HILFSTRUPPEN

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Seit der Wiederkehr der mächtigen Hexe Anthelia ist einiges in Bewegung geraten. Die Tochter des dunklen Feuers, eine schwarzmagisch geschaffene Kreatur in Gestalt einer verführerisch schönen Frau, hat sich den Wissenschaftler Richard Andrews unterworfen und ihn mit ihrer Magie zu einem tödlichen Gehilfen gemacht, der für sie die Lebenskraft junger Frauen raubt. Weil er dabei Verbrecherbanden in die Quere kommt, jagen diese ihn und töten ihn beinahe. Der US-Amerikanische Zaubereiminister hält die Aktivitäten der dunklen Kreatur unter dem Teppich, zum Unwillen der im Laveau-Institut zur Abwehr dunkler Kräfte arbeitenden Jane Porter, die sehr gut mit der Familie des unterjochten Mannes bekannt ist.

Um der nichtmagischen Welt zu zeigen, daß es sich bei dem fieberhaft gejagten Massenmörder nicht um Richard Andrews gehandelt hat wird ein wandlungsfähiger Mitarbeiter des Zaubereiministers, Ronin Monkhouse, dazu beauftragt, Richard Andrews' Rolle zu spielen und sich von der Bundespolizei FBI als Richard Andrews finden, verhören und verstecken zu lassen.

Anthelias junger Kundschafter in der sogenannten Muggelwelt, Cecil Wellington, hilft der Hexenführerin bei diversen Abwehrmaßnahmen. Ebenso schafft Anthelia es, den diebischen Kobold Picklock unter ihre Kontrolle zu bringen, der für sie Spion und Materialbeschaffer sein soll.

Im Mai versucht der böse Magier Voldemort, über eine Hinterlassenschaft Slytherins, Kontrolle über die bezauberten Gemälde in Hogwarts und darüber hinaus zu bekommen. Doch dieses Vorhaben scheitert. Der von seinen Anhänger dunkler Lord genannte Schwarzmagier ist gezwungen, seine Deckung zu verlassen und der Welt zu zeigen, daß er tatsächlich wiedergekommen ist, weil er Kenntnis von einer Prophezeiung haben will, die sein und Harry Potters Schicksal betrifft. Auch dieses Vorhaben scheitert. Doch Voldemort bekommt Hilfe aus dem Ausland. Der syrische Zauberer Ismael Alcara, Meister der Golemkunde, bietet ihm seine Dienste an und erhält den Auftrag, bis zum Julibeginn einhundert Golems zu schaffen und nach England einzuschmuggeln.

In Amerika sucht und findet Voldemort mögliche Anhänger in vier Zauberern, die wie er eine Erstarkung der reinblütigen Zaubererschaft wollen. Anthelia bekommt Wind davon und nimmt sich diese Leute vor. Als der dunkle Lord dann höchstpersönlich im Sumpfgebiet der Everglades in Florida erscheint, kommt es zur ersten Begegnung zwischen der Führerin der Spinnenschwestern und dem dunklen Lord. In einem heftigen Duell bringen sich beide an den Rand der Niederlage. Weil Anthelia einen magischen Gürtel besitzt, in dem die Abwehrkraft gegen 22 verschiedene Todesarten steckt, unter anderem noch fünf Widerstandszauber gegen den tödlichen Fluch, und weil sie in weiser Voraussicht ihren magischen Avatar vorher schon beschworen hat, geht sie aus dem Duell als knappe Siegerin hervor. Weil sie denkt, daß Voldemort nicht getötet werden kann und auch nicht will, daß Harry Potter dabei stirbt, schenkt sie dem dunklen Magier das Leben und läßt ihn gedemütigt vom Schlachtfeld abziehen. Daß sie damit weitere unschuldige Leben gefährdet weiß sie. Doch sie hat bislang keine Möglichkeit, den Zauberer zu vernichten, der seinen ersten Tod überstehen konnte.

Die FBI-Agentin Maria Montes, die mit Richard Andrews und seiner Gebieterin aneinandergerät, wird auf Befehl von Zaubereiminister Pole gedächtnismodifiziert. Denn er will nicht, daß mehr als die vier Leute, Elysius Davidson und Jane Porter vom Laveau-Institut, der muggelstämmige Zauberer Zachary Marchand, der bei FBI arbeitet und er von der in den Staaten umgehenden Tochter des dunklen Feuers wissen. Bei der Konferenz, wo über die Umtriebe des gefährlichen Massenmörders in der Maske Andrews' diskutiert wird, trifft sie den Kobold Picklock, der das Treffen auskundschaftet und erregt damit auch das Interesse Anthelias, weil die Verbindung zwischen ihr und Picklock abrupt zerstört wird. Ohne es zu ahnen gerät Maria Montes ins Fadenkreuz der Spinnenschwestern.

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Schmutzig braun und ölig schwappte das Wasser an die Kaimauer im Hafen von Oran, Algerien. Das stumpfgraue, an einigen Stellen mit kopfgroßen, wie dunkelbraune Geschwüre wachsenden Rostflecken verunzierte Ungetüm aus Stahl schaukelte auf den Wellen des schmutzigen Wassers. Ganz oben, auf der Kommandobrücke des gewaltigen Frachters, stand Kapitän Norman Crauford und rauchte gerade die zehnte Zigarette. Er langweilte sich. Seine "African Empress" war vor einer Stunde eingelaufen und würde in nicht einmal zwei Stunden wieder auf hoher See sein. Die Liegegebühren und die immer effektiveren Lade- und Löschverfahren ließen den Seeleuten am Ende des 20. Jahrhunderts keine Zeit mehr. Mit Hafenromantik und heißen Nächten in südländischen Gefilden war da überhaupt nichts mehr. Crauford dachte wehmütig daran zurück, wie er vor fünfzig Jahren als Schiffsjunge auf seinem ersten Frachter angeheuert hatte und von den älteren Seebären dieses und jenes beigebracht bekommen hatte. Doch heute lernten die Schiffsjungen, wenn man sich sowas überhaupt noch mitnahm, lediglich die älteren Seebären zu füttern und deren Dreck über Bord zu wischen. Statt Fässern und Säcken füllten heute genormte Container den stählernen Bauch und die oberen Ladeplattformen der Frachter. Sie waren schnell einzuladen und ebenso schnell wieder von Bord zu holen. Insofern nichts, wo Platz für romantische Gefühle geblieben wäre. Tja, und weil die Reeder und Frachtkunden knauserten konnte er nicht einmal voll ausgebildete Matrosen kommandieren, sondern einen Haufen billig zu heuernder Burschen aus aller Herren Länder, mit denen er sich schwer verständigen konnte. Denn nicht alle sprachen gut genug Englisch oder Französisch. So war er dieses Mal zumindest froh, als in Algerien ein Austausch der Besatzung anstand und er dreißig kräftig aussehende Araber und Afrikaner zugeteilt bekam, die ihn für die nächsten drei Monate auf seinen eintönigen Fahrten begleiteten.

Captain Crauford blickte nach oben, wo die panamesische Flagge im warmen Wind wehte. Auch so eine Marotte der modernen Kauffahrtei, dachte er. Schiffe konnten nicht mehr unter den ehrenvollen Farben ihrer Heimat fahren, da ihr Unterhalt nach Fassungsvermögen und Heuer billiger wurde, wenn sie nicht für große Industrieländer fuhren, sondern für sogenannte Drittweltländer.

Er beobachtete, wie mächtige Kräne die Container aus dem Schiffsbauch wuchteten und an ihren ungeheuerlangen Armen entlanglaufen und auf bereitstehende Lastwagen niedersinken ließen. Das alles ging so schnell, daß Crauford sich schon fragte, ob da überhaupt noch ein Mensch die Hand anlegte oder nur noch Automaten liefen. Dann sah er fünf große Lastwagen, die sich dem Verladepier näherten. Offenbar kam die Ladung für England schon herüber. Wahrscheinlich würde sie noch während des Löschens der mitgebrachten Güter an Bord gebracht, dachte der Kapitän, als er sah, wie aus einem der Lastwagen ein untersetzter Mann mit angegrautem Haar und selbst für einen Orientalen sehr dunkelbrauner, wettergegerbter Haut ausstieg und über die Personenzugangsplanke an Bord kam.

"Moment, was will der auf meinem Schiff?" Fragte der Kapitän sich und stieg die Jakobsleiter von der Brücke hinunter, um dem Fremden entgegenzutreten.

"Oh, man sagte mir, daß ich Sie hier treffen würde, Efendi", sprach der Eindringling mit höflicher Betonung. Er sprach Englisch mit arabischem Akzent und blickte dem Frachterkapitän aus tiefschwarzen Augen tief ins Gesicht.

"Wer sind Sie und was wollen Sie hier?" Herrschte ihn Crauford an. Da holte der Fremde ein Bündel Papiere aus einer Tasche seines dunkelblauen Anzuges und gab es dem Kapitän in die Hand.

"Mr. Billings, der Mann von der "Global Sea Cargo", hat mir gesagt, daß Sie auch Passagiere mitnehmen, Efendi. Ich muß bis zum neunundzwanzigsten Juni in Cardiff sein und kann mir im Moment kein Flugzeug erlauben. Ich habe bereits bezahlt."

Crauford prüfte die Papiere, die den Fremden als Abdul iben Assat aus Oran ausgaben und daß dieser Mann die für eine Überfahrt nach England fällige Summe für eine der fünf einfachen Passagierkabinen bereits entrichtet hatte. Crauford ließ sich den Pass des Mannes zeigen, konnte nichts daran beanstanden und wünschte ihm eine störungsfreie Überfahrt.

"Es gibt also doch noch Landratten, die einen Frachter nehmen, wenn sie für die Düsenflieger kein Geld haben", grinste Crauford in sich hinein.

Eine halbe Stunde nach der geplanten Zeit meldete Craufords Frachtmeister, daß die neue Ladung gefaßt und verstaut war. Sein südirischer Chefingenieur O'Connel meldete, daß sie genug Dieselöl für die Fahrt nach Felixstoe, England gebunkert hatten und die beiden übrigen Passagiere außer Mr. Assat hatten sich mit ihrem Gepäck einquartiert. Er rief per Satellitentelefon seine Bosse in London an und teilte ihnen mit, daß sie nun auslaufen würden. Dann sprangen die mächtigen Motoren der "African Empress" an, und die meterlangen Schrauben zerwühlten das dreckige, ölige Wasser des Hafenbeckens, während der Lotse dem sudanesischen Steuermann mit Händen und Füßen erklärte, wie er das mehrere tausend Tonnen schwere Stahlungetüm sicher aus dem Hafen bugsieren mußte. Als der Frachter die offene See gewonnen hatte verließ der Lotse das Schiff und fuhr mit seinem wendigen Motorboot davon, um einen ankommenden Frachter anzusteuern, der auf seine Dienste angewiesen war.

Der Kapitän blickte seinem Steuermann über die Schulter und las die Navigationsinstrumente ab. Als der Kurs Richtung Gibraltar anlag, gab er über Maschinentelefon den Befehl: "Volle Kraft voraus, Mr. O'Connel!"

Die "African Empress" zitterte unter den auf Touren kommenden Maschinen. Doch dann lief sie durch die grauen Fluten des Mittelmeeres, das ihnen an diesem Nachmittag sehr hold war. Die sachte Dünung wiegte das riesige Containerschiff wie eine Mutter ihr Baby, und kein übermäßiger Wind blies über die See.

Stunden später saß der Kapitän mit seinen drei wichtigsten Offizieren zusammen beim Abendessen und machte mehr belanglose als wichtige Konversation. O'Connels Frau würde im Dezember ein Kind bekommen, der Frachtmeister hatte sich gerade von seiner siebten Freundin getrennt und wollte erst einmal nichts mehr von Zweierbeziehungen wissen, der erste Offizier interessierte sich nur für Fußball, und der Funker träumte davon, bald einen Laden für Mobiltelefone in Brighton eröffnen zu können, wenn er weiterhin so viel von seiner Heuer bei Seite tun konnte, um das Startkapital zusammenzubekommen. Crauford grinste in sich hinein. Was für Träume dieser junge Bursche da hatte. Der war wohl einer von den Jungen gewesen, die sich eingebildet hatten, Seemann zu sein wäre was abenteuerliches, wo man auch viele nette Mädchen kennenlernen könnte. Doch über die Privatangelegenheiten seiner Leute ließ er sich nicht aus, solange diese nicht deren Arbeitsfähigkeit beeinträchtigten.

So um Neun uhr schickte er die Offiziere wieder auf ihre Posten, damit die Hilfsmatrosen nicht unruhig wurden und irgendwas verkehrt machen konnten.

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Cliff Nicholas, Frachtmeistergehilfe an Bord der "African Empress", hatte es für ein Gerücht gehalten. Doch als er die fünf Container im Licht seiner Taschenlampe betrachtete pfiff er durch die Zähne. Also hatte wirklich ein namhafter Autohersteller seine Fabrikanlagen in der Umgebung von Oran geschlossen und alle noch verwertbaren Steueranlagen auf fünf große Container verteilt. Nicholas grinste in sich hinein. Elektronik, besonders die von großen Maschinen, war auf dem Schwarzmarkt sehr beliebt. Wenn er es schaffte, unbemerkt einiges davon abzuzweigen, Bevor das Schiff in Gibraltar anlegte, konnte er es von da wieder nach Afrika zurückschicken, an einen Kunden, der nicht mehr benötigte Steueranlagen billig einkaufte. Nicholas besah sich die Container. Die waren alle verplombt. Das war zu erwarten gewesen. Doch er hatte eine Kunstform daraus gemacht, die Bleiplomben so zu lösen und später wieder fest anzubringen, daß niemand vermuten konnte, der damit versiegelte Container sei zwischendurch schon einmal geöffnet worden. So nahm er seine Ausrüstung, die er in einem vertraulichen Winkel des Schiffes bereithielt und begutachtete die Siegel, um sie später auch ja wieder so anzubringen, daß kein unbefugtes Aufbrechen auffiel. Als er daran ging, auf eine Trittleiter zu steigen, um die erste Plombe mit einer kleinen Lötlampe zu lösen, freute er sich schon. Je nachdem wie viel er ohne unvorsichtig zu werden abzweigen konnte könnte er zu seiner Heuer noch 1000 bis 10000 britische Pfund extra verdienen, völlig Steuerfrei verstand sich. Doch als er den Stahlmantel des großen Behälters anfaßte stutzte er. Das Metall fühlte sich warm an, als habe man im Container einen Heizungsofen installiert. Er schüttelte den Kopf. Das mußte eine Sinnestäuschung sein. Wahrscheinlich gaben die Container noch Resthitze ab, weil sie gestern lange in der heißen Sonne gestanden hatten. Er machte sich nun daran, die Plombe zu lösen, ohne sie zu zerbrechen. Dann schrak er zusammen. Hatte er da nicht ein Poltern im innen des Containers gehört? Mochte das angehen, daß da ein Tier drin war, eine Ratte vielleicht? Er ließ die Lötlampe ausgehen, um zu lauschen. Dann fühlte er es sogar, wie es von innen leicht gegen die Wand des Überseetransportbehälters stieß. Gleichzeitig klang ein leises Plopp im Laderaum, als habe jemand eine Magnumflasche Champagner geöffnet.

"Habe ich mir's doch gedacht, daß es diebische Ratten auf diesem Schiff gibt", schnarrte eine bösartige Männerstimme. Nicholas fuhr herum, verlor den Halt und fiel von der Leiter. Er schlug auf den Metallplanken des Ladedecks auf und brach sich ein Bein. Der Schmerz machte ihn aufschreien.

"Schweig, du Sohn einer diebischen Ratte!" Fauchte die böse Stimme. Dann klangen für Nicholas merkwürdig unheimliche, ihm unverständliche Worte durch den Laderaum. Diese und ein greller grüner Blitz, der laut sirrend auf ihn zuraste, waren die letzten Eindrücke im Leben des Frachtmeistergehilfen, der mehr Geld haben wollte als er ehrlich verdienen konnte.

Der Schatten eines rundlichen Mannes löste sich aus dem Dunkeln des Laderaums und eilte auf den nun völlig ruhig und reglos daliegenden Matrosen zu. Unter schnellen Bewegungen eines dünnen Holzstabes erzeugte der Fremde ein blaues Licht, das in einer Sekunde gleißend hell wurde und dann erlosch. Nicholas Körper war fort. Dann verschwand auch die Ausrüstung samt Trittleiter. Der Unheimliche ging nun an den Container, vor dem Nicholas zuletzt gestanden hatte und flüsterte etwas in einer beinahe vergessenen Sprache. Dann wandte er sich ab und verschwand mit leisem Plopp im Nichts.

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Der Frachtmeister meldete am nächsten Morgen das Fehlen seines Gehilfen. Captain Crauford ließ das ganze Schiff nach ihm durchsuchen, schickte sogar einen Steward in die Passagierkabinen. Doch der Gehilfe blieb verschwunden. Es konnte nur festgestellt werden, daß er offenbar nicht in seiner Koje gelegen hatte. Crauford meldete diesen Vorfall seinem Chef und vermutete, der Vermißte sei auf Grund einer Schlafstörung an Deck spazierengegangen und dabei irgendwie über Bord gefallen. Der wachhabende Matrose hatte jedoch nichts bemerkt, was diese Vermutung irgendwie stützen mochte. Doch was sollte es anderes gewesen sein?

"Ich informiere die Polizei in Gibraltar, wenn Sie da einlaufen, Crauford", sagte Mr. Barnicle, der für Afrika und den Mittelmeerraum zuständige Leiter der Global Sea Cargo. "Bedauerlicher Unfall, würde ich sagen. Ich hoffe, die Angelegenheit kann rasch aufgeklärt werden."

"Sir, der Mann war seit fünf Jahren bei uns", sagte Crauford. "Ich verstehe es nicht, was den über Bord geworfen haben kann. So klein ist die Empress ja doch nicht."

"Wenn Sie ihn nicht gefunden haben ist er nicht mehr an Bord. Captain. Da sie seit acht Stunden nichts von ihm gehört haben wissen Sie auch nicht, wann er vom Schiff gefallen sein kann. Jetzt zu stoppen und umzukehren wäre unsinnig. Ich informiere die spanischen und französischen Behörden, die können mit der Marine nach dem suchen. Sie laufen in Gibraltar ein und warten da auf die Polizei!"

"Natürlich, Sir", sagte der Kapitän. Dann trennte er die Satellitentelefonverbindung.

Die britischen Polizeitruppen von Gibraltar durchsuchten das Schiff erneut von oben bis unten, fanden jedoch nichts. Das Schiff blieb einen vollen Tag im Hafen, trotz der Proteste der Reederei, ihr Schiff müsse termingerecht im Containerhafen Felixstoe einlaufen. Da zu dem Vorfall an Bord selbst nichts mehr gefunden werden konnte, ließ man die "African Empress" wieder auslaufen. Kaum im Atlantik angekommen gab Crauford den Befehl, mit äußerster Kraft voraus zu fahren, um die verstrichene Zeit wieder aufzuholen. Zwar beschwerte sich Chefingenieur O'Connel, daß die Motoren nicht über Stunden mit Höchstbelastung laufen durften, doch Crauford verwies darauf, daß sie alle gefeuert würden, wenn die Bosse in der Reederei das Schiff nicht so früh am Termin wie möglich im Zielhafen registrierten.

Knapp am Zusammenbruch schafften es die Maschinen, das Containerfrachtschiff um Portugal und Frankreich herumzutreiben. Einmal drohten zwei der riesigen Kolben in ihren Zylindern festzufressen. Doch O'Connel löste das Problem, indem er kübelweise Schmieröl in die Motoren laufen ließ und die backofenheißen Motorblöcke auch mit dem Trinkwasser kühl hielt, das für Monatelange Fahrten gebunkert wurde. Crauford gab die Bitte an die wenigen Passagiere aus, möglichst nicht die Duschen zu benutzen. Seinen Seeleuten konnte er dies problemlos befehlen, auch wenn er damit am Rande einer Meuterei entlangbalancierte und seine Besatzung zu einem Haufen ungewaschener, zehn Meilen gegen den Wind stinkender Gestalten wurde. Doch er mußte den Termin zumindest annähernd einhalten. Einen halben Tag nach der verabredeten Zeit traf die "African Empress" im Zielhafen Felixstoe an der Südküste Englands ein. Dort wurden die Container in Rekordzeit aus den Laderäumen gehoben, um das verspätete Schiff möglichst bald wieder mit neuer Fracht zu befüllen.

Der grauhaarige Mr. Assat beobachtete, wie die Fracht gelöscht wurde. Ein wenig ärgerte er sich, daß ihm diese diebische Ratte von Matrose beinahe die Pläne vereitelt hatte. Denn die beiden Polizisten an Bord erschwerten seinen diskreten Abgang. Der dritte Abschnitt seines Vorhabens brach an, als mehrere Lastwagen fünf große Container aufgeladen bekamen und mit ratternden Motoren aus der Verladezone ausscherten, um anderen Transportern Platz zu machen.

"Es gelingt", dachte der Mann, der sich Assat nannte. "Keiner wird es bemerken, was geschehen ist."

Die Lastwagen nahmen Kurs auf die Autobahn, um ihre Fracht an den Bestimmungsort zu bringen. Als sie gerade zwanzig Meilen vom Containerhafen entfernt waren fuhren sie von der Autobahn herunter, in einen dichten Wald hinein. Eine unheimliche Macht trieb die Fahrer dazu an, die Wagen abzustellen und sich in ihre Sitze zurückzulehnen. Kaum standen die Lastwagen, schliefen deren Fahrer und Beifahrer ein, als habe jemand sie in Narkose versenkt.

"Unsere Kunst ist der euren eben doch überlegen", lachte der grauhaarige untersetzte Mann, der gerade mit zwei vermummten Gestalten in schwarzen Umhängen hinter einem wilden Busch auftauchte. "Der Bann der Vollendung, den ich auf die fünf Metallkisten legte, wirkt besser als euer Imperius-Fluch. Er hat die Unfähigen gezwungen, genau zwanzig Meilen vom Ankunftshafen anzuhalten. Sie werden schlafen, bis wir unsere Freunde aus ihren Kisten geholt haben."

"Der dunkle Lord wird sehr zufrieden sein, Alcara", grinste einer der Vermummten. "Vorausgesetzt, deine kleinen Spielzeugsoldaten sind so gut wie du behauptet hast. Aber das wird er dann ja rausfinden. Und gnade dir dein Allah, wenn nicht!"

"Ich weiß, daß er zufrieden sein wird", fauchte der grauhaarige Mann erzürnt, wohl auch aus Angst vor dem, den sie den dunklen Lord nannten. Doch dann ging alles sehr schnell. Durch Zauberkraft wurden die fünf Container innerhalb von zwei Sekunden geöffnet. Der Mann, der von einem der Vermummten Alcara genannt worden war, gab einen scharfen Befehl. Erst langsam, dann immer rascher erhoben sich überlebensgroße, stumpfgrau wirkende Gestalten, zogen sich über den Rand jedes Containers und sprangen dann hölzern aber unversehrt von diesen herunter, immer Mehr. Währenddessen wachten die drei Männer darüber, ob jemand sich in diese Gegend verirren mochte. Doch das Waldstück war verlassen und blieb es auch, bis mehr als einhundert der grauen Riesen aus den Containern geklettert waren.

"So, und wie willst du sie nun alle zu ihm bringen?" Fragte einer der Vermummten belustigt, als er die kleine Armee grauer Kolosse ansah, die sich ohne weiteres Kommando um die Lastwagen herum postierten.

"Das hat euch nicht zu interessieren. Sagt dem dunklen Lord, seine Hilfstruppe ist da, wie er sie angefordert hat. Ich werde mich um Mitternacht in der Krypta der Westminster-Abteikirche bereithalten, wenn er mich sprechen will. Los, verschwindet!"

"So nicht, Alcara. Der dunkle Lord hat uns aufgetragen, zu überwachen, wie du mit den Golems ankommst und wo du sie hinbringst. Wir sollen dich dann zu ihm bringen."

"Zu ihm?" Lachte Alcara. "Er ist doch schon in der Nähe."

Die beiden Vermummten zuckten zusammen und fuhren herum. Da traf sie ein weitfächernder, hellblauer Lichtstrahl und ließ sie wie eingefroren auf der Stelle verharren. Alcara grinste. Diese Westler fielen auch auf die ältesten Tricks herein. Sicher, er mußte damit rechnen, daß der Dunkle Lord in der Nähe war, doch erstens konnte nur er die Golems befehligen, die jetzt wie bedrohliche Statuen dastanden, und zweitens wäre er hier und jetzt trotz der ihm nachgesagten Zauberkenntnisse im Nachteil, wollte er Alcara angreifen. Seine Golems hatten den strickten Befehl, jeden zu töten, der ihm Angst einjagte. Denn seine Geschöpfe konnten, so hatte er sie in mühevoller Arbeit hinbekommen, jede Spur von Angstschweiß riechen, ja sogar etwas wie Wellen der Angst verspüren, die von einem fleischlichen Gegner oder ihrem Herrn und Schöpfer ausgingen.

"Wir rücken ab!" Befahl der Mann, der auf dem Schiff noch Abdul iben Assat geheißen hatte in jener beinahe vergessenen Sprache. Dann winkte er seinem Trupp noch zu und ließ den Zauberstab an ihm vorbeipendeln. Ein Flirren erfüllte die Luft, als sei sie um mehr als fünfzig Grad erhitzt worden. Dann verschwammen die Konturen der über hundert Geschöpfe. Sie wurden völlig unsichtbar. Das war noch eine Spezialität, die ihr Schöpfer in sie eingewirkt hatte. Auf einen bestimmten Zauber hin würden sie nun unsichtbar bleiben, bis der Gegenzauber gewirkt wurde und konnten immer wieder erneut verschwinden. Eine Armee von unsichtbaren Kriegern, diese Kunst war schon Jahrtausende alt und im Morgenland seit der Schlacht von Ramses II. gegen die Hetiter gefürchtet.

Mit schnellen Schritten marschierten die unsichtbaren Kolosse durch den Wald, aus ihm hinaus und dann, als sie auf freier Strecke waren, mit mehr als zwei meter langen und sehr raschen Schritten losrannten, ausdauernd, doppelt so schnell wie ein galoppierendes Rennpferd. Ihr Ziel war klar, ein vor einigen Tagen ausgekundschaftetes Gehöft an der Grenze nach Wales. Dort sollten sie sich unter der Erde verbergen, bis sie gebraucht wurden. Die beiden Diener des dunklen Lords erwachten eine halbe Stunde vor den magisch betäubten Lastwagenfahrern aus ihrer Starre. Sie ärgerten sich, daß sie sich hatten übertölpeln lassen und disapparierten mit lautem Knall, um ihrem Herrn und Meister die unangenehme Botschaft zu überbringen, daß sie Alcara nicht bis zum Zielort hatten verfolgen können.

"Wie war das?!" Schnarrte Lord Voldemort, als seine beiden Todesser ihm das erzählt hatten und sah sie mit rot lodernden Augen sehr gefährlich an. "Ihr habt diesen syrischen Beduinen verloren, als er seine Tonpuppen ausgepackt hat?!"

"Herr, er sagte, Ihr seid in der Nähe und würdet uns zusehen. Wir sahen uns um und ..."

"Gerietet in einen Geistlähmzauber, würde ich meinen", schrillte der dunkle Lord. "Ihr Versager! Crucio!"

Lange hallten die Schreie der unter höllischen Qualen leidenden Todesser über den verlassenen Friedhof außerhalb von Little Hangleton. Dann war es dem bösen Magier zu langweilig. Er ließ die am Rande des Wahnsinns keuchenden Handlanger allein und verschwand im Haus seiner von ihm getöteten Vorfahren. Hatte er es nur mit Stümpern zu tun? Doch dann stach ihm mit brutaler Qual die Erinnerung an seinen Amerikaausflug ins Bewußtsein. Er selbst hatte vor gerade fünf Tagen eine herbe Demütigung hinnehmen müssen und bis jetzt keinen Anhaltspunkt, wer dafür bezahlen sollte. Sicher, diese einfältig tuende Hexe hatte behauptet, er habe bereits genug über sie erfahren, um sich einen Reim darauf zu machen. Doch alles klang so phantastisch. Ja, selbst er, der durch dunkelste Rituale dem Tod ein Schnippchen geschlagen hatte, wollte es nicht begreifen, daß dieses Weib da im Körper von Bartemius Crouch Junior steckte, der wohl nicht ohne Grund in den einer Frau umgewandelt worden war. Die Seele, die ihm innewohnte, mußte früher schon einer Hexe gehört haben, die nicht als Zauberer wiederkommen wollte. Sie hatte ihm, Voldemort, dafür gedankt, ihr diesen Körper beschafft zu haben, hatte dabei sehr überlegen gelächelt und ihn dann disapparieren lassen. Lia hatte sie sich genannt, und weder der Imperius, noch der tödliche Fluch hatten ihr etwas anhaben können. Das allein hatte den dunklen Lord bereits heftig erschüttert. Als sie dann noch seinen magischen Avatar von ihrem hatte zerstören lassen und damit seine in diesen übertragene Kraft einverleibt hatte, war die Demütigung vollkommen. Daran mußte er denken, als ihm klar wurde, daß er im Ausland durchaus eine heftige Gegnerin hatte, die seine Pläne empfindlich stören konnte. Doch er würde herausfinden, wer sie war, wer ihr half und wie sie zu treffen war. Er, Lord Voldemort, wollte der gefürchtetste Zauberer aller Zeiten bleiben. Diese Hexe im rosa Umhang war so gut wie tot und alle, die ihr halfen. Ja, er würde diese Hexenbrut ausrotten, die nicht ausdrücklich für ihn war. Bald würden die Anhängerinnen der Nachtfraktion als Strom von Leichen die Flüsse Englands herabtreiben, zur eindeutigen Warnung für alle, die meinten, sich gegen ihn, Lord Voldemort, auch nur die kleinste Frechheit herauszunehmen. Doch zunächst wollte er diesen verschlagenen Alcara zur Verantwortung ziehen, daß dieser meinte, sich seinen Leuten so einfach entziehen zu können. Wo durfte er ihn suchen? In der Krypta der Westminster-Abteikirche.

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Big Ben schlug die Mitternachtsstunde. Die normannische Krypta war düster und kalt wie eine uralte Felsenhöhle tief im Schoß der Erde. Bis jetzt war kein Laut in diese verlassenen Gewölbe gedrungen, die am Tage von vielen Touristen aus aller Welt bestaunt wurden, teils aus Ehrfurcht, teils mit einem gewissen Gruselschauer. Das gewaltige gotische Gotteshaus wachte über seine unterirdischen Gelasse. Doch es konnte trotz der verschlossenen Portale und der weit oben eingemauerten Fenster nicht verhindern, daß ein jede christliche Idee verachtender Eindringling wie aus dem Nichts heraus in der Krypta erschien. Der hagere Schatten stand einen Moment ruhig da. Dann drehte er sich um. Selbst in der Dunkelheit der unterirdischen Räume glühten die roten Augen wie Kohlen im Feuer. Dann ertönte ein gewispertes "Vivideo!" Ein grünlich flackernder Lichtstrahl fiel dünn durch den Raum, bis er sich verbreiterte und hellgrün pulsierend die Konturen eines Menschen nachbildete.

"Ich seh dich, Alcara", fauchte eine kalte, hohe Stimme. Die hellgrün pulsierende Dunstgestalt bewegte sich. Dann flammte eine weißgelbe Lichtkugel über der linken Hand der Erscheinung auf und erhellte schlagartig die unterirdischen Gewölbe. Der hagere Schatten erschien als die aschfahle, rotäugige Schreckgestalt Voldemorts. Dieser ließ den grünen Lichtstrahl erlöschen und ließ seinerseits eine orangerote Feuerkugel in der Luft entstehen. der angegraute, untersetzte Zauberer mit dem wettergegerbten Gesicht blickte den Herrn der Todesser sehr gelassen an.

"Was fällt dir ein, meine Anweisungen zu ignorieren, Syrer? Ich habe dich in meinen Kreis von Todessern geholt, damit du tust, was ich dir sage", begrüßte Voldemort den Fremden.

"Ich habe mich einmal von deinen niederen Dienern ergreifen lassen, Her. Dies wird mir so schnell nicht wieder passieren", sagte Alcara. Dann sagte er:

"Die Zeiten haben sich geändert. Nun, wo ich meine Truppen habe, werde ich dir zwar zur Seite stehen, aber nicht wie ein niederer Sklave, sondern als Freund der gemeinsamen Sache. Ich erweise dir meinen Respekt, Herr, sofern du mir deinen Respekt erweist."

"Was fällt dir ein, Alcara?!" Schnarrte Voldemort und ließ den Zauberstab nach oben springen. "Soll ich dir morgenländischem Bettler erst wieder zeigen, welchem Herrn du dienst?"

"Ich würde nicht die gnadenlose Folter an mir ausüben, Herr. Ich habe vier Golems in diesen Hallen versteckt, unsichtbar für Menschenaugen und unauffindbar für diesen Zauber, mit dem du die Quellen des Lebens erblicken kannst. Jede Form von Strafe oder gar mein Tod würden dir sofort vergellt", sagte Alcara. Voldemort lächelte, weil er an einen Bluff dachte. Doch als er Alcara tief in die Augen sah erkannte er, daß dieser nicht bluffte. Ja, irgendwo hier unten warteten nicht nur vier, sondern acht Golems darauf, ihrem Herrn zu helfen. Alle gleichzeitig würde er nicht zerstören können. Sie konnten ihn zwar nicht richtig töten. Doch sein Körper war ihm im Moment zu wertvoll, um ihn zu gefährden. So sprach er ruhig weiter und unterhielt sich mit Alcara, ob die Armee wirklich so groß war wie erwartet. Dann wollte Voldemort noch erfahren, wo die übrigen Golems warteten. Doch dieses Wissen konnte er nicht aus Alcara herausholen. Offenbar hatte er es durch einen ihm unverständlichen Gedächtniszauber in seinem Geist verschlossen, zumindest unauffindbar für einen Legilimentor. Voldemort war sich zwar sicher, jeden Gedächtniszauber zu brechen, der ihn an der Informationsausbeute hindern wollte. Doch Bertha Jorkins hatte gezeigt, daß dabei der Verstand zerstört werden konnte. Alcara, so aufsässig er sich ihm nun gegenüber zeigte, war bei klarem Verstand immer noch besser zu gebrauchen als geistig umnachtet. Doch Voldemort hatte bereits nach dem ersten Treffen mit diesem Syrer beschlossen, ihn nur solange am Leben zu lassen, bis er dessen Geheimnisse kannte und die Golems selbst anführen konnte. Doch Alcara war bestimmt nicht dumm und rechnete wohl damit, nur solange zu leben wie er seine wichtigsten Geheimnisse für sich behalten konnte.

"In elf Tagen von nun an will ich deine Geschöpfe auf ihre Stärken prüfen. Ich habe einen Brief an Fudge geschickt, er soll binnen einer Woche erklären, mir sein Ministerium zu überlassen, sonst würde ich mehrere hundert Muggel töten. Mal sehen, wie dieser Tor damit klarkommt", sagte Voldemort gehässig. Dann befahl er Alcara, sich am Vortag des zehnten Juli im tropfenden Kessel mit einem seiner Leute zu treffen und den Ort zu besichtigen, der Ziel des Angriffs werden sollte. Alcara nickte und wartete, bis Voldemort verschwand. Dann dachte er eine geheime Formel, die in so vielen Teilen in seinem Bewußtsein lagerte, daß ein ihrer Sprache ungeübter sie nicht zusammenbekommen konnte. In seinem Gedächtnis flammte für einige Sekunden eine genaue Beschreibung des Ortes auf, an dem er sich und seine Golems versteckte. Die acht, die er mitgebracht hatte, kommandierte er dorthin und verschwand dann auf dem zeitlosen Weg.

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"Meine Ware ist komplett verschwunden?" Brüllte eine sehr erboste Stimme aus einem Telefonhörer. Barnicle von der Global Sea Cargo nickte, obwohl sein Gesprächspartner dies natürlich nicht sehen konnte. Das schiere schlechte Gewissen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Hilflos fingerte seine rechte hand mit einem wasserblauen Kugelschreiber herum, der den goldenen Schriftzug "Global sea Cargo" trug.

"Ihre Ware wurde ordentlich verschifft, Sir. Sie wurde in Felixstoe von Bord gebracht und auf die von Ihnen dort bereitgestellten Tieflader umgesetzt. Ab da sind wir nicht mehr verantwortlich", sagte Barnicle, um seine Betroffenheit zu überspielen.

"Im Vertrag steht Haus zu Haus inklusive Seetransport, Mister!" Bellte die Telefonstimme. "Die Container kamen einen vollen Tag später an als vereinbart, was Ihnen schon eine saftige Konventionalstrafe einbringt, Mr. Barnicle. Als dann meine Leute die Ware ausladen wollten fanden wir nicht nur alle Plomben aufgebrochen sondern jeden Container total leer. Das kann also nur an Bord Ihres Schiffes passiert sein."

"Oder auf dem Transport an Land", warf Barnicle ein. "Was sagen die Fahrer?"

"Die sagen, sie wären abgefahren und hätten unterwegs nicht angehalten. Also kann ..."

"Ich weiß, wann die Empress in Felixstoe festgemacht hat und weiß auch, wann die Lastwagen losgefahren sind. Die können unmöglich einen halben Tag vertan haben. Ich faxe Ihnen gerne die Ankunftszeit, die Umladezeit und die dokumentierte Abfahrtszeit der fünf LKWs, Mr. Overton."

"Ich werde diese Angaben sowohl unseren Anwälten als auch Scotland Yard vorlegen. Machen Sie sich schon mal darauf gefaßt, eine Klage wegen Betrug und Diebstahl zu erhalten. Das wird teuer, Mister! Warhscheinlich werden Sie dafür sogar den Kopf hinhalten müssen, wenn Sie keinen aus dem Hut zaubern, der mir diesen Streich gespielt hat", blaffte die Stimme aus dem Telefonhörer.

"Nun mal nicht zu schnell mit den jungen Pferden, Sir", begehrte Barnicle auf und kämpfte um eine sehr entschlossene Betonung. "Wir sind seit dreißig Jahren im Geschäft und haben bisher keinen Vorfall verzeichnet, der uns in irgendein kriminelles Licht setzt. Wenn Ihre Ware gestohlen wurde, dann nicht von unseren Leuten."

"Das wird sich herausstellen, Barnicle", entgegnete der Mann am anderen Ende der Telefonleitung. "Faxen Sie mir umgehend alle Dokumente, inklusive Kapitänslogbuch zu. Fehlt auch nur ein Dokument, wird Scotland Yard Ihren Betrieb sehr gründlich umkrempeln."

"Die Kapitänslogbücher sind Betriebsgeheimnisse und werden nach Ende einer längeren Fahrt verschlossen, Sir. Dazu müßten Sie eine richterliche Durchsuchungsanordnung beibringen, bevor ich Ihnen oder sonst wem diese Unterlagen aushändige", erwiderte Barnicle nun eher wütend als verunsichert. "Ich faxe Ihnen alle für Sie und wen Sie immer in die Nachforschungen einbeziehen möchten relevanten Unterlagen. Anbei werde ich unsere Anwälte informieren, daß Sie uns hier nicht nur Vertragsbruch, sondern auch noch Diebstahl anlasten wollen. Sollten sich Ihre Verdächtigungen nämlich als Haltlos erweisen, werden wir unsererseits wegen Verleumdung Klage einreichen. Also mäßigen Sie sich bitte!"

"Wir sehen uns vor Gericht", kam eine knappe Entgegnung aus dem Hörer. Dann knackte es in der Leitung. Das Gespräch war offenbar beendet.

"Ms. Wilson, sagen Sie unserer Rechtsabteilung Bescheid, die sollen die Motoren anlassen! Fünf Container, die wir transportiert haben wurden ausgeplündert, und wir sollen das gewesen sein."

"Ich rufe gleich Dr. Peacock an, Sir", sagte Jennifer Wilson, Barnicles Sekretärin über die Gegensprechanlage.

"Gut. Wir lassen uns das nicht bieten", knurrte Barnicle, jetzt völlig frei von Eingeschüchtertheit.

Über die leergeräumten Container wurden am nächsten Tag Berichte im Radio und Fernsehen gebracht. "Dreister Raub auf hoher See oder offener Straße" titelte eine sensationshungrige Tageszeitung. Tatsächlich kam bei der Sache etwas heraus. Es konnte ermittelt werden, daß der bei der Überfahrt verschwundene Frachtgehilfe Nicholas bereits in mehrere Warenunterschlagungen verstrickt war. Ihn selbst konnten die Seestreitkräfte Frankreichs, Spaniens und Algeriens nicht finden. Offenbar war er im Mittelmeer ertrunken und seine Leiche von Haien zerfleischt worden. Dann, am neunten Juli, machte das Fernsehen der BBC mit folgender Nachricht auf:

"Die angebliche Plünderung von fünf Containern, die vor zehn Tagen für heftige Schlagzeilen sorgte und den renommierten Überseetransportbetrieb Global Sea Cargo an den Rand eines Gerichtsprozesses wegen Diebstahls trieb, konnte nun aufgeklärt werden. Die verschwundene Ware war nie verladen worden. Lagerarbeiter in Oran, Algerien, fanden mehrere Dutzend demontierter Maschinenanlagen, wie sie zum Betrieb einer Autofabrik benötigt werden in der hintersten Ecke eines Lagerhauses. Die Prüfung der gefundenen Objekte ergab, das sie den auf den Frachtlisten von Global Sea Cargo ausgewiesenen Maschinenteilen entsprechen. Die Ware wurde also nicht gestohlen, sondern erst gar nicht verladen. Die Container waren völlig leer, als sie in Oran verschifft wurden. Was die angeblich aufgebrochenen Plomben an den Containern angeht, so gehen Mitarbeiter von Scotland Yard mittlerweile davon aus, daß diese erst bei der Ankunft an ihrem Zielort zerstört wurden, um einen gewaltsamen Einbruch in die Container und den Raub des kompletten Inhalts zu fingieren. Scotland Yard ermittelt nun wegen möglichem Versicherungsbetruges und Erschleichung von Schadensersatz sowohl gegen die Reederei als auch ihre letzten Kunden. Alle Dateien und Unterlagen der beiden Betriebe wurden beschlagnahmt."

"Hui, da haben die aber eine große Lawine losgetreten", dachte Horatio Riverside, als er nach einem langen Arbeitstag in seiner Kanzlei in das schmucke Einfamilienhäuschen zurückgekehrt war, das er in einem der besseren Viertel von Cambridge bewohnte. der Mittdreißiger war ein bekannter Rechtsanwalt und liebte den englischen Fußball, sehr zum Spott seiner ehemaligen Schulkameraden, die ihm immer wieder vorhielten, er habe doch mit ihnen zusammen besseren Sport kennenlernen dürfen.

"Juhu, Horatio, sind Sie zu Hause?" Rief eine Frauenstimme aus dem verschlossenen Partyraum. Riverside griff an die Brusttasche seines Hemdes und holte einen schmalen Schlüssel heraus, den er immer bei sich trug. Damit schloß er den Partyraum auf und trat ein.

Im Kamin hockte der Kopf einer Frau. Er erkannte ihn als den von Dana Moore, einer Mitarbeiterin aus der Strafverfolgungsabteilung des britischen Zaubereiministeriums.

"Hallo, Dana, was gibt es?" Fragte Horatio Riverside ruhig.

"Ich muß mit Ihnen sprechen, Horatio. Es geht um Sie-wissen-schon-wen", sagte Dana Moore.

"Hmm, kommen Sie zu mir. Ich mache die Ganzkörpersperre raus", sagte der Anwalt. Der Kopf im Kamin verschwand mit leisem Plopp. Dann, eine Minute später, erschien Dana Moore als im smaragdgrünen Funkenwirbel rotierender Schemen und dann als unversehrte Frau im veilchenblauen Umhang.

"Ich hatte gehofft, ich würde nichts von ihm hören, wenn ich in meinem Haus bin", sagte Riverside etwas wehmütig, als Dana vor ihm stand.

"Das hoffen wir irgendwie alle", erwiderte die Frau aus dem Kamin. "Aber wir fürchten, er bereitet einen Anschlag auf die Muggelwelt vor. Minister Fudge hat einen Erpresserbrief bekommen. Sollte er bis zum zehnten Juli nicht über den Tagespropheten verbreiten lassen, daß er bereit ist, dem Unnennbaren seine Amtsgeschäfte zu überlassen, würden Dutzende von Muggeln sterben, auf sehr spektakuläre Weise."

"Wie vor neunzehn Jahren, wo er den Eisenbahntunnel hat einstürzen lassen?" Erschrak Riverside.

"Mit sowas dürfen wir wohl rechnen", seufzte Dana. "Immerhin sind ja damals zweihundert Muggel verschüttet worden, von denen nur fünfzig noch lebend geborgen werden konnten."

"Ja, aber gebracht hat es ihm, dessen Name nicht genannt werden darf, doch nichts. Die Muggel haben das als Frostschaden ausgegeben, ohne daß unsere Leute denen das einreden mußten."

"Ja, doch er könnte wieder auf sowas kommen. Deshalb möchten wir Sie und alle anderen muggelstämmigen, die der früheren Welt noch irgendwie verhaftet geblieben sind darum ersuchen, jede noch so unwichtig aussehende Kleinigkeit sofort zu melden. Wir wissen nicht, was er vorhat. Wir sind uns nur sicher, daß er seine alten Anhänger wieder um sich versammelt und danach trachtet, seine geschwundene Position auf der dunklen Seite wieder zu stärken. Muggelmassenmord wäre da das richtige Signal."

"Dann kann es ihm eigentlich egal sein, ob Fudge den runden Hut nimmt und ihm den Schlüssel zum Ministerium in die Hand drückt", meinte Riverside verbittert.

"Ja, aber Minister Fudge will natürlich nicht zurücktreten und Sie-wissen-schon-wem die Macht überlassen", sagte Dana Moore. "Deshalb bin ich hier, um mit Ihnen zu besprechen, was seit der Sache in der Mysteriumsabteilung passiert ist und was wir alle tun können, um schlimmes zu verhindern."

So sprachen sie, während die Fernsehnachrichten weiterliefen, was für Maßnahmen getroffen werden sollten, um mögliche Angriffe des weithin gefürchteten Schwarzmagiers zu verhindern oder abzuwehren. Dann plauderten sie über alte Zeiten und was sie in den letzten Monaten noch so erlebt hatten. Riverside erzählte Dana Moore von der Sache mit den angeblich ausgeraubten Containern. Dana legte ihre Stirn in Falten und fragte dann, wieso das keiner gemerkt hatte, daß leere Container verschifft worden wären. Ihrer Kenntnis nach würden die doch vor der Verschiffung gewogen."

"Hmm, stimmt, Dana! Aber ich denke, die vom Yard kriegen das raus. Wenn wir die lassen sind die immer sehr zuverlässig", lachte Riverside.

"Ist schon richtig", sagte Dana schmunzelnd. Dann schwiegen beide. Durch die geschlossene Tür drang die Stimme des Nachrichtensprechers:

"Wie uns soeben gemeldet wird ist es im nördlichen Schottland zu einem ausgedehnten Waldbrand gekommen. Feuerwehr und Einheiten der Armee sind dabei, die Feuersbrunst einzudämmen. Ich bin jetzt telefonisch mit meinem Kollegen Edgar Barstow verbunden. Edgar, was wissen Sie bisher?"

"Waldbrand um diese Jahreszeit?" Fragte Horatio und öffnete schnell die Tür. Dana schlüpfte neben ihm ins Wohnzimmer, wo die Kulisse des Nachrichtenstudios mit dem Hauptsprecher auf dem Bildschirm leuchtete.

"Nun, offenbar hat es hier vor einer Stunde eine massive Feuerentwicklung gegeben, die einen Großteil der nicht forstwirtschaftlich genutzten Waldflächen ergriffen hat und sich immer noch ausdehnt. Ich bin jetzt hier mit einigen Feuerwehrleuten und einem Lieutenant der Armee. Es wird beraten, wie die Einsatzkräfte aufeinander abgestimmt werden."

"Weiß man, wie das Feuer entstanden ist, Edgar?" Fragte der Nachrichtensprecher den für die Zuschauer nur über Telefonlautsprecher hörbaren Kollegen vor Ort.

"Darüber sind die Experten noch uneins. Ein Blitzeinschlag wird zwar nicht völlig ausgeschlossen, paßt aber nicht zu der Wetterlage da. Da war es heute gemäßigt warm, höchstens vierundsechzig Fahrenheid. Außerdem sind die Bäume da vom Regen des Vormonats noch feucht genug, um eine Brandausdehnung dieser Wucht auszuschließen. Es ist aber passiert, und jetzt müssen wir abwarten, bis die Einsatzkräfte an den Brandherd gelangen, um mehr herauszufinden. Augenzeugen, die einen Kilometer vom Feuer entfernt waren behaupteten, einen grünlichen Lichtschein über den Flammen gesehen zu haben. Aber wahrscheinlich war das eine Sinnestäuschung."

"Wann wird damit gerechnet, daß die Einsatzkräfte an den Brandherd vorrücken können?" Wollte der Nachrichtensprecher noch wissen.

"Nun, wenn die Löschflugzeuge das Feuer schnell unter Kontrolle bringen rechnet Feuerwehrcaptain McFurson mit anderthalb bis zwei Stunden, sollte die Lage sich nicht noch verschlimmern."

"In Ordnung, Edgar. Danke für die ersten Einschätzungen!" Sagte der Nachrichtenmoderator und verabschiedete sich.

"Ein Waldbrand bei ausreichend mit Wasser versorgten Bäumen und klarem Himmel bei einer Temperatur von um die neunzehn Celsius? Das ist nicht normal", sagte Riverside. Dana nickte.

"Sie meinen, er hat diesen Wald angezündet um zu prüfen, wie schnell er Land verbrennen kann?" Wollte Dana Moore wissen. /p>

"Vielleicht probiert er was aus und es funktioniert oder funktioniert noch nicht. Ich glaube zumindest nicht an ein natürliches Feuer."

"Was ist mit Brandstiftung?" Wollte Dana wissen.

"Das ist auch nicht auszuschließen. Pyromanen gibt es ja leider auch in der Muggelwelt. Wüßte zumindest sonst keinen Grund, einen nicht genutzten Wald abzufackeln."

"In Ordnung, ich melde das sofort dem Minister. Haben Sie das Haus gegen unerwünschtes Apparieren gesichert?"

"Natürlich", sagte Riverside. "Muggelstämmige wie ich sind ja besonders gern gesehen bei den Todessern. Ich lege es nicht darauf an, das dunkle Mal über meinem Haus ... Oh, er muß es tatsächlich getan haben, Dana. Der Reporter am Telefon hat gerade was von angeblich grünen Leuchterscheinungen erzählt, die Augenzeugen gesehen haben wollen."

"Dann muß ich ganz schnell ins Ministerium. Nachher hat noch jemand die Erscheinung fotografiert oder mit einer dieser Laufbild-Ton-Aufnahmegeräten aufgezeichnet", sagte Dana hastig und eilte in den Partyraum, wo sie sich von Riverside Flohpulver geben ließ und rasch ins Ministerium zurückreiste, worauf der Anwalt die Ganzkörpersperre wieder einrichtete. Er bewunderte es, wie energievoll diese Hexe war, die er als Schuljunge angebetet hatte, obwohl sie vier Jahre älter als er war.

__________

Die Wälder waren ihr Reich, je unberührter desto schöner. Sie mochte es, zwischen den majestätischen Bäumen umherzuschweben, den Tieren im Dickicht bei ihrem Treiben zuzusehen und das Rauschen des Windes in den Baumwipfeln zu hören. Seit einhundertachzig Sommern waren diese Wälder ihr Zuhause. Zwar lebten in hundert mal hundert Eichenstammlängen Entfernung zwei Töchter von ihr und behüteten dort einen Wald, doch die unangefochtene Herrin dieser grünen Idylle war sie, Morpuora. Die flugfähige, blattgrüne Zauberfrau mit den schwarzbraunen Haaren, die sich selbst zum Volk der Saylvreian zählte, mochte diese unberührte Natur. Nur zwischendurch mußte sie hinaus, weil das, was sie gerne aß, nicht freiwillig zu ihr kam. Die Jungen der großen rosahäutigen Nichtflieger waren einfach zu lecker, um sie gegen die im Wald herumwuselnden Tiere einzutauschen. Weil sich die ausgewachsenen Nichtflieger das nicht gefallen ließen, entweder Angst vor ihr hatten oder sie verachteten, mußte sie immer aufpassen, wenn sie ihre Nahrung suchte. Tja, und wenn ihr Unterleib nach einer belebenden Zusammenkunft mit einem Männchen verlangte, mußte sie sich eines der halbwüchsigen Männchen holen. Das war kein Problem für sie, weil ihre Kräfte und ihr Körper die jungen Männchen leicht gefügig machen konnten. Sabberhexen wurden sie und ihre Töchter immer wieder gerufen, wenn sie in den mit zusammengebauten Steinhöhlen übersähten Ausspaarungen der Wälder herumstrich. Was konnte sie dafür, daß ihr so schnell das Wasser im Mund zusammenlief, wenn sie Hunger hatte oder sich ein Männchen zur Waldhochzeit holte? >

Es war ein schöner Tag gewesen, nicht zu warm und nicht zu kalt. Morpuora hatte problemlos hungern können, ohne daß ihr Bauch sich darüber beschwerte. Zu oft durfte sie nicht in die Orte, wo die Steinhöhlen hingebaut waren. Vier von den Großen, die auch die Zauberkräfte hatten, hatten sie beim letzten Mal gejagt, fast gegen die Wand des eilenden Wassers gedrückt und dann bestimmt gefangen und dann in einer ihrer Steinhöhlen eingesperrt, was sie bestimmt nicht lange überlebt hätte. Seit damals, so vor dreizehn Sommern, eine Gruppe dieser Großen sie hier aufgestöbert hatte und ihr ihren Waldbräutigam aus den Armen gerissen hatte, traute sie sich nicht mehr in diesen kleinen Ort, wo die Großen alle Zauberkräfte hatten und wo eine große Steinhöhle für Nichtfliegerjunge stand, von denen die halbwüchsigen immer mal wieder kamen und sich den Ort anzusehen, wo außer den Saylvreian auch kleine Berghöhlenmenschen und ihre Feinde, die Erzsucher herumliefen. Nach der Waldhochzeit vor dreizehn Sommern war sie dann noch einmal in diesem Ort gewesen und hatte da das Jungweibchen getroffen, das sie überrascht hatte, als sie sich mit dem Jungmännchen, das auf den Namen Tim gehört hatte, ihrer Tochter Raimorha und dem von dieser in Stimmung versetzten Halbwüchsigen Roy gerade zurückziehen wollte. Doch danach hatte sie sich weit von dem magischen Ort entfernt gehalten, wo sie merkte, daß sie bald ihren zweihundertsten Sommer erleben würde und sie zwar immer noch schneller als die Nichtflieger aber doch schon etwas langsamer geworden war. Der Vorteil am Älterwerden war, daß ihr Leib nicht immer Nachwuchs in sich aufnehmen wollte und der Hunger nicht mehr so groß wurde, sodaß sie nicht mehr so sehr auffiel.

"Mutter, hörst du mich?" gackerte eine ferne Stimme. Morpuora wandte sich in die Richtung, aus der die Frage kam und rief zurück, daß sie Soalascara, ihre Tochter hörte.

Ein kleines Mädchen mit hellgrüner Haut und dunkelblondem Schopf glitt über dem Boden dahin, immer wieder auf- und abwärtssteigend.

"Du hast das Fliegen noch immer nicht richtig raus, Dunkelsonne. Aber schön, daß ich dich nicht vom Boden kratzen brauchte", scherzte Morpuora. Soalascara war ihre Lieblingstochter, weil sie nicht nur diesen dunkelblonden Haarton sondern auch dunkelblaue Augen hatte, wohl von ihrem Vater, der von ihr heute überhaupt nichts wissen wollte.

"Da sind ein paar Nichtflieger aus der Luft gekracht und laufen jetzt hier herum. Einer mit einer Stimme wie ein Schreivogel ruft dich andauernd."

"So, mich ruft ein großer Nichtflieger?" Lachte Morpuora, bevor ihr einfiel, wer eine Schreivogelstimme hatte und sie erschauderte. Dieser Nichtflieger war sehr gefährlich, weil er gerne Leute umbrachte, ohne was davon zu haben. Damit hatte der damals viel Angst unter den Nichtfliegern verbreitet. Raimorha, Soalascaras Tante, hatte das ihr erzählt, wie dieser böse Schreivogelstimmenmann einen sehr langen Steinturm aus den Boden hatte steigen lassen, bis sehr starke Himmelsvögel ihn und die furchtbaren Feuerspucker vertrieben hatten. Später sollte dieser Nichtflieger verschwunden sein, sich selbst irgendwie mit Totmacherzaubern umgebracht haben.

"Morpuora!" Hörte sie aus sehr großer Ferne ihren Namen rufen. Ja, das war der böse Mann, der mit der Schreivogelstimme, den seine Artgenossen nicht beim Namen nennen wollten.

"Der Große ist sehr stark und ganz gefährlich, Dunkelsonne. Versteck dich gut zwischen den Bäumen!" Wisperte Morpuora. Ein Zittern durchlief ihre astartigen Glieder. Sie stieg ohne irgendwelche Flugorgane benutzen zu müssen an einem Baum hinauf und versteckte sich in der Krone. Dann sah sie sich um. Die Sonne schickte ihre Strahlen durch das Blätterdach des so ruhigen Waldes.

"Morpuora, ich suche dich! Komm heraus und sprich mit mir. Denn ich bin Lord Voldemort und will mit dir reden!" Rief die kalte Stimme, nun nicht mehr so weit fort. Dann sah sie ihn, den hageren Mann im schwarzen Umhang, der immer näher kam. Dieser richtete sein Zauberholz auf den Boden, dann nach oben, immer hin und her. Grünes Licht leuchtete davon. Morpuora sah, wie der Lichtstrahl zu ihr hinaufzeigte und fühlte es leicht prickeln auf der Haut. Um sie herum leuchtete es nun in einem pulsierenden Grün. Der Mann auf dem Boden lachte triumphierend.

"Ich wußte, daß ich dich alte Sabberhexe doch irgendwo finden werde. Los, komm da runter und hör zu, was ich dir zu sagen habe!"

Morpuora verließ ihr Versteck und glitt federgleich zum Waldboden hinunter.

"Wer bist du, und was willst du?" Rief sie in der Sprache dieser rosahäutigen Nichtflieger.

"Erst einmal verbäugst du dich vor mir", schnarrte der Zauberer, dessen Schädel einer fahlhäutigen Schlange mit scharlachroten Augen glich. siegessicher deutete er auf den Boden. Morpuora blieb stehen. Doch eine unsichtbare Kraft drückte sie einfach nieder.

"Ihr Waldkreaturen meint wohl, ihr wäret was besseres, wie? Jetzt hörst du mir zu, Grünfratze!" Schnarrte der gefährliche Zauberer. "Ich bin wieder da und will das wiederhaben, was ich mal gehabt habe. Du und deine Brut habt mir damals nicht folgen wollen, weil wir Hausbewohner euch zu unfein waren. Aber damit ist jetzt Schluß. Da du die Oberste in dieser Gegend bist, bin ich zu dir gekommen, um dir auszurichten, daß du deine grünfratzigen Schwestern, Töchter und Enkeltöchter, und meinetwegen auch eure Söhne, wenn ihr die mal nicht gleich gefressen habt, zum schwarzen Baum etwa vier Tage von hier weg versammelst. Keine Sorge, ihr müßt dabei nicht über den Fluß. Geht ja auch nicht." Voldemort lachte schrill und gehässig auf.

"Wozu?" Fragte Morpuora.

"Ihr sollt mir folgen, wie die anderen Kreaturen auch, die ich um mich versammeln will, wie die Riesen, die Kobolde, die Zwerge, die Hauselfen und alle Hexen und Zauberer, die reinblütig sind. Alle anderen gehören totgeflucht."

"Warum sollten wir tun, was du willst, Großer?" Fragte Morpuora. Sie verabscheute diesen Menschen da, ob der nun gefährlich war oder gerade deshalb.

"Weil das die einzige Möglichkeit für dich und das andere grüne Geschmeiß ist, weiterleben zu dürfen, ganz einfach", erwiderte Voldemort.

"Kreaturen? Geschmeiß?? Welche bösen Wörter fallen dir sonst noch ein, Voldumorr? Wir sind mächtiger als deine nichtfliegerische, rosahäutige Brut, die ihre Flugunfähigkeit nur mit mehr Länge ausgleicht", quäkte Morpuora wie eine wütende Ente. "Wir laufen doch nicht wem nach, der meint, Leute umzubringen und denen Angst zu machen würde einen groß machen. du bist bestimmt sehr gefährlich, aber das bin ich auch und meine Sorhags."

"Deshalb komme ich ja zu dir und deinen grünfratzigen Ablegern, Morpuora. Ihr seid zu gefährlich, als daß ich euch so einfach weitermachen ließe, wie ihr es treibt. Ihr verbrüdert euch mit diesen Schlammblütern, die ungerechtfertigterweise zaubern können, laßt euch von denen schwängern, womit ihr eure Art erhaltet. Ich habe beschlossen, daß damit Schluß ist. Entweder ihr macht, was ich euch sage, oder Lord Voldemort macht euch alle tot, tot, tot."

"Das du sowas kannst, weiß ich", quäkte Morpuora, keineswegs eingeschüchtert. "Aber wie wir unsere Jungen kriegen hat dich nicht zu kümmern. Ihr müßt euch paaren, damit ihr neue Junge haben könnt. Wir müssen das auch. Kein Voldumorr redet uns da rein."

"Dir scheint nicht klarzusein, Sabberhexenkönigin, daß ich nur zwei Worte sprechen muß, um dich ein für allemal zu Walddünger zu verarbeiten", lachte Voldemort. Doch seine Augen funkelten zornig, weil ihm die nicht einmal einen Meter und fünfzig große Gestalt da vor ihm den nötigen Respekt zollte.

"Ach ja?" Fragte Morpuora. Sie konzentrierte sich, und unvermittelt schlangen zwei Büsche ihre Zweige um den Fremden, daß dieser meinte, in einen Schraubstock geraten zu sein. Dann löste er sich.

"Ich gebe dir und deiner Bagage noch vier Tage, viermal Sonne und Mond, damit du deine grünen Mitschwestern zusammenrufen kannst. Ist keine von euch am schwarzen Baum, verbrenne ich dich und deinen Wald zu Asche, damit die anderen spuren. Ich habe es satt, mir von unterentwickelten Kreaturen reinreden ..." Ein niedriger Ast peitschte Voldemort hart an der Wange. Er hob den Zauberstab und richtete ihn auf Morpuora. Gleichzeitig warf er eine Prise weißes Pulver in die Luft. Morpuora stach der Geruch in die Nase. Steinsalz. Das Zeug, daß ihre Flugfähigkeit schwächte.

"Avada Kedavra!" Rief Voldemort. Morpuora wußte nicht, wann ein Fluch tödlich war oder nicht, aber die böse Betonung des Fremden verriet ihr, daß sie einem tödlichen Angriff ausgesetzt war. Das Salz hielt sie am Boden fest, hielt sie auf einem bestimmten Punkt. Doch sie war immer noch gewandt. Sie lag im selben Moment am Boden, als der grüne Todesblitz aus dem Zauberstab fuhr. Voldemort hätte nicht sagen können, ob der Fluch das grüne Wesen getötet hatte oder ob es sich in Deckung werfen wollte. Jedenfalls fuhr der grüne Lichtblitz knapp über Morpuoras Nase hinweg in einen Baum hinein, der erzitterte und dann knarzend niederstürzte, von Voldemort fort.

"Du verdammtes Biest!" Fluchte der dunkle Lord und sezte schon an, den Todesfluch erneut zu wirken, als aus dem Gebüsch eine kleinere, grüne Gestalt herausschoss und dem Hexenmeister aus vollem Flug gegen den Oberkörper prallte. Voldemort stürzte um. Gleichzeitig sprang Morpuora auf. Das um sie verschüttete Salz stach ihr in die Nase und gab ihr das Gefühl einer Zentnerlast, die sie niederzudrücken drohte. Doch ihr eiserner Wille bäumte sich auf und warf ihren Körper nach vorne. Die Knorrigen Beine drückten sich durch wie bei einem losspringenden Grashüpfer. Als wenn Morpuora durch eine Feuerwand springen mußte brannte es auf ihrer Haut. Doch dann war sie über die vermaledeite Salzbarriere hinweg. Vor ihren Augen explodierten rote und grüne Blitze, und ihr wurde sehr schwindelig. Doch weil ihre Tochter gerade mit dem bösen Bleichling rang, der sie hatte töten wollen, überwand sie die vom Steinsalz aufgezwungene Schwäche und sprang auf Voldemort zu, der gerade auf Soalascara zielen wollte, die mit einer freien Hand nach dem Zauberstab griff. Da krachte ein roter Blitz durch die Büsche und hieb das grüne Mädchen nieder. Voldemort zielte auf Soalascara. Morpuora sprang auf Voldemort zu und wollte ihn packen, als ein weiterer roter Blitz aus dem Gebüsch zuckte. Sie wich dem Fluch reflexartig aus. Voldemort verriss seinen Zauberstab und ließ den Soalascara geltenden Fluch wirkungslos im Buschwerk verpuffen. Als er merkte, daß er Morpuora jetzt nicht mehr zurückdrängen konnte, drehte er sich blitzartig und verschwand mit lautem Knall. Morpuora warf sich zu boden, als ein weiterer grüner Todesblitz auf sie zusirrte und sie wieder um Haaresbreite verfehlte. Dann hörte sie einen fernen Ruf: "Amycus, lass das! Das machen wir anders."

Morpuora drehte ihren Kopf und sah, wie eine Gestalt hinter einem breitblätterigen Busch davonhuschte. Dann ertönte ein Wort wie ein Befehl: "Incendio!"

Schlagartig schossen grelle Flammen in nicht einmal zwanzig Schritt Entfernung auf, erfaßten die Zweige des Unterholzes, die Blätter und Äste am Boden, wuchsen mit erschreckender Geschwindigkeit empor, bis sie die unteren Zweige der ausladenden Bäume ergriffen und sich daran entlangfraßen, immer mehr werdend. Es krachte wieder, und dann stand der Wald an einer anderen Stelle wieder in Flammen, dann noch an einer Seite. Morpuora packte ihre Tochter und stieg mit ihr senkrecht nach oben. Sie roch den Rauch der sich langsam vollends entzündenden Bäume und Sträucher. Was immer das für ein Feuer war, es scherte sich nicht darum, daß dieser Wald im üppigen Grün gestanden hatte. Morpuora flog los, mit ihrer Tochter Soalascara in den Armen nicht so schnell wie sonst. Sie flog auf das einzige Waldstück zu, das noch nicht brannte. Doch da lag der Fluß, der nach dem Regen der letzten Tage zu viel Wasser führte, um an seine Überquerung zu denken. Doch sie mußte fort. In ihrer Muttersprache rief sie nach Raimorha, ihrer in der Nähe wohnenden Tochter und deren Sohn Puorvio. Wieder züngelte eine Flammenwand auf, diesmal noch schneller, noch heißer und heller. Jetzt war sie fast eingeschlossen. Sie mußte über die Baumwipfel steigen, doch da lag schon der Fluß vor ihr. Der Rauch wurde immer beißender, drohte, ihr alle Sinne zu vernebeln. Sie fühlte den Widerstand des fließenden Wassers. Sie würde wie gegen eine meterdicke Mauer prallen, wenn sie in dem Tempo auf den dahineilenden Fluß zuhielt. Dann krachte und knisterte es hinter ihr immer lauter. Das Feuer raste heran. Sie fühlte, wie hunderte von Bäumen abstarben, wie ihr damit die belebende Nähe zu großen Pflanzen verlorenging. Dieses, der Rauch und die unmittelbare Nähe eines fließenden Gewässers ließen sie taumeln, herniedersinken.

"Verglühe zu Asche, Sabberhexe!" Rief eine durch Zauberei verstärkte, haßerfüllte Stimme, kalt und einschneidend. Das war der, der sich Lord Voldemort nannte. "Morsmordre!"

Morpuora sackte weiter ab. Jetzt war sie schon unterhalb der Baumkronen, die vom heraufbeschworenen Feuer ergriffen wurden und wie Zunder aufflammten. Die in den Zweigen gebannte Feuchtigkeit verpuffte mit lautem Knall, reicherte den dichten Rauch weiter an, konnte jedoch den Hunger der Flammenzungen nicht besänftigen. Morpuora fühlte, wie sie auf dem Boden aufschlug. Die heranwehende Hitze, der beißende Qualm und das Getöse im Feuer zerfallenden Holzes betäubten Morpuora mehr und mehr. Sie ahnte, daß ihr Ende gekommen war. Sie blickte nach oben, wo der weiße Brodem von der Hitze durchgequirlt wurde. Sie meinte, einen grünen Lichtschein zu erkennen, der über den nach allen Seiten leckenden Feuerzungen am Himmel hing. Das konnte nur eine Sinnestäuschung sein. Denn was sie zu sehen meinte war ein gigantischer, grün leuchtender Totenschädel, aus dessen Mund eine Schlange herauslugte.

"Das war es. Ich habe viele Sommer gelebt. Jetzt stirbt mein Wald mit mir und Soalascara", dachte die alte Sabberhexe, ihren Tod bereits als unausweichlich ansehend.

__________

Voldemort und zwei Todesser sahen aus sicherer Entfernung, wie der Wald Morpuoras in ein gelboranges Flammenmeer eingetaucht wurde. Aus der Ferne wirkte die sich immer weiter ausdehnende Feuersbrunst wie eine stetig leuchtende Straßenlaterne oder eine gleichförmig glühende Lichtwand.

"Da kommt die nicht mehr raus", triumphierte der dunkle Lord. "Das wird den anderen Grünfratzen eine bittere Lehre sein, sich mir zu verweigern, wenn ihre große Anführerin nicht mehr lebt."

"Sie quakt um ihr Leben!" Rief einer seiner Begleiter amüsiert. "Hört euch das An, Herr!"

"Soll sie doch", lachte Voldemort. "Soll sie doch!!"

"Die vom Zaubereiministerium werden bald herkommen", unkte der zweite vermummte Todesser.

"Warum? Um diesen Urwald schert sich doch keiner mehr. Die werden froh sein, daß die alte Sabberhexe drin verbrannt ist", erwiderte Voldemort gehässig. "Die werden das den Muggeln überlassen, ob die den Wald löschen oder runterbrennen lassen. Machen wir, daß wir wegkommen!"

Es knallte dreimal, dann waren der schwarze Lord und seine Spießgesellen verschwunden.

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Alan Bruster von der britischen Forstverwaltung erhielt knapp zehn Minuten nach Ausbruch des Feuers einen Anruf. Ein Überwachungssatellit, den die Briten vor einem halben Jahr mit einer Ariane-Rakete auf eine geostationäre Umlaufbahn über ihren beiden Inseln hatten bringen lassen, hatte eine ausgedehnte Feuersbrunst gemeldet.

"Nordschottland, ein weil schwer zugänglich unberührtes Waldgebiet, Sir", meldete der Satellitenüberwacher. Bruster nickte und griff zur Computermaus, um sich eine Landkarte des betroffenen Gebietes auf den Schirm zu holen.

"Alle Feuerbekämpfungstruppen sofort dahin. Löschflugzeuge einsetzen!" Befahl Bruster rasch als er sah, daß im Umland der erwähnten Wälder fünf kleinere Dörfer lagen, kaum mehr als Punkte auf der Karte aber doch bewohnte Orte, die zu schützen waren.

"Die Löschmannschaften sind bereits in Marsch gesetzt, Mr. Bruster", erwiderte der Satellitenkontrolltechniker. "Ich habe nach Notfallplan E-32 sofort die entsprechenden Abteilungen alarmiert."

"Gut", sagte Bruster, der erst einmal geschluckt hatte, weil man ihn als Hauptverantwortlichen übergangen hatte. Doch in solchen Fällen war der kürzeste der beste Dienstweg. "Ich komme gleich zu Ihnen in die Überwachungszentrale. Lassen Sie die Satellitenbilder ausdrucken. In welchen Intervallen fotografiert der?"

"Alle fünf Minuten, Sir", sagte der Kontrolltechniker. Bruster nickte eher aus Reflex als beabsichtigt.

"Er wollte gerade ins Kontrollzentrum hinüber, als er einen Anruf vom Untersekretär des Premierministers erhielt, ob er über den unerwarteten Waldbrand informiert worden sei. Er bestätigte das. Dann erfuhr er, daß Anwohner aus einem der fünf Dörfer im Umland den Rauch und die Feuersglut gesehen hatten und deren Feuerwehren bereits unterwegs waren, den Brand zu bekämpfen. Dadurch sei aber auch die Presse auf den Plan gerufen worden. Bruster stöhnte auf. Dann würde man wohl bald ein Interview von ihm verlangen, wie es zu diesem Feuer hatte kommen können, Wo der Juli bisher ein sehr kühler und niederschlagsreicher Monat gewesen war. Ob das mit rechten Dingen zugehen konnte? Das Wort Brandstiftung sprang ihm sofort ins Bewußtsein. Doch wozu sollte das gut sein? Handelte es sich um einen Feuerteufel, der sich am Feuer erfreute oder wollte da jemand was anderes erreichen?

__________

Das Eingreifkommando des Zaubereiministeriums rückte sofort aus, als die Meldung von einem ausgedehnten Waldbrand in der Zentrale des Unfallumkehrkommandos eintraf. Normalerweise fühlten sich die Notfallzauberer nicht zuständig, wenn irgendwo ein Feuer ausbrach. Doch in diesem Fall sollte es fünf Entzündungszauber gegeben haben, die schwer zu orten waren, weil die dafür zuständigen Erfassungsstellen zu weit von der Quelle entfernt waren. Dann hatte jemand noch das dunkle Mal gesehen. Ein Muggel, der mit seinem Fernglas den Brandherd beobachtet hatte. Dieses gab den entgültigen Ausschlag.

"Nur nachsehen, was da passiert ist!" Lautete die Anweisung. "Wir dürfen nicht in die Brandbekämpfung eingreifen, sofern keine Zauberer oder Hexen betroffen sind."

Dana Moore apparierte zunächst im Zaubereiministerium, wo sie weitermeldete, was sie mit Riverside besprochen hatte. Dabei forschte sie auch nach, ob der in den Muggelnachrichten erwähnte Waldbrand auf eine magische Art entstanden war. Man erzählte ihr, daß wohl die gefürchteten Todesser den Brand gelegt hatten, weil über dem Brandherd das dunkle Mal am Himmel gestanden hatte.

"Zum Glück kann es mit Muggelapparaten nicht beobachtet werden. Wir haben nämlich herausbekommen, daß über Britannien ein künstlicher Beobachtungsmond am Himmel steht, der Wetter und Waldgebiete überwachen soll. Das würde uns noch fehlen, wenn die Muggel das dunkle Mal zu sehen bekämen."

"Vor fünfzehn Jahren war das doch fast passiert, weil der Unnennbare ein Passagierschiff der Muggel überfallen hat", erinnerte sich Dana Moore. Ihr Gesprächspartner, Albert Hornby aus der Unfallumkehrtruppe, zupfte sich am schwarzen Schnurrbart, der sein Markenzeichen war und meinte:

"Ja, das war knapp davor, in allen Nachrichtenverbreitungsmedien rumzugehen, die Sache mit der "Southern Sunrise". Dabei wollte Sie-wissen-schon-wer lediglich eine Muggelfamilie töten, die zwei magisch begabte Kinder hatte. Daran können Sie sehen, wie hemmungslos er dreinschlägt."

"Vor nicht einmal zwei Monaten haben Sie, Hornby noch mit Minister Fudge Stein und Bein geschworen, er sei nicht zurückgekehrt und die Aussagen Harry Potters für die Ausgeburt eines Verrückten gehalten", bemerkte Dana Moore.

"Haben Sie das denn geglaubt?!" Fuhr Hornby Dana an. Diese nickte schwerfällig.

"Zumindest habe ich mich auf die Situation eingestellt, daß Potter die Wahrheit sagt und der Klitterer dieses Phantasten Lovegood mal ausnahmsweise die Wahrheit berichtet hat", erwiderte Dana. Dann meinte sie, sie habe noch Papierkram zu erledigen und überließ Hornby seinen Verpflichtungen.

Dana forschte nach, was den Unnennbaren und seine Handlanger veranlaßt haben konnte, diesen für die Muggel und Zauberer so unbedeutenden Wald anzuzünden. Dann fiel es ihr ein, daß in diesen Wäldern eine Sabberhexensippschaft hauste, die seit Jahrzehnten und Jahrhunderten bekannt war. Sie prüfte nach, was darüber in den Akten zu finden war und erkannte, daß es wohl um Morpuora ging, die gerissene Waldkönigin Nordschottlands. Offenbar hatte sie den überall gefürchteten Zauberer verärgert. Es mochte sein, daß er, der nicht beim Namen genannt werden durfte, die Sabberhexen in seine Dienste zwingen wollte, nachdem ihm die Dementoren bereits zugelaufen waren und er womöglich auch mit den Riesen einen Pakt geschlossen hatte. Morpuora hatte sich wohl geweigert, dem Unnennbaren zu folgen und war wohl von diesem umgebracht worden, nicht mit dem tödlichen Fluch, sondern durch Feuer. Dann machte es auch einen Sinn, wenn jemand das dunkle Mal gesehen hatte als Zeichen eines erfolgten Anschlags der Todesser. Dana überlegte nicht lange und verließ das Ministerium, um weit davon entfernt zu disapparieren.

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"Herbarupto!" Rief das magere Mädchen mit der kastanienbraunen Mähne. Es hielt einen Zauberstab auf einen Kaktus gerichtet. Ein kurzer Schauer grüner und blauer Funken, begleitet von einem Fauchen wie ein auf einer heißen Herdplatte verdampfender Wassertropfen war die Folge. Die Anvisierte Pflanze zitterte mit den stacheligen, fleischig dicken Blättern. Dann schrumpfte sie schlagartig ein und verschwand in der lockeren Erde des großen Tontopfes, in dem sie bisher so prächtig gediehen war.

"Das war ja wohl nichts", tadelte eine Frau in rosarotem Umhang. "Der Pflanzenvertilgezauber sollte die Pflanzen durchtrennen und nicht verjüngen, Schwester Dido. Komm, mach das noch mal!"

"Höchste Schwester, ich kapiere das nicht, wie ich das machen muß", quängelte das Hexenmädchen. "Ich denke mir, die Pflanze muß verschwinden, wenn ich sie zerstören soll."

"Das genügt eben nicht", sagte die strohblonde Hexe mit ihrer warmen, im Moment eher ungehalten klingenden Altstimme. Sie holte einen weiteren Blumentopf herbei, in dem ein Kaktus saß, stellte ihn vor ihre Schülerin hin und hielt einen silbriggrau glänzenden Zauberstab darauf.

"Herbarupto!" Rief sie. Schlagartig fielen die Blätter der stacheligen Pflanze ab und verfärbten sich von Dunkelgrün über Gelb zu Kreideweiß. Die Wurzeln der Pflanze verkümmerten augenblicklich und zerfielen zu einer gelblich-weißen Substanz, die sich mit der Blumentopferde vermischte.

"Es gibt viele Zauberpflanzen, die man nur so auf Abstand halten kann, Schwester Dido", erklärte die ältere Hexe und führte aus, daß man bei dem Zauber an sich verfärbendes Laub oder einen Kahlen Wald zu denken hatte. Dann sollte Dido den Zauber wiederholen. Diesmal schaffte sie es, den Probekaktus wie wild um sich schlagen zu machen. Beinahe sah es so aus, als wolle die Pflanze sich aus der Erde losreißen und auf das Mädchen losgehen. Einzelne Stacheln flogen umher. Mit einem grellen grünen Blitz machte die Hexenlehrerin dem Treiben ein Ende.

"Im allergrößten Notfall geht auch dieses", schnaubte sie. "Aber der Zauber ist für dich noch zu schwer, wenn ich ihn dir überhaupt beibringe", knurrte sie dann noch. Dido verzog das Gesicht. Die höchste Schwester konnte ja doch so gemein sein wie ihr früherer Lehrmeister Lohangio Nitts.

"Den zauber übst du in den nächsten Wochen immer wieder, Schwester Dido! Manchmal kann man einer Wucherung nur mit diesem Zauber beikommen", sagte die Hexe im Rosa Umhang. Dann sagte sie, daß das Mittagessen warte.

Während Antehlia und ihre Mitbewohnerin Dido Pane, die früher mal ein Junge namens Ornatus gewesen war, beim Mittagessen saßen, traf Dana Moore ein und berichtete von dem von Todessern entfachten Waldbrand. Anthelia überlegte. Sie kannte die Natur der grünen Waldfrauen, die von den anderen gerne als Sabberhexen bezeichnet wurden. Sie würden sich niemals einem Zauberer unterwerfen. Sicher, dieser Emporkömmling war gerissen und gefährlich genug, um jeden einzuschüchtern. Sie selbst hatte das bisher einzige Duell mit ihm auch nur überstanden, weil sie in weiser Vorausschau ihren magischen Avatar vorbereitet hatte und ihr der Gürtel der zweiundzwanzig geopferten Leben geholfen hatte. Andere konnten sich nicht darauf verlassen, so ungeschoren davonzukommen. Hinzu kam, daß der Waisenknabe nun noch grausamer zuschlagen würde. Womöglich würde er neben den Werwölfen, von denen sie wußte, daß sie ihm wohl wieder nachlaufen würden, sowie den Vampiren von der dunklen Seite des Mondes und den Dementoren auch die Riesen auf seine Seite ziehen.

"Ich weiß nicht, ob es wichtig ist, höchste Schwester", setzte Dana Moore an. Anthelia sah sie sehr aufmerksam an. "Vor einigen Tagen ist ein großes Frachtschiff in Südengland eingelaufen, bei dem die Ladung aus fünf großen Metallbehältern verschwunden sein soll. Außerdem ist ein Matrose unterwegs spurlos verschwunden. Die Muggelgesetzeshüter vermuten, der sei über Bord gefallen und ertrunken. Die angeblich verschwundene Ladung ist dann Tage später in einem Lager wiedergefunden worden. Die Ordnungshüter glauben jetzt, die Kaufleute und der Frachterkapitän wollten einen Verlust vortäuschen, um von ihren Versicherungen Geld zu kriegen. Aber du sagtest ja, ich solle auf alles achten, was irgendwie merkwürdig aussieht."

"Fünf große Metallbehälter? Für wahr, und ein Seemann ist unterwegs verschwunden?" Wollte Anthelia wissen. Dann zuckte der Blitz der Erkenntnis in ihren Augen auf. Das konnte angehen. "Schwester Dana, es mag anmuten, daß dieser Orientale Alcara seine Armee der Golems auf dem Meer nach Britannien einschmuggelte, unentdeckt von den Wachen der Zaubererschaft. Der Mann, der auf der Überfahrt verloren ging, mag das Geheimnis dieser Fracht gelüftet haben oder aus anderen Gründen mit Alcara über Kreuz geraten sein. Wir müssen also davon ausgehen, daß der Emporkömmling nun die irdenen Knechte zur Stelle hat, die er diesen Alcara zu schaffen hieß. Doch überprüfe es bitte für mich!"

"Natürlich, höchste Schwester", bestätigte Dana Moore. "Und was sollen wir in der Waldbrandsache tun?"

"Da können wir nichts unternehmen, Schwester Dana. Entweder wird der Emporkömmling die übrigen Sabberhexen nun unterwerfen können, oder es wird bald keine mehr auf den britischen Inseln geben. Es sei denn, sie lassen sich herab, sich starke Freundinnen zu suchen", erwiderte Anthelia kalt lächelnd. Dann entließ sie Dana Moore. Diese verabschiedete sich und disapparierte.

Am Nachmittag traf noch Pandora Straton ein, die sich mit Anthelia über eine andere Sache unterhielt, die der höchsten Schwester wichtig war.

"Du hast uns doch losgeschickt, rauszukriegen, wieso Picklock in diesem Bundespolizeigebäude erwischt werden konnte, höchste Schwester. Romina, Patricia und ich meinen, es herausbekommen zu haben", sagte die Hexe mit den dunkelbraunen Haaren und den tiefgrünen Augen, die jahrelang Antehlias einzige Helferin gewesen war, noch bevor die Wiedergekehrte ihren neuen Körper übernommen hatte.

"Ich höre, Schwester Pandora", sagte Anthelia sehr erwartungsvoll. Sie konnte ja Pandoras an der Bewußtseinsoberfläche treibende Gedanken hören. Ja, das mochte angehen.

"Wir haben überprüft, wer von der Bundespolizei bei der Konferenz war, und siehe da, es ist eine Sonderagentin Maria Montes beteiligt gewesen, die das Purpurhausmassaker als einzige überlebt hat. Wir wußten ja, daß dieses Gemetzel keiner hätte überleben können, weil die Kreatur des Abgrunds wohl alle mit ihrer Magie in den Feuertod getrieben hat. Was hat diese Frau also gerettet? Es kann nur ein magischer Schutz vor düsteren Kreaturen oder unsichtbaren Zauberwesen gewesen sein. Ja, damit deckt sich auch was meine Tochter und Wanda Waxingmoon erzählt haben, als wir selbst vor dem Purpurhaus waren. Einer der Polizisten hatte andauernd mit einer Maria gesprochen, von der wir jedoch kein Bild und kein einziges Wort vernehmen konnten. Offenbar umgibt diese Muggelfrau ein magischer Schutz, wo immer der herkommt. Sie mag gegen geistige und fernsensorische Beobachtung gewappnet sein, wie auch gegen diverse Flüche. Patricia vermutet, daß selbst der Lebensquellenfinder Vivideus sie nicht berühren kann."

"Wie? Eine Unfähige, die eine so mächtige Magie ummantelt?" Entfuhr es Anthelia. Dann nickte sie. Das mußte so sein. Als sie damals bei der Wiederkehr von Benny Calder beobachtet worden war und der die Polizei gerufen hatte, waren die Hexen einstweilen aus der Villa verschwunden, um den Eindruck eines seit Jahren verlassenen Hauses zu wahren. Wäre Anthelia geblieben, so hätte sie es wohl damals schon mitbekommen."

"Wir, also Schwester Romina, meine Tochter Patricia und ich haben bereits nachgeforscht, woher diese Frau kommt, wo sie lebt und welche Freunde und Verwandte sie hat. Sie ist mit einem Enrique Montes verheiratet, lebt in Jackson, Mississippi, ist römisch-katholisch getauft und erzogen worden und seit zehn Jahren bei der Bundesermittlungsbehörde FBI tätig. Sie hat dort mit ihrem Partner Moses Greenthal im Bereich Sektenkriminalität und bundesweite Räuberbanden ermittelt. Auf die Sache mit dem Engländer Andrews kam sie erst durch das Purpurhaus-Massaker", berichtete Pandora Straton und förderte aus ihrer Handtasche einen dicken Packen Papier zu Tage. Anthelia nahm das Papierbündel und betrachtete zunächst das Bild der FBI-Agentin. Dann versank sie in einer Art Traumzustand, konzentrierte sich auf jemanden weit entfernt und tauchte behutsam in die Schichten eines anderen Geistes ein. Ihr Seelenmedaillon pulsierte sacht, als sie die damit errichtete Verbindung zu Cecil Wellington aktivierte und sich von diesem unbemerkt durch die Schichten seines Gedächtnisses arbeitete wie ein Tiefseetaucher durch den endlosen Ozean. Ja, und da fand sie auch das Bild der Polizistin, die damals mit dabei gewesen war, als er das Wiederbeseelungsritual belauscht hatte. Da war dieser Büttel Foggerty und eben diese Frau, von Aussehen und Namen her eine Tochter der Conquistadores. Offenbar hatte sie ihm damals geglaubt als er von einer Zusammenkunft von Teufelsanbeterinnen erzählt hatte. Da fiel ihr auf, welche Unterlassungssünde sie wohl begangen hatte, nicht nachzuforschen, wer dem Knaben geglaubt haben mochte und wer nicht.

"Meine Tochter vermutet, daß sie auch in jenem Schönheitssalon gewesen war, den die Dementoren auf der Suche nach Magnolia Silverspoon überfallen haben. Wenn der Lebensquellenfinder sie nicht berührt, wieso auch immer, dann konnten weder wir noch die Ministeriumszauberer sie ausfindig machen. Das würde die Erklärung dafür liefern, wieso die vom Zaubereiministerium so energisch alle Hexen mit dem Vornamen Patricia verhören wollten."

"Vermaledeit!" Schimpfte Anthelia. Wenn das stimmte, war dieses Weib der Unfähigen sogar gegen ihr Gedankenhören verhüllt. "Danke für diese Informationen, Schwester Pandora. Ich werde darüber nachdenken, wie ich damit verfahren werde", sagte sie noch ruhig. Jetzt, wo sich einiges klärte, was ihr vorher so unerklärlich schien, überlegte sie, ob diese Frau eine Feindin oder nur ein lästiger Störfaktor war, den man umgehen oder beseitigen konnte, je nach Art der Störung. Dann dachte sie daran, daß diese Maria Montes sicherlich gemerkt haben mußte, daß das Glück, das ihr immer wieder hold war, nicht auf reinen Zufall errichtet war. Ja, immerhin mußte sie mit den Ministeriumszauberern gesprochen haben, damit die nach einer ihren Vorstellungen widersprechenden Hexe namens Patricia suchen konnten. Immerhin hatte das Patricia-Straton-Simulacrum seit dem einige wertvolle Alibis geliefert, die das Ministerium davon abgebracht hatten, die Stratons weiter auszukundschaften. So hatte sich aus der Störung doch noch eine günstige Gelegenheit ergeben. Das mußte bedacht werden. Anthelia war neugierig. Schutzzauber waren seit ihrem ersten Leben schon ein sehr interessantes Forschungsgebiet für sie. Als sie davon gehört hatte, daß der Junge Julius Andrews auf seiner waghalsigen Reise in die künstliche Welt der Zaubergemälde die Kopfbedeckung einer Kaiserin des alten Reiches getragen hatte, war ihr klar, wie wichtig es war, sich gut in den Abwehr- und Verhüllungszaubern auszukennen. Daher empfand sie eher einen großen Ehrgeiz, das Geheimnis von Maria Montes zu lüften als eine Abneigung gegen diese Frau, die ihren Späher Picklock und sie derartig heftig außer Gefecht gesetzt hatte. Vielleicht, so überlegte sie, war diese Maria Montes ohne daß sie es wollte eine sehr gute Gehilfin der Wiedergekehrten. Darüber mußte sie in Ruhe nachdenken. Voldemort hätte diese Frau womöglich umgehend gejagt und getötet, sofern dieser mächtige Schutzzauber nicht auch den tödlichen Fluch abhalten konnte, wie ihr Gürtel der zweiundzwanzig Leben. Doch Anthelia schätzte es, wenn sie sich die Stärken eines Widersachers zu Nutze machen konnte als ihn oder sie gleich zu vernichten. Deshalb lebte der Junge noch, der jetzt Cecil Wellington hieß. Deshalb hatte sie auch nicht daran gedacht, Lady Ursina Underwood zu töten. Tja, und Sarah Redwood? Die wollte sie eigentlich auch als lebendige Mitstreiterin an ihrer Seite haben. Daß diese versucht hatte, sie zu töten und dabei selbst gestorben war, war bedauerlich, wenn sie auch dadurch mehr von ihr erhalten hatte als sie freiwillig gegeben hätte, ihr ganzes Wissen, ihre Fähigkeiten und Erlebnisse. Deshalb konnte sie nun auch die Schlangensprache Parsel und stand damit auch dem Emporkömmling Voldemort in nichts nach. Wenn diese Maria Montes einen Schutzzauber besaß, obwohl sie selbst wohl nicht zaubern konnte, und wenn dieser Wehrzauber selbst Hallitti auf Abstand hatte halten können, dann war diese Frau lebendig wertvoller als tot. Doch wenn sie mit Leuten der sogenannten ehrenhaften Zaubererschaft in Verbindung stand, würden diese ihr einreden, daß Hexen wie Anthelias Spinnenschwestern verbrecherisch und daher zu bekämpfen seien. Das alles mußte Anthelia bedenken. Doch die Neugier, welche mächtige Magie dieser Frau half, überwog die Bedenken, sie könne eine Gefahr für den Spinnenorden sein. Sie beschloß, sich dann um diese Frau zu kümmern, wenn sie das Problem mit Hallitti gelöst hatte. Außerdem galt es, die Gehilfen des Emporkömmlings Voldemort daran zu hindern, in der ganzen Zaubererwelt neue Getreue zu werben. Daß Alcara sich diesem Waisenknaben angeschlossen hatte, war unverzeihlich. Sie hätten das verhindern müssen. Nun war dieser zerstörungssüchtige Zauberer im Besitz einer schlagkräftigen Armee von unverwüstlichen Dreinschlägern und Meuchelmördern. Es war für Anthelia keine Frage, ob er diese neue Hilfstruppe einsetzen würde, sondern nur, wann er dies wagte.

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Tim Abrahams genoß seinen Urlaub von der Welt, in die er hineingewachsen war. In seinem alten Kinder- und Jugendzimmer im herrschaftlichen Haus seiner Eltern außerhalb von London konnte er die alten Erinnerungen immer wieder aufleben lassen, die seine Zeit bis zum elften Lebensjahr betrafen. Danach war der große Einschnitt in seinem Leben gekommen. Seine Eltern und er hatten einen Brief erhalten, der ihm mitteilte, er sei ein Zauberer und könne vom nächsten Schuljahr an in einer Schule namens Hogwarts seine magischen Fähigkeiten nutzen lernen. Sein Vater, damals Lieutenant Commander der königlichen Kriegsmarine, hatte erst sehr unwirsch diesen Brief als absoluten Unfug abgetan. Doch als ein Mr. Watergate erschienen war, der ihnen vorgeführt hatte, daß es wider den aufgeklärten Geist der Neuzeit doch übernatürliches gab und das echte Hexen und Zauberer immer noch unter den Menschen lebten, hatte Tim es begrüßt, zu diesen Leuten zu gehören. Mit seinen Schulkameraden Alessandro Boulder und Ken Dasher hatte er in Hogwarts ein brüderliches Trio gebildet. Doch irgendwann, als er im vierten Schuljahr war, hatte ihn die erwachende Sehnsucht nach körperlichen Zärtlichkeiten eines Mädchens heftig umgetrieben. Seine beiden Freunde hatten bereits feste Freundinnen gefunden. Doch mit ihm, dem Muggelstämmigen, wollte so schnell keine was anfangen. Als er dann diese grüne Braut Morpuora in den drei Besen getroffen und sich mit ihr unterhalten hatte, war ihm irgendwie danach gewesen, diese fremdartig und teilweise abstoßend erscheinende Kreatur näher kennenzulernen. Die hatte das wohl gemerkt und ihn ohne großen Aufwand verführt, mit ihr das Dorf Hogsmeade zu verlassen und seine noch unerforschten Gelüste mit ihr auszuleben. Damit hatte sie ihn in die spinnenbeinartigen Finger bekommen. Doch das wurde ihm erst klar, als nach Jahren von heimlich ausgelebten Freuden von ihm verlangt wurde, Morpuoras Tochter Raimorha auch einen muggelstämmigen Gespielen zu verschaffen, den diese schon lange begehrte, der sich ihr aber bisher immer verweigert, ja sie immer mit dem für sie üblen Steinsalz auf Abstand gehalten hatte.

"Du weißt schon, was du nach den ZAGs machen willst, Roy?" Hörte er sich in vielen Träumen immer wieder fragen. Der Junge, Roy Fielding, hatte damals vor vierzehn Jahren erzählt, er wolle möglichst ohne Zaubertränke seine UTZ-Jahre verbringen, jetzt, wo Dumbledore diesen Schleimbeutel Snape eingestellt hatte. Tim hatte ihn darauf in ein langes Gespräch verwickelt, während dem sie ohne Roys Freundin Dina Murphy viele Muggelsachen beredet hatten. dina hatte es gelangweilt, und als Roy sagte, er wolle sich mit Tim ausführlicher über die möglichen Zukunftspläne unterhalten, war sie ihnen nicht einmal nachgelaufen, als sie durch Hogsmeade gingen. Morpuora hatte ihm, Tim, genaue Anweisungen gegeben, wo er mit Roy hinzukommen hatte, rein zufällig natürlich. Dann hatte sie Tim und ihre Tochter Roy getroffen und mit sich genommen. Die junge Aurora Dawn hatte das mitbekommen, daß Roy um Hilfe gerufen hatte, weil er nicht mitwollte. Dann war noch Bruster Wiffle dazwischengegangen und hatte Morpuora mit Schockzaubern belegen wollen. Danach erinnerte er sich nur noch daran, daß er mit seiner grünhäutigen Gebieterin in ihrem Wald hemmungslosen Sex gehabt hatte, bis eine Hexe namens Jane Porter und Leute vom Aurorenkorps dem Treiben ein jähes Ende bereitet und Tim und Roy ins St.-Mungo-Krankenhaus gebracht hatten. Wochen waren vergangen, in denen Tim gegen die Heiler angekämpft hatte, die ihm durch Tränke und Gedächtniszauber austreiben wollten, Morpuora zu verehren, ihr zu folgen und zu tun, was sie wollte. Zwar hatten sie versucht, ihm die Erinnerungen an diese Sabberhexe zu nehmen, doch es war ihnen nicht gelungen. Das einzige, was ihm von dieser Zeit im Gedächtnis geblieben war, war grenzenloser Haß auf diese Kreatur, die ihn zu ihrem Lustsklaven gemacht und ihn dazu getrieben hatte, einen anderen Mitschüler in eine Falle zu locken, damit eine ihrer Töchter sich mit ihm verlustieren und sich weitere Kinder von ihm machen lassen konnte, wie Morpuora von ihm wohl eine Tochter haben sollte. Doch die wollte er nicht kennenlernen. Dieses grüne, häßliche Ungeheuer, dieses Kinder fressende und halbwüchsige Jungen vernaschende Monstrum war ihm nun zu wider. Sie hatte sein Leben verpfuscht. Weil er immer von ihr träumte, wenn ihn das Bedürfnis nach einer Frau überkam und es ihm sogleich abtötete, hatte er seit ihr keinem Mädchen, Muggel oder Hexe, auch nur einen Funken Zuneigung entgegenzubringen geschafft, ganz zum Unwillen seines erzkonservativen Vaters, der zu gerne einen Marineoffizier der zweiten und der dritten Generation in seiner Familie begrüßt hätte. Tim war in das Büro für Desinformation eingetreten, wo er die Sichtung von Zaubertieren vertuschen mußte, besonders wenn ein Drache irgendwelche Rinderfarmen überfallen hatte. Das hatte ihn gut von privaten Problemen abgehalten, zumal seine Vorgesetzten darauf bedacht waren, ihn weit weg von Waldgebieten einzusetzen, in denen Morpuoras hinterhältige Artgenossinnen hausten. Doch immer wieder träumte er davon, daß dieses grüne Monsterweib ihn suchte, jagte und sich dann über ihn hermachte wie vor siebzehn Jahren zum ersten Mal. Diese Bestie, die über hundert Jahre alt sein wollte, war weit weit von ihm fort. Das war gut für sie. Denn seit er aus Hogwarts heraus war hatte er neben seinem Zauberstab immer eine schußbereite Pistole im Nachttschränkchen.

Die Wiederkehr des grausamen Zauberers, der nicht beim Namen genannt werden durfte hatte auch Tim erschüttert. Seine Vorgesetzten hatten beschlossen, ihn bald in eine andere Sektion zu versetzen, wo er gesondert Vorfälle behandeln sollte, die auf das Treiben der Todesser zurückgehen mochten. Damit war er nun Mitglied einer Sondereinheit, die sich sehr großen Gefahren aussetzen würde, das wußte er. Um so höher schätzte er es nun, bei seinen Eltern zu sein. Sein Vater hatte sich extra Landurlaub erbeten, nach dem Vorfall vor vierzehn Jahren das erste Mal wieder. Sie waren zusammen bei Bekannten gewesen und planten, für zwei Wochen nach Gran Canaria zu reisen, wo sie mit anderen nichtmagischen Menschen den weißen Strand bevölkern und alle bösen Dinge weit von sich zurücklassen konnten. In fünf Tagen würde es losgehen.

Am Abend sah er mit seinem Vater, der nun als Captain einen Flugzeugträger befehligte die Nachrichten im Fernsehen. Dabei wurde auch von dem Waldbrand in Nordschottland berichtet.

"Heh, Tim, was hast du?" Fragte Templeton Abrahams seinen Sohn, als dieser merklich bleich dreinschaute und dann merkwürdig gehässig zu grinsen begann.

"Das war ihr Wald, Dad. Das kann nur ihr Wald gewesen sein. Warum sollte sonst Feuer in einem Wald ausbrechen, der gar nicht ausgetrocknet war. Bestimmt hat er, den wir nicht beim Namen nennen sie umgebracht, und Feuer ist nun mal das beste gegen dieses Biest."

"Ihr Wald? Du meinst diese ... Okay, Tim. Verstehe. Dieser Voldemort, von dem du erzählt hast, hat sie also umgebracht. Warum sollte er das gemacht haben?"

"Du bist doch Soldat. Warum bringt man andere um?" Konterte Tim, der jetzt erst richtig begriff, was er da gesagt hatte.

"Nicht so, junger Mann!" Versetzte Captain Abrahams. Dann legte er die Stirn in Falten und erwiderte: "Dieser Hexenmeister sucht Handlanger. Wahrscheinlich hat dieses notsüchtige Monstrum ihn zurückgewiesen, und der hat ihr Zuhause dann einfach abgefackelt."

"Ich fürchte, ich muß das noch prüfen, wenn die wirklich was magisches an dem Brand finden", sagte Tim, der schon um den Gran-Canaria-Urlaub bangte.

"Du hast Urlaub, Tim. Diese Leute, mit denen du dich abgeben mußt sollten das respektieren."

"Das können auch andere rausfinden", sagte Tim beruhigt.

Abends dachte er noch einmal daran, daß sie nun endlich tot war. Daß Voldemort sie getötet haben mochte, erschauerte ihn zwar. Doch sie war nun Geschichte und würde keinem Jungen mehr nachstellen.

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Die Bewohner des kleinen Fischerdorfes Shorewood an der englischen Westküste waren dafür berühmt, einmal im Jahr fünfmal so viele Einwohner zu haben als im Winter. Das lag an den vier großen Strandhotels, die von ihren Architekten großen Naturfelsen nachempfunden worden waren, sowie den sechs Campingplätzen zu je fünfzig Zeltplätzen und den zwanzig Ferienpensionen, die das kleine Dorf zu einem Geheimtipp unter den Individualtouristen gemacht hatten. Sicher, die Hotels waren nicht anders als die auf Mallorca oder der Riviera, boten aber durch ihr Aussehen und die Innenausstattung, die mal an Unterwassergrotten, mal an Kapitänskajüten auf altehrwürdigen Segelschiffen denken machten, eine Atmosphäre britischer Exotik, die nicht nur von abenteuerlustigen Engländern, Walisern, Schotten und Iren gemocht wurde, sondern auch Gäste vom europäischen Festland, den USA und Japan anzogen. Auch kannte dieser Ort keinen nahebei liegenden Flughafen. Die Gäste für alle Hotelzimmer, Zeltplätze und Ferienpensionen reisten vom Flughafen Birmingham per Bus an. In Shorewood hatten vier Familien sich zu Busunternehmern gemausert, deren Großväter noch wetterfeste Hochseefischer gewesen waren. Zwar gab es noch Fischerboote in Shorewood, die tatsächlich jeden Tag frischen Fisch anlandeten, doch die meisten Boote fuhren zum Vergnügen der Touristen aufs Meer hinaus. Ja, es gab sogar ein U-Boot, die "Shorewood Princess". Dessen Anschaffung war zwar belächelt worden, weil vor der rauhen Küste Britanniens kaum eine Vielfalt an bunten Fischen und Korallen zu bestaunen war. Aber das Gefühl, wie ein Fisch unter Fischen dahinzuschwimmen, ohne nasse Füße zu bekommen, ließen sich viele Touristen schon was kosten. Hinzu kam noch, das der Kapitän ein ehemaliger U-Boot-Offizier war, der seine Fahrgäste mit Erlebnissen aus seiner Dienstzeit unterhielt.

Wenn die Gäste aus dem In- und Ausland nicht gerade in Seefahrtsromantik schwelgten oder sich dem Gefühl, der Küstennatur sehr nahe zu fühlen hingaben, besuchten sie die kleinen Pubs und Tanzlokale. So lag ein altehrwürdiger Tanzpalast, in dem die gehobenen Gesellschaftstänze bei echter Live-Musik gepflegt wurden, neben einer schrillbunten Diskothek, aus deren Innerem Nacht für Nacht der dumpfe, schnelle Bass der bei den Jugendlichen angesagten Techno-stücke pochte wie ein zu schnell schlagendes Herz.

Titus Fitzgerald Livingston fragte sich, was er mit seinen Eltern hier zu suchen hatte. Der etwas zu kurz für sein Gewicht geratene Junge aus Santa Barbara, Kalifornien wußte echt nicht, was sich seine Alten dabei gedacht hatten, in ein von durchschnittlichen Leuten aus der halben Welt übervölkertes Dorf zu fahren, um hier ihren verdienten Urlaub zu verbringen. Das er sich im letzten Schuljahr ziemlich heftig abgestrampelt hatte, um die nötigen Noten zu packen, kam denen nicht besonders lobenswert vor. Irgendein Freund von seinem Dad hatte heftig von Shorewood geschwärmt, daß da für jeden was zu finden sei, daß man die Kinder an Spielplätzen oder eben in diesem Rumsbums-Ohrenkillerschuppen parken konnte, um zu romantischer Jazzmusik die alten Tanzstundenzeiten aufleben zu lassen. Außerdem war Titus' Vater, dem er seinen zweiten Vornamen verdankte, ein unheilbarer Angelfan, der hier mit anderen langweiligen Typen Stunden an einem mit Algen überwucherten Holzsteg hocken konnte, um irgendwelche Fische zu fangen, die die kleinen Boote nicht aus dem Wasser geholt hatten. Zwar hatte ihm die Fahrt mit der "Shorewood Princess" ziemlich viel Spaß gemacht, aber auch nur weil seine Mutter dabei bleich wie Gräfin Dracula dagesessen hatte. Daß sie Platzangst hatte und Wasserscheu war, hatte seinen Alten nicht gekümmert. Der meinte, man sollte nehmen, was da sei.

"Eh, für Jungs unter vierzehn kein Eintritt", blaffte der bullige Türsteher in seiner schwarzen Wildlederkombination den Jungen an. Der sah zu ihm hoch und knurrte zurück:

"Denkst du, ich will mir die Ohren zerbröseln lassen, Mann?"

"Dann verpfeif dich", sagte der Türsteher, bevor ein bärtiger Mann um die Ecke kam und den Lederbullemann anfuhr, er habe gefälligst höflich zu den Gästen zu sein. Dann wandte er sich an Titus.

"Wie alt bist du, junger Mann?"

"Alt genug, daß Sie mein Vater sein könnten", erwiderte Titus schroff und grinste über seinen eigenen Spruch. Der Bärtige sah ihn etwas verstört an, mußte dann aber lachen. Jetzt erst fiel dem Jungen die piekfeine Bekleidung des Mannes auf, die ganz bestimt von einem Londoner Maßschneider zurechtgeschnippelt und zusammengenäht worden war. Auch das der Ledertyp vor dem Discoschuppen kuschte wie ein geprügelter Hund zeigte dem Jungen von der Westküste, daß dieser Bartträger da wichtig war.

"Aha, New York, wie ich höre", sagte der Mann belustigt. Titus blieb das Gesicht stehen. New York? Das meinte der nicht ernst!

"'tschuldigung, Sir, ich komme aus Kalifornien, das ist die Westküste von Amerika."

"Oh, dann habe ich die Wette verloren", sagte der Bartmensch im Edelzwirn traurig klingend. "Ich habe mit 'nem Freund von mir gewettet, ich könne jeden englischen Akzent oder Dialekt zuordnen. Hat dann nicht so ganz geklappt."

"Tja, dann soll man nicht wetten", sagte der Junge altklug. Dann sah er einen anderen Mann herankommen, der in einer Polizeiuniform steckte.

"Guten Abend, Bürgermeister", sagte der Schutzmann und zog die Mütze. Der Bärtige wandte sich um und grüßte: "Ebenfalls einen schönen Abend, Constable West!"

"Hier alles klar, Constable", sagte der Disco-Türsteher eilfertig.

"Will ich auch hoffen", sagte der Polizist und ging seines Weges. Auch der Mann, den er mit Bürgermeister angesprochen hatte, machte Anstalten, seinen Spaziergang fortzusetzen. Titus fragte ihn rasch, ob er wirklich der Bürgermeister von diesem Dorf sei.

"Seit fünf Jahren, junger Mann. Willcocks der Name, Rudolph Willcocks."

Die ihm sonst so lästige Höflichkeit zwang Titus dazu, ebenfalls seinen Namen zu nennen. Der Bärtige schien sichtlich beeindruckt.

"Dann ist dein Vater der Senator Livingston aus Kalifornien?

"

"Yep", bestätigte Titus gelangweilt. Daß sein Vater Politiker und kein Astronaut, Soldat oder Computerfachmann war hatte den Jungen schon immer gelangweilt. Besonders dann, wenn wieder mal Präsidentenwählen gespielt wurde, hatte ihn sein Vater oft genug angenervt. So auch in diesem Jahr.

"Dann pass gut auf dich auf! Hier ist zwar nicht gerade Chicago oder die Bronx, aber Jungs in deinem Alter sollten wenn's dunkel wird schon gut aufpassen, daß ihnen nichts passiert", sagte Willcocks und ging seines Weges.

"Lackaffe!" Knurrte Titus und stromerte weiter durch das sogenannte Vergnügungsviertel von Shorewood, daß keinen Kilometer lang und nur einen halben Kilometer breit war. Vorbei ging es am Spielplatz mit den Rutschen, Schaukeln und der großen Sandkiste, die hoch genug war, das kein Hund sein Geschäft da reinmachen konnte, den Pubs aus denen es nach Bier, Bratfett und Zigarettenrauch stank bis zum klimatisierten Fischrestaurant, wo er mit seinen alten Herrschaften einen Tag vorher noch für einen sündhaften Preis zu Abend gegessen hatte. Ihn juckte es in den Füßen, zu einem der Campingplätze hinauszulaufen, um zu sehen, was da so geboten wurde. Sein Vater hatte ihm das zwar verboten, weil der Senatorensohn sich nicht unter das niedere Arbeiter- und Studentenvolk mischen sollte. Doch Titus fand, daß sein Vater im Tanzschlößchen wohl kaum sehen konnte, wo sein zwölfjähriger Sohn hinging und was er anstellte. Allerdings würde er in seinen Markenklamotten wie ein bunter Hund auffallen. Wenn er aber jetzt ins Hotel Seebrise ging, das seine alten Herrschaften und er bewohnten, würde der überfreundliche aber auch sehr aufmerksame Portier das mitkriegen, wenn er sich umzog, seine langsam etwas zu eng werdenden Jeans und ein T-Shirt anzog und dann noch einmal rausging. Nein, wenn er den Campern auf die Bude rücken wollte mußte er so gehen wie er war. Zumindest war er froh, keinen Schlips zu tragen wie sein Dad.

Mit dem nagenden Gewissen und der Vorsicht dessen, der eine verbotene Tat begeht schlich Titus Livingston aus Shorewood hinaus, passierte das große Eingangsschild und schlug einen Bogen zum Strand, wo die großen Campingplätze angelegt worden waren. Von weitem sah er die roten Schimmer von Lagerfeuern und die im letzten Abendlicht schimmernden Frischwassertanks, aus denen die Zeltbewohner Dusch- und Kochwasser zapfen konnten. Er konnte mehrere Wohnwagen sehen, die neben den mehr oder weniger tollen Autos geparkt waren. Er schlich sich wie ein Kinoindianer an das nächste Zelt heran, wobei er höllisch aufpasste, nicht in den Lichthof einer Laterne oder eines Lagerfeuers zu geraten. Ja, er duckte sich sogar hinter einem sehr protzig wirkenden Wohnmobil, aus dessen Innerem Geräusche und Gespräche aus einem Fernseher zu hören waren. Offenbar wohnte hier doch nicht nur Arbeitervolk, oder jemand hatte alles verkloppt, um so'ne Wohnkutsche anzuschaffen, dachte Titus. Dann hörte er entferntes Kinderlachen und blickte sich um. Da konnte er an die zwanzig Jungen und Mädchen sehen, die auf einem abgesteckten Platz Strandfußball spielten. Das langweilte ihn. Der europäische Fußball war nix für ihn. Er war Basketball-Fan.

Er schnupperte den Geruch von gegrilltem Fleisch und verbrennender Holzkohle, hörte Musik aus kleinen Radios oder Cd-Spielern und sah einige Leute beim Essen und trinken zusammensitzen. Richtig aufregend war das hier nicht. Sein alter Herr hatte das wohl nicht gewußt, wie langweilig das hier war. Irgendwie fragte er sich, was er eigentlich hier wollte. Dann entdeckte er die Jugendlichen um ein prasselndes Feuer, die sehr weit abseits von den Stellplätzen hockten und wohl Musik aus einem großen Radiorekorder hörten. Wie magisch angezogen ging er auf die Gruppe der fünfzehn- und Sechzehnjährigen zu, die in ganz lässigen Klamotten dasaßen. Einer kehrte gerade wie ein Spion von der Feindesfront zurück, unter dem Arm einen Kasten Bier. Seine Kumpels winkten ihm und jubelten wohl, aber sehr leise, um keinem zu zeigen, daß da wer den Teenies Alkohol besorgt hatte. Das imponierte den Jungen aus Santa Barbara. Er schlich sich etwas näher ans Feuer heran, um zu lauschen, was die Burschen so erzählten. Von ferne babbelte ein New Yorker Ghetto-Rapper irgendwas von irgendwelchen Mädels, die er zu kriegen versucht hatte. Er schlich noch näher an das Feuer.

"Eh, Will, der Typ hat dich für über achzehn gehalten?" Meinte einer mit struweligem schwarzen Haar, der wohl aus Mittelengland kam.

"Auftritt ist alles, Mike. Ich habe die Kiste locker kriegen können. Außerdem habe ich dem Typen den Ausweis von meinem Bruder gezeigt. Wir sehen uns ja doch ziemlich ähnlich."

"Cool", meinte Mike und nuckelte an einer Bierflasche wie ein Säugling.

"Wir müssen aber kucken, daß wir die Flaschen nicht dumm rumliegen lassen", warnte ein anderer Junge. "Wenn der Platzwart morgen hier rumstrolcht und die findet, kriegen wir nachher doch noch Ärger."

"Wenn der rauskriegt, wer's gewesen ist", lachte Will. "Die werden aber bestimmt keine Fingerabdrücke von uns haben oder nehmen."

"Dann Prost Gemeinde! Der Pfarrrer säuft", bemerkte Mike und rülpste unüberhörbar laut. Ja, das waren die Exemplare vom niederen Volk, von denen Titus' Vater so erzählt hatte.

Er lauschte in der Dunkelheit, was die Jungs so besprachen. Das Bier machte denen wohl langsam zu schaffen, weil sie immer größere Schwierigkeiten beim Sprechen hatten. Sie redeten über Mädchen, Autos, den Rapper Krachmeister B. und ihre Eltern. Dabei kam raus, daß die Jungs hier keine so unwichtigen Eltern hatten. Der Vater von Mike war wohl Bauingenieur, Wills Vater war wohl ein hohes Tier in der Stadtverwaltung von Liverpool. Die Zeit verflog, und Titus erkannte, daß er eigentlich schon seit einer halben Stunde im Hotel sein sollte, weil seine Eltern ihm befohlen hatten, um zehn Uhr im Bett zu sein. Tja, warum war er noch nicht wieder weg? Sogesehen hatten die Typen hier nichts weltbewegend neues bequatscht. Will gab zwar damit an, mal mit einem Mädchen im Bett gewesen zu sein, hatte aber nichts erzählt, was Titus nicht durch die Nachmittagstalkshows schon vor zwei Jahren mitbekommen hatte, bevor sein Vater es gemerkt hatte, daß sein Sohn sich keine Trickfilme und Abenteuerserien mehr ansah und den kleinen Fernseher aus Titus' Zimmer verbannt hatte.

Plötzlich krachte es irgendwo im kleinen Fischerhafen. Gleichzeitig schwollen die Wellen des Meeres an, hoben sich zur Größe zweistöckiger Häuser und donnerten auf den Strand zu.

"Eh, was gibt das denn? Stuam?!" Wunderte sich Mike und blickte jetzt alles andere als cool auf die See, die mit wilden grauen Wogen den Kieselstrand von Shorewood bestürmte. Doch ein Sturmwind war nicht zu spüren. Titus fühlte immer noch den kühlen Windhauch, der schon den ganzen Abend auf die See hinausstrich. Tja, und am Himmel war keine Wolke zu sehen. Das war nicht normal.

"Kuckt euch das Meer an. Das wird ja immer heftiger!" Rief Will, als eine drei Meter hohe Welle wie ein graues Riesenpferd mit weißer Mähne heranrollte und mit lautem Klatscher brach. Das von ihr mitgeführte Wasser schwappte und spritzte weit aufs Land. Einige salzige Tropfen flogen sogar bis zu dem nur hundert Meter vom Meer gelegenen Zeltplatz. Doch das Wüten des Meeres wurde immer schlimmer.

"Machen wir, daß wir wegkommen!" Rief Mike und sprang auf, die halbleere Bierflasche einfach fallen lassend. Dann hörte Titus es wieder krachen, im Dorf selbst. Das Geräusch erschreckte ihn so sehr, daß er wie zur Salzsäule erstarrt dastand und keinen Finger rührte.

Mit immer lauterem Getöse stürzten immer höhere Wellen auf das Land. Am Himmel stand immer noch keine einzige Unwetterwolke, und die Windstärke war auch um keinen Wert gestiegen. Doch was war das für ein Rumoren im Dorf. Ja, und dann hörte Titus Schreie und Rufe nach Hilfe. Er hörte brechendes Gestein, zersplitterndes Glas und knackendes Holz. Was ging da vor?

"Eh, Pimpf, was machst'n du hier?" Schnaubte der angeblich achzehnjährige Will und hauchte Titus eine unverkennbare Bierfahne entgegen.

"Nix mache ich hier", sagte Titus. Da hatte Will ihn schon beim Kragen und wollte ihn durchschütteln, als mit einem Donnerschlag eine wahre Monsterwelle am Strand auflief, brach und aus zwanzig Metern Höhe eine Flut von Salzwasser ergoss, die bis zur Feuerstelle reichte. Ja, das Meer fraß bereits an den für die Touristen so gut gepflegten Stränden, unterspülte die asphaltierte Strandpromenade weiter im Westen und war nun zu einer Meute hochhaushoher Wasserberge geworden, die einer nach dem Anderen aufs Land einstürmten. Mit einem lauten Klatscher schlug Will und Titus ein Schwall kalten Salzwasser an die Körper. Zischend fiel das Feuer in sich zusammen, als ein Guß Meerwasser nach dem anderen es traf. Titus rammte dem Teenager den linken Arm in den Bauch, wie er es in einem Selbstverteidigungskurs gelernt hatte und wetzte los, während Will triefnass dastand und sich den schmerzenden Bauch hielt. Dann hörte er merkwürdige Worte, die wie Befehle klangen:

"Undamplitudo amplifico! Er fuhr herum und sah einen hageren Mann in einem von den Schultern zu den Knöcheln herabfallenden Umhang aus schwarzem Stoff, der mit einem türkis leuchtenden Holzstab dem Meer zuwinkte, worauf eine noch höhere Welle als vorher entstand, die keine fünf Meter vor ihm anrollte und dann mit voller Wucht auf den Strand krachte. Ein Schwall Salzwasser fiel wie ein Regenschauer auf Will herab, während die Ausläufer der Monsterwelle seine Füße umspülten wie die Klauen eines eiskalten Ungeheuers. Dann drehte sich Will dem Mann im Umhang zu, der mal hier und mal dahin seinen leuchtenden Stab schwang. War das Einbildung, oder beschwor dieser Mensch da wirklich die größten Wellen herauf? Das konnte es doch nicht sein.

Will sah den Fremden an, der einmal innehielt und zum Dorf hinübersah, wo es immer lauter Krachte und Splitterte, immer häufiger, als würde eine Horde Vandalen durch den Badeort fegen. Der Fremde sah sich um. Will erstarrte. Das Gesicht des Unbekannten war eine einzige Horrormaske. Im Mondlicht leuchtete es bleich wie ein Totenschädel. Keine Nase war zu sehen, nur dünne Luftschlitze. Doch das erschreckenste an dieser Erscheinung waren die flammendroten Augen des Scheusals. Als sich der Blick der unmenschlichen Augen mit dem des Jungen Will traf, fühlte der Teenager, daß der Tod vor ihm stand. Als der grauenhaft aussehende Fremde seinen Arm mit dem Stab hob, wußte er, daß dies das letzte sein würde, was er in diesem Leben sehen sollte. Zumindest würde er nicht als Jungfrau sterben. Dieser Gedanke rauschte durch seinen Kopf, als ein grellgrüner Lichtblitz auf ihn zubrauste, sein Sichtfeld ausfüllte und traf.

Titus rannte. Er wußte nicht, ob der belauschte Frauenheld Will noch hinter ihm herrannte. Doch das war ihm auch egal. Das Meer wurde immer unruhiger. Doch das wirklich beunruhigende waren die Geräusche aus dem Ort. Schreie, Hilferufe, Brechen, Knacken, Splittern und Einstürzen. Ja, und dann war da noch ein Rotoranger Schimmer, der genau über dem Vergnügungsviertel flackerte: Feuer!

Titus sah sich mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen um und traute seinen Sinnen nicht. Irgendwas polterte durch das Dorf wie eine Armee von Riesen. Er hörte es Stampfen, sah das bröckelnde Kopfsteinpflaster und nahm die wie von einer unsichtbaren Gewalt gepackten Autos zur Kenntnis, die hochflogen und sich scheppernd überschlugen. Er sah einen Austin, der mit Getöse gegen die nächste Hauswand krachte und dabei in Trümmer ging. Dann flog ein nachtschwarzer Yaguar über ihn weg wie von einem Riesen geworfen. Titus meinte schon, gleich wäre es vorbei, als der Sportwagen in einen Balkon des Seebrise-Hotels krachte und diesen halb abriss. Weitere Autos flogen wie vom Katapult geschossen durch die Luft. Eines schlug etwa zwanzig Meter von Titus entfernt auf. Benzin spritzte umher und entzündete sich an einer zertrümmerten Straßenlaterne, die krumm wie eine Banane ihren oberen Stumpf zum Meer neigte. Funken geisterten aus den kurzgeschlossenen Leitungen und ließen die Benzingase aufflackern. Dann hörte er noch das Meer immer wütender heranrollen und fühlte die niederspritzende Gischt der sich brechenden Monsterwellen.

Er rannte los, nicht mehr ins Dorf hinein, sondern heraus. Dabei war ihm, als renne ein Ungeheuer hinter ihm her. Mit einem Blick über die Schultern wollte er wissen, was es war. Doch da war nichts, überhaupt nichts. Er sah nun nach vorne und rannte weiter, während jetzt nicht nur Autos, sondern auch Haustrümmer, Alleebäume, Laternenpfähle und wild schreiende Menschen wie Herbstlaub im Wind umherflogen. Immer noch fühlte er keinen Windstoß. Er hörte das Poltern wie von übergroßen Füßen. Als er den Dorfausgang erreichte, krachte die erste Explosion. Dann rauschte auch noch das Meer heran, immer wilder, aufgepeitscht von irgendwas, daß nichts mit dem Wetter zu tun hatte. Die Schreie der betroffenen Menschen hörte er nicht. Sein Herz wummerte wie ein Techno-Stück in seinen Ohren. Techno? Was war mit der Disco, was mit dem Tanzschlößchen? Abrupt hörte er zu rennen auf, sodaß der Schwung ihn nach vorne überwarf und er einen Meter nach vorne rutschte. Als er merkte, daß er sich wohl das Gesicht aufgeschürft und die Nase blutig geschlagen hatte war ihm zuerst danach, einfach liegen zu bleiben. Doch dann rappelte er sich wieder auf, gerade als ein Dachbalken neben ihm aufschlug. Er sprang los, drehte sich um und sah ins Dorf. Da war das Feuer, genau im Vergnügungsviertel. Wo die beiden Tanzschuppen waren stand schon alles in Flammen. Dann brachen hier und da weitere Häuser in sich zusammen, weil schwere Sachen hineinkrachten, Autos, Lastwagen, Busse und Öltanks. Einer von denen sprang auf und verlor seinen schmierigen, rotgefärbten Inhalt. Qualmend kochte das ausgelaufene Öl, bis seine Gase heiß genug waren, um zu einem Gewimmel von kleinen und großen Flammen zu werden. Das halbe Dorf lag bereits in Trümmern. Titus wankte. Seine eltern waren nicht herausgekommen. Er sah Menschen in nassen, angesengten und zerrissenen Kleidern davonjagen, in wilder Panik flüchten. Doch irgendwas warf sie plötzlich hoch und schleuderte sie weit davon.

"Das gibt's nicht. Das ist ein Alptraum!" Schrie Titus, der hoffte, dieses Grauen nicht in echt zu erleben. Er kniff sich in den linken Arm. Doch es schmerzte. Es war kein Traum. Diese Erkenntnis ließ den Jungenlosheulen wie ein kleiner Junge. Tränen vermischten sich mit dem aus den Schürfwunden rinnenden Blut. Er sah durch den Vorhang aus Tränen, wie Ausläufer der übergroßen Wellen durch die Straßen rauschten, herumliegende Trümmer packten und fortrissen, während weitere Menschen von unsichtbaren Gegnern gepackt und herumgewirbelt wurden. Dann hörte er das näherkommende Stampfen. Er starrte vor sich hin. Dann war es bei ihm, das den Boden erschütterte wie der Tyrannosaurus aus "Jurassic Park". Er fühlte eine mörderische Risenhand um seinen Brustkorb zuschnappen und sich brutal in die Höhe gerissen. Was ihn da gegriffen hatte konnte er nicht sehen. Er schrie in heller Panik. Dann fühlte er die wuchtige Schleuderbewegung. Wie von einem überlebensgroßen Diskuswerfer davongeschleudert flog Titus laut schreiend auf eine Hauswand zu. Bei der Geschwindigkeit würde es ihm alle Knochen im Leib brechen, wenn er in diese Wand krachte. So oder so war es gleich vorbei mit ihm. Da brach das Haus zusammen, hüllte ihn in eine undurchdringliche Staubwolke ein, ließ ihn aber sonst ungeschoren. Er segelte immer noch laut schreiend weiter, verlor an Schwung und schlug auf dem Flachdach eines dreistöckigen Hauses auf, rutschte beinahe bis zum gegenüberliegenden Rand und blieb keuchend und wimmernd liegen. Das er dem Tod um Haaresbreite entkommen war, erkannte er noch nicht.

Ein lautes Wort, ein Befehl ertönte, und mit einem Mal setzte wildes Gestampfe ein, als würde eine Herde Elefanten flüchten. Titus, die Augen von Tränen, Dreck und Blut verklebt, hörte wie diese unheimliche Stampede durch die Straßen brauste, dabei weitere Leute, Autos und Häuser traf und dann immer leiser werdend verklang. Was blieb war das Tosen des Feuers, das Brausen des Meeres und die Schreie der verletzten Menschen. Dann hörte auch das Meer zu wüten auf.

Jetzt erst bemerkte Titus, wie heftig ihn das alles ausgezehrt hatte. Er dachte an seine Eltern, die wohl nicht mehr lebten. Wie auf einem Karussell schien er immer schneller und schneller herumzukreisen. Er hörte ein immer lauter werdendes Rauschen in seinen Ohren, fühlte sich in einen immer weicheren Morast einsinken. Dann umfing ihn tiefe Bewußtlosigkeit.

Als er wieder aufwachte fand er sich auf dem Rücken liegend. Irgendwie war der Boden weich, und der Himmel über ihm war kalkweiß. Eine große, facettenartig wirkende Sonne schien herunter. Dann erkannte Titus, wo er war. Er lag in einem Zimmer, wohl in einem Krankenhaus. Der weiße Himmel war die Decke und die Sonne eine Deckenlampe. Doch das war eine merkwürdige Deckenlampe. Es war eine Kristallsphäre, einer Seifenblase sehr ähnlich, in der eine warmes, gelbes Licht verströmende Kerze brannte. Die Sphäre hing nicht an einem Haken oder einer Stromleitung, sondern schwebte frei unter der Decke. Wo war er hier? War das ein außerirdisches Raumschiff?

Eine Tür klappte auf, und eine Frau in einem limonengrünen Umhang trat begleitet von zwei sehr ernst und wichtig dreinschauenden Männern ein. Titus schloß die Augen. Vielleicht konnte er sie austricksen, so tun, als würde er schlafen. Doch die Frau schien nicht darauf eingehen zu wollen. Sie sprach ruhig auf ihn ein:

"Hallo, Junge, ich weiß daß du wach bist." Eine schmale, warme Hand legte sich auf Titus' Stirn. Er öffnete die Augen, obwohl er es nicht wollte.

"Deine Schürfwunden haben wir versorgt. Diese beiden Herren möchten nur noch einmal erfahren, was dir und den anderen passiert ist", sagte die Frau.

"No comprendo", erwiderte Titus. Er hatte keine Lust, diesen Leuten da was zu erzählen. Da tat er lieber so, als könne er die Sprache nicht verstehen.

"Mui bien, estes seņores quisieran hablar a te, niņo", erwiderte die Frau in Limonengrün in akzentfreiem Eurospanisch, wie Titus es im letzten Jahr in Salamanca gehört hatte, als er mit seinen Eltern da war, um seine für gutes Geld erworbenen Sprachkenntnisse zu testen. Er gab es auf. Jetzt noch auf Französisch zu antworten wäre wirklich zu blöd.

"Okay, Sie haben gewonnen. Wer sind Sie?" Erwiderte Titus frustriert auf Englisch.

"Tut nichts zur Sache", sagte einer der Männer. Auf dieses Spiel wollte Titus sich nicht einlassen. Er sagte:

"Dann sage ich Ihnen auch nichts. Meine eltern sagen, ich soll nicht mit Fremden reden."

"Wie du meinst", sagte einer der beiden Männer und fischte nach etwas, das wie ein Glasfläschchen aussah. Die Frau wandte sich ihm zu und sagte:

"Nein, Oscar, das werden Sie nicht anwenden."

"Wir müssen wissen, was passiert ist, Arnica. Sie müssen mir gestatten, dem Jungen die Fragen zu stellen, auch gegen seinen Willen."

"Ich verbiete das", sagte die Frau sehr energisch und hielt auf einmal einen Holzstab in der Hand. Titus grinste ungewollt. Das sah wie ein Zauberstab aus.

"Arnica, wir müssen wissen, wie er es angestellt hat. Vielleicht hat der Junge einen Riesen gesehen oder Leute von Sie-wissen-schon-wem", sprach der Mann, der Oscar hieß auf die Frau in limonengrüner Tracht ein. Diese schüttelte jedoch den Kopf.

"Die Aplikation von Veritaserum bei bevorstehender Mnemoplastie ist sehr gefährlich. Das sollte man Ihnen in der Ausbildung beigebracht haben. Nur weil Minister Fudge jetzt meint, alle Fehler der letzten Monate korrigieren zu müssen werden Sie hier keinen unschuldigen Jungen in den Wahnsinn treiben."

"Arnica, wir müssen es wissen. Dieser Junge hat wohl gesehen, was dieses Shorewood heimgesucht hat. Wir haben doch die Fußspuren gefunden. Gut, daß wir die noch löschen konnten, bevor die Muggelfeuerwehr und -polizei da ankam. Unsere Desinformationsabteilung muß ganz genau wissen, wie sie den Vorfall darstellen soll. Je länger wir warten, desto schwieriger wird es."

"Der Kodex der Heiler sieht eindeutig vor, daß an einem Patienten keine Kombination von Behandlungen stattzufinden hat, die die körperliche und / oder geistige Verfassung des Patienten nachhaltig verschlechtert. Wenn Sie auf Artikel drei der Geheimhaltungsvorschriften bestehen, dann müssen Sie auf die Unterstützung durch Veritaserum verzichten. oder nach der Aplikation zwei Wochen verstreichen lassen. Wenn der Junge von den Muggeln vermißt wird wäre das zu lange. Außerdem besagt die Aufnahmeregel für nichtmagische Patienten, daß sie nur zu einer Therapie gegen magische Beeinträchtigungen verbleiben dürfen und nicht länger. Also, Oscar?"

"Sie werden mich hier nicht zum Duell herausfordern, Arnica. Wie Sie meinen. Ich hole mir die eindeutige Order von Scrimgeour und Fudge. In zwei Minuten bin ich wieder hier, und dann wird der Junge mir meine Fragen beantworten", knurrte Oscar und verließ das Krankenzimmer.

"Quintus, Ihr Kollege schießt weit über das Ziel hinaus", seufzte die Frau in Grün, die Arnica genannt worden war. Der im Raum verbliebene Mann zuckte die Achseln.

"Sie müssen das verstehen, Arnica! Fudge steht ziemlich unter Druck wegen dieser Sache. Außerdem wollen einige Leute ihn noch anhören wegen seiner Unterlassungen und Fehltritte im letzten Jahr. Da will er ..."

Titus erkannte, daß man ihn im Moment wohl nicht beachtete. Er sah sich um. Der Raum hatte zwei Fenster und eine Tür. An der Wand schräg über der Tür hing eine kleine Fliege und hoffte wohl darauf, nicht entdeckt zu werden. Vor den Fenster waren eiserne Jalousien heruntergelassen worden. Blieb also nur die Tür. Er sprang auf und versuchte, an dem Mann vorbeizuspringen, der sich mit Arnica unterhielt. Er erreichte die Tür und versuchte, den Knauf zu drehen. Doch er rührte sich nicht.

"Die Tür ist zu, Bursche", sagte der verbliebene Mann und packte Titus am Kragen. Dieser stieß ihm mit einem kurzen lauten Schrei den Ellenbogen in den Bauch. Der Fremde stöhnte auf und ließ für einen Moment los. Titus wirbelte herum und rammte ihm das rechte Knie in den Unterleib. Das setzte den Fremden völlig außer Gefecht. Vor Schmerz aufschreiend taumelte er zurück, bis die Frau in Grün ihn auffing. Titus versuchte derweil, die Tür zu öffnen. Doch es ging nicht. Er trat dagegen und tat sich den rechten großen Zeh weh.

"Junge, du kommst hier nicht raus. Wo kämen wir hin, wenn wir uns anvertraute Muggelpatienten so ungesichert herumlaufen ließen", sagte die Frau ruhig und besah sich den von Titus gebeutelten Quintus, der mit Tränen in den Augen die Hände vor seine privateste Körperstelle hielt.

"Dieser Bengel hat mir voll in ...", heulte der Mann wie ein Schloßhund.

"Quintus, keine rüden Ausdrücke", herrschte Arnica ihn an. Dann ließ sie ihren Holzstab nach oben Schnellen. Titus ahnte es mehr als er es wußte, daß davon eine Gefahr ausging und wollte zur Seite springen. Doch dabei stolperte er über die Teppichkante und fiel platt auf die Nase.

"War es das?" Lachte die Frau und griff beherzt zu. "Ich gehe davon aus, daß du keine Frauen so derb attackieren wirst."

"Da gehen Sie falsch aus, Sie Hexe", brüllte Titus und langte mit einer freien hand nach dem Oberkörper der Fremden. Diese hielt ihm die Spitze des Stabes an den Brustkorb, und der gerade eben noch vorschnellende Arm sackte schlaff herunter.

"Hat dir keiner beigebracht, daß man eine Dame nicht so berühren darf? Wolltest du mir auf weh tun? Da hört für mich der Spaß auf, Jungchen", sagte die Frau und warf den Jungen, der sich gerade überhaupt nicht mehr bewegen konnte auf das Bett zurück. Dann ließ sie den Holzstab über ihm entlangstreichen, bis sie seinen rechten Fuß erreichte.

"Das war völlig unnötig", sagte sie tadelnd und machte eine rasche Bewegung mit dem Stab. Titus fühlte es in seinem Fuß prickeln und brennen. Dann war es wieder wie vorher.

"Du hast dir den großen Zeh angebrochen und beim Stolpern den Knöchel verstaucht. Habe ich aber schnell korrigieren können."

"Dieser Muggelbastard hat mir ..."

"Quintus, ich kümmere mich sofort um Sie", schnarrte Arnica und sagte noch zu dem gerade bewegungsunfähigen Jungen: "Mach dir keine Sorgen, auch mit einer Genehmigung dieses Stümpers Fudge wird niemand dir das Veritaserum eintrichtern. Mein Heilerkodex ist da unumstößlich."

Sie wandte sich an Quintus und untersuchte ihn. Sie seufzte und meinte, er müsse wohl für fünf Minuten behandelt werden, damit das, was der Junge ihm angetan hatte, keinen bleibenden Schaden hinterlasse. Da Titus im Moment wohl bewegungsunfähig war ging der gepiesackte Wächter darauf ein, zu einem von Arnicas Kollegen gebracht zu werden. Dann verließen sie das Zimmer, nachdem sie die Tür kurz mit dem Stab angestubst hatte. Hinter ihnen fiel die Tür wieder zu.

"Das sind echte Zauberer, schwarze Magier", dachte Titus, weil er sich immer noch nicht rühren konnte. Da schwirrte ihm die Fliege, die eben noch an der Wand gehangen hatte um die ohren, ging neben dem Bett nieder und hockte für eine Sekunde da. Dann blähte sie sich auf, wurde größer, richtete sich auf, verlor die Flügel, die Fühler und ein Beinpaar, bekam einen Kopf mit seidenglattem dunklem Haar und stand in weniger als zwei Sekunden als Frau im kurzen blauen Kleid neben dem Bett.

"Tolles Ablenkungsmanöver", grinste sie. Dann zog sie ihren Zauberstab und tippte den Jungen an. Dieser meinte, einen Stromschlag abzukriegen, der ihm durch Arme und Beine zuckte, ihn aber sonst nicht betraf. Dann griff die aus der Fliege entstandene Frau nach Titus' linkem Arm, machte eine schnelle Bewegung und zog ihn dabei mit sich. Titus meinte, in einen Abgrund zu stürzen, in dem alle Farben durcheinanderwirbelten und unbestimmbare Geräusche von allen Seiten auf ihn eindrangen. Dann bildete sich ein anderer Raum aus dem Farbenstrudel.

"Haben die tatsächlich den Apparitionsschutz für das Zimmer aufgehoben?" Lachte eine andere Frauenstimme munter. Dann trat eine Frau in einem weißen Umhang auf Titus zu. Sie hatte strohblondes Haar und ein helles, mit Sommersprossen verziertes Gesicht. Sie sah den Jungen lächelnd an und sagte:

"Hallo, Junge. Ich möchte nur wissen, wie das passiert ist, was passiert ist, bevor die meinen, dein Gedächtnis verändern zu müssen."

"Mein Gedächtnis. Warum?" Fragte Titus, der in Gegenwart der Frau im weißen Umhang ein Gefühl großer Unterlegenheit verspürte.

"Weil die von der Desinformationsabteilung und der Strafverfolgung nicht in deine Welt durchdringen lassen wollen, was dir passiert ist. Sie sind gerade dabei, für euch, die ihr unsere Gabe nicht habt, eine Geschichte von einem wütenden Wirbelsturm zu erdichten, der die Westküste Britanniens heimsuchte. Um die Mär so glaubhaft wie möglich zu erzählen wollen sie von dir wissen, wie genau du den Durchmarsch der unsichtbaren Ungeheuer erlebt hast, um ähnliche Bekundungen sofort zu erkennen und zu verschleiern. Da das Ungemach, dem du ausgesetzt warst, wohl von einem meiner größten Widersacher entfacht wurde, gelüstet es mich danach, dies zu erfahren, bevor sie es in deinen Erinnerungen unauffindbar machen. Sieh mich bitte an!"

"Wollen Sie mich hypnotisieren oder was? Vergessen Sie's!"

"Du tust, was sie sagt", knurrte die Frau, die vorhin noch eine unscheinbare Fliege gewesen war. Titus versuchte, dem Blick der blauen Augen auszuweichen. Doch eine unsichtbare Hand hielt seinen Kopf fest. Er schaffte es auch nicht, die Augen zu schließen. Er hörte noch etwas wie "Legilimens", bevor er all das, was er in den letzten zwei Stunden erlebt hatte erneut durchmachte. Seine Sinne waren zurückgedrängt, sodaß er nur das mitbekam, was er bereits erlebt hatte. Jeder Versuch, sich dagegen zu wehren mißlang. Er schrie und versuchte, nach jemandem zu schlagen. Doch es half nichts. Dann waren seine Sinne schlagartig wieder hergestellt.

"Schwester, ich fürchte, die Armee dieser Ungetüme ist sehr stark. Wenn es richtig ist, daß sechs Ansiedlungen an der Westküste Britanniens verheert wurden, dann hat der Emporkömmling wahrlich eine schlagkräftige Streitmacht in seine Dienste nehmen können. Natürlich hat er auch die großen Elementarzauber wie den Wellenverstärker und sogar den Sturmrufzauber benutzt, um das Wüten seiner niederen Knechte zu unterstützen. Er hat bewiesen, daß er ein ungezügelter Mordbube ist, der sich um kein einziges Leben schert."

"Was machen wir mit dem Jungen?" Fragte die Fliegenfrau.

"Nun, seine Eltern sind umgekommen. Er hat Verwandte im Westen des nordamerikanischen Staatenbundes. Wahrscheinlich wird man ihn zu diesen verbringen, wenn die Verheimlichungskünstler ihren Wissensdurst an ihm gestillt und ihn mit veränderten Erinnerungen entlassen haben. Ach ja", sagte die Frau in Weiß noch und hob einen silbriggrauen Stab.

Als Titus im Bett eines Krankenzimmers aufwachte erinnerte er sich daran, daß er mit seinen Eltern in Shorewood war und das ein plötzliches Unwetter, das wie ein tropischer Wirbelsturm herangefegt war, mit riesengroßen Wellen das Dorf unterspült hatte. Menschen, Tiere, sogar Autos waren durch die Gegend geflogen. Er hatte einen Schlag auf den Kopf bekommen und war erst hier aufgewacht. Eine Krankenschwester in blütenweißer Tracht sah ihn an und lächelte.

"Du bist wieder aufgewacht, Junge. Weißt du, wie du heißt?"

"Öhm, Titus Livingston", erwiderte der Junge. Wenig später kam der Schock, daß seine Eltern bei dem Sturm gestorben waren. Der Tanzpalast war zusammengebrochen. Dabei waren sie unter den Trümmern verschüttet worden. Weil der dabei entstehende Kurzschluß in einer Starkstromleitung Feuer ausgelöst hatte waren sie verbrannt. Titus blieb drei Wochen im Krankenhaus von Birmingham, bevor sein Onkel Geoffrey und seine Tante Wilma ihn abholten und mit ihm nach San Diego zurückflogen, wo er zusammen mit seinem Cousin Walter und seiner Cousine Nancy weiter aufwachsen sollte.

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Lord Voldemort war zufrieden. Sechs kleinere und größere Ortschaften waren von dem Überfall seiner neuen Streitmacht dem Erdboden gleich gemacht worden. Der Unsichtbarkeitszauber, mit dem Ismael Alcara seine Golems getarnt hatte, hatte diese wie mörderische Phantome dreinschlagen lassen, ohne daß die Muggel gewahr wurden, was sie da niedermachte. Er lachte überlegen, als er am Tag darauf mit Alcara und den anderen Todessern, die ihm bei der Aktion "Wütender Sturm" geholfen hatten auf dem alten Friedhof bei Little Hangleton zusammentraf. Auch Bellatrix Lestrange war dabei, die schadenfroh eine Muggelzeitung schwenkte, die mit den Schlagzeilen "Hurrikan in Westengland" und "Unvorhergesehenes Wetterphänomen tötet siebenhundert Menschen" die Katastrophe betitelte.

"Das hat diesem Fudge und seinem widerlichen Aurorenclub bestimmt richtig Freude gemacht", feixte Voldemort. "Seine Anhänger werden nun wie ein aufgescheuchter Bienenschwarm herumwirbeln, um den Muggeln zu erklären, was da passiert ist. Ismael, deine Geschöpfe haben ausgezeichnet gearbeitet. Du hast den von mir verlangten Einstand erbracht, auch wenn ich dir immer noch grolle, daß du mir nicht sagen willst, wo sie versteckt sind. Aber ich denke, lange wirst du mir dies nicht vorenthalten können. Im Moment habe ich zeit. Amycus, hat Fudge was gesagt, ob er auf meine Bedingungen eingehen wird?"

"Kein Wort, Herr", sagte ein grimmig aussehnder Zauberer.

"Nun, dann werden wir morgen nach Brockdale gehen und noch ein paar Muggel mehr auslöschen."

"Wie du befiehlst, Herr", sagte Amycus. Auch Bellatrix nickte zustimmend. Dann sagte Voldemort noch:

"Bella, sage deiner lieben Schwester, sie möchte übermorgen mit dir und ihrem Kronprinzen herkommen. Der hat doch getönt, er würde seinen Vater rächen wollen. Vielleicht habe ich ja was für ihn." Voldemort lächelte bösartig. Bellatrix nickte und sagte, sie würde es ihrer Schwester ausrichten. Dann entließ der dunkle Lord seine Helfer und zog sich in das Haus seines getöteten Vaters und seiner Großeltern väterlicherseits zurück.

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Keuchend wachte sie wieder auf. Um sie herum hockten fünf die so aussahen wie sie, vier Weibliche und ein Männchen, das aber noch ziemlich jung war. Ihr tat fast alles weh. Ihre Haut schien vom Leib gezogen worden zu sein. Dann fühlte sie, wie ihr die vier Weiblichen mit ihren langen Zungen die Haut ableckten und die Schmerzen dabei merklich abklangen. Das junge Männchen streute ein Gemisch zerstampfter Waldkräuter auf sie.

"Viel hat nicht mehr gefehlt, Mutter", sagte eines der grünhäutigen Weibchen. Dein Haar brannte bereits hell wie ein Ast nach dem Blitzeinschlag. Deine Haut wurde schon braun wie welkes Laub. Wir mußten dich in einen Tümpel legen und mit eigenem Atem am Leben halten, bis deine Haut wieder genug Feuchtigkeit angesammelt hatte, um von uns geheilt zu werden. Dieser bleiche Totmacher wollte dich wirklich verbrennen lassen. Wenn Puorvio dich nicht gehört und durch einen Gegenbrand eine Bresche geschlagen hätte wärest du nur noch ein Haufen verkohlter Knochen", sagte die grüne Waldfrau, die schwarzblaues Haar hatte, Raimorha, Morpuoras Lieblingstochter.

"Ich wußte schon, warum ich Puorvio mit meiner Hand vor eurem Hunger geschützt habe, meine Töchter und Schwestern", stöhnte Morpuora. Geduldig wartete sie, bis sie keine Schmerzen mehr fühlte und die Waldkräutermischung ihre angegriffene Haut entgültig heilte. Nur ihr langer schwarzbrauner Haarschopf war zu einer sehr kurzen Matte aus verkohlten Fransen geworden. Dafür würde sie diesem großen Mann mit dem Schlangenschädel eines Tages die gebührende Antwort geben. Doch zuerst mußte sie fort von hier. "Wo sind wir?" Fragte sie.

"Wir mußten alle flüchten, weil der Wald brannte und große Männer mit lauten Vierkreisdingern ankamen, die sehr laut waren und sehr giftigen Qualm machen", sagte der Junge, Puorvio. Seine Stimme klang quäkig wie eine kleine Tröte. Seine Ohren waren anders als bei seinen weiblichen Verwandten zugespitzt und standen leicht ab. Ansonsten hatte er dunkelblondes, verstruweltes Har, das ihm ihn den Nacken reichte und um seine Ohren herum mit irgendwas grob geschärftem abgetrennt zu sein wirkte.

"Wo sind wir jetzt?" Wollte Morpuora wissen.

"Wir sind in einem kleinen Wald in Sonnenaufgangsrichtung von deinem Wald, Mutter", sagte Raimorha. "Wir sind solange geflogen, bis die Sonne wieder unterging."

"Er wird uns suchen, wenn er erfährt, daß ich seinem bösen Feuerzauber entwischt bin", knurrte Morpuora. "Wissen meine Schwestern und meine Nichten davon, was passiert ist?"

"Ich habe einen Falken dahingeschickt, wo Tante Schönstimme wohnt", sagte Puorvio. "Sie wird ihn verstehen und den anderen alles weitersagen."

"Er hat noch eine von uns totgemacht, Mutter", sagte Raimorha. "Entenschreck, Anaitarria. Sie wollte auch nicht mit ihm zusammengehen. "

"Ich werde das Lied der fernen Schwestern singen und darin erzählen, wir sollen uns verstecken, nicht finden lassen, so tun, als wären wir alle geflüchtet. Er wird mich weiterhin jagen und euch fünf auch. Wir müssen wirklich flüchten, am besten weit weg", sagte Morpuora. Ihre Verwandten nickten, ihre drei Töchter, die Enkelin und der Enkelsohn, der einzige, den sie hatte, der einzige Junge, der nicht nach den zwei Monaten Milchzeit aufgegessen wurde, um seiner Mutter wieder Kraft für ein neues Kind zu geben.

"Wie wollen wir flüchten, Mutter. Nach dem Ort Hogsmeade dürfen wir nicht, ohne von seinen Leuten da gesehen zu werden und in den anderen Wäldern wohnen unsere Verwandten oder die Wälder sind von den unbegabten Leuten voll, daß wir da nicht weiterleben können wie bisher.

"Deine Großmutter hat von einem Land in Sonnenuntergangsrichtung erzählt, weit über einen Abgrund voll salzig schmeckendem Wasser, zu dem sie im Schlaf der schmerzlosen Tiefe gelangte. eine Tante von dir, Todesherrin, kehrte zurück und erzählte uns von weiten Wäldern, in denen wir uns gut verbergen können", Sprach Morpuora zu Raimorha.

"Das endlose Wasser in Sonnenuntergangsrichtung, Mutter. Das können wir nicht überstehen", protestierte Soalascara, die auch unter den fünf Verwandten war.

"Ich werde euch zeigen, wie ihr den Schlaf der schmerzlosen Tiefen schlafen könnt und wie ihr ihn wieder ablegen könnt. Aber zuvor müssen wir den schnellsten Weg finden, der uns dorthinbringt."

"Aber diese Schwimmdinger, diese Schiffe, sind doch zu langsam. Tante Sternenfunkel hat doch auch erzählt, daß sie fast gestorben wäre, weil sie zwischendurch den Schlaf der schmerzlosen Tiefe abschütteln mußte, um nicht zu verhungern. Auch hätte man sie fast erwischt, als sie sich von den getöteten und zerlegten Tieren ernährte, weil sie die Menschenjungen nicht ohne Aufsehen hätte kriegen können", sagte Raimorha. Morpuora nickte zustimmend.

"Dieser Junge, Tim Abrahams, mit dem ich shön viel gutes erlebt habe, hat mir was von Metallvögeln erzählt, in deren Bauch die Großen nun auch fliegen können und ohne daß sie was dabei erleiden aus den Bäuchen wieder herausklettern können. Diese sollen den großen Wasserabgrund in weniger als einem halben Tag überfliegen können. Das reicht völlig aus", sagte Morpuora.

"Die Krachfeuervögel, ich weiß", lächelte Raimorha. "Als mir Roy Puorvio in den Bauch gemacht hat hat er mir das auch erzählt, weil ich ihn ja nach meiner Liebesbegrüßung gefragt habe, ob er Angst vorm Fliegen hätte. Dann kamen diese Bleichlinge, die ihn mir weggenommen haben", sagte Raimorha. Erst wirkte sie sehr glücklich, als sie in alten Erinnerungen schwelgte, um dann sehr zornig dreinzuschauen, weil man ihr den einzigen Jungen weggenommen hatte, den sie nicht nur zum Kinderkriegen haben wollte.

"Wir werden jemanden besuchen, der uns in einen solchen Vogel hineinbringt, damit wir den Sonnenuntergangsabgrund überqueren können", sagte Morpuora bestimmt und dachte kurz nach, wie sie es anstellen wollte. Denn der Weg war häufig ohne schützende Wälder und durchzogen von Flüssen, die sie nicht überqueren konnten. Doch als ein Tag vorüberwar, hatte die ehemalige Herrin der Wälder Nordschottlands ihren Plan gefaßt und die Durchführung mit ihren Verwandten abgestimmt.

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Reginald Cecil Wellington, Senator aus Pennsylvania, war sichtlich erschüttert als er in den Fernsehnachrichten hörte, daß bei einem unvorhergesehenen Sturm im westen Englands sein kalifornischer Kollege, Parteifreund und langjähriger Mitstreiter Fitzgerald Livingston und seine Frau dabei gestorben waren. Er polterte einmal:

"Die Engländer sagen, es wäre ein Hurrikan gewesen. Unfug. Sowas kommt nur bei uns unten in Florida und Louisiana vor. Wer erzählt so einen Unsinn?!"

"Was ist mit Titus, Reginald?" Fragte Henriette Wellington, Cecils Mutter.

"Den Jungen haben sie gefunden, zwischen zwei zertrümmerten Häusern, Ohnmächtig. Wahrscheinlich werden Geoffrey und Wilma den zu sich nehmen. Geoffrey ist der einzige nähere Verwandte des Jungen."

"Ach, Geoffrey Undankbar, Dad? Der hat doch bei den letzten Gouverneurswahlen in Kalifornien die Demokraten unterstützt und steht auch auf Clintons Politik", feixte Cecil.

"An jedem starken Baum kann mal ein fauler Apfel hängen", knurrte der Senator. "Fürchte nur, dem Jungen werden sie die gute Erziehung austreiben und diesen weltfremden Unsinn von Gleichberechtigung und Anerkennung von nichtehelichen Gemeinschaften, Abtreibung und Homosexualität beibringen, wenn er nicht seinen Vater ehrt und jetzt erst recht für Dole eintritt."

"Das kannst du vergessen, Dad. Der Titus war schon immer ein Superfan von Carter und Clinton. Gerade weil sein Dad so'n erzkonservatives Arschloch war", versetzte Cecil sehr inbrünstig. Seine Mutter funkelte ihn tadelnd an, und sein Vater lief rot an vor Wut. Mit gefährlich verengten Augenbrauen brüllte er los:

"Was fällt dir ein, so über einen der ehrenhaftesten Männer Amerikas herzuziehen, ihn posthum zu beleidigen?! Das nimmst du sofort zurück!"

"Erst wenn die Hölle zufriert", versetzte Cecil und straffte seinen Körper und blickte seinen Vater sehr gefährlich an.

"De mortuis nihil nisi bene", fauchte Senator Wellington. "Außerdem hat er dieses Land groß gemacht. Du nimmst sofort zurück, was du über ihn gesagt hast!"

"Ich sagte, wenn die Hölle zufriert, Herr Senator", trotzte Cecil dem Befehl. Sein Vater sprang vor, um ihm eine runterzuhauen. Doch Cecil schoss ansatzlos vom Stuhl hoch, fing die zuschlagende Hand ab, umklammerte sie und drehte aus einer blitzschnellen Bewegung heraus den Arm des Senators nach hinten um. der schmerzhaft aufschrie.

Einer der vier Leibwächter sprang durch die Tür, sah die Situation und wollte dazwischengehen. Cecil sah ihn an und sagte:

"Keine Sorge, ich lasse den ganz. Ich wollte dem nur zeigen, daß ich aus dem Popohaualter herausbin." Er war selten so wütend auf jemanden gewesen wie jetzt auf diesen Kerl, den er als Vater anzusehen hatte, obwohl der nicht sein leiblicher Vater war. Die Ohnmacht, die er im Bezug auf die Oberhexe Anthelia empfand, schlug nun in einen fast hemmungslosen Zorn auf diesen erzkonservativen Berufslügner und -trickser um. Viel hätte nicht gefehlt, und Cecil hätte den etwas untersetzten Mann da erwürgt, ob mit oder ohne Leibwächter. So drehte er ihm einfach nur den Arm so kräftig auf den Rücken, daß sich der Senator reflexartig nach vorne krümmte. Der Leibwächter sprang dazwischen und wollte Cecil losreißen. Doch sein Griff war zu schwach.

"Schaff mir diesen Irren vom Hals!" Schrie Senator Wellington den Leibwächter an. Dieser sagte:

"Junger Mann, lass deinen Vater los! Was immer dich so wütend gemacht hat, es ist die Sache nicht wert, dafür Probleme zu kriegen."

"Der hat mich nicht zu hauen, egal welche Meinung ich über andre habe", schnaubte Cecil. Wieder versuchte der Leibwächter, seine Hand loszureißen, ihm die Finger umzubiegen. Doch Cecils Griff war stahlhart wie die Zange eines modernen Industrieroboters. Nach etwa zehn Sekunden, in denen Wellington um sich schlug, zu treten versuchte und stöhnte, ließ Cecil von ihm ab.

"Das kann doch wohl nicht wahr sein", fauchte Wellington, nun kreidebleich. "Deine Ferien in Frankreich kannst du abschreiben. Einen Sohn, der seinen eigenen Vater angreift nehme ich nicht mit!"

"Soll ich dir mal sagen, daß mir das im Moment genauso wichtig ist wie ein Sack Reis, der in China gerade umfällt", sagte Cecil trotzig. Doch sein Vater sah ihn sehr gefährlich an. Offenbar hatte er sich was ziemlich gemeines ausgedacht. Doch das gefährlichste, was Cecil im Moment passierte war, daß er auf sein Zimmer geschickt wurde. Cecil lächelte ihn an und wurde von dem Leibwächter persönlich in sein Zimmer geführt.

"Dein neuer Vater wird gleich jemanden anrufen, der dich in eine dieser Anstalten für schwererziehbare Knaben verbringen soll", kam Cecil ein Gedanke, der nicht von ihm selbst gedacht wurde. "Wie konntest du dich so hinreißen lassen, nur wegen eines von diesem Emporkömmling gemeuchelten Unfähigen? Wäre es mir nicht so wichtig, daß du dort bleibst, wo du bist, würde ich dich jetzt auf der Stelle herausholen und deinem undankbaren Leben ein Ende machen. Aber du bist mir noch zu wichtig."

"Dieser Typ wollte mich schlagen. Das habe ich mir nicht bieten lassen", dachte Cecil zurück.

"Züchtigung bei Ungehorsam sollte schon hingenommen werden, solange man noch ein unerfahrener Knabe ist. Ich habe dir das nur durchgehen lassen, weil ich sehen wollte, wie weit du gehen würdest. Trotz deiner Entgleisung bist du noch sehr darauf bedacht, niemanden zu töten. Ich werde jetzt den Schaden beheben, bevor er zu groß wird. Denn ich will, daß du mir weiterhin helfen kannst, die Dinge zu erfahren, die ich wissen muß", kam eine Gedankenantwort zurück. Cecil verstand. Anthelia würde wieder ihre Hexenkünste spielen lassen und denen, die es mitbekommen hatten ein falsches Gedächtnis verpassen.

Tatsächlich hörte er mehrere Knälle im Haus, und nach fünf Minuten bekam er die telepathische mitteilung, sein Vater könne sich nur daran erinnern, daß er sich nach kurzem Sträuben für das entschuldigt habe, was er über den gestorbenen Senator aus Kalifornien gesagt hatte. Er verließ sein Zimmer, nachdem er eine Stunde lang die Musik Madonnas mit üblicher Lautstärke genossen hatte. Beim Abendessen sprachen sie nur noch davon, wo sie in der Heimat seiner Großeltern mütterlicherseits hinwollten. Danach sahen sie noch einen Film im Fernsehn und verabschiedeten sich in Frieden zur Nachtruhe.

__________

Der Einsturz der Brockdale-Brücke löste eine Flut von Sondermeldungen aus, die Großbritannien überzog wie ein Schwarm Heuschrecken. Viele Experten wurden interviewt, wieso die gerade zehn Jahre alte Brücke mitten in der Hauptverkehrszeit zusammenbrechen konnte. Erklärungen wie plötzlicher Winddstoß, Gleichschwingung durch Autos und Materialermüdung wurden bemüht, konnten aber das Vertrauen in die britische Bauingenieurskunst nicht reparieren. An die dreißig Autos waren in den Fluß gestürzt, als die Brücke in der Mitte auseinanderbrach und die beiden Teile unter der Last der Fahrzeuge nach unten wegsackten, bis dann auch die Stützfeiler knickten und einbrachen. In den Nachrichten wurde von neununddreißig Toten gesprochen, aus allen Bevölkerungsschichten und allen Altersgruppen. Der Premierminister mußte, knapp zwei Tage nach dem verheerenden Sturm an der Westküste, erneut sein Beileid für die Hinterbliebenen ausdrücken und sich von der Opposition harsche Kritik anhören. In einer von der Arbeiterpartei und den Liberalen anberaumten aktuellen Stunde einen Tag nach dem Einsturz der Brockdale-Brücke sagte der Premierminister:

"Meine Damen und Herren, die Ursachen für den Einsturz der Brücke bei brockdale konnten bis jetzt nicht alle geklärt werden. Was bisher bekannt ist: Auf Grund eines Wassereinbruchs im mittleren Stützfeiler kam es zu einer beschleunigten Korrosion in einem der tragenden Elemente. Das führte bei einer Auslenkung um zehn Millimeter zum Bruch des Elementes, damit zur Überbelastung der Brücke und in einer Kettenreaktion zum Einsturz. Sie können mir und meiner Regierung nicht vorhalten, wir trügen an diesem tragischen Unglück irgendeine Schuld. Ebenso verbitte ich mir jede Kritik an den ausführenden Bauingenieuren und Bauarbeitern, solange es keinen rechtskräftigen Grund gibt, jemandem dafür die Schuld zuzuweisen. Was passiert ist ist tragisch, aber uns jetzt darüber zu streiten, ob das jemand getan hat, absichtlich oder unabsichtlich, wäre töricht und würde uns nicht weiterbringen."

"Herr Premierminister, so einfach können Sie die Sache nicht beenden!" Rief Clarkson, ein redegewandter Oppositionspolitiker, der für Bauwesen und Straßenverkehr zuständig war. Dann folgte ein wildes Wortgefecht zwischen dem Regierungslager und den Oppositionsparteien.

Tim Abrahams sah diese direkt übertragene Aussprache im Parlament mit seinem Vater. Der Marineoffizier rümpfte die Nase, mit welchen Gegenargumenten der Sprecher der Arbeiterpartei die Investitionen für die Brockdale-Brücke rügte, daß man an Material und Bauarbeitern gespart habe und der Wassereinbruch bestimmt schon in der Bauphase hätte bemerkt werden können, wenn der Zeitdruck nicht zu groß gewesen wäre. Tim dachte an den Brief, den er am Morgen per Eule bekommen hatte. Seine Abteilung forderte ihn auf, bei einem weiteren Vorfall wie dem Hurrikan und der Brücke den Urlaub abzubrechen und zu seiner Arbeit zurückzukehren, da davon auszugehen war, daß derlei noch häufiger passieren würde.

"Hoffentlich sind wir dann schon unterwegs, wenn wieder so was passiert", sagte Tim zu seinem Vater.

"Morgen früh heben wir ab. Wenn diese Leute von deinem Büro meinen, dieser Dunkellord hätte seine Finger dazwischen, dann brauchst du erst einmal Erholung, bevor das mit dem noch schlimmer wird."

"Gut, daß die mich nicht per Mobiltelefon erreichen können", sagte Tim. Sein Vater verzog das Gesicht. Als kommandierender Offizier eines Kriegsschiffes mußte er auch im Urlaub immer bereit sein. Dasselbe galt eigentlich auch für Tim. Doch da die Zaubererwelt keine Funktelefone benutzte, wäre er auf Gran Canaria etwas schwieriger zu erreichen. Ja, er konnte sich sogar darauf berufen, daß er von einem Vorfall ja nichts mitbekommen hätte, wenn er dort keine britischen Nachrichten las oder hörte. Die Zaubererwelt wußte ja nicht, daß sie einen Bungalow mit Satellitenfernsehen bewohnen würden.

Am Abend klingelte das Telefon bei den Abrahams. Captain Templeton Abrahams nahm den Hörer ab und meldete sich zackig. Dann wurde er sehr still. Es dauerte einige Minuten, bis er sagte:

"Ihr ruft am Besten die Polizei. Die beiden sind bestimmt entführt worden. Hoffentlich findet man die schnell. ... Wie? ... Auch wenn ihr einen Brief von jemandem kriegt, der euch einredet, die Polizei nicht zu rufen ruft ihr die an! .. Verstehe. ... Nein, ich kann da nichts machen. Ich habe mit dem Inlandsdienst keinen Kontakt und der Auslandsdienst würde für sowas nicht seine Leute ... Auch wenn ihr das ganze Gold in der Bank von England hättet würden die ... Du kuckst zu viel Fernsehen, Pete. Ruft die Polizei an und meldet, das Emily und Bert verschwunden sind, wo sie zuletzt gesehen wurden und so weiter! ... Ich kann euch nicht helfen. ... Nichts zu danken."

"Was? Emily und Pete sind verschwunden?" Fragte Mrs. Abrahams, als ihr Mann den Hörer wieder auflegte. Er nickte.

"Die beiden waren zum Spielen draußen, in der Nähe der Greystone Woods, dem Wald von Lord Greystone. Sie kamen vom Ausritt nicht mehr wieder und sind auch per Mobiltelefon nicht zu erreichen", seufzte Captain Abrahams. "Pete hat mich angerufen, ob ich den Geheimdienst drauf ansetzen kann. Das konnte ich aber nicht. Ich habe ihm geraten, die Polizei zu rufen. Mehr kann ich nicht."

"Ausgerechnet am Abend vor unserem Abflug", seufzte Mrs. Abrahams. Ihr Schwager Peter Abrahams war Prokurist einer Bank, die sich adeliger Kunden rühmte und wohnte in der Nähe der großen Ländereien von Lord Greystone, der ihn auch schon häufig zur Fuchsjagd einlud.

"Wenn die wer entführt hat, dann bestimmt wegen der Bank", vermutete Tim. "Onkel Pete kommt doch an alles dran, Tresor, Schließfächer, Computerdaten."

"Onkel Pete hat gemeint, der Auslandsgeheimdienst würde das regeln, wenn Kinder reicher Leute entführt würden. Wird er wahrscheinlich in diesen Krimiserien gesehen haben. Das habe ich ihm dann auch so gesagt."

"Ja und was machen wir jetzt?" Fragte tim.

"Wir können nichts machen. Den Flug dafür sausen zu lassen wäre Onkel Pete wohl auch zu viel, wenn wir eh nichts tun können. Greystone Woodds liegt fünfzig Meilen von hier fort. Das muß die Polizei klären. Könnte halt nur sein, daß die Luftaufklärer anfordern. Aber dann wird die Luftwaffe das regeln. Obwohl ich mich gerne in ein Flugzeug reinsetze, wenn ich die beiden damit finden könnte."

"Man hört doch in lezter Zeit von so vielen Verbrechern, die Kinder entführen, sich an ihnen vergreifen und sie dann töten", sagte Mrs. Abrahams. Dann sah Captain Abrahams seinen Sohn an.

"Könnte es vielleicht sein, daß eine dieser grünhäutigen Monster das getan hat?"

"In Greystone Woods gibt's keine von denen, Dad", sagte Tim rasch. "Der Forst ist zu klein und andauernd reiten oder laufen da Leute durch. Die halten sich in größeren, unzugänglichen Waldgebieten auf."

"Hätte ja sein können", sagte Tims Vater. Doch so sicher war sich Tim auf einmal nicht mehr. Das stimmte zwar, was er gesagt hatte, schien ihn aber jetzt, wo er es gesagt hatte, nicht mehr so zu beruhigen. Morpuoras Wald war niedergebrannt worden. Es mochte angehen, daß der Unnennbare dadurch Einfluß auf die Sabberhexen bekommen hatte und die nun nach seinem Wunsch auf Muggelkinder loslassen konnte, wie er es mit den Dementoren auch tat. Dennoch wollte er nicht daran glauben, daß ein Geschöpf aus der Zaubererwelt für das Verschwinden seiner Cousine und des Cousins verantwortlich sein mochte. Da sie morgen schon um sechs Uhr losfahren mußten, gingen die Abrahams schon sehr früh zu Bett.

Es war mitten In der Nacht, als Tim durch ein leises Schaben wach wurde. Irgendwas kratzte am Fenster. Was war das bloß? Er dachte an eine Ratte oder einen Einbrecher. Doch warum sollte der im zweiten Stock einzusteigen versuchen, wo Tim keinen eigenen Balkon hatte und jemand schon gut klettern mußte ...

Wieder schabte etwas auf der Fensterscheibe. Er Versuchte, Licht zu machen. Doch die Nachttischlampe ging nicht an, ebenso wenig die Deckenlampe.

"Das gibt's doch nicht", dachte Tim und zog eine Taschenlampe und seinen Zauberstab aus der Schublade. Er knipste die Taschenlampe an. Sie leuchtete für genau zwei Sekunden, dann klickte es leise, und die Lampe war aus.

"Verdammt, irgendwer zaubert hier herum", dachte Tim und griff zum Zauberstab. Wieder schabte es am Fenster, dieses Mal sehr eindringlich. Dann klopfte es sogar.

"Wenn's ein Vampir ist muß ich sofort zaubern", dachte Tim. Er wußte, daß manche Vampire es gelernt hatten, elektrisches Licht durch ihren Willen ausgehen zu lassen.

"Hallo, Timmy", säuselte eine leicht schnatternde Stimme von draußen. Tim erschrak. Diese Stimme kannte er zu gut, und auch die Art, wie sie zu ihm sprach war ihm zu gut vertraut. Er hätte fast den Zauberstab verloren. Gerade so konnte er ihn noch mit den Fingerspitzen fassen und wieder richtig in die Hand nehmen. Ihm kam der Gedanke, den tödlichen Fluch auf dieses Scheusal da vor dem Fenster loszulassen. Doch zum einen hatte er ihn nie richtig gelernt, zum anderen wäre dann innerhalb von einer Minute das Aurorenkorps in seinem Haus und würde ihn festnehmen, weil die Panik vor dem Unnennbaren im Moment die wildesten Blüten trieb. Sollte er sie jetzt ignorieren. Doch da klickte es. Er sah, wie das Fenster wie von Geisterhand geöffnet wurde. Es fiel ihm ein, daß die erwachsenen Sabberhexen mit den Jahren sehr gute Fernbewegungszauber lernten. Als das Fenster offen war, schwang sich eine Gestalt in einem Umhang aus derbem Stoff herein. Er sprang zurück und machte mit dem Zauberstab Licht. Vor ihm stand jedoch nicht diejenige, deren Stimme er gehört hatte, sondern eine kleinere Ausgabe dieser Waldmonster mit dunkelblondem Haar, wohl noch nicht ganz ausgewachsen. Dann, er ärgerte sich, daß der Anblick der jüngeren ihn abgelenkt hatte, huschte sie ins Zimmer, Morpuora. Ja, sie war es unverkennbar, nur ihr schwarzbraunes Haar, mit dem sie ihn beim erzwungenen Liebesspiel immer das Gesicht umhüllt hatte, war zu einer kurzen Matte aus verkohlten Strähnen zusammengeschrumpft. Doch sonst sah sie so aus, wie Tim sie immer noch im Gedächtnis behalten hatte.

"Ich habe es doch gewußt, daß du mich nicht vergessen kannst, Timmy. Auch wenn sie dir in dieser St.-Mungo-Anstalt alles mögliche eingeflößt haben, daß du mich ja wieder vergessen sollst", grinste Morpuora und zeigte dabei ihre gelbgrauen Stummelzähne.

"Raus hier! Oder ich jage dir einen Fluch auf den Hals!" Brüllte Tim in ohnmächtiger Wut und hob den Zauberstab.

"Na, ist eine Art, die Frau zu begrüßen, die dich heißer geliebt hat als es keine andere kann?" Lachte Morpuora wie eine belustigte Ente. Tim sezte schon an, ohne ein Wort einen Fluch aufzurufen, da sprang Morpuora zur Seite. Der Schockzauber fuhr wirkungslos zum Fenster hinaus in die Nacht. Morpuora und die andere Sabberhexe lachten.

"Verschwinde, Morpuora und nimm diese andere Giftkröte mit! Ich habe mit dir nichts mehr zu schaffen!"

"Diese Giftkröte hast du mir in den Bauch gelegt. Das ist deine Tochter Soalascara", lachte Morpuora. Die erwähnte reckte sich und stellte sich in Positur. Tim zielte mit dem Zauberstab auf sie und versuchte, ihr einen Ganzkörperklammerfluch aufzubrennen. Doch sie wandte sich rasch um, schoss an die Decke und flog über Tim hinfort. Dieser sah für eine Sekunde der jungen Sabberhexe nach. Diesen Augenblick nutzte Morpuora und packte mit raubtiergleicher Schnelle und Gewandtheit zu. Keinen Moment später war Tim seinen Zauberstab los und fühlte den Schraubstockfesten Griff der älteren Sabberhexe an seinem Handgelenk. Tim öffnete den Mund, um um Hilfe zu rufen. Doch Morpuora legte ihre freie, nach feuchter Walderde riechende Hand auf seinen Mund. Da flog die Tür auf und Captain Abrahams stand im Zimmer. In der rechten Hand hielt er einen schußbereiten Revolver.

"Du bist also nicht tot!" Brüllte der Marineoffizier. "Lass Tim los, du notgeiles Monstrum oder ich knall dich ab!"

"Also, was denn?" Empörte sich Morpuora. Dann ließ sie Tim los. Dieser hechtete zu seinem Zauberstab. Doch die Sabberhexe ließ ihren nackten Fuß mit den langen, spinnenbeinartigen Zehen niedersausen und den Stab von ihren Zehen umschließen und aus Tims Reichweite heben.

"Lege deinen Totkracher weg, Unbegabter! Ich will mit deinem Sohn alleine reden", sagte Morpuora. Captain Abrahams zielte auf sie und zog den Finger durch. In seinen Augen stand derselbe lodernde Hass wie in Tims augen. Da prällte etwas die Waffe zur Seite. Der Schuß krachte zwar los, doch die Kugel sirrte unters Bett und grub sich in die Wand. Dann hielt Morpuora dem Marineoffizier eine Hand entgegen und machte unter merkwürdigen Lauten eine schnelle Geste. Captain Abrahams erstarrte mitten in der Bewegung. Morpuora sagte noch einige kehlig klingende Worte, dann ließ sie die Hand wieder sinken.

"Er stört mich zwar, aber meinetwegen soll er zuhören. Soalascara, mach die Tür zu!"

Mrs. Abrahams rannte wohl durchs Haus zum Telefon. Doch weder Polizei noch Armee würden ihr helfen können. Dennoch hechtete Soalascara aus dem Zimmer hinaus, schwirrte unhörbar durch die Wohnung und stürtzte sich wie ein Adler von oben auf Mrs. Abrahams. Ein schneller Griff an den Hals von Tims Mutter raubte dieser das Bewußtsein. Dann kehrte Soalascara zurück und schloß die Tür. Morpuora blickte diese kurz an. Es klickte, und das Schloß war verriegelt.

"Ich merke, du hast mich nicht in bester Erinnerung behalten. Das verzeihe ich dir, weil sie dich mir ja weggenommen haben", sagte die ältere Sabberhexe. "Aber ich freue mich, daß ich die bisher einzige war, die dich richtig glücklich machen konnte. Offenbar konntest du keine von deiner Art finden, die an meine Künste herankommt."

"Ich knall dich ab", knurrte Tim und wollte schon nach dem Revolver tauchen. Doch Soalascara griff ihm ins Haar und zerrte ihn zurück.

"Ich bring dich mit bloßen Händen um, du Miststück!" Brüllte er und warf sich gegen die jüngere Sabberhexe. Diese spie ihn an. Er fühlte, wie ein stechender Schmerz durch seine Haut fuhr und er dann in einer Art Lähmung verharrte. Mit Schrecken erkannte er, daß das junge grüne Mädchen ihn mit seiner Spucke vergiftet hatte. Er erinnerte sich zu gut, wie Morpuora ihm die mit ihrer Tränenflüssigkeit bestrichenen Finger über Nase und Lippen geführt hatte, bevor sie ihm einen Zungenkuß gab, der ihn in diese herrlich berauschende willige Stimmung getragen hatte, die immer stärker wurde, je näher er und sie sich körperlich waren, bis er nach der ersten Vereinigung mit ihr davon ausging, das schönste Erlebnis aller Zeiten gehabt zu haben.

Morpuora sah ihn an, mit einer Mischung aus triumph und Erleichterung.

"Soalascaras Gaben sind noch nicht voll ausgeprägt, sonst könnte sie dich jetzt haben, wo dein Vater dabeisteht. Aber eine Tochter erkennt ihren Vater, auch wenn der sie nie gesehen hat und würde nichts mit ihm anfangen. Also hör mir jetzt zu, wenn dir das Leben deiner beiden Verwandten lieb ist! Meine Töchter Raimorha und Seraghia haben sie Mitgenommen. Die Pferde irren wohl verstört in der Gegend herum. Wenn du mir hilfst, in einem eurer Krachfeuervögel über das große Wasser in Sonnenuntergangsrichtung zu fliegen, werden sie unverletzt zu ihren Steinhäusern zurückgebracht. Wenn wir in zwei Tagen noch nicht fort sind, denke ich, das Raimorha und Seraghia sehr gerne das neunjährige Mädchen essen werden. Der Junge wäre der nächste."

Tim wollte was sagen, doch das lähmende Speichelgift Soalascaras hinderte ihn daran. Dann erzählte ihm Morpuora, was seit dem Brand passiert war. Sie war mit ihren fünf Verwandten mehr als zwei Tage durch das Land geirrt, mußte fließenden Gewässern ausweichen und in der Nähe von Wäldern bleiben. Irgendwann hatte sie ihre Verwandten so weit, daß sie den Schlaf der schmerzlosen Tiefen schlafen konnten. So war es möglich, auf einem Lastwagen über eine Brücke gefahren zu werden, um einen großteil des Weges abzukürzen. Von da an wären sie getrennt weitergeflogen. Jetzt seien ihre beiden älteren Töchter bei Tims Cousins und würden warten, was Morpuora erreichte. Dann meinte sie:

"Hoffe nicht auf deine Freunde, die Zauberer. Wir haben einen Stein gefunden, der das Aufspüren der Kräfte vereitelt. Keiner wird dir helfen. Wir haben Zeit. Sie strich Tim mit einer Hand übers Gesicht und sagte dabei was. Als wäre Tim in eiskaltes Wasser geworfen worden fühlte er sich plötzlich total erfrischt und übermunter.

"Abgesehen davon, daß ich euch in die Hölle schicken würde als nach Amerika, wie soll ich euch grüne Bande in ein Flugzeug bringen?"

"Du erkundigst dich bei denen, die diese Flugdinger fliegen und gibst für je einen dieser Krachfeuervögel eine Kiste mit. Damit fallen wir nicht weiter auf. Raimorha wird hierbleiben, bis wir anderen wohlbehalten angekommen sind. Dann wird sie jemanden suchen, der gegen diesen sogenannten Unnennbaren kämpft. Außerdem möchte sie gerne hierbleiben, weil sie wissen möchte, wie es ihrem Geliebten ergeht, den man ihr ja auch weggenommen hat", sagte Morpuora. Dann besprach sie Mit tim, der seinen Haß unterdrückte, um dieses Geschöpf möglichst schnell loszuwerden, was er machen sollte. Mit Soalascara suchte er aus dem Computer seines Vaters fünf Passagiermaschinen, in die auch größere Frachtkisten geladen werden konnten und buchte, nachdem er mit Soalascara die Einzelheiten geklärt hatte, wie der Transport abzulaufen hatte. Wo sie die Kisten herkriegen sollten sollte die Sache der Sabberhexen sein. Doch Morpuora sagte dazu nur, daß sie die schon beschafft hätten. Dann bedankte sie sich bei Tim. Sie ging auf ihn zu und wollte ihn umarmen.Er stieß seine Hände vor und versuchte, sie auf Abstand zu halten. Sie lachte darüber. Dann machte sie eine magische Geste gegen ihn, die ihm die Sinne raubte.

"Wenn ich glücklich fort aus diesem Land, sollst du erlöst sein vom magischen Band", murmelte sie immer wieder. Dann nahmen sie sich noch Tims Vater und Mutter vor. Morpuora lachte, als sie den Beutel Steinsalz fand, der in Tims Kleiderschrank lag. Es war nett, daß er ihn nicht zuerst geholt hatte. Sie verließen das Haus durch das Fenster, schlossen es auf magische Weise und flogen lautlos davon.

Als neun Stunden später fünf Maschinen in Richtung amerikanischer Ostküste, eine nach New York, eine nach Boston, eine nach Massachusetts und zwei nach Kanada abflogen, in deren Frachträumen je eine große Holzkiste lag, erwachten die Abrahams aus ihrer magischen Hypnose. Es war nun zehn Uhr morgens. Den Flug nach Gran Canaria hatten sie um zwei Stunden verpaßt. Tim war der einzige, der sich daran erinnern konnte, was passiert war. Doch weil das Leben seiner beiden Verwandten in Gefahr war, schwieg er. Er dachte nur daran, es den Zauberern mitzuteilen, daß fünf Sabberhexen nach Amerika verschickt worden waren. Dann grinste er. Wahrscheinlich wußten die nicht, daß alle Frachtkisten vorher durchleuchtet und im Bedarfsfall geöffnet wurden. Was er nicht wissen konnte, war, daß Morpuora einen Kräutersud der Gleichgültigkeit gebraut hatte und das Röntgenstrahlen von der magischen Energie der Sabberhexen umgelenkt wurden, sodaß nur die mitgelieferten Hausratsgegenstände auf den Kontrollschirmen zu sehen gewesen waren. Das erfuhr er erst, als Raimorha ihm einen Vogel mit der Nachricht schickte, wo die beiden entführten Kinder zu finden waren. Dann eilte Tim zur Strafverfolgungsbehörde der Zaubererwelt und der Schädlingsbekämpfungsabteilung. Doch von denen war zur Zeit keiner zu sprechen, weil alle auf der Suche nach marodierenden Dementoren waren. Als er dann Dana Moore traf und ihr die Geschichte erzählte, sagte sie ihm:

"Wir haben das irgendwie mitbekommen, daß Morpuora wohl nicht tot ist. Eine von diesen Sabberhexen, die mit ihr in Verbindung stehen, hat meinen Kollegen gesagt, sie hätte überlebt und würde auf den Zeitpunkt warten, wann sie zurückkommen würde. Dann sagte sie zu, die Sache weiterzumelden, bat Tim aber darum, erst einmal nichts darüber zu erzählen, da gerade heute eine wichtige Entscheidung im Ministerium getroffen werden müsse und davon abhinge, wie das Ministerium weiterhin arbeiten könne. Sicher sei nur so viel: Im Moment könne man sich um Angelegenheiten, die bereits ins Ausland verlagert worden sein nicht kümmern. tim verstand. Fudge war nun entgültig an die Wand gedrängt worden. Ob er als Minister weitermachen konnte war nun sehr fraglich.

Kaum war Tim fort und es ruhig in Danas Büro, verwandelte sie sich in eine kleine Fliege und verließ das Ministerium durch Lüftungsschächte und einen der Kamine. Draußen suchte sie sich einen unbeobachteten Punkt zum disapparieren und wechselte in vier Sprüngen nach Amerika über. Dort, in der alten Daggers-Villa, berichtete sie Anthelia, was Tim Abrahams ihr erzählt hatte.

"Es ist gut, Schwester Dana, daß du mir das sofort erzählt hast. Diese Morpuora wird in Amerika neue Freunde suchen müssen. Mal sehen, ob ich sie überzeugen kann, mit mir zusammenzuarbeiten.

__________

Es war schon eine Umstellung, als Morpuora aus dem Schlaf der schmerzlosen Tiefe erwachte. Das erste Gefühl, was sie umtrieb war Hunger. Doch sie mußte zunächst ihren Platz suchen. Aus der Lagerhalle, wo ihre Kiste abgestellt worden war schwebte sie hinaus durch ein karges Industrieland, vorbei an Maschinenhallen und anderen Lagerhäusern. Sie fühlte, wie die Entfernung zu lebenden Bäumen sie immer müder machte. Bald würde sie kraftlos werden und auf den Boden sinken, wo sie nur noch einen Tag in Bewegungslosigkeit liegen würde, ehe der Tod sie ereilte. So lange durfte sie nicht warten. Sie flog schneller auf und ab. Die Sonne stand am hohen Himmel, und sie fühlte die brennenden Strahlen. Ja, da kam ein Baum. In seinem Schatten ruhte sie aus und sog begierig die erfrischende Kraft ein, die der Baum ihr spendete. Dann wollte sie weiterfliegen.

Es krachte. Sie kannte das Geräusch. So kamen große Leute aus dem Nichts. Tim hatte sie also verraten. Hätte sie mit rechnen müssen. Sie beschloß, sich nicht kampflos zu ergeben und wirbelte herum.

Da stand eine Frau in weißem Umhang mit strohblondem Haar und lächelte. In der rechten Hand hielt sie einen silbriggrauen Zauberstab.

"Gruß dir, Enkeltochter der Maimorha", sagte die Hexe in der schnatternden Sprache der grünen Waldfrauen. Morpuora erstarrte. Wer wußte, wie ihre Großmutter geheißen hatte? Dann sagte sie:

"ich sehe, jemand hat dir gesagt, daß ich hier bin. Wer war das?"

"Eine Schwester meines Bundes", sagte die Fremde in der Sprache der Sabberhexen. Dann erzählte sie, daß sie besser an einen anderen Ort reisen sollten. Auf einem Besen, der unsichtbar machte, rasten sie weit über die Lande dahin. Dreimal schrak Morpuora zusammen, wenn sie fließende Gewässer überquerten. Doch zum einen flogen sie so hoch, daß die Kraft des fließenden Wassers nachließ und zweitens waren sie dabei so schnell, daß sie bereits das für Morpuora unüberwindlich scheinende Hindernis überquert hatten, ehe sie den Aufprall ihrer Magie mit der des Wassers bemerkte. Irgendwann landete die Fremde in einem dichten, unberührten Waldstück. Dort saßen sie ab.

"Ich schenke dir und deinen Angehörigen diesen Wald, Waldfrau Morpuora. Denn ich finde, wer einen gemeinsamen Feind hat, sollte zumindest die Freundschaft suchen."

"Wer bist du?" Fragte Morpuora erneut. Sie fühlte, daß von dieser Hexe eine sehr starke macht ausging. Als sie dann hörte, wer es war, erstaunte sie.

"Ich bin Anthelia, Tochter der Nigrastra, Nichte der Sardonia. Ich habe nach dem Tode des ersten Leibes die Jahrhunderte überdauert und bin nun wiedergekehrt. Ich kannte deine Großmutter Maimorha persönlich, wenngleich wir unserer Abstammung wegen nicht immer einer Meinung waren. Doch ich lernte, sie zu achten und sie lernte, mich zu achten. Ich würde mich sehr freuen, jetzt, wo ich wiedergekehrt bin, ein solch gutes Bündnis mit der Enkeltochter fortsetzen zu können."

Morpuora unterhielt sich mit Anthelia darüber, warum sie wiedergekehrt war und wie sie sich die Zusammenarbeit mit ihr vorstellen konnte. Sie kamen darüber ein, daß Morpuora für Anthelia die Augen und Ohren der Wälder sein und die Verbindung zu den hier ansässigen Sabberhexen darstellen würde. Anthelia habe erkannt, wie wichtig auch die Zauberwesen der freien Natur sein mochten. Morpuora erklärte sich einverstanden, Anthelia zu helfen, sofern diese sie darum bitte und keinen Befehl erteilte. Anthelia gelobte dies. Dann verschwand sie und überließ Morpuora dem Wald.

Anthelia kehrte in die Daggers-Villa zurück, wo sie sich auf Cecil Wellington einstimmte, der gerade mit seinen Eltern die Privatmaschine bestiegen hatte um nach Orly, einem Flughafen von Paris, aufzubrechen. Sie genoss es, wie Cecil von seiner Mutter in französischen Vokabeln abgefragt wurde. Als er Schwierigkeiten damit hatte, ließ sie ihm ganz sachte die korrekten Wörter und die Aussprache einfallen. Sie mußte diese Verbindung zumindest bis zur Landung der Maschine halten, um die durch die zunehmende räumliche Entfernung schwieriger werdende Verbindung so zu behalten, wie sie sie in den Staaten halten konnte. Dann, als Cecil eine Stunde Schlaf einlegte, dachte sie noch einmal an Morpuora. Die anderen Sabberhexen würden nun zu ihr hingebracht. Das hatte sie mit ihren amerikanischen Mitschwestern vereinbart. Dann überlegte sie, ob sie sich bald um Maria Montes kümmern sollte. Doch die Entwicklung in England und die trügerische Ruhe, die die Tochter des dunklen Feuers gerade einhielt, erschienen ihr wichtiger. Sie wußte von Dana, daß das Schicksal von Cornelius Oswald Fudge heute besiegelt wurde. Er würde gezwungen sein, sein Amt niederzulegen. Wer ihm nachfolgte, wußte Anthelia noch nicht. Sie würde sich darauf einstellen müssen, wie die restliche europäische Zaubererwelt auch. Sie wußte nur, daß sie als eine der ersten erfahren würde, wen die englische Zaubererwelt zum neuen Minister berufen würde.

Nach einer Stunde bekam sie wieder Kontakt zu Cecil und blieb heimlich in seinem Bewußtsein, bis die Maschine auf dem Privatstellplatz von Orly ausgerollt war. Vielleicht würde sie ihn dazu anleiten, für sie an einige Stätten zu reisen, die sie aus ihrer Kindheit kannte. Vielleicht besuchte sie ihn sogar einmal. Wehmütig dachte sie daran, daß sie nicht nach Millemerveilles hineinkonnte, weil der Abwehrzauber sie sicherlich als unerwünscht zurückweisen würde. Sie wußte es von ihrer Tante, die diesen Zauber begonnen hatte, daß jeder, der durch Magie einen anderen Menschen umgebracht hatte, bereits Probleme bekommen würde, in die Grenzen Millemerveilles einzudringen. Doch Sardonia war ihre Tante gewesen. War sie, Anthelia, nicht die rechtmäßige Erbin von Millemerveilles. Wenn dies so war, mußte sie einen Weg finden, dorthin zu gelangen. Vielleicht, so fiel ihr ein, könnte ihr der Stein der großen Erdmutter helfen, den sie noch bergen mußte und noch nicht wußte, wie sie es anstellen konnte.

ENDE

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