IM TEMPEL DER TIGER

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Anthelia, die Nichte der vor Jahrhunderten halb Europa beherrschenden dunklen Hexe Sardonia, hat nach der Inbesitznahme des von Dementoren entseelten Körpers von Bartemius Crouch Junior mehrere Erfolge aber auch einige Niederlagen hinnehmen müssen. Sie errichtete einen weltweiten Hexenorden, den sie das Netz der Spinne nennt und der sich aus Mitgliedern einer ohnehin schon dubiosen wie geheimnisvollen Schwesternschaft zusammensetzt, aber auch solche Hexen aufnimmt, die wie Anthelia das große Ziel verfolgen, die gesamte Welt unter die alleinige Vorherrschaft der Hexen zu stellen. Ihr gelang es, Hallitti, eine der neun Töchter des Abgrundes, in einem mörderischen Kampf zu besiegen und zu vernichten. Sie entzog dem in England wütenden Schwarzmagier Voldemort die Bündnispartner in Übersee und konnte ihn selbst in einem Duell an den Rand der Vernichtung treiben, was ihr beinahe selbst zum Verhängnis wurde. Sie offenbarte sich den anderen ähnlich wie sie gesinnten Hexen und schloß ein Bündnis mit ihnen. Doch ihr gelang es nicht, an die wahrhaft mächtigen Hinterlassenschaften aus dem sagenhaften alten Reich zu gelangen. Ja, sie muß mit ansehen, wie Voldemort knapp vor ihr an das mächtige Schwert des uralten Feuermagiers Yanxothar gelangt. Die Genugtuung, daß Voldemort es nicht lange behalten kann reicht jedoch nicht ganz aus. Als dann noch der russische Dunkelmagier Igor Bokanowski, dessen Spezialität die Züchtung gefährlicher Ungeheuer und Doppelgänger seiner selbst ist, die Zaubererwelt unterwerfen will, kann sie beinahe nur tatenlos zusehen, wie dieser sich mit den Getreuen Voldemorts eine höllische Schlacht liefert und dabei scheinbar mit seiner Burg verbrennt. Doch sie erkennt, daß er nicht gestorben ist und das flammende Inferno, dem seine Burg angeblich zum Opfer fiel nur eine machtvolle Elementarzauberei zur Ablenkung ist. Um auf Gegner wie Voldemort, die noch lebenden Abgrundstöchter und Bokanowski vorbereitet zu sein verlockt sie Voldemort dazu, seine Dementoren, die als einzige dunklen Kreaturen in ihr altes Heimatdorf Millemerveilles eindringen können loszuschicken, um Sardonias Erbe zu bergen. Sie schafft es, die magische Truhe ihrer Tante an sich zu bringen, weil Sardonias Macht jeden abweist, der nicht in ihrem Sinne handeln will, erst recht alle Zauberer. Mit Hilfe des in der Truhe enthaltenen Erbes Sardonias beschwört sie schließlich die vergessen gehoffte Armee der Insektenmenschen herauf und bringt sie an einen anderen Ort. Dies wird jedoch von den Institutionen der Zaubererwelt bemerkt. Anthelia beschließt daher, zumindest anklingen zu lassen, daß es jemanden gibt, die Anspruch auf Sardonias Erbe hat und in ihrem Sinne handelt. Sie bedauert, daß eine ihrer wertvollsten Kundschafterinnen, Ardentia Truelane, der Neugier ihrer Arbeitskollegin Jane Porter zum Opfer fällt und gemäß Anthelias Verratsunterdrückungsfluch zusammen mit Jane Porter vernichtet wird. Schon bald wird sich zeigen, daß Anthelias Befürchtungen, mit mächtigen Gegnern aneinanderzugeraten mehr als begründet ist. Denn der russische Schwarzmagier Igor Bokanowski erhebt sich erneut und schafft es, Ebenbilder seiner Selbst mit der Wandlungs- und Widerstandskraft des vielköpfigen Schlangenwesens Hydra zu vereinen und an die Stellen wichtiger Persönlichkeiten der Zaubererwelt zu setzen. Da jedoch Norman Ironquill, der Gegenkandidat des amerikanischen Zaubereiministers, als Ruster-Simonowsky-Zauberer mit unerwarteter Widerstandskraft dem Austausch entgeht, jedoch dabei sein Leben verliert, interessiert sich Bokanowski für die Besonderheiten der Ruster-Simonowsky-Zauberer, von denen es im Moment noch zwei auf der Erde gibt, den Spanischen Tierwesenexperten Orfeo Colonades und den in Frankreich lernenden Zauberschüler Julius Andrews. Bokanowski schafft es, die beiden entführen und in seine Burg verschleppen zu lassen. Doch damit hat Anthelia gerechnet und schafft es, einem der Entführer auf den Fersen zu bleiben, ja mit Hilfe ihres Muggelweltkundschafters Cecil Wellington anhand der telepathischen Ausstrahlungen von Bokanowskis Willensunterdrückungsparasiten den Standort der Burg zu ermitteln. Mit der Hälfte ihrer Entomanthropen greift sie an, schleicht sich heimlich ein, während ihre Insektenmonster die Burgbesatzung beschäftigen und tritt Bokanowski gegenüber. Sie überwältigt ihn und schmiedet ihn magisch an eine Wand. Danach verläßt sie mit Julius Andrews und dem Spanier die Burg, die bald darauf durch eine Vernichtungsladung Anthelias und einem darauf ansprechenden Selbstzerstörungssystem Bokanowskis explodiert. Nun hat sie einen gefährlichen Widersacher weniger. Doch Ruhe hat sie dadurch nicht.

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Die meilenhohe Stadt. So wurde Denver, die Hauptstadt des nordamerikanischen Bundesstaates Colorado genannt. Denn sie lag genau eine Meile über dem Meeresspiegel. Doch von würziger Bergluft war in den verkehrsreichen Straßen nichts zu bemerken. Smog und Lärm regierten hier ebenso wie in New York oder Los Angeles.

Gerade passierte der letzte Schwung Fluggäste die großen Glastüren der Ankunftshalle im Inlandsbereich des Flughafens. Sie zogen ihre rollbaren Koffer oder schoben diese auf Gepäckwagen vor sich her. Den Mann Mitte Zwanzig, der einen schicken dunklen Anzug und eine locker gebundene Krawatte trug, mochten viele wegen seiner braunen Hauttönung und tiefschwarzen Haare für einen ausländischen Besucher halten. Doch er war im Schatten der New Yorker Wolkenkratzer zur Welt gekommen und damit ein waschechter US-Bürger. Hinzu kam noch sein eindeutig europäisch herrührender Name: Dennis Taller.

Taller war ein Mann, der gerade einmal so viel Sport trieb, daß er nicht als unterernährt oder schlaff angesehen werden mochte. Doch eigentlich lagen ihm Geistesleistungen mehr als athletische Aktivitäten. Wer den Blick seiner Dunkelbraunen Augen wahrnahm erahnte die Willensstärke und geistige Beweglichkeit des sechsundzwanzigjährigen Experten für Kommunikationstechnik und Vermarktungsmethoden. Er war als Tausendsasser Taller in den Büros seiner Firma bekannt, der heute bei einem Werbespot regie führen konnte und morgen den Finanzplan einer mittelgroßen Industriefirma gestalten mochte, übermorgen dann von den meisten unbemerkt die virtuellen Fäden des Internets meisterhaft verwob, ganz wie sein Boss, Mr. Buchanan von der Trippelco-Kompanie, ihn einzusetzen wünschte. Jetzt war Taller als Unterhändler und Technikexperte in Personalunion unterwegs im früher so wilden Westen und besuchte die geschäftige Stadt am Ostrand der Rocky Mountains. Es galt eigentlich, bei dem immer rascher dahinbrausenden Zug des neuen Marktes in einem der vorderen Wagons mitzufahren. Doch Taller hatte schon einige Male mit seinem Boss debattiert, daß der achso aufstrebende elektronische Markt für Firmen, die hauptsächlich im Internet präsent waren am Ende nur eine Seifenblase sein mochte, wenn sich Firmen ohne eigentliche Rücklagen und Materialien irgendwann übernehmen und dann genauso rasch in das Nichts zurückstürzen konnten, aus dem sie aufgestiegen waren. Doch im Moment wollten weder Buchanan noch die Leute mit denen er hier in Denver unterhandeln sollte was davon wissen. Die "neue Wirtschaft" war ein Zauberwort, mit dem sonst so kritische und knauserige Börsenfachleute zu freudestrahlenden Investoren wurden.

Taller kannte das Spiel zur Genüge, wenn er aus New York herüberkam und auf einen Fahrer oder ersten kompetenten Kontakt treffen wollte. Er suchte in der Menge der wartenden Männer und Frauen nach jemanden, der oder die ein Schild mit seinem Namen hochhielt oder ein Schild mit dem Firmennamen an der Kleidung trug. Ja, und da standen auch schon zwei Herren in italienischen Maßanzügen, die nicht viel älter als er selbst sein mochten und präsentierten ein dreißig Zentimeter großes Pappschild "Mr. Dennis Taller". Doch offenbar hatte Buchanan den beiden das Foto dessen zugeschickt, den sie abholen sollten. Denn sie kamen bereits auf ihn zu und strahlten ihn an.

"Mr. Taller?" Fragte einer der beiden, blond, klein und kompakt gebaut. Dennis nickte. "Wunderbar. Wir sind Rick Mathews und Manfred Spalding von der Colorado-Mediengesellschaft. Ist das ihr einziges Gepäckstück?" Der Blonde deutete auf den haselnußbraunen Handkoffer am rechten Arm des Ankömmlings. Dennis nickte bestätigend.

"Ich habe genug für drei Tage da reinpacken können, Gentlemen. Auch die Daten für die Präsentation, die ich für Ihren Chef und seine führenden Angestellten vorbereitet habe."

"Gut, wir bringen Sie dann am besten erst einmal zu Ihrem Quartier", sagte Manfred Spalding, ein hagerer, dunkelhaariger Mann mit einer rahmenlosen Brille auf der schmalen Nase.

Taller nickte und folgte den beiden. Draußen stiegen sie in einen unscheinbar wirkenden, schon einige Beulen aufweisenden grünen Ford ein. Taller, der häufig genug entweder mit einem Taxi oder mit protzigen Limousinen vom Flughafen abfuhr, empfand den Mittelklassewagen als originell. Doch hatte er auf dem Flug an den Rand der Rockies auch gelesen, daß der Sitz der Colorado-Mediengesellschaft zurzeit in einem etwas unterbemittelten Stadtteil der Landeshauptstadt lag. Wahrscheinlich hatte sich die noch junge Firma wie seinerzeit das große Imperium, wie Dennis den Marktführer auf dem Gebiet der Computerbetriebssysteme nannte, aus einem kleinen Garagen- oder Wohnhausunternehmen entwickelt. Leute wie er sollten wohl dazu beitragen, daß die Colorado-Mediengesellschaft aus dieser tristen Umgebung herausrücken und einen standesgemäßen Bürobau in den angeseheneren Geschäftsvierteln Denvers beziehen konnte.

Unterwegs sprachen sie nicht viel. Taller erfuhr nur, daß der Blonde wie er selbst ein Diplom in Telekommunikationstechnik besaß und Spalding abgesehen davon, daß er einen adrenalinfördernden Fahrstil besaß für Logistik und Auftragsbeschaffung zuständig war. Daneben gab es in der Firma nur noch zehn weitere Mitarbeiter. Das war alles, was er über die Firma erfuhr, was er bisher noch nicht hatte nachlesen können. So ließ er selbst nur durchblicken, daß seine Firma auf dem Gebiet der Glasfasertechnik ein paar neue Methoden zur Datenkompression entwickelt hatte und sie sowohl mit bodengestützten Übertragunswegen als auch mit Satellitengestützter Nachrichtenübermittlung arbeiteten. Im wesentlichen war das nicht mehr als Mathews und Spalding auch so hätten nachlesen können. Immerhin präsentierten sich beide Firmen im Internet, weswegen dieses Treffen überhaupt zustandegekommen war.

Sein Quartier war ein 30-Quadratmeter-Einzelzimmer mit kleinem Badezimmer in einem kleinen Hotel der oberen Mittelklasse. Zumindest besaß das Zimmer einen freien Telefonanschluß, damit die Gäste mit ihren Laptops die Datenautobahn befahren konnten. Taller wurde zehn Minuten sich selbst überlassen. Er räumte die zwei Hosen, das Unterzeug und die von seiner Haushaltshilfe Mrs. Bender ordentlich gebügelten und gefalteten Hemden in den Schrank, prüfte, ob der Akku seines handtellergroßen Computers noch voll genug war, nahm die CD-ROM, auf der alle passwortgesicherten Dateien für die Präsentation gespeichert waren und steckte sie in die Innentasche seines dunkelblauen Hemdes und achtete darauf, daß sie ebensogut verborgen war wie die schmale Brieftasche, in der er einige Reiseschecks und drei Kreditkarten beförderte. Er belächelte manchen Jungunternehmer, der mit einem Laptop herumziehen mußte, um Kunden oder Geschäftspartnern was vorführen zu können. Durch das Internet war es möglich, verschlüsselte Datenpakete an jeden gewünschten Ort auf der Welt zu befördern und sie auf für gesichert angesehene Rechner zu laden. Den Handheldcomputer hatte er nur mit, um neue Ideen, die er im Verlauf seiner Reisen hatte einzuspeichern und gegebenenfalls auf ihre Umsetzbarkeit zu prüfen.

Mit dem angebeulten Ford ging es durch die Straßen zum Sitz der ehrenwerten Colorado-Mediengesellschaft, wo er mit Erlaubnis des Bosses einen Rechner mit Hochtechnologie-Projektionsgerät für öffentliche Bild-Präsentationen benutzte, um die mitgeführten Daten sicht- und hörbar zu machen. Er wies darauf hin, daß die zwölf Ladies und Gentlemen die überspielten Daten einen Monat lang benutzen durften, dann aber wissen sollten, ob sie zu den Bedingungen von Trippelco Partner werden wollten, um die Daten weiterbenutzen zu dürfen.

"Ich möchte Ihnen nicht unterstellen, daß Sie unser Vertrauen mißbrauchen, Gentlemen. Aber wie eine günstige Gelegenheit den Dieb macht kann der Besitz von wertvollen Daten in die Versuchung führen, sie unbezahlt weiterzunutzen. Wenn der zugebilligte Monat vorbei ist und Sie, wie ich zuversichtlich hoffe, mit uns Handelseinig werden, erhalten sie per Kurier die Entschlüsselungssoftware, die Sie als lizenzierten Nutzer ausweist. Jeder Versuch, die Ihnen vorgeführte Software so weiter zu benutzen, indem die Passwörter entschlüsselt werden, führt zur Unbrauchbarkeit sämtlicher von mir an Sie ausgehändigten Daten. Es würde Ihnen auch nichts nützen, die Daten von der CD neu zu überspielen, da sie nur mit der von mir eingetippten Frage-und-Antwort-Sequenz aktiviert werden können, die nicht nach einem starren Schema verläuft, sondern von einem Zufallsgenerator ausgewählt wurde. Nur, damit Sie nicht behaupten, wir hätten Ihnen unbrauchbare Daten überlassen, falls jemand von Ihnen sich als Knackerkönig oder -königin versuchen möchte." Verhaltenes Lachen war die Antwort. Taller kannte das, daß er mit dieser Art von Hinweis heftig anecken mochte. Doch sein Boss wußte um die Macht der Versuchung und wie leicht meisterhafte Programme gestohlen werden konnten, wenn sie nicht umfangreich gesichert wurden. Er wurde von einer leicht untersetzten Brünetten, die wohl gerade erst frisch vom College hier eingestiegen war gefragt, ob er sich denn alle Passwörter gemerkt habe. Er sagte dazu nur, das er Erinnerungshilfen hatte, die dann griffen, wenn eine bestimmte Frage auf dem Bildschirm erschien und die Antwort dann in den Code übersetzt werden mußte. Hier jonglierte er mit einem mehrere Millionen Dollar Wissen und er wußte schon, daß er sich damit einer gewissen Gefahr aussetzte, falls er keinen seriösen Geschäftsleuten, sondern windigen, am Ende skrupellosen Kriminellen seine Kunst gezeigt hatte. Doch er hatte die hundert in Frage kommenden Codes, von denen zehn abgefragt wurden gut im Handheldcomputer versteckt. Ein automatisches Löschprogramm würde die Datei in nicht einmal einer Stunde verschwinden lassen. Sollte bis dahin jemand versuchen, sie zu stehlen und den korrekten Code nicht kennen, würde sie schon vorher gelöscht. Doch das brauchte er den Herrschaften hier nicht zu sagen.

"Nun, wenn wir nach einem halben Monat immer noch zufrieden mit Ihren Produkten und Hardwarelösungen sind, Mr. Taller, werden wir mit Ihrem Boss, Mr. Buchanan, sicherlich ins Geschäft kommen, und Ihre gutgemeinte Warnung wird dann unnötig werden", sagte Martin Keller, der Chef der Colorado-Mediengesellschaft. "Falls wir jedoch befinden, daß Ihr Angebot nicht mit unserer Firmen- und Finanzpolitik in Einklang gebracht werden kann, mögen die von Ihnen übergebenen Demos sich ruhig verabschieden. Das wird dann ungefähr in zwei Wochen feststehen, was eintreten wird."

"Nun, dann darf ich meinem Boss melden, daß die Kontaktaufnahme erfolgreich verlaufen ist?" Fragte Taller.

"Ja, das dürfen Sie, Mr. Taller", erwiderte Keller gekonnt lächelnd. "Dann sehen wir uns morgen früh hier noch einmal, damit Sie uns in die alltäglichen Anwendungsbereiche einführen können?"

"Ich stehe Ihnen zur Verfügung, Sir", sagte Taller leutselig. Dann verabschiedete er sich von allen, die seiner dreistündigen Einführungspräsentation zugesehen hatten.

"Möchten Sie eine Empfehlung für die Freizeitgestaltung oder sich von unserem Leiter der Aquisitionsabteilung in das vielfältige Angebot unserer Hauptstadt einführen lassen?" Fragte Keller.

"Nein, danke. Ich habe mir bereits für den Fall, genug Freiraum zur Verfügung zu haben genügend touristische Unternehmungen zurechtgelegt", lehnte Taller das Angebot so höflich er konnte ab. Dann wurde er zu seinem Hotel zurückchauffiert. Taller zählte bereits die Minuten, die noch blieben, bis sein immer noch arbeitender Handheldcomputer die Zugriffsdaten löschen würde. Als er bei null Minuten und null Sekunden ankam, war ihm irgendwie wohler. So ließ er seinen nützlichen Helfer in Gedächtnis- und Ideenfragen im Hotelzimmer, als er sich auf den Weg durch die Stadt begab.

Er besuchte verschiedene Sehenswürdigkeiten, wie das Kapitol, das Stadion der Denver Broncos und den botanischen Garten, wo er zwischen den Freiluftpflanzen gemütlich einherschlenderte. Irgendwie war ihm, als habe er gerade etwas angestellt, für das er bestraft werden würde oder als strahlender Held davonkam. Dieses merkwürdige Gefühl hatte ihn bisher nur zweimal im Leben beschlichen, einmal, als er von einem sogenannten Freund zu einer Sache überredet worden war, die am Ende fast seinen Rauswurf von der Oberschule bewirkt hatte und zum zweiten als er die Zwischenprüfungen an der Columbia-Universität vor sich hatte und ahnte, daß der Dozent ihn was ganz anderes fragen würde als er ihm und den anderen Kandidaten vorgegeben hatte. Weil er sich da auf sein Gefühl verlassen hatte war er als einer von vieren mit einer sehr guten Note aus den Prüfungen hervorgegangen, während die Mehrzahl kläglich versagt hatte. Der Dozent hatte ganz ein Lehrer gemaßregelt:

"Wer im Umgang mit Technik und Verfahren nur darauf baut, daß ihm die richtigen Wege schon vorgegeben sind, wird immer von der Wirklichkeit kalt erwischt werden. Betrachten Sie Ihr Versagen als die wichtigste Lektion, die ich Ihnen erteilen konnte! Rechnen Sie niemals damit, etwas fehlerfreies vor sich zu haben! Kalkulieren Sie grundsätzlich alle Lösungen ein und bereiten sich auf jede Eventualität vor! In diesem Sinne, bis zur Nachholprüfung!"

Ja und jetzt schlenderte er eine amerikanische Meile über dem meeresspiegel durch einen weitläufigen Schaugarten und fühlte sich wieder so, als solle er besser den eingeschlagenen Weg ändern. War es wirklich richtig, mit dieser kleinen Firma, die sich hochtrabend Mediengesellschaft nannte, geschäftliche Beziehungen zu suchen? Hatte er nicht vor einer Woche mit Mr. Buchanan einen handfesten Krach gehabt, daß sie aufpassen mußten, nicht in jede computerisierte Garage zu investieren? Weil nie klar war, ob genug Strom für alle Rechner da war? Immerhin schickte sich Trippelco an, den Druck der alteingesessenen Telekommunikationsfirmen abzuschütteln. Dieser neue Markt der elektronischen Dienstleistungen war ein Dschungel, und wer im immer dichter werdenden Gesträuch strauchelte, konnte leicht gefressen werden.

Für den Abend zog er sich einen helleren Anzug an, um ein wenig durch die Bars zu bummeln. Er bestellte sich ein Taxi und fuhr in das Vergnügungsviertel der Stadt. Der Taxifahrer meinte nur einmal zu ihm, ob er aus Indien oder dem mittleren Osten stamme. Taller grinste darauf nur und meinte, daß wohl einer seiner Urgroßväter aus dieser Region gekommen sein mochte und er das wohl noch in den Genen habe.

"Jau, das ist Amerika. Meine Grandma war 'ne Russin, mein Grandpa war der Enkel einer Sklavenfamilie aus dem Süden, 'n anderer Großvater von mir hat mit Sitting Bull zusammen den Wigwam gefegt. Da soll mal einer das richtige auseinanderdröseln", erwiderte der Taxifahrer, der selbst einen sehr dunklen Hautton und glattes, mattschwarzes Haar mit leichten Kräuselungen besaß.

"Da hinten dürfen Sie mich rauslassen. Ich geh dann zu Fuß durch das sündige Denver", sagte Taller.

"Öhm, an der Straßenecke sollt'n se besser nich' raus, Mister. Da hab'n die gestern wen plattgemacht, öhm, erschossen. Ging wohl um eine von den Ladies der Nacht. Falls sie was für flotte Stunden suchen, kann ich Sie sicher wo absetzen, wo Sie nich' abgezockt oder schlimmeres werden."

"Mir ist eher nach ruhiger, geistiger Besinnlichkeit als nach körperlicher Sinnlichkeit", sagte Taller lächelnd. Ich habe mir sagen lassen, daß hier in der gegend die besten karibischen Cocktails des Mittelwestens gemixt werden. Aber das ist Fußgängerzone, wohl auch, weil die von Ihnen erwähnten Nachtarbeiterinnen und ihre Manager dort ihre Dienste anbieten, abgesehen davon, daß das illegal ist."

"Legal, illegal ... den Rest kennen Sie sicher", lachte der Taxifahrer. "Gibt da so Abkommen mit den Stadtsheriffs, nicht so ausschweifend und nicht so aufdringlich und so. Wie gesagt, ich könnt' se wohinbringen."

"Wie gesagt steht mir der Sinn nicht danach", lehnte Taller noch einmal ab.

Widerwillig entließ ihn der Taxifahrer aus seinem schon gut mit anderem Blech in berührung gekommenen Vehikel und warnte ihn leise, bloß schnell wegzulaufen, wenn er mehr als zwei Mann der selben Altersgruppe sah oder einer der Ladies zu interessiert nachschaute und dann nichts dafür rausrücken wolle. Taller überhörte es. Er war New Yorker. Denver hatte nicht einmal ein Achtel der Einwohnerzahl der niemals schlafenden Stadt am Hudson. Da mußte er sich im Bezug auf Straßenkriminalität nichts mehr beibringen lassen. Wenn Sie ihn überfielen und beklauten, war es halt sein Pech. Andererseits hatte er auch gelernt, anschleichende Straßenräuber oder lauernde Taschendiebe an ihren Bewegungen zu erkennen und sich dann gesittet zu entfernen, ohne ihre Jagdinstinkte auszulösen.

Er suchte lange vergeblich nach einer dieser verheißungsvollen Cocktailbars. Gab es die denn überhaupt hier? Er hatte doch gestern erst seinen Freizeitplan aus dem Internet zusammengestellt und ... Ein Geräusch riß ihn aus seinen Gedanken. Ein ganz leises Scharren, das nicht zu dem angeheiterten Geschwafel und Schuhgeklapper passen mochte. Da fühlte er auch dieses Prickeln im Nacken, das wie schnell den Rücken hinabrennende Ameisen die Wirbelsäule bis in die Beine hineinwirkte. Das gehörte auch zu jenen merkwürdigen Spürsinnen, die er an sich entdeckt hatte. Jemand war hinter ihm, und der jemand war nicht zufällig hinter ihm. Er blickte zur vor ihm stehenden Straßenlaterne. In deren Lichthof mußte er gelangen, um den oder die Verfolger genau betrachten zu können. Er wollte nicht zu schnell laufen, um wem auch immer nicht den Anlaß zum schnellen Vorstoß zu geben. Doch als er zwei Schemen knapp außerhalb des angestrebten Lichthofes sah, schwante ihm, daß er gerade in einen Hinterhalt hineinlief. Er sah sich rasch um. Die Straße in die er gerade eingebogen war war spärlich bevölkert. Offenbar war er von der eigentlichen Lastermeile abgekommen und in das Jagdrevier einer Bande geraten. Soviel zu seiner strengenen Lehrerin, der Stadt New York! Wenn der oder die Verfolger schon knapp hinter ihm war würde ein Fluchtversuch nach hinten nur dann erfolgreich sein, wenn er bereit war, blind in eine vorgehaltene Waffe zu laufen und den Verfolger zu verwirren, daß er an ihm vorbeispurten konnte. Oder sollte er um Hilfe rufen? Lächerlich, solange er nicht angegriffen wurde. Und womöglich würde er damit noch mehr Gangster anlocken, wie das Aas die Geier. Ihm blieb eigentlich nur die Flucht in eines der Häuser. Wenn er sich dort eine Zeit lang unter anderen Leuten aufhielt könnten die heimlichen Verfolger die Lust an ihm verlieren. Doch wenn sie wie Katzen waren, konnten sie auch die ganze Nacht vor der Tür lauern und darauf gefaßt sein, daß er ja wieder herauskäme. Es sei denn, man ließ ihn durch eine Hintertür entwischen. Das mußte er wohl probieren. Er ging erst einmal weiter, tat so, als sei er sich der Gefahr noch nicht bewußt geworden, wenn es überhaupt eine war. Zunächst zur Laterne, dann wie beiläufig umdrehen und gucken, wer da noch war und ... Da huschten die beiden Schemen außerhalb des Lichthofes schon auf ihn zu, sehr schnell. Er warf sich herum, konnte noch zwei weitere Gestalten erkennen, vor allem die im Licht der Laterne schimmernde Klinge eines Schmetterlingsmessers. Er versuchte den rettenden Ausfall. Er schaffte es auch, an der Gestalt mit dem Messer vorbeizuhechten, bevor diese die Waffe nach ihm stoßen konnte. Doch dafür bekam er unvermittelt etwas hartes über die rechte Schulter gezogen und hörte den Knall eines auf harten Widerstand treffenden Baseballschlägers. Kampfsportler war er nie gewesen. Seine Leistung war Gewandtheit und eine passable Ausdauer auf mittleren Strecken. Doch jetzt fühlte er, wie der Schmerz des Schlages ihn an der ganzen rechten Seite zu lähmen begann. Und da waren sie auch schon an ihm dran, vier wohl ziemlich drahtige Burschen, die ihre Gesichter mit irgendwelchen Horrormasken verborgen hatten. Er konnte sogar sehen, daß sie Mönchskutten nachempfundene, weite schwarze Gewänder trugen.

"Ey, Typ, rück den Zaster raus! und Kein Gebrüll, klar!" Fauchte einer der vier ihn unmißverständlich an. Der zweite grabschte bereits nach der Armbanduhr, nicht gerade eine Rollex, Cartier oder Omega, aber auch nicht gerade Wühltischware.

"Ist gut, Jungs, ihr habt mich. Ihr kriegt mein Bargeld", versuchte Taller sie zu beschwichtigen.

"Rück raus!" Schnarrte der, der wohl der Anführer war. Da hörte Taller das unangenehme Klicken, das gerade eine Schußwaffe entsichert wurde. Er tastete rasch nach seiner Brieftasche. Er wollte sie öffnen, um den vieren ihren Räuberlohn auszuzahlen, um nicht doch noch umgelegt zu werden. Doch der, der seine Uhr schon an sich gebracht hatte, schnappte nach der Brieftasche und gab sie weiter.

"Mit den Karten könnt ihr nichts anfangen, Jungs, die haben mein Foto drauf und müssen mit einem Gegencode bestätigt werden", sagte Taller ruhig, als beherrsche er die Lage und nicht die vier Straßenräuber.

"Ey, Kreditkarten, voll geil!" Freute sich einer. "Was für'n Gegencode, alter?"

"Den kennt mein Chef. Die Karten sind von der Firma, wo ich arbeite", sagte Taller immer noch ruhig.

"ey, du lügst, Browny. Wie geht der Code, ey?!"

"Ich sag's euch doch, Jungs, da ist mein Foto drauf und der Bestätigungscode ist bei meinem Chef in New York", sagte Taller. Doch da krachte bereits der Baseballschläger in seinen Rücken. Gleichzeitig fühlte er etwas an seinem rechten Ohr vorbeisirren und wußte, daß der mit der Schußwaffe knapp an ihm vorbeigefeuert hatte, mit Schalldämpfer sogar. Jetzt bröckelte seine ruhige Fassade merklich. Das mit dem Foto auf den Karten stimmte zwar, aber der Bestätigungscode war eine Schutzbehauptung, um den Räubern den Gebrauch der Karten zu verleiden. Sollte er ihnen jetzt sagen, daß sie nicht so gesichert waren ... Da erwischte ihn der mit dem Messer am linken Arm. Er konnte den Schmerz nicht unterdrücken und stieß einen kurzen Schrei aus. Nun kam die Angst durch, die Angst, gleich aus lauter Lust an der Überlegenheit von diesen vier wohl noch jungen Gangstern umgebracht zu werden. Er wollte um Hilfe rufen. Doch da traf ihn die Faus eines seiner Belagerer am Mund. Zwei andere rissen an ihm, zerrten ihn auf die Straße. Da war es ihm, als expllodiere etwas in seinem Kopf, rase durch seinen ganzen Leib und brenne wie ein wildes Feuer. Die Angst verflog und machte einer unbändigen Wut Platz. Unvermittelt warf er sich herum. Da flog einer von den Burschen erschrocken schreiend durch die Luft. Der mit dem Messer stieß zu. Doch Taller bekam es an der Klinge zu fassen und bog es einfach um, als sei die Klinge aus dünner Aluminiumfolie. Gleichzeitig fühlte er, wie es auf seiner Haut prickelte, als wäre er in einen meterhohen Ameisenhaufen hineingestürzt und nicht auf harten Asphalt. Da hatte er den zweiten ihn am Arm haltenden fortgeschleudert, als sei er eine Strohpuppe. Überhaupt war ihm merkwürdig, als würde es mit einem Mal heller um ihn, lauter und vor allem so, als schrumpfe die gesamte Straße zusammen, wenig aber deutlich. Dann fühlte er noch etwas, als strecke sich etwas aus seinem Steißbein heraus, durchbreche seine Hose und schlage in die Nacht hinaus. Überhaupt hörte er das laute Reißen seiner eigenen Kleidung, als hielte er sich die einzelnen Stücke direkt an die Ohren. Die Gangster die noch auf den Beinen waren standen starr da, jetzt noch etwas kleiner als sonst. Er konnte ihren Angstschweiß riechen, denselben Angstschweiß, den diese Kerle ihm da vor nicht einmal zehn Sekunden aus den Poren getrieben hatten, diese verwerflichen, habgierigen Straßenratten! Die unbändige Wut, das Kribbeln auf der Haut und das lodernde Feuer in ihm, daß ihm Schmerz und Wohltat zugleich war, brachten ihn dazu, laut in die Nacht zu brüllen, wie ein Raubtier, daß seinen Revieranspruch bekundet. Er fühlte etwas mit großer Wucht gegen seinen Kopf schlagen, winzig wie ein Kieselsteinchen und dann mit lautem Miauen davonschwirren. Das versetzte ihn nun endgültig in Wut. Er sprang vorwärts, dachte nicht daran, daß er gerade auf allen vieren lief, ja empfand es als ganz normal und stürzte sich auf den Schützen, der eben noch versucht hatte, ihm eine Kugel in den Schädel zu jagen, und jetzt schon wieder auf ihn draufhielt und wieder und wieder und wieder.

"Ey, Scheiße, das is'n Monster!" Rief einer der fortgeschleuderten Gangster und rannte los. Doch Dennis Taller war schon hinter ihm her und sprang vor. Mit wilder Entschlossenheit grub er dem eingeschrumpften Burschen seine Zähne ins Genick, das laut krachend brach. Der würde keinen mehr beklauen.

Pioing, piui, pioing, sirrten weitere von ihm abprallende Kugeln in die Nacht. Eine traf die Straßenlaterne und blies ihr das Licht aus. Beinahe Dunkelheit fiel über diesen Abschnitt der Straße. Aus den oberen Fenstern eines Hauses lugte jemand heraus, schrie laut und schlug das Fenster zu. Doch Taller interessierte sich nicht für die Leute in den Häusern, solange da noch drei Gangster waren, die er hier und jetzt niedermachen und dann zerreißen würde.

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Sie hieß Carrie und ging in dieser Straße einem fast anständigen Beruf nach. Sie räumte die Zimmer des verschwiegenen Appartmenthauses auf, in dem gerade nachts ein reges Kommen und Gehen herrschte. Sie wußte, daß hier irgendwo die Höllenmönche herumstrolchten. Deshalb war die Hintertür des Hauses wohl versperrt und vergittert, damit die Besucher drinnen nicht von diesen vier Halbstaarken, aber durchaus brutalen Banditen behelligt wurden. Als sie den Tumult zwei Etagen weiter unten hörte und die unverkennbaren Wimmerlaute querschlagender Pistolenkugeln erkannte, ahnte sie, daß die vier sich mit irgendwem da unten eine Schießerei lieferten. Sie hütete sich, vorzeitig ans Fenster zu gehen. Doch als dann plötzlich das Licht der Straßenlaterne ausging wagte sie es doch. Als sie dann einen der vier Banditen schreien hörte, da sei ein Monster, überwand die Neugier ihre berechtigte Furcht, und sie klappte das Fenster auf. In der beinahen Dunkelheit glaubte sie, in einen Horrorfilm geraten zu sein. Da unten waren drei der Mistkerle gerade von Jägern zu Gejagten geworden. Das was sie gerade mit lautem Raubkatzengebrüll anfiel sah für Carrie wie ein Löwe oder Tiger aus, doch mindestens doppelt so groß wie sie die Tiger und Löwen aus dem Zoo kannte. Das konnte an der Dunkelheit liegen. Doch als das Ungetüm mit einem schnellen Satz bei dem Pistolenschützen anlangte und ihn mit seiner rechten Vordertatze erwischte, wußte sie, daß es kein Trick der Dunkelheit war. Sie schrie vor entsetzen und warf das Fenster zu. Sie rannte aus dem Zimmer, in dem sie gerade frische Laken auf das große runde Bett ziehen wollte und stürmte hysterisch schreiend die Treppe hinunter zur Portiersloge. Die sonst hier üblichen Geräusche verstummten schlagartig, und einzelne Türen flogen auf. Doch als Carrie tränenüberstrrömt beim Empfangschef auftauchte, brachte sie kein Wort heraus. Sie schrie und schluchzte nur noch. Da erklang wieder dieses schauerliche Brüllen, das Trommelfelle und Bauchdecken erschütterte.

"Toller Gag, da hat wer 'ne Aufnahme von 'nem Königstiger elektronisch eine Oktave runtergezogen", lachte einer der gerade im Haus befindlichen Gäste. "Ist nix zum Angsthaben, Mädel", lachte er dann noch weiter. Doch Carrie konnte sich nicht mehr beruhigen.

Als dann eine Frau, die hier häufiger anzutreffen war ebenfalls einen Angstschrei ausstieß legte sich doch eisiges Grauen über alle, die hier eigentlich eine heiße Zeit erleben wollten. Der Empfangschef griff zum Telefonhörer und wählte eine Nummer, nicht 911, sondern wen, dem er mehr vertraute.

"Ey, Jeff, hier bei uns geht was ab, daß schmeckt nach Mordsärger. Komm mit der Feuerwehr rüber, bevor die Cops das peilen!" Bellte er in die Sprechmuschel. Von draußen erklang ein Schrei, der in einer Sekunde in einem Gurgeln versiegte. "Raus hier, alle raus hier!" Rief der Empfangschef seinen Gästen zu. Er langte unter den Tresen und fingerte an einer Metallklappe herum. Dann zog er mehrere MetallStücke hervor, die er innerhalb einer halben Minute zu einem M16-Gewehr zusammensetzte. Seine Gäste flohen derweil durch die Vordertür, zurück auf die Sündenmeile, als sei der Teufel selbst hinter ihnen her. Carrie rannte auch aus dem Haus hinaus, schwamm im Strom der Fliehenden mit und erreichte die breite Straße. Wo waren die Polizeispitzel und getarnten Cops. Jetzt wurden sie wirklich gebraucht.

Sie rannte einfach weiter, raus aus der Straße, wo alle sie seltsam ansahen.

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Jetzt hatte er sie alle vier erledigt. Sie lagen vor ihm. Da überkam ihn ein unbändiger Hunger. Der Kampf hatte ihn sehr heftig angestrengt, und das bloßgelegte Fleisch der vier Gangster regte seinen Appetit an. Das er vor nicht einmal einer Minute noch ein New Yorker Geschäftsreisender gewesen war, interessierte ihn jetzt nicht. Jetzt gab es nur ihn und die vier, die ihn angegriffen und so wütend gemacht hatten, daß er sie einfach nur zerreißen wollte. Und jetzt war ihm danach, sie zu fressen, einfach so. Da krachte es mehrmals ohrenbetäubend laut, und er fühlte weitere Geschosse auf ihn eindreschen und davonfliegen. Er warf sich herum, kam auf seine muskulösen Beine, stützte sich mit etwas ab, das wie ein drittes Bein aus seinem Hinterteil gewachsen war und brüllte nach oben. Der fleischige Brocken in der nach billigem Waschpulver stinkenden Livré wie ein Butler hielt ein Eisenrohr auf ihn gerichtet. Nein, das war ein Sturmgewehr. Der Kerl war also sein Feind. Mit zwei schnellen Sätzen war er beim Haus, wurde wieder von Kugeln eingedeckt. Dann sprang er hoch und erwischte mit seinen hart gewordenen Fingern das Gesims und rammte seinen Kopf durch die kleine Öffnung. Der Mann mit dem Gewehr feuerte erneut auf seinen Kopf. Doch die Kugeln prallten ab und trafen ihren Absender in den Kopf und die Brust. Triumphierend brüllend, daß das ganze Gebäude davon erzitterte, packte er, der vorhin noch Dennis Taller war den leblosen Mann und zog ihn wie eine Strohpuppe so leicht zum Fenster hinaus, ließ sich fallen und landete mit einer unnachahmlichen Geschmeidigkeit auf allen vieren. Noch ein Appetithappen, dachte er nur.

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Erst kamen die Gangster, die der Empfangschef gerufen hatte. Doch als sie an der hinteren Front des Hauses ankamen, sahen sie ein Bild wie auf einem Schlachthof. Das Grauen schüttelte sie, und ihre Mägen stießen den Inhalt in einem einzigen Krampf von sich. Dann hörten sie die wimmernde Warnung, daß die Cops im Anmarsch waren und beschlossen, hier besser nicht mehr zu finden zu sein. Sie flohen vor den Cops und vor dem alptraumhaften Bild, daß sie hier vorgefunden hatten. Dabei sahen sie nicht mehr, wie ein durchschnittlich gebauter Mann in einer blutigen Mönchskutte mit einer eingedellten Schreckensmaske in einem Hauseingang hockte und lauschte. Dann, als die Polizei anrückte, drückte er sich um eine ecke und eilte leise davon.

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"Du bist erwacht! So suche den heiligen Ort, wo wir auf dich warten!" Hörte Dennis fremde Stimmen in seinem Kopf. Als der wilde Rausch überwunden war, in dem ein in ihm wohnendes Raubtier seinen Körper und Geist besetzt gehalten hatte, war ihm klar geworden, daß er hier schnell fortmußte. Er zog einem der Gangster die noch brauchbaren Sachen aus, maskierte sich auch wie dieser und wartete, bis er keinen mehr in seiner Nähe hörte. Von dem Raubtierdasein waren ihm jedoch die feineren Sinne geblieben. Sein Gewissen versuchte immer wieder, ihm zu verraten, daß er gerade in irgendeinem Anfall fünf Menschen umgebracht und grausam zugerichtet hatte. Doch sobald es versuchte, ihn zur Umkehr zu bringen ertönten die fremden Stimmen in seinem Kopf, die er noch nie gehört hatte. Er lief fast wie in Trance durch die Straße, völlig unverletzt. Er hatte es nicht eilig. Er mußte sich nur außerhalb der Laternen halten und lief weiter. Zum Glück hatte er seine Wertsachen wiedergefunden, weil der, der ihn beklaut hatte alles hingeworfen hatte, als er fliehen wollte. So brauchte er im Grunde genommen nur die Maske absetzen und seine leicht blutverschmierten Hände zu waschen. Er hatte den Zimmerschlüssel seines Hotels nicht mitgenommen. Nichts am Tatort würde unmittelbar auf ihn verweisen. Mit einer von ihm selbst noch nie wahrgenommenen Raffinesse schlich er leise und schön im Dunkeln bleibend durch die Straßen und fand ein abgestelltes Fahrrad. Mit der Maske und der Kapuze auf dem Kopf würde ihn keiner identifizieren. So fuhr er bis kurz vor das Hotel, wo er lauschte, ob jemand am Empfang war. Er hörte nur das Herz des Portiers schlagen und seinen vom Rauchen angekratzten Atem gehen. Er ging hinein, sah den Portier an und ließ mit einer raschen Bewegung die rechte Faust vorschnellen, die den Mann knapp über dem rechten Ohr erwischte. Wie ein nasser Sack fiel der Portier zu Boden. Taller flankte über den Tresen und schnappte sich sämtliche frei hängenden Schlüssel, darunter den für sein Zimmer. Er fühlte, daß das Tier in ihm, das die vier Gangster aufgestöbert hatten, wieder mehr Besitz von ihm zu ergreifen begann. Doch hier wollte und durfte er es nicht gewähren lassen. Er mußte seine Sachen holen und dann sofort verschwinden. Er eilte zu allen Zimmern auf seiner Etage, schloß sie auf, nachdem er gelauscht hatte, ob jemand darin war. Dort warf er einige Sachen mit den Armen um, raffte Bargeld, das er finden konnte zusammen und ging dann in sein Zimmer, wo er aus seinen Sachen den zweiten Anzug herauskramte und seinen Reisepaß und den kleinen Computer mitnahm. Da hörte er alarmierte Schritte. Er eilte zum nächsten Fenster, riss es auf ... und sprang einfach in die Nacht hinaus, drei Stockwerke tief. Doch als er schon daran dachte, wie wahnsinnig er wirklich war, landete er federnd auf dem Asphalt. Kein Muskel tat ihm weh. Kein Knochen war auch nur angeknackst. So rannte er davon, leise und so schnell, daß kein 100-Meter-Sprinter ihn hätte einholen können. Ja, er passierte Autos, die für ihn wie im Leerlauf auf der Straße zu stehen schinen. Angetrieben von der Furcht, jetzt als Monster gejagt zu werden, doch auch beflügelt von dem Drang, den die nun wieder lauter rufenden Stimmen in seinem Kopf erzeugten, verschwand Dennis Taller in der Nacht.

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"Bei euch in der Gegend ist was merkwürdiges passiert", sagte der dunkel beharrte Kopf eines Mannes, der mit leisem Plopp in einem kleinen, brennenden Kamin aufgetaucht war. Die rotblonde Hexe, die gerade mit ihrem Zauberstab eine Ladung Kartoffeln aus ihren Schalen springen ließ, meinte dazu nur:

"Nabend, Max! Was ist passiert?"

"Öhm, 'tschuldigung, guten Abend, Lex. In Denver, in einer der nicht so gut beleumundeten Muggelstraßen, haben wir vor fünf Minuten was komisches aufgespürt. Erst einen Anstieg von Zauberkraft, dann etwas wie ein Loch in der Magie. Anders kann ich das nicht sagen. Jedenfalls zog irgendwas Kraft aus den Spürsteinen. Allerdings hielt dieser Sog nur eine Minute vor und verschwand dann. Kennst du 'n Zauber, der sowas macht?"

"Hmm, Incantivakuumkristalle?" Fragte die Hexe. Dann ploppte es außerhalb der kleinen Küche. wildes, erfreutes Bellen und Jaulen klang auf und etwas schien im Wohnzimmer über den Teppich zu rennen und dann irgendwo gegenzuspringen.

"Hi, Lex. Bin wieder da!" Rief eine fröhliche, wenn auch etwas erschöpfte Männerstimme. "Ja hallo, kleiner Teppichratz!" Hörte sie ihn dann noch erfreut zu wem anderen sagen.

"Max von der Magieüberwachung hat uns seinen Kopf in den Kamin geschickt, John!" Rief die Hexe zurück und sah den Kopf im Kamin schalkhaft mit ihren grünen Augen an. Ein athletisch gebauter, weizenblonder Mann in lindgrünem Umhang trat in die Küche. Seine dunkelbraunen Cowboystiefel klapperten auf den Steinfliesen.

"Howdy, Max. Was liegt an?" Fragte der Zauberer.

"Irgendwas wie eine Magiefreisetzung und dann ein Sog, als wolle etwas Zauberkraft aus der Gegend absaugen. Ich hab's deiner Holden schon erzählt, daß das bei euch in Denver passiert ist. Ich wollte fragen, ob ihr da mal hingeht und falls nötig Donatas Feuerwehr hinbestellt."

"Können wir machen", meinte die Hexe und sah den Zauberer in Umhang und Cowboystiefeln an. Sie ließen sich die Adresse sagen und verzogen die Gesichter. Das Stadtviertel beherbergte anrüchige Absteigen. Sollte es schon wieder einen magisch beeinflußten Mörder geben? John, der Zauberer mit den Cowboystiefeln, schlug vor, daß Max doch schon mal das Einsatzkommando zur Umkehr verunglückter Magie ansprach. Dann verschwand der Kopf aus dem Kamin. Dafür kam ein weißer, hochbeiniger Hund hereingetapst, dessen gegabelte Rute fröhlich wedelte.

"Ach ja", meinte John, griff an den Schrank über der Anrichte. Seine Frau, Alexis Ross, wies ihn zwar darauf hin, daß Murphy bereits genug gefressen habe, doch John meinte, daß "der kleine Teppichratz" heute noch nichts von ihm bekommen habe und kramte einen runden Keks aus einer großen Tüte, gierig beäugt von dem Hund mit dem gegabelten Schwanz, der mit bereits an den Läfzen hängendem Speichel mit dem Vorderkörper hochstieg und dann für fünf Sekunden Männchen machte, bis John ihm mit einm "und Schnapp!" den Keks zuwarf, den das Tier aus der Luft fing und genüßlich knirschend verputzte.

"Du sagst immer er würde zu dick für seine Beinchen", knurrte Alexis. Dann meinte sie: "Sollen wir ihn hierlassen oder mitnehmen?"

"Bei den vielen Muggeln in der Gegend wird der wohl kirre", erwiderte John. "Aber vielleicht kann der mit seinem Spürsinn für Magie erschnüffeln, wo das genau ist. Dann komm mal her, bonsaischneewolf!" Der Hund kam zu ihm. John hob ihn auf seine Arme. Dann meinte er: "Seit an Seit, Lex. Ich kenne mich in deiner Stadt doch noch nicht so gut aus."

Fünf Sekunden später tauchten die beiden mit ihrem merkwürdig aussehenden Hund in einer teilweise unbeleuchteten Seitenstraße auf, wo sich gerade ein Menschenauflauf zu bilden begann. die meisten schraken jedoch gerade von irgendwas sehr stark entsetzt und angewidert zurück. Alexis schwang ihren Zauberstab und murmelte: "Manete in Loco!" Sofort blieben sämtliche Personen stehen. John setzte seinen Hund auf den Boden, der erst wild knurrte, weil ihm die Menschen da nicht gefielen. Er zog mit einer ungesagten Zauberei eine silbrig schimmernde Mauer in Richtung Straßeneingang hoch. Dann sah er, was die Leute so verschreckt hatte. In dem Augenblick begann der Hund angstvoll zu winseln und zu Fiepen. Die gerade eben noch stolz erhobene Rute klappte nach unten und klemmte sich zwischen die Hinterläufe ihres besitzers. Das Tier drehte um und wollte weglaufen. Doch da war die Mauer.

"Lex, mach auf der anderen Seite zu!" Hörte die rotblonde Hexe die Stimme ihres Mannes im Kopf und zog, nachdem sie den Ekel und das Entsetzen niedergerungen hatte eine silberne in der anderen Richtung, etwa fünfzig Meter weiter fort. Jetzt war dieser Abschnitt abgesperrt. Muggel würden nicht mehr sehen, was hier passiert war, und die, die hier waren sowie das weiße, wimmernde Tier konnten dem abgeriegelten Bereich nicht mehr entkommen. John sprang zu seinem kleinen Haustier, das zitternd und bebend laut winselnd und heulend vor der silbernen Absperrung stand. Er griff ihn mit einer schnellen Handbewegung im Genick und disapparierte mit ihm, um eine Minute später wieder aufzutauchen.

"Das ist doch ein Fall für die Jungs, Lex. Was ist denn hier passiert?" Knurrte er. Er hatte in seinem Leben schon viele blutige Ereignisse miterlebt oder deren Ausmaße betrachten müssen. Aber die auf der Straße liegenden Leichen und das viele Blut rüttelten bedenklich an seinem sonst so stabilen Nervenkostüm. Seine Frau war da etwas abgebrühter. Sie hatte die zwanzig Muggel, die sich angesehen hatten, was hier los war, einen nach dem anderen oberflächlich legilimentiert und dann, als sie erfahren hatte, daß keiner gesehen hatte, was das hier angerichtet hatte mit Schockzaubern betäubt.

"Patch freut sich", knurrte John verbittert. Ist noch keine drei Wochen her, daß Davenport und Ironquill ermordet wurden, und jetzt sowas." Er warf einen Blick zum Himmel. "Hmm, kein Vollmond, natürlich nich'. Also kann's kein Werwolf gewesen sein."

"Das ist es", stieß Alexis Ross aus. "Ich habe mich gefragt, wie das, was Max uns erzählt hat mit dem Gemetzel hier zusammenpassen kann. Kuck dir die Wunden der Leute an, John!"

"Fleischwunden von Klauen und Zähnen. Einen der hier liegenden Typen in den Kutten hat es den Halben Hals durchgebissen. Das muß ein Kavenzmann von Raubtier gewesen sein."

"Dann müssen die vom TWB und die von der AimaZ davon informiert werden", sagte Alexis ruhig. Da trafen zwanzig Hexen und Zauberer in der Uniform des magischen Katastrophentrupps ein.

Die Leichen und die Verunreinigungen wurden von der Straße entfernt. Einer der Truppe meinte:

"Hoffentlich gab es sonst keine Zeugen. Sonst steht das morgen in den Zeitungen."

"Das klären wir", meinte John zuversichtlich. Nun, wo die schauerlichen Zeugnisse eines Massakers beseitigt worden waren fühlte er sich etwas wohler. Da hörte er Sirenen. Die Unfallumkehrzauberer nickten.

"Später hätten wir nicht kommen dürfen", sagte der Truppführer, als die Polizeisirenen immer näherrückten und die blinkenden Warnlichter in der Ferne zu sehen waren. "Auf dann, Leute! Zurück zum Stütz!" Mit einem lauten, wie ein abbrennender Kracher prasselndem Lärm disapparierten die Zauberer und Hexen. Alexis und John winkten den beiden magischen Sperren mit den Zauberstäben zu und riefen: "Retardo Iterrpassabilis!" Dann disapparierten auch sie. Fünf Sekunden danach lösten sich die silbernen Mauern in Nichts auf. Zurück blieben nur Einschüsse in einer Hauswand, einer Straßenlaterne und in einem Zimmer, dessen Fenster auf diese Straße hinunterwies. Die Polizisten befragten die herumlaufenden Leute, bekamen aber keine Auskunft, wer sich hier eine wilde Schießerei geliefert hatte. Später, als das Haus durchsucht wurde, dessen Fenster noch offenstand, wurden Blutspritzer gefunden. Als sich jedoch mehrere Zeugen meldeten, die Schreie und tierhaftes Gebrüll gehört haben wollten, wurde es für die Stadtpolizisten noch verwirrender. Nur einer behielt den Überblick. Denn er hatte den Anruf eines alten Schulfreundes erhalten, daß sie nach Zeugen für den Angriff eines besonders großen Tierwesens suchen sollten. Als dann eine junge Frau total verstört davon berichtete, sie habe genau gesehen, was passiert sei, wurde der betreffende Gesetzeshüter hellhörig und rief seinen Schulfreund an. Kurze Zeit später tauchte eine rotblonde Frau in einem blauen Hosenanzug auf, die sich als Alexis Flanigan, Profilerin des FBIs, auswies und kurz schilderte, daß sie von einem Fall von vor fünf Jahren erfahren habe, der irgendwo in Indien passiert war, durfte sie die junge Frau, Carrie Dawson, interviewen. Dabei bekam sie heraus, das die junge Frau wohl einem üblen Streich aufgesessen war, den einige Jugendliche gespielt hatten, indem sie mit irgendwelchen Waffen herumgeschossen hatten und dabei laut geschrien hatten und dazu eine verlangsamte Aufnahme von echtem Raubkatzenbrüllen abgespielt hatten. Um den Leuten in der verrufenen Gegend den Eindruck zu vermitteln, eine dämonische Bestie sei unterwegs, hatten sie eine Attrappe eines Tigers oder Löwens auf gestohlenen Einkaufswagen durch die Straße geschoben. Carrie bestätigte diese Aussage einige Minuten später noch mal. Wo die Blutspritzer in dem Zimmer herkamen, und wo der Empfangschef der sogenannten Rosenlaube abgeblieben war, kam dabei jedoch nicht heraus.

"Hui, das ging gerade noch mal gut", meinte Alexis, als sie wieder bei ihrem Mann in der gemeinsamen Wohnung ankam. John war gerade dabei, den immer noch verstörten Crup zu streicheln und beruhigend auf ihn einzusprechen.

"Was hat die Kleine denn gesehen, Lex? Du willst nicht echt sagen, daß es hier in den Staaten echte Wertiger gibt."

"Nichts anderes kann es gewesen sein, John. Die Verletzungen, der Gedächtnisauszug der Zeugin und die Tatsache, daß die Opfer alle zu einer als sehr brutal verschrienen Bande junger Verbrecher gehörten. Aber näheres wird uns Patch erzählen."

"So klein waren die Stücke ja nicht. Er wird sie wohl schnell zusammensetzen", meinte John. Da klingelte ein Telefon, eine Besonderheit dieses eigentlichen Zaubererhauses. John ging an den Apparat und lauschte. Dann fragte er aufgeregt, ob es dazu noch mehr gab. Dann verabschiedete er sich.

"Das war noch mal Nick vom Polizeibüro, Lex. Im Kapitolhotel hat es einen Einbruch gegeben. Der Portier ist niedergeschlagen worden und jemand hat sich die Schlüssel geklaut und damit die Zimmer im dritten Stock ausgeplündert, aber wohl nur bares gesucht. Nick meint, daß könnte ein Junkie gewesen sein, womöglich mehrere."

"Und was hat das mit uns zu tun?" Fragte Lex leicht verstimmt, weil sie mit der sonstigen Kriminalität in der Muggelwelt im Moment nicht behelligt werden wollte.

"Ein Hotelgast, der im zweiten Stock wohnt, hat laute Geräusche über sich gehört, als habe jemand Möbel umgeworfen. Er hat beim Empfang angerufen und keinen erreicht. Dann hat er zum Fenster rausgesehen, und da sei ein Mann im dunklen Anzug vorbeigefallen, und ganz locker federnd auf den Füßen gelandet, als sei er gerade mal von einer hohen Bordsteinkante gesprungen, habe sich wohl umgesehen und wäre dann in einem höllentempo losgerannt, schneller als ein normaler Mensch. Da das so eine Viertelstunde nach dem Blutbad passiert ist, hat Nick vermutet, dieser Fremde könnte was damit zu tun haben

"Was macht dein Freund bei der Polizei?" Fragte Alexis.

"Er ist Sergeant, Lex. Weißt du doch", erwiderte John.

"Dann sollten wir ihm mehr Gehalt von der Strafverfolgung zukommen lassen. Der Zusammenhang paßt. Wenn es wirklich ein Wertiger gewesen ist, dann hat er im Moment wieder menschliche Gestalt, dafür aber immer noch die überragenden Körperkräfte und Sinne, womöglich, weil er immer noch gestresst ist."

"Also an deinen Wertiger glaube ich erst, wenn Patch entsprechendes rausfindet", knurrte John. Er wollte sich nicht vorstellen, daß die mächtigsten teilmenschlichen Zauberkreaturen süd- und südostasiens hundertfünfzig Jahre nach der letztmaligen Erwähnung ausgerechnet in den USA aufgetaucht sein sollten.

Eine Stunde später wurden die Ross' in das Labor der magischen Strafermittlung gerufen. Dort warteten neben Donata Archstone und dem gerade erst drei Wochen im amt befindlichen Zaubereiminister Cartridge und Elysius Davidson vom Marie-Laveau-Institut auch die Leiter der Abteilung für magische Geschöpfe, der Leiter des dieser Abteilung untergeordneten Tierwesenbüros, der Leiter des Werwolfsuch- und -ergreifungskommandos, sowie Sherilyn Norwich von der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit. Patch, der Heiler mit Spezialisierung auf die Rekonstruktion zerstückelter Leichen, legte drei Pergamente auf den Steintisch, bevor er auf die großen Becken deutete, in denen die Toten schwammen. Jeder konnte mit großem Grausen sehen, daß bei jedem große Stücke aus dem Körper fehlten.

"Wie Sie sehen können, Ladies and Gentlemen, habe ich nicht alle Teile zusammenbekommen. Das Wesen, daß diesen jungen Menschen so früh das Lebenslicht ausgeblasen hat hat von seinen Opfern große Stücke abgebissen und gefressen. Ich konnte jedoch die Bißspuren sichern und sogar etwas Speichel isolieren." Er deutete auf zwei Gipsmodelle, die große Kiefer und Krallen darstellten. "Die Zahnabdrücke", fuhr er unbeeindruckt von der Angewidertheit seiner Zuhörer fort, "entsprechen wie die Krallenspuren einer Großkatze von der Art Panthera tigris, sind aber in Beziehung zur größten bekannten Unterart anderthalbmal so groß. Wir haben es also hier mit über neunzig Prozent Wahrscheinlichkeit mit eimem Tigranthropen oder Wertiger zu tun, einer Art magischer Kreaturen, die vor wohl viertausend Jahren in Indien und den Festlandstaaten süd- und Südostasiens erwähnt wurde und sich, anders als die uns so vertrauten Lykanthropen", wobei er dem Leiter des Werwolffangkommandos zuzwinkerte, "auch im Zustand ihrer magischen Tiergestalt größtenteils bewußt verhalten, ja bei längerer Erfahrung mit dem Gestaltwechsel die vollkommene Willenshoheit behalten können. Nachdem, was mir gnädigerweise mitgeteilt wurde", wobei er die Ross' ansah, Spricht ein kurzer Magieanstieg und dann ein Abfallen unter das übliche Hintergrundpotential auch für einen Wertiger, da diese ihren Gestaltwandel zwar mit eigener Magie einleiten, deren Erhaltung, vor allem die Resistenz gegen körperliche Angriffe und Giftstoffe durch Absorbtion sie umgebender Zauberkraft bewirken, weshalb sie auch schwer mit Zauberflüchen zu bekämpfen sind, da diese zu stark abgeschwächt werden. Mir wäre jetzt keine Maßnahme bekannt, die einen Wertiger ernsthaft verletzen oder töten könnte."

"Nichtmagisches Feuer und nichtmagisch erzeugtes Eis", sprang Davidson dem Leichenflicker bei. patch nickte. "Zwar kann Avada Kedavra einen einzelnen Wertiger auch töten, aber nicht im ersten Ansatz. Wir müssen uns auch fragen, ob wenn ein solches Wesen wieder aufgetaucht ist, die Einteilung in offensive und defensive Exemplare weiterhin gültig ist."

"Bitte was?" Fragte Minister Cartridge verbittert. Davidson holte Luft und erzählte denen, die bisher nur geglaubt hatten, sowas wie Wertiger seien ein magischer Mythos, daß diese Wesen wohl wie Vampire auf Grund bestimmter Kriterien eher gutartig oder mordlüstern auftreten konnten, zwar in jedem Fall gefährliche Kreaturen blieben, aber durchaus intelligent und besonnen vorgehen oder brutal und zerstörerisch dreinschlagen konnten. Er erläuterte auch, daß es früher, wo diese Geschöpfe etwas häufiger bemerkt worden seien, Unterschiede in reinrassig geborenen, mischrassig geborenen und nachgeburtlich infizierten Wertigern gebe, wobei die wirklich bösartigen die nachgeburtlich infizierten seien, die den eingeflößten Trieb nicht unterdrücken konnten, auch wenn sie an sich voll handlungsfähig blieben. Dann schwang er den größten Hammer, den er in dieser Sache aufbieten konnte: "Die rein- oder mischrassig geborenen Wertiger unterliegen keinem Wandlungszwang wie die Werwölfe, sondern verwandeln sich nur unter ganz bestimmten Bedingungen. Eine Bedingung kann eine emotionale Ausnahmesituation sein, übermäßige Freude, sehr tiefe Trauer und Verzweiflung, der Höhepunkt sexueller Lust und panische Angst. Früher, so habe ich von einem asiatischen Kollegen erfahren, wurden reinrassig geborene Wertiger von ihren Eltern in entsprechende Situationen getrieben, um die magische Natur in sich zu fühlen und dann damit leben zu lernen. Halbrassige können jedoch unter Umständen ein ganzes Leben lang als normale Menschen zubringen, ohne zu ahnen, daß in ihnen dieser alte Fluch ruht, ihn sogar ohne es zu wollen wie eine infektiöse Krankheit übertragen, wenn auch nur auf ihre Kinder, solange sie nicht die Gestaltwandlung erfahren haben. Insofern könnte der, der uns hier alle zusammengebracht hat, ein halbrassiger Wertiger aus der dritten Generation nach einem reinrassigen Paar sein, bei dem jetzt erst, laut der Aussage, die Mrs. Ross", wobei er Alexis ansah, "uns geschildert hat, in eine tödliche Gefahr geriet, nämlich von brutalen Verbrechern getötet zu werden. Wenn das stimmt, dann könnten auch anderswo auf der Welt solche ahnungslosen Menschen leben, die dem entsprechen, was Muggel als Zeitbombe bezeichnen. Da sie selbst nicht zaubern können, leben sie unter Muggeln, führen ein ihrer Welt entsprechend gewöhnliches Leben und sterben vielleicht eines Tages, ohne bemerkt zu haben, daß etwas mit ihnen nicht stimmt."

"Feine Aussichten", knurrte John Ross. Donata Archstone nickte ihm beipflichtend zu. Dann sagte sie zu Sherilyn Norwich, einer kleinen, dunkelhaarigen Hexe:

"Schicken Sie Ihren Kollegen in Asien und Europa bitte eine Anfrage, ob die ähnliche Vorfälle zu verzeichnen haben! Ich werde entsprechende Briefe an meine Kollegen und Kolleginnen versenden."

"Und diese Wertiger kann man nicht mit gewöhnlichen Waffen erlegen?" Fragte der Leiter des Werwolffangkommandos.

"Wie gesagt können sie nur durch nichtmagisches Feuer oder nichtmagisch erzeugtes Eis verletzt werden", wiederholte Elysius Davidson.

"Also könnte ich mit einer Signalpistole der Muggel so einem Wertiger den Garaus machen?" Fragte John Ross.

"Wenn er dich läßt, John", knurrte Alexis. "Komm ja nicht auf Ideen. Die Biester sind sehr wendig und schnell, und wenn es ein moderner Muggel ist, der jetzt mit diesem erwachten Fluch leben muß, kennt er solche Waffen womöglich."

"Also wenn ich so einen Wertiger in die Enge treibe, muß ich auf Muggelart Feuer machen, oder reicht es, wenn ich ein normal brennendes Holzscheit benutze, das ich magisch anzünde?" Wollte der Leiter des Werwolffangkommandos wissen. Davidson überlegte. Dann sagte er:

"Hmm, wenn ein Feuer nur magisch angezündet wird und dann unter normalen Bedingungen weiterbrennt müßte es reichen. Allerdings weiß ich nicht, wie weit Sie von einem Wertiger entfernt sein müssen, um den Zündzauber wirken zu können. Die Angaben über die Magieabsorbtion schwanken. Durchschnittlich liegt der Absorbtionsradius bei vier Metern um das Wesen, sobald es seine Tiergestalt annimmt. Aber es soll sich potenzieren, je mehr Wertiger auf einem Raum zusammensind."

"Dann wollen wir mal hoffen, daß wir den Kerl kriegen, bevor er die nächsten umbringt. Ich meine, nach dem Ding mit dieser Höllenbraut müssen wir ja echt nicht wieder wen magisches in der Muggelwelt rumwüten lassen, oder?" Knurrte der oberste Werwolfeinfänger. Cartridge schüttelte entschlossen den Kopf. Die gleiche Geste machten alle anderen.

"Nun, dann schließe ich diese Zusammenkunft der Krisengruppe Wertiger", sagte der Minister nach einer halben Minute betroffenen schweigens. Mit einer Handbewegung entließ er alle, die in diesem Raum waren. Die Ross' sahen Davidson noch einmal an, der sich fragte, was sie noch von ihm wollten.

"Ich hoffe, diesmal lassen Sie sich nicht auf irgendwelche Verheimlichungssachen ein, Elysius", sagte John nur. Dann disapparierte er. Seine Frau sah Davidson an und meinte:

"Kann auch sein, daß dieser Vorfall der einzige war. Aber finden müssen wir den Betreffenden schon."

"Ich weiß, Alexis, daß sie mir das heute noch vorwerfen, daß ich damals im Einvernehmen mit Minister Pole die Umtriebe Hallittis nicht an die Liga weitergemeldet habe. Aber dieses Kapitel ist doch beendet", sagte der Leiter des Laveau-Institutes. Alexis schwieg dazu nur und verschwand ihrerseits in leerer Luft.

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Donata Archstone wußte, daß sie den Vorfall weitermelden mußte. Die Frage war nur, an wen zu erst. Sie sah auf ihre Uhr und beschloß, erst Lady Daianira zu benachrichtigen, da ihre eigentliche Anführerin wohl noch tief und fest schlief und nicht geweckt werden konnte. So kehrte sie erst in ihr eigenes Haus zurück und mentiloquierte Lady Daianira. Doch es dauerte eine Minute, bis Lady Daianira antwortete. Als Donata ihr dann per Gedankenbotschaft mitteilte, daß es in Denver einen Zwischenfall mit einem Wertiger gegeben haben sollte, wurde sie unverzüglich in die Versammlungshöhle der entschlossenen Schwestern Nordamerikas einbestellt. Dort erzählte sie ihrer früheren einzigen Anführerin, was sie mitbekommen hatte und welche Maßnahmen sie ergreifen wolte.

"Wir werden dieses Geschöpf auch jagen, Schwester Donata", knurrte Daianira Hemlock wütend. "Ich werde nicht erneut zulassen, daß ein ausländisches Monster in unserem Land wütet. Vielen Dank für die Information!"

"Ich hoffe, das war nur ein Einzelfall, Mylady. Davidson sagt, daß diese Wesen es sich nach der ersten Gestaltwandlung aussuchen können, ob sie die Gestalt erneut wechseln oder nicht. Aber trotzdem werde ich alles tun, um den betreffenden Menschen zu erwischen, bevor das Werwolffangkommando ihn erlegt.""

"Wenn du seiner habhaft wirst, sollten wir ihn hier verhören, wer seine Vorfahren sind und wie er selbst nach Denver gekommen ist. Ich entsinne mich da alter Erzählungen, die unsere Mitschwester Pandora vor zehn Jahren aus Indien mitgebracht hat. Ich werde sie noch einmal diesbezüglich aufsuchen."

"Natürlich, Mylady", sagte Donata unterwürfig.

"Dieser Junge, Julius Andrews, ist wieder sicher in Beauxbatons angekommen, nicht wahr?" Fragte Lady Daianira. Donata nickte. Wieso kam die jetzt auf ihn. Immerhin hatte sie am Sonntag nach dem Quodpotspiel der Windriders gegen die Ravens eine geschlagene Stunde mit ihr darüber debattiert, was ihm genau widerfahren war und daß es unklug war, die Besucher des sonnigen Gemütes zu legilimentieren. Lady Daianira hatte darauf nur geantwortet, daß sie das Recht habe, sich umfassend über diese fremde Hexe zu informieren. Sie konnte ja nicht wissen, daß Donata Archstone diese Konkurrentin schon längst als neue Anführerin akzeptiert hatte, wenngleich sie darauf gefaßt sein mußte. Donata nickte nur ergeben und wartete, bis sie sich zurückziehen durfte.

"Soll ich darauf warten, bis meine untreuen Schwestern es erfahren und an sie weitergeben, oder soll ich Anthelia benachrichtigen?" Dachte Daianira verärgert. Dann beschloß sie, diese Sache erst einmal für sich zu behalten. Allerdings mußte sie Pandora Straton noch einmal befragen.

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"Soso, die nette Lady Daianira hat dich geheißen, keinem was davon zu sagen", sprach Anthelia, als Pandora Straton ihr einen Tag nach dem Vorfall in Denver berichtete, was sie herausgefunden hatte.

"Nun, nachdem, was ich rausgefunden habe wundert mich das nicht, höchste Schwester", sagte Pandora. "Vor einhundertfünfzig Jahren ist der letzte Vorfall mit einem bösartigen Wertiger in Indien dokumentiert worden. Der dortige Rat der magier, vergleichbar mit unserem Zaubereiministerium, hat extra Kundschafter auf die Familien angesetzt, die den Keim des Wertigers in sich trugen oder das Ritual kennen, mit dem gehorsame Diener unter normalen Sterblichen erschaffen werden können. Ergebnis: Nada, null, nichts. Allerdings, so steht es in dem Bericht auch drin, den ich damals zusammengestellt habe, habe es schon einmal eine Periode großer Inaktivität gegeben, die über zweihundert Jahre reichte. Sie endete damit, daß ein von den Wertigern erwähnter Tempel mit sechzehn geborenen Wertigern besetzt wurde, die dann zweihundert neue Artgenossen zeugten, durch das Ritual das in einer geächteten Handschrift beschrieben wurde oder durch Blut-zu-Blut-Übertragungen. Einer, der bei dieser Zeremonie dabei war hat damals für den Magierrat spioniert. Er gehörte zu den gutartigen Wertigern. So konnten die neuen Wertiger nach und nach aufgespürt und getötet werden, bis vor eben hundertfünfzig Jahren der letzte Fall dokumentiert wurde. Allerdings soll es die Familien und die beiden Clans der Hüter noch geben. Letztere leben wohl irgendwo im Dschungel, da wo der Tempel auch sein soll. Der Spion konnte den Standort dieser Kultstätte nicht preisgeben, weil ein magischer Eid, den er unter Opferung seines Blutes geschworen hatte, wie dein Treuefluch wirkte, jedoch nur dahingehend, daß keiner den Standort herausfinden konnte. Der indische Magierrat fürchtet, daß dieser Tempel immer noch vorhanden ist."

"Weißt du noch mehr über diesen Tempel, Schwester Pandora? Ich meine, geht von diesem Gefahr für die ganze Welt aus?"

"Offenbar dient er nur dazu, diesen angeblichen Segen der Wergestaltigkeit weiterzuverbreiten und als Rückzugsraum gejagter Wertiger zu dienen, höchste Schwester. Es geht zwar das Gerücht, daß er auch große Schätze beherbergt, aber nichts konkretes, daß für die ganze Welt gefährlich ist", erwiderte Pandora.

"Nun, so sollten wir uns darauf beschränken, diesen einen Wertiger zu fangen und notfalls zu töten, sollte er in Amerika bleiben", sagte Anthelia.

"Öhm, das werden die Abteilungen von Schwester Donata und das Werwolffangkommando erledigen, höchste Schwester. Außerdem könnte Lady Daianira darauf kommen, daß Ihr von mir erfahren habt, was da los ist", sagte Pandora. Anthelia nickte. Pandora war zu wertvoll, um sie als ihre Kundschafterin entlarven zu lassen. So blieb ihr nur, sich zu bedanken. Sie fragte dann noch, ob sie auch zur Walpurgisfeier kommen würde. Pandora schüttelte den Kopf.

"Ihre Ladyschaft hat mich für den 30. April zu einer Party eingeladen. Wenn ich da nicht hinkomme schöpft sie Verdacht."

"Vielleicht sollte ich alle entschlossenen Schwestern für diesen Tag ... Besser nicht", knurrte Anthelia. Dann entließ sie Pandora Straton.

"Ich habe den dumpfen Eindruck, diese Daianira sucht nach Wegen, sich meiner zu entledigen. Hoffentlich muß ich nicht darauf verfallen, sie zu töten", dachte Anthelia nur. Dann zog sie sich in ihr Privatgemach zurück, holte das magische Buch des Pacidenyus hervor, um noch einige Sachen über das alte Reich nachzulesen, die der dunkle Magier vor mehreren hundert Jahren niedergeschrieben hatte. Dabei erfuhr sie auch etwas über sagenhafte runde Steine, die die alten Straßen um die Welt passierbar machen sollten, die sogenannten Lotsensteine und las über die Legende der mächtigen Stadt, die auf einer dem Inselkontinent vorgelagerten Insel errichtet und mit einem magischen Panzer gegen alle Verheerungen versehen worden sein sollte, aber dann ebenfalls mit in die Tiefe des Meeres versunken war, als die unbändige Zerstörungskraft den Untergang des Kontinentes auslöste.

"Ein höchst interessantes Werk", dachte Anthelia. "Womöglich liegt in dieser Stadt einiges gar wert- und machtvolle herum."

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"Ja, heute habe ich meinen freien Tag, Mr. P.", sagte er ins Telefon. "Aber ich weiß nicht, ob der mich nicht auch überwachen läßt, Sir."

"Deshalb haben wir Ihnen ja den neusten Zerhacker zukommen Lassen", antwortete eine wohl modulierte Stimme aus dem Hörer. "Außerdem fehlt uns von Ihnen der weitere Bericht über den Jungen. Wann wollten Sie uns den zukommen lassen?"

"Ich weiß, der sollte schon gestern bei Ihnen ankommen, Sir. Aber mein offizieller Arbeitgeber hat mir in den letzten Tagen Extraschichten auferlegt, weil sein texanischer Freund mit seiner Familie vorbeigeschaut hat."

"Ist mir bekannt", erwiderte die Telefonstimme. "Dann sagen Sie mir jetzt, was es neues gibt!"

Der muskulöse Mann, der den Hörer in der rechten Hand hielt meinte, dieser würde immer schwerer als er berichtete, wie sehr sich "Der Junge" im Sport gemacht habe und daß er einem Motorrad mit bald 64 Stundenkilometern davonfahren könne.

"Nun, Sie wissen, daß wir da unsere ganz bestimmte Vorstellung haben", sagte die Telefonstimme, die der Angerufene mit Mr. P. angesprochen hatte. "Sonstige Sachen sind Ihnen nicht aufgefallen?"

"Außer, daß der Bursche mich locker im Armdrücken besiegen könnte und sich in den Schulfächern Mathe und Computer um zwei Noten verbessert hat, wo der vor einem Jahr noch gerade mit einem D in diesem Fach aus dem Jahr gekommen war."

"Aha, das ist also der Stand der Dinge", sagte Mr. P. "Gut, ich bmühe meine Kontakte, den Wunderknaben, der so schnell wieder zur Besinnung gekommen ist und keinen Schaden davongetragen hat auf gesellschaftlicher Ebene zu treffen. Falls es nötig sein sollte, daß ich seinen nächsten Urlaub plane, halten Sie sich bereit! Sie wissen ja, was sonst geschieht!"

"Sie müssen mich nicht dauernd daran erinnern, Mr. P.", knurrte der Angerufene. Dann klickte es im Hörer. Er legte auf, schaltete den Zerhacker aus und stülpte den hohlen Fuß der Stehlampe wieder darüber.

"Spionieren ist eine Sache. Aber was interessiert den jetzt so dringend an dem überheblichen Bengel, daß er den kidnappen will?" Dachte der Angerufene. Dann überlegte er sich, wie weit er gehen wollte. Leider stellte er fest, daß er so weit gehen würde, wie Mr. P. ihn gehen lassen wollte. Wäre das vor einigen Jahren nicht gewesen, was ihn so wunderbar erpressbar gemacht hätte, er könnte sich jetzt ruhig zurücklehnen und die Sportsendung im Fernsehen genießen. Doch wie es jetzt aussah, war er bereits zu tief in einem Sumpf versunken, um sich noch irgendwie daherausziehen zu können. Wenn Mr. P. ihn anwies, ihm den Jungen irgendwie zuzuführen, würde er es wohl tun müssen, selbst wenn auf Entführung sehr hohe Strafen standen, besonders, wenn das Entführungsopfer das Kind wichtiger Leute war.

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Dennis Taller hatte es geschafft, das Land zu verlassen. Sie suchten ihn nicht. Jetzt saß er in einer Maschine nach Singapur, der ersten Station auf seiner langen Reise. Die Stimmen in seinem Kopf hatten ihm immer wieder gut zugeredet, wenn ihn das Gewissen zu plagen drohte. Er hatte in einem übernatürlichen Anfall vier junge Leute umgebracht, war ein gefährliches Raubtier gewesen, daß sich an den Toten vergriffen hatte und saß jetzt völlig unbehelligt in einer Boeing 747 Richtung Singapur. Von dort aus sollte er nach Bombay fliegen. Doch wie lange würde es dauern, bis sein Boss, Mr. Buchanan, ihn vermissen würde. Hatte der vielleicht irgendwie von den Vorfällen in Denver erfahren? Zumindest waren weder die Stadtpolizei Denvers noch die Bundesermittlungsbehörde FBI auf den Fersen, denn dann hätte er Amerika unmöglich verlassen können. Zumindest war er froh, seinen Reisepass mitgenommen zu haben. Aber als Geschäftsmann mußte er ja ständig damit rechnen, von einem auf den anderen Tag in ein anderes Land verreisen zu müssen. Das war ihm schon ein paarmal passiert, daß er heute nach Phoenix, Arizona und morgen nach Bogota, Kolumbien gereist war.

Dennis fragte sich, was ihm passiert war. War er ein Außerirdischer, bei dem ein in die Gene eingepflanztes Programm aktiviert worden war, eine Art Schläfer auf dem Planeten Erde, ausgestattet mit einem geheimen Erbgut, daß ihm übermenschliche Sinne und Kräfte verleihen konnte. Oder war er ein Dämon, dessen Auftrag es war, das Böse zu verbreiten. Dann würde sich das mit seiner Tiergestalt und der Brutalität erklären, mit der er die vier Jungen und den Mann mit dem Sturmgewehr so bestialisch umgebracht hatte. Wer waren dann die Stimmen in seinem Kopf. Waren es Magier, die ihn zu sich riefen? Waren es Außerirdische, die mit Telepathie hantierten wie Erdenmenschen mit Telefon und Funk? Oder waren diese Stimmen ein Teil des in ihm erwachten Fremden, eine eingekapselte Gedächtniseinheit, eine sekundäre Persönlichkeit, die ihn davon abhalten sollte, sich wegen der schrecklichen Tat, die er ausgeführt hatte, schuldig zu fühlen und ihm einen vorbestimmten weg weisen sollte. Wieso kam er darauf, über Singapur nach Indien zu fliegen? Sicher, als er wieder klar bei Verstand war hatte er erkannt, daß er vorübergehend den überlebensgroßen Körper eines Tigers besessen hatte. Dann wäre er ein sogenannter Wertiger, ein Fabelwesen aus dem Reich von Mythen und Horror. Wollte er das sein, unabhängig davon, ob seine grausame Mutation jetzt aus der Hölle oder einem anderen Sonnensystem herrührte? Sobald er sich die Frage vorlegte, floß ihm sofort große Zuversicht und Stolz ins Bewußtsein. Er war etwas besonderes, und er hob sich damit von allen anderen ab. Ja, und er wußte auch, daß er sich ab jetzt nur noch verwandeln würde, wenn er dies wollte oder er sich in einer Notlage befand. Er dachte an den Hulk, jene grüne Monsterfigur aus einer Comic-Reihe, in die sich ein hochintelligenter Wissenschaftler nach einem fehlgeschlagenen Selbstversuch immer dann verwandelte, wenn er aus irgendeinem Grund die Selbstbeherrschung verlor, also wütend wurde oder panische Angst bekam oder Schmerzen erlitt. Also mußte Dennis Taller sich lediglich darauf konzentrieren, nicht in Wut zu geraten. Denn, das hatte er nach seiner Rückverwandlung auch bemerkt, auch im menschlichen Körper verfügte er über übermenschliche Sinne und Kräfte, beinahe wie ein Androide oder Kyborg. Somit konnte er jedem Ärger rechtzeitig genug aus dem Weg gehen, ohne sich in das Raubtier zu verwandeln.

"Möchten Sie noch etwas zu trinken, Sir?" Fragte die asiatische Stewardess ihn. Er nickte und bestellte eine Tasse Kakao. Manche hätten ihn dafür komisch angesehen. Doch auf ihn wirkte es beruhigend. Außerdem wollte er gleich noch etwas schlafen, und da wäre Kaffee oder Tee das verkehrte Mittel gewesen. Alkohol wollte er nicht trinken, weil er nicht wußte, wie das ihm in seiner neuen Daseinsform bekommen würde. Nachher überkam ihn wieder das wilde Tier, und er richtete in diesem Flugzeug ein weiteres Blutbad an. Das wollte er nicht. Er wollte kein Mörder sein. Die vier Jungen hatten ihn angegriffen, und er hatte sich gewehrt, besser als er es je für möglich gehalten hätte. Die Jungen hätten nicht sterben müssen, wenn sie ihn in Ruhe gelassen hätten. Er trank seinen Kakao und lehnte sich in den weichen Sessel zurück, schloß die Augen und ließ sich vom Summen der Triebwerke und der Klimaanlage in den Schlaf hinübertragen.

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"nah, hast du deinen leinenführigen Gorilla wieder anherrschen müssen, Linus?" Fragte der schlanke Mann mit den dunkelblonden Haaren und den braunen Augen einen ziemlich korpulenten Mann mit lichtem, blonden Haar und einer Goldrandbrille, durch die ein hellbraunes, entschlossenes Augenpaar die kostspielige Einrichtung begutachtete.

"Mußte wieder sein, Titus. Ist Marc noch auf der Insel?" Fragte der dicke Mann im schwarzen Büffelledersessel.

"Ja, da ist er. General Alvarez hat sich gerade unser Lager angesehen, und Kowalsky ist hin und weg von unseren Glücklichmachern. Coulter hat alles gut im Griff", sagte der schlanke Mann.

"Und du bist dir ganz sicher, daß der Bengel nicht auf natürliche Weise so gut aus dem Koma herausgekommen ist, Titus?" Fragte der dicke Mann im Sessel.

"Ziemlich, Linus. Die haben den doch über mehr als einen Monat da gehabt. Aber der war ziemlich schnell wieder fit und ist jetzt wieder obennauf. Außerdem habe ich es wie du weißt gefingert, die letzten Krankenberichte von ihm zu kriegen. In der McCurton-Klinik gibt's eben auch nur gewöhnliche Menschen."

"Ja, gut, nachdem, was du mir vorgeführt und erzählt hast kaufe ich dir das ab, daß da wer dran gedreht hat. Die Frage ist nur warum", meinte der Insasse des schwarzen Sessels.

"Entweder ist der Junge durch einen Trank oder ein Ritual so stark gemacht worden, um irgendwann von irgendwem für irgendwas eingespannt zu werden, oder die haben den schlichtweg ausgetauscht."

"Wie soll denn sowas gehen?" Fragte der Dicke grummelig.

"Das zuständige Personal wird betäubt, der Bursche aus dem Bett geholt, ihm eine Zelle geklaut und damit ein Austauschritual durchgeführt oder ein Doppelgänger erschaffen, der dann an die Stelle gelegt wird."

"Ja, aber der handelt doch genauso wie der eigentliche Bursche. Wie geht denn sowas?"

"In den Akten steht drin, daß der Patient mehr als einen Tag von einer REM-Phase in die nächste gerutscht ist. Ich habe mich bei meinen netten Kontaktleuten mal umgehört. Es ist möglich, jemandem im Schlaf Erinnerungen einzupflanzen. Dann konnten die dem Doppelgänger in Ruhe alles haarklein ins Hirn setzen, damit er bloß keinen Fehler macht. Womöglich will da wer dem Senator auf die Bude rücken oder einen Spion bei ihm unterbringen", sagte Titus.

"Ich dachte von denen, bei denen du deinen Hokuspokus gelernt hast hätten bei allen wichtigen Behörden Leute eingeschleust", schnarrte der Mann im Sessel.

"Ja, vom Ministerium. Aber es könnten ja durchaus auch andere Interessengruppen was von unseren Politikern wollen. Nachdem, was in unseren beiden Zeitungen gestanden hat, hat sich da jemand neues in der Welt gemeldet, neben denen, von denen ich dir schon erzählt habe."

"Ach, diese Hexenschwester, die den Hurenkiller gestoppt hat?" Fragte der Mann im Sessel. Sein gesprächspartner nickte.

"Die hat irgendwie durchblicken lassen, daß sie die Erbin einer früheren ganz bösen Hexe sei. Was liegt da näher, als einen Kundschafter bei euch Muggeln unterzubringen."

"Titus, ich habe dir schon hundertmal gesagt, du sollst mich nicht als Muggel bezeichnen", knurrte der korpulente Mann erbost. "Ja, aber unser leinenführiger Gorilla hat nie mitbekommen, daß der Bengel mit irgendwem von euch Kontakt aufnimmt."

"Natürlich nicht", lachte Titus. "Aber das macht die Sache nicht ungefährlich, Linus. Wenn du dir den Burschen unter'n Arm klemmst und der echt für eine böse Hexe spionieren soll, hast du die bald am Hals."

"Nur wenn er der verraten könnte, wo ich ihn hinbringe. Dann kann die den suchen wo sie will.">

"Ich habe dich nur warnen wollen, Linus. Du hast verdammt viel Geld und genug mächtige Freunde. Aber all das hilft dir nicht, wenn irgendwer von unserer Welt auf die Idee kommt, dich mal eben aus dem Verkehr zu ziehen. An und für sich müßten Sie dir jetzt schon dein Gedächtnis komplett umräumen, nach allem, was du von mir gehört hast."

"Ihr seid genauso sterblich und käuflich, Titus. Ich brauche vor euch keine Angst zu haben", meinte Linus sehr selbstsicher.

"Ich fürchte, die Demonstration mit dem grünen Blitz hat dir nicht den rechten Respekt gelehrt, wie?" Fragte Titus.

"Ob ein grüner Todesstrahl oder eine Garbe MP-Geschosse oder eine Ladung Zyankali, das ist das gleiche", erwiderte Linus. "Wenn der Bengel wirklich für wen arbeitet, und der oder die sucht ihn, wird er oder sie ihn nicht finden. Es muß halt alles sehr schnell gehen. Ich warte noch, ob der Bengel zu der Party kommt, die diese großzügige Mrs. Jackson veranstalten will. Ist er da nicht bei, mache ich seine Urlaubsplanung."

"Wie gesagt, Linus, ich habe dich gewarnt", sagte Titus.

"Ja, das ist dein Recht, Titus. Aber jetzt lass mich bitte wieder alleine, ich muß noch ein paar weiße Scheine umsortieren, bevor ich mir von Coulter den Tagesbericht anhöre."

"Wie du meinst, Linus. Hast du den Teppichklopfer volltanken lassen?"

"Der wartet auf dich. Aber warum bringst du nicht deinen Teleportationstrick?"

"Weil die im Ministerium sowas überwachen können", knurrte Titus. Dann verabschiedete er sich von Linus und begab sich zum Dach. Der Pilot eines von drei schnittigen Hubschraubern winkte ihm.

"Ah, Mr. Greywater. Ist die Besprechung beendet?"

"ja, ist sie, Dick. Jetzt bringen Sie mich dahin, wo Sie mich immer abholen!"

"Aber gewiss doch", sagte Dick der Pilot mit einer halben Verbeugung und öffnete für seinen Passagier die Seitentür. Titus Greywater haßte die Flugmaschinen. Doch was sollte er machen, wenn er sich von seinen eigentlichen Leuten nicht das schöne Leben vermiesen lassen wollte, daß sein Schwager Linus ihm ermöglicht hatte. So mußte er weitestgehend ohne Zauberei auskommen, hatte aber dafür die Geheimhaltung ausgehebelt. Sollte sich erweisen, daß sein Schwager mit dem gerade ins auge gefaßten Burschen einen magisch manipulierten oder gar ausgetauschten Spion enttarnt hatte, könnte er, Titus, die Methoden studieren und dann heimlich mehr Macht erringen. Als der Hubschrauber dann aufstieg, gab er sich seinen Gedanken hin, die ihm halfen, das laute Rumoren der Maschine nicht mehr zu hören.

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Irgendwie war es nicht ganz so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Rupert sah toll aus, unbestreitbar, und sie hatte sich sehr gefreut, daß er nach einem anstrengenden Tag auf einer Baustelle mit dem Angebot gekommen war, sie zu einem romantischen Abendessen bei Kerzenlicht auszuführen. Für einen Zimmermannsgesellen war Rupert sehr gebildet, wenngleich er auch sehr stolz auf seine berliner Herkunft war. Er hatte ihr erzählt, daß er bald die traditionelle Wanderung, die Walz, machen wollte. Das war zwar heutzutage nicht mehr so unbedingt erforderlich, aber zum einen konnte er dabei etwas mehr von der Welt sehen und zum zweiten vielleicht Kontakte knüpfen, die auf dem arg bedrohten Arbeitsmarkt von heute sicher nützlich sein mochten. Irgendwie hatten sie, Philippa Westheim, eine Junge Studentin der Humboldt-Universität und Rupert Möller, Zimmermannsgeselle im ersten Jahr, darauf hingetastet, daß sie es heute miteinander tun wollten. So war nach dem romantischen Essen ein gemütlicher Spaziergang in Philippas kleines aber sündteuer bezahltes Appartment gefolgt, wo sie noch einmal langsame Musik aufgelegt und sich mit Rupert langsam aber zielstrebig in die entsprechende Stimmung hineingefühlt hatten, und das wortwörtlich. Doch als sie dann die erste intime Berührung fühlte und merkte, daß er wohl doch nicht der große Casanova war, der jede Frau glücklich machen konnte, hatte sie eher funktioniert als gefühlt. Sicher, ihm hatte das wohl spaß gemacht, während sie jetzt darüber nachdachte, ob dieses erste Mal mit ihm nicht auch schon das letzte Mal mit ihm sein würde. So war sie im Gegensatz zu ihm, der den Akt als außerordentlich überragend empfand, leicht frustriert neben ihm liegen geblieben und hatte ihm vorgeschwindelt, es sei für sie anregend gewesen.

"Denn machen wer det doch gleich noch mal!" meinte Rupert dann und ließ seine Hände über ihren Körper gleiten. Wie sollte sie ihm jetzt erklären, daß sie es besser nicht sofort noch einmal miteinander tun sollten.

Er hingegen, froh, endlich diesen achso wichtigen Schritt getan zu haben und nun vor den Mitgesellen nicht mehr als Versager dazustehen, fühlte sich auf eine Weise zufrieden, die alles übertraf, was seine Freunde ihm über Sex zu berichten gewußt hatten. Philippa, seine akademische Freundin, lag da neben ihm, ruhig und offenbar noch schwer beeindruckt von seiner Leistung. Sie wollte ihn bestimmt noch mal, und er fühlte sich auf einmal sehr hungrig, sie erneut zu nehmen, sie hier und jetzt durch das schon leicht quietschende Bettgestell hindurchzustoßen, mit ihr in den siebten Himmel zu fliegen und diese herrliche Explosion in seiner Körpermitte noch einmal zu fühlen, ja sie vielleicht zur selben Zeit in diese Superstimmung zu versetzen. Doch als er sie mit seinen Händen streichelte wand sie sich, nicht zu ihm hin, sondern von ihm fort. Was sollte das jetzt?

"Eh, Philli, wat soll'n det jetzt?" Fragte er, als ihm klar wurde, daß sie durchaus nicht unbedingt die nächste Runde mitmachen wollte. Sein Drang war zu groß, um einfach von ihr abzulassen. Sie versuchte, ihn erst sanft und dann immer stärker zurückzudrängen, sperrte sich immer mehr gegen seine Berührungen. Doch die grenzenlose Überlegenheit und Glückseligkeit, die er eben noch empfunden hatte, betäubte seinen Verstand. Er dachte, sie wolle mit ihm spielen, ihn um sie kämpfen lassen. So wurde er immer zudringlicher. Philippa wand und wehrte sich. Sie schaffte es, ihn mit dem Ellenbogen in den Bauch zu rammen, so daß er für einen Moment zur Seite rollte. Sie sprang auf. Rupert schnellte aus dem Bett, daß in allen Federn kreischte. Er fühlte, wie die Gier nach diesem nackten, verheißungsvoll riechendem Körper immer stärker wurde. Er spürte eine sengende Hitze in sich und fühlte das Kribbeln wie eine Ameisenarmee, die über seinen Körper rannte. Die ganze Luft um ihn schien mit unsichtbaren, elektrischen Funken aufgeladen zu sein. In ihm loderte nun ein Feuer, daß ihn anheizte wie einen Dampfkessel. Er hechtete hinter Philippa her, die er haben wollte, die ihm noch einmal dieses herrliche Gefühl geben sollte. Doch sie schrie ihn an, er solle sie lassen. Er versuchte sie zu packen und rutschte mit seinen Fingern von ihr ab, die merkwürdig steif wurden. Einmal sah er auf seine Hand und konnte sehen, wie seine Fingernägel weiterwuchsen und sich dabei spitz zulaufend krümmten wie Krallen. Philippa hatte eine Kratzwunde an der linken Seite abbekommen, vier blutige Linien. Er roch das Blut, ihren Schweiß und die Ausdünstungen ihres Unterleibs, die ihn unbändig hungrig auf sie machte, nicht hungrig, daß er sie fressen wollte, sondern nur den wildesten Sex aller Zeiten mit ihr haben wollte. Doch sie wollte nicht. Sie starrte ihn angsterfüllt an, schien dabei zu schrumpfen. Er wollte sie mit dem nächsten Ansturm zu boden reißen und ... Gerade eben noch sah er etwas rundes aus Porzellan in ihre Hand gleitten, da explodierte eine Flut von Sternen mit lautem Getöse in seinem Kopf, und Schwärze umfing ihn.

Philippa Westheim keuchte, als sie die Splitter des schweren Aschenbechers zu Boden fallen sah, den sie bisher nur als nutzloses Utensil betrachtet hatte. Vor ihr lag Rupert Möller, der sie beinahe zu Boden geworfen hätte. Wie konnte der von einem Moment zum anderen zu einem solchen Tier -? Sie starrte auf den Bewußtlosen. Er war irgendwie größer geraten als sie ihn in Erinnerung hatte. Er war über und über behaart. Sie glaubte, einer aus der Angst entstandenen Halluzination zu erliegen als sie ein Muster dunkler Querstreifen in der merkwürdig stärkeren Behaarung erkannte und die Finger- und Zehennägel ansah, die nun eher den Krallen eines Raubtieres glichen. Sie erbleichte. Dann zündete in ihrem von den Aufwühlungen der letzten Minuten durchgeschütteltem Verstand der einzig klare Gedanke: "Hau ab von hier!" Sie griff ihre Kleidung, zog sich nur die Oberbekleidung an, ließ auch die Strümpfe weg, als sie in ihre Schuhe stieg, sah sich immer wieder um. Noch lag Rupert da. Er atmete nicht. Doch er sah immer noch eher wie ein großes, behaartes Tier aus. Was war das für ein Mensch? War es überhaupt ein Mensch? Sie dachte an die Werwolffilme, die sie früher gesehen hatte und wurde dadurch zur größeren Eile angetrieben. Sie rannte zur Tür, schloß auf, nahm ihre Handtasche mit ihren Papieren und dem Geld von der Garderobe und verließ das Appartment. Sie schloß die Tür sorgfältig ab, dann rannte sie nur noch, die Treppe hinunter, zur massiven Haustür, hinaus auf die Straße und um die nächste ecke. Sie rannte und rannte, bis sie nicht mehr konnte und ihre Beine wegzuknicken drohten. Da sah sie einen Streifenwagen, der an einer Straßenecke stand. Das Blaulicht war ausgeschaltet. Sie zwang sich, zu dem Wagen hinzulaufen. Sie fühlte, wie ihr schönes Abendkleid von dem aus ihrer Kratzwunde tropfenden Blut immer mehr verklebt wurde. Dann war sie bei dem Wagen angekommen, wo ein Polizist und eine Polizistin gerade aus einer großen Pommestüte aßen. Sie klopfte an die Scheibe. Doch da öffnete die Frau bereits und sah sie an.

"Hallo, junge Frau. Was ist los? Ist jemand hinter Ihnen her?"

"Ich ... ich habe ... ich habe jemanden ... ich habe meinen Bekannten niedergeschlagen", schluchzte Philippa. Dann stieß sie noch aus, daß es kein Mensch war. Der Schutzpolizist verließ den Wagen und kam zu ihr. Seine Kollegin verließ auf der Beifahrerseite den grün-weißen Wagen. Sie sprachen beruhigend auf sie ein, wobei sie genau auf ihre Bewegungen achteten. Sie sahen den Blutfleck auf dem Kleid. Die Polizeibeamtin hob es vorsichtig, während ihr Kollege sicher aber nicht brutal die Hände der offenbar sehr verwirrten jungen Frau festhielt.

"Oh, sieht heftig aus. Vier tiefe Kratzwunden", sagte die Polizistin zu ihrem Kollegin. "Sollen wir 'nen RTW rufen."

"Ist schlimm?" Wollte der Polizist wissen. Seine Kollegen schüttelte verhalten den Kopf. "Okay, dann nehmen wir sie mit zur Wache", bestimmte er. Behutsam brachten sie die junge Frau in den Fond ihres Wagens. Über Funk meldeten sie, daß sie eine wohl sehr verwirrte, leicht verletzte Frau aufgefunden hatten, die behauptete, sie hätte ihren Bekannten niedergeschlagen. Dann ging es auf die Wache.

Dort wurde Philippa von einer anderen Polizistin und einer Psychologin vernommen, die mit ihren großen, blauen Augen und dem bräunlich angehauchten, blonden Lockenkopf eher den Eindruck eines niedlichen Mädchens als den einer gestandenen Polizeipsychologin machte. Der herbeigerufene Polizeiarzt untersuchte und behandelte die Verletzung, nahm Blut ab und zog sich zurück, als die Psychologin, die sich als Dr. Almut Lauterbach vorgestellt hatte ihm bedeutete, besser für eine Zeit den Raum zu verlassen.

"Also Sie haben sich erst im gegenseitigen Einvernehmen körperlich geliebt, Frau Westheim. Das gab Ihnen nicht so die Befriedigung die Sie sich erhofft haben. Doch Ihr Freund wollte es noch einmal, und Sie wollten es diesmal nicht?" Fragte die Psychologin behutsam. Philippa nickte. Sie sah der bräunlichblond gelockten Frau tief in die Augen. Dabei rollte die Szene der letzten Stunde vor ihrem geistigen Auge ab, wie alles passiert war. Sie beschrieb im Detail, was passiert war, ließ auch nicht aus, daß sie ihren Freund als ein tierartiges Wesen gesehen hatte. Die Polizistin sah die Psychologin an und fragte sie, was zu tun sei. Diese meinte:

"Nun, Sie braucht auf jeden Fall erst einmal Ruhe und sichere Unterbringung."

"Geht klar", sagte die Polizistin und rief zwei Kollegen. Diese brachten Philippa in die Ausnüchterungszelle der Wache.

"Glauben Sie, daß sie irgendwelche Drogen genommen hat?" fragte Revierleiter Willke die Psychologin.

"Sie machte mir eher den Eindruck, unter großer Todesangst zu stehen, vergleichbar mit einem aufwühlenden Alptraum. Wäre sie nicht verletzt worden müßte ich das sogar als eine handfeste Möglichkeit in Betracht ziehen", sagte Dr. Lauterbach. Polizeiobermeister Kehl, der mit im Büro des diensthabenden Revierleiters saß grinste und warf ein:

"Vielleicht hatte sie ja Besuch von Freddy Krüger."

"Wolle, mehr Ernst", blaffte Willke seinen Stellvertreter an. Almut Lauterbach knurrte nur verächtlich. Dann sagte sie:

"Nun, da jene Horrorgestalt bekanntlich kein Werwolf ist, kann ich ein derartiges Vorkommnis grundsätzlich ausschließen. Sie hat eindeutig etwas erlebt, was schlimm für sie war. Kann sein, daß ihr Freund sie unter eine Droge gesetzt hat, die sie erst gefügig gemacht hat und dann eine Halluzination ausgelöst hat, die ihr diese Angst eingejagt hat. Zumindest bin ich mir sicher, daß sie uns nichts vorgespielt hat, um einen Mord zu vertuschen oder sowas."

"Gut, der Arzt macht eine komplette Blutanalyse. Dann wissen wir, ob sie neben den drei Gläsern Wein, von denen sie was erzählt hat noch was anderes im Körper hatte", meinte Willke.

"Ja, wen anderen", fühlte sich Polizeiobermeister Wolfgang Kehl zu einer derben Bemerkung berufen.

"Wolle, noch so einer und ich muß das in deine Akte schreiben", drohte Willke. Dann meinte er zu Dr. Lauterbach:

"Gut, wir behalten sie hier. Danke für die schnelle Hilfe!"

"Es war mir eine Ehre, die Herren", sagte Dr. Lauterbach und nahm ihre kleine, rote Handtasche. Dann fragte sie noch, ob sie noch wen in das Appartment schicken wollten, um der Sache nachzugehen.

"Die sind schon unterwegs. Müßte eigentlich schon was hören", meinte Willke. Dr. Lauterbach schien über diese Enthüllung merkwürdig verunsichert zu sein. Doch keine Sekunde später wirkte sie wieder so gefaßt wie eben. Sie sah die beiden Beamten an, schien zu überlegen, was sie jetzt sagen oder tun sollte und ließ dabei ihre rechte Hand den Verschluß der Tasche öffnen. Mit der linken nahm sie ihr Notizbuch mit dem am Gummiband daran festgemachten Bleistift und versenkte dieses in der Tasche. Im nächsten Moment verschwand auch ihre rechte Hand in der Tasche und kam mit einem übergroßen Holzpinn zum Vorschein. Willke und Kehl starrten eine Sekunde zu lange auf das merkwürdige Ding, daß wie der Zahnstocher für einen Drei-Meter-Mann aussah. Da konnte sich erst Willke und dann Kehl nicht mehr bewegen, geschweige einen Laut von sich geben.

"Obleviate", murmelte Almut Lauterbach.

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Polizeihauptmeister Egon Schmidt und Polizeimeister Rainer Nölling trafen mit ihrem Funkwagen vor dem Appartmenthaus ein, in dem viele Studenten und Studentinnen ihre Quartiere angemietet hatten. Nölling folgte seinem Streifenführer zur Haustür, die fest verschlossen war.

"Schön, hier gibt's 'ne Hausmeisterwohnung", meinte Schmidt. "Mal kucken, ob der uns anstandslos reinläßt." Da hörten sie von drinnen ein lautes Gebrüll, daß den gestandenen Großstadtpolizisten das Blut in den Adern gefror.

"Was war das denn?" Versetzte Nölling. Schmidt zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf, daß er darauf keine Antwort wußte.

"Wer zum Teufel is' da!" Blaffte es blechern aus dem Lautsprecher der Gegensprechanlage.

"Hier ist die Polizei, Herr Blom. Wir möchten ins Appartment 6 von Frau Philippa Westheim. Bitte öffnen Sie die Tür!" Sprach Schmidt mit fester Stimme in die Sprechanlage.

"Polente, öhm, die Polizei? Wat is'n?" Kam eine nun nicht mehr ganz so Ruppige Antwort aus dem Lautsprecher.

"Das betrifft Sie nicht, Herr Blom. Bitte die Tür aufmachen!" Wiederholte Schmidt seine Aufforderung. Da hörten sie aus dem Inneren des Hauses ein lautes Krachen, als habe etwas schweres eine Tür eingerissen.

"Ey, wat war denn det?" Fragte die Lautsprecherstimme. Dann klickte es, aber ohne daß der Türsummer angegangen wäre.

"Nölling, Eigensicherung!" Befahl Schmidt. Er schickte seinen Kollegen einige Meter zurück und hieb noch einmal auf die Klingel von Hausmeister Blom. Da hörte er von drinnen etwas die Treppen herunterkommen, etwas laut klickendes, als würde jemand auf Plastikplättchen laufen. Im Nächsten Moment krachte etwas laut Brüllend von innen gegen die massive Haustür. Das Milchglas zersprang als wäre es hauchdünn, und der Metallrahmen verbog sich kreischend nach außen, während ein mächtiger Schädel mit weit aufgerissenem Maul durch die zertrümmerte Tür stieß.

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"Ja, es könnte eine Wiederholung des Denver-Vorfalls sein", sagte der Kopf von Almut Lauterbach, der gerade in einem brennenden Kamin hockte. Andronicus Eisenhut, der Leiter der magischen Strafverfolgungsbehörde, hörte sich gerade den Bericht der bei der berliner Stadtpolizei eingeschleusten Überwacherin in der Muggelwelt an.

"Hier in Deutschland? - Gut, es gibt unter den hier lebenden Muggeln auch welche, die aus Asien stammen. Aber Sie sagten ja gerade was von einem Weißen mit einem deutschen Namen."

"Es heißt ja nicht, daß diese Veranlagung nur auf Inder und Malaien beschränkt bleiben muß, Andronicus. Aber jetzt sollten Sie schnell handeln, bevor ein ähnliches Blutbad passiert."

"Ich geb's an die Lichtwache weiter. Sie bringen die Zeugin in das Friedenshaus im Erzgebirge!"

"Ja, mache ich. Ist mir das Apparieren mit ihr erlaubt?"

"Ich geb's Ihnen schriftlich", sagte Eisenhut und wedelte mit dem Zauberstab, worauf ein bestimmtes Formular aus dem Nichts erschien. Er füllte es schnell aus und unterzeichnete es. Dann machte er daraus vier Exemplare, steckte eines davon in einen Holzzylinder, den er zwischen Almut Lauterbachs Lippen schob, deren Kopf darauf aus dem Feuer verschwand.

"Jetzt auch hier in Deutschland", knurrte Eisenhut und eilte zum Büro von Zaubereiminister Güldenberg. Dieser spielte gerade Skat mit seinem Untersekretär Eilenfried Wetterspitz und dem Leiter der Abteilung für magische Geschöpfe, Sebaldus Kienspan.

"Tja, das war doch mal ein Grand, Herr Minister. Da können Sie nichts mehr gegen machen", triumphierte Kienspan gerade.

"Ah,Andronicus. Ist was passiert?" Begrüßte ihn der Minister unbeeindruckt vom Spielstand.

"Ja, Denver ist passiert, In Berlin, Herr Minister", sagte Eisenhut.

"Ach du großer Drachenmist", erschrak Kienspan. "Jetzt bei uns auch. Habe doch gerade erst gestern den Bericht von Elmar aus der Zusammenarbeitsabteilung gekriegt. In Berlin, sagten Sie, Andronicus?"

"Ja, in einem Appartmenthaus der Humboldt-Universität. Unsere als Polizeipsychologin getarnte Kollegin Almut Lauterbach hat Wind davon bekommen, die Zeugin verhört und sich jetzt eingeschaltet, um die Sache nicht ausufern zu lassen. Ich schicke gleich ein paar Lichtwächter hinter ihr her, damit die das Biest stellen und fesseln."

"Das können Sie vergessen, Andronicus", knurrte Kienspan. "Wenn das wirklich noch ein Wertiger ist, ist der mit Zaubern und körperlicher Gewalt nicht zu erlegen. Ich hörte sowas, daß dem nur natürliches Feuer zusätzen kann. Und sowas wollen Sie ja bestimmt nicht in einem Muggelhaus entfachen, oder."

"Nur wenn es unbedingt sein muß", knurrte Eisenhut.

"Nun, meine Herren, ich fürchte, wir müssen das Spiel wiederholen, wenn die Lage geklärt ist", sagte der Minister nicht ganz ohne erleichterung, daß ihm eine große Schmach erspart bleiben würde. Andererseits konnte ein in Berlin herumtobender Wertiger ihm mehr zusetzen als eine verlorene Skatrunde.

"Ich geh in mein Büro und schicke die Fangtruppen los", sagte Kienspan. "Ich lass ein paarr Drachenjäger hinter Ihren Lichtwächtern herapparieren. Die kennen sich mit gefährlichen, magisch schwer zu bändigenden Ungeheuern aus."

"Bin einverstanden", sagte Eisenhut und gab Wetterspitz eines der drei noch verbliebenen Exemplare des Formulars zur Aufnahme in die Akten.

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Er erwachte mit brummendem Schädel. Doch sofort loderte eine unbändige Wut in ihm, schien ihn von innen und außen zu verbrennen. Alles um ihn herum schrumpfte ein. Alle Geräusche wurden mit einem Mal sehr laut, die Gerüche so intensiv, daß er glaubte, Philippa stehe noch immer vor ihm. Doch sie war weg. Sie hatte ihn einfach niedergeschlagen, mit einem Aschenbecher auch noch. Er haßte Zigaretten. Aber er würde sie einholen, sie niederwerfen und sie nehmen, wie er sie haben wollte. Er sah die nun ziemlich klein geratene Wohnungstür und brüllte lautstark, daß es aus dem ganzen Haus wiederhallte. Auf allen Vieren trat er an die Tür heran, stieß mit dem Kopf dagegen und erkannte, daß er locker durch sie hindurchspringen konnte. Von unten hörte er überlaut einen Mann "Nölling, Eigensicherung!" Rufen. Er sprang ohne anlauf los, krachte durch die starke Wohnungstür wie durch eine Papierwand und galoppierte die etwas zu klein geratenen Treppenstufen hinunter. Er roch den Fußschweiß von vielen Dutzend Leuten hier, doch am intensivsten den von Philippa Westheim. Er fegte die Treppe hinunter. Oben hörte er eine Tür aufspringen. Doch er wollte nur noch raus. Da war die mit dickem Milchglas gefütterte Metalltür. Er flog auf sie zu und krachte hindurch. Draußen sah er zwei Polizisten, nur noch halb so groß wie sonst. Einer sprang noch zurück, aber nicht weit genug. Mit lautem Klirren und Quietschen zwengte sich Rupert Möller in seiner neuen, unwahrscheinlich überragenden Gestalt durch die kaputte Tür und packte mit dem Maul zu. Er erwischte den Polizisten am linken Arm und zerrte daran. Der Schutzmann schrie vor Schmerz. Da traf Rupert etwas winziges hart am Kopf und prallte laut sirrend ab. Gleichzeitig hörte er den lauten Knall und roch verbranntes Schießpulver. Er wurde wütend, bis zu und durchtrennte dem Polizisten dabei fast den Arm. Er warf ihn mit der Nase zu Boden und griff den zweiten Beamten an, der gerade drei Schüsse hintereinander auf ihn abgab. Doch er fühlte davon nur die harten Schläge gegen Kopf, Brust und Beine und hörte das Wimmern und Miauen der querschlagenden Geschosse. Dann war er bei dem Polizisten mit der Waffe und hieb mit seiner rechten Pranke nach ihm. Der junge Schutzmann ließ sich zur Seite fallen, und die mit mehr als fünf Zentimeter langen Krallen bewehrte Tatze schlug in leere Luft. Er fauchte wütend. Doch dann erkannte er, daß er jetzt freie Bahn hatte. Er konnte der Spur seiner Freundin folgen.

Er lief zur Straße hin, wo der Streifenwagen stand. Das Auto war für ihn wie ein Ding aus einem Kinderkarussell. Er warf sich einfach dagegen und kippte es um. Dann erst erkannte er, daß er dieses Fahrzeug doch hätte benutzen können. Doch jetzt war es zu spät. Er rannte um die nächste Ecke, verfolgt von zwei weiteren Kugeln, die von seinem Hinterteil abprallten.

Er wollte gerade weit in die Straßen von Berlin hineinlaufen, als er einen vielstimmigen Ruf in seinem Kopf hörte: "Bruder komm zu uns in unseren Tempel! Bruder komm zu uns in unseren Tempel. Wir erwarten dich dort."

Der Ruf durchdrang ihn wie kaltes Wasser und löschte alle Wut und alle Begierde. Die Umgebung wuchs wieder an, doch er fühlte sich immer noch sehr stark und konnte besser sehen, hören und riechen als zuvor. Er entsann sich, daß er seine Kleidung noch im Haus liegen hatte und rannte zurück. Der junge Schutzmann, der nun genauso groß war wie Rupert Möller, wollte den splitternackten Zimmermannsgesellen aufhalten. Doch ein Fausthieb trieb den durchtrainierten Polizisten zu Boden. Der andere Polizist hockte am Boden, schien im Schock der Verwundung erstarrt zu sein. Doch Rupert roch und fühlte es, daß der Keim der großen Kraft bereits in diesem Gesetzeshüter pulsierte. Bald würde der Arm wie von selbst heilen, und der Schupo würde die herrliche Kraft fühlen, die das mächtige Wesen in ihm erzeugte.

"Hallo, wo wollen wir denn ...", kschnauzte ihn ein älterer Mann im Kittel an. Doch Rupert schlug einen rechten Haken und beförderte den Mann ins Reich der Träume. Dann war er in der Wohnung Philippas. Er sog wieder ihren überall verteilten Duft in seine nun normal erscheinende Nase ein. Doch da kamen sofort die Stimmen, die ihm befahlen, zum Tempel zu kommen. Er zog sich mit einer Gewandtheit an, die er nie zuvor gekannt hatte, so daß er in fünfzehn Sekunden alles anhatte, was er vorhin für das herrliche Liebeserlebnis abgelegt hatte. Er suchte und fand seinen Autoschlüssel, rannte durch die kaputte Tür hinaus, die Treppen hinunter, vorbei an dem auf dem Absatz liegenden Mann im Hausmeisterkittel und schlüpfte durch die zertrümmerte Haustür hinaus. Draußen lag noch der von ihm niedergeschlagene Schutzpolizist. Der erste von ihm attackierte Schupo begann gerade, seinen schwer verwundeten Arm zu bewegen und stöhnte schmerzhaft.

"Freu dich, wenn's weh tut, Bruder. Denn dann kommt die große Belohnung", sagte Möller überzeugt und suchte sein Auto. Als er es fand und damit losfuhr, hörte er das aus mehreren Richtungen herantönende Tatü-tata weiterer Polizeiautos. Die würden sich freuen, wenn sie ihre Kollegen fanden, von denen der eine vielleicht tot war und der andere bald ein herrliches, neues Leben beginnen würde.

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Vier weitere Polizeiwagen, ein Kranken- und ein Notarztwagen preschten zum Appartmenthaus hin. Als sie die beiden Kollegen fanden, von denen der eine einen übel zugerichteten Arm hatte, machte sich der Notarzt sofort daran, die schwere Verwundung zu reinigen.

"Alles an Antibiotika, was da ist!" Wies er seinen Assistenten an.

"Was hat den so zugerichtet?" Fragte einer der Kollegen Schmidts, der langsam wieder zu sich kam. Er funkelte den Arzt böse an und knurrte, man solle ihn in Ruhe lassen. Da erschienen wie aus dem Nichts mit lautem Knall dreißig Männer und Frauen in Umhängen, einige davon blütenweiß mit goldenen Strahlensymbolen darauf, die anderen in kirschroten Umhängen mit einem gelben Drachenkopf auf dem Brustteil.

"Okay, ihr Lindwurmangler. Wollt ihr echt da ohne uns rein?" Fragte eine Hexe in Weiß.

"Wenn der Wertiger noch drin ist", knurrte einer in Kirshrot. Die Polizisten und Ärzte wurden unverzüglich immobilisiert und gedächtnismodifiziert. Der am boden liegende Polizist bekam einen Aufweckzauber ab. Als er hellwach war, gedächtnismodifizierte einer der in Weiß gekleideten ihn sofort. Doch Polizeihauptmeister Schmidt warf sich herum, wollte flüchten. Da trafen ihn fünf Schockzauber gleichzeitig. Er brach zusammen.

"Gute Idee, ihn mit fünfen zugleich zu treffen. Der Arm von dem weißt Bissspuren auf. Womöglich hat er den Keim schon im Körper, wenn der Arm nicht gut genug ausgeblutet ist."

"Was machen wir, wenn er wirklich einer von denen wird?" Fragte einer der in Weiß gekleideten.

"Dann müssen wir ihn wohl erlegen", erwiderte einer der zwei verbliebenen Männer in kirschroten Umhängen.

"Mit Silber oder wie?" Fragte ein anderer Träger eines weißen Umhangs.

"Falls wir einen lebendig kriegen soll der zunächst untersucht werden, um Blut- und andere Körperproben zu bekommen."

Die in Rot gekleideten Recken verließen das Haus wieder.

"Da ist keiner mehr drin", sagte einer.

"Den hier müssen wir mitnehmen, weil der wohl gebissen wurde", sagte der Truppführer der in Weiß gekleideten.

"Na, dann fesselt den mal schön, mit Eisenketten", meinte einer der Roten. Da brauste es in der Luft und ein Gespann aus zwei mächtigen, weißen Schwänen, die halb so groß wie afrikanische Elefanten waren zog einen fünf mal fünf Meter großen Käfig auf Eisenrädern herbei.

"Das wird lustig, die ganzen Zeugen zu behandeln", knurrte ein anderer der in weiß gekleideten. Sie legten den geschockten Polizisten in den Käfig, dessen Stahlgitter armdick waren und durch Querstreben den Eindruck eines hundertfach vergrößerten Fliegengitters erweckte.

"Bringt ihn schnell zur Burg, damit er erforscht werden kann, bevor er vielleicht doch noch aufwacht", Befahl einer der Anführer der Eingreiftruppe. Weitere Zauberer und Hexen tauchten auf, gingen in alle Häuser und bezauberten die Bewohner, die danach glaubten, daß es hier in der Straße eine Schießerei gegeben hatte, weil zwei Drogenhändler, die sich hier im Keller ein Labor gebaut hatten aufgeflogen waren.

Nach einer Stunde war der ganze Spuk Vorbei. Jetzt konnten sich die Zauberer darauf konzentrieren, nach Rupert Möller zu suchen. Doch dieser war bereits mit seinem Wagen unterwegs richtung Osten. Da der Fall mit Philippa Westheim und Rupert Möller zu einer reinen Zaubererangelegenheit erklärt wurde, dauerte es, bis Almut Lauterbach, die Philippa in einem Versteck im Erzgebirge betreute, alles über den Wagen Möllers wußte. Doch als die Fahndung endlich raus war, überquerte der gesuchte Wagen bereits die deutsch-polnische Grenze bei Görlitz und verschwand aus Deutschland. Rupert wußte, daß er mit seinem Geld nicht mehr weit würde fahren können. Doch dann, so wußte er, mußte er laufen oder auf einen Eisenbahnzug richtung Südosten aufspringen. Denn im Südosten lag der verheißungsvolle Tempel, wo er eine Artgenossin finden würde, die seine unterdrückte Begierde stillen und ihm womöglich mehrere mit der großartigen Kraft angefüllte Kinder zur Welt bringen würde.

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Lord Voldemort überlegte sich, wann genau er die Informationen nutzen sollte, die sein indischer Kundschafter Rundhi Kalagani ihm nach der unschönen Sache in der Burg Bokanowskis übergeben hatte. Endlich hatte er erfahren, wo sich jener sagenhafte Tempel der sechzehn Tiger befinden mochte, von dem es hieß, daß zwei uralte Clans aus Magiern die Kraft der Tiger in sich aufnehmen wollten und dadurch zu einer Gestaltwechselform geworden waren. In diesem Tempel, so hatte es Rundhi dem dunklen Lord verraten, wurde ein magischer Schatz von höchster Brisanz aufbewahrt. Voldemort wußte auch schon, um welchen es sich handelte. Denn in seiner geretteten Bibliothek aus alten Büchern stand etwas über die großen Schlachten der Nagas, schlangenhaften Zauberwesen und den magischen Vogelmenschen vor siebentausend Jahren. Es waren die letzten Überlebenden des alten Reiches, Krieger, die von mächtigen Magiern erschaffen worden waren, um die hellen und die dunklen Streitmächte zu verstärken. Dabei, so hieß es in den Texten, seien die Nagas oder Schlangenmenschen für den damaligen Schattenfürsten Iaxathan in die Schlacht gezogen, während die Vogelmenschen und die von ihnen gezüchteten Himmelsstürmer den Anhängern der Lichtfürstin Darxandria beigestanden hätten. Angeblich, so hieß es weiter, seien die zwei magischen Streitmächte auf dem heutigen indischen Subkontinent in die letzte Schlacht gezogen, wobei der letzte große Anführer der Nagas besiegt und seine Machtinsignien entwendet worden seien. Doch irgendwie verschwanden die siegreichen Vogelmenschen ebenso, womöglich weil sie nicht mehr gebraucht wurden und zu mächtig waren, um ohne einen Krieg weiterleben zu können. Doch von den Schlangenmenschen, die später sogar in die Ursprünge des Hinduismus Einzug gefunden hatten, sollte es noch einige geben, da diese sehr intelligent seien und im Gegensatz zu vielen anderen Zauberwesen auch über eine nach außen richtbare Magie verfügten. Verschiedene Zauberer der vergangenen Jahrhunderte wollten ergründet haben, daß es mindestens noch eine versteckte Festung der alten Krieger gebe. Sie zu finden, die darin wartenden Krieger zu erwecken und diese dann zu führen bedürfe aber großen Mut, überragende Zauberkräfte und den Besitz des Zepters von Sharanagot, der in vor einigen tausend Jahren von Splittergruppen der Hindus als Nagabapu, den Vater der Nagas bezeichnet worden war. Damals waren die ersten Wertiger entstanden, als sich das Geheimnis der magischen Verschmelzung von Menschen und Tieren teilweise hatte rekonstruieren lassen. Die Wertiger kämpften gegen die mächtigen Schlangenwesen und rieben sie zusammen mit den Vogelmenschen und ihren blitzschnellen Zaubervögeln auf. Sie hatten quasi ihre eigene Zivilisation begründet und als Zentrum einen Tempel tief im indischen Dschungel errichtet. Das von Sharanagot erbeutete Zepter, mit dem alle Schlangenartigen dieser Welt regiert werden könnten, hätten sie in diesem Tempel versteckt.

Voldemort hatte bis zum Wiederauftauchen von Sardonias Entomanthropen vermutet, daß die Berichte von dieser vorzeitlichen Endschlacht stark übertrieben worden seien. Doch nun, wo er sowohl die Abgrundstöchter als auch die nach Jahrhunderten wiedererwachten Insektenmonster zu beachten hatte, erschien ihm der Gedanke, er, ein Parselmund, der größte Zauberer der Gegenwart, könne das Versteck der Schlangenfestung finden, sehr behagt, ja die Hoffnung eingegeben, seine ohnehin schon große Macht ins unumstößliche zu potenzieren. Doch dazu mußte er jenen sagenhaften Tigertempel aufsuchen, und was er über die Wertiger wußte gefiel ihm absolut nicht. anders als Werwölfe, deren Entstehung einer fehlerhaften Verschmelzung zwischen Mensch und Wolf zu verdanken war, hatten die Begründer des Tigerclans noch mit zuverlässiger Magie gearbeitet, wohl auch auf Grund umfangreicherer Aufzeichnungen, die Überlebende des alten Reiches auch nach Asien gebracht haben mochten. Sie waren nicht nur im Stande, ihre Tiernatur willentlich zu erwecken und zu kontrollieren, sondern widerstanden in der Tigergestalt allen körperlichen Angriffen außer nichtmagischem offenen Feuer und besaßen eine Gefälleaura, die das magische Potential ihrer nächsten Umgebung abschwächte, so daß sie den meisten Zauberangriffen widerstanden. Hinzukam noch, daß sie diese Gefälleaura bei einer Ansammlung von mehr als vier ihrer Art über eine größere Fläche ausbreiten konnten. Rundhi hatte voldemort berichtet, daß der Clan der Tiger, dessen vier stärksten Mitglieder, zwei Männchen und zwei Weibchen, darauf hinarbeiteten, die sechzehn stärksten Wertiger im Tempel zusammenzurufen, sobald diese ihre wahre Natur erkannten. Sie wollten nach den großen Ausrottungsaktionen der indischen Magier vor 150 Jahren wieder mehrere von sich in die Welt bringen, teils durch echte Fortpflanzung, teils durch Weitergabe ihres Keimes durch Bisse, wie es auch bei den Werwölfen der Fall war. Voldemort mußte also zusehen, wie er in den Tempel gelangte, bevor mehr als die vier Wertiger sich dort einfinden konnten. Er setzte darauf, daß ein Wertiger keine Zauberkraft besaß, um innerhalb von Sekunden über mehrere tausend Kilometer zu reisen, ja auch keine Zauberkunst oder Verwandlung ausführen konnte, da seine Natur die Magie der allernächsten Umgebung in ihn einströmen ließ und einschloß. Da es in Indien, Malaisia und auf Srilanka keine aktiven Wertiger mehr gab, würden die Tempelwächter darauf warten müssen, daß die Träger der Wertigerbegabung diese entdeckten und dann auf Muggelart zum Tempel pilgern würden. Somit hatte er wohl noch mehr als einen Monat Zeit, um seine Expedition nach Indien zu machen. Es eilte also nicht sonderlich. Er konnte noch ein wenig in England bleiben und vielleicht den Erfolg seines Planes miterleben, mit dem er die sogenannten gutmütigen Zauberer endgültig demoralisieren wollte. Allerdings mochte es auch sein, daß der, den er für diesen Plan ausgedungen hatte, zu schwach und feige war. Wundern durfte er sich darüber nicht. Wie der Vater so der Sohn. Womöglich würde er den Kronprinzen der Malfoys töten müssen, wenn der den ehrenvollen Auftrag seines Herrn und Meisters nicht erfüllte. Das wäre auch die verdiente Strafe für den Versager Lucius, der ihm nicht nur die so sehnlich gesuchte Prophezeiung nicht gebracht hatte, sondern sich von einer Gruppe ungeratener Schüler um den Halbblutbastard Harry Potter hatte besiegen lassen, so daß er eingesperrt werden konnte.

"Wann hast du weitere hundert Golems fertig?" Fragte Voldemort Ismael Alcara, jenen syrischen Zauberer, der sich auf die altorientalische Herstellung künstlicher Wächter und Krieger verstand.

"Es wird noch einige Wochen dauern, bis ich genug Material habe, Herr", sagte Alcara mit schwer zu überhörendem Unmut. "Ihr wißt, daß ich für die Herstellung der Krieger Blut von unschuldigen Kindern brauche, und daranzukommen ist nicht so leicht, wenn wir nicht auffallen sollen. Aber bis zum Ende des nächsten Monats werde ich neue einhundert Golems erschaffen haben. Zwanzig sind bereits fertig, können sich sogar unsichtbar machen."

"Es mag sein, daß wir wieder eine Schlacht schlagen müssen, Alcara", fauchte Voldemort gefährlich. "Die Sache mit Bokanowski und dieser lächerlichen Hexe, die sich einbildet, Sardonias Erbin zu sein, zeigen mir, daß ich eine größere Streitmacht brauche."

"Was ist mit den Giganten, Herr?" Fragte Alcara.

"Einige wollten, andere wollten nicht", schnaubte Voldemort. "In jedem Fall bekämpfen die sich selbst zu sehr, als für mich wieder so von nutzem zu sein wie früher. Die paar, die ich wohl auf meine Seite bringen konnte, sind schwer zu kontrollieren. Deine Golems sind da weitaus zuverlässiger."

"Ich bin erfreut, dies zu hören, Herr", heuchelte Alcara. Er wußte zu gut, daß Voldemort nur darauf wartete, ihm das Geheimnis der Golemfertigung zu entreißen. Dann wäre er wertlos und sein Leben verwirkt. Das Verhältnis zwischen ihm und diesem britischen Ungläubigen, der irgendein dunkles Machtmittel benutzt hatte, um den Tod fernzuhalten, war ein Zustand gegenseitiger Belauerung und Abhängigkeit. Manchmal kam es Alcara vor, als seien dieser Voldemort und er zwei verliebte Stachelschweine, die sich nicht all zu sehr annähern durften aber auch nicht voneinander lassen konnten. Jedenfalls wollte er nicht vorzeitig von diesem entstellt wirkenden, hageren Magier ermordet werden.

"Zwanzig sind hundert zu wenig", fauchte Voldemort Alcara an. "Wenn du zu feige bist, dir das nötige Material zu beschaffen schicke ich meine Todesser aus, das zu tun. Aber dann bleibst du in deiner vermaledeiten Behausung und arbeitest nur noch."

"Herr, wenn ihr hier in England oder anderswo in Europa Kinder entführen und töten laßt fällt das zu sehr auf. Laßt mich in den Ländern, wo es nicht auffällt, wenn kleine Kinder verschwinden suchen!"

"Das pfeifen doch eh alle Spatzen von den Dächern, daß ich mich mit Golems umgebe", knurrte Voldemort. "Warum soll ich da so behutsam sein, wenn es dafür zu lange dauert, die notwendige Kampfkraft zu erringen?"

"Weil ihr wichtiges zu tun habt, wofür Ihr eure wertvollsten Leute nicht entbehren könnt", sagte Alcara. "Außerdem nützt es nichts, einfach hinzugehen und irgendwelche Kinder zu töten. Sie müssen in einem nur mir bekannten Ritual ihr Blut geben. Und dieses Ritual gebe ich nicht preis. Foltern oder mich dem Unterwerfungsfluch zu unterziehen würde euch nichts nützen, weil ihr dann sofort meine ganze Unterstützung verlieren, ja meine Golems zu Euren Feinden gewinnen würdet. Also handelt so klug wie Ihr seid und überlaßt es mir, die nötigen Golems in der nötigen Zeit zu erschaffen!"

"Du möchtest mir doch nicht etwa vorschreiben, wie ich zu handeln habe, Ismael Alcara?" Schnarrte Voldemort drohend. "Das würde dir sehr übel bekommen."

"Würde es in der Tat, Mylord, aber dann hättet ihr nicht einmal mehr zwanzig Golems zur Verfügung. Sie gehorchen nur mir, wie Ihr sehr genau wißt." Voldemort deutete einen Griff zu seinem Zauberstab an, besann sich dann aber und knurrte, Alcara solle sich beeilen.

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"Sir, wir landen gleich in Philadelphia", verkündete Pat Michels, der Pilot des komfortablen Learjets von Linus J. Price. Der in den letzten zehn Jahren in den erlauchten Kreis der Milliardäre aufgestiegene Vielzweckunternehmer drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage und bestätigte die Meldung. Er blickte auf den kleinen Videoschirm, auf dem das sonnengebräunte Gesicht eines Mannes in Prices Alter flimmerte.

"pat landet gleich. Ich mach jetzt Schluß, Marc. Ich regel hier noch, was ich regeln kann. So in drei Tagen komme ich dann. Vielleicht bringe ich dann einen Gast mit."

"Geht klar, Boss", klang die Stimme des Mannes auf dem Schirm aus den beiden kleinen Lautsprechern. Dann zerfiel das Bild in einen hellen Funkenschauer, und auf dem Schirm prangte ein Symbol, daß die Satellitenverbindung ordentlich beendet war. Price drückte einen Schalter, und eine kunststoffverkleidete Metallklappe verdeckte den Bildschirm und die Lautsprecher. Er fühlte, wie die kleine Maschine nun im Sinkflug durch die Wolkendecke rumpelte. Er legte den Sicherheitsgurt an und wartete, bis sein Pilot die Maschine sicher auf dem Feld für Privatflugzeuge zu Boden brachte. Kaum war die Maschine zum stehen gekommen, wummerte ein Hubschrauber heran und landete. Als die beiden Triebwerke der Lear ausliefen betätigte price einen Schalter, und die große Eingangstür schwang auf. Surrend schob sich eine Leiter aus dem Bauch der Maschine und senkte sich auf den Betonboden. Als mit leisem Klick der Verschluß der Leiter einrastete sagte Price seinem Piloten, er möge sich bereithalten. Dann wandte er sich seinen drei Leibwachen zu.

"Checken Sie die Maschine! Mat, Sie bleiben bei mir!" Zwei der athletischen Personenschützer turnten die Leiter hinunter. Der dritte blieb an Bord zurück und hantierte mit einer Maschinenpistole. Knapp eine Minute später piepte es dreimal im Walkie-Talkie des Leibwächters.

"Heli sauber und klar!" Meldete Mat seinem Boss. Dieser nickte, drückte einen Knopf an seiner Vielzweckarmbanduhr und wuchtete sich aus der Tür hinaus und hüpfte beinahe unbeholfen wirkend die Treppe hinunter, lief von den beiden vorgeschickten Wächtern flankiert und von Wächter Mat gedeckt auf den Einstieg des Hubschraubers zu und schwang sich mit eingezogenem Kopf unter den gefährlich kreisenden Blättern der Luftschraube hindurch in das Innere des Helikopters. Seine beiden Wächter setzten ihm wesentlich agiler nach und zogen die Schiebetür zu. Der Pilot startete bereits, bevor die drei Passagiere sich ordnungsgemäß angeschnallt hatten. Er meldete den Start seiner Maschine und das Flugziel, Harrisburg, wo Price ein verstecktes Anwesen in einem Park besaß, wo auch ein Hubschrauber landen konnte.

"Eine Minute hat der Umstieg gedauert", sagte price mißmutig, als er den Knopf an seiner Uhr erneut gedrückt und sie abgelesen hatte. "In New York waren wir zwanzig Sekunden schneller."

"Näher konnte der Hubschrauber nicht an uns ran", meinte Mat dazu. Für sich selber dachte er, daß sein Boss in den letzten Monaten etwas mehr zugenommen hatte. Selbst der persönliche Trainer und das private Fitnessstudio in dem gut beschirmten, weit ab von allen Verkehrswegen gelegenen Anwesen konnten nicht alle Auswirkungen dieser Gewichtszunahme ausgleichen. Doch offen würde Mat das niemals sagen. Dafür war ihm sein Job zu wichtig.

Keiner sagte ein Wort, bis der Hubschrauber in Harrisburg am Zielort niederging. Dort warteten fünf weitere Personenschützer, die der zweiten Sicherheitsfirma angehörten, die Price betrieb. Allerdings waren diese Leibwächter noch umfangreicher geschult als die drei, die mit Price zusammen eintrafen. Doch das wußten nur Price und jene fünf vor Ort bereitstehenden Männer.

"Ah, da sind Sie ja, Boss. Mr. Coulter hat Ihr Kommen schon angekündigt. Schön, daß Sie uns mal wieder die Ehre geben", begrüßte Clark, der oberste der fünf hier wartenden Leibwächter.

"Ist der Wagen da?" Fragte Price.

"Jawohl, Sir", bestätigte Clark, ein Mann wie ein Bär, der früher bei den Ledernacken gedient hatte.

"In Ordnung. Will, Vinc und Mat, vielen Dank für die Eskorte hierher! Sie werden nun zum flughafen zurückgebracht, wo wie ich hoffe, Ihr Erster-Klasse-Ticket für den Flug nach Hause hinterlegt ist. Angenehme Reise, Gentlemen!"

"Natürlich, Sir. Viel Erfolg bei Ihren weiteren Unternehmungen!" Wünschte Mat und deutete eine Verbeugung an. Seine beiden Kollegen beließen es nur bei dieser Verbeugung und traten zu dem wie auf Stichwort herangleitenden Wagen zu, der äußerlich wie ein Taxi aussah. Die drei mit Price angereisten Leibwächter kletterten behände in den Fond des Wagens, der dann mit einem gekonnten Wendemanöver zum großen Eisentor umschwänkte und dann davonfuhr. Das Tor glitt wie von Geisterhand bewegt auf und ließ den Wagen passieren. Dann schloß es sich wieder und wurde mit sechs hydraulischen Riegeln verrammelt.

"Hat Marc Ihnen gesagt, daß ich jemanden einlade?" Wollte Price wissen.

"Hat er. Allerdings sollten wir über die Sache noch mal reden. Meine Jungs sehen da ein gewisses Risiko und wissen nicht, ob es die Sache wert ist", sagte Clark.

"Die Erfolgsprämie wird jedes Risiko rechtfertigen", sagte Price etwas ungehalten. Jedesmal dasselbe Spiel, wenn er seine Sonderleibwächter für heikle Missionen einschwören mußte. Zum Glück war auf seinen Konten auf den Kaiman-Inseln genug Geld, um solche Bedürfnisse im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu befriedigen. Normalerweise bekam jeder beteiligte Mann eine halbe Million Erfolgsprämie bei Abschluß der Mission. Doch da meinte Clark:

"Boss, halten Sie mich nicht für gierig. Aber was Sie da vorhaben ist wesentlich gefährlicher als alles vorher. Wenn Sie die Operation durchführen bekommen wir Ärger mit den Bundesbehörden. Deshalb haben mich die Jungs gebeten, in aller Bescheidenheit um eine höhere Erfolgsprämie zu bitten, um sich im Notfall für längere Zeit in Deckung bringen zu können."

"Wie viel mehr?" Fragte Price, der die Antwort schon ahnte.

"Nun, eine runde Million pro Nase wollen die Jungs haben, wenn Sie die Sache wie erwähnt durchziehen wollen, Sir."

"Fünf Millionen? Selbst ich zahle sowas nicht aus der linken Hosentasche. Sechshunderttausend pro Mann. Das reicht bei gutbürgerlichen Verhältnissen für zwei volle Jahre in Deckung, wenn ihr in ein Land im Süden geht."

"Ich fürchte, meine Leute wollen nicht verhandeln", tat Clark bedauernd. Seine vier Kollegen nickten ihm zustimmend zu. Price sah sie drohend an. Doch sie hielten seinem Blick stand. Offenbar hatte sein Getreuer die falschen Leute hier hinbeordert. Er verkündete, am Abend noch weiter über die Sache zu sprechen und die leidige Erfolgsprämie zu diskutieren. Doch damit schob er das Problem nur auf. Denn als er seine Räumlichkeiten und den wie einen klimatisierten Tresor beschaffenen Panikraum begutachtet hatte, wobei er tunlichst darauf achtete, nicht alleine dort hineinzugehen, traf er sich mit Clark nach dem Abendessen im hauseigenen Arbeitszimmer.

Es wurde bis spät in die Nacht über alle Fürs und Widers gesprochen, und Price erkannte, daß er sich die fünf Jungs irgendwie umgänglich halten mußte. So sagte er zu, die geforderte Million pro Nase zu zahlen, allerdings nicht in einem Zug, sondern in zwei Raten binnen Monatsfrist. Innerlich dachte er schon daran, Marcs Putzkolonne anzuweisen, die fünf jeder materiellen Sorge zu entheben.

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"Neh, Laura. Diesen Samstag ist nich'. Ich bin mit meinen alten Herrschaften zu der Party eingeladen, was wichtiges, wo ich mich nicht ausklinken konnte. Aber am Sonntag könnte es klappen", sprach Cecil in sein Telefon. Laura Carlotti herrschte ihn an, ob er ihr das nicht vor einer Woche schon hätte sagen können, wo sie es bei ihren Brüdern irgendwie durchgedrückt hatte, daß sie mit ihm alleine wohinfahren konnte.

"Dein Vater ist wichtig, meiner noch wichtiger, Laura. Da kann ich nich' viel machen, wenn ich nicht stiften gehen will."

"Sonntag sind wir bei Verwandten in Chicago eingeladen", knurrte Laura Carlottis Stimme zurück. "Dann ist das wieder mal eine ganze Woche mehr, die wir uns nicht sehen,porca Madonna."

"Zu der gehen wir leider nicht", erwiderte Cecil. "'ne Witwe, steinreich, Unterstützerin von Dads Bande. Mehr darf ich nicht rauslassen."

"Dann kann das nur Theodora B. Jackson sein", flüsterte Laura verschwörerisch durchs Telefon. Cecil nickte, was sie natürlich nicht sehen konnte und erwiderte:

"Dad will nicht, daß ich dir oder sonst einem verrate, wo wir hinmüssen. Dann müssen wir wohl für nächste Woche planen."

"Dein Vater wird ja demnächst vielleicht noch reicher, wenn er die eingeklagten Millionen wirklich zugesprochen kriegt. Dann müssen meine Eltern Bella Nera abholen, bevor die Aasgeier von der Zwangsversteigerung sie als Verkaufsobjekt ansehen."

"Der Käse ist noch lange nicht gegessen, Ragazza mia. Codys Anwälte haben da ein paar gute Präzedenzfälle ausgebuddelt, mit denen sie meinem alten Herren den Spaß verderben werden. Aber pssst, das muß bis zum nächsten Donnerstag keiner wissen. Dann steigt der nächste Verhandlungstag."

"Woher willst du sowas wissen?" Wisperte Laura Carlotti.

"Tja, denkst du, ich warte, bis mein alter Herr mir erlaubt, eigene Kontakte zu knüpfen, die er selbst dann noch am besten überwacht? Ich weiß es eben", raunte Cecil und verabschiedete sich von seiner Freundin.

"Oha, die war ja nicht gerade süß und zärtlich", dachte Cecil über Laura. Das mochte noch was geben, wenn die gerade erst so richtig in Fahrt kommende Beziehung zwischen ihm und ihr auf mehr als eine Oberschulromanze hinauslaufen sollte. Er hoffte, daß der Besuch bei der steinreichen Witwe Theodora Blanche Jackson die Zeit wert war, die er gerne mit Laura Carlotti verbracht hätte.

Am nächsten Samstag brachte sie der für die Senatorenfamilie arbeitende Chauffeur mit dem gepanzerten Rolls Royce zu einem weißen Stadthaus im besten Viertel von Harrisburg, wo bereits dreißig Autos der obersten Oberklasse geparkt waren. Cecils Mutter begutachtete noch einmal die Garderobe ihrer Männlichen Familienangehörigen, die bei dem Senator aus einem Smoking und blütenweißem Hemd und marineblauer Krawatte bestand und bei Cecil aus einem in Paris erworbenen Sonntagsanzug für gehobene Ansprüche. Sie selbst hatte sich ihr bestes Abendkleid angezogen.

"Buck und Jeff, Sie sichern unseren Ausstieg. Dicker Speck zieht hungrige Mäuse an", sagte der Senator. Die beiden Leibwächter, die mit im großen, mitternachtsblauen Rolls Royce gesessen hatten, schwärmten aus und sondierten die gegend. Als sie zurückkehrten, folgten ihnen drei andere, eigentlich unauffällige Männer. Der Senator beäugte sie mißtrauisch. Als Buck die Tür öffnete sagte er, daß die drei zum Sicherheitsservice gehörten und überprüft worden seien. So begab sich die Wellington-Familie ins stattliche Haus, dem ein fußballfeld großer Vorgarten vorgelagert war.

Mrs. Jackson, deren seliger Mann eine große Erntemaschinenfabrik und eine echte Goldmine in Kalifornien besessen hatte, wirkte klein und zerbrechlich. Sie mochte gerade vierzig Jahre alt sein, dreißig Jahre jünger als der alte Ralph Jackson gewesen war, als er das Zeitliche gesegnet hatte. Sie besaß pechschwarzes Haar und hellblaue, wache Augen, für die sie noch keine Brille benötigte. Sie trug ein mittelhelles Abendkleid und wirkte mit ihrem überschwenglich freundlichen Gehabe wie eine nette Tante, die ihre liebsten Nichten und Neffen zu ihrer Geburtstagsfeier zusammentrommeln konnte. Sie begrüßte erst die Frau des Senators, dann den Senator selbst und schließlich dessen Sohn mit einer kurzen Umarmung.

"Wie freue ich mich, daß Sie es einrichten konnten, mich zur Einweihung meiner Stiftung zu besuchen", beteuerte Mrs. Jackson. Cecil mußte an sich halten, nicht verächtlich zu grinsen. Sie sah ihn an und sagte: "Ich finde das schön, daß es dir wirklich wieder sehr gut geht, Cecil. Ich fürchtete schon, dein Vater würde dich nicht mehr unter andre Leute lassen."

"Theodora, sie müssen verstehen, daß ich mich hierzu nicht mehr äußere, bis ich Gewißheit habe, ob das Kapitel endgültig abgeschlossen ist", sagte der Senator. Dann ging es in den Salon, der so groß war, daß hier eine Tanzparty hätte stattfinden können, wie Cecil fand. Dort waren bereits die Leute aus den anderen Nobelautos versammelt und schwatzten mehr oder weniger belangloses Zeug daher. Cecil fiel auf, daß nicht nur Familien mit einem oder zwei Kindern dabei waren, sondern auch drei einzelne Männer: Ein kleiner, gertenschlanker Mann mit ffaltiger Glatze, der gerade an einer dicken Zigarre paffte, ein gut genährter Mann im Designeranzug mit schwarz-grauem Haar und ein korpulenter Mann mit lichtem Blondschopf und Goldrandbrille, der die Neuankömmlinge mit hellbraunen, wachen augen begutachtete. Cecil dachte daran, ob er die Leute hier kannte. Nur bei dem dicken Blonden fiel ihm der Name ein, L. J. Price, der oberste Boss eines Konsumprodukteanbieters und einer Firma für Mikrochips, der sich seit zehn Jahren anschickte, in der Hardwarebranche das zu werden, was Billy Gates in der Softwarebranche schon war. Dienstbare Geister in dunkler Livrée traten an die Neuankömmlinge heran und brachten sie zu den für sie reservierten Tischen. Die mitgebrachten Leibwächter wurden abseits der geladenen Gäste an kleinen Tischen an der Wand untergebracht. Alles in allem empfand Cecil diese Party nach einer halben Stunde schon zum gähnen. Selbst wenn er sich mit den Kindern der anderen Gäste unterhielt wollte nicht die rechte Partylaune bei ihm aufkommen. Denn einige der Söhne waren wegen ihrer Eltern heftig eingebildet, und einige der Töchter sollten wohl heute, wo es sich anbot, auf ihren Heiratsmarktwert getestet werden und sahen in Cecil keinen lohnenden Kandidaten. Hingegen wurde Mr. Price von einigen jungen Frauen umschwärmt, deren Eltern wohl befunden hatten, daß ein reicher Ehemann mehr einbrächte als ein zukunftsträchtiges Studium. Doch Price wetterte die ihn umschnurrenden jungen Damen mit einer Lässigkeit ab, daß Cecil bereits dachte, der mehrfache Milliardär könne eventuell nichts für Frauen und Mädchen empfinden. Als dann aber einer von Senator Wellingtons Parteifreunden mit ihm sprach, konnte Cecil sehen, daß Price wohl aus geschäftlichen Interessen hierhergekommen war. Er genoss die erlesenen Speisen, die Mrs. Jackson von drei Sterneköchen hatte zubereiten lassen und lauschte eher gelangweilt dem leisen Spiel des Streichquartetts, das dieser Festlichkeit einen dezenten Rahmen verlieh. Zwischendurch gingen auch welche auf die zehn mal zehn Meter große Tanzfläche. Cecil, der sich aus den sogenannten Gesellschaftstänzen nichts machte, wies das Angebot seiner Mutter zurück, ihn zum Tanz zu führen, als sein Vater ihr entwischt und zu seinen Parteifreunden hinübergeeilt war, um mit diesen die große Weltpolitik zu diskutieren. Seine Mutter verzog zwar das Gesicht, nickte ihm dann aber zu. Sie ging zu den Ehefrauen der ernst miteinander debattierenden Parteigänger hinüber, und Cecil sah sich ruhig um, nahm jedes Bild in sein Bewußtsein auf. Er dachte daran, daß jemand bestimmtes ihn ohne sein Wissen abfragen konnte, wen er alles gesehen hatte und dann einteilte, wie wichtig diese Personen für die eigenen Ziele sein mochten. Wenn er sich vorstellte, daß dieser Jemand sich besonders für mächtige und reiche Leute interessierte, um deren Stärken und Schwächen auszuloten, um sie später einmal, wenn die Welt unvermittelt in eine andere Richtung gedreht würde, klarzustellen, wer entbehrlich oder nützlich war, mußte er grinsen. Das sah wohl Mr. Price und lächelte zurück. Es war ein jungenhaftes Lächeln, daß Cecil merkwürdig anrührte. Dann zwinkerte der Multimilliardär ihm zu. Sollte er mal eben hingehen? Er dachte daran, daß das interessanter sei als den geldbeladenen Damen und Herren beim Tanzen zuzusehen und ging, nachdem er sah, daß seine Eltern in Gespräche vertieft waren, zu Price, der gerade allein an dem Dreiertisch saß. Der Glatzkopf, ein Mr. Vogelsang, Bankier aus New York und der zweite Junggeselle, ein Mr. Rafferty aus Tampa, Florida, hatten den Aufforderungen höherer Töchter nicht so glorreich widerstanden wie der vollschlanke Erfolgsunternehmer, der irgendwo in Indiana seine Hauptresidenz hatte.

"Siehst nicht so aus, als wärest du gerne hier, junger Mann", grüßte ihn Price mit warmem Lächeln. Cecil befand, etwas Abstand zu wahren und antwortete:

"Sieht das so aus? Den Eindruck wollte ich nicht machen."

"Das konnte ich doch sehen, daß du dich hier langweilst. Ist wohl keine dabei, die dir zusagt, wie?"

"Diese Frage könnte ich Ihnen genauso stellen, Sir", erwiderte Cecil. Diese ankumpelnde Art gefiel ihm nicht sonderlich. Warum wollte dieser dicke Mann da mit ihm reden? Sollte er doch endlich zur Sache kommen!

"Sind mir alle zu jung und zu dressiert. Ihre Eltern haben die mit Schokolade eingerieben, damit sie so süß wie möglich rüberkommen", grummelte Price. "Ich stehe nicht auf sowas."

"Habe ich bemerkt", erwiderte Cecil. "Von mir wollen die ja nix wissen, weil ich ja erst noch was werden muß."

"Findest du?" Fragte Price. Cecil nickte. "Dann hast du wohl glück. Weil einige dieser süßen Mädchen hier wohl nur auf Bankkonten und Statussymbole ausgehen als auf eine echte Familienbeziehung. Dann trainieren die auf Marilyn Monroe mit viktorianischem Anstrich. Aber ich wollte dich nicht noch mit meinem Groll gegen Millionärsjägerinnen aller Altersklassen nerven. Ich wollte nur wissen, ob es dir nach der tragischen Sache im letzten September wirklich wieder sehr gut geht. Ich las, dein Vater hat Himmel und Hölle in Gang gesetzt, um dir wieder auf die Beine zu helfen."

"Wie Sie sehen können hat er es geschafft, Sir", erwiderte Cecil reserviert.

"Ich bin mit sieben auch mal von einem Pferd runtergefallen und habe mich dann ganz von diesen leicht scheuenden Biestern ferngehalten. Reitest du denn wieder?"

"Ja, auf dem Drahtesel", erwiderte Cecil. "Meine Eltern wollten erst mal nicht, daß ich auf echte Pferde draufklettere. Aber ich fürchte, ich langweile Sie nur", sagte Cecil. Doch Price schüttelte den Kopf und meinte:

"Keineswegs. Ich freue mich, einen jungen Mann zu sehen, der nach einem schweren Schicksalsschlag wieder gut auf den Beinen steht. Das imponiert mir."

"Ihnen? Sie haben bestimmt schlimmere Schicksalsschläge wegstecken müssen als ich. Wenn ich richtig informiert bin wäre ihre Chipfabrik vor einem Jahr fast feindlich übernommen worden."

"Oh, du liest die Börsenzeitung?" Fragte Price. Cecil straffte sich und sagte überlegen:

"Mein Vater will haben, daß ich früh auf eigenen Beinen stehe und ich will, daß ich nach der Oberschule keine Probleme habe, an Geld zu kommen. Da muß ich schon wissen, was in der Geschäftswelt gerade läuft."

"Tja, das vor einem Jahr war schon hart am Abgrund. Ich mußte alle Reserven aufbieten, um den Spieß umzudrehen. Das stand ja auch in den Fachzeitungen, wie ich den Übernahmeversuch abgewehrt habe."

"Sie überboten das Lockangebot an ihre Aktionäre, die der anderen Firma die Anteile an Ihrer Firma verkaufen sollten, kauften Ihre Aktien selbst ein und setzten in Umlauf, daß Ihre Fabrik an japanische Interessenten verkauft werden sollte", sagte Cecil. "Schlußendlich wollten die Konkurrenten das Angebot überbieten, was zum Einbruch ihrer eigenen Aktienkurse führte, so daß Sie im Rahmen der Börsengesetze deren Aktien für'n Butterbrot eingehandelt haben und boing die Anteilsmehrheit bekamen. Es kam dann raus, daß es die japanischen Investoren nicht gegeben hatte, sondern einer von ihren Agenten in Tokyo das lanciert hat, weswegen Ihnen fast die Börsenaufsicht auf die Bude gerückt wäre. Echt verwegen, Mister."

"Ja, aber gerade so noch legal, und wo kämen wir hin, wenn sich Bürger dieses Landes nicht mehr wehren dürften, wenn ihnen jemand die Existenzgrundlage streitig machen will. Die Gentlemen, die den Übernahmeversuch angezettelt haben dürften immer noch auf der Suche nach neuen Jobs sein", erwiderte Price überlegen grinsend. "Wer will schon Manager einstellen, die sich derartig leicht ausmanövrieren lassen. Immerhin hat mir deren Treiben einen guten Kapitalzuwachs, mehr Produktionskapazitäten und einen Konkurrenten weniger eingebracht. Vielleicht kann Theodoras Stiftung die ja auffangen, wenn sie ihren ganzen Speck verloren haben." Er grinste verächtlich. Cecil überlegte, ob er sich jetzt höflich und dezent zurückziehen sollte. Doch irgendwie reizte ihn die Vorstellung, mit einem der führenden Computerhersteller Nordamerikas zu reden und er fragte ihn nach den Aussichten, wann der 1-Gigahertz-Zentralprozessor für alle PCs verfügbar sein würde.

"Für bestimmte Kunden kann ich bereits 2-Gigahertz-CPUs anbieten. Allerdings sind die nicht mit allen handelsüblichen Programmen kompatibel, was mir natürlich die Möglichkeit gibt, einen Installations- und Betreuungsdienst anzubieten." So hatte Price Cecil nun doch in eine angeregte Unterhaltung verwickeln können. Zwar sprach Cecil nicht davon, was er privat so trieb oder was ihn besonders begeisterte oder ärgerte, doch mit jemandem über verkaufsfähige Computerprogramme und -bauteile zu reden gefiel ihm. Eine Viertelstunde später bemerkte sein Vater wohl, daß er sich mit jemandem unterhielt und kam herüber.

"Oh, Mr. Price. Hat mein Sohn Sie irgendwie behelligt?" Fragte der Senator kühl.

"Ganz im Gegenteil, Herr Senator. Ich war so frei, Ihren Sohn zu einer kurzweiligen Unterhaltung einzuladen, da er den Verlockungen der sich andienenden jungen Damen wohl genauso ablehnend gegenüberstand wie ich."

"Öhm, 'tschuldigung, wie meinen Sie das bitte, Sir?" Fragte der Senator argwöhnisch. price sah ihn beruhigend an und sagte:

"In dem Sinne, daß Ihr Sohn sich für die Damen, die bald schon gute Partien machen wollen zu jung fühlt und ich mit Damen, die lediglich auf reiche Herren ausgehen nicht gut zu sprechen bin und ich den großen Verdacht hege, daß die meisten dieser jungen Mädchen hier derartig bestrebt sind."

"Ich bin ein wenig besorgt, Sir, was meinen Sohn angeht, seitdem er im letzten Jahr einen schweren Unfall hatte. Bitte verzeihen Sie mir daher meinen Argwohn", sagte der Senator verhalten lächelnd. price nickte ihm zu.

"Sie sind eben ein guter Vater mit allem Verantwortungsgefühl", schmierte Price Cecils Vater noch Honig um die Lippen. Senator Wellington ging jedoch nicht darauf ein. Er sagte nur noch:

"Nun, mir liegt nur daran, daß niemand aus den Erlebnissen des vergangenen Jahres ein großes Drama macht. die Sensationspresse hat den Unfall bereits bis zur unerträglichkeit ausgeschlachtet. Aber diese Leute kennen Sie ja, nachdem, wie Sie fast zwischen Skylla und Charybdes aufgerieben worden wären."

"Sie meinen, mich entweder von einem scheinbar übermächtigen Konkurrenten verschlucken zu lassen oder mich wegen unzulässiger Aktienmanipulationen vor einem Gericht verantworten zu müssen? Da Sie die Metapher von Skylla und Charybdes benutzen ist Ihnen ja deren Ursprung geläufig. Derjenige, der diesen schmalen Weg zwischen dem einen und dem andren Verderben passieren mußte wurde der Listenreiche genannt und hat da selbst sehr großes strategisches Durchsetzungsvermögen und Geschick bewiesen. Deshalb muß ich mich nicht schämen, weil ich mich gewehrt habe. Das sagte ich auch schon Ihrem Herrn Sohn, Senator Wellington", erwiderte Price lässig. Wellington sah Price etwas vergrätzt an und fauchte dann seinen Sohn an, an den Tisch zurückzukehren, wo sie gesessen hatten. Cecil bedankte sich für das informative Gespräch und ließ auch nicht aus, daß er jetzt wisse, wofür er sich im Computerkurs anstrengen müsse, wenn er irgendwann selbst in diese Branche einsteigen wolle.

"Dieser übergewichtige Bandit hat mich fast ruiniert", knurrte Senator Wellington später, als er mit seinem Sohn alleine an dem Tisch saß, an den Mrs. Jackson sie ursprünglich gesetzt hatte. "Das Ding mit der Firma vor einem Jahr, es hätte mich fast ruiniert. Ich hatte nämlich Aktien von dessen Konkurrenten. Dieser Kerl ist ein Gangster in weißem anzug, ein Tephlonmann, an dem nichts hängen bleibt."

"Joh, sieht wirklich wie ein moderner Mafiapate aus, Dad. Nur die Haarfarbe stimmt nicht. Blonde Sizilianer sind selten", feixte Cecil, der daran dachte, daß ausgerechnet Senator Wellington andere als Verbrecher bezichtigte, wo er selbst genug Dreck am stecken hatte. Auch den Schuh vom Tephlonmann konnte der sich locker anziehen, daß Cinderella vor Neid erblaßt wäre. Denn Cecil hatte im Auftrag seiner unheimlichen Beschützerin und wahren Auftraggeberin das Geschäftsleben seines Ersatzvaters durchleuchtet und dabei manche eingekellerte Leiche hervorgeholt. Sein Vater ärgerte sich doch nur, weil da jemand einen knapp an der Illegalität vorbeisausenden Trick angewendet hatte, um seine Macht zu behalten, und daß er, Senator Wellington, dabei auf das falsche Pferd gesetzt hatte.

"Ich möchte nicht", setzte Senator Wellington zu einer ernsten Rüge an, "daß du, mein einziger Sohn, dich mit solchen aalglatten Tricksern abgibst. Ich verbiete dir, mit solchen Leuten auch nur ansatzweise Fühlung aufzunehmen. Denke immer daran, daß alles was du tust, vor allem nach diesem verwerflichen Unfall mit Silver Bullett, von der Presse breitgetreten wird und auf mich und meine Arbeit zurückfällt. Falle ich, fällst auch du. Bedenke das immer!"

"Oh, deshalb bist du so kalt, Dad. Du bist Nord- und Südpol in einem."

"Wie bitte?!" Knurrte der Senator, der mit dieser Umschreibung zunächst nichts anfangen konnte. Cecil grinste überlegen und versetzte:

"Weil du denkst, die ganze Welt drehe sich nur um dich, und alles um dich herum hätte sich nach dir auszurichten, wie eine Kompaßnadel auf den Nordpol halt. Finde dich bitte damit ab, daß ich kein Klon von dir bin und auch nicht als geistiger Ableger von dir rumlaufe! Besonders dann, wenn du daran denken mußt, wieso du Mom eigentlich geheiratet hast. Denkst du, ich wüßte das nicht mehr?"

"Mit deiner Impertinenz wirst du eines Tages gründlich auf die Nase fallen", schnaubte der Senator.

"Tja, das sagen alle, die keine passende Antwort finden", erwiderte Cecil. Wer war denn schon Senator Wellington? Er kannte schlimmere Leute, die noch dazu wesentlich mehr Macht besaßen. Allein die Tatsache, daß Senator Wellington sich jetzt über seinen aufsässigen Sohn ärgerte verdankte der doch jemandem, der Cecil Wellington als guten Kundschafter ansah. Der Senator überlegte, ob und wenn ja was er darauf antworten sollte. Jedenfalls wollte er sich von seinem fast volljährigen Sohn nicht vorführen lassen. So sagte er:

"Du denkst jetzt, weil dieser Onkel da drüben dich so schön über Computer oder so'n Zeug vollgeredet hat hättest du wen tolles kennengelernt, wie? Ich fürchte eher, daß dieser Mr. Price dort drüben bald ein böses Erwachen erleben wird. Alle Feldherren dieser Erde konnten ihre großen Siege nicht lange auskosten. Sic transit Gloria mundi!"

"Dito, Daddy", erwiderte Cecil schlagfertig. Denn er dachte daran, daß profitgierige Leute und machtversessene Politiker ganz weit oben auf der Abschußliste der großen Oberhexe Anthelia standen, für die er im Moment ohne es wirklich zu wollen den Feldaufklärer machte, um die lohnenswerten Ziele und die gelegten Minen auszukundschaften. Je mehr er von Senator Wellington aufschnappte oder auf Anthelias telepathische Anweisung hin nachrecherchierte, desto mehr lieferte er diesen scheinheiligen Mistkerl aus. Wußte er denn wirklich, was Anthelia mit den von ihm beschafften Informationen anstellte? Hatte sie vielleicht schon was getan, was Senator Wellington ganz unerwartet den Boden unter den Füßen wegziehen konnte? Waren dessen glorreiche Tage vielleicht schon gezählt? Oder wurde er von ihr genauso als Marionette an ganz langen, unsichtbaren Fäden geführt wie er, Cecil Wellington, der früher einmal Benjamin Calder geheißen hatte?

"Ich fürchte, ich muß dich mal eine woche lang ohne Geld und Bett und ohne die Musik dieses Flittchens auf der Straße leben lassen, natürlich auch ohne Computer und Internet. Dann würdest du ganz schnell ganz ruhig und folgsam sein."

"Probier das besser nicht aus, Dad. Wie du sagtest, die Presse kennt mich. Und wenn ich bei den Hobos rumhänge würde deine Familienfassade zusammenkrachen, und dein Freund aus Texas würde dich nicht mal mehr mit dem Allerwertesten ansehen. Ich kann dich nicht ändern, und wenn dein ganzes Geld für meine Bildung nicht für den Gully gewesen sein soll, dann freu dich lieber darüber, daß ich mich nicht so leicht einschüchtern lasse! Und was Mr. Price angeht, so ist diese Party doch dafür da, daß wir Gäste uns gegenseitig kennenlernen, um Kontakte zu knüpfen, eines der wichtigsten Mittel in der Politik. Wenn ich nicht hingegangen wäre, hättest du ihn angequatscht, um zu gucken, wer dir damals diesen Streich gespielt hat."

"Tauben Ohren soll man nicht predigen", knurrte der Senator und suchte mit seinen Blicken seine Frau. Diese unterhielt sich gerade mit sechs anderen Damen, zu denen auch Mrs. Jackson gehörte. Cecil witterte, worum es ging und grinste.

"Ich glaube, Mrs. Jackson klärt gerade ab, wer in ihre Stiftung einzahlt. Mom sieht so aus, als wäre sie schon dazu bereit."

"Straßenpöbel für Lau essen zu geben", knurrte der Senator. "Ich werde Henriette helfen, für sowas Geld auszugeben."

"Es geht nicht um Obdachlose, Dad, sondern um kranke Menschen, krebskranke Kinder, HIV-positive Jungen und Mädchen, die sich nicht freiwillig dem Virus ausgeliefert haben und Menschen, die wegen Erkrankungen und verlorener Arbeitsfähigkeit in unverschuldete Armut geraten sind."

"Erzählt Mrs. Jackson. Aber ich weiß doch, worauf sowas hinausläuft", erwiderte der Senator. Er überlegte, ob er seiner Frau beispringen mußte, als sein Mobiltelefon klingelte. Schlagartig verstummten alle Gespräche, und jeder sah in die Richtung, woher das störende Gedudel kam.

"Verzeihung, die Herrschaften. Ich habe vergessen, das Gerät zu deaktivieren", sagte der Senator und empfahl sich, um das Gespräch draußen vor der Tür anzunehmen.

"Theo, du hättest eine Mobilfunkstöreinrichtung einbauen lassen sollen", scherzte Linus Price.

"Womöglich hat wer aus Waashington angerufen", lachte einer der Parteifreunde seines Vaters. "Vielleicht haben sie im ovalen Arbeitszimmer von Billy 'ne fremde Damenunterhose gefunden." Alle Parteifreunde von Senator Wellington lachten schallend. Cecil fragte sich, ob er hier in einen Kindergarten geraten war. Die Frauen dachten das wohl auch, fühlten sich dabei jedoch eher beschämt als genervt. Als der Senator zurückkehrte winkte er einen der Leibwächter zu sich und flüsterte mit ihm. Dann sagte er:

"Also, die Herrschaften, zwei Senatoren aus dem Süden wollten was dringendes mit mir klären. Mein Pech, daß ich das Handy angelassen habe. Ich muß also in die Hauptstadt, noch in dieser Stunde. Meine Freunde, ihr werdet Verständnis dafür haben. Henriette und meinen Sohn muß ich mitnehmen, weil ich so schnell keinen Ersatzwagen herkommen lassen kann."

"Die beiden können doch in Theos Gästesuite schlafen", schlug einer der Gäste vor. Mrs. Jackson nickte eifrig.

"Zu gütig, aber ihr wißt, daß ich keinem zur Last fallen möchte. Buck, Rick, bitte geleiten Sie uns zurück zum Wagen. Theo, entschuldigung, daß wir Ihre Party vorzeitig verlassen müssen!"

"Nun, wenn die Pflicht ruft, sollte man sie auch erhören", meinte Mrs. Jackson. Sie zwinkerte Mrs. Wellington zu und nickte. Innerhalb von einer Minute saßen die Wellingtons und deren Leibwächter im Rolls Royce und waren unterwegs zum Haus des Senators, wo bald ein Hubschrauber den so wichtigen Politiker an Bord nehmen sollte.

Unterwegs sprach Cecil kein Wort. Hingegen sprach der Senator auf seine Frau ein. Diese war jedoch schon fest entschlossen, sich an der Theodora-Jackson-Stiftung für durch Krankheit ins Unglück gestürzte Menschen zu beteiligen, notfalls mit dem Geld ihrer französischen Verwandten, wenn sie das gemeinsame Geld nicht dafür ausgeben durfte.

"Diese Frau ist zu reich und zu einsam, Henriette. Sie hat nur ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht weiß, für wen oder was sie das ganze Geld hat. Lass dich nicht von der einwickeln!" Knurrte der Senator. Doch seine Frau sagte:

"Ich habe mich nicht einwickeln lassen sondern gut unterrichten lassen, vorher schon, und ein bißchen mehr Engagement in sozialen Dingen täte deiner Karriere sicherlich sehr gut, Reginald. Ich weiß zumindest, daß mehr Geld als nötig keine Selbstverständlichkeit ist." So ging es weiter, bis sie bei dem Anwesen ankamen und durch das Tor waren. Da stand schon der Bereitschaftshubschrauber. Der Senator verließ den Rolls und eilte hinüber zu der Flugmaschine.

"Dad hat heute den Typen gesehen, der ihm vor einem Jahr den Börsencoup vermasselt hat, Maman", sagte Cecil auf Französisch, was die Leibwächter nicht konnten, wie gründliche Recherchen vor deren Einstellung erbracht hatten.

"Das gibt ihm kein Recht, so abfällig und kaltherzig gegenüber den Bedürfnissen anderer Menschen zu sein, insbesondere, wo viele solche Menschen ihm ihr Mitgefühl ausgesprochen haben, als du damals im Krankenhaus lagst und wir nicht wußten, ob und wie du wieder aufwachst", erwiderte Henriette Wellington in ihrer Muttersprache. Dann wechselte sie zum Englischen zurück und befahl, daß die Leibwache nach dem Hubschrauberstart draußen in der Gartenanlage Posten beziehen sollte wie üblich. Als die Wellingtons im Haus waren, patrouillierten die beiden Leibwächter im Garten, froh, von dieser langweiligen Party weg zu sein, wo sie genauso angespannt aufpassen mußten wie hier, wo es ruhig und menschenleer war.

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Linus Price warrtete noch zwei geschlagene Stunden, versprach dabei Mrs. Jackson einen Betrag von zehn Millionen in die Stiftung einzubringen und verabschiedete sich, als er sicher sein konnte, lange genug dekorativ herumgesessen zu haben. Einer der fünf Leibwächter, die in seinem Haus in der Nähe von Harrisburg stationiert waren, begleitete ihn zu seinem Wagen. Unterwegs rief er über eine verschlüsselte Satellitentelefonverbindung seinen obersten Mitarbeiter Marc Coulter an und sagte ihm, das er wohl nächste Woche samstag zu ihm kommen würde, nicht Sonntags.

"Hat die Einladung nicht geklappt, Boss?" Fragte Marc.

"Ich hätte bedenken müssen, daß der Vater des Jungen ein Opfer meiner Abwehrschlacht vom letzten Jahr wurde und daher nichts mit mir zu schaffen haben will. Dann werde ich eben den Ausweichplan bemühen müssen. Kostet dasselbe Geld."

"Wann tritt er in Kraft, Boss?"

"Nächsten Samstag. Außerdem ist es wohl besser sorum. Dann kann ich diesem Wellington noch einen weiteren Streich spielen. Hast du dich erkundigt, wie die Aktien in der Sache Wellington gegen Cody stehen?"

"Sieht so aus, als hätten Codys Anwälte drei Präzedenzfälle ausgegraben, mit denen sie den Schadensersatzanspruch abschmettern können."

"Wie bedauerlich für den Senator. Aber das gibt mir eine vortreffliche Ablenkungsmöglichkeit in die Hand. In einer Woche wissen wir, woran wir sind, Marc."

"Geht klar, Boss. Öhm, wie sieht das aus mit dieser Stiftung?"

"Ja, ist eine schöne Angelegenheit. Ich habe der Dame zehn Millionen zugesagt. Dafür, daß wir das von der Steuer absetzen und unser Firmenkapital mit dem Geld aus Zürich auffüllen können doch was feines."

"Und der Gorilla spurt wirklich?"

"Wir lassen ihm übermorgen noch einmal zukommen, wie er sich zu verhalten hat, Marc. Dann frißt der uns weiterhin aus der Hand und macht Männchen."

"Das könnte eng werden, Boss", sagte Marc Coulter.

"Für den, Marc, nicht für uns", erwiderte Price überlegen lächelnd. Dann verabschiedete er sich von seinem Gehilfen.

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Anthelia sang mit einer Klarheit, die einer Operndiva alle Ehre gemacht hätte. Es war ein Lied, das die Freuden und Versprechungen der Walpurgisnacht beschrieb. Dido Pane, die jüngste Schwester aus dem Spinnenorden, lauschte andächtig, während die übrigen Hexen, zu denen verschiedene Bundesschwestern aus Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und den USA gehörten, die Melodie mitsummten, soweit sie sie nachvollziehen konnten. Als der Lobgesang beendet war, befahl Anthelia: "Auf die Besen, ihr Hexen! Fliegen wir dem neuen Hexenjahr entgegen!"

Dido Pane saß auf einem Cyrano-Besen, den die französische Mitschwester Louisette Richelieu mitgebracht hatte. Sie folgte Nadja Romanova, die ihr einige ruhige Figuren vorflog, während Anthelia sich mit Marga Eisenhut ein wildes Jagdspiel lieferte. Hier, über der verlassenen Prärie New Mexicos, störten sie niemanden und wurden auch nicht gestört. Unter ihnen brannte ein großer Holzstoß in einer einen halben Meter hohen Einfassung. Bis zur Mitternacht ging das Spektakel. Dann saßen die zwanzig geladenen Hexen um das Feuer herum und sprachen über die anliegenden Sachen. Dabei nahm Marga Eisenhut Anthelia zur Seite und berichtete ihr von einem Zwischenfall in Berlin, bei dem ein bis dahin arg- und harmloser Muggel zu einer reißenden Bestie geworden sei. Anthelia merkte auf und lauschte dem Bericht sehr interessiert. Dann fragte sie:

"Und dein Vetter hat dir alles berichtet, Schwester Marga?"

"Nun, einiges konnte ich nur durch gründliche Recherchen finden. Unsere neue Anführerin Gebieterin Ardora will ja selbst wissen, wie ein europäischer Muggel zu einem indischen Wertiger werden konnte, ohne von so einem gebissen oder durch dieses ominöse Ritual verwandelt worden zu sein", sagte Marga Eisenhut, die Cousine des Leiters der magischen Strafverfolgungsbehörde in Deutschland.

"Was ist mit dem Ordnungshüter geschehen, den jener Wertiger gebissen hat?" Wollte Anthelia wissen.

"Nun, er wurde zunächst untersucht, um den Keim zu isolieren. Allerdings war sein Blut bereits so stark durchsetzt, daß er von alleine aus dem Schockzauber erwachte und sich verwandelte. Die Drachenjäger haben ihn dann mit einem Netz aus Akromantullafäden eingefangen, aus dem er sich fast befreien konnte. Soweit mir bekannt ist, versuchen sie gerade, sein verseuchtes Blut gegen reines Menschenblut mit besonderen Antifluchzusätzen auszutauschen, wie es die Muggel mit vergiftetem Blut anstellen. Wenn das nicht klappt, wird er wohl als gemeingefährlich eingestuft. Dann wird er wohl als mordendes Monster angesehen oder zu einem Leben in absoluter Abgeschiedenheit verurteilt. Vorstellbar ist auch, daß er mit brennbarer Flüssigkeit übergossen und verbrannt wird. Minister Güldenberg hat sich diese Lösung für den absoluten Schluß vorbehalten", erwiderte Marga leicht betrübt.

"Hmm, dabei erfuhr ich doch, daß ein Wertiger sich ohne Weiteres in menschlicher Gestalt halten und in seiner Tiergestalt die Raubtierinstinkte unterdrücken kann. Er ist also eher ein besonders mächtiger, geborener Animagus", sagte Anthelia.

"Nun, ich weiß nicht, wie gründlich deine Informationen sind, höchste Schwester. Aber nachdem, was ich herausbringen konnte, sind die von einem angreifenden Wertiger gebissenen Verfluchten wesentlich aggressiver als jene, die durch das Ritual oder Vererbung diese Natur erworben haben. Sie lassen sich deshalb als ideales Such- und Zerstörungskommando einsetzen", sagte Marga Eisenhut. "Du hörtest sicherlich davon, daß es irgendwo in Indien eine Kultstätte geben soll, an der die ersten Wertiger entstanden und die von diesen als Heiligtum verehrt wird. Möglich, daß dort postnatale Wertiger herumlaufen, die Störenfriede aufhalten sollen. Was mich aber eher beunruhigt ist die Frage, wie viele schlummernden Wertiger es noch in der Welt gibt."

"Im Moment wohl zwei stück, von denen wir nicht wissen, wo sie sind", knurrte Anthelia. Dann kam ihr eine Möglichkeit in den Sinn. "Meinst du, der aus Berlin könnte nun zu jener Tempelstätte reisen?"

"Nur wenn ihm jemand erzählt, daß sie existiert", erwiderte Marga, die verstand, was Anthelia meinte.

"Schwester Pandora ermittelte, daß ranghohe Exemplare dieser Kreaturen durchaus Gedanken auf rangniedere Exemplare übertragen können", sagte Anthelia. Marga nickte schwerfällig. "Es ist wie bei mächtigen Vampiren und den unseligen Abgrundstöchtern, daß sie miteinander in geistige Verbindung treten können. Insofern sehe ich eine Möglichkeit, daß jene Wertiger, die unseren wie euren Verfolgungsgruppen entronnen sind, nach dem Zentrum ihrer Kräfte suchen, um dort einen Neuanfang nach der Beinaheausrottung zu wagen. Bedauerlicherweise verfügen wir über keine Schwestern in Indien oder gar Malaisia, um näheres in Erfahrung zu bringen. diese Lücke im Netz sollte bald geschlossen werden."

"Vielleicht könnten die Schwestern aus England dir helfen, Kontakte dorthin zu knüpfen", meinte Marga Eisenhut vorsichtig. Anthelia nickte. In der Tat hatte sie sich mit ihren britischen Bundesschwestern schon über Kontakte in die ehemaligen Kolonien unterhalten. Denn immerhin waren Magierinnen den Magiern gleichgestellt, weil die Hindu-Religion eine göttliche Ordnung aus männlicher und weiblicher Kraft als ihre Grundlage annahm. Allerdings wurden Hexen und Zauberer in getrennten Lehreinrichtungen beschult. Marga fragte dann noch, ob die höchste Schwester davon ausginge, daß der Tempel der Tiger für die gesamte Menschheit eine Gefahr darstellte und ob der Emporkömmling sich diese Kreaturen unterwerfen könnte.

"Was diese Wertiger angeht, so bilden sie eine mächtige, aber doch noch kleine Gruppe. Es ist sicherlich klug, sich vor ihnen zu schützen und ihre Ausbreitung einzudämmen. Was den Emporkömmling angeht, so denke ich schon, daß er mit dem Gedanken spielen könnte, sich eine Streitmacht aus Wertigern zusammenzustellen. Doch ähnlich wie er bei Hallitti versagt hat, dürfte er bei den Brüdern und Schwestern aus dem Clan der Tiger auf zu großen Widerstand stoßen. Du weißt wohl aus den Recherchen eurer Behörden, daß Wertiger ihre Kräfte aus der sie umgebenden Magie beziehen, stärker als es andere Zauberwesen tun. Dadurch sind sie gegen äußere Flüche und Angriffszauber gefeit. Nein, ich denke eher, daß der Emporkömmling wie wir eine Gefahr in einer Vermehrung der Wertiger sieht. Doch wissen wir nicht, ob er von den Vorfällen in Denver oder Berlin Kunde erlangt hat. Hier in den Staaten haben wir alle seine Anhänger entweder entmutigt oder vernichtet. Doch er könnte immerhin noch Spione im amerikanischen Zaubereiministerium haben. Wie steht es bei euch in Deutschland?"

"Gebieterin Gerda hat, als vor etwas mehr als einem Jahr ein ehemaliger Handlanger gefaßt wurde, dessen Stigma wieder deutlicher wurde, alle damalig aufgefallenen Handlanger unter Beobachtung gestellt. In der Operation Walkürenritt wurden vor sieben Monaten zwanzig Grindelwaldianer niedergemacht, die im Ruch standen, sich mit dem englischen Dunkelmagier zu verbünden. Aber ausschließen möchte ich das nicht, daß dieser britische Barbar noch Freunde und Zuträger in unserem Land hat, und sei es, daß er arglose Zaubererfamilien erpreßt, wie er es auf den britischen Inseln auch tut."

"Nun, so bleibt wachsam, ob in euren Landen jemand etwas unternimmt, daß mit dem Wertiger von Berlin und seinem Opfer in Verbindung steht!" Empfahl Anthelia.

Danach verfolgten die höchste Schwester des Spinnenordens und Marga Eisenhut den Rest der Walpurgisnachtfeier. Anthelia ging davon aus, daß wenn Voldemort, den sie selbst den Waisenknaben nannte, überhaupt was in Sachen Wertiger und ihren Tempel unternahm, sei es nur die Unterwerfung oder Vernichtung dieser Zauberwesen. Denn alle Recherchen, die Pandora Straton in den letzten Tagen heimlich oder offiziell, mal für die Strafverfolgungsbehörde, mal für Lady Daianira und natürlich auch für Anthelia durchgeführt hatte ergaben nur, daß sich der Clan der Wertiger vor über fünftausend Jahren schon auf dem indischen Subkontinent betätigt hatte. Das er einen mächtigen Gegenstand bewachte, der in den Händen eines Parselmundes zu großer Verheerung führen konnte, wußte sie nicht. Denn das einzige Buch, daß darüber auskunft gab befand sich im Besitz von Tom Vorlost Riddle, alias Lord Voldemort.

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Er hatte gewonnen. Jetzt war er großbritanniens neuer Premierminister. Seine Partei hatte überragend gut abgeschnitten. Das wurde auch langsam Zeit, fand er. Nach allen Jahren des Umbaus seiner Partei und des Kampfes gegen Gegner auch in den eigenen Reihen stand er nun als höchster Beamter ihrer Majestät der Königin fest. Sein nun aus dem Amt scheidender Vorgänger hatte ihm mit zusammengebissenen Zähnen gratuliert. Er hatte gelächelt und sich schon einmal sein neues Büro angesehen. Er fragte sich, was der zukünftige Ex-Premier an dem alten kleinen Gemälde eines froschartigen Männchens mit Silberperücke an der Wand fand. Aber die Politik des nun abgewählten konnte er ja auch nicht verstehen. Irgendwie war ihm, als zwinkere ihm der kleine Mann auf dem Bild zu. Doch das führte der frisch gewählte Premierminister auf die Anstrengungen während des Wahlkampfes zurück. Sein Vorgänger sah ihn eindringlich an und meinte:

"In dem Büro werden Sie nach der Vereidigung arbeiten. Ich hoffe für unser Land, daß Ihre Entscheidungen keinen Schaden für Staat und Volk anrichten werden."

"Das Bild da", sagte der Wahlgewinner und deutete auf das Bild an der Wand, "Gehört das zu Ihrer persönlichen Einrichtung oder war das schon immer da?"

"Das war schon vor meiner Zeit hier", erwiderte der bald aus dem Amt scheidende Premierminister und bemühte sich um Fassung. "Ich wollte es entfernen lassen. Aber es ist wohl beim Aufhängen irgendwie fest mit dem Mauerwerk verbunden worden. Womöglich kann nur der komplette Austausch der Wand es entfernen. Am besten sehen Sie es nicht an, wenn Sie es nicht mögen."

"Nun, ich frage mich, welchen von Ihrer Tori-Partei man da portraitiert hat, Sir", erwiderte der zukünftige Premier mit jungenhaftem Grinsen. Doch sein Vorgänger grummelte nur was, daß er nicht glaubte, daß der abgemalte irgendeiner Partei angehört habe.

"Nun, dann werde ich Ihnen die Zeit geben, die Sachen, die von Ihnen sind rauszuholen", sagte der siegreiche Politiker zu seinem unterlegenen Gegner. Er drehte sich um und verließ das Büro. Er würde früh genug wieder hier sitzen, hoffentlich so lange, um alles darin so alltäglich zu empfinden, daß er es nicht mehr groß bemerkte, besonders dieses komische Gemälde an der Wand.

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Worauf hatte er sich da eingelassen. Er konnte weder Polnisch noch russisch. Dennoch war er mit seinem Wagen quer durch Polen gefahren und hatte, als ihm das Geld ausging, an einer schlecht erhaltenen Autobahn gestanden und sich von einem russischen Fernfahrer mitnehmen lassen, der gerade genug Deutsch konnte, um an Raststätten oder bei der Polizei nicht unterzugehen. Jetzt steckte er mitten in Russland und dachte jeden Moment daran, daß er wegen der beiden Schupos auf der Abschußliste aller Polizeibehörden Europas stand. Doch er mußte zum geheiligten Ort, wollte seine neue Gefährtin treffen, mit ihr die heiße Liebe erleben, die seine schwächliche Freundin Philippa ihm nicht gönnen wollte. Die Stimmen, die ihm seit der Flucht aus Berlin im Kopf herumspukten, hatten ihm immer wieder geraten, Philippa zu vergessen, weil er eine Aufgabe hatte, für die eine weitaus herrlichere Liebesnacht als Belohnung winkte. Was er wußte war, daß er ohne Geld nicht fliegen konnte. Es sei denn, er schaffte es, sich in eine Maschine zu schmuggeln, was bei den Sicherheitsstandards etwas schwierig war. Er hatte nach dem Verlassen seines Autos kurz vor der russischen Grenze ausprobiert, wie schnell er laufen konnte. Dabei hatte ihn ein regelrechter Geschwindigkeitsrausch ergriffen. Fahrende Autos waren für ihn still auf der Fahrbahn stehend erschienen. Lediglich ein Ferrari hatte ihn locker überholt. Jetzt hockte er mit dem Fahrer in dessen stinkiger Kabine und kämpfte um seine Selbstbeherrschung, den Kerl nicht mit einem einzigen Handgriff den Hals umzudrehen. Lange würde er das nicht mehr aushalten, besonders wo er jetzt den Geruchssinn eines Bluthundes besaß, der jeden alten Schweißtropfen und Urinspritzer auf mehrere Dutzend Meter wittern konnte. Doch im Moment brauchte er die Mitfahrgelegenheit in Richtung Südosten. Wenn er noch einen Tag durchhielt, war vielleicht doch eine Eisenbahnfahrt drin. Es würde ihm leichtfallen, auf einen langsam vorbeifahrenden Güterzug aufzuspringen. Notfalls nahm er die so herrliche Gestalt an, in der er die beiden Polizisten einfach so niedergestreckt hatte, die ihn auch gegen Kugeln immun machte. Er dachte an Werwolffilme. War er sowas ähnliches? Konnten ihn dann nur Silbergeschosse oder Klingen aus purem Silber was anhaben? Aber wenn er solch ein Wesen war, was solten dann die Stimmen in seinem Kopf? Da mußte mehr dran sein. So fuhr er mit krampfhaft im Zaum gehaltenem Widerwillen weiter auf den Schlagloch übersäten Straßen dahin.

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"Da waren Sie aber sehr schnell", feixte Peter Buchanan, als ihn Sonderagent Logan aus Denver zum dritten Mal anrief. Sie suchten schon seit drei Tagen nach Dennis Taller. Erst war er nicht zur weiterführenden Einweisung in die an die Colorado-Mediengesellschaft übergebenen Demo-Programme erschienen. Dann hatte die Stadtpolizei von Denver ihn des Hoteldiebstahls verdächtigt, weil außer ihm alle beraubten Gäste wieder aufgetaucht waren. Als dann die große Suche angelaufen war, war Taller schon seit einem Tag außer Landes. Er hatte sich mit einem Flug über Hawaii und Australien nach Singapur abgesetzt. als Interpol eingeschaltet wurde, um ihn von den Singapurer Behörden festnehmen zu lassen, mittlerweile nun auch wegen möglicher Industriespionage und Sabotage, war Taller ganz dreist unter seinem eigenen Namen nach Bombay weitergeflogen und dort noch unbehelligt aus dem Flughafengebäude marschiert. Von da an verlor sich seine Spur. Denn er benutzte keine Kreditkarten mehr. Nun war es knapp eine Woche her, und Buchanan hatte alle Hände voll zu tun, sich den Unmut der Leute aus Denver vom Hals zu halten, die ihn auf mehrere Millionen Dollar Schadensersatz verklagen wollten, weil er seine Absprachen nicht eingehalten hatte und Taller womöglich unbrauchbare Programme oder gar Computerviren in den Rechner der Colorado-Mediengesellschaft eingeschmuggelt hatte. Buchanan hatte darauf nur geantwortet, daß sie das erst einmal beweisen müßten und er den größeren Geldbeutel für einen Rechtsstreit hatte. Innerlich ärgerte er sich so sehr, daß er vier unschuldige Büroklammern mit bloßen Händen zu winzigen, unförmigen Metallklumpen zusammengedrückt hatte. Wie hatte er sich so in Taller täuschen können? Sicher, Dennis war sehr intelligent und vielseitig bewandert, sprach neben Englisch auch Spanisch, Französisch und zwei Sprachen aus Indien. Aber er hatte sich nie verdächtig benommen. Vielleicht war er ein Schläfer, ein für Jahre an einem bestimmten Ort stationierter Geheimagent, der zu einem irgendwann kommenden Zeitpunkt einen Auftrag ausführen und dann entweder verschwinden oder bei Auftragsausführung sterben sollte. Offenbar hatte Taller erfolgreich auf die Trägheit der Polizeibehörden gesetzt, daß er in aller Dreistigkeit unter eigenem Namen einen Auslandsflug angetreten hatte, gemäß dem Grundsatz: Wenn sie mich verdächtigen, bin ich schon längst weg. Das Taller womöglich für einen ausländischen Geheimdienst gearbeitet hatte erklärte auch, daß er nach der Landung in Bombay verschwunden war. Die Identität Dennis Taller war nun nicht mehr nötig, und weil der Gesuchte wie ein Einheimischer aussah konnte er in den dicht besiedelten Städten Indiens mühelos untertauchen. Womöglich reiste er auch schon unter anderem Namen, mit einem anderen gut zusammengestellten Lebenslauf, in ein anderes Land ein, um dort in Wartestellung zu gehen und als unbescholtener Bürger weitere Jahre zu warten, bis sein Auftrag ausgeführt werden mußte.

"Ja, was ist", knurrte Buchanan, als die mit seinem Vorzimmer verbundene Gegensprechanlage summte.

"Sir, hier ist eine Sonderagentin Donna Archstone vom FBI. Sie sagt, es ginge um Mr. Taller", sagte seine Sekretärin.

"Von welcher Niederlassung, Mary?" Fragte Buchanan.

"New York, Sir", antwortete die Sekretärin.

"Ich telefoniere gerade. Sagen Sie ihr, in fünf Minuten hätte ich Zeit", versetzte Buchanan.

"Sie meint, es sei sehr wichtig", klang Marys Stimme durch die Sprechanlage. Buchanan grummelte, daß er schon zu lange unterbrochen würde und erst das Telefonat beenden wolle. In fünf Minuten habe er dann Zeit. Er verriegelte die Tür mit einem Druck auf einen von drei Knöpfen unter dem Schreibtisch und griff zum Telefonhörer. Er wählte von sich aus die Nummer des FBIs in New York, wo er mit Sonderagent Williams verbunden wurde.

"Guten Tag, Sonderagent Williams. Haben Sie eine Agentin namens Donna Archstone zu mir geschickt?" Fragte er, als er sich ordentlich vorgestellt hatte.

"Wegen der Taller-Sache? nicht daß ich wüßte. Außerdem haben wir keine Agentin namens Donna Archstone."

"Oh, dann hat sich wohl wer einen Spaß mit mir erlaubt", knurrte Buchanan.

"Wenn sich wer als FBI-Agent ausgibt, der keiner ist, dann ist das kein Spaß", knurrte Williams. "Haben Sie die Dame noch in der Nähe?"

"Sie sitzt in meinem Vorzimmer", erwiderte Buchanan.

"Okay, wir schicken wen vorbei", erwiderte Williams.

"Die Agentin kann jetzt reinkommen", sprach Buchanan leicht ungehalten in die Sprechanlage.

Als eine Frau im mittelblauen Hosenanzug eintrat musterte er sie sehr gründlich, die graubraunen Haare, die wohl gerade 1,52 m hohe Statur. Alles in allem war sie eine Durchschnittserscheinung, dachte sich der Chef der Trippelco-Kompanie. Sie lächelte kalt wie Eis, als sie ihn begrüßte und die Tür schloß.

"Ich ging davon aus, daß Ihnen der Verbleib Ihres Mitarbeiters Taller sehr wichtig sei, Mr. Buchanan", sagte die Besucherin harsch. Buchanan, der davon überzeugt war, es mit einer Hochstaplerin zu tun zu haben, war über diese Art der Anrede noch verärgerter als wenn sie wirklich von der Bundesermittlungsbehörde gewesen wäre.

"Zum einen, Sonderagentin Archstone, ist das hier mein Büro, und ich lasse mich hier nicht von irgendwem so harsch anfahren. Zum zweiten wurde ich gestern darüber informiert, daß mein Mitarbeiter sich in Indien aufhalten soll, wo nach ihm gesucht wird. Also was führt Sie zu mir?"

"Eben die Frage, ob Sie uns mehr über Dennis Taller verraten können, beispielsweise, ob er zu ausländischen Leuten Kontakt hatte, ob diese Kontakte von Ihnen angewiesen worden seien und wie sich Taller als Mitarbeiter bei Ihnen verhalten hat? Wir prüfen gerade sein familiäres Umfeld und erstellen ein gründliches Personenprofil."

"Dann setzen Sie sich bitte hin!" Erwiderte Buchanan und deutete auf einen freien Stuhl. Als die Fremde Saß behielt er sie gut im Auge und drückte mit dem linken Knie den Türverriegelungsknopf. Sollte er noch den danebenliegenden Alarmknopf betätigen? Er sah sie ungehalten an, um ihr zu zeigen, daß er sich von ihr gestört fühlte. Dann fragte er, ob das FBI einen Verdacht habe, warum Taller sich abgesetzt hatte.

"Nun, über den Stand unserer Ermittlungen dürfen wir nicht viel verraten. Nur so viel: Wir haben herausgefunden, daß Dennis Taller wohl irgendwas nicht ausführen konnte und deshalb die Flucht angetreten hat."

"Nun, soweit ich mitbekommen habe, ist Dennis Taller ein sehr zuverlässiger, zwischendurch ehrgeiziger Mitarbeiter", begann Buchanan und erzählte der Besucherin so belanglos wie möglich, was er über Dennis Taller zu berichten wußte. Sie sah ihm dabei immer wieder in die Augen. Er wunderte sich darüber, wie detailreich er sich an irgendwelche Sachen aus der Zusammenarbeit mit Dennis Taller erinnern konnte. So ging es fünf Minuten, bis die Sprechanlage erneut summte. Buchanan mußte sich zusammennehmen, nicht überlegen zu lächeln.

"Ah, mein angeblicher Kollege ist da, den Sie angefordert haben", sagte die Fremde und griff in ihre Tasche. Buchanan vermutete, daß sie eine Schußwaffe zücken wollte und drückte schnell die Knöpfe für Türöffnung und Alarm. Dann langte er nach einer Schublade. Er haßte den Revolver, der darin lag. Aber er wollte auch nicht wehrlos in seinem Büro hocken, wenn ihm irgendwelche Kriminellen das Leben vermiesen wollten. Die Fremde hielt einen Holzstab in der rechten Hand und deutete auf Buchanan, als die Tür aufflog und zwei zivil gekleidete Männer hereinstürmten. Sie riss den Stab hoch und rief irgendwas, daß Buchanan nicht verstand. Da gab es einen Donnerschlag und einen grellen Lichtblitzt, der Buchanan die Sinne schwinden ließ. Ebenso erging es den zwei FBI-Agenten, die hereingestürmt waren. Auch die Sekretärin Mary Walters war von der Wucht des Kurzzeitflächenschockers benommen hinter ihrer Computertastatur zusammengesunken.

"Diese verdammten Muggel versuchen das immer wieder, schlauer zu sein als wir", knurrte die unbehelligt im Raum stehende Frau und belegte die Betäubten mit einem Gedächtniszauber, demnach die FBI-Agenten zur Befragung Buchanans eingetroffen seien. Das gleiche machte sie mit der Sekretärin, bevor sie mit leisem Plopp im Nichts verschwand, als habe sie sich in Luft aufgelöst. Eine Minute später erwachten die Agenten und begannen, Buchanan zu verhören, während in der FBI-Niederlassung von New York Sonderagent Williams aus heiterem Himmel vergaß, daß er wegen einer angeblichen Donna Archstone zwei Kollegen losgeschickt hatte und statt dessen der festen Überzeugung war, die Kollegen zur Befragung Buchanans losgeschickt zu haben. Als Donna alias Donata Archstone wieder in ihrem eigentlichen Hauptquartier eintraf schrieb sie ein Protokoll, in dem sie erwähnte, daß auf Grund muggelpolizeilicher Verdachtsmomente geprüft worden sei, ob ein verschwundener, indischstämmiger Geschäftsmann namens Dennis Taller der erwachte Wertiger sei, daß dieser sich jedoch schon weit außerhalb der vereinigten Staaten und damit außerhalb des Zuständigkeitsbereiches des US-amerikanischen Zaubereiministeriums befand. Sie schickte eine Eule Richtung Indien los, die neben der kurzen Zusammenfassung des Abschlußprotokolls ein Bild Dennis Tallers beförderte. Womöglich war Taller unterwegs, um sich dem dort wieder aufwachenden Clan der Wertiger anzuschließen. Damit sollten sich dann die indischen Kollegen befassen. Sie ärgerte sich ein wenig, daß weder die entschlossenen Schwestern, noch der Spinnenorden Bundesschwestern in Indien besaßen. Anthelia und Lady Daianira hatten unabhängig voneinander angemerkt, daß sie den Tigerclan als potentielle Gefahr einstuften und darauf vorbereitet sein sollten, neuerliche Übergriffe dieser wergestaltigen Zauberwesen zu verhindern. Sie hörte es noch, wie Daianira sagte, daß mit allen Mitteln nach einem Zauber gesucht werden sollte, um die Magieresistenz der Wertiger zu schwächen. Dabei gab es den doch schon längst, hatte Donata darauf geantwortet. Sie bräuchten doch nur Incantivacuum-Kristalle zu benutzen. Vielleicht wirkten die beiden Magie schwächenden Kräfte dann so gegeneinander, daß ein Wertiger geschockt oder gar getötet wurde. Doch Incantivacuum-Kristalle waren nicht leicht herzustellen und konnten nicht als Massenware an Strafverfolgungsgruppen ausgegeben werden.

Nach ihrem offiziellen Dienstschluß kehrte Donata erst in ihr eigenes Haus zurück, bevor sie von dort in die Daggers-Villa apparierte und Anthelia berichtete, was sie über Dennis Taller herausbekommen hatte.

"Dann stimmt es also, daß diese Kreaturen aus der Ferne gerufen werden können und dieser arme Wicht nun auf dem Weg zu jener legendären Kultstätte ist, um dort seine Artgenossen zu treffen. Sollen die Zauberer in Indien dieses Problem lösen. Wir haben wichtigeres zu tun."

"Was denn, höchste Schwester?" Erkundigte sich Donata.

"Mein Kundschafter bei den Gefolgsleuten des Emporkömmlings vermeldete mir, daß der Irrwitzige seine Golemstreitmacht wiederverstärkt. Zumindest habe sich der sogenannte Lord Voldemort häufiger mit Alcara getroffen, und dieser sei zwischendurch im Ausland unterwegs gewesen. Recherchen bei den Unfähigen haben ergeben, daß der Golemmacher offenbar heimatlose Knaben und Mägde jagt, um deren Körper zur Herstellung seiner irdenen Sklaven zu verwenden. Wir müssen also damit rechnen, daß er bald wieder eine schlagkräftige Truppe besitzt, wenn es uns nicht gelingt, Alcara zu stellen und zu töten."

"Kannst du diesen Zauberer nicht aus der Ferne verfluchen?" Fragte Donata die höchste Schwester.

"Die Möglichkeit hätte ich nur gehabt, wenn ich vor der Stigmatisierung durch den Emporkömmling sein Bild oder ein Modell von ihm gehabt hätte. So müßte ich ihn direkt vor mir haben oder ein Stück von seinem Körper in Händen halten, um einen wirksamen Fernfluch auf ihn zu legen. Doch wenn wir jetzt eh nahe genug an ihn heranmüssen, um ihn aufzuhalten, können wir ihn auch gleich töten. Allerdings kann dieser orientalische Magier auch wirksame Wehrzauber und vermag es, sich zu tarnen. Sollten wir ihn an einem Ort der Welt zufällig aufstöbern ..."

"Kann dein Kundschafter ihn nicht für uns erledigen?" Wollte Donata wissen.

"Das hieße, ihn aufzugeben. Denn in diesem Moment wäre er entlarvt", erwiderte Anthelia verbittert, zugeben zu müssen, das Problem Voldemort nicht so einfach lösen zu können wie sie es gerne wollte.

"Dann bleibt uns wohl das gleiche, was uns bisher gegen die Wertiger zur Verfügung steht, Incantivacuum-Kristalle oder offenes Feuer", knurrte Donata.

"Diese Kristalle sind wahrliche wirksame Waffen gegen mächtige Kreaturen. Es wäre vielleicht sehr vorteilhaft für uns alle, wenn es dir und anderen Schwestern gelänge, das Geheimnis ihrer Herstellung zu enthüllen, auf daß auch wir dieses Machtmittel einsetzen können, ohne uns durch riskante Diebstähle in den Besitz einzelner Kristalle zu bringen."

"An das Geheimnis kommen wir nicht heran", knurrte Donata. "Die die Kristalle herstellen sind ähnlich bezaubert wie du uns bezaubert hast, um Verrat zu vereiteln. Sie erzeugen die Kristalle in einer Art Trancezustand, außerhalb dessen sie nicht wissen, wie es geht."

"Und den Trancezustand lösen bestimmte Wörter oder Bilder aus, vermute ich", erwiderte Anthelia.

"Keine Wörter oder Bilder, höchste Schwester, soviel weiß ich. Mehr kann ich bisher nicht erfahren, ohne mich verdächtig zu machen", erwiderte Donata. "Natürlich ist auch Lady Daianira hinter der Herstellungsweise dieser Kristalle her. Wenn wir wüßten, wie sie erschaffen werden, hätten wir sie schon längst."

"Natürlich", fauchte Anthelia. Dann bedankte sie sich nochmals für den Bericht über Dennis Taller und entließ die treue Mitschwester in sehr wichtiger Anstellung.

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Cecil Wellington trat kräftig in die Pedale, machte ordentlich Tempo auf seinem Rennrad. Buck, einer der vier Leibwächter der Wellingtons, folgte ihm auf dem Motorrad. Obwohl es mit zehnprozentiger Steigung bergauf ging fuhr Cecil an die dreißig Stundenkilometer. Buck hielt einen gewissen Abstand. Unter seiner Lederkluft und dem massiven Sturzhelm perlte der Schweiß. Wie brachte dieser Bengel eine solche Kraft zu Wege? Jetzt erreichte er schon zweiunddreißig Stundenkilometer. Buck mußte ein wenig mehr Gas geben, um den Anschluß nicht zu verlieren.

"Mäßige deine Eile!" Durchraste Cecil die telepathische Stimme Anthelias. Er war jedoch gerade voller Adrenalin. Hier und heute würde er den Trainingsberg mit fünfunddreißig Stundenkilometern erklettern, dessen größte Steigung sechzehn Prozent betrug. Da wollte er genug Tempo haben, um den Anstieg locker nehmen zu können. Dreiunddreißig Sachen hatte er jetzt drauf.

"Ich hieß dich, deine Eile zu mäßigen, Knabe!" Dröhnte es in seinem Kopf, daß ihm für einen Sekundenbruchteil alles vor den Augen verschwamm. Gleich würde sie ihm wieder ihre Schmerzimpulse reinjagen, wenn er nicht spurte, wußte er und verzögerte das Tempo. Da kam der Anstieg, den er jedoch nur mit fünfundzwanzig Stundenkilometern erklomm und mit fünfzehn Stundenkilometern anlangte, bevor er sich auf die Abfahrt freute. Doch Buck betätigte die Hupe seiner Maschine und holte laut surrend auf.

"Ist wohl gesünder, wenn du erst einmal anhältst, Cecil. Du hast dich beim Anstieg wohl übernommen", sagte der Leibwächter, nachdem er sein Visier geöffnet hatte.

"Kann sein", tat Cecil erschöpft und lüftete seinen Fahrradhelm. "Machen wir eben fünf Minuten Pause, bevor ich mir die Belohnung abhole."

"Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, daß ich dich da jetzt runterbrettern lasse. Das Spiel hast du letzte Woche mit Mitch getrieben. Mit mir läuft die Nummer nicht", knurrte Buck.

"Wie bitte?! Wagst du es echt, mir zu sagen, wie ich mein Fahrradtraining durchführen soll", entrüstete sich Cecil. Buck nickte.

"Meine Aufgabe besteht darin, dich vor unliebsamen Unfällen jeder Art zu schützen, Jungchen. Auch wenn du dann meinst, dich bei deinem Vater beschweren zu müssen."

"Da können Sie sich drauf verlassen, Mister", raunzte Cecil. "Ihr prüft doch jedesmal vorher, ob das Gelände sicher ist. Außerdem fahre ich befestigte Wege ab. Also bitte!"

"Ich habe meine Anweisungen und bin befugt, Ihnen ebenfalls Anweisungen erteilen zu können, Mr. Cecil Wellington", sprach Buck mit aller ihm möglichen Autorität. "Also halten Sie sich an meine Weisung und fahren Sie gemäßigt diesen Berg hinunter! Widrigenfalls können Sie Ihre Rennsportkarriere als beendet und unwiederbringlich betrachten."

"Moment, wird der Gorilla jetzt biestig? Du hast wohl vergessen, daß ich deinen Arsch in meinen Händen halte, Buck. Sei schön anständig zu mir und meinen Eltern, wenn du den schönen Job noch weitermachen willst!" Begehrte Cecil auf. Er wollte sich wieder auf sein Rad schwingen, um einfach loszufahren. Bevor Buck auf seiner Maschine sitzen würde wäre er wohl schon hundert Meter weit weg. Dann könnte Buck ihn unmöglich abbremsen, ohne ihn ernsthaft zu gefährden. Doch Anthelias Gedankenstimme drang wieder in sein Bewußtsein und mahnte ihn, sich an die Weisung zu halten, wenn er sie nicht sehr erzürnen wolle. So wartete er einige Minuten, saß dann auf und fuhr im für ihn lächerlichen Tempo von vierzig Stundenkilometern den Berg hinunter. Danach schwenkten der Radrennfahrer und sein Leibwächter auf die Straße ein, auf der es zu dem Transporter ging, den die Wellingtons besorgt hatten, um die beiden Fahrer nicht immer nur in der Nähe des Anwesens trainieren lassen zu müssen. Buck betätigte hundert Meter vor dem mausgrauen Transporter eine Fernbedienung, die die Heckklappe aufschwingen und eine Rampe ausfahren ließ. Die Titelmelodie der Knight-Rider-Serie pfeifend fuhr Cecil die Rampe hinauf und stoppte im Frachtraum des Transporters. Da kam Buck auch schon angeknattert und bugsierte mit einem kurzen Druck auf den Gashebel seine Maschine neben das Rennrad. Er ließ die Rampe einziehen. Dann saß er von seinem Motorrad ab und verließ den Transporter, um ihn noch einmal auf in der Zwischenzeit angebrachte Bomben zu prüfen, ließ mit der Fernbedienung die Heckklappe zufallen und enterte die Fahrerkabine. Cecil schlüpfte auf den Beifahrersitz und schnallte sich an. Buck startete den Motor und fuhr los.

Der Leibwächter dachte an den kleinen Metallknopf in seinem rechten Ohr. Würde er heute jenes Kommando erhalten, daß er nicht zu hören wünschte, aber dann, wenn es erfolgen würde ausführen würde, was ihm gesagt würde. Cecil war mißgelaunt und aufsässig und schwieg ihn an, weil ihm Buck den Spaß verdorben hatte, mit mehr als achtzig Stundenkilometern den Berg hinunterzurasen. Mitch hatte aufgeregt berichtet, daß er fast mit dem Motorrad vom Weg abgekommen sei, weil ihn das Höllentempo doch etwas Unbehagen bereitet hatte.

"Ihr seid beides Spaßbremsen", dachte Cecil an Anthelias Adresse.

"Glaubst du, ich ließe dich einfach so in halsbrecherischer Tollkühnheit zu Schaden kommen? Du weißt genau, daß ich alles verfolgen kann, was dir widerfährt. Dein Bewacher hat recht, daß das, was du letzte Woche getrieben hast nicht mehr wiederholt wird", erklang Anthelias Gedankenstimme in Cecils Bewußtsein. "Mich hinters Licht zu führen zahlt sich nicht aus, Jüngling. Behalte dies wohl in Erinnerung und bedenke es immer dann, wenn du erneuten Schabernack wider meine Weisung ausheckst!"

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Wir können aufbrechen, Meister", sagte Ismael Alcara zu Lord Voldemort, als er zehn Golems auf dem Flugteppich versammelt hatte. Voldemort starrte auf die mehr als zwei Meter hohen Ungetüme, die aus einer Art lebendigem grauen Ton bestanden.

"Ich sagte zwanzig von denen, Alcara", fauchte der dunkle Lord ungehalten.

"Ich habe es mit fünfzehn probiert, Herr. Doch mein Teppich vermochte dann nicht mehr zu steigen. Erst mit elf Golems ging es. Da Ihr mitfliegen wollt, werde ich erst einmal nur zehn Golems befördern, bis wir in der Nähe des Ziels sind. Dann werde ich die weiteren Zehn holen. Ich kann ja dann disapparieren und die Golems hier aufsitzen lassen. Innerhalb von drei Tagen werden wir dann die von Euch erwünschte Streitmacht vor Ort haben."

"Dann schaff dir gefälligst noch einen dieser Flugteppiche an!" Schnarrte Voldemort. Einerseits ärgerte er sich darüber, daß der Teppich nur zwei Zauberer und zehn Golems ttragen konnte. Andererseits mußte er jedoch anerkennen, daß ein Flugteppich jedem Besen überlegen war, was Transportvermögen und Wendigkeit betraf. Vor allem die Ausdauer dieser orientalischen Flugartefakte war hervorragend. Sie konnten tage Lang mit annehmbar hoher Geschwindigkeit dahingleiten, so daß der Weg von England nach Indien in einem Tag geschafft sein würde. So nickte er nur noch, bestieg den Flugteppich und sah zu, wie die Waldlichtung, auf der sie sich heimlich getroffen hatten unter ihnen versank, bis Alcara seinem Teppich den Befehl gab, Vorwärts zu fliegen, hinein in die herabsinkende Nacht. Voldemort dachte daran, daß er spätestens am zehnten Mai den Tigertempel betreten und das Zepter Sharanagots in Besitz nehmen wollte. Er hatte aus Deutschland eine beunruhigende Nachricht erhalten, daß dort ein schlummernder Wertiger erwacht war und wohl nun auf dem Weg zum Tempel sein mochte. Leider hatte ihm jene vermaledeite Hexe, diese widerliche Wiederkehrerin, deren wahren Namen er immer noch nicht kannte, alle Verbindungen in die vereinigten Staaten entrissen. Mochte es dort vielleicht auch schon ein Erwachen gegeben haben? Er wußte, daß er eintreffen mußte, bevor alle Wertiger der näheren und ferneren Umgebung sich versammeln würden. Wenn es sechzehn sein würden, kam keine Magie der Welt mehr gegen sie an, und das was Voldemort am meisten verabscheute, war die Vorstellung, nicht mehr zaubern zu können. Dann wäre er schwach wie ein Muggel, einer dieser unfähigen Schwächlinge, die er gerade noch als Sklaven leben lassen wollte. Unterwegs überlegte er, was er ausrichten konnte, wenn bereits alle sechzehn Tiger im Tempel wären. Der Tempel stand im Dschungel, wußte er. Im Dschungel wohnten Schlangen, seine liebsten Gehilfen. Sie würde er als Aufklärer und heimliche Vorhut benutzen. Doch was wollte er tun, wenn seine Zauberkraft nicht mehr wirkte? Wertiger fürchteten das nichtmagische Feuer. Deshalb, so hatte Rundhi Kalagani ihm nach Ostern berichtet, bestand der Tempel nur aus Stein. Doch er wußte, daß die Muggel Kriegsgerät besaßen, mit dem sie großflächige Brände legen konnten. In jenem widerlichen Waisenhaus, in dem er aufgewachsen war, hatten sie immer wieder Luftschutzübungen gemacht, für den Fall, daß die deutschen Bombenflugzeuge sich doch gegen die britischen Abfangjäger durchsetzen würden. Solche Bomben konnten große Sprengwirkung entfalten oder Großbrände entfachen. Es widerte ihn an, etwas muggelmäßiges in Erwägung zu ziehen, doch wenn er das Zepter haben und die Wertiger besiegen wollte mußte er das kleinste Übel wählen, nämlich mit nichtmagischen Feuerwaffen zu kämpfen. Er sagte zu Alcara:

"Vielleicht nicht so unpraktisch, daß wir nicht in einem einzigen Manöver hinkommen können. Ich werde deine Abwesenheit nutzen und Brandwaffen der Muggel beschaffen, mit denen ich deine Golems ausrüsten kann, für den ärgerlichen Fall, daß die Magiehemmung der Wertiger bereits zu stark ist, um zaubern zu können."

"Wie Ihr wünscht, Herr", sagte Alcara unterwürfig und kommandierte seinen Teppich zu schnellerem Flug.

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Linus Price saß mit seinem Schwager Titus vor einem Kontrollpult seines Privatjets. Er hatte seinen Piloten angewiesen, sich für einen Start in einer Stunde vorzubereiten. Auf einem von zwei Bildschirmen sah er das Heck des Transporters. Er hatte eines seiner neuen Spielzeuge, eine für das amerikanische Militär entwickelte Aufklärungsdrohne, auf den Transporter angesetzt. weit außerhalb der üblichen Radarerfassungshöhe kreiste das unbemannte, ferngesteuerte Fluggerät mit hochauflösender Kameratechnik als Prices fliegendes Auge über dem Gelände, auf dem der Transporter fuhr. Im südlichen Ausschnitt des Übersichtsbildes sah er seinen Hubschrauber in sicherem Abstand folgen.

"Da haben wir den Beweis, Linus. Der Junge ist stärker als ein gewöhnlicher Mensch und wird telepathisch überwacht", sagte Titus. Immerhin hatten sie vorhin in einer Nahaufnahme sehen können, wie ihr Zielobjekt erst sehr schnell gefahren war und dann aus unerfindlichem Grund verzögert hatte.

"Sollen wir die Sache dann abblasen?" Fragte Linus unwirsch. Eigentlich wollte er kein Ja hören, wußte sein Schwager. So überlegte dieser und meinte dann:

"Wenn er tatsächlich per Gedankenüberwachung beobachtet wird oder auch nur mit einem Fernsinnzauber überwacht würde, unterbricht die totale Bewußtlosigkeit diese Verbindung. Dein handzahmer Gorilla hat ja keine verdächtigen Gegenstände bei und an ihm finden können. Somit haben wir es nicht mit Überwachungsartefakten zu tun. Wenn du es hinbekommst, innerhalb von nur dreißig Sekunden an den Jungen ranzukommen und ihn so schnell es geht vom letzten Standort wegholen kannst, kann dir nichts passieren. Ich würde sogar empfehlen, die Übernahme während der Fahrt zu machen, sozusagen, im Vorbeifliegen. Das Apparieren auf fahrenden oder in fliegenden Objekten ist nahezu unmöglich, wenn keiner sehen kann, wo der Zielpunkt liegt."

"Das wollte ich hören", erwiderte Linus und drückte einen Schalter links am Pult, worauf es kurz zirpte, dann knackte, und dann eine von lautem Motorenlärm unterlegte Stimme "Ja, Sir" sagte.

"Kondition gelb für Phase zwei. Objekt während der Fahrt übernehmen. Zeitfenster dreißig Sekunden. Ich widerhole: Kondition gelb für Phase zwei. Objekt während der Fahrt übernehmen. Zeitfenster nach Beginn nur dreißig Sekunden!" Sprach Price in ein Mikrofon.

"Verstanden. Phase zwei beginnt. Geben Sie Startsignal!"

"Dann geht's los", sagte Price. "Bald werden wir wissen, mit was wir es zu tun haben."

"Ich weiß, du weißt das schon, aber ich möchte dich noch einmal darauf hinweisen, daß du dabei bist, dich mit wem ganz gefährlichem anzulegen, wenn du die Operation jetzt durchziehst, Linus", sagte Titus. Price nickte abschätzig dreinschauend. Dann drückte er einen anderen Knopf und sprach: "Mach das Sandmännchen, Buck! Wiederhole: Mach das Sandmännchen, Buck!"

"Na, ob er spurt?" Frotzelte Titus seinen Schwager.

"Werden wir gleich wissen. Unser magisches Auge sieht ja alles", erwiderte Price und betätigte die Kamerakontrollen der Aufklärungsdrohne. Nun war der Transporter in Großaufnahme zu sehen. Eine winzige Anzeige am rechten oberen Bildrand wies dessen errechnete Geschwindigkeit mit 80 Stundenkilometern aus. Dann wurde er langsamer.

"Wer sagt's denn!" Triumphierte Price und gab sofort an die Hubschrauberbesatzung aus: "Phase zwei beginnt. Zeitfenster dreißig Sekunden!"

"Man merkt schon, wo du deine Leute eingekauft hast", lobte Titus seinen Schwager, als der Hubschrauber sich erst wie ein Adler auf den Transporter hinabstürzte, der nun etwas langsamer fuhr. Dann konnte Titus sehen, wie die Flugmaschine den Transporter überdeckte, sich noch etwas senkte und dann, als auf Prices Uhr die vierundzwanzigste Sekunde seit Beginn von Phase 2 verstrichen war, wieder anstieg. Zwar hatte die Maschine mächtig zu kämpfen, doch gewann bald genug höhe, um den Vorwärtsflug mit höherer Geschwindigkeit fortzusetzen.

"Wenn die Ledernacken wüßten, daß du deine besten Spielsachen für dich behalten hast, Linus", meinte Titus anerkennend, als die Drohne wieder auf Übersicht umschaltete und der Hubschrauber mit dem Transporter an einem starken Elektromagneten von der Straße abdrehte, auf der zur Zeit kein weiteres Fahrzeug fuhr. Als die dreißigste Sekunde verstrichen war, flog die Maschine mit ihrer Beute bereits mehr als hundert Meter von der Straße entfernt dahin.

"Wunderbar!" Sagte Linus Price. "Das war Phase zwei. Da wir den ganzen Wagen klauen mußten kann Phase drei in einer Minute stattfinden."

""Ob der Überwacher es schon bemerkt hat, daß Bild und Ton ausgefallen sind?" Fragte Titus etwas zu belustigt wirkend.

"Wenn du mir seine Frequenz geben kannst, kann ich ja das Symbol "Signal verloren" einblenden", sagte Price. Eine Minute später befahl er: "Beginn Phase drei! Kondition grün!"

"Verstanden, Phase drei beginnt. Kondition grün!" Bestätigte der Pilot.

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Buck verzog keine Miene, als der bange erwartete Befehl leise in sein Ohr drang. Er blickte in den Rückspiegel. Kein Wagen war hinter ihnen. Hatte Mr. P. nicht gesagt, er wolle sichergehen, daß keiner zusah? Vorne war auch kein Wagen. Er holte so unauffällig es ging tief Luft und betätigte mit der linken hand einen kleinen Hebel hinter dem Lenkrad. Mit lautem Zischen entfuhr etwas aus dem Frachtraum, breitete sich unsichtbar aus. Cecil warf sich noch herum. Dann wankte er und sank wie ein nasser Sack in seinen Sicherheitsgurt. Buck griff unter den Fahrersitz und holte eine Sauerstoffmaske hervor, die er sich über Mund und Nase stülpte und und dann den für eine Viertelstunde ausreichenden Sauerstoffbehälter entsperrte. Er atmete ruhig ein und aus, während das Gas um ihn Cecil in totaler Bewußtlosigkeit hielt. Er wollte gerade rechts heranfahren, als er das wilde Schwirren und Heulen von oben hörte. Dann sah er den Hubschrauber, der sich wie aus dem Nichts gekommen über den Transporter schwang. Buck wollte bremsen, damit die Maschine ihn überholen und landen konnte. Doch da gab es ein metallisches Klong, und mit einem Mal rutschte die Straße unter dem Transporter weg. Laut brüllte der Motor des Wagens auf, weil die Räder unvermittelt in leerer Luft kreisten. Doch das Aufheulen der Turbine des Hubschraubers war noch lauter. Die Flugmaschine hatte den Transporter irgendwie aufgelesen und trug ihn jetzt mit voller Kraft nach oben und von der Straße weg davon. Da erkannte Buck, welchem Trugschluß er erlegen war. Mr. P. hatte nie daran gedacht, ihn entkommen zu lassen, nachdem der Junge an ihn ausgeliefert war. Er hatte es genau geplant, den Hubschrauber mit einem starken Elektromagneten, der wohl keine Probleme mit einem Siebeneinhalbtonner hatte, aufzupicken und wegzutragen. Sie waren bereits zu hoch, daß Buck noch abspringen konnte. Er hatte den Jungen und sich ausgeliefert. Mochtte der Junge lebendig noch was wert sein, Buck war es nicht mehr. Er hatte versagt, als Leibwächter und als Verbrecher wider Willen. Sollte er jetzt warten, ob sie ihn bei der doch irgendwann stattfindenden Landung umbrachten, sich vielleicht noch zu wehren versuchen? Vielleicht sollte er seinerseits den Jungen als Geisel nehmen, um sein nacktes Leben zu retten. Doch das war alles nutzlos. keiner würde was davon mitbekommen, wenn er kämpfend unterging. Dann sollte es halt so sein! Er setzte die Sauerstoffmaske wieder ab und atmete bewußt die dichten Gasschwaden ein. Jedenfalls würde er schmerzlos sterben. Wenn es eine Hölle gab, würde er dort für alle Zeiten Schmerzen genug haben, falls dem Teufel nicht was gemeineres einfiel, um ihn zu quälen. Drei Atemzüge später stürzte Bucks Bewußtsein, von einem letzten Rauschen in den Ohren begleitet, in das absolut licht- und geräuschlose Nichts.

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Anthelia wollte gerade noch einen mahnenden Gedanken an Cecil schicken, als es hinter diesem laut fauchte. Sie sah ihn noch auf eine kleine im Laderaum klaffende Öffnung blicken, bevor alles um ihn herum zu einem Wirbel aus Nebel und verschwommenen Farben wurde und dann ein schwarzer Schatten auf ihn fiel. Sie hörte durch seine Ohren noch ein lautes Rauschen. Dann meinte sie, in ein tiefes Nichts hineinzustoßen. Sofort löste sie sich aus der Fernüberwachung und keuchte. Irgendwer hatte den Jungen gerade betäubt. Womöglich war es ein Gas, daß ihm die Sinne geraubt hatte.

"Verrat!" Fluchte sie. Das war die einzige Erklärung für diesen Vorfall. Der Leibwächter mußte eine Vorrichtung eingebaut oder zur Kenntnis genommen haben, die den rasch einschläfernden Brodem versprühte. Also war der Leibwächter ein Verräter. Sie mußte sofort an den Ort, wo der Anschlag geschehen war. Dann konnte sie den heimtückischen Plan der Unholde vereiteln. Sie besann sich, wo der kleine Wagen noch entlanggefahren war. Sie konnte nur ungefähr erfassen, wo er gewesen war. Dann holte sie ihren Tarnumhang hervor, warf ihn sich über und disapparierte. Doch als sie auf der Straße ankam, sah sie den Wagen nicht mehr. Hinter ihr tauchte noch ein Wagen auf. Sie mußte verschwinden, um nicht überfahren zu werden. Denn sie wußte nicht, ob der Gürtel der zwei Dutzend Leben sie davor bewahrte. So konnte sie den in der Ferne gerade von einem großen Hubschrauber fortgetragenen Transporter nicht mehr sehen. Für eine telepathische Rundumsuche war sie zu kurz am Ort gewesen. Als sie zehn Sekunden später neben der Straße auftauchte und den Tarnumhang sorgfältig über sich zog, gewarhte sie, daß in bereits mehr als fünfhundert Metern eine Flugmaschine dahinflog. Ihre telepathischen Sinne reichten ohne eine magische Verbindung gerade zweihundert Meter weit. So konnte sie nur vermuten, daß die Maschine etwas mit dem Anschlag zu tun haben mochte. Ja, sie erkannte gerade eben noch, daß etwas kastenförmiges unter dem Drehflügelapparat befestigt war. Dann verschwand die Maschine aus ihrem Blick.

"Vermaledeit! Zehn Sekunden zu spät!" Schnaubte Anthelia. Wäre sie zehn Sekunden früher hier angekommen, hätte sie die Maschine noch per Apparition überholen und von unten her mit ihrer Telekinese oder dem Imperius-Fluch angreifen können. Doch beides reichte auch nicht unendlich weit, erkannte sie. Jetzt war der Hubschrauber fort und mochte seine Beute an einen Ort bringen, den Sie im Moment nicht erfassen konnte. Sie war wütend, schlichtweg wütend, weil ihr irgendwelche Unfähigen ihren Kundschafter abgejagt hatten. Sie erkannte jetzt erst, daß es nicht damit getan war, den Jüngling durch die Gedankenverbindung zu überwachen, sondern jemanden in unmittelbarer Nähe zu lassen, um ihm zu helfen, wenn er angegriffen oder verschleppt wurde. Doch wer immer ihr diesen Streich gespielt hatte würde es sehr bald bitter bereuen, schwor sich die Führerin der Spinnenschwestern. Fehler lehrten wichtige Lektionen. Aber das hieß nicht, daß sie sich das bieten ließ, ihren Kundschafter an irgendwelche geldgierigen Verbrecher zu verlieren. Außerdem wollte sie sich von irgendwelchen Unfähigen nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Das hatte sie die Gauner spüren lassen, die Benjamin Calder umbringen wollten und auch jene, die ihn töten wollten, als er als Cecil Wellington weiterlebte. Sie hatte bisher alle lästigen Subjekte von ihm ferngehalten. Ausgerechnet jetzt mußte ihr so ein Halunke ihre Grenzen aufzeigen, wo sie sich eigentlich auf die Suche nach den Wertigern konzentrieren wollte. Doch Cecil ging vor. Ihn zu verlieren hieß einen wertvollen Spion in der nichtmagischen Welt zu verlieren. Sicher, sie hatte immer noch Virginia Fox. Doch diese wollte sie nach Möglichkeit nur sporadisch bemühen. Aber alles Lamentieren brachte nichts. Sie mußte jetzt handeln.

"Schwester Patricia zu mir in den Versammlungsraum!" Mentiloquierte Anthelia, bevor sie disapparierte und in die Daggers-Villa zurückkehrte. Keine fünf Sekunden später erschien patricia Straton aus dem Nichts heraus.

"Was gibt es, höchste Schwester?" Fragte sie.

"Unser Kundschafter ist entführt worden. Der Jüngling, den wir bei diesen scheinheiligen Parlamentariern untergebracht haben, ist von Halunken betäubt und dann wohl mit einer DaVinci-Flugmaschine mit einem Magneten entführt worden."

"Hast du den Kontakt ganz verloren, höchste Schwester?"

"Ich weiß nur, daß er noch lebt. Mehr nicht, Schwester Patricia. Womöglich wird er als Geisel für eine Lösegeldforderung oder Konzessionen seines Vaters an die Verbrecher benutzt. Damit haben wir doch immer gerechnet."

"Hast du erkennen können, was für ein Fluggerät das war?" Fragte Patricia.

"Ich habe es aus der Ferne gesehen. Eine Maschine nach Leonardo DaVincis Entwürfen, mit kreisenden Flügeln. Offenbar ist sie mit einem jener elektrischen Magneten ausgerüstet, die wahlweise wirken oder nicht wirken. mag sein, daß das Fluggerät den Wagen mit Cecil zu einem nahegelegenen Ort befördert. Mag auch sein, daß es in der Nähe landet um lediglich den Jungen zu übernehmen, weil mit der Zuladung nicht so schnell voranzukommen ist. Jedenfalls verlor ich die Maschine just aus meinen Augen, als ich versuchte, ihre Richtung vorherzubestimmen, um noch einen letzten Angriffsversuch zu wagen. Wir sollten noch mal an den Ort und ihn überfliegen."

"Bedauerlich, daß Louisette Richelieu uns keine dieser Rückschauer besorgen konnte", grummelte Patricia.

"Mußt du mir das ausgerechnet jetzt in Erinnerung rufen?" Schnarrte Anthelia sehr zornig. Ein auf dem Tisch stehendes Weinglas wankte und fiel um. Anthelia bekam es telekinetisch gerade noch zu fassen und stellte es wieder hin. "Ja, ich muß mich beherrschen", grummelte sie dann noch.

"Höchste Schwester, wie wollen wir die Spur der Entführer verfolgen, wenn der Junge nicht bei bewußtsein ist?" Fragte Patricia.

"Indem wir uns der Unfähigen bedienen, die ihre Flugmaschinen überwachen. Weißt du, wer dies für das betreffende Gebiet ist?"

"Ich nicht, aber Schwester Tyche bestimmt", erwiderte Patricia. So wurde die Muggelstämmige Tyche Lennox noch herbeigerufen und erwähnte, wer für die Luftraumüberwachung zuständig sei. Patricia holte auf Anthelias Empfehlung ihren Drachenhautpanzer. Unter Anthelias Tarnumhang disapparierten sie, um in der Nähe der Luftraumüberwachungszentrale zu Erscheinen. Dabei erfuhren die beiden telepathisch begabten Hexen, daß gerade ein großes Getümmel im Gange war, weil ein unangemeldetes Flugobjekt aufgestiegen sei und nun in Richtung nordosten dahinflog. Doch als sie erfuhren, daß das Objekt wieder landete, mußte Anthelia rasch in den Überwachungsraum apparieren. Unsichtbar legilimentierte sie den Fluglotsen, dem der kalte Schweiß auf der Stirn stand. Das Objekt war genau dort in die Luft gestiegen, wo der Kraftwagen mit dem großen Laderaum gefahren war. Knapp sieben Kilometer entfernt sank es jedoch wieder zu Boden, ohne daß sein Führer sich über Funk gemeldet hätte.

"Das UFO ist gelandet", meinte der Kollege des mehr als sonst gestressten Lotsen.

"Mach keinen Scheiß, Lou", fauchte der sehr aufgeregte Fluglotse. "Ich will wissen, was das war."

"Solange ist's 'n UFO, Bob", meinte Lou kühl. Anthelia stand kaum drei Meter hinter ihm. Sie prüfte noch einmal, welchen genauen Standort die Markierungen bezeichneten. Dann disapparierte sie so leise es ging. Dennoch Schraken die beiden Lotsen zusammen, als es kaum vernehmlich hinter ihnen Plopp machte.

"Was war'n das jetzt?" Stieß Bob aus. Lou sah sich um, konnte aber nichts sehen.

"Wird der Bodenbelag gewesen sein, Bob."

"Das Geräusch habe ich bisher noch nie gehört hier", schnarrte Bob. Dann mußte er seine Aufmerksamkeit auf eine Frachtmaschine lenken, die den Luftraum von Philadelphia auf dem Weg nach Kanada durchquerte.

"Weißt du noch, was im letzten Sommer los war, wo diese Geistermaschine aus Kalifornien uns das Gruseln gelehrt hat?" Fragte Lou.

"Komm, hör mir auf! Das möchte ich nicht im Traum erleben, was die Kollegen durchgemacht haben." Damit war das geheimnisvolle Ploppen aus den Köpfen der beiden sehr beschäftigten Fluglotsen verschwunden.

Anthelia indes suchte Patricia auf und nahm sie bei der Hand, um ihr zeitraubende Anweisungen für das zielgenaue Apparieren zu ersparen. Keine zwei Sekunden später erreichten sie den von Anthelia legilimentisch ermittelten Standort. Tatsächlich stand keine hundert Meter entfernt jener mausgraue Transporter.

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"Sag deinen Jungs, die sollen den Bengel in nur zehn Sekunden in die Maschine rüberholen, Linus! Der Transporter ist nicht gegen Radarortung gesichert", sagte Titus.

"Weiß ich doch. Dein kleiner Trick mit dem Antiradarkristall. Die Lotsen funken sich bestimmt schon einen Wolf, weil sie den Transporter auf den Schirmen haben", erwiderte Price überlegen lächelnd. Dann gab er die Anweisung weiter und fügte hinzu, nur den Jungen zu holen. Der Fahrer sollte zu seinem Fahrzeug gelegt werden.

Keine Minute später meldete der Pilot Vollzug. Prices fliegendes Auge hatte das Absinken des Hubschraubers, das Auslösen des gefangenen Wagens und die Blitzlandung beobachtet. Tatsächlich waren vier der fünf Einsatzspezialisten herausgesprungen. Mit einer baugleichen Fernbedienung ließ einer die Heckklappe aufschwingen. Drei Mann sprangen hinein. Keine fünf Sekunden später kamen sie mit etwas über den Schultern aus dem Wagen herausgesprungen und stürmten zum Hubschrauber. Der vierte Mann warf etwas in den noch offenen Wagen. Dann hechtete er hinter seinen Kameraden her, während die Maschine bereits aufzusteigen begann. Er bekam wohl gerade noch eine Kufe zu fassen, konnte von einem Kameraden gepackt werden und gelangte in den Hubschrauber, der mit zwei Metern pro Sekunde aufstieg. Kaum war der letzte Einsatzspezialist an Bord, beschleunigte sich der Aufstieg um über zehn Meter, während die Maschine nach rechts vom Transporter fortschwenkte und dann mit zunehmender Vorwärtsbewegung davonknatterte.

"Phase drei abgeschlossen! Phase vier kann jederzeit stattfinden!" Meldete der Pilot.

"Kuck mal, wie schnell und gründlich meine Jungs gespurt haben", meinte Linus. Dann fragte er, was mit dem Fahrer sei. "Der liegt im Wagen", war die Antwort. So befahl er Phase vier, den Transport des Jungen zum Flughafen, nachdem sie kurz bei dem Haus von Linus Price gelandet waren und den Antiradarkristall ausgeladen hatten. Denn ein radarunsichtbarer Hubschrauber fiel auf einem optisch überwachten Flughafen unnötig auf.

"Bist du dir sicher, daß deine Funkgeräte NSA-sicher sind?" Fragte Titus jetzt erst.

"Ich habe den Jungs vom Fort einige interessante Geräte verkauft. Deshalb weiß ich auch, wie ich sie umgehen konnte. Aber das hatten wir doch schon, Titus."

"Wollte nur sicher sein, daß du dich nicht mit deinen eigenen Artgenossen anlegst und ... Ups!" Titus griff rasch nach den Bedienelementen für die Drohne und schaltete auf Nahaufnahme um. Da standen zwei Frauen vor dem Transporter, eine mit dunkelbraunen Haaren und eine strohblonde.

"Oha, die haben rausgekriegt, wo der Hubschrauber gelandet ist?" Fragte Linus und bellte in das Mikro: "Höchstgeschwindigkeit! Unerwünschte Zuschauer am Boden!"

"Die Rotorblätter glühen schon", erwiderte der Pilot grinsend.

"Titus, mach dir keine Gedanken um die beiden da unten. Wenn Mulligans Abschiedspost gut angekommen ist, sind die gleich genauso geschichte wie der Wagen."

"Könnte passieren", meinte Titus und spielte mit der Bildausschnitvergrößerung, um die beiden Frauen identifizieren zu können. Eine blickte gerade nach oben, wohl weil der schnell davonfliegende Hubschrauber noch zu hören war. Es war die Braunhaarige.

"Ei, wer sagt's denn, die junge Ms. Straton", flötete Titus und drückte den Knopf für Bildspeicherung. Leise setzte eine Festplatte ein, arbeitete eine Sekunde lang und verstummte wieder. "Die gehört also zu unseren Gegnern, Linus. Die zweite erkenne ich nicht."

"Du meinst sie gehörte zu unseren Gegnern. Denn in genau vier ... drei ... zwei ... Mist, die sind beide weg!" Linus hatte sich schon gefreut, die beiden Fremden gleich umfallen sehen zu können. Doch die hatten sich in der letzten Sekunde vor null auf der Stelle gedreht und waren einfach weg. Da zerplatzte auch schon der Transporter und wurde unter einem gleißenden Feuerball begraben.

"Oha, die haben gerade noch den Absprung geschafft", grummelte Titus. "Ich glaube nicht, daß wir die jetzt los sind."

"Wer war diese Frau, die du fotografiert hast?" Titus ließ das Bild ausdrucken und erzählte, daß patricia Straton eine sehr begabte Hexe sei und für ihr junges Alter sehr viel von Zauberkunst, Flüchen und Verwandlung verstehe.

"Dann ist sie vielleicht die Anführerin", meinte Linus. Titus schüttelte den Kopf.

"Eher nicht. Die ist noch zu jung dafür. Aber für Normalmenschen wie dich ist sie allemal zu heftig. Könnte sein ... Au Backe. Die strohblonde ist die Anführerin, Linus. Nachdem was in den Zeitungen stand ist sie die, die den Hurenkiller und seine Gebieterin erledigt hat und vor ein paar Wochen auch diesen Ruski hochgenommen hat, der mit geklonten Würdenträgern die Welt erobern wollte. Damit ist es jetzt amtlich, daß der Bursche, den du da geangelt hast von einer ganz gefährlichen Hexenbande kontrolliert wird. An deiner Stelle würde ich den nicht in deine Festung bringen, Linus. Lass ihn besser irgendwo ablegen, tot oder lebendig, solange die uns nicht draufkommen kann."

"Kommt jetzt ein wenig früh!" Schnarrte Linus. "Ich habe dich vor der Aktion gefragt, ob wir mehr Schwierigkeiten kriegen als sonst was", knurrte Linus. Ihm war klar, daß sein Schwager recht hatte. Wenn dieser Junge von einer wirklich mächtigen und skrupellosen Hexe überwacht wurde, würde er eine schier unbesiegbare Feindin bekommen, wenn er sich eine Blöße gab. Die intelligenteste Lösung war da bestimmt, den Jungen irgendwo über Pennsylvania aus dem Hubschrauber fallen zu lassen. Doch ihn interessierte es zu sehr, wie dieser Bursche unter die Überwachung der Hexe geraten war. Auf seiner kleinen Privatinsel, die Titus mit einem Unortbarkeitszauber versehen hatte, würde er ihn verhören lassen. Ihm war jedoch bewußt, daß er sich in keinem Moment dem Jungen gegenüber zu erkennen geben durfte, weil der dessen Stimme kannte. Doch für den Fall hatte Price schon vorgesorgt. Wenn seine Spezialisten den Burschen lange genug untersucht hatten und dabei vielleicht herausbekommen konnten, wie die telepathische Fernverbindung mit normalen Methoden angepeilt werden konnte, war es wohl immer noch früh genug, Cecil Wellington zu entsorgen. So blieb er gelassen und befahl die Fortsetzung von Phase vier.

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"In dem Fahrzeug ist niemand", sagte Anthelia. Dann trat sie an die Fahrerkabine heran und sah den Leibwächter Buck mit einer Schußwunde in der Stirn in seinem Sicherheitsgurt hängen. Sie hörte einen davonfliegenden Flugapparat und vermutete den Hubschrauber. Dann sah sie den großen Kasten mit dem Runden Gerät daran, das wie eine Uhr aussah.

"Die sind zu weit weg. Ich kann nichts mehr wahrnehmen", sagte Patricia.

"Weg hier, in dem Vehikel liegt eine Zerstörungsvorrichtung!" Rief Anthelia. Patricia verstand. Sie nahm Anthelias Hand und disapparierte mit ihr.

"Wir sind wieder um eine Winzigkeit zu spät angekommen", knurrte Anthelia. Patricia schnaubte wütend. Dann meinte sie:

"Jetzt reicht's, jetzt besorgen wir uns einen dieser Rückschauer!"

"Wenn du weißt, wie, sehr gerne", erwiderte Anthelia verärgert.

"Schwester Donata soll einen Anfordern. Wir lassen rumgehen, daß ein weiterer Wertiger aufgetaucht sei und das Ministerium ihn verfolgen lassen müßte. Schwester Donata hat ja gesagt, daß das amerikanische Ministerium mit dem Ffranzösischen verhandele, zwei solche Retroculare zu erwerben. Die Wertigersache könnte endlich den entscheidenden Durchbruch bringen."

"Gut, du weißt, daß dieses innovative Gerät nur die letzten achtundvierzig Stunden zurückblicken kann. Ich werde mit Schwester Donata sprechen", sagte Anthelia und verfiel sogleich in eine entsprechende Erstarrung. Patricia überlegte, wie sie einen neuerlichen Wertigervorfall simulieren konnten, damit das Ministerium in ihrem Sinne Druck machte. Bekanntermaßen ging eine Wertigerverwandlung mit einem kurzen Aufflackern und dann unter das Grundniveau abfallenden Magiepotential einher. Doch Donata war bestimmt in der Lage, derartige Aufzeichnungen zu fingieren.

"Sie muß einen Vorfall nachstellen, Schwester Patricia. Dann bekäme sie bestimmt die Erlaubnis, um ein solches Artefakt zu bitten", sagte Anthelia.

"Eigentlich wäre ein Zeitumkehrer wirkungsvoller. Dann könnten wir die Entführung an sich verhindern", meinte Patricia.

"Mit derartigen Dingen will ich lieber kein Schindluder treiben. Das Gewebe von Raum und Zeit ist wahrlich ein komplexes Ding, in das ich nicht hineinfuhrwerken möchte. Abgesehen davon könnte der Entführer es später erneut versuchen. Und immer die Vergangenheit zu ändern dürfte katastrophal verlaufen. Selbst meine Tante warnte vor Zeitzaubern. Allein die Rückschau reicht mir schon aus, Schwester Patricia."

"Wenn ich bedenke, daß Ex-Minister Pole wegen eines solchen Dings im Gefängnis gelandet ist verständlich", meinte Patricia resignierend. Dann planten sie den vermeintlichen Wertigerangriff auf eine Muggelsiedlung, wobei Anthelia und Patricia sich einen Trick zu Nutze machten, der für einen Moment einen Potentialabfall simulieren konnte. Sie bezauberten in einer stillen Seitenstraße einen Laternenpfahl mit zwei sich gegenseitig aufhebenden Zaubern, worauf für genau eine Sekunde ein leichter Abfall des Grundniveaus entstand, bis sich beide Zauber aufgebraucht hatten. So ähnlich, wenn auch wesentlich stärker mußten die Incantivacuum-Kristalle funktionieren, vermutete Patricia Straton. Dann veränderten sie die Gedächtnisse verschiedener Passanten so, daß alle glaubten, einen überlebensgroßen Tiger aus einem Haus kommen und wegrennen gesehen zu haben, allerdings vor Schreck vergessen hatten, aus welchem Haus genau der Tiger gekommen war.

Donata Archstone sprach bei Minister Cartridge vor, der ihr nach Vorlage der Aufzeichnungen die Erlaubnis gab, sich im französischen Zaubereiministerium ein Retrocular zu besorgen. So reiste Donata nach Paris, wo sie sich mit dem Leiter der dortigen Strafverfolgungsbehörde traf. Nach drei Stunden bekam sie ein kleines Paket ausgehändigt, dessen Empfang sie quittieren mußte.

"Sagen Sie Ihrem Minister, dafür hätten wir gerne drei Harvey-Besen", sagte Belenus Chevallier seiner amerikanischen Kollegin. Diese nickte. Quid pro quo hieß die alte Formel oder auch Manus Manum lavat. Sie kehrte in ihr Büro zurück, schickte dem Minister eine Rohrpost, daß sie nur ein Retrocular hatte loseisen können aber dafür drei Harvey-Besen als Gegenleistung gewünscht würden. minister Cartridge war zwar etwas ungehalten, verstand aber, daß in dieser Situation eine Ausnahme vom üblichen gemacht wurde. Jemanden über achtundvierzig Stunden zurückzuverfolgen war genauso mächtig wie eine Verfolgung oder Transportaktion auf unsichtbarem Besen. Er würde sich noch einmal mit seinem Kollegen Grandchapeau über einen grundlegenden Austausch wichtiger Artefakte unterhalten. Donata solle in dieser Zeit den neuerlichen Wertiger aufspüren und wenn möglich lebend einfangen. Donata bedankte sich und eilte mit dem offiziell überlassenen Artefakt aus der Zauberschmiede von Florymont Dusoleil an den Ort, wo angeblich der Wertiger gesichtet worden war. Dort traf sie sich mit Anthelia und Patricia Straton, die die Bemühungen der Jäger gefährlicher Geschöpfe überwacht hatten, bis diese abgerückt waren.

"Ich habe denen gesagt, daß ich den flüchtigen Wertiger aus der Luft zurückverfolge und dann erst melde, wo er ist, wenn ich sicher bin, daß er nicht mehr weiterläuft", sagte Donata Archstone. "Ihr wißt ja, daß ich mich gerade sehr sehr weit aus einem hohen Turmfenster lehne. Hoffentlich ist die Sache es wert."

"Wenn wir dadurch einen sehr wichtigen Kundschafter behalten und einen möglichen Gegner bezwingen, bevor dieser zu mächtig wird allemal, Schwester Donata", sagte Anthelia und übernahm das kleine Kästchen mit dem Retrocular.

"Ist es das einzige, was sie dir überlassen haben, Schwester?" Fragte Anthelia. Donata nickte. Anthelia machte eine beruhigte Mine. "Es wäre höchst unangenehm, wenn sie ein weiteres Instrument dieser Art benutzen würden, um uns hier zu entlarven. Wir müssen eventuell einen Zauber erfinden, um jede nachträgliche Beobachtung zu vereiteln."

"Gibt's schon", sagte Donata. "Chevallier wollte nicht so recht damit herausrücken. Aber Sie hatten Probleme mit entschlossenen Schwestern, die den Kreis der Unbeobachtbarkeit gezogen haben. Offenbar wirkt seine Magie auch gegen die Rückschaubrille."

"Ich finde es sehr erfreulich, derartige Dinge noch rechtzeitig zu erfahren, um mich darüber zu erzürnen, daß ich sie nicht schon früher hätte anwenden können", knurrte Anthelia. Doch dann bedankte sie sich bei Donata Archstone und gelobte, ihr das nützliche Sehwerkzeug unversehrt zurückzugeben. Sie, Donata, solle in der Zwischenzeit in Deckung gehen und ab und an einen Kurzbericht erstellen. Der Wertiger würde sie entdecken, sie angreifen und dabei von ihr mit einem nichtmagischen Flammenwerfer verbrannt werden. Donata nickte. Dann verschwanden Anthelia und Patricia.

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Das Knattern der Rotorblätter klang für Linus Price wie ein schönes, wenn auch bedrohliches verheißendes Musikstück. Er saß in der kleinen Kontrollkabine des Jets und dirigierte gerade die Überwachungsdrohne so um, daß sie in Kamikazemanier gegen einen hohen Berg krachte und dabei in Millionen Einzelteile zerschellen würde. Er dachte daran, daß solche Fluggeräte einige Millionen Dollar kosteten und freute sich, daß er sie selbst produzieren ließ und für ein Zehntel des Verkaufspreises nachbauen konnte. Als der Hubschrauber kurz vor der Maschine landete, holte sich der Pilot des Learjets gerade die Starterlaubnis ein. Die zwei Düsentriebwerke liefen bereits warm. Drei Männer aus dem Hubschrauber trugen einen sackartigen Gegenstand im Geschwindschritt zum Jet, stürmten die kleine Leiter hinauf und kamen an Bord. die beiden verbliebenen Spezialisten blieben bei der Maschine. Die Seitentür des Hubschraubers schloß sich. Dann hob der Drehflügler vom Boden ab und machte Platz, damit der Learjet anrollen konnte, sobald die Leiter eingefahren und die Tür druckdicht verschlossen war. als die Tür zuschlug vermeinte Linus, das Klopfen des Schicksals zu hören. Hatte er sich damit jetzt ein Kuckucksei ins Nest geholt oder die Gans, die ihm goldene Eier legen würde?

Das kleine Flugzeug fuhr los, rollte über das kleine Feld für Privatmaschinen bis zur vom Tower zugewiesenen Startbahn. Dann gab Pat, der Pilot Vollgas. Er wußte nicht, was Linus im letzten Moment noch an Bord genommen hatte. Er hatte nur die Anweisung bekommen, die Landung und den Start des Hubschraubers abzuwarten und dann unverzüglich zu starten, sofern ihm die Erlaubnis erteilt wurde. Jetzt raste Prices Privatjet über die Betonpiste, bekam immer mehr Tempo. Der Luftstrom unter den Tragflächen wurde immer stärker und der durch die Strömung entstehende Unterdruck über den Tragflächen wuchs ebenfalls. Dann hob die Maschine ihre Nase und stieg nach oben. Laut heulend jagte das Flugzeug über die niedrigeren Flughafengebäude hinweg und gewann weiterhin an Höhe und Geschwindigkeit, während das Fahrwerk schon in seiner Lagerung verschwand, um den Luftwiderstand auf das Minimum zu verringern. Keine Minute später hatte das kleine Düsenflugzeug die Wolkendecke erreicht und bahnte sich seinen Weg durch die dickbäuchigen, grauen Wasserdampfungetüme. Als der Pilot nach zwei weiteren Minuten verkündete, daß sie nun die Reiseflughöhe erreicht hatten und Kurs auf Golden Castle Island genommen hatten, atmeten alle bei Bewußtsein befindlichen Passagiere sichtlich auf. Jetzt konnte ihnen niemand mehr was.

"Ich muß dich loben, Linus. Dein Plan und deine Leute haben wie eine schweizer Uhr funktioniert", meinte Titus anerkennend. "Jetzt kann die blonde Hexe kucken, wo wir bleiben."

"Meinst du, sie könnte die Verbindung mit dem Jungen über mehr als fünftausend Kilometer aufrecht erhalten?" Fragte Linus Price.

"Nun, ich vermute, sie hat ihn irgendwie präpariert. Noch ist ja auch nicht ganz sicher, ob sie ihn nicht gegen eine von ihr geschaffene Kreatur ausgetauscht hat. Wir sollten unseren Gast auf jeden Fall so lange es geht unter Narkose halten und erst wieder aufwachen lassen, wenn er in einem ausbruchssicheren Raum ohne Fenster ist."

"Wieso ohne Fenster?" Fragte Linus. Doch dann zuckte er zusammen. Natürlich sollte der Bengel nicht sehen können, welche Tageszeit gerade war und wie es um ihn herum aussah, oder welche Sterne am Himmel standen. So ließ er dem unter einer atmungsaktiven Tarndecke liegenden Jungen die Armbanduhr fortnehmen und sagte einem seiner Männer, der ein Spezialist für Notrettung und Anästehsie war, er möge den Gast in einem bewußtlosen Zustand halten, sofern er dabei keinen gesundheitlichen Schaden nahm.

"Nun, grundsätzlich ist Narkose ein schwerer Eingriff, Mr. Price", sagte der Arzt. "Aber ich habe die Dosierung entsprechend eingestellt. Die Beatmung läuft auch im verantwortbaren Rahmen."

"Habt ihr ihm das Mobiltelefon schon weggenommen?" Fragte Price. Die drei Helfer nickten.

"Wir haben es gleich aus dem Hubschrauber geworfen, als wir den Jungen drin hatten. Dieser Gorilla hat doch getönt, das Ding hätte einen versteckten Satellitenpeilsender. Jetzt können die sehen, wo es runtergefallen ist."

"Sehr gut", erwiderte Price.

"Fliegen wir nonstop nach Golden Castle Island?" Fragte Titus. Linus nickte. "Die Zusatztanks geben uns genug Reichweite, um in einem Rutsch hinzukommen. Da die Insel außerhalb der amerikanischen Hoheitszone liegt wird uns dort keiner behelligen, der den Jungen sucht."

"Das wollen wir hoffen, Linus", seufzte Titus. Er überlegte schon, ob er sich nicht bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit absetzen sollte und Linus mit seinem Schicksal alleine Fangen spielen ließ. Denn er hatte seinem überbegüterten Schwager nicht alles erzählt, was er über die blonde Hexe gehört hatte. Außerdem könnte er beim Ministerium schönes Wetter machen, wenn er denen verkaufte, daß Patricia Straton einer nicht zugelassenen Schwesternschaft angehörte. Doch allein dieses Wissen bedeutete für ihn großen Ärger. Nein, er wollte erst einmal sehen, wie weit Linus sein Spiel mit dieser blonden Hexe treiben konnte. Mochte ja sein, daß die wirklich nicht dahinterkam, wohin sie ihren Spion brachten.

Mehr als zwölf Stunden später, knapp an der Treibstoffuntergrenze, ging der Learjet in den Landeanflug über. Der Pilot ließ die Maschine von einem speziell codierten Leitstrahl einweisen, ohne großen Funkverkehr betreiben zu müssen. Price hatte den kleinen Flughafen vor vier Jahren errichten lassen, als es ihm gelungen war, die ansonsten unwirtliche Felseninsel im nördlichen Pazifik, 480 Kilometer westlich von Vancouver, für weniger als einhundert Millionen Dollar zu kaufen. Diese Insel wollte niemand so recht haben. Dort wohnte niemand, und so deklarierte Price sie als Privatbesitz, zahlte den zuständigen Organisationen und Behörden die anfallende Summe und behaupttete, dort ein klimatisiertes Ferienzentrum für sich und handverlesene Gäste zu errichten. Tatsächlich hatte er die Insel zu seinem eigentlichen Stützpunkt gemacht, in die hohen Felsen tiefe Stollen graben und Hallen errichten lassen. Er hatte es sogar unter drei oder vier Händen hindurch erreicht, daß jedes Jahr zwei Tonnen Atommüll aus aller Welt verschwanden, bevor sie zwischen- oder endgelagert wurden. So war es ihm möglich, ein paar von ihrer Landesregierung nicht mehr benötigten ukrainische Atomkraftwerker einzukaufen, die dann einen kleinen Reaktor nach dem Modell eines schnellen Brüters westlicher Technologie zusammensetzten und seitdem für annehmbare Gagen und Naturalien am laufen hielten. An der oberfläche der Insel ragte eine große Glaskuppel heraus, unter der drei Bungalows, eine Gartenanlage und ein Gemeinschaftshaus für Tanz, Kino oder Privatkonzerte standen. Doch der Atommeiler mit seinen Brennstoffvorräten ruhte knapp einen Kilometer tief im Felsgestein unter der Insel und konnte bei einem Strahlungsleck mit einer betonartigen Mineralmasse verschlossen werden. Um keine verräterischen Infrarotspuren des zur Stromgewinnung nötigen Wassers zu verursachen liefen mehrere Spiralen mehrere Dutzend Zentimeter dicker Rohre um den Reaktorkern herum, die von innen nach außen das erhitzte Wasser abkühlten und von außen nach innendurch ein einziges durchgängiges Rohr entsalztes meerwasser ins System pumpte. Die Anlage konnte 500 Megawatt Strom erzeugen, dreimal mehr als die elektrischen Anlagen auf der Insel benötigten.

"Willkommen in meiner goldenen Burg, Mr. Cecil Wellington, oder wie du heißt", sagte Linus Price überlegen, als der narkotisierte Junge von einem Sanitätertrupp auf eine Trage gehoben und aus dem Jet gebracht worden war. In einer Stunde konnte er mit seinen Experimenten anfangen. Seine Genforscher konnten schon einmal Gewebeproben nehmen, bevor die Neurologen und Internisten, die er sich im Laufe der Jahre kultiviert hatte, ihre Arbeit beginnen konnten.

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Voldemort atmete auf, als der Teppich nach anderthalb Flugtagen auf einer kleinen Lichtung mitten im indischen Dschungel landete. Die Luft war heiß und feucht wie in einer Waschküche. Alle möglichen Urwaldgeräusche drangen an die Ohren des dunklen Lords. Er prüfte noch einmal, ob der von ihm gebraute Trank gegen Dschungelfieber und Malaria in Griffweite war. Alcara sah sich um. Das war nicht seine Welt, erkannte Voldemort. Die Urwaldriesen mit ihren ausladenden grünen Wipfeln, die über neun zehntel des Sonnenlichts schluckten gehörten nicht zu Alcaras bevorzugter naturlandschaft. Das Rascheln im Unterholz und die Laute der hier lebenden Tiere machten den Golemmeister auch nicht gerade heiter. Voldemort lauschte indes auf einige leise Stimmen, die von Hunger und Futter sprachen. Also waren sie hier richtig. Hier gab es genug Schlangen, die er bald als seine heimlichen Helfer in Marsch setzen würde. Doch vorher galt es, die gerade vom gelandeten Teppich herabsteigenden Golems mit muggelmäßigen Brandwaffen auszustatten. Voldemort hatte eigentlich an Flammenwerfer gedacht. Doch die feuchtheiße Luft, die jeden seiner Atemzüge zu einem Kraftakt machte, sprach gegen eine solche Waffe, da der Brennstoffstrahl aus dem Zielrohr beim Austritt gezündet werden mußte und diese unerträglich werdende Luft den Zündmechanismus sicher schnell unbrauchbar machen würde. So mußte er sich etwas anderes suchen, während Alcara die restlichen Golems holte.

"Kehre zurück und bring die nächsten zehn an!" Befahl Voldemort und genoß den leichten Nachhall, den seine Worte an den Stämmen der jahrhunderte alten Baumriesen erzeugte. Mochte Alcaras bevorzugte Naturlandschaft die Wüste sein, Voldemort bevorzugte doch eher gemäßigtes Waldland oder Sümpfe. Alcara nickte dankbar und ließ seinen Teppich zusammenrollen. Dann klemmte er ihn sich unter den linken Arm und disapparierte. Voldemort sah die Golems an. Alcara hatte ihnen gesagt auf seine Befehle zu hören, solange er ihnen nicht befahl, ihren Schöpfer anzugreifen. Doch im Moment genügte es dem dunklen Lord, daß er diesen Kolossen, deren Füße halb im feuchten Urwaldboden einsanken, die Handhabung der von ihm nun zu besorgenden Waffen beibringen konnte. Er überlegte, wo die nächste große Stadt lag und peilte in die Richtung. Dann verschwand auch er. Die Golems erstarrten wie gewöhnliche Statuen. Jeder, der sie jetzt so sah, würde an uralte Götterstandbilder denken, die irgendwer mitten in diese grüne Hölle gestellt hatte.

Mit seinen Kenntnissen über die Muggelwelt, die er sonst so abgrundtief verachtete war es Voldemort ein leichtes, einige Einheimische auszuforschen, wo die nächste größere Armeebasis lag. So apparierte er mitten in der Nacht durch alle Zäune, Alarmvorrichtungen und Wachposten hindurch in das Arsenal für tragbare Waffen. Hier stellte er fest, daß sein Wissen über Muggelwaffen doch arg zu wünschen übrig ließ. Hinzu kam, daß er es versäumt hatte, die wichtigsten indischen Hochsprachen in Wort und Schrift zu erlernen. Alcara konnte einige davon, wußte er. Andererseits war die Arbeitsteilung so ganz in Ordnung, wenn der Golemmeister seine kleine Streitmacht heranholte und der Herr und Meister die notwendige Bewaffnung beschaffte. Nach zehn Minuten, in denen er höllisch aufpassen mußte, nicht von den Patrouillen aufgestöbert zu werden, fand er endlich einige Waffen, die auch in Englisch beschriftet waren. Tatsächlich hatten sie hier kleinere Schußvorrichtungen für Raketen, deren Spitzen leicht entflammbare, sehr heiß brennende Chemikalien enthielten. Er prüfte die Elektronik und erkannte, daß er für dieses Gerät doch eine Schulung benötigte. Deshalb machte er absichtlich einen gewissen Lärm, bis zwei Wachsoldaten auf ihn aufmerksam wurden. Mit unhörbaren Erstarrungszaubern machte er sie bewegungsunfähig. Dann durchforschte er ihre Erinnerungen, lächelte dämonisch und nahm seinen zauberstab zur Hand. Natürlich hatte er wie jeder mächtige Zauberer gelernt, die eigenen Erinnerungen zu entnehmen oder fremde Erinnerungen zu extrahieren. So sog er mit dem Zauberstab alle nötigen Erinnerungen aus den Gedächtnissen der beiden überrumpelten Soldaten und übertrug sie auf sich selbst. Damit lernte er innerhalb von fünf Minuten das, wofür Muggelsoldaten einen mehrmonatigen Lehrgang durchlaufen mußten. Außerdem erfuhr er auf diese Weise noch, wo er leichtere Brandverursacher wie Signalpistolen und die dazugehörige Munition finden konnte. Mit dem Imperius-Fluch zwang er die beiden Soldaten, für ihn Wache zu stehen und zu jedem befohlenen Zeitpunkt die Routinemeldung durchzugeben. Neben den Signalpistolen holte er sich auch die tragbaren Raketenwerfer, die Brandgeschosse abfeuern konnten. Als er so innerhalb von zwei Stunden unter den Nasen der Soldaten zehn Raketenwerfer mit je fünf passenden Raketen, mehrere dutzend Brandsätze und vier Signalpistolen mit je zwanzig Schuß Leuchtspurmunition entwendet hatte, schickte er seine beiden persönlichen Wachposten los, um in der Anlage Aufruhr zu verursachen, so daß der Kommandant dieser so großzügigen Waffenkammer von einem Überfall irgendwelcher Rebellen ausgehen mußte. Wenn die dann den angeblichen Aufstand niedergeschlagen hatten würde sich zeigen, daß jemand in der Zeit einiges an Waffen hatte mitgehen lassen. Das würde die Muggel schön bei Laune halten. Er kehrte zu den Golems zurück, wo er die zusammengerafften Waffen angehäuft hatte und erklärte den Kolossen die Handhabung der Raketenwerfer und Brandsätze. Zwar war Feuer auch der Feind der Golems, doch sie besaßen weder einen Selbsterhaltungstrieb noch die Möglichkeit, einen Befehl zu verweigern. Zwischendurch parselte er den vorbeigleitenden Schlangen zu, nach mehreren großen Steinbauten zu suchen. In jede Himmelsrichtung sandte er die von ihm so geschätzten gliederlosen Kundschafter aus, darunter auch drei Königskobras, die ihn ursprünglich als lästigen Eindringling angesehen hatten, bis er seine ganze Parselmundautorität einsetzte und die hochgiftigen Reptilien seinem Willen unterwerfen konnte.

"Das macht diese grüne Hölle so sympathisch. An jeder Ecke kriecht eine Schlange durchs Gestrüpp", lachte Voldemort, als er an die drei Dutzend kleinere und größere Schlangen in Marsch gesetzt hatte. Sogesehen brauchte er jetzt nur noch zu warten, bis ihm der genaue Standort des Tigertempels gemeldet wurde.

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Anthelia flog auf einem Harvey-Besen unsichtbar über die Straße, wo der Kleintransporter zuletzt gestanden hatte. Immer noch qualmten die Trümmer des in die Luft gesprengten Fahrzeugs. Irgendwo mochten noch verkohlte Überreste des einfältigen Verräters liegen, der gemeint hatte, seinen Verrat länger als ein paar Minuten überleben zu können. Inzwischen war in Harrisburg und Umgebung die Hölle los. Senator Wellingtons Sohn war entführt worden, und alle Polizeitruppen, das FBI und die Geheimdienste arbeiteten mit Hochdruck daran, die Entführung aufzuklären und falls möglich die Geisel zu befreien und den oder die Entführer dingfest zu machen. Patricia Straton hatte sich in ihrer Muggelweltrolle als Liberty Grover der Pressemeute angeschlossen, die begierig nach den neuesten Sensationen und seriösen Fakten lächzte. Anthelia selbst wollte das im Namen des amerikanischen Zaubereiministeriums beschaffte Retrocular benutzen, um den Hubschrauber nachträglich verfolgen zu können. Die Bedienungsanleitung war auf Französisch, Spanisch und Englisch verfaßt worden. Also dachten sie im französischen Zaubereiministerium schon daran, auch mit ihren südwestlichen Nachbarn magische Gerätschaften auszutauschen. Jedenfalls mußte Anthelia die einfache Bedienung und die durchschlagende Wirkungsweise der Brille bewundern, die zunächst einen Blick wie in dunkles Blau gewährte, bis mit wenigen Handgriffen an die Bügel oder über die Nase der Rückschauzauber eingestellt wurde. Anthelia hatte die Flut der bunten Bilder nur eine Sekunde lang angesehen, die mal eben einen vollen Tag verstrichene Ereignisse zurückrasten. Dann suchte sie mit wesentlich langsamerem Tempo vorwärts, wobei sie auch die kleine Zeitanzeige benutzte, die ihr verriet, wie viele Stunden in der Vergangenheit die gerade gesehenen Ereignisse lagen. Dann sah sie, was sie sehen wollte, den anfliegenden Hubschrauber, dessen Landung und wie mehrere Männer ausstiegen und innerhalb von wenigen Sekunden den Kraftwagen enterten. Sie benutzte die Zeitdehnungsfunktion, um jede einzelne Phase des Angriffs und den Abtransport des Jungen zu verinnerlichen. Sie sah die Gesichter der Männer, die es offenbar nicht nötig gehabt hatten, sich zu vermummen. Das war für diese Leute ein schwerer Fehler. Sie sah, wie einer von ihnen den Fahrer und Leibwächter des Jungen kaltblütig in den Kopf schoss bevor sie dann innerhalb von weniger als zwanzig wahrhaftigen Sekunden in ihre Flugmaschine zurücksprangen und davonflogen. Sie wartete nicht, bis ihr das Retrocular ihre und Patricias Ankunft zeigen würde, sondern saß auf ihrem Besen auf und folgte dem Hubschrauber, wobei sie seinen Flug in natürlicher Geschwindigkeit verfolgen konnte. Diese Drehflügelmaschinen konnten wohl nicht so schnell fliegen wie ein moderner Flugbesen. Doch irgendwie bekam der Hubschrauber doch etwas mehr Abstand. Doch Anthelia verzögerte die Geschwindigkeit nur ein wenig, um mit ihrem Besen bei normaler Reisegeschwindigkeit gleichen Abstand halten zu können. Von unterwegs mentiloquierte sie Patricia Straton die Daten über den Hubschrauber. Vielleicht konnte sie, wenn sie es richtig anstellte, die Muggel auf den Besitzer dieser lärmigen Apparatur kommen lassen.

Tatsächlich umspielte Patricias Mund ein triumphierendes Lächeln, als sie die Angaben zugedacht bekam. So tippte sie an den kleinen Ring, den sie am kleinen Finger der rechten Hand trug, worauf es aus ihrer muggelmäßigen Handtasche zu trällern begann. Diesen Trick hatten Patricia und Tyche Lennox ausgeheckt, um so tun zu können, als würde jemand wichtiges anrufen. Sie zog das präparierte Mobiltelefon hervor, während sie die vorwurfsvollen Blicke der "pressekollegen" über sich ergehen ließ und der gerade so schön im Beamtenstil redende Polizeichef seinen Satz noch einmal beginnen mußte. Sie hielt sich das Telefon ans Ohr und wisperte was hinein, wobei sie sich dezent zurückzog, um den Fluß der Erklärung nicht weiter zu stören. Eine Minute später trat sie in den Pressesaal zurück, wo der Senator sie mißtrauisch vom Podium aus beäugte. Als der Polizeichef gerade mit seiner Ansprache durchh war, winkte Patricia Straton ihm zu. Der Beamte sah sie an und winkte ihr zu, an das Mikrofon zu treten. Doch sie schüttelte den Kopf und ging weiter nach vorne. Der Polizist kam herunter und sah sie an.

"Ich finde, das Leben des Jungen geht vor die Exklusivstory. Vielleicht kann ich beides miteinander vereinen", begann Patricia leise.

"Worum geht's?" Fragte der Leiter der Polizeibehörde Harrisburg.

"Ein Kollege von mir hat einen anonymen Hinweis auf einen Hubschrauber erhalten, der einen mausgrauen Transporter an einer Magnetvorrichtung herumgeschleppt hat. Der zeuge hat dann mit einem Fernrohr die Maschine beobachtet, bis er sie nicht mehr sehen konnte."

"Magnetvorrichtung. Ist ja wohl lächerlich", knurrte der Beamte und wollte sich schon zurückziehen. Da sagte Patricia:

"Das Nummernschild des Transporters haben Sie nicht verkündet, nicht wahr?" Der Polizeichef schüttelte den Kopf. Dann nannte Patricia ihm das Nummernschild und die Kennzeichen des Hubschraubers. Auf die Frage, wer dieser anonyme Zeuge sei und warum er sich nicht gleich bei der Polizei gemeldet habe, wenn so ein Transporter am Magneten doch sehr auffällig war konnte Patricia keine Antwort geben. Dann sollte sie den Namen des Kollegen preisgeben. Das tat sie auch und mentiloquierte Tyche, die die Pressekonferenz in einem Hotel in Philadelphia verfolgte, den betreffenden Reporter mit einem Gedächtniszauber die Erinnerung einzutrichtern, er habe einen Anruf bekommen und die Angaben zu Hubschrauber und Fahrzeug erhalten mit dem Versprechen, nicht nach der Quelle der Information zu suchen. Damit war das Wespennest richtig im Schwung. Der Polizeichef unterrichtete den Senator, der wiederum einem unauffällig dastehenden Mann ein paar Sätze zuflüsterte. Patricia erkannte den diskreten Gentleman als stellvertretenden Leiter des FBIs von philadelphia. Der würde wohl recht schnell herausbringen, wem der Hubschrauber gehörte. Allerdings, so konnte Patricia aus den zu ihr herüberwehenden worthaften Gedanken entnehmen, sei kein fliegender Hubschrauber auf dem Radar der Flugüberwachung aufgetaucht. Das verhieß nichts gutes. Womöglich besaß der Hubschrauber einen Tarnanstrich wie jene sogenannten unsichtbaren Bomber, oder hatte eine aktive Radarstörvorrichtung an Bord. So erklärte sich auch, daß die Fluglotsen nur den Flug des Transporters auf ihren Schirmen hatten. Was dabei herauskommen würde konnte Patricia in Ruhe abwarten. Möglich war es, daß man ihr unangenehme Fragen stellen mochte. Doch da sie wie Anthelia Gedanken schon hören konnte, bevor sie laut ausgesprochen wurden, machte sie sich keine Sorgen darüber. Wichtig war, den Eigner oder Benutzer des Hubschraubers zu ermitteln. Zwar konnte Anthelia ihm nun ganz gemütlich hinterherfliegen, obwohl er schon vor mehr als acht Stunden das betreffende Gebiet passiert hatte, aber zu wissen, bei wem er landen würde konnte schon praktisch sein, bevor klar war, wo er landen würde.

Die Pressekonferenz verlief nun etwas hektischer. Die vermeintlichen Reporterkollegen bestürmten Patricia Straton alias Liberty Grover mit Fragen, ob sie einen Tipp bekommen habe und ob sie mehr wisse als die geballte Polizeimacht. Sie verwies darauf, daß sie ihrer Zeitung gegenüber eine Loyalitätspflicht eingegangen sei, die beinhalte, daß sie als direkt erhaltene und nur von ihrer Zeitung auszuwertende Informationen nicht an andere Medien weitergeben dürfe, wenn die Redaktion dies nicht erlaube. Einige kannten diese gemeine Regelung auch aus ihren eigenen Firmen, erkannte Patricia und wetterte weitere Fragen mit einem kalten Lächeln ab. Als sie es schaffte, sich abzusetzen erhielt sie von Anthelia eine weitere Botschaft:

"Der Drehflügler landete auf einem Anwesen westlich von Harrisburg. Ich traf dort gegenwärtig niemanden mehr an, sah jedoch, wie ein kristallines Objekt entladen und ins Haus gebracht wurde. Ich folgte den vor mehr als acht Stunden im Haus herumlaufenden Männern und konnte sehen, daß sie den Kristallkörper in einen Tresor einschlossen, dessen Kombination ich erheischen konnte. Ich werde erst einmal nachsehen, was das ist und dann meine Verfolgung fortsetzen."

"Hüte dich vor Alarmanlagen im Tresor, höchste Schwester! Schwester Tyche sagt, die ließen sich durch einen Erstarrungszauber blockieren."

"Danke für die Warnung!" Mentiloquierte Anthelia zurück. zwei Minuten später erfolgte die nächste Nachricht. "Höchst interessantes Artefakt. Es ist kein gewöhnlicher Kristall und auch kein elektrisches Etwas der Unfähigen. Es strahlt eine magische Aura aus, die zu schwach ist, um einen mächtigen Zauber zu bezeichnen, aber in ihrer Ausprägung geeignet ist, gerichtete elektrische Felder und Signale zu zerstreuen. Unser Widersacher hat Kontakt zu einem von unserer Welt, der wiederum genug über die Welt der Unfähigen weiß, um deren Fernortungsgerätschaften zu täuschen. Gib diese Kunde unverzüglich an Schwester Donata weiter, da ich mich nun wieder auf die Spur der DaVinci-Flugmaschine setze!"

"Natürlich, höchste Schwester", bestätigte Patricia und reichte die erhaltene Botschaft an Donata Archstone weiter. Also kannte der Entführer von Cecil Wellington mindestens einen Zauberer oder eine Hexe. Es war auch zu vermuten, daß dieses Mitglied der magischen Welt muggelstämmig sein mochte, weil es sich gut genug mit elektronischen Geräten auskannte, um einen einfachen, schwachen Zauber auf einen Kristall zu legen, der auftreffende Radarwellen schlucken oder zerstreuen konnte. Sie wußte, daß magische Fluggeräte wie Besen über genug eigene Magie verfügten, um die Funkmeßvorrichtungen der Muggelwelt zu stören. Magische Tierwesen wie Drachen oder Abraxarieten strahlten über dies die Magie lebendiger Wesen aus, die künstliche Elektrizität sehr wirkungsvoll unterbrach.

"Ms. Grover", sprach Patricia ein Mann im braunen Anzug an, den sie bereits als CIA-Agenten erkannte, bevor er den Mund aufgemacht hatte.

"Was kann ich für Sie tun?" Fragte sie.

"Ich bin Thomas maywood von der föderalen Aeronautikadministration FAA. Sie haben Comissioner Portland zugetragen, Sie hätten Hinweise auf einen Helikopter, der zum fraglichen Zeitpunkt einen grauen Kleintransporter befördert haben solle. Woher hat ihr Kollege diese Informationen genau?"

"Darf ich davon ausgehen, daß Sie bereits ermittelt haben, wem der Helikopter gehört?" Fragte Patricia zurück. Der Mann, der schon bei der Namensnennung gelogen hatte - wie sie ja auch - ließ einen wilden Schwarm von Gedanken durch sein Hirn brausen. Sollte er dieser mysteriösen Lady jetzt verraten, daß der Hubschrauber zur persönlichen Helikopterflotte von Linus Price gehörte oder nicht? Sollte er ihr jetzt verraten, daß diese Maschine nur vom Anwesen von Price aus gestartet und nur am Flughafen gelandet war? Nein, er mußte seinen Job machen und fragen, woher sie die Kennzeichen hatte. Womöglich wollte da jemand den angesehenen Milliardär hinhängen, wenngleich seine Firma den doch auch schon länger auf dem Radar hatte, weil er angeblich mit Drittweltstaaten verhandelte und nicht ausgeschlossen war, daß er im Waffenhandel tätig war.

"Das tut jetzt nichts zur Sache", sagte der Mann, der sich Maywood nannte laut. "Es geht uns darum, zu klären, ob der betreffende Zeuge daherphantasiert oder tatsächlich diesen Hubschrauber gesehen hat."

"Hmm, Sie sind von welcher Firma?" Fragte Patricia noch einmal. Bei dem Wort fühlte sie, wie Gedanken auf sie einströmten, daß der Mann sich fast ertappt fühlte.

"Föderale Aeronautikadministration. Wir sind mit der nationalen Transportsicherheitsbehörde für die Luftraumüberwachung und Abwicklung des Flugverkehrs zuständig", sagte der Mann. Patricia nickte und sagte ihm, daß sie die Information über den Namen des Zeugen und warum der sich erst so spät gemeldet habe nicht erhalten habe. Dabei schlenderte sie wie automatisch aus dem Saal, durch einen Seitengang, der Fremde argwöhnisch dreinschauend neben ihr her. Als sie sicher war, daß sie außerhalb der Bilderfassung der Überwachungskameras waren und keiner ihnen zusah sagte sie ruhig: "Allerdings kann ich den Kollegen gerne noch einmal anrufen und ihn Ihnen geben. Wenn er Ihnen abkauft, daß Sie von der Flugüberwachungsbehörde sind..." Sie griff vorsichtig an ihre Tasche. Der CIA-Agent war darauf gefaßt, Gleich eine Waffe zu sehen zu bekommen. Doch anstatt einer schnuckeligen Damenpistole holte sie doch nur das Handy heraus und tippte daran herum. Dann verzog sie das Gesicht. Sie murrte, daß das Ding wohl wieder kaputt sei. Der Mann nahm es ihr aus der Hand und fingerte an den Tasten herum. Er starrte eine Sekunde zu lange auf die Anzeige. Als dann der Erstarrungszauber einwirkte und dann ein Gedächtniszauber sein Bewußtsein für einige Zeit überlagerte, hätte ihm klarwerden müssen, welchen Anfängerfehler er gemacht hatte. Patricia nahm ihr rein dekoratives Mobiltelefon wieder an sich, nachdem sie dem Agenten eine haarsträubende Erinnerung von einem Telefonat ins Gehirn gepflanzt hatte, wo er erfahren hatte, daß der Zeuge wohl selbst irgendwie Dreck am stecken haben mochte. Als der angebliche Thomas Maywood wieder klar denken konnte, griff er in seine Jackettasche und rief seine Dienststelle an.

"Könnte was dran sein, daß Price doch die Tarnkappentechnologie besitzt. Das eröffnet verdammt viele Möglichkeiten für ihn, Herr Direktor", nahm Patricia telepathisch wahr, was der Agent seinem obersten Vorgesetzten berichtete.

"Also wir wissen jetzt, wie unser Widersacher heißt. Es war gut, die Hescher und Kundschafterdienste der Unfähigen darauf anzusetzen, Schwester Patricia. Ich habe den Hubschrauber zum Flughafen von Philadelphia verfolgt und bin gerade hinter einem Düsenflugzeug her, ähnlich dem, das der unselige Arnold Hornsby besessen hat. Da ich fürchten muß, es nicht auf seine Flughöhe hinauf verfolgen zu können sollten wir prüfen, ob wenigstens jene Maschine von den Spürgeräten der Unfähigen erkennbar war. Womöglich können wir dann den Zielpunkt ohne weitere Direktverfolgung ermitteln", mentiloquierte Anthelia. Patricia Straton schickte zurück, daß sie sich sofort darum kümmern wolle. Sie suchte die Damentoilette auf, verschwand in einer Kabine und dann mit leisem Plopp aus dieser, ohne die Tür wieder zu öffnen. Sie holte ihren eigenen Tarnumhang und suchte den Flughafen in Philadelphia auf. Dort schlich sie in das Verwaltungsgebäude, passierte unangefochten die Überwachungskameras, in die sie zwischendurch unsichtbar hineinlächelte. Vor dem Büro, in dem die Flugpläne bearbeitet wurden verharrte sie. Sie wollte nach Möglichkeit ohne Magie klarkommen. Allerdings brauchte sie das Passwort für den Computer. Als einer der beiden Angestellten das elektronische Wundergerät bediente, schnappte sie es auf und apparierte etwas außerhalb des Flughafenbereiches. Gut, daß sie sich vor Monaten schon geeignete Ankunftspunkte ausgesucht hatte. Sie griff in ihre linke Tasche, holte ein kleines, gepolstertes Kästchen heraus und entnahm diesem ein winziges, wohl kaum als Spielzeug zu bezeichnendes weißes Modellauto, setzte es vorsichtig auf den Boden und winkte mit ihrem Zauberstab. Sofort wuchs das vorhin so zerbrechliche Wägelchen zu einem rassigen Maserati heran. Patricia stieg ein und holte das die Ein- und Entschrumpfung gut überstehende Mobiltelefon aus dem Handschuhfach, während sie dem Wagen mit einem Tätscheln des Steuerrads die Anweisung gab, langsam zum Flughafen hinzurollen. Sie wählte das Büro, vor dem sie eben noch gestanden hatte und meldete sich dreist als Patricia Watkins vom Büro von Thomas Maywood. Sie fragte, ob in den letzten neun Stunden Privatmaschinen gestartet seien, gab noch einmal die von dem falschen Maywood gedachte Kennnummer an, ließ sich dann erzählen, daß nur zwei Privatjets gestartet seien und erfragte deren angegebenes Ziel und ob sie auch so abgeflogen seien wie angemeldet. Dabei erfuhr sie, daß der von Anthelia gesehene Privatjet zu einer kleinen Insel im Nordpazifik fliegen wollte, die als Golden Castle Island bezeichnet Wurde, während die zweite Maschine nach Dallas in Texas gestartet sei. Sie fragte noch, ob es bei der Flugüberwachung der Maschine Unregelmäßigkeiten gegeben habe. Als sie dann gefragt wurde, warum Mr. Maywood nicht selbst fragte stöhnte sie und meinte, daß sei doch typisch für ihn, daß er seine Sekretärin die lästigen Abfragen machen ließe, während er sich mit den Bossen der Fluglinien über Flughafennutzungsgebühren und Luftraumdurchquerungsrechte unterhalten wolle. Offenbar verstand der nette Büroangestellte diese Sorgen und erzählte ihr, daß der Learjet ohne probleme von der Radarüberwachung verfolgt werden konnte, bis er den Zuständigkeitsbereich verlassen hatte.

"Vielen Dank", sagte Patricia sehr erleichtert klingend. "Dann ist unsere Befürchtung ja unbegründet."

"Welche Befürchtung?" Wurde sie gefragt.

"Hmm, daß Mr. Price entführt werden sollte. wir sollten herausfinden, ob mit seiner Maschine alles in Ordnung ist."

"Wie gesagt, sie hat unseren Zuständigkeitsbereich so verlassen wie die Route angemeldet wurde", bekam sie zur Antwort. Dann beendete sie das Gespräch.

"Der war so dreist, ungetarnt weiterzufliegen, obwohl die Muggel ihn dadurch gut verfolgen konnten", mentiloquierte Patricia ihrer Anführerin. Diese schickte zurück, daß sie den Jet in großer Höhe verfolgte, allerdings durch die Kopfblase atmen und sich einen vorübergehenden Kältewiderstandszauber verpassen mußte. Der Besen würde dieser Beanspruchung keine zwanzig Minuten mehr standhalten. Patricia schlug vor, daß die höchste Schwester sich wieder dem üblichen Niveau für Flugbesen näherte, da sie nun ergründen konnten, wo die kleine Insel mit dem Namen Golden Castle Island zu finden sei.

Anthelia wirkte erschöpft, ja regelrecht ausgezehrt, als sie in der Daggers-Villa zusammentrafen. Sie sagte, daß das Retrocular einen hervorragenden Dienst tue und bedauerte, es an Donata zurückgeben zu müssen. Dann schickten sie einige andere Schwestern aus, die Wertigerausbruchsgeschichte zu einem tragischen Abschluß zu bringen, wonach Donata ihr neues Spielzeug zurückbekam. Sie selbst gingen zu Tyche und suchten nach der Insel. Im Internet hieß es nur, daß sie im nördlichen Pazifik läge, aber nicht genau, wo. Über Zweck und Besiedlung wurde nichts verraten.

"Mich deucht, wir werden dort auf eine wahre Festung stoßen, in die sich unser Widersacher zu verkriechen sucht. Schwester Donata hat mir übrigens verraten, woher dieser Linus Price, den ich in Cecils Erinnerungen von letzter Woche kennenlernen durfte, einen Magier kennt. vor zehn Jahren hat seine Schwester einen gewissen Titus Greywater geehelicht, der angeblich in Paraguay aufgewachsen und zur Schule gegangen sei. Tatsächlich aber ist jener Titus Greywater der einzige magisch begabte Sohn der ansonsten magieunfähigen Familie von Emily und Dustin Greywater. Mit anderen Worten, Titus Greywater ist ein muggelstämmiger Zauberer. Donata konnte alte Schulakten über ihn einsehen. Er war ein Bewohner des Thorntails-Hauses Redhawk und hat sich nach seiner Zaubereiausbildung aus der magischen Welt herausgelebt, weil er irgendwie nicht begreifen wollte, wozu es Zaubereigesetze gebe. Eine Drohung, ihm den Zauberstab zu entwenden wurde nicht vollstreckt. Tja, und jetzt ist dieser nette Gentleman mit Linus Price verwandt."

"Und hat ihm wohl schön aufgetischt, was er aus der Zaubererwelt so kennt und kann", vermutete Patricia Straton.

"Womit die Entführung des Jungen eine völlig neue Bedeutung erlangt. Denn ihm könnte aufgefallen sein, daß Cecil Wellington unter nicht gänzlich geklärten Umständen aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Sein irgendwie kultivierter Spitzel Buck hat wohl weitergemeldet, daß der Junge außergewöhnlich sportlich und zudem auf Gebieten begabt ist, die das Original nicht recht zu schätzen wußte. Ich habe ihn immer gewarnt, sich nicht zu sehr hervorzutun. Jetzt hat er die Quittung dafür bekommen."

"Moment mal, dann richtet sich dieser Angriff gegen uns?" Fragte Patricia. Anthelia nickte verdrossen.

"Dieser Linus Price ist ein Milliardär, sagtest du. Das heißt er besitzt ein großes Vermögen und das damit einhergehende Ansehen und bestimmt auch eine gewisse Macht. Wir alle wissen aus eigener Erfahrung, wie wohltuend es ist, macht auszuüben, aber auch die Risiken, die übermäßiger Machtgebrauch mit sich bringt kennen wir. Nun, wenn Linus Price und seiner Schwester Gatte der Ansicht sind, Mit der Entführung meines Kundschafters etwas zu gewinnen, so mag es die bittere Erkenntnis sein, daß niemand mich ungestraft angreift oder meine Pläne durchkreuzen kann."

"Es könnte sein, daß sie nicht wissen, daß Cecil von uns überwacht wird, höchste Schwester."

"Nun, dann wird er es spätestens dann wissen, wenn wir seine goldene Burg erstürmen", knurrte Anthelia angriffslustig.

__________

Jetzt kamen die klobigen Golems mit den Waffen zurecht. Voldemort hatte ihnen verboten, scharfe Ladungen zu verschießen. Seine kriechenden Kundschafter hatten bisher noch keine Spur von dem Tigertempel gefunden. Die einzig verheißungsvolle Nachricht war, daß eine kleine Baumschlange einen "ganz großen Tiger" mit merkwürdigem Geruch gefunden hatte. Also waren sie nicht weit entfernt. Er beschloß, um sich die Zeit zu vertreiben, noch einmal zu Rundhi Kalagani zu gehen, um diesen zu bitten, ihm bei der Suche nach dem Tempel zu helfen.

Eingehüllt in seinen eigenen Unsichtbarkeitszauber schlich Voldemort durch die Straßen Kalkuttas. Irgendwo in einem der heruntergekommenen Viertel hauste Rundhi Kalagani. Schließlich stand er vor einer abbruchreifen Bretterhütte und sah durch das Fenster. Drinnen saß sein Informant in Lotushaltung und sang irgendein indisches Mantra her. Voldemort blickte sich um, ob ihn hier jemand sehen konnte. Doch die Hütte lag fein hinter einem von Fliegen umschwirrten Müllhaufen. Er klopfte an die Tür. Der Singsang von drinnen verstummte. Er löste seine Unsichtbarkeit auf und trat einen Schritt vor. Die Tür ging knarrend auf, und erstaunt sah Rundhi Kalagani den dunklen Lord an. Er winkte ihm hereinzukommen. Freundlich lächelnd bot er ihm einen kleinen Fellhocker an. Voldemort erhaschte gerade noch einen kahlen Rattenschwanz, der zwischen den Dachbalken verschwand. Er dachte an Wurmschwanz. Hoffentlich stellte der in der Zwischenzeit nichts dummes an.

"Oh, welche Ehre, Euch wiederzusehen, Lord Voldemort Sahip", sagte Rundhi im akzentfreien Englisch. "Habt ihr ein Anliegen, weshalb Ihr mich persönlich aufsucht?"

"Das gleiche wie vorher auch. Ich will noch etwas über den Tempel der sechzehn Tiger wissen. Ich hatte nämlich den Eindruck, du hättest mir noch nicht alles verraten."

"Oh, das wäre bedauerlich", erwiderte Kalagani. Dann sah er den dunklen Lord abbittend an und fragte, womit er ihm denn noch helfen könne.

"Ich will morgen dorthin und mir holen, was mir, dem Erben Slytherins, rechtmäßig zusteht."

"Das Zepter des Nagabapu? Mit dieser Macht würde ich an Eurer Stelle nicht in Verbindung treten. Sie kann sich zu leicht gegen Euch selber wenden."

"Das wird sich erst noch erweisen müssen", schnarrte Voldemort. "Du weißt doch ganz genau, wo der Tempel liegt. Also erwarte ich von dir, daß du mich begleitest und mich dort hinführst."

"Damit Ihr euch das verfluchte Zepter holen könnt? Es liegt in der Obhut der sechzehn Tiger sicherer als an allen anderen Orten der Welt. Ich erzählte Euch nur davon, weil ich wissen wollte, wie wichtig dieser Schatz ist."

"Soso, und daß ich ihn mir holen kommen könnte kam dir nicht in den Sinn, wie?" Lachte Voldemort triumphierend.

"Ich nicht. Aber die, mit denen ich danach sprach wußten, Ihr würdet darauf losgehen wie der Bär auf den Honig", erwiderte Kalagani und wirkte dabei nicht mehr so unterwürfig. Voldemort fühlte sich auf einmal so, als sei er in eine Falle geraten. Er versuchte, Kalagani zu legilimentieren. Doch ein merkwürdiges Gefühl, als sacken seine eigenen Gedanken in einen nichtgreifbaren Sumpf, war das einzige, was er dabei fühlte. Dann sah er, wie sein Gegenüber ein triumphierendes Lächeln präsentierte, ein Raubtierhaftes Lächeln.

"Es wurde beschlossen, daß Ihr das Zepter nicht bekommen dürft, weil ihr die alten Heerscharen wecken wollt. Das können wir nicht zulassen." Da sah Voldemort, wie im Gesicht des kleinen Mannes ein immer dichterer Bart, nein, ein richtiges Fell zu wachsen begann. Dabei konnte er ganz deutlich erkennen, wie der Mann vor ihm größer wurde.

"Du bist einer von ihnen geworden. Wie kommt das?" Schnarrte Voldemort verächtlich.

"Weil es die wirklich wahre Natur ist, eingebettet in der natürlichen Wildheit des Lebens und der hohe Sphären der Erkenntnis anstrebenden Menschheit, Voldemort", knurrte Kalagani. Das Fell wurde immer dichter, bedeckte auch schon die vorher noch so glatten Hände, deren Fingernägel gerade zu spitzen, sich nach vorne krümmenden Krallen wurden. Offenbar empfand Rundhi bei dieser Umwandlung keinen Schmerz. "Ich habe den Auftrag, dich in unsere Reihen zu holen, auf daß du uns und den vier großen Hütern und ihren zwölf Gehilfen ein treuer Diener sein wirst."

"Ich euch dienen?! Ich bin Lord Voldemort!" Schrie Voldemort nun doch etwas verängstigt, was er absolut nicht mochte. Er griff nach seinem Zauberstab.

"Es wird dir nichts anderes übrig bleiben", knurrte Kalagani, dessen Verwandlung mit einer bedrückenden Langsamkeit voranschritt. "Ich wurde weit nach meiner Geburt ein Bruder der sechzehn Tiger. Wenn ich dich zu unserem Bruder mache, unterstehst du mir und damit unseren obersten Meistern. So ist unsere Natur."

"Du meinst, so war deine Natur", schnarrte Voldemort, als sich das Wesen halb Mensch halb Tiger nun nach vorne warf, um seine Endgestalt anzunehmen. "Avada Kedavra!" Rief er. Laut brausend mit einer Nuance Knistern fegte ein grüner Blitz, nicht ganz so grell wie gewohnt, auf den Wertiger zu und traf ihn an der Schulter. Durch seinen Körper lief ein heftiges Zittern. Dann lachte das Ungetüm mit immer tiefer klingender Stimme, wobei es sich mit schwerfälligen Bewegungen dem dunklen Lord näherte.

"Du kannst mich nicht mehr töten!" Brüllte das Ungeheuer in halber Tiergestalt die bleichgesichtige, rotäugige Schreckgestalt auf dem Hocker an. Wieder rief Voldemort den tödlichen Fluch. Dieses Mal klang das Geräusch wie ein lautes Prasseln, und der Blitz wirkte eher wie eine schnelle Entladung hellgrüner Funken. Er rief ihn noch mal, dann zielte er auf das weit aufklaffende Maul der sich schwerfällig nähernden Bestie und rief noch einmal den Todesfluch. Diesmal knallte ein greller, hauchdünner Lichtstrahl wie eine nadelfeine Stichflamme aus dem Zauberstab und drang dem Monstrum in den Rachen. Es wankte, röchelte und kippte über. Es schnappte hörbar nach Luft, zuckte mit allen Gliedmaßen, tat noch einmal den Rachenauf. Noch ein nmal rief Voldemort den tödlichen Fluch aus. Wie eine Peitsche aus dickem Draht klatschend schoss der grüne Strahl noch einmal in den Rachen der im Todeskampf liegenden Kreatur. Ein letztes Aufjaulen, dann lag der Wertiger reglos da. Noch einmal schickte Voldemort den Todesfluch los, der diesmal wie gewohnt sirrend und gleißend grün sein Ziel fand. Zuerst dachte der dunkle Lord, der Körper des Gegners würde zerschmelzen. Doch dann erkannte er, daß sich der Wertiger unter dem letzten Todesfluch in seine ursprüngliche Gestalt zurückverwandelte, bis Rundhi Kalaganis Leiche äußerlich unverletzt am Boden lag. Voldemort wußte, daß er hier nichts mehr zu finden hoffen konnte und disapparierte.

"Sechs Flüche für eine dieser Kreaturen", schnarrte Voldemort. Dabei hatte er nur eine Kreatur bekämpft und wohl noch Glück gehabt, daß er dem Tiger in den offenen Rachen zielen konnte. Bei denen, die schon etwas erfahrener waren würde das nicht so leicht gelingen, wenn sie nicht noch stärker gegen seine Magie gefeit waren. man hatte ihm eine Falle gestellt, ihn zu einer dieser zaubereiunfähigen Halbwesen machen wollen, damit er den inneren Zwang verspürte, dieser längst überholten Daseinsform zu dienen. Aber das war nicht sein Ziel. Er war hier, um sich den so aggressiv bewachten Schatz zu holen.

"Alcara, sieh zu, daß du herkommst!" Knurrte Voldemort, der jetzt erst so recht begriffen hatte, gegen wen er da eigentlich ins Feld ziehen wollte.

__________

Es war immer die erste Frage nach einer Bewußtlosigkeit, hieß es. Doch Cecil wollte nicht fragen, als er in einer mit weißen Gummiwänden ausgepolsterten Kammer wieder zu sich kam. War er jetzt doch in einem Irrenhaus gelandet? Eben hatte er doch noch neben Buck im Transporter gesessen und sich über Anthelias ständige Belehrungen und Drohungen aufgeregt. Und jetzt hockte er in einer Gummizelle? Er überlegte. Sicher hatte irgendwer ihn hier eingesperrt, weil er oder sie dachte, er könne gleich richtig tobsüchtig werden. Er fühlte einen leichten Schmerz im linken Unterarm und hob diesen An. Seine Armbanduhr war weg, und knapp unter dem Ellenbogen klebte ein Pflaster. Er fühlte sich immer noch benommen.

"Aha, der junge Mann ist wieder erwacht", klang eine merkwürdig quäkige Stimme aus einem der Gummipolster. Cecil dachte daran, wem so eine Stimme gehörte. Dann sagte er ruhig:

"Ah, der große Bruder. Wo ist denn dein alles sehendes Auge?"

"merkwürdig Munter für einen, der mehr als einen halben Tag verschlafen hat", quäkte die Stimme zur Antwort. Irgendwie stimmte was mit der Lautbildung nicht, meinte Cecil. Dann kam ihm die Erleuchtung. Was da zu ihm sprach war eine synthetische Stimme, eine Sprachausgabeapparatur, wie sie blinde Computernutzer benutzten, um weitestgehend unabhängig mit einem PC zu arbeiten. Warum sprach der Mensch hinter dem Lautsprecher nicht in echt mit ihm? Er sah sich um, konnte aber nirgendwo die Kamera sehen, die garantiert hier eingebaut war.

"Ich rede nicht mit Maschinen", sagte Cecil ruhig. "Wenn echte Menschen da sind, sollen die nicht so feige sein, sich über so'ne Quakanlage mit mir zu unterhalten!"

"Du nimmst dir eine ganze Menge heraus", quäkte die künstliche Stimme zur Antwort. War schon unheimlich, wie gefühllos dieses Sprachmodul klang, fand Cecil.

"Ich sitze in einer Gummizelle, da kann ich das", konterte Cecil, der sich sicher war, nichts mehr verlieren zu können. Er sah sich um, keine Fenster, und nur ein schmaler Schlitz, wo wohl die Tür war. Er klopfte gegen die Gummiwände, die dumpf und ohne Nachhall die ganze Wucht seiner Schläge schluckten und bestimmt noch mehr einstecken konnten, ohne daß ihm was dabei passieren mußte.

"Du hast noch gar nicht gefragt, wo du bist", erwiderte die Computerstimme.

"Ist das wichtig?" Fragte Cecil zurück. Die würden es ihm ja eh nicht sagen, wo er war. Dann stellte er noch eine Frage mehr: "Was haben Sie mit mir vor?"

"Du bist ein interessanter Bursche, Cecil Wellington. Wir möchten gerne wissen, was dich so schnell und so gründlich aus dem Krankenhaus von Professor McCurton gebracht hat", quäkte der Lautsprecher.

"Ach, das. Mein Vater war das", erwiderte Cecil.

"Natürlich", kam die Synthesizerstimme zurück. "Aber wir werden herausfinden, was in und mit dir passiert, Cecil Wellington, falls dies dein richtiger Name ist."

Boing! Da hatte ihn der Unbekannte Mensch, der dem Computer die auszusprechenden Antworten vorgab etwas gesagt, daß bei Cecil sämtliche Alarmglocken zum Läuten brachte, ihm aber auch gleichzeitig das Grinsen ins Gesicht trieb. Wieso kam der oder kamen die darauf, daß er nicht Cecil Wellington war? Diese Frage stellte er auch laut.

"Weil du für Cecil Wellingtons Verhältnisse zu stark bist", war die Antwort. "Wir müssen sicher sein, daß du keine künstliche Mutation oder ein fremdartiges Geschöpf in menschlicher Gestalt bist."

"Das sagt mir jemand mit einer Quakboxenstimme", versetzte Cecil.

"Genug der Förmlichkeiten. Gleich werden zwei nette Onkels in weißen Kitteln hereinkommen. Versuche nicht einnmal zu fliehen oder den beiden etwas anzutun! Der Bereich, in dem deine Luxussuite liegt ist mit elektrisch geladenen Gitterstäben abgeriegelt. "

"Aha, du hältst mich für eine Neuauflage von Frankensteins Monster, benimmst dich dabei aber selber wie eins. Sagst mir noch nicht einmal, wie spät es ist."

"Eine Stunde, nachdem du dort einquartiert wurdest, wo du jetzt bist", quäkte die künstliche Stimme.

"Vier Minuten nach zwei Uhr Nachmittags", tönte plötzlich eine andere Stimme in seinem Kopf. Sie war also noch da. Solte er sich jetzt freuen oder ärgern, daß ihn die Hexe in diesen Schlamassel hineingeritten hatte?

"Du wirst brav kooperieren, Bürschchen. Dann wird es nur halb so wehtun", sagte die künstliche Stimme.

"Harre aus, wir eilen bereits zu dir hin!" Meldete sich Anthelias Stimme.

"Wo bin ich denn jetzt?" Fragte Cecil in Gedanken.

"Auf einer Insel im Nordpazifik. Wir werden in wenigen Minuten bei dir sein."

"Was ist los mit dir, Cecil. kommunizierst du telepathisch? Glaubst du, jemand könnte dich denken hören?" Fragte die künstliche Stimme ohne jede Betonung.

"Ich habe mal gelesen, daß man diesen Sprachausgaben eine einigermaßen natürliche Betonung beibringen kann", antwortete Cecil. "War Ihnen das zu aufwändig oder schlicht zu teuer?" Fragte er dann noch.

"Wir wollen wissen, wer oder was du bist und wer die sind, mit denen du in geistiger Verbindung stehst. Glaube es, daß wir das alles rausfinden können."

"Und dabei den Tod finden", knurrte es in Cecils Kopf. "Mein Fluch verurteilt dich und jeden um dich herum zu Tode. Aber das würde mich um mein Vergnügen bringen, diese Kanallie höchstpersönlich zu züchtigen."

"Sie halten mich also für einen Außerirdischen oder einen Hybriden?" Fragte Cecil. "Haben Sie dann keine Angst, daß mich gleich jemand hochbeamt und da, wo ich jetzt noch bin eine Antimateriebombe explodiert?"

"Du bist kein Außerirrdischer. Das wissen wir schon", sagte die Computerstimme. "Wir haben dein Blut analysiert. Keine nichtmenschliche DNS."

"Keine was?" Tat Cecil unwissend.

"Kein fremdartiges Erbgut, scheint nur etwas vitaler zu sein", sagte der künstliche Sprecher.

"Na, da wird meine Mutter aber froh sein, daß sie keinen halben Außerirdischen im Bauch hatte", konterte Cecil überlegen wirkend, obwohl er sich gerade wie ein Eisenspan zwischen Hammer und Amboss fühlte.

"Das ist die Frage, ob die Frau, die der achso moralische Senator geheiratet hat, deine leibliche Mutter ist. Aber das kriegen wir alles heraus", quäkte der Lautsprecher. Cecil hielt es für geboten, darauf nicht zu antworten. Er hoffte, daß er entweder dem Gefängnis entfliehen konnte oder Anthelia ihn befreite oder, damit das ganze Elend ein Ende hatte, er auf der Flucht getötet wurde.

"Wirst du dich hüten, deinen Tod herbeizuwünschen!" Schnarrte Anthelias Gedankenstimme zur Antwort. Bildete er es sich ein oder klang sie schon erheblich lauter als eben noch?

"Deine Onkels Doktoren kommen jetzt zu dir rein. Geh von der Tür weg!"

"Wie heißt das Zauberwort?" Schnarrte Cecil.

"Geh sofort von der Tür weg!"

"Oder sonst?" Fragte Cecil. Zur Antwort schrillte ein ohrenzerfetzender Ton in der kleinen Kammer, der ihm bohrende Kopfschmerzen bereitete. Als der Ton nachließ fühlte Cecil, daß es sein Gehirn wohl gut durcheinandergerüttelt hatte. Er hörte über ein leises Nachklingeln in beiden Ohren noch, wie die Stimme sagte:

"Ich kann diesen Ton viermal so laut stellen und damit nicht nur dein Gehör unrettbar schädigen, sondern dir auch unerträgliche Kopfschmerzen bereiten."

"Malefizbagage!" Hörte er Anthelias Gedankenstimme wieder. Das Klingeeln in seinen Ohren ebbte ab. Er trat von der Türritze zurück. Laut zischend schwang die Tür nach außen auf und gab den Blick auf einen gefließten, mit flackerndem Neonlicht erleuchteten Gang ffrei, vor dem zwei Männer in weißen Kitteln standen.

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"Er denkt, er kann nichts mehr verlieren", knurrte Linus Price, während er die Antworten auf Cecils Fragen in die Computertastatur eintippte und die Eingabetaste drückte.

"Natürlich kann er nichts mehr verlieren, Linus. Er weiß, er ist gefangen. Und du hast ihm so gnädig verraten, daß du denkst, er sei nicht echt und habe telepathische Beziehungen", knurrte Titus Greywater.

"Das habe ich getan, um ihn und diejenigen, die ihn überwachen aus der Reserve zu locken."

"Ich glaube, die Gummizelle ist eher was für dich", seufzte Titus. "Du willst diese Hexe allen Ernstes zu einem Gegenschlag provozieren?"

"Dann müßte sie ja wissen, wo wir sind", erwiderte Linus.

"So, müßte sie das? Sie könnte sich auf die Gedankenströme des Jungen einpeilen und dann einfach so hier apparieren."

"Oh, das soll sie mal machen. Dann erlebt sie meine schwarze Magie", flötete Linus Price.

"Tja, nur wenn du sie umbringstt kommen andere, die nicht so wütend in eine Falle rennen", unkte Titus.

"Der Jet wurde randvoll getankt, und wir können mit der Pneumatikkapsel in zehn Sekunden an Bord sein. Aber ich denke, meine kleine Festung läßt sich gut verteidigen", sagte Linus. Titus Greywater war sich dessen wohl nicht so sicher.

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Es war kurz vor Alcaras Rückkehr, das eine der drei Königskobras ihm von einer Ansammlung von Steinbauten berichtete, die in der Richtung lagen, aus der sie gerade kam. Voldemort war zufrieden. Heute noch würde er den Tempel der sechzehn Tiger sehen. Morgen würde er ihn betreten und mit dem Zepter Sharanagots wieder verlassen. Womöglich würde er den Tempel aus lauter Dankbarkeit dafür, daß man dort so gut auf das Zepter aufgepaßt hatte zerstören.

Voldemort berichtete, was seine letzte Unterredung mit Rundhi Kalagani gebracht hatte.

"Dann warten die schon auf Euch, Herr", grummelte Alcara.

"Ja, nur auf mich", erwiderte Lord Voldemort überlegen grinsend. "Wen ich mitbringe wissen die nicht."

"Du hast die Waffen besorgt, von denen du auf der Reise hierher gesprochen hast?" Fragte Alcara und deutete auf die tragbaren Raketenwerfer, die zehn Golems geschultert hatten.

"Genau. Die zehn, die du mitgebracht hast werden direkt gegen unsere Gegner kämpfen. Allerdings könnte ich mir vorstellen, sie doch noch zur Vernunft zu bringen, damit sie sich mir unterwerfen. Sollte ich den Eindruck haben, daß sie dies tun, könnte ich das Zepter auch bei ihnen lassen ... Nein, ich nehm es besser mit", erwiderte Voldemort verächtlich. Dann befahl er den Abmarsch.

Die Schlangen wiesen Voldemort und seinem Trupp den Weg. Die Golems hatten mit dem schwergängigen Gelände kein nennenswertes Problem. Selbst dicke Äste brachen sie laut knackend ab. Doch als sie sich dem Tigertempel näherten, befahl Voldemort leiser zu marschieren. Überstehende Äste oder Wedel bezauberte Voldemort mit "Herbarupto!" Darauf schrumpelten Äste oder Blätter ein und zerfielen beinahe lautlos. So bahnten sie sich einen Weg durch den Dschungel. Dann hörten sie sanftes Singen in der Ferne. Eine der Kobras zischte Voldemort zu, daß in der Richtung die großen Steinbauten standen. Dann warnte eine andere Schlange:

"Vorsichtt, ganz große Tiger!"

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Dennis fühlte sich, als wäre er nach Hause gekommen. Zwei Tage lang war er in Tigergestalt durch den Urwald gelaufen, bis ihm die ihn rufenden Stimmen immer lauter zugesungen hatten, daß er gleich am Ziel war. Als er dann die in einem Ring aus acht kleinen Gebäuden angeordnete Tempelanlage sah, die einen großen, mit Statuen umstellten Platz umzingelten, war es ihm, als sei er endlich zu Hause. Er roch den wilden Duft anderer Brüder - und ja, da waren sogar acht Schwestern, von denen vier verheißungsvolle Duftsignale verströmten. Aus einer anderen Richtung betrat gerade noch ein Bruder in menschlicher Gestalt den Platz und näherte sich dem äußeren Steinbau, vor dem ein sehr stattlicher Bruder in seiner unbändigen Gestalt auf einem großen mit Blättern gepolsterten Felsblock kauerte.

"Tritt in den Kreis der großen Macht ein, Bruder Dennis!" Sangen eine männliche und eine Weibliche Stimme. Er sah nun, wie ein rot-schwarz gestreifter, stattlicher Bruder und eine golden-braun gestreifte, grazile Schwester ihm zunickten. Er trottete auf den äußeren Ring zu, verneigte sich instinktiv vor dem stattlichen Patriarchen, der gerade den in Menschengestalt angekommenen mit einer Prankengeste zur Verbeugung trieb und trat in den Kreis ein. Sofort fühlte er, wie etwas von ihm zu den anderen überfloss, während der in Menschengestalt verbliebene Bruder sich auf die gold-braun gestreifte Schwester zubewegte, die ihn argwöhnisch ansah und ihm dann etwas zufauchte, daß er als "Beherrsch dich!" Verstand. In der Ferne hörte und roch er weitere, allerdings rangniedere Brüder, die wesentlich wilder waren. Offenbar sollten sie hier Wache stehen. Einer der kleineren Brüder, der aber vom gleichen Rang wie Dennis Taller war, schlug mit einm Stein, den er zwischen den Pranken hielt auf einen an die drei Meter durchmessenden Bronzegong. Mit einem lange nachhallenden, tiefen Klang erfüllte der Gong den umgebenden Urwald, der für Dennis keinerlei Schrecken oder Geheimnisse mehr barg.

"Tretet nun ein, ihr Söhne und Töchter, Brüder und Schwestern!" Sangen acht von ihnen in Dennis' Kopf, und alle traten in den Kreis ein. Jetzt erst konnte Dennis Taller erkennen, daß in einem der Gebäude eine Steintür war, während die anderen Gebäude offen waren.

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Rupert Möller wußte nicht wie, aber er hatte es geschafft, bis nach Indien durchzutrampen, mal auf Lastwagen, mal als blinder Passagier auf Güterzügen. Jetzt war er hier. Vor ihm lag ein verheißungsvoller Ring aus Steinbauten. Ja, und da sah er zwei der prächtigsten Weibchen seiner neuen Rasse. Er fühlte, daß er sich gleich in seine neue, wilde Gestalt verwandeln würde. Doch noch konnte er sich beherrschen. Er ging auf den stattlichen Tiger mit golden-grau gestreiftem Fell zu, wollte an ihm vorbei. Doch er zeigte ihm die rechte Vorderpranke und gebot ihm, sich zu verbeugen. Als er das getan hatte wollte er zu jener Schönen, die da in golden-braun gestreiftem Fell auf dem Platz saß. Sie sah ihn an und sprach dann mit ihrer rauhen, aber doch sehr eindrucksvollen Stimme:

"Beherrsche dich. Ob ich dich nehme mußt du erst erkunden."

Ein Gong wurde angeschlagen, und dann sollten die ranghöchsten unter ihnen in den Kreis der Steinbauten eintreten. Der Große glitt von seinem Naturthron herunter, trat in die Mitte des Platzes und begrüßte alle eingetroffenen Brüder und Schwestern. Dann sagte er:

"Nun, wo wir alle den Kreis der sechzehn endlich wieder geschlossen haben, werden wir unsere alteherwürdige Rasse erneut über dieses Land ausbreiten, um das große Vermächtnis zu bewahren, daß unsere großen Vorbrüder und Schwestern uns einst hinterließen. Doch wahrlich, der Feinde sind es gar gierige und mächtige. Jemand von denen, die unsere Gabe verschmähen, trachtet danach, unser streng gehütetes Erbe an sich zu reißen, um damit die düsteren Horden alter zeiten aufzuwecken. Wir müssen wachsam sein. Denn er ist nahe und wird wohl schon auf dem Weg zu uns sein. So laßt uns die große Weihe singen, auf daß der Tempel von jeder unreinen Kraft verschont bleibt!"

Woher er das lied kannte wußte er nicht. Auch der noch ziemlich jung wirkende Bruder mit der hellbraun-schwarzen Zeichnung schien erst einmal überlegt zu haben, bevor er das Lied mit anstimmte, das sich nun in Wellen über den Platz ausbreitete. Um sie herum erstarrte der Dschungel in Ehrfurcht, und die Wächterbrüder, die sich mittlerweile um die Anlage verteilt hatten, hockten da, andächtig und ergeben. Es mochte wohl eine Viertelstunde vergangen sein, als der Gesang aufhörte.

"Nun ist unsere Tempelstatt wieder geweiht, Brüder und Schwestern. So mögen wir aus unseren Reihen weitere Paare erwählen, die unseren edlen Keim in die nächsten Generationen tragen können und ..."

"Angriff! Fremde!" Brüllten die Wächter. Dann ging es auch schon los. Ein wildes Gebrüll setzte an, als sich an die fünfzehn Wächter gegen graue Steinungetüme stellten.

"Da ist der Feind!" Rief der Große und reckte drohend die Pranken. Eine Stimme schrillte: "Avada Kedavra!"

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Die beiden Ärzte oder was sie sonst darstellten traten in die enge Zelle ein. Sie hatten Instrumentenkoffer und Metallringe an kurzen ketten dabei.

"So, wie halten wir's?" Fragte einer der beiden Männer Cecil. "Ruhig und schmerzarm oder störrisch und qualvoll?"

"Das hängt ja wohl davon ab, wie viel Sie aushalten", knurrte Cecil. Da hieb ihm einer der zwei Männer mit einer kurzen Metallstange gegen den rechten Arm. Ein heftiger Stoß durchpulste Cecil, und er fühlte, wie sein Herz einen Schlag übersprang.

"Zweihundert Volt sind nicht gerade angenehm", kicherte der erste und stellte die Frage noch einmal, während die Tür zischend wieder zuging. Cecil dachte schon, daß die beiden jetzt genauso dem Ohrenzerbröselton ausgeliefert waren wie er. Da griff einer der beiden nach seinem linken Arm. Er warf sich herum und drückte den Quacksalber oder Frankenstein an die nächste Gummiwand.

"Dann eben so rum", knurrte der zweite Eindringling und stieß den elektrisch geladenen Stab gegen Cecils Kopf. Doch diesmal wirkte der Stromstoß nicht. Er fühlte nur ein sanftes Vibrieren. Er holte aus und versetzte dem Elektroschläger einen rechten Haken voll auf die Nasenwurzel. Mit einem näselnden Röcheln und einem Blutstrom aus den Nasenlöchern ging der Mann zu boden.

"Das ist nicht wahr", knurrte der Erste. Da hatte Cecil den Elektrostab in der hand und hieb damit nach ihm, der schmerzhaft aufschrie und nach einer Sekunde umfiel. Hoffentlich hatte Cecil jetzt keinen Getötet.

"So, jetzt sind die beiden bei mir, Mr. Quakbox. Wenn Sie jetzt wieder Ihre Tinituströte einschalten zerbröseln Sie denen die Ohren genauso wie mir", sagte Cecil und nahm den beiden die Handschellen weg. Schnell hatte er die beiden gefesselt. Da roch er, daß etwas unangenehmes in die Zelle drang. Sofort hielt er die Luft an.

"Das wird dir nicht lange helfen. Das Gas wirkt zwei Minuten nach dem Versprühen nach", quakte der Sprachsynthesizer. Doch Cecil hielt sich noch ein paar Sekunden. Dann viel er um wie ein gefällter Baum.

"Luft weiter anhalten! Du fühlst keinen Druck. Du fühlst keinen Schmerz. Luft weiterhin anhalten!" hörte Cecil eindringliche Gedanken in seinem Kopf, die ihm halfen, das Bedürfnis nach frischer Luft zu verdrängen.

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"Diese Idioten!" Schnarrte Price. Titus Greywater lachte nur.

"Dein Pech, daß du den Jungen nicht verletzen willst. So kann er sich doch mehr rausnehmen. Aber kuck mal! Das Gas hat ihn erwischt!"

"Hält sich wohl für eine Art Superman", lachte Price. Dann befahl er zwei weitere Ärzte zur Zelle. Sie sollten Cecil auf eine Trage schnallen und ins Labor bringen. Die beiden Stümper wollte er dafür etwas in der Zelle schmoren lassen. Er ließ nach einer halben Minute das Gas gegen Frischluft austauschen. Dann sah er auf seinem Überwachungsmonitor, wie zwei weitere Ärzte mit einer Trage anrückten. Er entriegelte die Zellentür. Die beiden Männer prüften mit der Nase, ob sie unbehälligt hineingehen konnten. Da schrillte plötzlich die Alarmsirene. Sofort drückte Price auf den Knopf wo Störungsursache" draufstand und bekam einen neuen Bildausschnitt zu sehen mit dem rotblinkenden Schriftzug "Eindringling" am rechten oberen Bildrand.

"Da hast du den Salat", schnaubte Titus, dem der Schrecken in die Glieder gefahren war, als er die beiden Hexen erkannte, die in blütenweißen Umhängen vor der Kuppel standen.

"Dann sei es!" Sagte Price und drückte einen Knopf auf dem "Automatische Verteidigung" stand. Gleichzeitig erklang eine Durchsage: "Alles Personal in den Quartieren oder gesicherten Räumen bleiben! Verteidigungszustand! Alles Personal in den Quartieren oder gesicherten Räumen bleiben! Verteidigungszustand!"

"So, die Damen, jetzt gibt es Zunder", knurrte Price. Titus sah immer noch schreckensbleich auf den Bildschirm. Da begann ein Höllenkonzert aus losratternden Maschinengewehren, die Brand- und Sprenggeschosse ausspieen. Eine derartige Feuerkraft konnte eine hundert Mann starke Armee innerhalb einer Minute eliminieren. Doch die beiden Frauen standen ruhig da und beharkten die Panzerglaskuppel mit den Stahlstreben mit grünlichem Licht aus ihren Zauberstäben.

"Warum apparieren die eigentlich nicht?"Fragte Titus verwundert.

"Weil sie drinnen sofort von den Lasern und Lichtbogenbarrieren begrüßt werden", erwiderte Price, dem es offenbar nicht klar wurde, daß die beiden Hexen gerade im Geschosshagel badeten, der sie eigentlich schon längst hätte zerfetzen oder einäschern müssen.

"Denk daran, daß die vielleicht deine Gedanken lesen können", knurrte Titus.

"Habe ich. Der Computer übernimmt nun die Abwehr und wählt zufällig Fallen oder Waffensysteme aus", sagte Price.

"Sie brechen ein", knurrte Titus, als die beiden sich ein ausreichend großes Loch in die Kuppel gebrannt hatten. Nun blinkte auch die blau-grüne Warnleuchte für eine Störung in der Klimaversorgung. Price griff nach einem Hebel und drückte ihn langsam nach oben, bis er auf 100 stand. Jetzt war der Reaktor unter der Insel auf 100 % Betriebsleistung, mehr als genug, um die mit mehreren Megawatt Leistung gepulsten Laser, sowie die dauerhaften Laserbarrieren, die Lichtbögen und weitere Selbstschußanlagen zu versorgen.

"Jetzt werden wir sehen, ob sie gegen Hochenergiewaffen standhalten", frohlockte Price.

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Voldemort hörte das Brüllen der Wertiger und sprang zurück, um zwei Golems vor sich hintreten zu lassen. Da waren die Bestien auch schon heran. Die Golems schlugen zu, warfen sie zurück. Doch Jedesmal, wenn ein Golem einen Wertiger mit Wucht von sich geschleudert hatte, sprangen ihn schon zwei neue an. Voldemort nahm Alcara bei der Hand und verschwand, um einhundert Meter weiter weg neben einem hohen Baum anzukommen.

"Hier werden sie uns erwischen", knurrte Alcara.

"Nur daß ich hier meine Leuchtpistole benutzen kann. Den Tempel möchte ich nach Möglichkeit nicht beschädigen, bevor ich habe, was ich will", erwiderte Voldemort, als einer der Wertiger durch die Reihen der Golems hindurchbrach und auf sie zuhielt. Voldemort probierte es erst gar nicht aus, den Todesfluch zu wirken. Er entsicherte die Leuchtpistole, zielte und feuerte. Laut zischend zog das Leuchtgeschoß eine leuchtende Spur durch die Luft und traf den Wertiger voll an der Nase. Wild Jaulend wich er zurück, versuchte, die brennenden Barthaare mit einer Pranke zu löschen. Doch er ging dabei immer mehr in Flammen auf.

"Hach, wirkt!" Rief Voldemort, als zwei weitere Wertiger angesprintet kamen. Noch einmal feuerte er seine Waffe ab, während Alcara seine Leuchtpistole benutzte. Beide Wertiger wurden an der Brust getroffen und begannen, lichterloh zu brennen.

"Die erste Kobra zu mir!" Parselte Voldemort, während sich die weiteren Wertiger außerhalb des Kreises mit den Golems schlugen, die bereits deutlich was abbekommen hatten.

"Sie schwächen auch die Golems", stellte Alcara fest. Voldemort befahl der Kobra, nach einem schlangenförmigen Ding innerhalb des steinhauses oder irgendwelcher anderen Häuser zu suchen. Die Kobra zischte ihm zu, daß sie verstanden hatte. So schickte Voldemort noch zwei weitere Schlangen auf die Suche. Er hütete sich vor aus dem Hinterhalt anspringenden Wertigern. Doch diese sahen im Moment in den Golems die gefährlicheren Gegner.

"Ich muß denen mit den Waffen befehlen, die Waffen zu benutzen. Sonst sind sie nutzlos", schnarrte Alcara sehr panisch.

"Nicht, bevor ich das Zepter sicher aus dem Tempel geholt habe.

Eine Kobra kehrte zurück, wurde jedoch von der zuschlagenden Pranke eines Wertigers tödlich getroffen. Dafür kam die zweite Schlange durch und zischte Voldemort zu, daß ein langes, wie eine um einen Baum gewickelte Schlange aussehendes Holzding mit einem glitzernden Etwas oben und unten in einem unterirdischen Gang in einer Art Steinkreis mit Wasser drin in einem hohlen Stein lag. Voldemort triumphierte leise. Er befahl Alcara, ihm zwei Golems zur Flankensicherung mitzuschicken. Dann apparierte er in die Nähe zweier bewaffneter Golems. Er fühlte, daß ihm dieses magische Manöver sehr viel Kraft gekostet hatte. Die Magie hemmende Kraft so vieler Wertiger auf einmal wirkte sich ziemlich stark aus. Gerade brach ein Golem unter dem Ansturm zweier Wertiger zugleich zusammen. Dabei entfiel dem Diener Alcaras der Raketenwerfer und die Munition. Doch Voldemort hatte keine Augen dafür. Er rannte von zwei Golems gedeckt auf das Gebäude mit der Steintür zu. Dabei gab er weitere Schüsse Leuchtspurmunition auf ihn bedrängende Wertiger ab. Zwei erwischte er. Die beiden anderen kannten diese Gefahrenquelle nun zu gut und wichen den fauchenden Minibolliden aus, hüteten sich auch davor, in ihre flammenden Pfade zu geraten. Dann war Voldemort bei der Steintür. Natürlich wirkte hier kein Öffnungszauber. Womöglich gab es einen versteckten Hebel. Eine der Schlangen zischte ihm zu, daß da etwas wie eine Unebenheit war. Er fand sie und hieb mit dem Fuß dagegen. Da rumpelte es, und die Steintür rollte knirschend bei Seite. Da flog ein wuchtig abgesprungener Wertiger auf Voldemort zu. Es war der Große mit den grauen Streifen. Einer der Golems warf sich zwischen ihn und Voldemort, der soeben durch den Eingang schlüpfte und dann mit einem brennenden Feuerzeug in der linken Hand mehrere Treppen hinunterstürmte, während die Golems oben die Tür freihielten. Er lief weiter, bis er aus nächster Nähe ein leises Säuseln und plätschern hörte. Er trat näher und sah den steinernen Brunnen, auf ddessen Gesims Abbildungen von mit Schlangen kämpfenden Vögeln und Tigern eingemeißelt waren. Voldemort stand für einen Moment hier und vergaß den wilden Kampfeslärm von oben. Da, in einem großen Stein in der Mitte des Brunnens, lag das Zepter Sharanagots oder Nagabapus. Jetzt mußte er nur noch die Hand ausstrecken ... Doch halt. Die Erfahrung mit Yanxothars Schwert hatte ihn gelehrht, mächtige Zaubergegenstände nicht so zuversichtlich in die Hand zu nehmen. Er überlegte, ob ein Zauber, der das Zepter in dieser Magie schluckenden Umgebung noch beschützen konnte, ihm den Zugang zum Zepter verwehren könnte. Da kam ihm die Idee, den letzten großen König der Schlangenwesen anzurufen und ihn darum zu bitten, ihm das Zepter zu überlassen. Das tat er natürlich auf Parsel, und während er vorsichtig seine rechte Hand über den Brunnen gleiten ließ kräuselte sich das Brunnenwasser immer stärker. Dann, als er das Zepter gerade zu fassen bekam, war ihm, als bohren sich mehrere Giftzähne in seine Handfläche. Er konnte nicht einmal schreien. Reg- und hilflos stand er da, während eine dröhnende Gedankenstimme auf Parsel in ihm klang.

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Anthelia hatte hinter Patricia gesessen, als sie beide auf ihrem Harvey-Besen in Richtung der geheimnisvollen Insel Golden Castle Island flogen. So konnte sich die höchste Schwester auf Cecil konzentrieren, während Patricia die auf keinem Satellitenfoto zu entdeckende Insel suchte, bis sie weit entfernte Gedanken auffing, ein vielstimmiges Raunen erst, dann immer deutlicher werdend. Einmal zuckte Antehlia heftig zusammen und hätte beinahe die Umklammerung um Patricia gelockert.

"Dieser Halunke! Hat einen gar schmerzhaften Ton in die Kammer gespielt, in der Cecil gefangen ist", knurrte Anthelia dazu nur. Dann, als sie endlich die Insel erblicken konnten, hatte Anthelia sich verkrampft und stark konzentriert, wie es schien.

"Was ist, höchste Schwester?" Fragte Patricia.

"Ich mußte nur zwei Attacken wider den Körper unseres Schützlings durch eigene Magie von ihm ableiten. jetzt liegt er auf dem Boden und erwartet meine Freigabe."

"Wir sind da", sagte Patricia.

"In Ordnung, ab jetzt nur noch Gedankensprechen", mentiloquierte Anthelia. Sie landeten. Kaum waren sie von ihrem Besen herunter, schrillte eine Alarmsirene los. Aus der großen Kuppel, die das Herzstück der Insel bildete, klang dumpf eine mehrmals wiederholte Anweisung. Dann brach um die beiden Hexen die Hölle auf Erden aus. Hunderte von Geschossen verschiedener Arten umtobten sie. Doch Patricias Drachenhautpanzer prellte alle Kugeln zurück, und Anthelia war durch etwas mächtigeres geschützt, daß sie vor dem Erschießungs- und Verbrennungstod schützte. Sie gingen ruhig zu der Kuppel, während Patricia Prices Gedanken auffing.

"Höchste Schwester, wenn wir in die Kuppel eindringen werden wir mit gebündeltem Licht und Elektrizität angegriffen. Vermagst du dem zu widerstehen?"

"Gebündeltes Licht, etwa diese Laserstrahlen?" Fragte Anthelia. Irgendwie erschien es Patricia, als sei ihr das nicht geheuer. Dennoch schnitten sie unbehelligt vom immer noch tobenden MG-Inferno ein großes Loch in die Mehrere Dutzend Zoll dicke Verkleidung der Kuppel, bis sie hindurchklettern konnten. Da krachte es, und drei haarfeine Lichtstrahlen, fast gar nicht zu sehen, bildeten eine sirrende Barriere. Anthelia trat vorsichtig vor und berührte einen der Strahlen sacht mit dem linken kleinen Finger. Ein sengender Schmerz brandete durch ihre linke Hand, und der Gürtel ruckelte als wolle er gleich von ihr losfligen. Sie unterdrückte den Schrei und sah sich den Finger an. Er war fast bis zur Hälfte durchgeschnitten.

"Vertücktes Machwerk", knurrte sie, hielt sich den Zauberstab an die nicht blutende Verletzung und murmelte Heilzauber. Doch erst bei der dritten Runde klappte es, und ihr Finger verheilte. Ein weiterer Zauber stellte seine volle Beweglichkeit und Tastempfindlichkeit wieder her.

"Diese Barriere würde uns töten", mentiloquierte Anthelia.

"Na, die Damen. Moderne Technik ist doch ein wenig zu viel für Sie", kam eine triumphiert klingende Stimme über Lautsprecher. Anthelia kannte die Stimme aus Cecils Erinnerungen. Patricia und sie suchten und fanden den Ursprung seiner Gedanken. Da war sogar noch einer. Aber der wandte Okklumentik an und war damit für einfaches Aufschnappen von Gedanken unhörbar.

"Das ist die einzige Barriere, die du aufbieten kannst, neugieriger Gierhals!" Rief Anthelia. Die Stimme lachte. Doch dann schien ihr etwas den Atem zu nehmen.

"Er ist mir in die Falle gegangen", mentiloquierte Anthelia. "Sein die wahre Welt verneinender Verwanter hat ihn zu spät gewarnt."

"Aber wenn nicht einmal du durch diese Barriere gelangst. Es sei denn", dachte Patricia. Unvermittelt zerfloß sie zu weißem Nebel und berührte die Strahlenbarriere. Die haarfeinen, glühendheißen und schärfer als ein Skalpell schneidenden Laserstrahlen ließen ihre Nebelgestalt erglühen. Sie stöhnte mit einer geisterhaft heranschwebenden Stimme, kam aber durch die Barriere. Dahinter waberte sie einmal. Dann verfestigte sie sich wieder.

"Ist nicht gerade spaßig", mentiloquierte sie. Anthelia zerfloß ebenfalls zu Nebel und stieg so hoch es ging. So berührte nur ihr unterster Teil die Laserbarriere. Sie gab einen gequälten Laut von sich, kam aber durch. "Es ist, als wolle dich jemand mit einem glühenden Messer in Scheiben schneiden", mentiloquierte sie, bevor sie sich zurückverwandelte.

"Ich fürchte, diese Taktik können wir nicht dauernd anwenden", mentiloquierte Anthelia. "Aber ich weiß, wo seine Sperren sind. Gebündeltes Licht ist das. Dann werden wir ihm mit den Licht zerstreuenden und spiegelnden Zaubern beikommen."

Sie traten vor, bis Anthelia vor einer elektrischen Barriere warnte. Sie selbst konnte wegen der damals schon bekannten Tode durch Blitzschlag die Entladung elektrischer Energie überstehen und trat mitten hinein in den roten Bereich, wo mit lautem Knall ein Lichtbogen überschlug, der sie wild knisternd umtoste. Sie stand da, schien in einer warmen Brise zu baden, bis mit lautem Knall die Elektroden ihren Geist aushauchten. Patricia folgte schnell. Dann kamen sie an eine Kreuzung. Anthelia überlegte, was kommen mochte, weil Price die Verteidigungsvorrichtung auf Automatik gestellt hatte. Es klickte, und unter Patricia verschwand der Boden. Sie fiel hinab. Doch Anthelia fing sie telekinetisch auf und holte sie herauf. Beißende Dämpfe quollen aus dem Schacht hervor.

"Eine Säuregrube", knurrte Patricia. "Kannst du das aushalten?"

"Zersetzende Flüssigkeiten wie Verdauungssäfte. Gerade noch", mentiloquierte Anthelia. Der Schacht gähnte gierig und atmete den beißenden Brodem der hochkonzentrierten Säure, die Patricia bestimmt innerhalb von wenigen Sekunden in ein blitzblankes Skelett verwandelt hätte.

"schließen wir diese Falle", gedankensprach Anthelia und zog sich mit Patricia einige Meter zurück. Dann hielt sie den Zauberstab in Richtung Schacht und rief: "Teluriclausa!" Es Knirschte laut, als sich das Gestein um den Metallschacht zusammenzog und ihn immer mehr einquetschte, bis mit lauten Schlägen die Metallverkleidung barst und große Stücke in das wie in einer immer enger werdenden Röhre aufsteigende Säurebad ergoss. Doch bevor die ersten Spritzer der ätzenden Lösung an die Oberfläche drangen, krachte der Boden zusammen und wurde fest wie gemauert.

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"Sie liest deine Gedanken, Linus, kapier das endlich. Auch wenn dein Computer Zufallsangriffe macht weiß sie jetzt, was auf sie wartet!" Knurrte Titus.

"Dann werden wir Ihre telepathische Ladyschaft mal auf etwas anderes lenken", knurrte Linus und betätigte den Türverschluß. Dann wollte er den schrillen Ton einspielen, um Cecil zu quälen, doch in diesem Augenblick knisterte es verdächtig, und mehrere Warnlampen gingen an.

"Was ist das? Ausfall der Alpha- und Betastromkreise? Wie hat die das denn ..."

"Deine nette Säurefalle, Linus. Dieses Weib hat den Schacht komplett zugemauert. Dabei sind irgendwo Risse entstanden, und die verdrängte Säure hat sich darin einen neuen Weg gesucht." Mit einem kurzen Alarmton verkündete der Computer, daß er nun auf Hilfsgenerator 1 umgeschaltet hatte, der nicht unter der Erde lag.

"Schalt den Reaktor aus, bevor der uns um die Ohren fliegt!" Rief Titus.

"Kann nix passieren. Die Notautomatik regelt ihn runter, wenn Überlast droht. So, und jetzt beharken wir mal Ihrer Ladyschaft Lustknaben." Er drückte auf einen Knopf, um den schrillen Ton einzuspielen und dabei immer lauter werden zu lassen. Doch als er nach zwei Sekunden keinen Schmerzensschrei aus der Zelle hörte fiel ihm ein, mal auf das Kamerabild der Zelle umzuschalten. Da sah er, daß die Zelle leer war. Der Bengel war nicht mehr da!

"Tolle Ablenkung",knurrte Titus Greywater. Linus drohte ihm mit der Faust. "Ist doch warh, Linus. Du hast dich von diesen beiden unkaputtbaren Vogelscheuchen ablenken lassen, und der Junge ist einfach getürmt."

"Dann wird er gleich in die Fallen reinrennen und verrecken", knurrte Linus. Er schaltete an den Überwachungskontrollen herum, um zu sehen, wo der Junge jetzt war.

"Linus, ich glaube, das ist jetzt ziemlich schlecht", raunte Titus Greywater.

"Ich habe dich als meinen Joker im Ärmel gehabt. Aber deine Klugscheißereien gehen mir jetzt langsam auf die ...", knurrte Linus, als von irgendwo aus dem Komplex ein lauter Knall ertönte. Sofort sprang der Bildschirm auf den Bereich, in dem die neue Störung aufgetreten war und zeigte ... eine schwarze Mattscheibe.

"Perfekt", lästerte Titus. "Dein Wunderapparat zeigt dir alles, was noch steht, nämlich nichts."

"Wie hat die das denn jetzt angestellt und ..." Rums! Wieder krachte es irgendwo.

"Die sprengt sich den Weg frei", vermutete Titus. Linus Price prüfte und las ab, daß ein ungewöhnlich starker Hitzeschock jeder Explosion vorausging. Dann piepte es, als eine Laserbarriere ausfiel.

"Die lernt schnell, alle Achtung", konnte Titus nur noch sagen, als Linus ihm die Faust auf die Nase drosch und ihn für einige Minuten von allen Ereignissen ausschloß. Doch als ihm klar wurde, daß er gerade sein magisches Trumpfas KO geschlagen hatte, war ihm doch etwas anders

"Ich kriege euch auch so, ihr verdammten Hexen. Dann wollen wir doch mal sehen, ob ihr mit Sarin fertig werdet." Er drückte weitere Schalter, worauf der ABC-Verschlußzustand hergestellt wurde. Das hieß, alles Personal wurde nun hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen. Das half gegen Verstrahlung, biologische und chemische Kampfstoffe. Danach entsperrte er die Gassprühanlagen. Erst als er neben den freigesetzten Nebelschwaden des heimtückischen Saringases noch zwei zusammenhängende weiße Nebelwolken sah, begriff er, daß die beiden sich gegen das Gas immunisiert hatten. Aber wo war Cecil Wellington. Der würde den Gasschwaden nicht entkommen, falls er nicht auch über derartig wehrhafte Zauberkräfte verfügte.

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"Du wagst es, Hand an meinen Herrscherstab zu legen?" Hörte Voldemort die in seinem Schädel parselnde Stimme. "Wer bist du, daß du derartig unverfroren bist?"

"Ich bin Lord Voldemort, Erbe von Slytherin", dachte Voldemort zurück, wobei er die Schlangensprache benutzte. "Deine Macht in meiner Hand wird unser beider Triumph sein, Sharanagot, Vater der Schlangenkrieger."

"Du bist bereit, meine Heerscharen zu rufen und sie ehrenvoll zum neuen Thron zu führen oder bei dem Versuch, dies zu tun dein Leben zu geben?" Dröhnte die telepathische Schlangenstimme.

"Ich bin bereit, dein Vermächtnis zu nutzen, um die Heerscharen deiner Zeit zu neuer Blüte zu führen", erwiderte Voldemort.

"So nimm meinen Herrscherstab hin und erweise dich seiner würdig. Tust du es nicht, wird das Gift von tausend Nattern deinen Leib tränken wie das Wasser die Erde." Diesmal hallte die Stimme lange nach. Dann ließen die Schmerzen wie von mehreren Schlangenbissen nach, und Voldemort zog seinen unversehrten Arm mit dem etwa zwanzig Zoll langen Holzstab zurück. Er betrachtete ihn, wie er sacht pulsierend in seiner Zauberstabhand lag. Als haben sich mehrere, einander ins Schwanzende beißende Schlangen darum gewickelt wirkte das Schnitzkunstwerk, von Dem Voldemort nicht glauben mochte, daß es Holz sein konnte. Es war bestimmt etwas wesentlich langlebigeres als Holz. Außerdem saßen zwei Metallstücke an Vorderende und Spitze. Das Vorderende glich einem Schlangenkopf mit halb geschlossenem Maul. Das hintere Ende war das Endstück eines aufgerollten Schlangenschwanzes. Nun hatte Voldemort die ultimative Macht über alle Schlangen. Er konnte sie über große Entfernungen rufen und befehligen. Er konnte in die Wahrnehmung jeder Schlange auf Erden eintauchen, wie er es vorhin mit seiner Nagini gekont hatte. Doch wer diese Macht anrief mußte sich auf die Suche nach den schlafenden Kriegern machen. Und über diese wollte er zunächst mehr in Erfahrung bringen. Denn sonst, wenn der Pakt nicht eingehalten wurde, den er eben geschlossen hatte, würde ihn etwas wie das Gift von tausend Nattern treffen und diesen Körper töten, den er nach Jahren erst zurückbekommen hatte. Doch vielleicht entging er diesem Fluch, weil er ja bereits verflucht war. Er hatte Einhornblut getrunken, durch zwei Schwarzmagische Rituale diesen Körper zurückbekommen und obendrein seine Seele in sieben selbständige Teile zerlegt. Was konnte ihm da dieser Schlangenfluch anhaben? Doch auch wenn er vielleicht immun war konnte das auch heißen, daß nicht sein Körper, sondern seine Macht vergiftet wurde, daß er schwächer wurde, seine Kräfte nicht mehr voll einsetzen konnte. Dies mochte wahrlich schlimmer sein als ein körperlicher Tod. Doch er empfand viel Respekt vor den Magiern des alten Reiches. Er steckte das erbeutete Zepter fort und verließ das unterirdische Labyrinth. Vor der Tür kämpften die beiden Golems, die jetzt schwer angeschlagen waren und nur noch unvollständige Arme besaßen. Der größte Wertiger griff erneut an. Voldemort feuerte seine zweite Leuchtpistole ab und traf den Patriarchen der Wertiger mit dem Leuchtspurgeschoss mitten in das Raubkatzengesicht. Laut heulend wich er zurück, hieb noch einmal mit der Pranke nach Voldemort aus. Doch dieser ging hinter einem der Golems in Deckung, der mit lautem Scheppern in Stücke ging. Jetzt standen sich der brennende Wertiger und Lord Voldemort Auge in Auge gegenüber. Der Dunkle Lord zog den Schlangenstab hervor und zeigte ihn dem Patriarchen.

"Da, siehst du alter Bettvorleger, ich habe es gekriegt", schnarrte er. Da erwachten in dem Großen die letzten Kräfte. Er sprang vor, wollte sich brennend auf Voldemort stürzen, als der zweite verbliebene Golem sich dazwischenwarf und den Anprall hinnahm. Das Steinungetüm umklammerte den brennenden Wertiger, obwohl er im Feuer selbst schaden nahm. Voldemort spurtete los, tauchte unter einem springenden Tiger hinweg und erreichte den Außenrand des Tempels.

"Alcara, lass deine Golems jetzt schießen!" Rief er.

"Die bewaffneten Golems hoben die Raketenwerfer und feuerten. Wie Vögel der Vernichtung schwirrten die Geschosse auf den Tempel zu und schlugen in die Steinbauten ein. Wo sie explodierten, erblühten große Flammenkelche, wurden bald zu einem großen Feuerteppich. Die noch überlebenden Wertiger flüchteten in Panik in alle Richtungen. Das war eigentlich nicht, was Voldemort wollte. Er wollte die unzähmbaren Bestien töten, alle ausradieren. Doch durch die auch für ihn gefährlich werdende Lohe blieb ihm nur der Rückzug. Vielleicht brannte der Dschungel, und die Wertiger wurden doch noch die Beute des Feuers. Die Golems wichen zurück und feuerten alles in den nun rot glühenden Steinhaufen, der einmal der stolze Tigertempel gewesen war. Bald stand über der uralten Anlage ein hell flackernder Feuerdom.

"Zum Flugteppich!" Rief Voldemort und warf sich in eine Disapparition. Es gelang. Auch Alcara erschien.

"Es sind noch die zehn bewaffneten Golems übrig und ..."

von irgendwoher fauchte eine Rakete heran und traf einen bewaffneten Golem, der mit lautem Donnerschlag in einem Feuerball verschwand. Zwei weitere Golems gerieten in die Ausläufer der Flammen und vergingen auf die gleiche Weise.

"Schießen die sich jetzt gegenseitig ab?" Fauchte Voldemort, als eine weitere Rakete mitten in einen Pulk aus vier Golems einschlug und diese in vier gigantische Leuchtkugeln verwandelte, die meterhoch in den Himmel geschleudert wurden.

"Der Teppich wird jetzt schön leicht", feixte Voldemort. Doch was war das? Noch eine Rakete fauchte auf die letzten drei Golems zu, die gerade auf den Schützen einschwenkten, um dann wie ihre Artgenossen den explosiven Feuertod zu sterben.

"Bring uns weg hier!" Zischte Voldemort und langte nach seinem Zauberstab. Vielleicht konnte er diesem ungebetenen Raketenschützen den Todesfluch überziehen, wenn jetzt die Wertiger verschwunden waren, wohl bis auf einen, der jetzt als Mensch herumlief. Tatsächlich, da saß ein blonder, kräftig gebauter Mann rittlings auf einem schlanken Tiger mit goldenem Fell und braunen Streifen und zielte mit einer weiteren Rakete, während der Flugteppich ruckelnd Höhe gewann. Als Voldemort sah, wie der zum Menschen zurückverwandelte Feind auf ihn einschwenkte rief er die beiden verderblichen Worte: "Avada Kedavra!" Doch wo der grüne Blitz zunächst wie üblich aus dem Zauberstab schlug zerfaserte er knapp einen Meter vor dem Gespann aus Wertigern und zerstreute sich in einer in alle Richtungen davonfliegende Funkenwolke.

"Das glaube ich nicht. Der aramäische Zerstörungsfluch kann sie nicht treffen", schrie Alcara, als der auf dem Tigerrücken sitzende nackte Mann die Rakete losschickte, Zielgenau auf zwei in der Luft befindliche Wärmequellen zurasend.

"Runter hier!" Brüllte Voldemort und sprang vom fliegenden Teppich ab. Alcara zögerte fast zu lange, als er vom Teppich absprang und sich in eine Disapparition warf zerplatzte das Brandgeschoss und verwandelte den sonst so stattlichen Flugteppich in eine Ladung angekohlter Wollfasern, die qualmend zu boden regneten.

"Det lernwa bei der Panzerabwehr beim Bund, ihr Flitzpiepen!" Rief der Mann auf dem Tiger. Es war Rupert Möller, der in Deutschland erwachte geborene Wertiger, der davor eigentlich mal Zimmermannsmeister mit eigener Firma werden wollte. Er sah die beiden Fremden nicht mehr. Offenbar hatten sie sich irgendwie weggebeamt oder teleportiert. Schade. Einen hätte er zu gerne noch hinter seinen verbrannten Artgenossen hergeschickt. Er senkte den Raketenwerfer und tätschelte sein Reittier, das sich einfach unter ihn geschoben und ihn auf den Rücken genommen hatte, um ihm die Möglichkeit zu geben, hinter den Feinden herzuschießen. Er hatte keinen Blick dafür gehabt, wer ihn da so selbstlos getragen hatte. Dann hörte er die Stimme des Artgenossen und bekam weiche Knie.

"Du hast sie vertrieben, Feuerkrieger", schnurrte jene Wertigerin mit dem goldenen Fell mit den samtbraunen Streifen. "Schade, daß dir nicht vergönnt war, diese beiden meinem Vater hinterherzusenden, auf das er sie im nächsten Leben als Diener halten kann."

"Ich wußte nicht, daß du'n Mädchen bist und ... Öhm, dann wäre ich nicht so cool auf dir hockengeblieben", sagte er und machte Anstalten, von seinem lebendigen Untersatz herunterzurutschen. Doch sie ruckelte und bekam ihn so wieder richtig auf den Rücken.

"Ich bin stolz, dich getragen zu haben und dich zu unseren Brüdern und Schwestern zu tragen und will haben, daß wir beide zusammenbleiben. Denn du bist stark, mutig, schnell und gewandt. Einen solchen Gefährten will ich haben, Feuerkrieger."

"Öhm, eigentlich heiße ich Rupert", sagte Rupert leicht verlegen, daß ausgerechnet diese überragende Supertigerin ihn haben wollte.

"Wer in den Tempel getreten ist, läßt seine alten Taten vor dem äußeren Kreis. Du bist ab heute der Feuerkrieger, Rächer meines großen Vaters Eisenpranke. Ich bin Sonnenglanz."

"Angenehm", sagte Rupert Möller, alias Feuerkrieger. Sonnenglanz schnurrte warm und brachte seinen Körper zum erzittern. Er fühlte, daß er gerade ein heißes Verlangen hatte. Doch er wollte es nicht hier, wo hinter ihnen das Feuer um den Tempel loderte und es nach verbranntem Fleisch getöteter Brüder und Schwestern stank ausleben.

Sie hörten in der Ferne Rufe anderer Geschwister. Sonnenglanz sagte zu Feuerkrieger, er möge sich ruhig in ihrem Nackenfell festhalten. Dann galoppierte sie los, bis sie auf einer weit entfernten Lichtung drei weitere Brüder und drei Schwestern trafen. Einer der Brüder nahm gerade menschliche Erscheinungsform an und sah Feuerkrieger, der mit einer Mischung aus Triumph und Verlegenheit auf Sonnenglanz saß. Neben dem gerade in Menschengestalt zurückverwandelten Wertiger hockte sich eine wohl schon etwas ältere Wertigerin hin, die Sonnenglanz und Feuerkrieger ansah. Sie sagte nur:

"Wenn du ihn willst und er dich, gehört ihr von heute zusammen, meine Tochter!" Dann sah sie den anderen jungen Mann an, der etwas verlegen dreinschaute und nahm menschliche Gestalt an. Zum Vorschein kam eine kugelrunde, gutmütig dreinschauende Inderin mit hüftlangem schwarzen Haar. Feuerkrieger sah sie an, die in ihrer Nacktheit dastand und das für völlig unbedeutend hielt. Er glitt von Sonnenglanz herunter. Er streichelte sie und fragte sie, wie sie denn in der anderen Gestalt aussah. Da stieg sie mit den Vordertatzen hoch und schrumpfte ein, bis vor ihm eine schlanke, mit starken Armen und Beinen gesegnete Frau stand. Ihre noch junge Haut war landesüblich getönt. Doch ihre bis auf den Rücken herabreichenden Haare waren goldblond. Seine Augen schienen ihm aus dem Kopf zu fallen. Da lachten die beiden, die er jetzt an Gesichtern und den dunkelbraunen Mandelaugen als Mutter und Tochter zuordnen konnte.

"Kuck mich mal an, Bruder. Ich bin waschechter Amerikaner und konnte mich in Bombay locker zwischen den Eingeborenen hier verstecken", sagte der dunkelhaarige Mitbruder. Da nahmen auch die anderen Wertiger ihre menschliche Erscheinungsform an. Sie waren aber eindeutig Söhne und Töchter aus den Tälern von Indus und Ganges.

"Unsere heilige Stätte wurde zerstört, das zu hütende Vermächtnis dunkler Macht geraubt", sagte Sonnenglanzes Mutter Nachtwind. "Unsere Ehre und unser Schicksal sind vernichtet."

"Müssen wir jetzt sterben?" Fragte ein anderer Wertiger, der als Mensch auch noch ein sehr junger Mann war, Sonnenglanzes Vetter.

"Nein, das müssen wir nicht. Aber wir sind nun ohne Halt in dieser Welt", sagte Nachtwind. Dann meinte der selbsternannte Amerikaner, der früher einmal Dennis Taller geheißen hatte:

"Wieso. Wir bauen uns den Tempel anderswo wieder hin. Von denen, die ihn schon lange kennen sind ja vier noch da. Und dann, wenn wir den fertig haben, machen wir den Bastard alle, der uns angegriffen hat und seine Golems."

"Das geht nur, wenn wir vier und vier sind, vier Brüder und vier ..." sagte Nachtwind. Dann lächelte sie. Sie sah in die Runde und nickte Dennis Taller zu. Sie deutete mit ihrer großen, weichen Hand auf ihn und sagte: "Dann Heißt du heute Neubeginner. Als älteste von uns darf ich dir diesen Namen zuteilen. Wie hat meine Tochter dich genannt?" Fragte sie Rupert. Sonnenglanz sagte es ihr. Nachtwind nickte zustimmend und machte eine Geste, die Feuerkrieger nicht kannte. Sonnenglanz sagte, das sei eine Segnung. Dann passierte was, das Neubeginner heftiger umhaute als der Angriff der fremden Zauberer und ihrer Feuerraketen. "Da mein Gefährte Eisenpranke mit unserem alten Heiligtum ging und ich ihm keinen männlichen Nachfolger gebären durfte, bist du ab heute mein Gefährte, Neubeginner."

"Wie was. ... Ich bin ihr ... was? Mit Ihnen jetzt ... verheiratet oder was?" Stammelte Neubeginner. "Öhm, 'tschuldigung, aber damit wollte ich an und für sich noch warten, erhwürdige Frau", legte er schüchtern nach.

"Du hast deine Stimme für den Neubeginn erhoben und wirst ihn mit mir an deiner Seite in die Tat setzen."

"Tja, so schnell bist du hier unter der Haube, Kumpel", feixte Feuerkrieger. Neubeginner besah sich die Frau, die ihn mal soeben zu ihrem neuen Ehemann erklärt hatte, wo sie erst seit ein paar Minuten Witwe war. Aber vielleicht war es das Gesetz des Dschungels, dachte der nun seine Vergangenheit abstreifende Dennis Taller. "Sehen wo man bleibt, nehmen was da ist, sich ranhalten um nicht hinten runterzufallen."

So begründeten Nachtwind mit Neubeginner, Sonnenglanz mit Feuerkrieger und die beiden anderen Paare die Gemeinschaft der ersten acht, die sich anschickte, den neuen Tempel der sechzehn Tiger zu bauen. Neubeginner fragte nur einmal, ob er Menschen töten müsse. Nachtwind beruhigte ihn. Wenn er nicht von Menschen angegriffen würde, müsse er keinen Einfachgestaltlichen mehr töten, es sei denn, er gewinne dadurch mehr Kraft und Zuversicht. Doch Neubeginner schüttelte den Kopf. Er wollte nie ein Mörder sein, und selbst wenn er jetzt noch mehr die Natur eines wilden Tieres in sich trug als es gewöhnliche Menschen schon taten, wollte er keine reißende Bestie mehr sein.

___________

Anthelia hatte Cecil geboten, sich aus der Zelle zu entfernen und davor auf sie zu warten. Sie kämpften sich weiter voran, bis sie mehrere schwenkbare Laser vor sich hatten, von denen Anthelia beinahe getroffen worden wäre. Sie mußten drastischere Zauber anwenden und brannten zwei Gänge in kurzer Zeit mit Feuerbällen aus. Dann erfuhren sie, daß Linus ein tödliches Gas freisetzen wollte, das schon bei Berührung wirksam wurde, wie das Drachengallengas.

"Der Kerkertrakt ist nicht gesichert. Der Junge wird es nicht überleben", meinte Anthelia. Patricia nickte und zerfloß zu weißem Nebel, der einzigen Möglichkeit, das Gas unwirksam durch sie hindurchzuleiten.

"Wie können wir dem Jungen helfen?" Fragte Patricia mentiloquistisch.

"Ist der Gang vor der Zelle denn frei?" Fragte Anthelia zurück.

"Elektrische Gitter, mehr nicht."

"Dann los, auf den direkten Weg dorthin."

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Cecil Wellington stand vor den leise summenden Gittern, um die im Abstand von einem Millimeter die Luft flimmerte. Offenbar hatte sein Kerkermeister mit dem Sprachsynthesizer wirklich ein paar Tausend Volt Spannung auf die Metallstangen gelegt. Als er dann hörte, daß alle Wohnbereiche ABC-verschlossen wurden und Anthelia was von Sarin telepathierte erbleichte er. Das war einer der teuflischsten chemischen Kampfstoffe, die jemals erfunden worden waren. Da half Luftanhalten überhaupt nichts. So dachte er:

"Dann werde ich wohl gleich die letzten Zuckungen erleben und dann in die nächste Welt hinüberziehen."

"Nicht so schnell", dachte ihm Anthelia zu. "Noch können wir dir helfen. Doch Cecil rechnete jetzt jeden Moment damit, die tödlichen Schwaden zu sehen. Konnte man Sarin riechen? War doch eh egal, weil es einen auch so schon schnell genug umbrachte. Da fielen aus der Deckenbelüftung zwei Nebelstreifen. Einer verwandelte sich in Antehlia.

"Die künstlichen Winde blasen den infernalischen Brodem nicht so schnell hierher wie in die Gänge, wo wir herkommen. Wir haben noch eine Minute."

"Und wie wollt ihr mir helfen?" Fragte Cecil.

"Hast du nicht in eurer verkümmerten Alchemie, die nur noch nach Mischung und Summe handelt gelernt, wie giftige Gase beseitigt werden?" Fragte Anthelia.

"Die Feuerwehr kann Chlor und andere Giftgase mit viel Wasser niederschlagen. Ansonsten gibt's gegen Sarin kein Mittel außer luftdichte Räume oder Anzüge. Die Zelle da hängt wohl an der Klimaversorgung."

"Die können wir verschließen und durch magische Luftblasen atmen", behauptete Anthelia. Dann trieb sie Cecil in die Zelle zurück. Die Nebelwolke, die wohl Patricia Straton war folgte. Dann machte Anthelia drei Sachen hintereinander. Zuerst bohrte sie mit einem Grünen Strahl ein Loch in den Boden. Dann zog sie mit "Hic cateractus Maximus" eine Gedachte Linie quer über die Länge des Ganges. Mit einem lauten Donnern fielen mit einem Mal Tonnen von Wasser von der Decke herunter, so breit und so wild wie die Niagarafälle. Durch das Loch im Boden floß zwar viel ab, dennoch wurde der Boden schnell nass. Dann schloß sie mit Konzentriertem Blick auf die Tür den Zugang zur Zelle von innen, während Patricia wieder feste Form angenommen hatte unt die Luftschlitze mit einer hauchdünnen Folie überzog, die eine Sekunde später dicke eingeschweißte Platten waren.

"Das würde ich nicht probieren, Linus!" Rief Anthelia und blickte auf eine bestimmte Stelle in der Wand. Dann deutete sie mit dem Zauberstab darauf und rief: "Iovis Amplifico!" Mit lautem Knall sprang ein Blitz auf eine winzige Unebenheit in der Gummibewandung über. Sie hörten, wie es dahinter knisterte und dann Piff machte, worauf das Licht in der Zelle erlosch. Dann trat Patricia an Cecil heran, der durch das Donnern des Wasserfalls kein normales Wort mehr verstehen konnte. Unvermittelt fühlte er, wie ihm etwas luftiges um den Kopf wehte und dann frische Luft in seine Lungen drang.

"Da du kein Zauberer bist wird diese Blase nur zehn Minuten halten. Ich gehe davon aus, daß das Teufelselixier dann von den Wassermassen fortgespült wurde", hörte er Patricias Stimme in seinem Kopf. Die beiden Hexen machten mit ihren Zauberstäben Licht und stellten sich neben Cecil. Die Tür war ebenfalls luftdicht verschweißt worden.

"Können wir nicht einfach aus dieser Hexenküch... Höllenbude rausteleportieren?" Fragte Cecil.

"Natürlich könnten wir das, aber dann würden wir die Bande entkommen lassen, die dich in diese Kalamitäten hineingezogen hat", erwiderte Anthelia in seinem Kopf. Er versuchte, durch die Blase zu sprechen, klang dabei so, als würde er in ein langes, gepolstertes Rohr hineinreden.

"Du sagtest was zu einem Linus, Anthelia", dachte Cecil. "Welchen Linus meinst du?"

"Den korpulenten Gentleman, dessen Streich deinen neuen Vater gegen ihn aufgebracht hat, Linus Jonathan Price."

"Warum sollte der mich ... Moment mal, der meinte, ich sei nicht normal und hätte Kontakt mit wem, was ja stimmt."

"Weil er wiederum jemanden in der Verwandtschaft hat, der die magische Welt kennt. Deshalb können wir nicht so einfach disapparieren, weil dieser Jemand dann allen, euren Leuten und unseren Leuten auftischt, daß du unser Kundschafter bist. Bisher halten sie es schön geheim, weil sie Profit daraus schlagen wollen. Aber wenn wir ihnen einfach so entwischen, können sie es allen sagen, und das lasse ich nicht zu."

Das erschien Cecil logisch. Wem die Felle davonschwammen konnte alle mit in den Sumpf ziehen. Doch woher wußten die Hexen, daß Price, wenn er es denn war, noch nicht rumposaunt hatte -? Natürlich, weil sie beide Gedanken lesen konnten. Und dieser andere Zauberer?

"Der wurde von seinem Verwandten niedergeschlagen, weil er ihm zu deutlich machte, daß sein Plan bereits im freien Fall begriffen ist", dachte Anthelia. "Im Moment überlegt Linus, wie er den Wasserfall stoppen kann, da er sein Wasser aus der Umgebung zieht und neben Trinkwasser auch Meerwasser anzieht."

__________

Jetzt hatte diese Hexe ihn schon wieder genarrt. Nicht nur, daß sie mit ihrer Bundesschwester als Nebelgestalten aus den Sarinschwaden entkommen und mal eben so durch mehrere Luftschächte gequollen waren, sondern auch, daß sie Cecil vor der Zelle gefunden, aus dem Nichts einen donnernden Wasserfall gezaubert hatte und dann die Tür von innen verschlossen und laut Anzeige der Klimaversorgung die Luftschächte blockiert hatte. Dann hatte sie auch noch die komplette Elektrik in der Zelle mit einem Überschlagblitz zerstört. Linus Price fühlte, daß er sich da wahrlich eine übermächtige Feindin ins Haus geholt hatte. Titus, der gerade wieder erwachte, sah ihn an und meinte, er sei ja noch am leben und habe nur vier Gliedmaßen, beziehungsweise immer noch.

"Deine sexy Hexy spielt mit uns. Warum klemmt die sich den Bengel nicht untern Arm und beamt sich weg?" Fragte Linus seinen Schwager.

"Oh, die hat den Jungen gefunden. Dann kann ich dir sagen, warum die nicht disappariert, Schwager. Aus dem Grund, aus dem ich jetzt nämlich disapariere. Du hast dir die flotten Bienen eingeladen, dann sieh zu, wie du mit ihnen klarkommst!"

"Nix da, mich hier alleine lassen", knurrte Linus und drosch seinem Schwager noch einmal einen rechten Haken ans Kinn.

"Du hinterhältiger Sandfloh hast mir geraten, mir diesen Bengel zu holen und untersuchen zu lassen. Ich werde mit dieser Vogelscheuche schon fertig."

Linus prüfte, ob das viele Wasser wirklich aus dem Nichts kam. Tatsächlich erkannte er, daß der Wasserfall-Zauber Wasser aus den Trinkwasser- und Sanitärbehältern verschwinden ließ, aber wohl auch Meerwasser einbezogen wurde. Alles zudrehen der Wasserleitungen half nichts. Inzwischen gab es einen massiven Kurzschluß auf der Zellenebene, weil das elektrische Gitter über den Wasserpegel mit Stromleitungen verbunden wurde. Diese Kurzschlüsse lösten Folgekurzschlüsse aus, zumal das irgendwie abfließende Wasser weiter unten ebenfalls elektrische und elektronische Systeme lahmlegte. Seine ganze schöne Inselfestung verwandelte sich gerade in einen mehrstöckigen, allerdings unbeheizten und unbeleuchteten Swimmingpool. Zum Glück waren alle Wohnbereiche ABC-verschlossen, daß seine Leute nicht ertrinken mußten. Überhaupt, warum schickte er zur Abwechslung mal keine Marines auf diese Hexen brut los. Vielleicht hatten die Skrupel, Menschen zu töten. Doch was hatte Titus gesagt, er wundere sich, daß er, Linus, noch er selbst sei. Außerdem sollte das jene Hexe sein, die den magisch versklavten Hurenmörder Richard Andrews getötet und die magische Burg eines russischen Schwarzmagiers in die Luft gesprengt hatte, die bestimmt genauso toll wie seine kleine Festung war. Die kannte keine Skrupel. Außerdem hatten die automatischen Waffen ihr nichts getan. Was sollten da die Söldner, die er als private Leibgarde beschäftigte. Nein, wenn er wollte, das die Sache nur zwischen ihr und ihm ausgetragen wurde, durfte er seine Leute nicht verheizen. Er hatte vier Prototypen möglicher Kampfroboter mit eingebauten MGs und Kurzstreckenlasern. Doch die wären gegen eine echte Hexe völlig wertlos. Vielleicht hatte Titus recht, und die Flucht war das einzige, das ihm noch blieb. Wieder verabschiedete sich in schneller Folge ein komplettes Teilstück des Stromnetzes. Linus erschauderte. Der Reaktor war nun unkontrollierbar. Er mußte sofort die Notabschaltung veranlassen, bevor es einen Supergau gab, der die Insel und das umliegende Meer verwüsten würde. Er griff zum Nottelefon und sprach mit seinen Atomingenieuren. Diese hatten jedoch schon den Reaktor heruntergefahren und auf die großen Akkus umgelegt.

"Speisewassersystem verlor Druck, Sir. Haben wir Notausschaltung gemacht, weil sonst Reaktor Kritisch heiß und dann zweites Tschernobyl."

"Sehr umsichtig. Sichern Sie die Brennstäbe und die Vorräte!" Wies Linus seinen Chefingenieur an. Als er auflegte, atmete er auf. Zwar war der Reaktor einen Kilometer unter der Oberfläche, aber einen Atomunfall mußte ihm diese Hexe ja ech tnicht noch einbrocken.

Es ploppte im Büro. Linus fuhr herum. Da stand sie, die strohblonde Hexe.

"Ich finde, das Theater geht jetzt lange genug", sagte sie mit einer warmen Altstimme. "Ich habe von dir neue Sachen gelernt und verschiedene Abwehrzauber ausprobiert. Jetzt reicht es mir. Ich werde gleich mit meiner Bundesschwester und dem Jungen, den ich aus guten Gründen kultiviere diese gastliche Insel verlassen. Wenn du dir aber einbildest, daß ich dich und deinen intriganten Schwager einfach eurer Wege ziehen lasse irrst du dich."

Linus griff an eine Schublade, wo er eine Pistole bereitliegen hatte. Doch in dem Moment, wo er die Waffe holen wollte, wußte dieses Weib ja schon ... Er bekam die Schublade nicht auf.

"Immer grobe Gewalt. Das kommt davon, wenn euch Männern nicht die große Gabe gegeben ist, die Macht der Magie zu erlernen und sinnvoll zu wirken. Nicht so wie dein netter Schwager hier." Titus schoss hoch, griff seinen Zauberstab,und sah gerade noch, wie dieser der blonden Hexe in die Hand sprang.

"Verdammt", knurrte Titus und wollte disapparieren. Da erwischte Anthelia ihn mit einem Schockzauber.

"Ich sagte, ich lasse euch nicht so davonkommen, nachdem ihr mir und meinen ehrbaren Bundesschwestern einen solch üblen Streich gespielt habt", herrschte sie Linus an. Dieser fauchte zurück:

"Dann hex mich doch tot mit diesem Avada Kedavra oder wie der geht."

Da flog die Tür auf, und zwei Männer stürmten herein und griffen Anthelia an. Diese doch etwas verwirrt über diesen unerwarteten Angriff, wehrte sich telekinetisch, schaffte es, die Ledernacken abzuschütteln. Doch in diesem Moment verschwanden Price und Greywater durch eine Luke und waren fort. Sie hörte das Singen eines bestimmten Kristalls und disapparierte gerade noch in dem Moment, wo ein bereits vor wochen eingesetzter Incantivacuum-Kristall zündete. So bekam Anthelia erst mit, daß die fliehenden in den Learjet gefahren waren, als dieser startete, offenbar hatte Price seinen Leuten Instruktionen erteilt, daß sie die Eindringlinge erledigen sollten. Als Anthelia und Patricia die letzten Verteidiger der Insel mit Schlaf- und Gedächtniszaubern unschädlich gemacht hatten, hörten sie das Heulen der Triebwerke. Der Learjet war gestartet.

"Verdammt, wenn er funkt war alles vergeblich", meinte Patricia. Anthelia indes murmelte eine magische Formel, nach der aus ihrem Zauberstab ein gigantischer nachtschwarzer Vogel herausstieg. Mit drei Worten jagte sie den Vogel hinter dem Learjet her.

"Tja, das war's dann wohl, Anthelia", meinte Cecil, der dem Learjet nachsah, der im 45-Grad-Winkel in den Himmel emporraste.

"Er hat den eigentlichen Piloten von Bord geschickt", dachte Anthelia. "Dann erwischt es keinen Unschuldigen."

"Wer von denen kann denn fliegen?" Fragte Patricia Straton.

"Price kann's", sagte Cecil. "Der hat für kleine Flieger den Pilotenschein." Dann sah er, wie der riesige Vogel den Learjet einholte. Dieser wich nach rechts aus, doch der Vogel war wendiger und konnte mehr Beschleunigungskräfte vertragen als die Maschine und ihre Insassen. Da erwischte der Schnabel des Ungetüms die rechte Tragfläche. Diese brach ab,und der Learjet schleuderte auf dem linken Triebwerkstrahl herum. Dann hieb der Vogel auch den linken Flügel durch, und das schnittige Flugzeug fiel wie ein Stein zu boden. Es schlug laut donnernd gegen eine hohe Felsenkuppe und ging in Flammen auf. Eine Minute Später explodierte die restliche Treibstoffmenge mit einem großen Feuerball, dem drei Sekunden Später ein dumpfer Donnerschlag folgte. Anthelia ließ erst ihren Riesenvogel in den Zauberstab zurückkehren. Dann beorderte sie weitere Hexenschwestern herbei. Sämtliche Bewohner der Insel bekamen neue Erinnerungen, demnach es wegen eines massiven Wasserlecks zu Kurzschlüssen gekommen war, die das kleine Atomkraftwerk fast zur explosion gebracht hätten. Durch einen Elektrischen Funken im Treibstofftank, sei der Learjet, der überhastet geflohen war, kurz nach dem Start abgestürzt.

Mit dem großen Jet, mit dem im Falle einer schnellen Räumung alle Bewohner evakuiert werden konnten wurde Cecil zusammen mit den meisten anderen Bewohnern zurückgeflogen. Er behauptete, sich an nichts erinnern zu können. Spekulationen, unter anderem angeheizt von Liberty Grover, deuteten an, daß Linus Price sich an Senator Wellington rächen wollte, weil dieser ihm einhundert Millionen Dollar vermasselt habe, die er für ein Industrieelektronikgeschäft hätte kriegen sollen, wegen jener Animosität, die der Senator wegen des entgangenen Geschäfts mit der feindlichen Übernahme gehegt hatte. So stand Aussage gegen Aussage. Golden Castle Island blieb bis auf weiteres unbewohnt. Anthelia hatte schon überlegt, dieses Eiland zu übernehmen. Doch dieser Atomreaktor ... Sie hatte sich dieses Ding einmal aus der Nähe angesehen. Dabei waren ihr heftige Schauer und unangenehmes Kribbeln über die Haut gelaufen. Daraufhin hatte sie befunden, in ihrem Hauptquartier besser zu leben.

Im Rat der Schwestern der Spinne berieten Anthelia und ihre Anhängerinnen, wie sie in Zukunft die Entführung oder Mordversuche vereiteln konnten. Das Ergebnis dieser Beratung war, daß eine Hexe namens Romina Hamton es einrichten konnte, in die Nähe von Cecil Wellington zu ziehen.

Als am zwölften Mai das endgültige Urteil in der Schadensersatzklage gegen den Farmer Cody verkündet wurde, war die Nation gespalten. Denn es wurde zweifelsfrei festgestellt, daß ein Farmer, der mehr als zwanzig Hekter Land bestellen konnte, nicht genötigt werden könnte, jeden Tag alle Quadratmeter nach Hornissennestern abzusuchen. Es wurden auch zwei Präzedenzfälle angeführt, demnach für Schäden, die durch Vorgänge in der Freien Natur entstanden, nicht der Eigentümer des Grundstücks haftbar gemacht werden durfte, auf dem der Vorfall passierte. Somit konnte Mr. Cody seine Pferderanch und das Waldstück behalten. Laura Carlotti ließ ihr Pferd dort wieder unterstellen, und weil Cecil mit ihr zusammen vor der Presse bekundet hatte, daß er sehr gerne wieder dort über die Wiesen und Felder galoppieren würde und sein Vater ein fairer Verlierer sei schon ein neues Pferd gekauft habe, blieb dem Senator nichts anderes übrig als Cecil einen vierjährigen Fuchshengst zu kaufen, der auf den erhabenen Namen Montezuma hörte. Anthelia war zwar nicht so besonders begeistert von der Rückkehr zum Pferdesport, doch sie konnte verstehen, daß Cecil einstweilen nicht mehr unter Aufsicht Rennradtraining machen wollte.

Es war das letzte Maiwochenende, als Antehlia es kurz vor ihrer üblichen Schlafenszeit erfuhr, daß es in Hogwarts einen Einbruch von Anhängern des Emporkömmlings gegeben habe. Als sie dann noch erfuhr, daß der Schulleiter selbst von einem seiner Lehrer, Severus Snape, mit dem tödlichen Fluch umgebracht worden war, berief sie eine spontane Sitzung aller Spinnenschwestern für den kommenden Sonntag nachmittag ein. Sie saßen zusammen und unterhielten sich über Dumbledore, daß er zwar manch merkwürdige Ansichten zum Umgang der Zauberer mit der Muggelwelt hatte und es als schändlich angesehen habe, wenn jemand für große Ziele nicht immer im Rahmen der Paragraphen blieb. Doch alles in allem, so waren sich alle einig, war mit Dumbledore vielleicht nicht gerade ein Erzfeind, so aber ein ehrenvoller Gegner aus der Welt geschieden, mit dem man sich durchaus auch hätte arrangieren können.

"Wir müssen nun davon ausgehen, meine Schwestern, daß der Emporkömmling nun vermeint, freie Bahn in der ganzen Welt zu haben. Es ist an uns, ihn den anständigen Leuten hier und anderswo vom Leib zu halten und seine wahnwitzige Zerstörungswut nicht auf fruchtbaren Boden fallen zu lassen. Womöglich hätten Dumbledore und ich nur Streit gehabt. Aber ich schätze einen intelligenten Streit höher ein als Wankelmut und Terror. Unsere Ziele, liebe Schwestern, sind heere Ziele, wenn wir es erreichen, sie den Menschen, für die wir sie erstreben wollen, als die beste Art zu leben vermitteln können als sie ihnen als dunkles Zeitalter anzudrohen. Ich freue mich, unter euch Mitschwestern zu erblicken, die obwohl sie den Gesetzen nach Missetäterinnen sind, weil Sie mir folgen und viel zu verlieren haben, zu mir stehen und mir und damit euch und uns allen helfen wollen, diese Welt zu einem Ort zu machen, indem Habsucht und Machtgier um der Ausbeutung anderer nicht mehr geduldet wird. Vielen Dank, meine Schwestern! So beendete Anthelia ihre kurze Ansprache. Dann gedachten sie wie zu Beginn Professor Albus Dumbledore, ohne den die Zaubererwelt ein stück leerer sein würde.

_________

Anders als Anthelia freute sich Voldemort, als er, nachdem er seine Beute über einen Todesser in einem Gringotts-Verlies hatte unterbringen lassen, von Dumbledores Tod erfuhr. Er rief seine Todesser einen Tag später zu einer großen Feier zusammen, bei der er verkündete, daß nun der letzte Tor der Zaubererwelt sein Ende gefunden habe und nun die große Tat vollbracht werden könne, die magische Welt von allen unwürdigen Mitgliedern zu säubern, auch wenn es wie in wenigen Fällen starke Zauberer seien.

Alcara war wieder unterwegs, um das Ausgangsmaterial für neue Golems zu beschaffen. Nun, wo Dumbledore nicht mehr da war, würde bald noch der sogenannte Auserwählte folgen, der ganz gewiss schon auf Rache sann. Wenn der aus der Welt war, würde er dieser Wiederkehrerin das letzte Ultimatum anbieten, sich ihm zu ergeben oder zum zweiten Mal zu sterben. Doch Voldemort wußte, gerade durch das Abenteuer im Tempel der Tiger, daß auch er Kompromisse machen mußte, wollte er an seinen eigentlichen Zielen festhalten.

ENDE

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