er: "Ich rufe den Chauffeur von meinem Dad an, der soll mich abholen."

Er gab Laura einen langen Abschiedskuß, sog begierig die ihn anregende Mischung aus Parfüm und ihrer Haut in die Nase und rief dann per Handy nach dem Chauffeur.

Als er sich von den Carlottis verabschiedet und sich nach Hause hatte bringen lassen, hockte auf der Außenseite seines großen Zimmerfensters eine schneeweiße Katze mit dunkelgrünen Augen. Er kannte dieses "Tier" und seufzte nur. Dann öffnete er das Fenster und ließ es ein.

"Hat deine Herrin und Meisterin dich zum Auskundschaften hergeschickt?" Fragte er. Dann erschrak er, als die Katze innerhalb von Sekunden anwuchs und zu einer Frau im weißen Umhang mit dunkelbraunen Haaren wurde, deren tiefgrüne Augen das einzige waren, was von ihrer Katzengestalt blieb. Er kannte diese Frau zu gut. Pandora hieß sie, die Mutter von Patricia, die ihn damals mit Anthelia zusammengebracht hatte und der er nun sein neues Leben im goldenen Käfig verdankte.

"Ja, die höchste Schwester hat mich beauftragt, mit dir zusammen an dem Problem zu arbeiten. Wir suchen jemanden und müssen ihn so schnell wie möglich finden. Wir wissen nur, daß er Handlanger hat, die unsichtbare Signale ausstrahlen. Diese wollen wir zurückverfolgen, so schnell und genau wie möglich."

"Wenn mein Vater Sie hier sieht gibt's Ärger", knurrte Cecil. Pandora Straton grinste darüber nur.

"Höchstens für ihn", erwiderte sie überlegen. Dann deutete sie auf den Computer. Telepathisch bekam er von Anthelia die Anweisungen, eines der Rechenprogramme zu benutzen, um den Mittelpunkt eines unbekannten Kreises zu bestimmen. Sie wußte, daß er eine Menge mathematischer Anwendungen auf der Festplatte hatte. Sie wußte auch, daß er vor kurzem ein Standortbestimmungsprogramm mit verschiedenen Karten bekommen hatte, die er im ganzen oder im Ausschnitt betrachten konnte. Er fuhr das Betriebssystem hoch und wählte das entsprechende Programm aus. Anthelia teilte ihm mit, er möge vor allem die Karte Russlands benutzen.

"Ui, habt ihr Krach mit 'nem Ruski? Könnte meinem Dad gefallen, daß es noch böse Russen gibt, gegen die man hetzen kann."

"Das würde euch übler bekommen als ihm", knurrte Pandora. Sie hatte während des Systemstarts einen Klangkerker errichtet, um mit Cecil sprechen zu können, ohne belauscht zu werden. Dann bekam der von Anthelia zum Agenten in der nichtmagischen Welt rekrutierte Cecil Wellington die ersten Daten. An Pandora sollte er weitergeben, daß die Vermutung stimmte, daß ein Monsieur Grandchapeau zu den betroffenen gehörte.

"Dann sind es zwei", knurrte Pandora verärgert. "Meine Tochter hat mir das gerade im Bezug auf eine andere Zielperson mitgeteilt. Ich schreibe ihre Richtungsangaben auf."

So gab Cecil die erhaltenen Daten in den Rechner ein, noch etwas französisches, dann noch etwas aus Bulgarien und Belgien. Er baute die Daten so präzise wie es Anthelia ihm durchgab ein und schaffte es nach einer Knappen Stunde aus insgesamt fünf Richtungsangaben einen ungefähren Kreis zu berechnen, in dessen Mittelpunkt die Signalstrahlen alle zusammentrafen. Aber der Rechner veranschlagte nur eine Wahrscheinlichkeit von 47 %, was hieß, daß das angepeilte Ziel wohl noch hunderte Kilometer vom berechneten Mittelpunkt entfernt lag. Das war natürlich nichts, womit jemand der einen Angriff vorhatte setzen durfte.

"Ihr habt zwei Peilstrahlen aus Frankreich und einen aus Belgien. Liegt zu nahe beieinander. Aus Spanien und aus Bulgarien. In Amerika läuft keiner von denen rum?"

"Nicht mehr", erwiderte Pandora. "Wir kamen zu spät dahinter, daß wir diesen Handlanger hätten benutzen können."

"Ach du große Scheiße!" Fluchte Cecil. "Es gibt Geschichten, wo Außerirdische Leute hypnotisieren oder mit sogenannten Symbionten verwanzen, die die dann kontrollieren oder sie tauschen Leute gegen Androiden aus, die so aussehen wie die. Sind die Typen wichtig in eurer Welt?"

"Ich fürchte, wir erleben genau das, was eure Romandichter und Trivialautoren ausgemalt haben", grummelte pandora. "Deshalb müssen wir unbedingt beim ersten Gegenstoß richtig liegen, bevor der Feind weiß, wie ihm geschieht."

"Ich darf natürlich nicht wissen wie der heißt, der euch da gerade aufmischen will", knurrte Cecil.

"Darfst du nicht", erwiderte Anthelias Gedankenstimme. "Alleine, daß du weißt, daß wir wider ihn antreten ist schon zu viel. Aber ich halte mein Wort, dir nichts zu tun, wenn du dich weiterhin fügst und mit mir zusammenarbeitest."

"Oh, gib das bitte noch ein, Cecil! Meine Tochter hat gerade noch einen in Spanien gefunden", sagte Pandora sehr aufgeregt und gab Cecil die genaue Richtungsangabe und nach einer von Cecil und Anthelia ausgetüftelten Skala berechnete Signalstärke mit. Er gab die neuen Daten ein, ließ das ganze noch einmal durchrechnen und bekam einen neuen Mittelpunkt, der gut und gern zehn Kilometer vom vorher berechneten entfernt lag. Die Wahrscheinlichkeit für diesen Zielpunkt lag nun bei 69 %.

"Da hättet ihr euch schön verteleportiert oder verflogen", grinste Cecil und glich die vorherige mit der neuen Zielbestimmung ab. Anthelia schickte ihm sehr tadelnd zurück, daß er bloß nicht frech werden solle. Dafür sei die Sache zu ernst. Es klopfte an die Tür. Pandora glitt vom zweiten Schreibtischstuhl und ließ sich auf Hände und Knie fallen. Blitzschnell setzte die Verwandlung zur Katze ein. Als sie dann einfach unter das Bett huschte und sich in einer uneinsehbaren Ecke zusammenrollte, ging die Tür auf, und der Klangkerker verschwand. Cecils Vater stand in der Tür und sah auf den Computerbildschirm.

"Was ist denn das?" Fragte er argwöhnisch. Cecil erzählte ihm etwas von einer Trigonometrieübung, die er als Wette hatte laufen lassen. Dabei ginge es darum, die Kommandozentrale einer Spionagegruppe anhand zufällig aufgefangener Richtfunksprüche zu errechnen. Das kam der Wahrheit doch schon ziemlich nahe.

"Wo liegt die Spionagezentrale? Russland?! Hast du nicht immer getönt, der kalte Krieg wäre der größte Schwachsinn gewesen?"

"Das tu ich immer noch, Dad, und die meisten deiner Parteigenossen sehen das genauso. Aber für virtuelle Agentenjagden ist Russland schön groß. Aber ich kann auch Amerika nehmen, wenn dir das lieber ist."

"Mir wäre es lieber, du würdest gleich zum Abendessen runterkommen. W. ist mit seiner Familie da. Also sieh zu, daß du was anständiges anhast!"

"Ich habe doch was anständiges an", erwiderte Cecil. "Außerdem weiß der, daß ich den und seine Bagage nicht abkann. Also sage dem bitte, ich müßte noch ein selbstgeschriebenes Programm für Internetkonferenzen durchtesten, daß Mr. Chushing noch vor Ferienende im E-Mail-Kasten haben will!"

"Will sagen, du verzichtest auf das Abendessen?" Knurrte der Senator.

"Wenn das die einzige Möglichkeit ist, in Ruhe gelassen zu werden ja, Dad", erwiderte Cecil.

"Gut, dann bleibst du gefälligst im Zimmer und gibst keinen Mucks von dir. Ich kann W. dann auftischen, du seist nicht zu Hause. Schon schlimm genug, daß du mit dieser Carlotti-Göre rumturtelst", erwiderte der Senator und schloß leise die Tür. Pandora schlich auf ihren Samtpfoten unter dem Bett hervor, lauschte und verwandelte sich wieder in eine Frau zurück. Wieder baute sie den Klangkerker auf.

"Euren Gast magst du nicht sonderlich, wie?" Fragte sie.

"Beruht auf Gegenseitigkeit", knurrte Cecil und stürzte sich wieder in die Arbeit an der Zielpunktbestimmung. "Vielleicht sagt ihr eurem bösen Feind, der könne den gerne einkassieren, sonst wird der am Ende noch Präsident der vereinigten Staaten."

"Ich habe dich geheißen, nicht frech und anmaßend zu sein, Bursche!" Schnarrte Anthelias Gedankenstimme. "Gib lieber folgende neue Richtung ein. Ausgangspunkt Stockholm, Schweden! ..." Cecil gab die neuen Werte ein und erzielte wieder eine Zielpunktverschiebung, diesmal etwas südöstlicher. Die Wahrscheinlichkeit wurde nun mit 74 % angezeigt. Er fragte, wie hoch die Wahrscheinlichkeit mindestens sein müsse. 100 % war die Antwort. Also wollten sie wirklich genau wissen, wo alle Fäden zusammenliefen.

Als dann irgendwann in der Nacht - Pandora lag als Katze auf einer Wolldecke unter dem Bett - Anthelia Cecil aus seinen Träumen schreckte um ihm mitzuteilen, daß noch ein Signalstrom aufgespürt wurde, und zwar in Bukarest, Rumänien, fütterte er den gerade im Bildschirmschonermodus laufenden Rechner mit den neuen Daten und erhöhte die Wahrscheinlichkeit auf 93 %. Jetzt ließ sich der Zielpunkt auf nur noch zwei Kilometer genau eingrenzen.

"Mit 'ner Trident-Rakete wäre der Laden jetzt todsicher zu erledigen", sagte er zu Pandora, die sich nicht die Mühe gemacht hatte, sich in eine Frau zu verwandeln. Diese maunzte:

"Eure Schreckenswaffen wollen wir nicht benutzen. Denk also nicht einmal daran."

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Anthelia benötigte Schlaf. Sie hatte nicht den Ortszeitanpassungstrank genommen, und so war für sie Nachtruhe, als sie die letzte Gedankenstromquelle in Rumänien aufgespürt hatte. Sie wußte nicht, ob der Handlanger Bokanowskis bereits die Form seiner Zielperson übernommen hatte oder dies noch vorhatte. Sie durfte ihm dabei auch nicht in die Quere kommen, so ungern sie das dachte. Aber es galt, den Feind so lange es ging im Glauben zu lassen, das mit Davenport sei nur ein Zufall gewesen. Acht Stunden später suchte sie weiter, wobei sie noch einmal Deutschland, England und Irland absuchte, immer auf der Hut, nicht von dortigen Zauberern und Hexen aufgestöbert zu werden. Als sie am Nachmittag erfuhr, daß Orfeo Colonades unterwegs zum Minister war, brach sie die Suche ab. Falls Colonades wirklich entführt wurde, würde bald auch Julius Andrews verschleppt.

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"Wie, der ist auf dem Latierre-Hof", grummelte der französische Zaubereiminister. Martha Andrews lief etwas rot an und sagte, er habe das schon vor Tagen so abgemacht. "Nun gut, er hat ja alles Recht, die Ferien zu genießen, nach allem, was ihm passiert ist. Aber Sie können uns jetzt bestimmt einiges interessantes erzählen, Martha." Dreiundzwanzig alias Belle Grandchapeau, der bis dahin dabeigestanden hatte, gab vor, sich unwohl zu fühlen und verließ nach ein paar Abschiedsworten das Ministerbüro. Aus dem Besuchervoyer disapparierte er, um im gemeinsamen Haus von Bell und Adrian anzukommen, wo er überlegte, wo der Hof von Barbara Latierre lag. Er überlegte, ob er direkt dort apparieren und dann direkt zur Burg disapparieren sollte, wenn es ihm gelang, Julius Andrews zum Mitkommen zu bewegen und erkannte, daß es besser war, nicht zu apparieren, sobald er den Hof verlassen wollte. Er holte Belles Ganymed 10 hervor und disapparierte erneut. Keine Sekunde später ploppte es etwa hundert Meter entfernt von dem Haus. Noch jemand war disappariert.

"Die Spur wird jetzt sehr heiß, Schwester Patricia. Bleibe jetzt unbedingt bei Colonades!" Mentiloquierte Anthelia, als sie am ersten Zwischenzielpunkt, etwa drei Kilometer von einem versteckten Bauernhof entfernt aufgetaucht war. Sie saß auf ihrem Harvey-Besen auf und flog zu dem großen Landgut, daß aus riesigen Viehweiden bestand, auf denen mehr als elefantengroße, schneeweiße Kühe mit mächtigen Flügeln grasten. Anthelia empfing die ausgestrahlten Gedanken von Julius Andrews. Ja, er war tatsächlich hier, und in der Gestalt Belle Grandchapeaus näherte sich sein Verhängnis. Sie bekam mit, wie er Kontakt bekam und flog pfeilschnell über eine der Weiden hinweg. Offenbar hatte einer der muskulösen Bullen sie irgendwie gehört. Denn er hob den wuchtigen Kopf mit den mehr als einen Meter langen Hörnern und gab ein die Luft erschütterndes Muhen in sehr tiefer Tonlage von sich. Dann flutete etwas wie Mißtrauen und Verteidigungsbereitschaft in Anthelias Bewußtsein. Dann hörte sie noch soetwas wie "Was mich stört verschwindet!" heraus. Offenbar wußte der Jüngling nicht sorecht, was das bedeutete, daß Belle ihn überreden wollte, sie unverzüglich und ohne Abschiedsworte zu begleiten. Als er dann sagte, er wolle sich doch noch verabschieden bekam Anthelia noch mit, wie sie ihn am rechten Arm zu fassen versuchte und schmerz empfand. Für den Jungen war dies das Signal, in unmittelbarer Gefahr zu schweben. Anthelia bekam mit, wie er um Hilfe zu rufen versuchte, bevor ein Schockzauber ihn traf. Dann verfolgte sie Belle, die den Jungen jetzt nicht mehr am rechten Arm packte und sogar sorgfältig darauf achtete, den Arm nicht mehr zu berühren. Sie lud ihn auf ihren Besen und flog davon.

"Das war dein größter Fehler, Naturschänder! Das Pflegehelferarmband hat dein Gezücht verraten und gemeldet, daß er angegriffen wurde. Doch dein Verhängnis werde ich sein", grummelte Anthelia, während sie erst in sicherem Abstand und dann, nachdem Belle alias Bokanowskis Ebenbild 23 in Richtung Osten abdrehte näher heranrückte. Patricia mentiloquierte "Colonades geht in die Falle!"

"Bin hinter dem Jungen her! Gebe die neuen Richtungs- und Stärkewerte weiter!" Schickte Anthelia zurück.

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Cecil Wellington hatte nach dem Frühstück die Werte noch einmal ausgedruckt und die aktuelle Zielortberechnung geprüft. Dann bekam er unvermittelt mehrere Angaben hintereinander, alle zehn Minuten einen neuen Standort und die Signalrichtung und Stärke. Pandora, die immer noch bei ihm war, erzählte ihm, daß ihre Tochter ihr gerade auch zwei Werte übermittelt hatte. Er baute sie in seine Berechnungstabelle ein und ließ diese immer wieder durchrechnen. Der Zielpunkt verschob sich zwar immer noch, aber in immer weniger großen Entfernungseinheiten. Schon war die Wahrscheinlichkeit bei 99,4 %. Dann, als Antehlia ihm mitteilte, daß sie eine Signalquelle nun über die französische Atlantikküste hinweg verfolgte und Cecil den Ausgangspunkt und die Richtung und die Stärke einfütterte, blinkte der neue Zielpunkt, eine Stelle an der russischen Schwarzmeerküste, und der Computer zeigte eine Eins und zwei Nullen im Fenster der Wahrscheinlichkeitsangabe.

"Treffer, versenkt. Da habt ihr eure Räuberburg", sagte er zu Pandora, selbst vom Erfolg dieser Jagd aus der Ferne überwältigt. Jetzt hatte er echt was gemacht, womit er später mal was anfangen konnte. Er ließ sich den Kartenabschnitt in maximaler Vergrößerung zeigen, druckte diesen Kartenausschnitt und die Koordinaten aus und gab sie Pandora.

"Gut, dann kann ich die Verfolgung beenden", hörte er Anthelias Gedankenstimme. "Danke für deine Hilfe. Alles weitere muß dich jetzt nicht kümmern."

"War doch noch was schönes", dachte Cecil. Eine Zielpunkteinkreisung bei nicht genauen Richtwerten bis auf 100 % hinzufummeln war schon was aufregendes. Pandora nahm ihn in die Arme, obwohl er das eigentlich nicht wollte und küßte ihn auf den Mund.

"Du weißt es vielleicht nicht zu würdigen, Cecil, aber du hast dir und allen Menschen dieses Planeten gerade einen unschätzbaren Dienst erwiesen", sagte sie mütterlich. Dann knallte es, und sie war einfach nicht mehr da. Cecil öffnete das Fenster, und das ockergelbe Licht erlosch, daß Boden, Wände und die Decke überzogen hatte.

"Uäch! So muß sich Batman gefühlt haben, als ihn Catwoman geküßt hat", dachte er. Ob er der Menschheit einen Dienst erwisen hatte wollte er jetzt nicht so genau hinterfragen. Er hatte diesen Hexen geholfen, das Versteck irgendeines anderen Zaubereibastards zu finden. Die würden jetzt wohl schon unterwegs sein und es angreifen. Vielleicht ging Anthelia ja dabei drauf, und er hatte dann zumindest sich einen großen Dienst erwiesen. Merkwürdigerweise bekam er darauf keine strafende Antwort der Oberhexe. Er druckte den Kartenabschnitt noch einmal aus, sicherte die Datei mit dem Zielpunkt und holte sich den Virtuellen Superglobus auf den Schirm. Er wollte jetzt wissen, wo das genau war, was er als Zielpunkt angepeilt hatte.

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Patricia Straton bekam von Anthelia die Gedankenmeldung, daß der Zielort nun bekannt war. Sie sollte die Verfolgung abbrechen. So schwenkte sie mit ihrem Harvey-Besen aus der Flugbahn des Besens, auf dem der als Miguel Jerez auftretende Handlanger Bokanowskis mit seinem Gefangenen dahinflog. An einem weit entfernten Punkt disapparierte sie. Eigentlich wollte sie bei der Entscheidungsschlacht dabei sein, doch Anthelia hatte ihr unmißverständlich befohlen, ins Hauptquartier zurückzukehren und dort als ihre ideale Nachrichtenempfängerin zu bleiben. So traf sie sich mit ihrer Mutter und Tyche Lennox, die gerade die Computerausdrucke begutachtete.

"Wir sollten wen in den Zentralen der Geheimdienste der Muggel unterbringen", meinte Tyche. "Das hier ist zwar toll, aber hat doch lange gedauert."

"Der Computer konnte mit den Stärkewerten nur bedingt was anfangen, Schwester Tyche. Der Junge ist ein Genie. Er hat eine ziemlich brauchbare Skala ausgetüftelt, mit der er die Stärkewerte bestimmen konnte, nachdem ich ihm was erzählte, was sich wie anfühlte. Aus der einfachen Rechnung, je weiter fort, desto stärker der Signalaustausch konnten wir schließlich den genauen Zielpunkt ermitteln", sagte Pandora. "Dieser Bastard hat einen großen Fehler gemacht, unbedingt gedanklichen Kontakt zu seinen Kreaturen halten zu müssen. Cecil sagte, daß kein Geheimagent der Welt andauernd senden würde und in den Fiktionen von eroberungswilligen Außerirdischen auch so gut wie keine ständige Funk- und Gedankenbrücke zwischen den Ausführenden vorhanden war, wenn diese nicht andauernd unter Willensstrahlung gehalten werden mußten."

"Er ging einfach davon aus, daß keiner diese Verbindung aufspüren würde", erwiderte Patricia überlegen lächelnd. "Wißt ihr was, Schwestern? Ich bin froh, diesmal nicht in den Schlamassel mit reinzumüssen."

"Das wissen wir noch nicht", sagte Pandora. "Sie könnte uns immer noch dort hinzitieren."

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Das Gebrumm war laut. Anthelia hatte fünfzig der Entomanthropen geweckt. Mit großer Zufriedenheit sah sie, daß die Königin die ersten neuen Eier gelegt hatte. Meterhohe Wachswaben wie in einem zigtausendfach vergrößerten Bienenstock, nahmen die weißen, weichen Eier auf. Die sieben Versorgungsentomanthropen verschlossen die Kammern sofort, wenn das Gelege sicher untergebracht war. Die Königin schnaufte unter der Anstrengung, immer weitere Pakete von Eiern auszustoßen. Als die Führerin der Spinnenschwestern ihren fünfzig fliegenden Gehilfen den Befehl zum Abflug gab, stürzten sie sich hinaus ins freie und flogen wild surrend niedrig über Grund dahin. Anthelia führte sie an. Sie wußte, selbst bei der Geschwindigkeit, mit der die Entomanthropen flogen würden sie mehr als einen Tag brauchen, um ihr Ziel zu erreichen. Doch Anthelia hatte noch etwas von ihrer Tante geerbt, was sie hier und gleich ausprobieren würde. Allerdings mußte sie dafür etwas von ihrem eigenen Blut opfern und einen Kreis zeichnen, in dem die Insektenwesen warteten, dann zum Zielpunkt reisen und einen ähnlichen Kreis zeichnen und bezaubern. War dies erledigt, so konnte sie alles ihr genehme innerhalb von einer Sekunde herüberholen. Doch das Gefolgebewegungsritual kostete viel Kraft und eine ganze Stunde Zeit. Doch es würde ihr die Zeit geben, noch in der kommenden Nacht den entscheidenden Vorstoß zu führen.

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Bokanowski triumphierte. Er hatte die beiden Ruster-Simonowsky-Zauberer gefangen. Ärgerlich war nur, daß dieser Andrews-Bastard ein magisches Armband besaß, das Dreiundzwanzig einen gehörigen Schlag versetzt hatte. Er erfuhr von Elf, der Minister Grandchapeaus Aussehen und Stelle übernommen hatte, daß der Junge Pflegehelfer in Beauxbatons war, und daß in das dazugehörige Vielzweckarmband ein Curattentius-Zauber eingearbeitet war. Außerdem erfuhr er, daß der echte Minister dem Jungen vor bald einem Jahr einige nützliche Zauber ins Unterbewußtsein gepflanzt hatte, darunter einen, der die Zeit in seiner Umgebung anhielt, aber zum Preis, daß er je länger er sie anhielt immer mit einem Schlag mehrere Jahre alterte, wenn er sie weiterlaufen ließ. Er erfuhr auch den Grund für dieses Geschenk.

"Wird ein interessantes Gespräch sein, wenn ich den Jungen bei mir habe. Am besten gebe ich ihm einen Seelenstern, dann wird er schon kuschen", dachte Bokanowski. Da schrak er zusammen. Drei Hexen hatten sich Zugang zum Zaubereiminister erschlichen: Professeur Tourrecandide, Professeur Faucon und deren Kollegin, die kleine, rotbraun gelockte Hexe, Professeur Fixus.

"Wo ist Ihre Tochter, Armand?" Fragte Professeur Tourrecandide sehr harsch. Elf sagte ihr, sie habe sich unwohl gefühlt und sei nun in ihrem Haus. Professeur Fixus schnarrte mit Windgeheulstimme:

"Dann hat sie gelogen. Sie war auf dem Latierre-Hof. Barbara Latierre hat sie dort beobachtet. Dann ist sie mit Monsieur Andrews ..." Sie erstarrte, sah Elf durch ihre ovalen Brillengläser an und verfiel in eine angespannte Haltung. Unvermittelt hielten Faucon und Tourrecandide die Zauberstäbe in Händen und riefen gleichzeitig: "Stupor!" Der Doppelschocker schleuderte Bokanowski beinahe selbst zu Boden. Er fühlte seinen Kopf brummen wie mit hunderten von Hornissen angefüllt. "Verdammt!" Fluchte er weithallend. Diese Fixus konnte Gedanken hören wußte er. Offenbar hatte sie die Verbindung zwischen ihm und Elf mitbekommen und die beiden gewarnt. Damit war Elf enttarnt, und sicherlich auch Dreiundzwanzig. Einen einfachen Schockzauber konnte der Seelenstern neutralisieren. Doch zwei gleichzeitig? Bokanowski wollte Elf nicht einfach aufgeben. Die Kraft der Hydra würde ihn schnell wieder wecken. Ja, und da kamen die Sinneswahrnehmungen auch schon wieder zu ihm. Er konzentrierte sich, sein Abbild kämpfen zu lassen. Doch trotz der Hydrawandlung, trotz des Wissens von Igor Bokanowski, wurde Elf nicht mit zwei Meisterinnen in der Abwehr dunkler Künste fertig. So mußte er tatenlos mitverfolgen, wie Elf von einer Expelliarmus-Confundiridius-Incapsovulus-Kombination entwaffnet, handlungsunfähig gemacht und eingekapselt wurde. Elf war erledigt. Sollte er ihn jetzt vernichten, bevor diese neunmalklugen Hexen ihn verhören konnten? Doch als er den Vernichtungsbefehl gab, passierte nichts. Der Distignitus-Fluch floß förmlich aus Elf hinaus und verpuffte als kurzer gelber Glutschauer in der Umkapselung. Bokanowski stampfte wütend auf. Er hatte nicht nur verdrängt, daß der Incapsovulus-Fluch, mit dem Elf von Tourrecandide belegt worden war, jede im Körper wirkende Magie in die Umkapselung abfließen ließ, sondern auch die einzige Möglichkeit vertan, den nun wertlos gewordenen Diener zu vernichten, bevor dieser wieder seinen Willen Verrat begehen konnte. Ja, und da begann auch schon der Imperius-Angriff von Tourrecandide, gegen den der Seelenstern sich auflehnte und Elf bald das Unterwerfungsmantra Rufen ließ: "Ich habe nur einen Herrn und Gebieter, Igor Bokanowski! Ich habe nur einen Herrn und Gebieter, Igor Bokanowski!"

"Verschlucke deine Zunge! Stirb!" Rief der echte Bokanowski wutentbrannt, wobei er die Verbindung zu Elfs Seelenstern krampfhaft umklammerte. Doch dieser gehorchte nicht. Wieso brachte er sich nicht selbst um? Was lief da schief? Wieder und wieder gab er Sterbebefehle. Doch sie wurden ignoriert, obwohl der Seelenstern noch aktiv war. Das durfte nicht sein! Wenn er wollte, daß seine Sklaven sich töteten, hatten sie sich zu töten. Aber genau das passierte nicht. Alle Befehle, den Atem anzuhalten, das Herz zu stoppen oder was ihm einfiel, wurden nicht befolgt, obwohl kein Imperius-Angriff mehr ausgeführt wurde. Mit einer Mischung aus ohnmächtiger Wut und Enttäuschung erkannte er seine fatale Unterlassung. Die Seelensterne waren eigenständige Lebewesen mit einem von ihm ganz und gar beabsichtigten Trieb, sich und den Wirt gegen alle Widrigkeiten zu verteidigen. So zwangen sie zwar ihre Wirte zum Gehorsam, hielten sie aber davon ab, einfach so zu sterben, ja unterbanden jeden Selbstmordversuch. Nur der Distignitus-Zauber hätte Elf erledigen können, solange der Seelenstern noch lebte. Es mochte sein, daß der Beherrschungsorganismus genau wegen dieses Vernichtungsversuches nur noch dem eigenen Selbsterhaltungstrieb folgte und alles zurückwies, was das Leben seines Wirtes und damit sein eigenes beendete. Es ärgerte ihn maßlos, zu hoffen, daß die vermaledeiten Hexen seinen Hydrawandler töten oder die Schwachstelle des Seelensterns herausfinden mußten. Denn jetzt gab es nur noch eine Möglichkeit, daß er sein Ebenbild tötete: Seinen eigenen Tod, solange der Seelenstern nicht von ihm selbst entfernt werden könnte. Und selber zu sterben kam für Bokanowski absolut nicht in Frage. Ihm wurde klar, daß er sich mit dieser ständigen Kontrolle ein Bein gestellt hatte und nicht einmal wußte, ob er nur auf die Nase fallen oder kopfüber ins Verderben stürzen würde. So mußte er zähneknirschend erkennen, daß es ihm übel bekommen würde, den Gefangenen Seelensterne zu verabreichen, wenn er sie bei lebendigem Leib sezieren und bis zur letzten Körperzelle untersuchen wollte, um das Geheimnis ihrer viel zu hohen Zauberkraft zu ergründen.

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Anthelia keuchte. Das Ritual hatte funktioniert. Doch sie war totmüde. Sie mußte schlafen, wenn der Gürtel ihr nicht die restliche Lebenskraft aus dem Leib saugen sollte, sobald sie angriff. So befahl sie den Entomanthropen, sie noch fünf Kilometer weit zu begleiten, um möglichen Aufspürzaubern aus dem Weg zu gehen. dann legte sie sich hin und schlief tief und fest. Als sie nach acht Stunden erwachte war es bereits tiefste Nacht. Gut so! Sie wollte eh nicht im Hellen angreifen. Die Entomanthropen lagerten aneinandergedrängt wie eine riesige Traube. Sie waren zwanzig Kilometer vom ermittelten Ziel entfernt. Sie Konnten es im Höchstgeschwindigkeitsflug in etwas weniger als sechs Minuten erreichen. Doch Anthelia wollte erst sicherstellen, daß Bokanowskis Burg dort wirklich lag. Sie flog mit ihrem Besen weit nach oben, brauste durch die Nacht und überflog den Ort, wo die Burg war. Vera Barkow würde wohl schon mit den anderen russischen Mitschwestern am vorhergegangenen Ort dieser Bestienbrutstätte gewesen sein und eine neuerliche Ortsvertauschung durch die von Anthelia erklärten Zaubersprüche und das anbringen diebstahlsicherer Gegenstände vereiteln. Dann fing sie den feinen Verbindungsstrom eines Seelensterns auf, der sich näherte. Offenbar konnte man in Burgnähe nicht apparieren. Also gut, daß sie mit dem Besen gekommen war. Sie horchte und erkannte jenen Verbindungsstrom, der von Belle Grandchapeaus Doppelgängerin herrührte. Ja, und da kam noch ein Handlanger Bokanowskis aus ungefährer Südrichtung. Sie war zu weit fort, um die Befehle zu verstehen. Sie fühlte nur den langsam immer schwächer werdenden Gedankenfluß.

"Bedauerlich, daß die beiden vielleicht diese Nacht sterben müssen", dachte Anthelia. Zwei hochbegabte Zauberer zu verlieren war nicht ihr Ziel. Im Gegenteil. Sie wollte sie nach Möglichkeit dazu bringen, mit treuen Schwestern von ihr zusammenzukommen um weiteren Generationen von Hexen große Kraft zu geben. Doch nun war es zu spät. Sie hatte zu lange geschlafen. Bokanowskis Entmachtung war unbedingt erforderlich. Wenn sie es schaffte, ihn hier und heute zu stürzen, durfte sie jetzt nicht mehr zurückweichen. Sie wußte, daß sie auf dem Besen nicht in die Burg hineingelangen konnte. Sie wußte auch, daß sie nicht nur mit ihrem Zauberstab dort hineinspazieren durfte. Wollte sie die Brutstätte der von Bokanowski gezüchteten Bestien vernichten, mußte sie die ganze Burg restlos zerstören. Fünf der Entomanthropen trugen geleerte, mannshohe Weinfässer unter dem Leib. In den Fässern steckte das Elixier, daß sie ersonnen und von ihren Schwestern an verschiedenen Orten der Welt hatte mischen lassen. Wenn sie es entzündete, würde es sich in ein alles und jedes verbrennendes Höllenglutgas verwandeln, dem weder Stein noch Stahl widerstanden. Doch bevor sie es entfachte, mußte sie sicherstellen, daß Bokanowski nicht mehr entkommen konnte. Immerhin könnte er verwandelt davonfliegen, wie diese Linda Knowles in flüssiger Form durch den Boden sickern oder ein nur für ihn benutzbares Verbindungstor öffnen, um sich anderswo zu verstecken und wieder zu warten, bis er es wagen konnte, seine Pläne zu verwirklichen. Wie Hallitti mußte dieser Dämon in Menschengestalt gnadenlos vernichtet werden, wollte sie diesen Feind nie wieder fürchten müssen. Sie wartete eine Minute. Dann flog sie zurück zu ihrer fliegenden Streitmacht, vielleicht zu wenige, um wahrhaft erfolgreich zu sein. Denen ohne Fässer befahl sie, auf ihr Zeichen loszufliegen und das große Steingebäude mit den Türmen anzugreifen. Die mit den Fässern sollten nur den halben Weg zurücklegen und warten, bis sie selbst sie herbeirief. Dann flog sie ihren Streitern voran, hielt sich dabei dicht über dem Boden. Sie war froh, daß Bokanowski sein neues Versteck nicht in Sibirien sondern an einer schwer zugänglichen Stelle an der russischen Schwarzmeerküste gewählt hatte. So waren ihre Insektenungeheuer nicht so eingeschränkt. Sie setzte sich von ihren geflügelten Streitern ab, die an und für sich nicht besser waren als die Kreaturen Bokanowskis. Doch manchmal konnte Feuer eben nur mit Feuer bekämpft werden. Sie flog vorsichtig um die Burg herum. Wenn der Naturschänder Warnzauber besaß, mußten gleich irgendwelche Wächter hervorkommen. Sie suchte eine Schwachstelle im Mauerwerk oder ein offenes Guckloch. Nur einer der Türme schien Einlaß zu bieten. Doch sie war zu vorsichtig, eine sich anbietende Gelegenheit ungeprüft zu nutzen. Bestimmt waren Fallenzauber eingearbeitet. Dann sah sie die von den Seelensternen unterdrückten Doppelgänger des Naturschänders, wie sie auf den Zinnen patrouillierten. Einer hielt ein Fernrohr in Händen, das er herumschwenkte. Anthelia fühlte die Luft um sich vibrieren und den Harvey-Besen erzittern. Sofort ging sie in den Sturzflug über. Der Wächter hatte sie fast enttarnt. Sie nahm Abstand von der Burg und landete auf der den Entomanthropen abgewandten Seite. Es würde nur noch eine Minute dauern ... Ja, da hörte sie schon das Brummen des heranschwirrenden geschwaders. In ihrer normalen Erscheinungsform gelangte sie nicht in die Burg, war ihr klar. So versteckte sie den Besen, prüfte, ob ihre Zaubergegenstände sicher verstaut waren und wurde zu einer großen Krähe. Als sie vom Burghof her Getrappel und lautes Bimmeln hörte flog sie mit eigenen Flügeln auf. Da kamen sie, die Entomanthropen.

Anthelia erstarrte fast in Schreck und Faszination, als sie sah, wie die von ihr herbeigerufenen Ungeheuer todesmutig wie tödlich und kraftvoll herabstießen, fünfundvierzig furchtlose Angreifer, nur ihrer Meisterin folgend. Ihre Schlagkraft war enorm. Trotz ihnen entgegenschlagender Zauber stießen sie in die aufmarschierten Wachen. Einige griffen mit dem tödlichen Fluch an und holten damit mehrere Entomanthropen aus der Luft. Doch die herabstürzenden Kadaver erschlugen beim Aufprall Wächter. Als einer es wagte, das tote Geschöpf zu berühren, durchbohrte ihn, dem allerletzten Stechreflex gehorchend, der degenartige Giftstachel. Anthelia nahm erst etwas Abstand und verfolgte den Luftangriff und dessen Abwehr, bis sie es wagte, durch eine noch offenstehende Tür in das Hauptgebäude zu fliegen. Hinter ihr surrte ein Entomanthrop heran, schien sie wohl als Beute zu sehen. Mit ihrer Telekinese bremste sie das Geschöpf so weit ab, daß sie in einen gang abtauchen konnte, der für das Insektenwesen zu eng zum durchfliegen war. In einer Nische landete sie. Sie hörte das wilde Trappeln vieler Füße, fing die aufgeregten Gedanken der Doppelgänger auf, die alle von einem lautlosen Befehl vorangepeitscht nach draußen stürmten. Dabei fiel der Krähe Anthelia auf, daß nicht jeder einen Zauberstab führte. Offenbar hatte Bokanowski nicht so viele beschaffen können, um seine volle Burgbesatzung auszustatten. Doch womöglich würde er stationäre Zauber benutzen, um die fliegenden Angreifer zu bekämpfen, wenn diese nicht so einfach zu vernichten waren. Einige der Ebenbilder rannten dem ihr gefolgten Monster for die Fühler. Es griff sofort an und war beschäftigt. Es kam zu einem Stau, weil das Insektenungeheuer nachdrängte, und seine Gegner ebenso furchtlos nach draußen walzten. Als dann einer den Todesfluch angebracht hatte, entknäuelte sich der Haufen und wurde zu einer Doppelreihe hinauslaufender Verteidiger. Dann hörte sie das Zischen und Fauchen. Jetzt hatte der Naturschänder seine stationären Flüche ausgelöst. Doch wie sie wußte würden die höchstens zweimal in kurzer Zeit wirken, bis sie wieder regeneriert werden mußten. Sie wartete einen Moment. Dann verwandelte sie sich in ihre angeborene Gestalt zurück und lief durch die nun fast leeren Korridore, eingehüllt in einen unsichtbaren Schild, der wahrlich einige Flüche schlucken mußte, weil sie kein willkommener Besucher war. Dann hörte sie tierhaftes Knurren, Schnauben, Quieken und Zischen. Der Wahnsinnige ließ nun Bestien auf andere Bestien los. Das konnte ihr die herbeigerufene Streitmacht kosten, wußte Anthelia. Aber diesen Preis zahlte sie gerne, wenn es ihr gelang, zum Herrn dieser Ungetüme vorzudringen. Sie fand eine Kellertreppe, blies einen Erstarrungsfluch davor hinweg und lief hinunter. Zwischendurch lauschte sie telepathisch, was in der Burg vorging. Zu ihrer Erheiterung fand sie so nicht nur die Richtung, wo sie Bokanowskis Original finden konnte, sondern erfuhr auch, daß dieser vor lauter Wut auf "den Schlammblutmutanten", vergaß, die eigenen Gedanken zu verschließen, während besagter Muggelstämmiger sich passabel verschlossen hielt, zumindest was die unhörbaren Geistesausstrahlungen anging. Sie schwenkte den Zauberstab nach links und rechts und schickte einen Breitbandfluchbrecher durch den Korridor, dessen Wände krachend und knirschend aufsprangen. Sie hetzte weiter. Einmal kam ihr eine Mißgestalt aus Heuschrecke und Mensch entgegen. Sie erlöste das Geschöpf mit dem Todesfluch von seinem Dasein, kletterte hurtig über den Leichnam hinweg, wobei sie tunlichst darauf achtete, nicht an die offenen Beißzangen zu kommen und erreichte eine weitere Tür, vor der ein Doppelgänger mit Zauberstab wachestand. Er wirbelte in ihre Richtung herum. Doch weil sie auf ihn vorbereitet gewesen war war ihr Todesfluch zuerst ausgerufen und fand sirrend sein Ziel. Sie wußte, daß Bokanowski nicht hinter dieser Tür steckte. Aber was war an diesem Raum so wichtig, daß hier ein Wächter gestanden hatte. Sie horchte und empfing unzählige, irgendwie merkwürdige Gedanken, wie ein vielstimmiges Raunen. Dann hörte sie das Mantra heraus:

"Du hast nur einen Herrn und Gebieter, Igor Bokanowski! Du hast nur einen Herrn und Gebieter, Igor Bokanowski!" Anthelia probierte Alohomora und wäre fast von der Gegenwehr niedergeschlagen worden. So zielte sie nicht mehr auf die Tür, sondern schickte einen flirrenden grünen Lichtstrahl gegen die Wand daneben, unter dem das Gestein porös wurde, aufplatzte und schließlich zu feinem Staub zerbröckelte. Dann war ein Durchgang frei. Anthelia schickte noch einmal den Breitbandfluchbrecher aus, der wahrhaftig mit etwas hinter der Mauer wechselwirkte und in einem Schauer roter, blauer und gelber Blitze verging. Sie stieß sich von der hinter ihr liegenden Wand ab, tauchte durch die ausgestanzte Öffnung im Mauerwerk und stand in einem großen Gewölbe, in dem mehrere, ihr bis zum Brustkorb reichende Glaszylinder standen, die mit einer wässerigen, leicht grünlich schimmernden Substanz gefüllt waren, in der smaragdgrüne, pulsierende, galleonengroße Geschöpfe mit mehreren dünnen Armen ruderten. So sahen sie also aus, die vermaledeiten Seelensterne. Die Versuchung, diese Brut mit gezielten Stromschlägen abzutöten wehrte sie mit der Erkenntnis ab, daß sie in ihren Behältern womöglich gegen elektrische Ladungen abgeschirmt waren und sie dieses Gezücht ohnehin wie alles andere hier im Höllenglutgas verbrennen würde. Zumindest wußte sie jetzt, wo sie eines der Fässer hinbringen lassen würde. Sie lauschte wieder. Bokanowskis Monster schienen die Überhand zu gewinnen. Sie hörte das Brummen ihrer fliegenden Streitmacht immer leiser werden. Flucht war diesen Wesen nicht eigen. Sie kannten keine Angst. Also wurden sie wahrlich niedergemacht. Doch sollte sich Bokanowski ruhig über diesen vermeintlichen Sieg freuen. Das Böse Erwachen war schon auf dem Weg zu ihm.

Als Anthelia nach einem kurzen Scharmützel mit faustgroßen Ameisen mit Menschenköpfen vor der Tür anlangte, hinter der Bokanowski war hörte sie diesen in grenzenloser Überheblichkeit sagen:

"Du siehst, du Mißgeburt, daß diese Flügelmonster meinen Kreationen nicht das Wasser reichen konnten. Dieses dumme Weib hätte es wissen müssen, daß so wenige von denen mir nichts anhaben können. Dann wollen wir mal sehen, was dich so unverschämt stark gemacht hat, Bürschchen."

Anthelia prüfte die Tür mit einem unsichtbaren, ungesagt wirkbaren Zauberfinder, stellte überrascht fest, daß außer einem Zauber zur mechanischen Entriegelung kein weiterer Funken Magie darin steckte und dachte nur "Reducto amplifico!"

Mit einem einzigen Donnerschlag barst die Tür zu reinem Sägemehl, das in den dahinterliegenden Raum hineingeblasen wurde. Anthelia sprang hinein, sah gerade noch, wie der vom Holzstaub eingedeckte Julius Andrews das rechte Handgelenk an die schlangenkörperähnliche Fessel um seinen Brustkorb brachte, die dann wild davonpeitschte. Er bekam seinen Zauberstab frei und rief sehr schnell und konzentriert:

"aulalhischa, Shedehuabtarakator Kirimwawiddisigalmattu!"

Bokanowski, der vom Splitterregen ebenfalls gesegnet war, sprang wütend auf und stürzte sich auf Julius, gerade als dessen Stab weißgolden aufglühte ... und der Herr der Bestien in Leere Luft stürzte und langschlug. Als er wieder aufstehen wollte hielt ihn eine unsichtbare Macht am Boden, warf ihn auf den Rücken, so daß er sehen konnte, wer da stand.

"Guten Morgen, Igor Nummer eins!" Wünschte Antehlia mit kalter Betonung im besten Russisch.

"Ach, du bist diese Hure, die meint, Sardonias Erbin zu sein!" Erwiderte Bokanowski und spie nach Anthelia. Doch dafür kassierte er fünf Sekunden Todesqual unter dem Cruciatus-Fluch. Er schnarrte: "Das bringt dir auch nichts. Meine anderen Ichs sind gleich hier und werden dich einfach so abmurksen. Du hast verloren, Miststück. Wie heißt du eigentlich?"

"Deine Abbilder sind tot. Ich selbst habe vier getötet, den Rest haben meine fliegenden Helfer dahingerafft, bevor du deine Bestien wider sie loslassen konntest."

"Ich habe genug hergestellt, die alle darauf warten, mir zu helfen. Ich habe Millionen von lebensfähigen Zellen und kann eine Armee davon heranzüchten, die du niemals hättest haben können, du Schlampe. Mit dir geb ich mich doch gar nicht lange ab. Wenn ich diesen vermaledeiten Bengel finde, wirst du schon längst tot sein."

"Dazu müßtest du deine Verbindung mit den anderen Abbildern deiner selbst halten. Aber dieses widerliche Geschläuch dort, über das du Verbindung hältst: Iovis Amplifico!" Sie deutete auf einen armdicken Schlauch aus smaragdgrünem, pulsierendem Gewebe. Laut knisternd fand die elektrische Entladung ihr Ziel. Bokanowski sprang auf, weil für einen Moment die telekinetische Kraft von ihm abließ und stürzte sich auf Anthelia, die jedoch sofort wieder zupackte und ihn mit vorgestrecktem Zauberstab an die nächste Wand schleuderte, daß ihm fast das Rückgrat brach.

"Murattractus!" Bellte sie. Schlagartig hafteten alle Gliedmaßen des Bestienmeisters an der harten Granitwand und ließen sich nicht mehr lösen.

"Ich bin gekommen, um dich endgültig hinfortzutilgen und das werde ich auch tun. Legilimens!" Sie konzentrierte sich auf Bokanowski, fand wegen dessen unbeherrschter Wut leicht in seinen Geist und zog flink an den Strängen zusammenhängender Erinnerungen, bevor diesem einfiel, sich abzuschirmen. Als er es versuchte, stieß Anthelia mit äußerster Brutalität in die Erinnerungen des Dunkelmagiers, ließ ihn seine schlimmste Erinnerung sehen, wie seine Frau von Vampiren zu deren Artgenossin gemacht wurde und holte alles heraus, was sie über diese Burg wissen wollte, obwohl er versuchte, sich dagegen zu wehren.

"Du bist ein armer Wicht, Igor", sagte Anthelia. "Statt dich auf die Beherrschung deiner Gefühle und der Übung geordneter Gedanken zu besinnen hast du in all deiner Verbitterung nichts besseres zu tun gewußt, als unzählige Abbilder deiner Selbst zu machen und Züchtungen hervorgebracht, die nichts als Angst und Schrecken bringen sollen. Du warst doch ein so guter Heiler. Du hättest deiner Welt besseres geben können als Haß und Terror. Der Junge hat ganz recht, wenn er dich einen armseligen, sich selbst entwertenden Möchtegernfrankenstein geheißen hat." Sie lauschte, ob nicht doch noch unliebsame Störenfriede eindringen mochten. Sie hatte gut daran getan, denn so entging sie nur knapp einem Todesfluch, den Igor 23 auf sie schleuderte und statt dessen einen von der Decke zum Boden gehenden Riss in die Wand sprengte. Die vermeintliche Ministertochter warf sich wie eine zustoßende Schlange auf Anthelia, die jedoch ihren silbergrauen Zauberstab hochriss und "Iovis Amplifico!" Rief, bevor der Hydrawandler im Frauenkörper sie erreichte. Der Stromstoß traf ihn an der rechten Brust. Anthelia hörte den telepathischen Todesschrei des Seelensterns, bevor Dreiundzwanzig halbohnmächtig auf die Knie fiel. Anthelia versetzte ihm einen Schockzauber und schloss ihn in eine weiße, eiförmige Kapsel ein.

"Wo waren wir verblieben?" Fragte Anthelia keuchend aber wieder Herrin der Lage.

"Du wirst mich nicht töten, jetzt wo du weißt, daß ich alles und jeden mitnehme, der sich im Umkreis von einer Meile um diese Burg aufhält. Pech für dich, Sabberhexe. Und du hast mir immer noch nicht verraten, wer du bist. Das wäre doch zumindest höflich, wie es sich für euch Franzosenpack gehört", konterte Bokanowski in bestem Pariser Französisch.

"Nun, ich muß nicht anwesend sein, wenn du stirbst, Igor. Und sterben wirst du. Das hast du dir selbst so eingebrockt."

"Du kommst doch nicht mehr hier raus. Meine Lieblinge bleiben im Hof und bringen alles um, was nicht nach mir riecht oder einen Seelenstern trägt. Außerdem könnte ich dir lebend mehr nützen. Du hast es gesehen, wie viel Erumpentflüssigkeit ich lagere."

"Kehre in dich und genieße die letzten Minuten deines Daseins!" Schnaubte Anthelia nur.

"Hey, was soll das? Verdammt ich bin Igor Bokanowski und kein blödes Hexenprinzesschen!" Klang es hohl aus der weißen Kapsel. Der Hydrawandler war erwacht, vom Seelenstern befreit. Anthelia grinste.

"Du wirst diesen Körper wohl behalten müssen, bis du stirbst, Igor!" Rief sie. Dann sah sie sich um, entdeckte den Schaukasten an der Wand, ließ telekinetisch das Glas bersten und holte alle darin lagernden Metallzylinder heraus. Als sie den Raum durch die zerstörte Tür verließ, sprengte sich Dreiundzwanzig gerade frei. Der Hydrawandler stürzte hinaus, genau in einen Murattractus-Fluch Anthelias hinein. Auch die übermenschliche Kraft der Hydra half ihm nicht, sich von der dicken Mauer zu lösen. Der Zauberstab entglitt ihm, als seine Hand fest an der Wand anhaftete.

"Wie gesagt, du wirst diesen Körper behalten bis zu deinem Tod", knurrte Anthelia. Sie ging einige Schritte weiter. Da fiel ihr ein, daß es unbedingt ratsam war, den Zugang für alle zu versperren. So berührte sie mit dem Zauberstab ihre Stirn und dachte konzentriert: "Pereummeabilis! Pereummeabilis! Pereummeabilis!" Als sie dieses Zauberwort dreimal konzentriert gedacht hatte, knisterte um sie herum die Luft, und silberne Funken tobten um ihren Kopf, bildeten einen immer dichter werdenden Vorhang von der Decke bis zum Boden. Dann knackte es leise, und alles schien wie sonst zu sein. Tatsächlich aber bildete genau da, wo Anthelia stand eine unsichtbare, für alle anderen undurchlässige Barriere. Nur wer Anthelias Kopf besaß - was ja nur eine tat - vermochte nun, die Barriere ungehindert zu durchlaufen, als sei sie Luft. Für alle anderen fühlte sie sich wie eine meterdicke Stahlwand an und würde nur im Maß des sie bedingenden Körperteils oder Merkmals aufgehoben, wenn ein Teil des Ganges bishin zur Burg selbst beschädigt oder zerstört würde. So lief Anthelia weiter bis zu einer Abzweigung, wo sie den Pereummeabilis-Zauber erneut wirkte.

Dann horchte sie durch die Burg. Julius Andrews hatte gerade mit einem Mondlichthammer vier Igors ohne Zauberstab umgemäht und war in das Gewölbe geraten, in dem die Zylinder mit den Seelensternen ruhten. Sie lief sofort hin zu ihm und lauschte dabei, wie mehrere Igors in die Burg zurückströmten. Offenbar waren die Entomanthropen tot. Sie erreichte das Labor und hörte ihn noch denken:

"Hätte ich Nitro würde ich diese verdammte Hexenküche einfach in die Luft jagen!"

"Das mit der Hexenküche verbitte ich mir, junger Mann", schnarrte Anthelia, als sie hinter dem bärtigen Jungen, der augenscheinlich nicht älter geworden war eintrat. Sofort verschloss er seinen Geist, das kein Gedanke mehr durchdrang.

"Du hast wahrlich sehr fleißig geübt. Das freut mich, Julius Andrews. Wir müssen hier fort."

"Och, wie denn. Ich war schon fast am Hof, bis mich so'n Heuschreckenbiest fast gekillt hätte", schnarrte Julius auf Französisch zurück. Dann sah er die strohblonde Hexe an und fragte: "Wollen Sie mich diesmal wieder retten oder besser doch umbringen?"

"Du meinst, nichts mehr zu verlieren zu haben, daß du mir derartig dreist kommst, Julius Andrews", lachte Anthelia. "Aber deine Frage möchte ich beantworten. Du warst nicht mein Feind und bist es auch jetzt nicht. Ich werde dich, Señor Colonades und alle die von Bokanowski gegen seine Handlanger ausgetauscht wurden hier herausbringen und euch eurer Wege ziehen lassen. Also komm!"

Zu seinem Glück war der Jüngling so vernünftig, nicht gegen Anthelia zu kämpfen und folgte ihr, wohl auch aus Trotz, weil er sich nicht vorstellen konnte, daß sie beide hier herauskamen. Offenbar wußte er, daß sie nicht disapparieren konnten, und den Zeitpakt wollte er wohl nicht noch einmal anwenden. Durch mehrere auf sie losgehende Reihen von Igors, die sie mit Mondlichthämmern und Elektrozaubern zurückwarfen ging es vor eine Tür, wo niemand anderes als Miguel Jerezes Abbild stand, Igor Nummer 7. Anthelia hob den Wächter einfach telekinetisch in die Luft und sagte Julius:

"Die Versklavende Kreatur in seinem Genick reagiert sehr empfindlich auf Elektrizität." Julius verstand und besorgte ungesagt einen heftigen Stromstoß knapp an Siebens Genick vorbei, worauf dieser zusammenzuckte. Anthelia schleuderte ihn mit ihrer seltenen Gabe durch den Korridor. Da begann jemand hinter der Tür laut und mit sehr schöner Stimme zu singen. Die Töne drangen durch alle Räume. Anthelia fühlte, wie ihr Kampfeswille geschwächt wurde. Sie sah, wie Julius Andrews zur Tür ging und sie aufmachte. Immer noch singend trat ein kleiner, dicker Mann heraus, der ihn anlächelte, dann auf die Hexe sah und erkannte, wie sie starr dastand, während der Jüngling sich frei bewegen konnte. Dann warf er sich herum und lief immer noch aus vollem Halse singend durch den Gang davon. Anthelia konnte nur zusehen, wie Julius ihm hinterherlief. Ihre Willenskraft war gelähmt. Sie hörte, wie Colonades den Hof erreichte und einfach weitersang, einfach weiterlief, leiser und leiser wurde. Dann war er nicht mehr zu hören, und Anthelia erwachte wie alle, die nun im Gang standen aus der Erstarrung. Sie warf sich herum und zog eine Feuerwand vom Boden bis zur Decke hoch. Dann lief sie los. Was dieser Colonades da gemacht hatte konnte sie auch und wesentlich besser. Sie hielt kurz vor dem Ausgang zum Hof. Da kamen die ersten Monster. Doch mit vorgestrecktem Zauberstab begann nun auch sie zu singen, nicht so laut, weil sie auf keinen fall wollte, daß Igor Bokanowski zu früh starb, aber laut genug, um die ihr entgegendrängenden Bestien in wilder Agonie erbeben und vor ihr zurückweichen zu lassen. Sardonias Lied der Vergeltung tat seine Wirkung. Einige der kleineren Ungeheuer brachen leblos zusammen, während Anthelia jeden Ton gezielt singend hinaustrat, unangefochten zwischen den vor ihr zurückweichenden Kreaturen hindurchschritt und durch das offene Tor hinaustrat. Sie sang noch ein paar Worte der alten, mächtigen Verse, dann war sie weit genug fort von den Ungeheuern. Als sie zu singen aufhörte, verwandelte sie sich in ihre Krähengestalt und flog auf. Sofort setzten ihr die nicht getöteten Ungetüme nach. Einige Heuschreckenwesen hätten sie fast eingeholt. Doch sie erreichte ihren Besen, verwandelte sich zurück und schleuderte Todesflüche nach den Bestien, bis keine mehr flog. Auch die am Boden belegte sie in schneller Folge mit dem Todesfluch. Jetzt spürte sie, wie ihre Kräfte schwanden. Doch sie mußte ihr Werk noch vollenden. Sie holte den großen Bernstein hervor und wirkte den Zauber, um mit ihren fünf verbliebenen Insektenkriegern zu kommunizieren. Als sie das fünffache Surren hörte landete sie und geleitete die Insekten, die in den Igors im Burghof leichte Beute fanden zu verschiedenen Punkten, vor allem den Laboratorien. Sie wußte, daß unter der Burg ein Gewölbe lag, in das nur Bokanowski hineingelangen konnte. Dort schlug ein Herz in einer Nährlösung, das durch ein magisches Ritual mit Bokanowskis schlagendem Herzen verbunden war. Hörte dieses auf zu schlagen, starb auch das freie Herz. Dann würde eine Verriegelung gelöst und zehn große Kolben würden im freien fall in zehn Zylinder voller Erumpentflüssigkeit schlagen, was diesen Stoff umgehend zur gewaltigen Explosion bringen würde, die alles im Umkreis einer Meile hinwegfegte. Bis dahin mußte sie sich und jeden, den sie nicht sterben lassen wollte diese eine Meile von der Burg entfernt haben. So wählte sie die zeit, die nötig war, bis die Fässer mit der Höllenglutflüssigkeit entzündet wurden. Dann verließ sie mit ihren fliegenden Helfern die Burg und fand Julius, der gerade neben Colonades kniete und wohl daranging, einen Wiederbelebungszauber zu wirken. Neben ihm hing das räumliche Abbild einer Frau in der Luft. Anthelia kannte den Zauber des Armbands und war sich sicher, daß Julius mit der Schulheilerin der ehrwürdigen Beauxbatons-Akademie sprach. Sie überlegte, ob sie ihn lassen sollte, befand dann, daß die Zeit zu knapp war und flog zu ihm. Julius schrak zusammen, als einer der Insektenmenschen über ihn herabstieß. Todesangst flackerte in seinem Blick, als das geflügelte Wesen ihn ergriff, fest aber keineswegs brutal und ihn hochriss. Das freischwebende Abbild der Schulheilerin begleitete ihn bei dem Rasanten Aufstieg. Anthelia gebot auch einem zweiten Entomanthropen, den bewußtlosen Colonades zu ergreifen. Dann gab sie den lautlosen Befehl:" Zurück zum Abflugpunkt!" Sie flog unsichtbar voran. Es würden noch zwei Minuten vergehen, bis das Höllenglutgas zündete. Vielleicht würde Bokanowski in der nächsten Sekunde sterben, vielleicht auch erst zehn Sekunden später. Jedenfalls würde dann die wirklich heftige Explosion erfolgen. Sie flogen eine Minute weiter, bis Anthelia die Landung befahl. Als Sie von ihrem Besen stieg wurden sie und dieser sichtbar. Julius, der wohl die Ganze Zeit mit der Schulheilerin in Kontakt gestanden hatte starrte auf die Hexe, die zu Colonades ging, nachdem die Entomanthropen ihn und den Jungen wieder freigegeben hatten. Mit einem Schwenk des Zauberstabs löschte sie das Abbild der Schulheilerin. Julius zuckte dabei zusammen.

"Der Unterbrechungszauber hält nur fünf Minuten vor. Dann kannst du sie wieder rufen. Lass mich an den Barden heran!"

"Er hat versucht, mit mir zu disapparieren. Aber warum sage ich Ihnen das?" Grummelte Julius. Doch als er sah, mit welcher Sorgfalt und Kunstfertigkeit Anthelia den bewußtlosen Spanier behandelte und wieder auf die Beine brachte sagte er nichts.

"Gleich wird die Burg der Bestien mit lautem Donnerschlag vergehen, besser als ich es vermocht hätte!" Rief Anthelia erst auf Französisch, dann noch auf Spanisch.

"Soll das heißen, die Burg geht gleich genauso kabumm wie der Krug von Hallitti?" Erschrak Julius.

"Seltsam ausgedrückt aber zutreffend", sagte Anthelia. Sie wandte sich ab. Julius ebenso. Sie öffnete die Zylinder und entnahm ihnen behutsam alle eingeschrumpften und handlungsunfähigen Menschen. Sie legte sie auf den Boden. Dann sagte sie zu Julius:

"Ich kehre nun zurück von wo ich kam. Ihr werdet sicherlich aufgefunden werden. Die Zylinder überlasse ich euch, damit sie lernen, die Spürzauber zu verbessern."

"Beim Ersten Mal war es ein Krug. Jetzt 'ne Burg. Wir sollten uns besser nicht noch mal treffen, bevor noch der ganze Planet in die Luft geht", stieß Julius trotzig aus.

"Dies lieggt mir absolut fern, unsere große Mutter derartig grausam zu ermorden", sagte Anthelia ruhig. "Und ob wir uns wiedersehen oder nicht, wage ich heute nicht zu mutmaßen. Gehab dich wohl, Julius Andrews und genieße weiterhin die Milch des Wissens, die Maman Beauxbatons dir darbringt!" Sie saß auf ihrem Besen auf, wurde unsichtbar und flog davon. Ihr folgten surrend die Entomanthropen. Eine Minute später hörte sie in der Ferne einen dumpfen Knall wie von einer Kanone und ein Grummeln wie weit entfernter Gewitterdonner. Sie atmete auf. Bokanowskis Burg war vergangen und die von ihm geschaffenen Kreaturen auch. Wie sie es in seinem Geist gesehen hatte würden mit der Burg auch alle von ihm in die Welt geschickten Abbilder vergehen, in einem letzten Stoß von Distignitus. Sie war froh, diesem Spuk ein so rasches und endgültiges Ende gemacht zu haben und würde nun, wo ein mächtiger Widersacher vergangen war, genug Zeit damit haben, sich auf die Niederwerfung des Waisenknabens zu konzentrieren. Vielleicht sollte sie einfach zu seinem Versteck und mit den fünfundfünfzig verbliebenen Entomanthropen auch ihm den Garaus machen. Dann hätte sie endlich Zeit. Doch sie erinnerte sich, daß er sein Friedhofsversteck gegen unbefugte besser abgesichert hatte, weil er wußte, daß er eine Widersacherin hatte und sie auch nicht wußte, wie der Jüngling Harry Potter davon betroffen sein würde, wenn sie dessen Erzfeind einfach so tötete. Sie würde sich eher auf die Eindämmung seiner Unternehmen besinnen, bis ihr etwas in die Hände fiel, daß ihr den Schlüssel zum Sieg über ihn bringen würde, ähnlich dem, was Bokanowskis Fall verschuldet hatte.

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Als Anthelia es geschafft hatte, unbemerkt mit ihren verbliebenen Entomanthropen nach Frankreich zurückzukehren und von dort aus in die Daggers-Villa apparierte, wußte sie von Patricia bereits, was in den Zeitungen stand.

MORD AN MINISTER DAVENPORT GERÄCHT

RUSSISCHER SCHWARZMAGIER IGOR BOKANOWSKI VON UNBEKANNTER HEXE IN SEINER BURG GETÖTET

SCHLACHT DER UNGEHEUER AM SCHWARZEN MEER ZERSTÖRT SCHRECKENSBURG

"Sie haben den Jungen, den Spanischen Tierwesenexperten und alle von Bokanowski ausgetauschten Leute wohlbehalten geborgen", sagte Patricia Straton. "Lino ist auch wieder aufgetaucht. Sie erzählt, sie habe einige Tage gut versteckt im Grünen zugebracht. Außerdem habe ich von Donata, die wieder in der Strafverfolgung arbeiten darf, daß Julius Andrews mit seiner Mutter und einer gewissen Mildrid Latierre bis zum Ende der Ferien in VDS zubringen wird, nach dem der Ministerhandschlagparcours geschafft ist."

"Gönnen wir ihm die Ferientage!" Sagte Anthelia wohlwollend lächelnd.

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Der mann mit dem Turban verbeugte sich ganz tief, als er vor Voldemort stand. Der dunkle Lord nickte ihm wohlwollend zu. Dann nahm er ihm wortlos eine Schatulle aus Jade aus der Hand und sagte erfreut:

"Ich bedanke mich bei dir, Rundhi. Dann werden sie bald neue Tiger für den Tempel haben. Gut zu wissen, daß ich mich auf Widerstand einrichten muß. Aber zumindest werde ich dann mächtiger sein als diese überhebliche Hexe."

"Ich hörte, einer eurer mächtigen Feinde im Osten endete schmachvoll", sagte der Mann mit dem Turban.

"Ja, der gute Igor hat sich eingebildet, er könnte mal soeben alle Zaubereiminister der Welt gegen billige Kopien austauschen. Pech für ihn, daß diese Sardonianerin seine Abbilder riechen konnte. Tja, jetzt sonnt die sich im Erfolg, und ich habe einen miesen Hund weniger, mit dem ich mich abgeben muß. Ich wünsche dir noch einen schönen Tag, Rhundi!"

"Euch auch, Lord Voldemort Sahip!" Erwiderte Rundhi überaus ehrerbietig und verließ das alte Riddle-Haus.

ENDE

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