EIN JAHR NACH HOGWARTS

Eine Fan-Fiction-Story aus der Vergangenheit der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Sie hatten es ihr alle gesagt, Heather, ihr Onkel Vitus, Mrs. Morehead und nicht zuletzt auch Madame Pomfrey in Hogwarts, daß die Ausbildung zur Heilerin ein sehr aufreibendes Unterfangen sein würde. Tatsächlich hatte Aurora Dawn in diesem nun fast beendeten ersten Jahr mehr lernen und machen müssen als in den letzten drei Jahren in Hogwarts. Und das hieß wirklich was. Die junge, schwarzhaarige Hexe mit den graugrünen Augen, die hier als lebenslustiges Mädchen angekommen war, hatte in diesem einen Jahr den letzten Rest von Heimweh vergessen. Zu viel war zu lernen. Das lag nicht zuletzt auch an ihrer Ausbilderin, der gestrengen, wenn auch verständnisvollen Großmeisterin Bethesda Herbregis, deren höchst eigenes Ziel es wohl war, jeden auszubildenden Heiler bestmöglich durch alle Lernstufen zu kriegen und zu einem sehr aussichtsreichen Kandidaten für die magische Heilzunft zu formen, ob er oder sie das wirklich würdigte oder nur mit großem Murren durchstand. Es war keinesfalls ein Spaziergang geworden, nachdem Meisterin Herbregis alle Stärken und Schwächen ihrer aus England herübergekommenen Schülerin ausgelotet hatte. Vor allem in Zauberkunst, Verwandlung und Verteidigung gegen die dunklen Künste hatte Aurora Dawn noch richtig ranklotzen gelernt, während sie mit den magischen und nicht magischen Heilkräutern und Zaubertränken immer noch spielerisch zurechtkam. Richtig langatmig kamen ihr die theoretischen Bereiche wie die Geschichte der magischen Heilkunst, Zaubereitheorie und die Bestimmungen der magischen Heilkunst vor. Die Art, immer wieder während der intensiven Lehrstunden aus scheinbar unbedeutenden Gesprächen oder Tätigkeiten wichtige Fragen zu formulieren hatte Meisterin Herbregis bis heute nicht aufgegeben. Im Gegenteil. Manchmal waren die Unterweisungen ein einziges Frage- und Antwortspiel. Außerdem mußte Aurora viele Stunden Körperertüchtigung im Freien absolvieren, um das von ihrer Mentorin verlangte Gleichmaß von Wissen und körperlicher Belastbarkeit und Gewandtheit zu erhalten. Immerhin konnte sie jetzt eine volle Stunde lang mit durchschnittlich sechzehn Stundenkilometern laufen, beherrschte diverse Turnübungen und konnte mit jedem Arm das doppelte anheben, was sie vor Ausbildungsbeginn stemmen konnte. Ein sechsstündiger Marsch mit schwerem Gepäck war ihr wortwörtlich in alle Knochen gegangen. Doch irgendwie fühlte sie sich auch etwas besser, weil sie ihren Körper auf Vordermann gebracht hatte. Sie sah der Jahresendprüfung am nächsten Tag also mit großer Sicherheit entgegen. Andere, wie ihre Ausbildungskameradin Ireen Barnickle, zeigten überdeutliche Nervosität. Monica Riddley versuchte diese durch eine noch größere Ungenießbarkeit zu überdecken, und die beiden männlichen Ausbildungskameraden Tom und Berthold hatten sich mehr als einmal in der Wolle gehabt, wie nun was genau zu sehen oder zu machen sei. Aurora indes hatte eine gewisse Ruhe behalten.

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"Die wievielte Direktive ist das noch mal, wo werdende Mütter dazu gezwungen werden können, ihre Kinder bloß auszutragen?" Fragte Tom McCloud beim Frühstück laut in den Tagesraum hinein. Sein Mentor, der vierschrötige Atropus Morningdew, räusperte sich, weil alle ansetzten, Tom die richtige Antwort zu geben und sagte laut und überall vernehmlich:

"Fällt dir etwas früh ein, die Rangordnung der zehn Direktiven noch einmal nachzufragen, Tom. An und für sich müßtest du jede Nacht davon träumen, in welcher Reihenfolge die zehn Direktiven geordnet sind. Aber nur so viel, und für den Fall, daß sich andere Adepten nur nicht zu fragen wagen und das auch noch einmal verinnerlichen wollen: Die Direktiven der magischen Heilkunst sind ihrer Wichtigkeit für Schutz und Leben der zu behandelnden Patienten nach gegliedert. Also die erste besagt, daß jedes magische Menschenleben zu bewahren und zu schützen ist, solange es mit den Mitteln der magischen Heilkunst und ohne andere Menschenleben zu gefährden möglich ist. Daraus ergibt sich jede weitere Direktive in hierarchischer Abstufung. Finde also noch vor der entsprechenden Prüfung heraus, die wievielte die Unversehrtheitsdirektive für werdendes Leben ist!"

"Öhm, natürlich die zweite", wandte Tom leicht verlegen ein. "Wird eine Hexe Mutter, so hat der Heiler alles zu tun, um das Leben des ungeborenen Kindes zu schützen, bis über die Geburt hinaus, solange das Leben der Mutter nicht ernsthaft gefährdet wird."

"Nicht vollständig", knurrte Meisterin Herbregis. "Aber das wirst du wohl mit deinem Mentor noch einmal abhandeln. Die Prüfung über die Kenntnisse der medimagischen Vorschriften und Rechte findet ja erst übermorgen statt."

"Ich dachte, die wäre schon heute", knurrte Monica Riddley und funkelte ihre eigene Mentorin wütend an, die ihr als wortlose Antwort einen sehr warnenden Blick zuwarf. Aurora hörte den ordentlichen Wortlaut der betreffenden Richtlinie in ihrem Bewußtsein so nachklingen, wie sie sie in den Theoriestunden immer und immer wieder wiederholt hatte. Doch heute, so ihre Mentorin, würde die Jahresabschlußprüfung in heilkundlichen Zaubern des ersten Grades anstehen, wobei nicht nur erfolgreiches Zaubern, sondern auch die schnelle Umsetzung bewertet wurde. Hier würde sich dann eindeutig herausstellen, wie wertvoll die harte Schule ihrer Meisterin für sie selbst war.

"Frühstücke bloß genug, um dich nicht auf Nahrungsmangel herausreden zu können", zischte ihr die silberblonde Heilerin zu, die als persönliche Lehrmeisterin Auroras abgestellt war. Aurora nickte Meisterin Herbregis bestätigend zu.

Während des Frühstücks sprachen die angehenden Heilerinnen und Heiler nur noch über die Pläne nach einer hoffentlich erfolgreichen Prüfungswoche. Denn wenn jemand nicht zur Wiederholung antreten mußte würde er oder sie vier Wochen Ferienhaben, vom ersten August bis zum ersten September. Aurora würde dann für drei Wochen in ihr Elternhaus überwechseln und alte Schulkameraden treffen, um dann, wie im Januar, die letzte Woche bei ihrer australischen Freundin Heather Springs zu wohnen, um sich an den hier gerade vorherrschenden Winter zu gewöhnen. Tom McCloud würde fast die ganze Zeit Quidditch spielen. Zumindest hatte er das immer wieder angekündigt. Ob sein Mentor das wirklich so gut fand war dem bärengleichen Jungzauberer wohl nicht so wichtig. Ireen würde mit ein paar guten Schulfreundinnen eine Reise nach Neuseeland machen, um dort vom Lernstress abzuschalten, Berthold Woodman wollte sich Cloudy Canyon und Viento del Sol in den vereinigten Staaten von Amerika ansehen. Was Monica Riddley vorhatte verriet sie jedoch keinem. Und niemand hier hätte es darauf angelegt, sich ihren Ärger einzuhandeln, indem er oder sie sie gefragt hätte.

"Hoffentlich muß ich nicht in die Nachholprüfung rein", seufzte Ireen. "Ich habe da das Gefühl, bei Zaubertränken längst noch nicht alles richtig zu machen, was die Prüfer wissen wollen."

"Ich glaube nicht, daß Meisterin Beanstock dich nicht gründlich genug vorbereitet hat", wandte Aurora aufmunternd ein. "Zumindest haben alle von ihr bisher ausgebildeten Leute alle Prüfungen im ersten Ansatz gepackt."

"Komm, halt mir das noch vor, Aurora", knurrte Ireen. "Schon schlimm genug, daß die Riddley mich schon so komisch anguckt, weil die meint, ich hätte hier doch eh nichts zu suchen."

"Die es gerade nötig hat", zischte Aurora zurück. "Außerdem hat die das nicht zu befinden, wer hier was zu suchen oder zu finden hat", fügte sie entschlossen klingend hinzu. Monica hörte wohl, daß von ihr gesprochen wurde und wandte ihren Kopf um, um besser zu lauschen. Doch die beiden Kameradinnen sprachen nun über was anderes, was für sie unwichtig war.

"Guckst du dir deine frühere Schule noch einmal an, wenn du auf eure Insel fährst?" Fragte Ireen. Aurora schüttelte den Kopf.

"Da ist jetzt eh nichts los", sagte sie. "Abgesehen davon haben die bestimmt die großen Tore zugemacht." Sie wollte Ireen nicht verraten, daß ihre gemalte Ausgabe das Gegenstück in Hogwarts aufgesucht und gefragt hatte, was da gerade los war. Die dort verbliebene Ausgabe von 1982 hatte dann vermeldet, daß sämtliche Gänge leer wären, und außer Peeves, dem Poltergeist, sowie den anständigen Gespenstern, keine wandelnde Seele im ganzen Schloß unterwegs sei. Sogar Filch, der ewig miesgelaunte Hausmeister, hatte sich mit seiner neuen Mrs. Norris dünngemacht, und Madame Pomfrey war auf Fortbildungstour, um neue Heilzauber zu lernen und erfolgreiche Heiltränke und -tinkturen zu kaufen. Das erinnerte Aurora daran, daß die ihr noch bleibenden Ausbildungsjahre und das praktische Jahr keineswegs das Ende allen Lernens waren. Wenn sie wirklich die magische Heilkunst zum Beruf machte hieß jeder Tag neues lernen und neues ausführen. Doch gerade das faszinierte sie an diesem umfassenden Arbeitsfeld einer erwachsenen Hexe. Nicht nur, daß sie anderen Hexen und Zauberern bei Krankheiten oder Verletzungen helfen konnte, sondern auch immer zwischen den einzelnen Zweigen der Magie wechseln konnte, zwischen Verwandlung und Zauberkunst genauso wie zwischen Verteidigung gegen die dunklen Künste und Zaubertränke.

"Du hast erzählt, deine Cousine Kathleen bekäme demnächst ein Baby", sprach Aurora ein neues Thema an, daß ihre Kameradin Ireen sichtlich aufmunterte.

"Wenn ich Glück habe kann ich bei der Geburt dabei sein. Bisher heißt es, daß Kathy am zwanzigsten August das Baby kriegt. Wird bestimmt eine sehr wichtige aber auch wunderbare Erfahrung für mich sein."

"Pass auf, daß die Hebamme deiner Cousine dich nicht alle Grobarbeiten machen läßt!" Gab Aurora mit einem mädchenhaften Grinsen zurück.

"Sähe meiner Tante ähnlich", grummelte Ireen Barnickle. Aurora wunderte sich ein wenig. Eine Verwandte half bei der Geburt, womöglich die eigene Großmutter des Kindes? Sie fragte Ireen, ob diese Tante Kathleens Mutter sei, was Ireen bestätigte.

"Komische Vorstellung. Die sind doch dann viel zu stark mit der Mutter und dem Kind verbunden", wandte Aurora ein. Ireen grinste und erwiderte:

"Hast du nicht selbst erzählt, deine Oma Regan hätte deiner Mum bei deiner Geburt geholfen?"

"Sie war dabei und hat geholfen. Aber eine ausgebildete Hebamme war doch mit von der Partie", entgegnete Aurora. Ireen nickte. Bethesda Herbregis, die bisher ruhig und unbeteiligt zugehört hatte, sah Aurora an und sagte leise:

"In den meisten Familien wo es Heiler gibt kümmern die sich, sofern weiblich, auch um die anstehenden Geburten. Ich habe auch einen meiner Enkelsöhne auf die Welt geholt. Du hast natürlich recht, daß Heiler eine gewisse Distanz zu dem Schicksal ihrer Patienten pflegen sollten. Doch in Fragen der Familienfürsorge wird diese Regel, die ja nicht zu den zehn globalen Direktiven gehört, gerne außen vor gelassen. Hat auch was mit Vertrauen zwischen Heiler und Heilsuchendem zu tun, was ja im Wort Familie drinsteckt."

"Ach das heißt, ich dürfte, wenn eine meiner Cousinen Mutter wird helfen?"

"Selbst wenn deine Mutter noch ein Kind bekäme wäre das kein Verstoß gegen die Heilerregeln, wenn du sie während der Schwangerschaft und Stillzeit betreust. Aber natürlich ist durch die fehlende Distanz auch genug Reibungsfläche gegeben", erwiderte Bethesda Herbregis. "Ich kann mich gut entsinnen, daß jene meiner Töchter, der ich bei der Geburt meines Enkelsohnes verhalf, mich immer gerne angeknurrt und immer wieder abfällig über mich geredet hat, weil ich ihr angeblich mehr als Mutter als als Heilerin riet, was sie zu tun habe. Ansonsten ist das wie erwähnt kein Drama, ja wird von der Heilzunft anerkannt, wenn wir unseren Angehörigen heilkundlichen Beistand leisten, egal wobei. Wir dürfen uns nur nicht zu sehr in gefühlsmäßige Diskussionen einlassen", sprach Auroras Mentorin, der Ireen und die britische Auszubildende das Vergnügen ansehen konnten, mit dem sie diese samtweiche Belehrung erteilte.

"Also ich werde nicht um meine Mutter rumlaufen, wenn die 'ne Schwester oder 'nen Bruder von mir austrägt", knurrte Monica Riddley, die fand, sich auch in die Frühstücksplauderei einschalten zu dürfen. Alle sahen sie leicht verdrossen an, und Meisterin Herbregis entgegnete mit einem zur Vorsicht gemahnenden Tonfall:

"Nach dem, was ich von deiner Mentorin erfuhr, dürfte sich deine Mutter auch auf lange Zeit nicht mehr dazu bequemen, ein Kind zu bekommen. Insofern war dieser Einwurf jetzt unnötig, Monica."

"Was der höchste Gott darf, darf der Ochs' noch lange nicht", mentiloquierte Aurora Ireen. Diese sah sie vergnügt grinsend an und schickte zurück:

"Hat die Riddley gemeint, wenn deine Mentorin sich einmischen kann dürfte die das auch. Pech gehabt!"

"Ich denke, gleich sollten wir uns für die erste Prüfung fertigmachen, die Damen und Herren", befand Meisterin Springwood, Monicas persönliche Ausbilderin. Alle am Tisch nickten.

Die harmlose Plauderei mit Ireen hatte Aurora sichtlich beruhigt. So trat sie, nachdem sie ihre Kleidung und Haartracht noch einmal überprüft hatte, mit ihrer Mentorin zur ersten Jahresabschlußprüfung an.

"Das läuft wie bei der Halbjahresprüfung ab, Aurora. Also nichts, was du nicht schon miterlebt hast", sprach Bethesda Herbregis noch ein paar beruhigende Worte. Aurora nickte nur, sagte jedoch nichts, weil sie sich anstrengte, ihre Gedanken so geordnet wie möglich zu halten. Sie hatte die ZAGs und UTZs und die erste Halbjahresprüfung hier in der Sana-Novodies-Klinik geschafft. Dann schaffte sie auch die Versetzungsprüfung. Zumindest hoffte sie, mindestens 750 von 1000 erreichbaren Punkten zu erringen. Jede der zehn angesetzten Prüfungen konnte ihr bis zu 100 Punkte einbringen. Neben den Zauberfertigkeiten wurden Grundkenntnisse über menschliche Körperfunktionen, den Aufbau und die heilkundlichen Verwendungsarten von Zauberpflanzen und ordinären Heilkräutern, Verwandlungs- und Rückverwandlungszauber, nicht am Patienten selbst zu wirkende Zauberkunst zur Vor- und Nachbereitung von Heilmaßnahmen, die theoretische und praktische Alchemie, Fluchbestimmung und -abwehr, sowie die Geschichte der magischen Heilkunst und die aktuellen Richtlinien abgefragt. Heute kamen die einfacheren Heilzauber dran, die Aurora ja schon in Hogwarts gelernt hatte. Richtig anstrengend erschien ihr der Prüfungsabschnitt menschliche Anatomie und Körperfunktionen. Das würde dann am nächsten Tag drankommen, wußte sie.

Jedem der fünf Erstjährigen wurde ein eigenes Prüfungszimmer zugewiesen. Drei aprobierte Heiler aus der Klinik prüften im Beisein des Mentors die gelernten Kenntnisse nach. Aurora erschauerte ein wenig, als sie in den Raum E-004 eintrat, wo neben zwei ihr noch nicht namentlich bekannten Heilern eine Hexe mit schwarzen Locken im himmelblauen Seidenkleid saß, die die Adeptin durch eine silberne Brille mit stahlblauen Augen musterte. Das konnte noch was geben, wenn ausgerechnet Laura Morehead die Prüfung abnehmen würde, dachte Aurora. Doch äußerlich ließ sie sich nicht anmerken, daß die Anwesenheit der höchsten Heilhexe Australiens sie doch ein wenig nervös machte. Sie wünschte den anwesenden Prüfern einen guten Morgen, nahm die Erwiderung mit einer Verbeugung entgegen und wartete brav, daß man ihr erlaubte, sich auf einen der beiden freien Stühle zu setzen, dem Dreiergespann der Prüfer genau gegenüber. Doch Laura Morehead, die Sprecherin der magischen Heilzunft Sektion Südpazifik, sagte nur:

"Wir werden uns nicht mit viel Vorgeplenkel aufhalten, Ms. Dawn. Nur so viel, ich hoffe, Sie sind körperlich und geistig in prüfungstauglicher Verfassung."

"Ich fühle mich sehr wohl, Dr. Morehead", erwiderte Aurora so ruhig und respektvoll sie konnte.

"Dann kommen wir zur ersten praktischen Prüfungsaufgabe: Führen Sie den Zauber aus, mit dem der körperliche Grundzustand eines lebenden Wesens angezeigt werden kann!"

Aurora nickte und richtete ihren Zauberstab auf den Heiler rechts von Laura Morehead. "Vitalis revelio!" Rief sie gerade so laut, daß jeder Prüfer und ihre Meisterin es hörten, welche Zauberformel sie benutzte. Von ihrem Zauberstab ging ein grünes Flimmern aus, das sich um den von ihr anvisierten Prüfer zu einem pulsierenden, grün-blauen Leuchten verdichtete. Deutlich konnten die Anwesenden das regelmäßige Wabern im Brustbereich des Heilers sehen, erkannten ein helleres Licht im Bereich der Lungen und eine grün-blaue Streuung über dem Kopf. Aurora beschrieb, was die verschiedenen Lichtstärken anzeigten. Auf Nachfrage des gerade von ihr bezauberten Heilers, ob er nun krank oder gesund wirke antwortete Aurora ehrlich, daß sein Herz ihrem Zeitempfinden nach etwas schneller schlagen müsse, was durch das immer wieder aufzuckende Licht zwischen Brust- und Bauchraum zu erkennen sei. Außerdem sei sein Gehirn wohl gerade sehr stark beschäftigt, was den flirrenden Schimmer um den Kopf erklärte. Alles in allem halte sie ihn nach dem, was sie über den Vitalis-Revelius-Zauber gelernt habe für sehr gesund, wenngleich etwas erregt.

"Wie haben Sie diesen Zauber wirken können?" Fragte Dr. Morehead. Aurora erwiderte ganz ruhig, daß sie bei der Aussprechung der Formel an ein schlagendes Herz und ruhige Atemgeräusche hatte denken und das Ziel des Zaubers genau vor sich sehen müssen. Darauf kam die Frage, welche Aufspürzauber sie kenne und wieso Vitalis-Revelius nur auf direkte Sicht gelänge, während diese Aufspürzauber gerade zum Auffinden bisher nicht sichtbarer Menschen oder Lebewesen herangezogen würden.

"Vitalis Revelius gelingt nur, wenn sich der ihn benutzende Zauberkundige auf den damit zu untersuchenden Menschen einstimmen kann, was am besten geht, wenn er ihn vor sich sieht. Außerdem ist er so speziell, daß eine direkte Gedankenverbindung zwischen dem Heiler und dem Körper des zu untersuchenden hergestellt werden muß, um die einzelnen Ausstrahlungen zuzuordnen. Vivideo kann zwar auch die Lebenskraft eines Wesens anzeigen, aber nur allgemein, ob ein Lebewesen in bester Verfassung oder sehr geschwächt ist. Um näheres über die allgemeinen Körperfunktionen zu erfahren, ist Vivideo zu ungenau, auch wenn er als Aufspürzauber sehr weit reicht."

"Worin besteht der Unterschied zwischen Vivideo und Homenum-Revelius-Zauber?" Fragte der zweite Prüfer, nachdem Aurora mit "Finis Incantatem" den Zauber aufgehoben und dann kurz ungesagt wiederholt hatte. Sie erläuterte, daß der Menschenauffindezauber eine grobe Richtung und die Anzahl rein menschlicher Lebensformen vermitteln würde, jedoch nicht den Körperzustand der damit aufgefundenen Menschen. Außerdem würden damit keine anderen, womöglich bösartigen Lebewesen berührt. Er sei halt ein schneller Prüfzauber, ob jemand in einer unsichtbaren Kugelzone von dreißig Metern unter freiem Himmel oder innerhalb eines geschlossenen Gebäudes alleine sei oder nicht. Dann ging es an die direkteren Diagnosezauber, die zum Standard der Heilmagier gehörten, um einzelne Organe, den Blutkreislauf und die Atmung exakt prüfen zu können. Danach sollte sie kleinere Verletzungen heilen, innere Verletzungen an einem Kaninchen orten und heilen und Ersthelferzauber in schneller ungesagter Folge anwenden, darunter den Schienzauber Ferula oder den Bandagierzauber, um geprellte Gelenke ruhigzustellen. Außerdem sollte sie den Correlaxius-Zauber in seinen Einzelheiten beschreiben, der überschnellen Pulsschlag beruhigte, dabei aber genau auf Blutdruck und Belastungszustand eines Patienten geachtet werden müsse.

"Wie alles in der Natur hat auch Correlaxius im Übermaß schädigende Auswirkungen", erläuterte Aurora Dawn, als sie gefragt wurde, ob man nervösen Menschen nicht mit diesem Zauber einen ständigen Ruhepuls von sechzig Schlägen die Minute verschaffen solle. "Wenn das Herz sich nicht frei an die körperlich-seelische Belastung seines Trägers anpassen kann, kommt es zur Schwächung bishin zum Koma, wenn der Körper mehr Sauerstoff oder Nährstoffe verlangt als durch den zur Ruhe gezwungenen Blutkreislauf bereitgestellt wird."

"Dann haben Sie sicher auch die antagonisierenden Zauber zum Correlaxius-Zauber erlernt?" Fragte Dr. Morehead. Das hatte Aurora zwar schon, wußte aber nicht, ob die zur Heilzauberei der ersten Stufe gehörten oder nicht schon weiterführende Beeinflussungen des Körpers waren, die laut Rahmenlehrplan im zweiten Jahr auch an echten Patienten erlernt und erprobt werden sollten. Doch sie nickte nach einem aufmunternden Blick ihrer Mentorin und erwähnte Stimulanz-Zauber, die sofort wirksam waren, jedoch mit großer Vorsicht zu genießen waren, da es zu schnell zu einer Überanregung der betreffenden Organe kommen könne. Dann mußte sie eine Viertelstunde lang schnelle Zauber durchführen, um ihre Geist-Körper-Koordination zu zeigen. Die Prüfer notierten den Schwierigkeitsgrad der Zauber und die Geschwindigkeit ihrer Anwendung. Zum Schluß fragte Laura Morehead:

"Wie oft kann jemand maximal mit dem Lentavita-Zauber belegt werden, ohne unwiderruflich zu sterben?"

"Megan McGonagall hat ergründet, daß der Körperverlangsamungszauber nur fünfmal überlagernd gewirkt werden darf, weil sonst die ungebundenen Gasanteile im Blut zur Blasenbildung neigen und die Adern zerstören können. Daher wird zur Vorbereitung eines langwierigen Transportes der Conservacorpus-Zauber empfohlen, dessen Anwendung jedoch schwieriger ist und keine Fehlertoleranz besitzt."

"Heißt das, daß Sie den gerade von Ihnen erwähnten Zauber wirken können oder nicht?" Fragte Laura Morehead. Aurora verneinte diese Frage und erklärte, daß sie ihn zwar einmal in Anwendung gesehen hatte, aber bisher nicht hatte lernen dürfen, ihn auszuführen. Ihre Mentorin zeigte keine Regung, ob sie mit dieser Antwort einverstanden war oder nicht. Aurora hatte zumindest schon genug darüber gelesen, um ihn nach der Prüfung im Intensivtraining einüben zu können. Die Prüfer ließen es bei dieser Antwort bewenden und baten Aurora, den Prüfungsraum zu verlassen, damit sie sich mit ihrer Mentorin beraten konnten. Die Adeptin im ersten Jahr nickte und verabschiedete sich höflich von den drei Heilern, wobei sie Mrs. Morehead zuerst ansprach.

Sie wartete draußen vor der Tür zusammen mit Tom McCloud, der zeitgleich mit ihr aus seiner Prüfung gekommen war. Sie flüsterte mit ihm, daß sie von Laura Morehead persönlich befragt worden war.

"Willkommen im Club. Bei mir saß Daddy Springs im Prüfungstrio. Offenbar wollen die es gerne selbst wissen, wen von uns die ins nächste Jahr reinlassen."

"Ja, aber die Prüfer wechseln sich doch immer ab", sagte Aurora leise. Tom nickte. Dann sprachen sie darüber, was sie hatten tun müssen, während Monica, Ireen und Berthold aus ihren Prüfungsräumen herauskamen. Nach zehn Minuten winkte Meisterin Herbregis Aurora zurück in den Raum E-004. Laura Morehead hielt einen Stapel Pergament in der Hand und verkündete wie eine Richterin:

"Nach eingehender Beratung und mehrmaliger Prüfung der notierten Leistungen während Ihrer Prüfung im Bereich heilkundliche Zauber der ersten Stufe befinden wir Sie, Ms. Aurora Dawn, als erfolgreich examiniert und erkennen Ihnen die volle Punktzahl von einhundert Punkten zu. Herzlichen Glückwunsch!"

"Danke sehr", erwiderte Aurora freudestrahlend. Dr. Morehead fügte dann noch hinzu, daß sie hoffe, daß sie sich in den nun noch anstehenden neun Einzelprüfungen ebenso hervorragend auszeichnen könne. Dann verließen Meisterin und Schülerin den Prüfungsraum.

"Danke, daß du meinen Ruf bewahrt hast, Aurora. In diesem Zweig hatte ich als Erstjährige nur siebzig Punkte, weil die Prüfer meinten, mir bereits komplizierte Polytraumata zur Behebung anbieten zu müssen. Immerhin scheint Dr. Morehead im Moment eher auf Übung als auf Stress auszugehen."

"Ich hoffe, ich bekomme die anderen Prüfungen auch gut genug hin", sagte Aurora.

"Du hast heute erlebt, daß meine zugegeben sehr harte Schule sich doch sehr gut auszeichnet, Aurora. Ich bin sehr zuversichtlich, daß du die anstehenden Prüfungen zumindest in den oberen zwei Fünfteln der Punkteskala bestehen wirst. Drunter würde ich dir nicht unbedingt empfehlen."

"Drachenmist, nur fünfzig Punkte!" Schnarrte Tom McCloud, der sichtlich wütend auf sich selbst den Prüfungsraum E-007 verließ. Sein Mentor herrschte ihn an, keine Schimpfwörter zu gebrauchen und sich zusammenzunehmen. Bethesda Herbregis hielt Aurora davon ab, zu ihrem Jahrgangskameraden hinzulaufen und ihn zu fragen, wo es denn so geklemmt hatte. Für sie waren die einfacheren Heil- und Diagnosezauber wie ein aufmunternder Spaziergang mit Klettern auf einen steilen Hügel gewesen. Doch beim Mittagessen im Tagesraum knurrte Tom weiter, was ihm denn so passiert war. Unter anderem hatte er zwei Zauber so hintereinander gewirkt, daß sie sich überlagert hatten, wo sie es nicht durften. Das hatte zur Folge gehabt, daß das Versuchstier, eine weiße Ratte, wie ein stark aufgepumpter Ball im Prüfungsraum herumgehüpft war. Zwar hatte Vitus Springs offen darüber gelacht, wie komisch dieses verhexte Versuchstier ausgesehen hatte. Doch um einen Punktabzug war er dann doch nicht herumgekommen.

Okay, Mädels und Bursche, dann heute Nachmittag beim Gemüsetest", schnarrte Tom. Aurora nickte. Die Prüfung in magischen Heilkräutern würde sie wohl aus dem linken Handgelenk nach Hause fahren. Hierzu würden sie in die der Klinik zugehörenden Gewächshäuser gehen, um die dortigen Pflanzen zu verwenden.

"Vielleicht kannst du die Nachholprüfung einfache Heilzauber machen", wandte Berthold ein. "Wenn dir die Punktzahl wichtig ist."

"Professor Springs hat gemeint, daß ich mir das nur überlegen sollte, wenn ich die siebenhundertfünfzig nicht packen kann", wandte Tom ein. "Ich hoffe, ich reiße das miese Ergebnis bei den anderen Tests wieder raus, besonders bei Verwandlung."

"Es sei dir gegönnt, Tom", sagte Berthold Woodman. Dann fragte Tom Aurora, ob sie ihm noch einige Tips geben könne, wie er mit Würgwurzlern und Snargaluffs problemlos klarkäme. Meisterin Herbregis räusperte sich nur und deutete auf ihren Kollegen Morningdew, der jedoch aufmunternd zu Aurora herübersah, was diese als Aufforderung sah, seinem Schützling die gefragten Hinweise zu geben.

"Ach, wenn ich so'n Kokon mit einer Adlerfeder am unteren Scheitelpunkt kitzel erstarrt seine Mutterpflanze für zehn Sekunden? Das geht?" Aurora nickte. "Professor Sprout hat uns das mal gezeigt, als drei von uns ziemlich ramponiert ausgesehen haben. Sie meinte, wir sollten es zwar lernen, wie wir Snargaluff-Kokons mit Kraft und Geschick herausziehen, aber diesen Trick könne man anwenden, wenn man mehrere Pflanzen abernten wolle."

"Warum haben Sie mir das nicht erzählt, Meister Morningdew?" Fragte Tom McCloud seinen Mentor verhalten.

"Die Antwort hast du doch gerade gehört. Snargaluffs sollten vordringlich mit bloßer Körperkraft und Gewandtheit abgeerntet werden, weil dadurch auch eine gewisse Übung für andere, wesentlich gefährlichere Pflanzen erworben wird", erwiderte Toms Lehrmeister. Meisterin Herbregis sagte zu Aurora:

"Nur schade, daß sie weder ihm noch dir gestatten werden, mit anderen Hilfsmitteln als Handschuhen oder Zauberstab an die zur Prüfung anstehenden Pflanzen heranzugehen. Insofern ist dieser Ratschlag womöglich doch eher kontraproduktiv, was die zu erwartenden Leistungen angeht."

"Solange ich meinen Zauberstab nehmen kann geht das vielleicht auch, Meisterin Herbregis", knurrte Tom etwas verhalten. Bethesda Herbregis sah ihn dafür sehr vorwurfsvoll an. Doch Tom steckte das locker weg.

Am Nachmittag dann trafen sich die Erstjährigen mit den Drittjährigen, die in diesen Tagen ihre Erlaubnis für das praktische Jahr und die Berufung zum Heiler erwerben würden vor den zehn Gewächshäusern auf dem Gelände der Sana-Novodies-Klinik. Tom sah Jill Trylief, die mit ihrer Kameradin Daisy Nettles vor einem abgedunkelten Treibhaus wartete und meinte laut:

"Ach, ihr Hippies dürft heute auch Gemüse putzen?"

"Solange uns das Gemüse da drinnen nicht verputzt, du Komiker", lachte Jill zurück. "Da sind die wirklich gemeinen Monsterpflanzen drin, die nachtaktiven Teratophyten und fortbewegungsfähigen Fleischfresser."

"Oh, dieses Unkraut kriegen wir dann ja auch, wenn wir bis zum dritten Jahr durchhalten", stöhnte Tom. Berthold grinste darüber nur.

"Du wußtest doch, daß die hier auch Lauerbüsche und Dinodendren haben, Tom. Aber ich denke, die Ausbildung war der Zunft bisher zu teuer, um zuzusehen, wie die HIP-Mädels von solchen grünen Fressmonstern vernascht werden."

"Also das verstehe wer will, wielange meine Kollegen diesen Burschen diese Ausdrücke durchgehen lassen", knurrte Bethesda Herbregis und zog Aurora etwas weiter fort. "Komm bloß nicht auf die Idee, dich auf diesen rüden Wortschatz einzulassen, Aurora. Dann könnte es mir einfallen, dir mehrmals mit dem Ratzeputz-Zauber den Mund und Rachen durchzuspülen." Aurora nickte nur.

"Wird das nicht ein wenig schwierig, wenn die HIP-Kandidaten mit uns in den Gewächshäusern sind?" Fragte Aurora Dawn.

"Die Gewächshäuser sind groß genug", knurrte Bethesda Herbregis. "Abgesehen davon müssen wir nicht zu den Teratophyten der Stufe drei hinein, sondern werden wohl mit Snargaluffs, Alraunen oder Schwammpilzen zu tun kriegen. Da mache ich mir bei dir die allergeringsten Sorgen."

"Hoffentlich klappt das wirklich", sagte Aurora, wohl eher um Bescheidenheit auszudrücken. Denn sie glaubte echt nicht, daß sie im ersten Jahr wirklich was unüberwindliches in Kräuterkunde gelernt hatte.

Die Prüfung bestand darin, daß sie zwei fruchtbare Alraunen in einen Paarungskübel verfrachten mußte, die eigentlich nicht zusammensein wollten und es mit ihren kleinen Händen und Füßen versuchten, sich aus Auroras Griff zu lösen. Außerdem sollte sie den Saft einer Rauschnebelhecke ernten, ohne von dem einschläfernden Dunst dieser Pflanze außer Gefecht gesetzt zu werden. Als sie dann noch aus einem Beet mit Stachelgurken fünfzig Stück ohne Blässuren herausgezogen hatte, war es keine Frage, daß sie die hundert Punkte bekam. Die Prüfer, die ihr aus sicherer Entfernung zugesehen und sie zwischen den verschiedenen Pflanzen über die Theorie befragt hatten, wiesen sogar darauf hin, daß Aurora offenbar ein Naturtalent in Kräuterkunde sei. Bethesda Herbregis freute sich, obwohl sie es nicht offen zeigen wollte.

"Das war mir doch schon klar, als ich dich die ersten Wochen hier bei mir hatte, daß du mit Zauberkräutern sehr gut zurechtkommst. Allerdings erwarte ich von jedem meiner Schüler die Bestleistungen in allen relevanten Studienfeldern. Was nützt es dir, eine Spezialistin für Kräuterkunde oder Zauberkunst zu sein, wenn du dafür in Körperkunde oder Verwandlungen nachlässig bist. Als Heiler mußt du jeder möglichen Lage gewachsen sein, ob dem Angriff gefährlicher Pflanzenwesen oder Tierwesen, Flüchen oder mißglückter Zauberkunst an lebenden Menschen. Ich habe dir doch von dem Fall erzählt, wo ein Zauberer aus Versehen seine Frau mit einer Legehenne zusammengekreuzt hat. Es mußte geklärt werden, wo ein bösartiger Fluch oder eine unkontrollierte Verwandlung im Affekt gegeben war. Wenn der Heiler da nicht das eine vom anderen hätte trennen und die korrekte Umkehrung dieser Verschmelzung finden können hätte die arme Frau ihr restliches Leben lang Federn am Leib gehabt und unter Schmerzen kokosnußgroße Eier legen müssen."

"Das stand ja auch im Herold der Heilkunst", erinnerte sich Aurora an diesen Fall verrutschter Zauberei. Meisterin Herbregis nickte.

"Sie sind offenkundig ein herbologisches Naturtalent, Ms. Dawn", begrüßte der Vorsitzende der drei Prüfer die Adeptin nach der Beratung über die Punkte. "Leider können wir Ihnen nur die hundert von hundert möglichen Punkten zuteilen. Bonuspunkte oder dergleichen sind nur in der Aprobation zur Heilerin erwerblich. Herzlichen Glückwunsch, Ms. Dawn, auch Ihnen, Beth."

"Sie hat schon ein gerüttelt Maß an fundierten Kräuterkundekenntnissen und Geschick aus ihrer Schulzeit mitgebracht. Ich konnte es nur verfeinern und auf dem sehr hohen Stand erhalten", wies Meisterin Herbregis den Glückwunsch zurück.

Als Aurora Abends erfuhr, daß Tom es gewagt hatte, mit einem Zauberstab einen Kieselstein in eine Adlerfeder zu verwandeln und diese per Fernlenkung an den Unterseiten der Snargaluff-Kokons hatte kitzeln lassen grinste Aurora. Als er dann jedoch mißmutig sagte, daß die Prüfer ihm dafür zwanzig Punkte abgezogen hatten und er gerade so die nötigen fünfzig Punkte zum Bestehen bekommen habe setzte sie schon an, sich zu entschuldigen.

"Sie belegen gerade die Aufstufungsprüfung Herbologie und nicht kreative Zauberkunst und Verwandlung, Mister", zitierte Tom einen seiner Prüfer, wobei er das R wie ein Schotte rollte. Ireen bedankte sich bei Aurora für die guten Tipps, mit denen sie achtzig von hundert Punkten in der Kräuterkundeprüfung errungen hatte.

"Ich wies meine Auszubildende und Sie ja darauf hin, daß ihr Hinweis auf die Manipulation mit Adlerfedern kontraproduktiv ausfallen könne, Mr. McCloud. Aber wer nicht hören will muß oftmals fühlen, um zu begreifen", schnarrte Meisterin Herbregis.

"Immerhin hat mir Meister Greengrass bescheinigt, ein guter Transfigurator zu sein und Geschick in telekinetischer Zauberkunst zu besitzen. Aber das sei eben nicht Gegenstand der Prüfung", knurrte Tom.

"Na, dann hast du ja die beste Voraussetzung, in Zauberkunst die volle Punktzahl rauszutragen, Kamerad", versuchte Berthold ihm Mut zu machen.

"Was bringt das, wenn ich dann vielleicht unter dem Pflichtwert hängenbleibe?" Knurrte Tom. "siebenhundertfünfzig Punkte insgesamt, wenn keine Prüfung unter fünfzig verlaufen ist, sonst zweites Gastspiel in der Anfängerklasse."

"Wie erwähnt sollten Sie sich diese heutige Lektion zu Herzen nehmen, in den Prüfungen ausschließlich prüfungsrelevante Leistungen zu zeigen, aber die dann auch bestmöglich", meinte Bethesda Herbregis. Denn Toms Mentor, der ihm eigentlich diese guten Ratschläge zu geben hatte, diskutierte gerade mit Bertholds Mentor Gnoll. Offenbar waren die beiden sich über irgendwas nicht so ganz einig.

"Du kannst doch die vergurkte Prüfung wiederholen, Tom", erinnerte Berthold seinen Kameraden an die zweite Chance.

"Nur, wenn ich die echt vergurkt hätte, Berty", knurrte Tom. Aurora nickte. Da kam Meister Morningdew zurück und sprach leise mit seinem Schüler. Tom nickte und schwieg.

Nach dem Abendessen sprachen die Schüler ohne ihre Einzellehrer über den Prüfungstag. Jill, die keine Verletzungen aufwies, berichtete von ihrer Arbeit an einem Schlangenzweigbaum mit spitzen Hohlstacheln, mit denen er unachtsamen Tieren das Blut und andere Körperflüssigkeiten aussaugen konnte, bis sie zu trockenen, lederartigen Säcken mit Knochen drin vertrockneten.

"Zum Glück stehen diese Horror-Bäume nicht an jeder Ecke rum", befand Tom. Aurora, die von Serpentiramus Liquiraptor schon in "Höchstgefährliche Zauberpflanzen" gelesen hatte, nickte. Diese zu den Schreckensbäumen gehörenden Gewächse wuchsen nur dort zur gefahrvollen Stärke heran, wo in einem Jahr mehr als 100 Lebewesen pro Quadratmeter durch Vergiftung zu Tode gekommen waren. Außerdem brauchten sie, wie fast alle Zauberpflanzen, eine im Nährboden enthaltene Magie, und kamen daher sehr selten vor. Im australischen Dschungel sollte es nach letzter Zählung gerade zehn Stück davon geben, und die Experten des Zaubereiministeriums durchstreiften das urwüchsige Land immer wieder, um potentiell gefährliche Exemplare auszugraben und in befriedete Zaubergärten einzusetzen. Denn die Rinde des schlangenästigen Baumes konnte zum Bau feuerfester Holzhäuser verwendet werden.

"Was habt ihr morgen?" Fragte Jill Aurora.

"Funktionen des Herz-Kreislaufsystems bei humanoiden Lebewesen", gab Aurora die gewünschte Antwort. "Dann am Nachmittag Sinne und Bewegungsorgane."

"Das ist dann wohl das für's erste schwierigste Fach im ersten Jahr", sagte Jill. "Im zweiten mußt du dann noch jeden Muskel und jede Ader beim Namen kennen und bestimmte Geflechte und zusammenwirkende Muskeln und Knochen hersagen können und dann noch die möglichen Erkrankungen und Behandlungsmöglichkeiten parat haben."

"Oha", erwiderte Aurora dazu nur. "Aber das muß ich wohl durchstehen, wenn ich ins dritte Jahr will."

"Vieles lernst du bei den Besuchen von Patienten und deren Behandlung. Du führst ja auch ein Lerntagebuch, wo du sehr wahrscheinlich jeden Handgriff und jede Information reinschreiben wirst", sagte Jill. "Bei uns steht in den Prüfungen die Therapierung echter Krankheitsfälle an. Wenn wir die können, dürfen wir ins praktische Jahr rein. Hunderte von Diagnose- und Therapieverfahren zum Auswendiglernen."

"Dafür, daß die Leute sich drauf verlassen müssen, daß wir keinen Murks machen schon wichtig", sagte Aurora.

"Aber hallo, da kannst du von ausgehen", sagte Jill Trylief dazu nur.

"Das heißt von dem, was wir noch in den kommenden Tagen machen müssen steht bei euch nichts mehr an, weil ihr das alles in praktischen Anwendungen zeigen müßt."

"Exakt. Ihr werdet auf die Grundlagen geprüft. Im zweiten Jahr geht's an die Umsetzung, und im dritten und letzten an die Vervollkommnung. Das mit den Monsterpflanzen steht bei uns nur deshalb noch auf dem Plan, weil wir ja auch Angriffe solcher grünen Ungeheuer bekämpfen oder deren Folgen kurieren müssen."

"Das verstehe ich", sagte Aurora Dawn.

"Du glaubst gar nicht, wie viele gestandene Hexen und Zauberer sich von Teufelsschlingen oder Tentaculas verletzen lassen. Manchmal konnten sie nur deshalb noch gerettet werden, weil sie den Notrufzauber so gerade noch hinbekamen. Aber da die meisten Teufelsschlingen das freie Licht scheuen und daher gerne in Höhlen lauern ist das auch keine Garantie, daß dir noch jemand helfen kann, wenn dich so eine Pflanze einschnürt."

"Das haben wir doch in der ersten Klasse gelernt, wie Teufelsschlingen abgewehrt werden können", wunderte sich Aurora.

"Eben, und wer da schon nicht gut aufgepaßt hat und nach der Schule nie wieder über diese Pflanzen nachdenken mußte hat das schnell vergessen, daß einfaches Zauberfeuer ausreicht, um sie abzuschütteln oder gleich richtig abzutöten. Das ist genau wie mit Verteidigung gegen die dunklen Künste. Immer wieder handeln sich Leute mittelschwere Flüche ein, weil sie die einfachsten Gegenflüche nicht mehr können. Dann müssen wir sie kurieren. Böswillig gesprochen leben wir im Grunde von der Unachtsamkeit und Vergeßlichkeit unserer magischen Mitmenschen. Aber das behältst du besser für dich."

"Solange mir keiner mit Legilimentik die Erinnerungen durchwühlt", knurrte Aurora.

"Ach ja, das lernt ihr ja im zweiten Jahr auch. Ist auch eine Prüfung, der ich mich am Ende unterziehen muß, ob ich gut genug Okklumentik kann, um vertrauliche Angaben und Patientenkenntnisse für mich behalten zu können. Da sind schon manche Kandidaten dran gescheitert, weil sie das nicht gelernt haben und deshalb nicht ins praktische Jahr reingelassen wurden und nach der Wiederholung ganz ausgeschlossen werden mußten, weil Heiler, die vertrauliche Angaben nicht in ihrem Geist verbergen können, leichte Beute für dunkle Magier sind." Aurora nickte. Das stand ihr ja auch noch bevor. Sie hörte die Worte ihrer Großmutter Regan noch, daß sie die Okklumentik unbedingt lernen sollte.

"Wenn ich die noch anstehenden Prüfungen zumindest schaffe, daß ich ins nächste Jahr eintreten darf, werde ich das ganz bestimmt lernen", sagte Aurora Dawn zuversichtlich. Sie wußte, daß ihre Lehrmeisterin sie ganz bestimmt stärker herannehmen würde als ihre anderen Kollegen ihre Schützlinge.

"Ich denke mal, die wissen schon, wer über das erste Jahr hinauskommt und wer nicht, Aurora. Und was ich bisher von dir mitbekommen habe sagt mir, daß du ganz sicher bis zum dritten Jahr durchhältst. Du hast im Grunde ja jetzt schon mehr machen müssen als andere im ersten Jahr. Wenn Meisterin Herbregis finden würde, daß du den Aufwand nicht wert seist, hätte sie dir schon früh genug geraten, dir doch einen anderen, ebenso ehrenvollen Beruf auszusuchen."

"Ich möchte dazu nichts sagen, bis ich die Zulassung zum praktischen Jahr oder die Vollaprobation in der Hand habe, Jill", wies Aurora das hohe Lob ihrer zwei jahre älteren Kameradin sanft zurück.

"Stimmt, gleich zu denken, alles in der Tasche zu haben ist sicher verkehrt. Ich wollte auch nur sagen, daß deine Mentorin ihre eigene Zeit nicht verschwendet und jemandem, der ihre Unterweisungen nicht umsetzen kann oder will nicht länger als nötig um sich haben will."

"Das habe ich schon gelernt, Jill. Macht echt Mut", seufzte Aurora. Doch Jill lächelte. Dann entschuldigte sie sich, weil ihre Kameradin Daisy wohl etwas von ihr wissen wollte.

Am Abend notierte die aus England stammende Auszubildende in ihrem Lerntagebuch und dem privaten Tagebuch, daß sie heute wohl die einfacheren Prüfungen bestanden hatte und sich für die nächsten wohl besonders gut in Form halten solle. Sie schickte ihr magisches Portrait zu ihren Eltern und ließ diesen ausrichten, daß sie die ersten beiden Prüfungen bestanden habe, es aber noch acht Stück gebe, von denen sie nicht sicher sei, daß die so einfach wären. Dann ging sie schlafen.

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Im Traum von lebenden Skeletten verfolgt, die Aurora anhielten, einzelne ihrer Knochen zu benennen, war sie am nächsten Morgen etwas erschöpfter als am Vormorgen. Ihre Mentorin reduzierte daraufhin die allmorgentliche Sporteinheit auf die Hälfte und überwachte sie beim Frühstück, damit sie das nötige Maß Nahrung aufnahm, ohne sich zu schwer zu fühlen. Dann ging es an die erste der beiden Anatomie und Körperfunktionsprüfungen. Diese bestanden aus einem Theorie- und einem Praxisteil. Als Aurora am Mittag vor lauter Blutgefäßen und Blutzusammensetzun gserklärungen und unter einem Vergrößerungsglas gesehenen Blutbestandteilen keine rechte Lust auf das Mittagessen verspürte, drohte Meisterin Herbregis ihr an, sie wie ein Kleinkind zu füttern. So aß Aurora, wobei sie sich jedoch eher an Salaten und Gemüse hielt, um nicht über im Fleisch verlaufende Fasern und haarfeine Adern nachdenken zu müssen.

Am Nachmittag war dann die Prüfung über Sinnesorgane und den Bewegungsapparat humanoider Lebewesen und wie man mit magischen Methoden darauf einwirken konnte. Mit brummendem Schädel kam sie dann aus der praktischen Teilprüfung, wo sie aus konservierten Leichnamen herausgelöste Augen, Ohren und aufgeschnittene Nasen zu sehen bekommen hatte. Einmal wäre ihr fast übel geworden. Doch sie hatte sich zusammengerissen und die Prüfung wie eine übliche Unterweisung gesehen und die Fragen beantwortet. Es zeigte sich, daß Bethesda Herbregis' Lehrmethode sehr praktisch war, aus dem Nichts heraus Fragen zu stellen und im Verlauf eines Gespräches wichtige Einzelheiten zu vermitteln oder zu erfragen.

"Mindestens neunzig Punkte", lobte Meisterin Herbregis Aurora nach der praktischen Teilprüfung. "Daß sie dir ein Koboldauge für das eines Menschen vorgemacht haben könnte die restlichen zehn Punkte zwar verwehren, ändert aber auch nichts daran, daß du in diesem Zweig der Medimagie die Grundlagen begriffen hast." Aurora sagte nichts dazu. Die Ergebnisse der Prüfungen mit Theorieteil würden sie ja erst nach der letzten Prüfung erfahren. Den Abend verbrachten sämtliche Adepten und Heilerkandidaten mit Musik und Geplauder, um sich von den überstandenen Prüfungen abzulenken und den bevorstehenden etwas gelassener entgegensehen zu können.

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"Wie lauten die zehn globalen Direktiven der magischen Heilzunft?" Fragte Vitus Springs, der Leiter der Sana-Novodies-Klinik, der am nächsten Morgen Vorsitzender in Auroras Prüfung war. Aurora Dawn dachte nur einen Moment nach und antwortete dann:

"Die oberste Direktive lautet: Ein magischer Heiler darf mit seiner Kunst und Kenntnis keinem Menschen, ob mit oder ohne Begabung zur Magie, ein Leid zufügen oder durch Untätigkeit zulassen, daß ihm auf magische Weise ein Leid zugefügt wird oder er an den Folgen einer magischen Verletzung oder Krankheit leidet und/oder stirbt. Die einzige Ausnahme wird durch das internationale Geheimhaltungsabkommen festgelegt, demnach Personen ohne erkennbare Zauberkraft, die durch nicht magische Erkrankungen oder Verletzungen in ihrer Gesundheit gefährdet sind, nicht auf magische Weise geheilt werden dürfen. Der Heiler muß jedoch dann mit ihm bekannten Methoden ohne Einsatz von Magie solange Hilfe leisten, bis der betreffende Mensch von den für magielose Heilmethoden zuständigen Fachleuten übernommen werden kann oder mit magielosen Mitteln die Genesung selbst herbeiführen." Alle nickten.

"Die zweite Direktive lautet: Ein Magischer Heiler hat die Pflicht, die körperlich-seelische Unversehrtheit eines magischen menschen wiederherzustellen oder zu erhalten, sobald eine magisch begabte Person durch bösartige Zauberei, Vergiftung oder Verletzung unfähig ist, das eigene Wohlbefinden zu bewahren oder das Recht am Umgang mit seinem Körper unbeeinträchtigt wahrzunehmen. Handelt es sich bei der magischen Person um ein Kind oder einen Heranwachsenden, so besitzt sie nicht das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen körperlich-seelischen Zustand. Unter Berücksichtigung dieser Regel ist eine werdende Mutter in Stellvertretung für ihr heranwachsendes Kind wie ein Kind oder Jugendlicher zu behandeln und kann sich nicht auf das Recht auf körperliche Selbstbestimmung berufen, bis das von ihr empfangene Kind ausgetragen, geboren und entwöhnt ist. Das Leben von Mutter und Kind sind in jedem Fall zu schützen. Diese Regel tritt in dem Moment in Kraft, wenn bei einer Hexe eine Schwangerschaft festgestellt wird, egal in welcher Phase." Auch hier wurde ihr zustimmend zugenickt.

"Die dritte Direktive lautet: Kein magischer Heiler darf Mittel herstellen, verkaufen oder kostenlos weitergeben, die den körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand eines Menschen mit oder ohne feststellbare Zauberkraft verschlechtern oder gar bis zum Tod verschlimmern können. Hierzu gehört auch die vorzeitige Beendigung einer verlaufenden Schwangerschaft, egal ob es sich bei der Kindsmutter um eine Hexe oder Magielose handelt. Auch darf ein Heiler keinem anderen Menschen dabei behilflich sein, andere Menschen gezielt zu verletzen, zu vergiften oder durch bösartige Zauberei zu schädigen. Selbst wenn ein magisch begabter mensch um solche Hilfe bitten sollte, um sich selbst zu schädigen oder gar das eigene Leben vorzeitig zu beenden, ist diese unter allen Umständen zu verweigern und das Ansinnen des betreffenden Menschen der Heilerzunft zu melden, sofern es sich hierbei um einen mit Magie begabten Menschen handelt." Wieder nickten ihr die Prüfer und ihre Mentorin zustimmend zu, während eine Flotte-Schreibefeder ihre Worte notierte.

"Die vierte Direktive lautet: Heiler sind nur den Oberen der für ihre Region zuständigen Sektion der magischen Heilzunft oder einem von diesen bestimmten Dienstvorgesetzten zum Gehorsam verpflichtet, dies jedoch unbedingt. Sollte sich andeuten, daß die weisungsberechtigten Heiler nicht aus eigenem Antrieb handeln können oder durch Krankheit oder magische Schädigung nicht mehr eigenständig entscheiden können oder unter einem äußeren oder inneren Zwang handeln, so kann ein Heiler eine Anweisung ablehnen, muß jedoch unverzüglich vor der regionalen Führung der Heilerzunft den Grund oder die Gründe für die Verweigerung darlegen." Wieder nickten ihr die Anwesenden zu.

"Direktive Nummer fünf lautet: Zum Erwerb neuer Kenntnisse ist Forschung und Fortbildung unumgänglich. Diese darf jedoch nicht auf Kosten der körperlichen, geistigen und seelischen Unversehrtheit anderer Menschen betrieben werden. Daher müssen alle neuen Verfahren zunächst an niederen Lebewesen erprobt und bei einer großen Erfolgswahrscheinlichkeit zunächst dem Forschungskomitee der Heilerzunft vorgelegt werden, das dann die Auswahl volljähriger Probanden vornimmt, die sich schriftlich und mündlich zur Teilnahme an einer klinischen Erprobung bereiterklärt haben oder dies in Stellvertretung für ihre bereits geborenen aber noch minderjährigen Kinder tun dürfen, sofern diese Kinder zum Zeitpunkt der Erprobungsphase bereits in ihrer körperlichen, geistigen oder seelischen Unversehrtheit beeinträchtigt sind. Jedes Verfahren, daß den vorzeitigen Tod auch nur eines Probanden herbeiführen kann, verstößt gegen die Bestimmungen eins, zwei und drei der zehn globalen Direktiven und ist daher absolut unzulässig." Sehr heftiges Nicken war die Antwort auf diese Ausführung Auroras.

"Die globale Direktive Nummer sechs besagt: Ein magischer Heiler ist gehalten, alles, was er oder sie von einem zu heilenden auf welche Art auch immer erfährt, für sich zu behalten. Die einzigen Ausnahmen hierfür sind Erkenntnisse über bevorstehende Straftaten oder Namen und Wohnorte von Kontaktpersonen des Patienten, die sich mit einer von diesem geäußerten Krankheit angesteckt haben oder von diesem mit bösartig bezauberten Gegenständen oder Giften versorgt wurden. Alle anderen Einzelheiten unterliegen der Schweigepflicht und dürfen nur an direkte Verwandte weitergegeben werden. Sollte die Erkrankung und Behandlung zum Gegenstand eines Gerichtsverfahrens werden, muß der Patient dem für ihn zuständigen Heiler schriftlich erlauben, die von ihm erfahrenen Dinge vorzutragen." Hier schaltete sich Professor Springs nun ein und fragte Aurora Dawn sehr herausfordernd:

"Heißt das, wenn jemand Ihnen verrät, er wisse, wer ihm nach dem Leben trachtet, müssen Sie das sofort weitergeben oder solange verschweigen, bis ein ordentliches Gericht zu diesem Fall einberufen wird?"

"Interessant", setzte Aurora an, um einige Bedenksekunden herauszuschinden. "Wenn jemand angegriffen wurde und erzählt mir das, so ist das ja schon eine begangene Straftat. Ich müßte es also verschweigen, da hier nur von bevorstehenden Straftaten gesprochen wird. Allerdings besteht die Gefahr, daß der Straftäter es erneut versuchen wird und bezeichnet damit eine mögliche, bevorstehende Straftat. Wenn mir also jemand erzählt, er sei von jemandem in Tötungsabsicht angegriffen worden, so muß ich den Namen des Täters weitermelden, auch wenn der Patient selbst darauf besteht, daß es keiner erfährt", sagte Aurora. "Das gilt ja auch für den Ort, wo sich jemand eine ansteckende Krankheit zugezogen hat. Selbst wenn dem Patienten peinlich sein sollte, mit dem Ort oder den Erkrankten in Beziehung zu stehen."

"Ah, Meisterin Herbregis hat Ihnen also einen konkreten Fall geschildert, wo dieser Verhaltenskonflikt erstmalig auftrat? Wie hieß denn der betreffende Patient und worin belief sich dieser Verhaltenskonflikt des Heilers?"

"Der Patient hieß Dorian Springs und war vor zwanzig Jahren in Behandlung bei Heilerin Morehead, weil er sich in hygienisch absolut unzureichenden Räumlichkeiten mit nicht magischen Prostituierten eingelassen hat, bei denen er sich mit mehreren beim Geschlechtsverkehr übertragenen Krankheitskeimen infiziert hat und Heilerin Morehead auf direkte Nachfrage Ort und Kontaktpersonen verriet. Da Mr. Springs zu diesem Zeitpunkt verheiratet war wollte er diesen Umstand nicht ruchbar werden lassen. Doch weil nicht nur er besagte Dienste an besagtem Ort in Anspruch nahm, sondern noch ein paar Freunde aus seiner Schulzeit, sah sich Heilerin Morehead gezwungen, dieses Verhalten als mögliche Epidemie anzusehen und meldete die ihr zugegangenen Einzelheiten weiter, worauf auch Mrs. Springs davon erfuhr, warum ihr Mann sich und sie mit einer für magische Verhältnisse leicht zu behandelnden Krankheit angesteckt hatte. Die Folge war eine rasche Beendigung des Eheverhältnisses, sowie der Verlust des Ansehens des Patienten und eine Schadensersatzklage sowohl vor dem Ehrengericht der Heilzunft, sowie dem bürgerlichen Gericht. In beiden Verfahren wurde Heilerin Morehead freigesprochen, da die belegbaren Umstände ihr völlig rechtgaben. Heilerin Moreheads Ansehen nahm dabei keinen Schaden, wie wir alle wissen."

"In kurzen Worten, Ms. Dawn: Sie würden jemanden, der schuldhaft zum Träger einer Krankheit geworden ist, mit der er oder sie andere infizieren kann, das Recht auf Vertraulichkeit verweigern?" Fragte Professor Springs sehr ernst. Aurora überlegte jedoch keine Sekunde:

"Ich setze auf die Vernunft des Patienten, und dessen Wunsch, denen, die ihm wichtig sind keinen Schaden zuzufügen. Sollte diese Vernunft oder Zuneigung nicht vorhanden sein gilt das Gebot der Schadensverhinderung oder -Eindämmung mehr als die Vertraulichkeit. Will sagen, die ersten drei Direktiven sind wichtiger als die sechste." Jetzt erst wurde ihr von allen Seiten zugenickt. Dann durfte sie mit der Erläuterung der verbleibenden vier Vorschriften fortfahren.

"Die siebente Direktive verlangt, daß alle Angehörigen der magischen Heilzunft nichts tun dürfen, was das Ansehen eines Kollegen gefährdet oder nachhaltig zerstört, sofern es nicht um das Wohl eines außenstehenden, mit Magie begabten Menschen geht. Ein Heiler darf also keine böswilligen Behauptungen über einen Kollegen verbreiten oder ihn in peinliche Situationen hineingeraten lassen. Wenn aber ein Mensch durch einen Fehler eines anderen Heilers gefährdet wird oder dauerhaft geschädigt ist, so haben alle anderen Heiler die Pflicht, das Vorgehen des betreffenden Kollegen zu prüfen und gegebenenfalls die Beurlaubung oder den Ausschluß des Kollegen anzustreben, wenn sich herausstellt, daß dieser nicht unaufmerksam, sondern grob fahrlässig oder gar gezielt zum Nachteil des Patienten gehandelt hat. Allerdings obliegt die Verfügung über Verbleib oder Ausschluß nur der Heilerzunft und keiner anderen Instanz der magischen Rechtsprechung."

"Na, die Frage wollte ich Ihnen an und für sich gestellt haben, wer das befindet. Aber danke für die umfassende Antwort!" Sagte Professor Springs lächelnd. meisterin Herbregis verzog das Gesicht und sah Aurora leicht tadelnd an. Hatte sie sich zu viel herausgenommen? Doch sie blieb ruhig, als sie die achte Direktive ausführte:

"Nummer Acht in der Rangfolge der globalen Direktiven der magischen Heilkunst lautet: Um anderen Menschen als gutes Vorbild zu dienen, muß sich ein Heiler stets untadelig betragen, auf seine oder ihre körperliche, geistige oder seelische Unversehrtheit achtgeben und durch ein ordentliches äußeres Erscheinungsbild von sich und den von ihm oder ihr benutzten Räumlichkeiten jeden Zweifel an der gepflegten Disziplin und Vertrauenswürdigkeit von vorne herein zu vermeiden."

"Was verstehen wir von der Heilzunft unter untadeligem Verhalten?" Fragte Vera Lawn, die einzige Hexe unter den drei Prüfern.

"Keine menschenverachtenden Verhaltensweisen, keine wie gering auch immer bewerteten Verstöße gegen die Bürgerrechte und das magische Strafrecht, sowie ein geordnetes Gesellschaftsleben. Will sagen, ich darf als Heilerin nicht in den Verruf geraten, ein unstetes Liebesleben zu führen oder gar die Ehepartner anderer Hexen und Zauberer zur geschlechtlichen Zweisamkeit mit mir zu verleiten. Auch wird es als tadelig angesehen, wenn eine Heilerin ohne Ehepartner ein Kind bekommt und aufziehen will. Zumindest gelten die vor vierhundert Jahren verfügten Anstandsregeln noch heute", erwähnte Aurora, was ihr selbst eigentlich als überholt und verklemmt vorkam, sie aber in dieser Situation nicht ohne Gefahr für ihre Ausbildung und Zulassung bemängeln durfte.

"Gesetzt den Fall, Sie lassen sich doch auf eine Liebesaffäre ein und vernachlässigen die Empfängnisverhütung. Welche Möglichkeiten haben Sie dann zur Auswahl?" Wollte Professor Springs wissen.

"Nun, das Kind werde ich dann auf jeden Fall zur Welt bringen müssen, weil das die ersten drei Direktiven eindeutig vorschreiben. Dann kann ich nur versuchen, den Kindsvater vor der Geburt zu heiraten oder um meinen Ausschluß aus der magischen Heilzunft bitten", erwiderte Aurora Dawn etwas verdrossen. Ihre Mentorin sah sie leicht tadelnd an. Professor Springs lächelte jedoch anerkennend und zwinkerte seiner Beisitzerin Lawn zu, die merkwürdigerweise an den Ohren rosa anlief. Er fragte dann noch:

"Wenn Sie jetzt keine Hexe sondern ein Zauberer wären, Ms. Dawn, wie würde sich diese Situation dann für Sie gestalten?"

"Wenn ich Vater eines unehelichen Kindes würde würde das meinen Ruf schädigen. Ich könnte dann wie als Hexe nur zwischen rechtzeitiger Eheschließung und Anerkennung des Kindes oder Ausschluß aus der Heilerzunft wählen, wobei einem Heilzauberer dann noch eine Schadensersatzklage der Heilerzunft und der angemessene Unterhalt von Mutter und Kind bis zur Volljährigkeit des Kindes auferlegt werden können", erwiderte Aurora. Die Prüfer und ihre Mentorin nickten. Dann durfte sie die letzten beiden Direktiven erläutern:

"Die neunte Direktive lautet: Ein Heiler oder eine Heilerin, der oder die nicht vor der Zulassung bereits verheiratet oder Elternteil mindestens eines Kindes ist, darf zwar eine Familie gründen, muß sich jedoch bei der Auswahl des Ehepartners einer Befragung der Vorgesetzten stellen und dem auserwählten Partner erläutern, daß die Zunft eine Überprüfung seines bisherigen Lebensweges und Lebenswandels vornehmen kann, wenn sie den Verdacht hegt, daß der auserwählte Partner oder die Partnerin dem vorbildlichen Verhalten des Heilers oder der Heilerin abträglich sein könnte, beispielsweise durch straffälliges Verhalten oder undisziplinierte Lebensweise unangenehm auffällt oder in einem Zeitraum von zehn Jahren aufgefallen ist. Die Zunft kann dann den weiteren Umgang gemäß Direktive vier untersagen. Will der betreffende Angehörige der Heilzunft dennoch genau mit dieser Person die Ehe eingehen und eine Familie gründen, so bleibt nur der Antrag auf Ausschluß aus der Heilerzunft, der bei einer Entsprechung die Rückerstattung aller während der Ausbildung angefallenen Kosten beinhaltet." Diesmal nickten alle Anwesenden nur, ohne Zwischenfrage.

"Die letzte Direktive der Medimagie lautet: Jeder heiler oder jede Heilerin ist dazu berechtigt, interessierten magischen Personen Unterricht in der Durchführung einfacher Hilfszauber und -Methoden zu erteilen. Bedingungen sind, daß die zu unterweisende Person die Unterweisung erbittet, beziehungsweise auf Anfrage eines Heilers, ob eine Unterweisung erwünscht ist mit Ja antwortet, der entsprechende Schüler bereits in der Ausbildung seiner magischen Fähigkeiten begriffen ist und sowohl was die zauberischen Fähigkeiten, aber auch den Charakter und die Disziplin angeht alles gelernte umsichtig anwendet und keinen Mißbrauch damit zu treiben trachtet. Allerdings ist der Ausbilder dann auch verpflichtet, dem Schüler am Ende der Unterweisungen eine Prüfung auf dessen erworbene Kenntnisse abzuverlangen und ihn gegebenenfalls als Ersthelfer für den an seinem Wohn- oder Studienort ansässigen Heiler zu empfehlen. Im Falle unliebsamer Verhaltensauffälligkeiten des Ersthelfers kann dessen Ausbilder oder Ausbilderin vor der Heilerzunft zur Verantwortung gezogen werden. Dem ausgebildeten Ersthelfer droht jedoch keine Verfolgung durch die Heilerzunft. Seine Taten unterliegen nur der bürgerlichen oder strafrechtlichen Gerichtsbarkeit, sofern es bei den unliebsamen Auffälligkeiten nicht um reine gesellschaftliche Vorfälle geht, die wohl moralisch, aber nicht strafrechtlich zu verurteilen sein mögen. Somit muß jeder Heiler, der befindet, einem magisch begabten Interessenten die einfachen Anwendungsformen seiner Kunst zu vermitteln, sehr genau darauf achten, wen er zu unterweisen wünscht und dem Ersthelfer auch einen vernünftigen Verhaltensrahmen aufzeigen, in dem er sich nach erfolgreicher Ausbildung bewegen kann."

"Wissen Sie, wie viele Ersthelfer es unter den Schülerinnen und Schülern von Redrock oder Hogwarts gibt?" Fragte Professor Springs.

"Darüber weiß ich leider nichts, Herr Direktor Springs", gab Aurora zu. Wenn das ihr ein paar Punkte in der Prüfung kostete, dann sollte es eben so sein.

"Gut, das sind die zehn Direktiven. Über einige Ausnahmen und Auslegungen haben wir ja gerade schon etwas gehört. Aber jetzt möchten wir von Ihnen noch Fälle hören, wo die Einhaltung oder Mißachtung dieser Richtlinien besonders deutlich erkennbar wurden", sagte Vitus Springs und warf Aurora einige Namen von Fällen vor, über die sie kurz und sachlich berichten sollte. Dann war die angesetzte Prüfungszeit auch schon vorbei, und die drei Prüfer zogen sich zur Beratung zurück.

"Ich habe eben nur so ungehalten geguckt, als du unserem gemeinsamen Vorgesetzten eine Frage vorwegbeantwortet hast, weil ich wußte, daß er gerne auf die Auslegbarkeit der Direktiven eingehen möchte und dabei gerne die Oberhand behalten möchte. Aber die Voraberläuterung wird dir wohl keine Punktabzüge eintragen", sagte Meisterin Herbregis. Dann lächelte sie Aurora an. "Du hast das sehr gut und vor allem sehr ruhig gemacht. Der Eindruck bei einer Prüfung zählt auch, wie gut man sich fühlt, wie gefaßt man mögliche Fehler hinnimmt und so weiter, Aurora. Wenn du diese Ruhe und Beharrlichkeit beibehalten und sogar verbessern kannst wirst du jede ab nun anstehende Prüfung bewältigen, unabhängig davon, ob du sie erfolgreich bestehst oder in die Wiederholung gehen mußt."

"Diese Direktiven auswendig zu lernen ist anstrengender als das Studium von Zauberpflanzen oder Fluchabwehr", sagte Aurora.

"Ja, aber diese zehn Richtlinien sind das geistige und ethische Gerüst unseres Berufsstandes, Aurora. Dabei ist es nicht nur wichtig, zu wissen, was geschrieben steht, sondern es zu verstehen und darüber nachdenken zu können. Denn wie ja gerade besprochen wurde kann es zu Situationen kommen, wo das Klammern an die Buchstaben der Richtlinien mehr schadet als nützt. Daher müssen sämtliche Möglichkeiten bekannt und durchdacht sein, innerhalb dieser Richtlinien frei handeln zu können. Einzuhalten sind alle, das ist richtig. Aber die Wege dies zu tun sind oftmals schwierig. Wir sind immer noch Menschen, die mit anderen Menschen wechselwirken, keine mechanischen Gerätschaften oder gar Golems, die nur das tun können, was ihnen eingearbeitet oder befohlen wird. Das zu verstehen und trotzdem im Sinne dieser Richtlinien zu handeln ist Ziel dieser heutigen jahresendprüfung. Wer hier merkt, daß er oder sie Probleme damit hat, diese zehn grundlegenden Vorschriften richtig zu beachten, der oder die kann mit großer Sicherheit davon ausgehen, daß die magische Heilkunst nicht zu seinem oder ihrem Beruf erwachsen wird."

"Sie meinen also, Meisterin Herbregis, daß die Richtlinien nur dann wirklich umsetzbar sind, wenn eindeutige Situationen da sind?" Fragte Aurora.

"Eindeutig im Sinne des Textes oder im Sinne deiner persönlichen Wahrnehmung?"

"Öhm, beides vielleicht?" Fragte Aurora zurück.

"Situationen, die im Sinne des Textes klar sind gibt es weniger als solche, die durch deine Erfahrung und Einfühlung erkannt werden. Aber sie bilden den Rahmen, in dem du dich bewegen kannst. Dabei gilt die hierarchische Abfolge. Also ganz oben steht der Schutz und die Erhaltung menschlichen Lebens. Alles andere hat sich diesem Grundsatz unterzuordnen", erwiderte Meisterin Herbregis und deutete an, daß Aurora das besser in ihr Lerntagebuch schreiben möge, daß sie die Regeln kennen und verstehen müsse, aber trotzdem im großen und ganzen immer noch auf sich selbst gestellt sei. Das schrieb Aurora auch sofort in ihr Lerntagebuch, als Meisterin Herbregis es ihr gab. Denn während der Prüfungen durften die Adepten keine Notizbücher oder ähnliches bei sich haben. als dann die drei Prüfer die Ausbilderin und die Schülerin hereinbaten, um das Ergebnis zu verkünden, ließ Aurora es sich nicht anmerken, daß sie doch etwas nervöser war.

"Hundert von hundert", knallte ihr Professor Springs ansatzlos hin und lächelte. "Ihre Ausbilderin hat es wohl schon angedeutet, aber ich sage es mal offiziell, daß Sie heute die wichtigste Prüfung ihrer Ausbildung zur Heilerin bestanden haben. Denn die Zulassung zum Heilberuf ist erst möglich, wenn Sie genau wissen, woran Sie sich halten müssen. Herzlichen Glückwunsch!"

"Vielen Dank, Herr Direktor Springs", erwiderte Aurora sehr erfreut und ehrerbietig. "Ich hoffe, ich kann auch allen anderen Anforderungen gerecht werden."

"Das liegt größtenteils an Ihrer Motivation und Arbeitsbereitschaft, Ms. Dawn", erwiderte der Leiter der Klinik. "Aber im Moment besteht wohl meinerseits kein Grund zur Besorgnis. Seine Kollegin Herbregis sah ihn sehr entschlossen an und sagte:

"Ich werde dafür Sorge tragen, daß Sie auch keinen Grund bekommen werden, Herr Direktor." Dann blickte sie ihre Adeptin an und sprach: "Jetzt weißt du ja, daß jede Nachlässigkeit oder unbegründbare Verringerung deiner Leistungen nicht besonders geschätzt werden wird." Aurora nickte nur. Das war deutlich genug. Sie mußte da keine gesprochene Antwort mehr drauf geben.

"Nun, dann wünschen wir Ihnen noch einen Erfolgreichen Abschluß der Jahresendprüfungen, damit wir Sie im zweiten Ausbildungsjahr begrüßen dürfen", sagte Vitus Springs noch und erhielt ein beipflichtendes Nicken seiner zwei Prüfungsbeisitzer. Dann war Aurora Dawn aus dieser theoretischen Prüfung entlassen.

Am Nachmittag stand Zauberkunst für Experten auf dem Prüfungsplan. Aurora führte den drei Prüfern, die wohl alle zu den Großmeistern nicht am Patienten direkt auszuführender Zauberkunst gehörten vor, was sie schon in Hogwarts und im harten Training bei ihrer Mentorin erlernt hatte. Sie diskutierte die Gesetzmäßigkeiten bei Objektbezauberungen ebenso wie die Wechselwirkung zwischen den Elementarkräften, zauberte simultan auf sechs verschiedenen Ebenen der Zauberkunst und vollführte sogar einen vollendeten Mansiordinifactus-Zauber, der einen verschlossenen Raum säubern und die darin vorhandenen Gegenstände ordentlich zusammenstellen konnte. Sie dankte im Geist ihrer Oma Regan, daß diese ihr diesen so wichtigen Haushaltszauber beigebracht hatte, den wahrlich nur eine sehr gut vorgebildete Hexe ausführen konnte.

"Gut, daß Sie starke Zauber vollbringen können wissen wir nun", sagte Meister Goldfire sehr begeistert lächelnd und blickte mit seinen wasserblauen Augen von Aurora Dawn zu ihrer Mentorin und zurück. "Dann kommen wir noch einmal auf die theoretischen Grundlagen. Nennen Sie uns bitte Beispiele für additive und komplementäre Zauber, Ms. Dawn!"

"Additive Zauber sind solche, die sich gegenseitig verstärken oder miteinander eine Wirkung erzielen, die durch keinen einzelnen Zauber hervorgerufen werden kann", setzte Aurora an, um ihre Gedanken ordnen zu können. "Komplementäre Zauber sind solche, die bereits wirksame Magie schwächen, aufheben oder umkehren. Als Beispiel für die erste Wechselwirkungsweise kann der Gewichtsverringerungszauber Centigravitus in Kombination mit dem Propulsus-Zauber gesehen werden, wie er beim Transport schwerer Gegenstände über Land zum Einsatz kommt. Ebenso kann ein Feuerzauber durch einen Lichtzauber verstärkt oder durch einen Rectificus-Elementum-Zauber von einem Flächenzauber zu einem gerichteten, aber in große Entfernung aussendbaren Zauber verändert werden. Hingegen Können Verharrungszauber laufende Bewegungszauber aufheben und neuerliche unterbinden oder einem magisch manipuliertem Element entgegengesetzte Elementarzauber gewirkt werden, zum Beispiel statt eines Brandlöschzaubers ein Wasserstrahl oder statt eines Luftberuhigungszaubers ein magischer Windschirm der mit Creato Paraventum errichtet wird und nebenbei auch als Sichtschutz verwendet werden kann. Auch schreibt Leroy McDougall, daß bei Bewegungszaubern die entsprechende Gegenbewegung erzeugt werden kann, wenn eine vollständige Bewegungshemmung auf Grund der Pinkenbach-Regeln und des Raumwiderstandes nicht möglich ist."

"Sie sagten, bei den Additivzaubern könnten Effekte auftreten, die durch keinen Einzelzauber hervorgerufen werden können, Ms. Dawn. Gilt das auch für Komplementärzauber?" Wollte Meister Goldfire wissen.

"Es kann zu starken Nebenwirkungen kommen, wenn zwei gegeneinander wirkende Zauber von einem dritten Zauber durchdrungen werden, beispielsweise wenn jemand ein Feuer durch einen Wasserstrahl löschen will, aber die Feuerquelle magischen Ursprungs ist. Dabei entsteht Wasserdampf, der nicht verweht. Versucht man nun, diesen Nebel niederzuschlagen, kommt es zur vollständigen Eisbildung, weil der Kondensierzauber mit dem Wasserstrahl zusammen eine additive Verbindung eingeht und den Feuerwall oder Feuerring mehr als nötig überlagert. Dann kommt es zu einer Vollumkehrung der ersten wirksamen Magie, also dem Feuerzauber. Daher ist Recalmata Elementa unter Berücksichtigung des magischen Raumwiderstandes und der Ausgangsstärke der beste Weg, Zauberfeuer zu löschen."

"Dann nennen Sie uns bitte die Wirkungsweise verschiedener Kombinationen von Zaubern, die wir Ihnen nun vorgeben und führen Sie einige davon aus!" Verlangte Goldfire und nannte zwei oder drei Zauber, die Aurora den Wirkungsweisen Additiv oder Komplementär zuordnen mußte, wobei bei einigen Kombinationen sowohl als auch möglich war. Auch sollte sie die Begleiteffekte benennen, wenn zum Beispiel ein Gewichtsverringerungs- und ein Schwebezauber überlagert wurden, was nicht, wie eigentlich zu vermuten war, einen verstärkten Schwebezauber ermöglichte, sondern eine vielfache Beharrung des Objektes am Boden zur Folge hatte. Zur Begründung erwähnte Aurora, daß der Centigravitus-Zauber die Bindung an die Schwerkraft verringerte, während der Schwebezauber die Schwerkraftwirkung am Objekt umkehrte, was dann zu einer Umkehrung der Verringerung also einer Verstärkung der Schwerkraftbindung des Objektes führte. Da die Prüfer auch wußten, daß Aurora in ihrer Schulzeit Quidditch gespielt hatte wurde sie noch nach den vier Standardzaubern zur Herstellung von Flugbesen befragt. Warum es dann möglich war, ein federleicht gezaubertes Gepäckstück an einem Besen mitzunehmen, obwohl einer der Zauber ein Schwebezauber war begründete Aurora damit, daß dieser Schwebezauber ganz genau nur den Besen durchdringe und nicht auf daran hängende Gegenstände oder darauf sitzende Reiter übergreife, weil ja sonst auch der Reiter wie schwerelos über dem Besen schweben würde. Hierbei sei das Geschick des Besenbauers sehr entscheidend, die Flug- und Bremszauber so miteinander zu verknüpfen, daß sie nur den Besen und nichts anderes betrafen. Dann war es bedeutungslos, ob ein Gepäckstück mit dem Centigravitus-Zauber erleichtert worden war oder nicht. Denn dieser wirkte von vorne herein nur auf das Objekt, das mit dem Zauberstab berührt wurde.

"Nun, wir unterhalten in der Klinik auch eine Abteilung zur Behandlung von Besenflug-Unfallopfern. Bei älteren Besen kommt es zuweilen vor, daß die Fluggeräte unregelmäßig stark beschleunigen oder unvermittelt steigen oder stürzen. Auch ist es häufiger vorgekommen, daß Besenreiter von ihrem Fluggerät abgeworfen wurden, weil der objektgebundene Flugzauber doch eine Streuung gezeigt hat und den Zauberer oder die Hexe mal eben von dem Besen davongetrieben hat. Deshalb war mir das schon wichtig, daß Sie, wo Sie selbst dem rasanten Besensport zugetan sind, wissen, welche Gefahrenquellen es geben kann", sagte Meister Goldfire. Aurora nickte. Dann durfte sie im Zusammenhang mit wechselwirkenden Zaubern noch Erhärtungs- und Aufweichungszauber vorführen und Oberflächenänderungszauber anwenden, die aus einer glatten eine rauhe Oberfläche machten oder rauhe Oberflächen zu spiegelglatten Oberflächen umwandelten, Wassertropfen von der Größe eines Männerkopfes zaubern oder bereits so manipulierte Wassertropfen zu normalem Wasser zerlaufen zu lassen. Sie mußte Polsterungs- und Panzerungszauber vorführen und Abprellzauber gegen sie bedrängende Wurfgeschosse anwenden. Dann war die Prüfung auch schon vorbei. Als sie von den drei Prüfern wieder hereingebeten wurde erfuhr sie, daß sie neunzig der hundert erreichbaren Punkte errungen hatte. Die zehn fehlenden begründeten die Prüfer damit, daß Aurora bei der Auflistung wechselwirkender zauber nicht bei jeder Kombination alle bekannten Nebenwirkungen parat gehabt hatte. Meisterin Herbregis sagte ihr nach der Verkündung, daß das typisch für Goldfire und die beiden Beisitzer sei, die sich kaum, daß sie die Aprobation hatten nur noch in begleitender Zauberkunst ausgezeichnet hätten und nur in der Abteilung zur Behandlung von Unfällen mit magischen Gegenständen arbeiteten.

"Ich habe dich wirrklich gut in diese Prüfung hineingeführt, Aurora. Die zehn Punkte, die dir zum Höchststand fehlen sind von untergeordnetem Rang, wenn du die Grundlagen beherrschst und wahrlich mächtige Zauber vorgeführt hast. Ich habe leider schon etliche Erstjährige gesehen, die den Mansiordinifactus-Zauber nicht hinbekommen konnten, egal ob es Hexen oder Zauberer waren. In vielen Fällen brauchst du ihn als Heilerin auch nicht, weil unter Umständen der Zustand eines Raumes oder Hauses für Ermittlungen wichtig ist und nicht verändert werden darf. Ich bin also doch sehr zufrieden mit dir, auch wenn du meinst, nur wer die volle Punktzahl erwirbt fände mein Wohlwollen. Ich sagte dir ja, daß ich nur dann ungehalten werde, wenn du unterhalb der oberen zwei Fünftel abschneiden würdest, wovon ich im Moment nicht ausgehen möchte."

"Sind die drei Prüfer die absoluten Experten in begleitender Zauberkunst?" Fragte Aurora ihre Lehrmeisterin.

"Eindeutig", erwiderte Meisterin Herbregis etwas verdrossen klingend. "Bei anderen hättest du allein durch die praktischen Vorführungen schon neunzig Punkte erworben, ohne die Grundlagen herleiten zu müssen. Du siehst also, daß es auch auf die Kenntnisse und Schwerpunkte der Prüfer ankommt, wie viele Punkte sie dir für eine Prüfung zuerkennen möchten." Aurora verstand, daß es trotz der Standardrichtlinien für die einzelnen Prüfungen doch noch Spielräume für die Prüfer gab, wem sie wie viele Punkte gaben oder nicht. Ob das immer objektiv war mochte sie nicht unbedingt behaupten. Womöglich wollte ihre Mentorin ihr damit sagen, daß sie grundsätzlich alles so gründlich wie es ging lernen und einüben sollte, um mehr als den Standard zu erfüllen, damit die Prüfer keinen so großen Spielraum besaßen und ihr möglichst viele Punkte zuerkennen mußten. Das kannte sie ja schon von ihrer Lehrmeisterin, daß diese ihr immer viel mehr als den Standard abverlangte. Daran würde sich wohl auch in den kommenden zwei Ausbildungsjahren nichts ändern.

Tom und Berthold hatten in dieser Prüfung die volle Punktzahl erworben, auch wenn sie nicht den Aufräumzauber zeigen oder mehrere Kombinationen von Zaubern zuordnen mußten. Toms Prüfer setzten auf Können und Flexibilität, während Bertholds Prüfer auf praktische Verwendung ausgegangen waren. Aurora erwähnte ihre Prüfung. Tom verzog das Gesicht.

"Goldfire ist ein Fachidiot, Aurora. Von dem hat Meister Morningdew mir schon genug erzählt, daß der zwar hundert Bälle gleichzeitig fliegen lassen kann, aber bei einfachen Heilzaubern immer etwas länger bräuche und deshalb lieber in der Artefakt-Anomalie-Abteilung hocken würde, während andere auch mal in den Notdienst reingingen. Bei dem neunzig in seinem Lieblingsfach abzuräumen hätte dir bei meiner Prüferin wohl schon hundertfünfzig Punkte gesichert."

"Hat Meisterin Herbregis auch gesagt", erwiderte Aurora und blickte sich verstohlen um, wo ihre Mentorin steckte. Doch diese sprach offenbar mit ihren Kollegen, die gerade keinen Auszubildenden betreuen mußten. Denn immerhin war sie trotz ihrer Lehrtätigkeit noch aktive Heilerin in der Sana-Novodies-Klinik. Sie wußte auch, daß sie als "Springs Thronerbin" gehandelt wurde, wenn dieser in zwei Jahren in den Ruhestand gehen wollte. Zwar gab es noch einige andere Kandidaten. Doch sie war die aussichtsreichste. Das konnte sie jedoch nur bleiben, wenn sie immer wieder im üblichen Betrieb mitarbeitete.

Ireen Barnickle war mit achtzig Punkten aus der Zauberkunstprüfung gekommen. Monica Riddley hingegen hatte hier nur sechzig Punkte errungen, weil sie offenbar in einigen Prüfungsabschnitten nicht gründlich genug gearbeitet hatte, wofür sie sich von ihrer Mentorin Brigid Springwood noch einiges anhören mußte.

"Morgen dürfen wir Mausoffanten oder Rabenhamster machen", freute sich Tom auf die morgen anstehenden Verwandlungsprüfungen. Aurora erwähnte, daß einer ihrer Klassenkameraden einmal eine unbeabsichtigte Kreuzung zwischen Maus und Biber hervorgebracht hatte. Tom lachte. Berthold fragte, was so ein Wesen dann alles anstellen könnte.

"Dumbledore hätte dieses Tier wohl für die schuleigene Menagerie behalten", sagte er. "Der gab ja mal Verwandlung in eurer Gespensterburg."

"Ja, aber Professor McGonagall meinte, es gebe schon genug magisches Ungeziefer und hat die verunglückte Verwandlung rückgängig gemacht", wandte Aurora ein.

"Spaßbremse", knurrte Berthold. "Ich hörte was davon, daß die ziemlich essigmäßig drauf ist. Wahrscheinlich 'ne Krankheit alter Jungfern."

"Ey, das kannst du so nicht behaupten", warf Aurora ein, die fand, ihre frühere Verwandlungslehrerin verteidigen zu müssen. "Abgesehen davon weiß ich nicht und du dann erst recht nicht, ob sie nicht doch mal verheiratet oder mit wem zusammen war."

"Steht doch im "Wer ist wer in der englischsprachigen Zaubererwelt", Aurora", sagte Tom McCloud. "Daß sie da nun seit achtundzwanzig Jahren in Hogwarts arbeitet und bis zu diesem Zeitpunkt unverheiratet und kinderlos war. Ob die vorher 'nen Freund hatte steht da nicht drin."

"Was ja wohl auch ihre Privatsache ist", grummelte Aurora Dawn, worauf die beiden Jungen sie spöttisch angrinsten und Ireen Barnickle ihr zustimmend zunickte. Ireen war es auch die dann sagte:

"Klar, daß ihr Burschen meint, ohne Ehefrau oder Freundin größer rauszukommen, während 'ne Hexe, die nie mit wem zusammen gesehen wird gleich ungenießbar und armselig ist. Aber vielleicht fand sie nur, daß kein Zauberer oder Muggel der Welt das wert war, der Vater ihrer Kinder sein zu dürfen. Außerdem stimmt es schon, daß es genug magisches Ungeziefer gibt, weil jemand mal besonders quirlige Feen machen wollte und stattdessen Doxys hervorgebracht hat, weil Feen an sich schon eine hohe PTR haben und die Doxy-Wandlung nicht mehr umzukehren war."

"Ja, und aus drei Schlangen wurde ein Runespor und so weiter", brummelte Tom verächtlich. "Steht alles in "Entstehungsgeschichte der magischen Tierwesen" und "Zucht durch Zauberhand" drin, Ireen. Erzähl mir also bitte nichts, was ich nicht längst weiß!"

"Und was den Krempel mit der McGonagall angeht, Mädels, so können wir doch nix dafür, daß ein Zauberer als Junggeselle mehr Möglichkeiten hat als eine unverheiratete Hexe."

"Wo steht das bitte?" Fragte Aurora Dawn, die das irgendwie persönlich nahm.

"Brauchst dich doch nur umzugucken, Aurora. Wenn du nicht gerade an der Moralkette einer Heilerin dranhängst, wie du und die beiden anderen das ja mitgekriegt habt, ist eine Hexe ohne Ehemann und Kinder doch nur als Lehrerin oder Anstandshexe zu gebrauchen. Selbst Latona Rockridge findet es praktisch, daß sie verheiratet ist, vor allem, wenn sie demnächst als Zaubereiministerin wichtige Empfänge zu geben hat. Für eine Hexe ist eine eigene Familie wichtiger als für einen Zauberer."

"Oh, da hast du wohl was nicht richtig mitbekommen", mischte sich nun Monica Riddley ein, die bis dahin über ihre sechzig Punkte und den Anpfiff ihrer Mentorin geschmollt hatte. "Die meisten Zauberer suchen sich ziemlich hektisch 'ne Partnerin aus, wenn sie in der Öffentlichkeit was hermachen wollen, weil sie sonst für eigensinnige, vielleicht den dunklen Künsten zugetane Typen gehalten werden. Oder hast du mal einen Zaubereiminister erlebt, der nicht mit einer braven Ehefrau aufgetrumpft hat."

"Tja, aber Auroras früherer Zuchtmeister Dumbledore ist ohne 'ne Hexe an der Seite oder am Umhangzipfel klebender Bälger richtig groß rausgekommen", beharrte Tom auf seiner These.

"Tja, weil der schon immer ein Streber war, keine Ahnung von Frauen hatte oder Angst vor vollen Windeln oder plärrenden Babys hatte und dann irgendwann zu alt wurde, um noch für eine Hexe interessant zu sein", wandte Monica ein. "Im Grunde ist der ja auch nie so richtig aus Hogwarts rausgekommen, soweit in dem Buch steht, von dem ihr es hattet. So ähnlich ist ja auch Severus Snape gestrickt, der bei denen in England jetzt Zaubertränke unterrichtet. Der wollte auch nix von Mädels wissen, soweit ich weiß."

"Oh, Monica, das habe ich besser mitbekommen als du", sprang nun Aurora wieder in die Unterhaltung ein. "Ich habe es mitgekriegt, daß genug hinter dem hergelaufen sind. Das stimmt schon, daß der keiner richtig nachgesehen hat. Aber ob das heißt, daß der sich für keine interessiert hat weiß ich nicht. Und du weißt das dann erst recht nicht."

"Ey, willst du dich jetzt mit mir anlegen, Aurora Dawn?" Schnarrte Monica. "natürlich weiß ich, daß du in dem Laden warst, als Snape da noch schüler war und du den auch schon als Lehrer mitgekriegt hast. Aber so giftig mußt du mir dann echt nicht kommen. Oder warst du an dem interessiert?"

"Nur in meinen Alpträumen", knurrte Aurora verächtlich. "Alle sind sich sicher, daß der Typ mit Ihr-wißt-schon-wem zusammengehangen hat. Angeblich hat Dumbledore für ihn ein gutes Wort eingelegt, damit sie ihn nicht nach Askaban schicken. Also lass mich bloß mit dem Hakennaserich in Ruhe. Besser, du kannst den haben, wenn er dir gefällt."

"Ich nehm doch keinen englischen zauberer, vor allem wenn ich nicht weiß, ob der reinblütig ist", knurrte Monica. Tom und Berthold grinsten, während Ireen verdrossen dreinschaute. Aurora sagte dann, daß Snape in Slytherin gewesen sei, was ja für die Shadelakers wohl ausreichen würde, die Reinblütigkeit eines Zauberers anzuerkennen.

"Echt?" Fragte Monica. "Da habe ich aber gehört, daß da auch Halbblüter und ...."

"Pass bloß auf!" Unterbrach Tom Monica, die wohl gerade "Schlammblüter" sagen wollte. Sie funkelte ihn nur gehässig an und beendete ihren Satz dann damit, daß was immer in Hogwarts die Leute in ihre Häuser einteilte wohl nicht nach der Reinheit des Blutes ging, weil ja sonst alle muggelstämmigen Leute nach Hufflepuff geschickt werden müßten. Aurora sah Ireen an, die ihr zumentiloquierte, sich nicht aufzuregen. Tom sagte dann belustigt:

"Ach, war Slytherin nicht das Haus für inzüchtige Nixkönner und Muggelstämmige?"

"Slytherin war ein ehrenwerter zauberer, der stets auf geistige Größe und Blutsreinheit geachtet hat, du Troll. Der war Shadelakes Urahn, damit du es nur weißt."

"Was nicht wirklich für den Typen spricht", warf Berthold unverhohlen verächtlich ein. "Aber das kriegt ihr aus eurem Geschwisterverheiratungspferch ja eh nie rein, daß Shadelake ein mieser Schweinehund war."

"Pass bloß auf, daß du alle Prüfungen der nächsten Jahre bestehst und nicht vorher aus der Ausbildung gefeuert wirst", schnarrte Monica. "Denn falls doch, wirst du besser nie krank. Das könnte dann eine sehr kurze Krankheit werden."

"Pass besser du darauf auf, was du hier von dir gibst", knurrte Berthold sehr entschlossen zurück. "Denn du hast mir gerade gedroht, und das darfst du gemäß den zehn Direktiven nicht machen, wenn du eine Heilerin sein willst. Aber ihr Shadelaker lernt es ja wie erwähnt nie, das Maul zu halten und andere ihr Leben leben zu lassen."

"So, die Herrschaften, das sollte reichen", stieß nun eine magisch verstärkte Frauenstimme in die immer stärker aufgeladene Stimmung hinein, und Brigid Springwood trat zu ihnen hin. Mit normaler Stimme fragte sie dann sehr streng klingend: "Worum geht dieser Streit und wer hat angefangen?"

"Wir streiten uns nicht, Meisterin Springwood. Wir diskutieren nur die Vorzüge von Familien oder Karriere", wandte Monica ein. Doch ihre Mentorin sah sie sehr durchdringend an. Aurora war sich sicher, daß die Heilerin ihre Schülerin legilimentisch ausforschte, wie es Meisterin Herbregis auch mal mit ihr gemacht hatte, um ihr das Gefühl dafür zu vermitteln, wie es sein würde, wenn ein böswilliger Zauberer das mit ihr anstellte und wie wichtig es deshalb sei, demnächst die Okklumentik zu erlernen. Dann sagte Brigid Springwood:

"Habe ich dir nicht gleich ganz am Anfang unserer gemeinsamen Unterweisungsstunden eingeschärft, daß wir hier keine alten Hausrivalitäten dulden und auch keine Abfälligkeiten gegenüber nicht nur mit durchgängigen Zaubererstammbäumen bedachten Hexen und Zauberern wünschen? Wenn du nicht vor Ablauf dieser Prüfungen diese Einsicht gewinnst, daß alle gleich gut zu behandeln sind, können wir beide das gerne Direktor Springs und Zunftmeisterin Morehead mitteilen, daß du zur Ausübung der magischen Heilkunst nicht die notwendigen Grundlagen mitbringst. Dann dürfen deine Eltern dir gerne die Summe der bisher angefallenen Ausbildungskosten geben, um den Aufwand zu entgelten, den wir uns mit dir bisher gemacht haben. Und ihr Burschen braucht nicht so abfällig zu grinsen! Sonst könnte ich euren Mentoren die gleiche Empfehlung machen." Tom und Berthold stellten sofort das Grinsen ein. Dann zog sich Brigid Springwood mit ihrer Adeptin zurück.

"War mir nie so recht klar, daß die eine Shadelakerin in diese edle Zunft reinlassen wollen", schnaubte Tom McCloud, als die beiden Hexen weit genug fort waren. Aurora deutete auf Brigid Springwood und fragte Ireen, Tom und Berthold, wie die das so schnell mitbekommen hatte, daß hier dicke Luft war.

"Die kriegt das irgendwie mit", sagte Tom. "Aber Meister Morningdew hat mal zwischen den Zeilen durchschimmern lassen, daß Meisterin Springwood eine Gefühlshorcherin ist, die mitkriegt, wie sich jemand gerade fühlt, auch wenn er oder sie es nicht offen zeigt. So leute sind ziemlich selten, so wie Metamorphmagi oder Muggelstämmige, die in beiden Ahnenlinien weit zurückliegend Zauberer oder Hexen drinhaben und dann selbst supertoll zaubern können. Bei den Franzen läuft eine Hexe rum, die keine Legilimentik anwenden muß. Die kann worthafte Gedanken von anderen hören, wenn sie in deren Nähe ist oder denen genau in die Augen sieht."

"Habe ich auch von gehört", sagte Aurora. "die unterrichtet Zaubertränke in Beauxbatons."

"Ups, die armen Schüler da. Die Schule soll ja eh schon ziemlich straff sein. Aber wenn da noch eine rumläuft, die wie mit den Ohren unausgesprochene Lügen mithören kann ist Schummeln und Verheimlichen ja so gut wie unmöglich", stöhnte Berthold.

"Dann ist ja gut, daß du bei uns in Redrock warst", wandte Tom grinsend ein. Berthold erkannte, was er da angedeutet hatte und fügte schnell hinzu:

"Ich hatte das nicht nötig, zu beschubsen oder was unter dem Teppich zu halten, damit das mal klar ist."

"Neh ist klar!" Erwiderte Tom verhalten grinsend.

So wurde es noch ein aufgelockerter Abend für Aurora, Ireen und die beiden Jungen. Monica hielt sich nun hübsch weit von ihnen entfernt. Die klare Warnung ihrer Mentorin wirkte offenbar sehr gut, oder sie überlegte es sich, ob sie nicht wirklich die Galleonen ausgeben sollte, um sich aus der Ausbildung freizustrampeln und da zu arbeiten, wo ihre Einstellung zu Hexen und Zauberern nicht vorgeschrieben wurde. Aurora hingegen empfand den bisherigen Verlauf der Prüfungen als sehr klare Aufforderung, weiterzumachen und die Ausbildung hier in Australien, dem land unten drunter, durchzustehen und die Zulassung als Heilerin zu erreichen.

__________

Die Verwandlungsprüfung war anstrengend verlaufen. Aurora hatte mehrere halbwegs verlaufene Verwandlungen umkehren, eigene Verwandlungen in sehr kurzer Abfolge inklusive mehrerer Selbstverwandlungen durchführen, und dann noch mehrere Simultanverwandlungen hinbekommen müssen. Immerhin kam sie mit 99 Punkten aus der Prüfung heraus. Die folgende Prüfung über gewöhnliche Heilkräuter bestand sie wieder mit 100 Punkten. Dann kamen noch die Alchemieprüfungen in Theorie und Praxis. Sie mußte sowohl die Geschichte der Zaubertrankbraukunst beherrschen als auch mögliche Auswirkungen von Zutaten vorhersagen, ohne sie in einem bestimmten Zaubertrank verrührt zu haben. Als sie dann noch einen in drei Kesseln parallel zu brauenden Kombinationstrank zur erhöhung der Tagesausdauer besser als im Lehrbuch beschrieben hinbekam waren ihr auch hier je 100 Punkte sicher. Die Prüfung zur Flucherkennung und Bekämpfung schaffte sie zwar auch mit der maximalen Punktzahl, schwitzte dabei aber nicht schlecht, weil sie fast in einen Compositus-Fluch hineingeraten wäre und gerade rechtzeitig die tödliche Falle erkannte und entschärfte. Dann kam noch die Geschichte der Heilkunst, sowie eine Sportübung zur Erkundung ihrer Ausdauer, Gewandtheit und Geschicklichkeit, wo sich Meisterin Herbregis' hartes Training bezahlt machte, und Aurora zumindest mit achtzig von hundert Punkten sehr gut dabei war. Dann war der Prüfungsparcours beendet. Einen Tag später teilte Direktor Springs den angehenden Heilern ihre Gesamtpunktzahlen mit. Jill Trylief erhielt mit 1000 Punkten die bestmögliche Punktzahl und damit die goldene Plakette der am besten ausgebildeten Heilerin, mit der sie nun den feierlichen Eid der magischen Heilzunft schwören und in das praktische Jahr eintreten durfte. Ihre Kameradin Daisy bekam die silberne Plakette. Von den Erstjährigen räumte Berthold Woodman die Bestnote mit 975 Punkten ab. Dann kam schon Aurora Dawn mit 949, gefolgt von Tom McCloud mit 900 punkten. Monica Riddley schaffte immerhin noch 880 Punkte, während Ireen mit 860 Punkten zwar nicht schlecht aber doch als schlechteste ihres Jahrgangs hervorging. Zumindest hatten alle Adepten das erste Jahr hinter sich und konnten ohne Wiederholungsprüfung in die verdienten Ferien gehen. Monica wurde zwar gefragt, wo sie sich so sehr über die Zauberkunstprüfung aufgeregt hatte, ob sie die Nachholprüfung machen sollte, verzichtete jedoch darauf. Auch Tom verzichtete darauf, die Kräuterkundeprüfung zu wiederholen, da er ja am Ende der Gesamtausbildung nicht mehr nach den Erstjahresergebnissen gefragt würde und er ja doch noch den dritten Platz in der Rangliste errungen hatte. Sicher, er hätte bei der Wiederholung vielleicht Aurora überholen können, doch dafür noch eine Woche länger in der Klinik zu bleiben hatte er dann doch nicht vor.

"Dann flohpulverst du dich morgen nach England?" Fragte Ireen Aurora, als sie nach einer kurzen, nicht zu sehr ausgelassenen Feier in den Schlaftrakt für Adeptinnen hinübergingen.

"Ich habe es meinen Eltern schon geschrieben, daß ich morgen Mittag, wenn es bei denen noch abend ist, mit Flohpulver hereinrauschen werde. Ich hoffe, die freuen sich richtig, daß ich das erste Jahr geschafft habe."

"Meine Eltern werden sich wohl auch freuen, daß ich es geschafft habe. Aber ich selbst werde wohl in den Ferien an den Sachen nachlernen, bei denen es geklemmt hat", sagte Ireen betrübt. "Unter neunhundert zu sein ist nicht gerade aufmunternd."

"Ja, aber wie Tom sagte, in zwei Jahren, wenn es wirklich um was geht, fragt uns keiner mehr nach dem ersten Jahr."

"Sagt der, Aurora. Aber du weißt doch genau wie ich, daß der erste Eindruck zählt. Du warst bei Laura Morehead und Direktor Springs in Prüfungen drin und hast sogar den Fachidioten Goldfire über achtzig Punkten überstanden. Denkst du, die merken sich das nicht, wer schon jetzt was hermacht? Sicher werden die mir das nicht um die Ohren hauen, wenn ich in den Endprüfungen drin bin. Aber irgendwie liest sich das doch blöd, als fünfte von fünf mit dem ersten Jahr fertig geworden zu sein."

"Tja, dann hättest du dich halt mehr reinhängen müssen, Rootfooterin. Hier kriegst du nichts mehr geschenkt oder nachgesehen", blaffte Monica Riddley, als sie in den Gang zu den Waschräumen hereinkam und die letzten Worte Ireens noch mitbekommen hatte.

"Das gilt ja wohl eher für euch Shadelake-Gesocks", knurrte Ireen. "Denn du bist ja nur ein paar Punkte besser als ich rausgekommen. Also blas dich bloß nicht so auf!" Schnaubte Ireen.

"Zumindest behauptest du nicht mehr, ich als Engländerin kriegte hier Extrabonus oder sowas", wandte sich Aurora an Monica. Diese funkelte sie biestig an, fand jedoch keine Worte, um das zu widerlegen. Aurora stieß nach: "Ich höre es noch, daß du gesagt hast, ich müsse mich hier wohl mehr reinhängen als alle anderen, weil ich aus England sei und noch dazu von meisterin Herbregis unterwiesen würde. Habe ich auch gemacht. Wenn ich dann trotzdem mit über neunhundert Punkten rauskam war es die Sache wert."

"Altkluge Schwätzerin", knurrte Monica und schob ab, wohl wissend, daß sie diese unnötige Wortrangelei verloren hatte. Ireen grinste Aurora an und mentiloquierte ihr:

"Danke, das hat mich jetzt richtig aufgerichtet, der das unter die inzüchtige Nase zu reiben." Hörbar sagte sie dann noch: "Ich wünsche dir noch eine gute Nacht. Wir sehen uns dann vor der Abreise noch mal."

"Das sowieso", bestätigte Aurora Dawn und wandte sich dem Zimmer F-009 zu, in dem sie nun schon bald ein Jahr wohnte. Dort notierte sie in ihr Lerntagebuch:

31. Juli 1985

Habe heute die letzten Prüfungsergebnisse bekommen. Bin hoch erfreut, daß ich insgesamt 949 Punkte zusammenbekommen habe und damit zweitbeste meines Jahrgangs wurde. Muß allerdings wohl nach den Ferien mehr für Zauberkunsttheorie und körperliche Form tun. Denke aber, daß durch die dann stattfindenden Begleitgänge zu den Patienten genug Ausdauer trainiert wird. Insgesamt bin ich durch das vergangene Jahr bestärkt, mich weiter als Heilerin ausbilden zu lassen.

__________

"Na, da werden deine Eltern sich freuen, wenn du nach deren Uhr um Mitternacht aus deren Kamin fauchst", feixte Tom McCloud, als Aurora mit ihrem Gepäck kurz vor dem Mittagsgong im Angestelltenvoyer eintrat. Sie hatte ihre Reisetasche und ihren Rucksack ordentlich verschnürt.

"Die wollen das doch, daß ich sofort nach dem Abschiedsgruß von Direktor Springs zu ihnen nach Hause komme", sagte Aurora Dawn. Ireen nickte ihr beipflichtend zu. Berthold meinte dann noch:

"Tommy will doch auch so schnell wie's geht zu seinen zwei Schwestern zurück. Könnte ja sein, daß deren Freundinnen zu Besuch sind."

"Daß ich dir nicht gleich mal das Maul zufluche, Berty", knurrte Tom. "Wenn Daddy Springs das jetzt gehört hätte, Mann!"

"Hat er aber nicht, weil er mit den ganzen Mentoren die Verabschiedungsarie vorbereitet. Immerhin kann er ja jetzt Jills und Daisys Mentorinnen für's nächste Jahr einteilen oder wieder stärker im Klinik-Dienst einbinden", warf Berthold ein. Monica Riddley stand derweil abseits von den vier Kameraden. Nach der Sache mit dem sogenannten Zaubererstolz war sie wohl der festen Überzeugung, nur dann weiterlernen zu können, wenn sie sich nicht mehr mit den anderen unterhielt. Um kurz vor zwölf Uhr mittags erschienen dann die Mentoren und Mentorinnen, angeführt von Direktor Springs im Foyer. Alle trugen sie die himmelblaue Tracht der angestellten Heiler mit dem pausbäckigen Gesicht unter einer strahlenden Sonne.

"Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich sehr, daß wir alle dieses Ausbildungsjahr erfolgreich hinter uns gebracht haben und niemand Grund gefunden hat, sich zu beklagen, weder wir von den Ausbildern und Prüfern, noch Sie von den Adepten. Alle diejenigen, die dieses Jahr ihre Ausbildung beendet haben, werden am einunddreißigsten August zur feierlichen Vereidigung als neue Heiler in der großen Halle der Beratung im Zunfthaus erwartet. Ich freue mich schon darauf, Sie, die sie die vergangenen drei Jahre so fleißig und erfolgreich gelernt haben, als neue Kolleginnen und Kollegen begrüßen zu dürfen. Bis dahin wünsche ich Ihnen, sowie ihren jüngeren Kameraden, erholsame Ferienwochen! Bitte richten Sie Ihren Freunden und Verwandten meinen Gruß und meinen Dank aus, daß sie Ihnen in diesem Jahr mit ihren Wünschen und Hoffnungen aus der Ferne geholfen haben und damit Ihren Erfolg mitgestaltet haben! Also auf ein neues Jahr in neuer Frische und neuem Tatendrang!" Er winkte den aufgereihten Adepten und angehenden Heilern zu und nahm deren Abschiedsgrüße entgegen. Dann durften sie alle sich von ihren Mentorinnen und Mentoren verabschieden.

"Komm gut nach Hause, Aurora! Bestell deinen Eltern und Freunden bitte meine herzlichen Grüße", sagte Meisterin Herbregis und umarmte Aurora kurz. Dann wünschte die aus England stammende Lernheilerin allen, mit denen sie über das Jahr hinweg gut ausgekommen war schöne Ferien. Dann hieß es, sich vor dem Kamin aufzustellen, wer nicht aus eigener Kraft in die Ferien disapparieren wollte. Aurora wartete geduldig, bis sie an die Reihe kam und eine Prise Flohpulver in die noch flackernden Flammen warf. "Zur Grenze!" Rief sie, als sie im hellgrün lodernden Feuer stand und schloß die Augen, um die übliche Wirbelei ohne Schwindelanfall überstehen zu können.

"Ah, die junge Ms. Dawn", grüßte ein Grenzbeamter sie, als sie aus einem der vielen Kamine an der unterirdischen Grenzstation herausgekommen war. Sie wunderte sich, woher der Beamte sie kannte. Doch sie traute sich nicht zu fragen, bis sie eine Hexe sah, die ihr sehr bekannt vorkam. Sie besaß rotbraunes Haar, das zwar gestriegelt aber offen auf ihre Grenzbeamtenuniform herabfiel und blickte Aurora freundlich aus braunen Augen an.

"Hallo, Aurora. Auf der Durchreise nach Hause?" Fragte die Hexe. Aurora nickte und begrüßte sie erfreut.

"Hallo, Ms. Fielding. Ich wußte nicht, daß Sie jetzt hier arbeiten."

"Seit einem Monat, Aurora. Ist auch nur, weil eine Kollegin gerade Mutter wird und die die Männer-und-Frauen-Parität hier behalten wollen."

"Eigentlich eine Verschwendung", meinte der Zauberer, der Aurora begrüßt hatte. "Ihre frühere Schulkameradin könnte im Ministerium wesentlich höher einsteigen als als Durchwinkerin zu arbeiten."

"Ich schick dir mal 'ne Eule, was sich so alles bei mir getan hat, Aurora. Soweit ich von meinem kleinen Bruder hörte, willst du ihn ja besuchen."

"Und deinen Neffen Tommy", wisperte Aurora. Erica Fielding, die zwei Jahre älter als Aurora Dawn war, nickte lächelnd. Dann verfiel sie in den hier geforderten Amtstrott zurück und fertigte Aurora so ab wie jede andere Durchreisende.

"England!" Rief Aurora, als sie keine fünf Minuten später in einem anderem smaragdgrünen Feuer stand. Diesmal Dauerte die Wirbelei länger, ja war von einer Phase freien Fluges begleitet. Als Aurora dann endlich wieder einen festen Kaminrost unter den Füßen hatte fühlte sie die Freude in sich ansteigen. Sie kam nach Hause!

"Führen Sie anmeldungspflichtige Gegenstände mit sich?" Fragte der Grenzbeamte im marineblauen Umhang, der Aurora nach der Ankunft beim Aussteigen aus dem Kamin half.

"Nur Dinge zum privaten Gebrauch, Sir", sagte Aurora und zählte die magischen Dinge auf, die sie mitführte. Dann wurde ihr ein freier Kamin zugewiesen, durch den sie an ihr endgültiges Ziel weiterreiste. Dort klatschten fünf Leute Beifall, als sie aus einem smaragdgrünen Funkenwirbel heraus auf dem Kaminrost landete. Sie erkannte ihre Eltern, sowie ihre Tante June, ihren Onkel Tony und ihre ehemalige Klassenkameradin Petula Woodlane. Sie kletterte aus dem Kamin und begrüßte sie nacheinander, erst ihre Mutter, die Freudentränen auf ihre Wange vergoß, dann ihren Vater, der sie sehr innig an sich drückte. Dann begrüßte sie ihre Tante June, die sie fröhlich anstrahlte, schüttelte ihrem Onkel Anthony die Hand und knuddelte Petula Woodlane, die zwar sehr erfreut dreinschaute, aber doch etwas verhalten wirkte, als sei ihr irgendwas nicht so recht oder dürfe nicht sofort herauskommen.

"Haben Mum und Dad dich gefragt, ob du hier auf mich warten möchtest?" Fragte Aurora Dawn ihre gute Schulfreundin.

"Ich habe gefragt, wann du denn in die Ferien kämst, und deine gemalte Ausgabe sagte mir was vom Mittag eurer Zeitrechnung. Da habe ich deine Eltern gefragt, ob ich sie besuchen darf, um dich begrüßen zu können. Und die haben das erlaubt", antwortete Petula.

"Hier ist es doch gerade um Mitternacht rum", staunte Aurora.

"Petula übernachtet bei uns, Aurora. Dann könnt ihr beiden morgen früh beim Frühstück die neuesten Sachen austauschen oder zusammen nach Hogsmeade", sagte Hugo Dawn.

"Apropos, die von der Grenze haben mir diesen Ortszeitanpassungstrank mitgegeben, damit ich ohne Mittagshunger gleich wieder ins Bett fallen kann", sagte Aurora und holte die winzige Phiole mit dem nützlichen Trank für Überseereisende hervor.

"Ist schon lustig, daß es für dich gerade erst Mittagessenszeit ist", grinste Petula mädchenhaft. Aurora entkorkte die Phiole und stürzte deren Inhalt in einem Zug hinunter. Sie fühlte den Schauer, als der Trank ihren Körper auf die hier gültige zeit einstimmte und fühlte, wie sie schlagartig müde wurde.

"Jetzt nicht mehr, Petula", sagte sie, ein Gähnen gerade noch unterdrückend. Dann fragte sie ihre Eltern, ob ihr Zimmer noch so wäre, wie sie es nach den Weihnachtsferien verlassen habe. Ihre Mutter sagte, daß sie nichts verändert habe. Lediglich mit dem Staubsammelzauber sei sie alle sieben Tage durchgegangen, damit es nicht wie die Kemenate einer lange verlassenen Burgruine wirke. Aurora bedankte sich artig bei ihrer Mutter und wünschte ihren Eltern, Verwandten und Petula eine gute Nacht.

In ihrem Zimmer, daß irgendwie altvertraut und doch etwas entfremdet auf sie wirkte, fand sie ein langes Paket auf dem Tisch. Sie atmete schneller, vergaß fast, daß sie jetzt eigentlich schlafen gehen wollte und packte aus, was in dem paket war, ein neuer Nimbus 1500 und ein Besenpflegeset. Sie dachte wehmütig daran, daß sie damit eigentlich nichts mehr anfangen könnte, solange sie in der Ausbildung war. Doch dann fiel ihr mit großer Freude ein, daß doch jetzt vier Wochen Ferien waren, genug Zeit, um Quidditch zu spielen. Vielleicht konnte sie den Leuten, die jetzt in Ravenclaw wohnten, wie Vivian Acer und Tim Preston, noch einmal ihre Doppelachsen-Flugtechnik zeigen. Jetzt, wo sie auch den Exo- und Introsenso-Zauber gelernt hatte, könnte sie den Interessierten sogar besondere Möglichkeiten zum Lernen an die Hand geben. Aber um das zu machen mußte sie selbst erst einmal wieder besenwarm werden, wie es hieß, wenn jemand lange nicht mehr geflogen war und noch dazu einen jungfräulichen Besen benutzte. Sie mentiloquierte ihrer Mutter:

"Danke für den Besen!"

"Hat dein Vater besorgt", bekam sie zur Antwort. So schickte sie ihm auch ein Dankeschön zurück. Er war mit dieser lautlosen Fernverständigung wohl nicht so vertraut und ließ über ihre Mutter ausrichten, daß er sich freue, wenn sie wieder spielen könne. Dann überließ sich Aurora dem auf englische Uhrzeit umgestellten Verlangen ihres Körpers und legte sich in das frisch bezogene Bett. Sie war wieder in ihrem Elternhaus, das irgendwie immer noch ihr Zuhause war und doch schon etwas anderes, etwas, daß einer vergangenen Zeit angehörte.

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"Und, kommt Philipp mit seinen UTZ-Fächern gut klar?" Fragte Aurora. Denn von ihrem Cousin Philipp hatte sie außer einigen Erwähnungen ihrer Tante June nicht viel mitbekommen. Er hatte es auch nicht nötig gehabt, ihr Briefe ins ferne Land unten drunter zu schicken.

"Tja, er hätte mal auf mich hören sollen und statt den UTZ-Klassen bei Binns besser Arithmantik belegen sollen. Einen Ohne-Gleichen-ZAG in dem Fach läßt man doch nicht so einfach unbeachtet, wo er in Geschichte der Zauberei nur ein Akzeptabel erreicht hat", knurrte Auroras Tante June.

"Kann mir vorstellen, daß Phil mit Professor Vector andauernd aneinandergeraten wäre, wo wir beide Arithmantik-Expertinnen sind, auf die er jederzeit zurückgreifen könnte, June", wandte Auroras Mutter ein.

"Kräuterkunde wollte er ja auch nicht weitermachen", erinnerte sich Aurora, daß Philipp trotz seines Erwartungen-Übertroffen-ZAGs in ihrem Lieblingsfach lieber bei Kesselbrand die größeren Zaubertiere und eventuell einzelne Zauberwesen studieren wollte.

"Dafür hat er in Verwandlung und Zauberkunst die Jahrgangsbestnote eingestrichen, noch vor Roxanne Swift", sagte Tony Priestley stolz.

"Wie viele Leute sitzen denn bei Binns im UTZ-Kurs?" Fragte Aurora.

"Vier Stück, die Barrel-Brüder aus Slytherin, unser Phil und Bianca Boulder aus Hufflepuff", antwortete June Priestley. Ihr Mann grinste verhalten und meinte dazu:

"Kann also auch durchaus an der Klassenkameradin liegen, daß Phil sich so für dieses dröge Fach begeistert. Immerhin war er mit ihr schon ein paarmal bei uns zu besuch und mit ihr bei den Boulders."

"Alessandro ist immer noch bei den Bats?" Fragte Aurora, die zumindest was die britische Quidditch-Liga anging auf dem Laufenden war.

"Der hat Ludo Bagman als Nationaltreiber beerbt", sagte Hugo Dawn. "Der darf dann nächstes Jahr zur Weltmeisterschaft nach Uganda. Immerhin könnten unsere Leute da um den Titel mitspielen."

"Nur wenn die Schweden auf Lasse Thorsson verzichten. Und so dämlich sind die nicht", warf Onkel Tony überzeugt ein. So entsponn sich eine über eine halbe Stunde dauernde Diskussion über die britische Liga, sowie die anderen Ligen im ehemaligen Weltreich, das heute als Commonwealth, als Staatenbund unter der symbolischen Regierung ihrer Majestät der Königin von England, vereinigt war. Aurora erwähnte die hoffnungsvolle Nachwuchsspielerin Pamela Rush, die gerade mit Redrock fertig geworden sein sollte und sich jetzt um einen Platz in einer der Liga-Mannschaften Australiens bemühte. Dann sprachen sie über Auroras bisherige Ausbildung, was sie da alles zu tun hatte und daß dagegen Unterrichtsstunden in Hogwarts sehr beschaulich verlaufen waren. Petula Woodlane fragte zwischendurch nach besonderen zaubern, die Aurora hatte lernen müssen und erzählte von ihrer Anstellung im Ministerium. Dann fragte Aurora sie nach Priscilla, ihrer Familie und Krummbein, dem Halbkniesel, den sie selbst auf die Welt geholt hatte. Petula straffte sich, als müsse sie gleich einen harten Schlag austeilen oder einstecken. Aurora fühlte, daß sie gleich etwas hören würde, was ihr nicht gefiel. Doch sie zeigte nach außen hin keine Regung.

"Das wußte ich, daß du das nicht vergessen würdest, Aurora. Ich sagte schon zu Priscilla, daß sie dir das schreiben oder über die Bild-Verbindung weitergeben solle", setzte Petula an und schwieg einige Sekunden. Doch weil niemand was sagen wollte sprach sie nun weiter: "Aurora, es hat sich rausgestellt, daß Priscillas mann sehr allergisch auf Katzenhaar jeder Art reagiert. Ich habe das erst bei priscillas Geburtstagsfeier im Frühling erfahren und ihr geraten, dich zu informieren, weil dir Krummbein so wichtig sei. Sie sagte, sie würde es dir in einem ordentlichen Brief mitteilen. - Hat sie offenbar doch nicht. Jedenfalls haben sie Krummbein mehrere Monate lang nicht im Haus gehalten, sondern in einem Freigehege draußen, wo Priscillas Mann ihm schön weit aus dem Weg bleiben konnte. Ich habe ihn da sogar einmal gesehen. Er konnte frei laufen und hatte da eine kleine Hütte mit bezauberter Türe, damit er im Winter nicht frieren mußte. Aber irgendwie hat es Krummbein wohl langweilig gefunden, immer nur auf zwanzig Meter Abstand an seine Menschen heranzutreten. Womöglich ist Flöckchens Schmusebedürfnis in ihm enthalten. Jedenfalls ..." Aurora sah Petula sehr durchdringend an. Ihre frühere Schulkameradin straffte sich noch mehr und vollendete dann ihren Satz: "... hat er sich eines Nachts einfach aus dem Staub gemacht. Dem war es offenbar zu blöd, die ganze Zeit bei Leuten zu wohnen, die ihn nicht an sich ranlassen wollten. Vielleicht fand er sich selbst überflüssig, als Priscilla dann noch anfing, rund zu werden. so wie es aussieht werde ich in zwei Monaten Tante."

"Moment mal, Petula! Krummbein ist weggerannt? Das willst du mir doch nicht echt erzählen", entrüstete sich Aurora Dawn. Petula sah sie abbittend an. Dann sagte sie:

"priscilla sollte dir das erklären und hat mich gebeten, dir nichts zu sagen, solange du nicht ganz gezielt fragst. Der muß so im April abgehauen sein. Das Gehege war ja kein Käfig, und er war häufiger über mehrere Tage unterwegs. Tja, und dann kam er nicht mehr zurück."

"Dann könnte er tot sein, Petula", entfuhr es Aurora. "Das wäre sehr nett gewesen, wenn du mir das früh genug erzählt hättest. Immerhin wollten genug Leute Flöckchens Junge haben, und Krummbein hätte dann auch bei meinen Eltern wohnen können. Platz genug ist ja da."

"So einfach wäre das nicht gelaufen, Aurora", schränkte ihr Vater ein. "Ich habe in den letzten Monaten viele Singvögel hier abgerichtet. Bekanntlich fressen katzenartige Tiere sowas."

"Genau deshalb wollte ich Sie nicht damit behelligen", knurrte Petula, die jetzt, wo sie die Unterlassungssünde gebeichtet hatte, etwas befreiter durchatmete, wenngleich sie immer noch wie vor einem heftigen Gegenschlag auf der Hut blieb.

"Dann hätte Tante June ihn nehmen können, Petula. Deine Schwester hätte das mit der Unverträglichkeit ihres Mannes ruhig schon vor der Hochzeit rauskriegen können."

"Aurora, du sagst mir nix, was ich nicht selbst schon an Priscilla weitergereicht hätte", knurrte Petula. "Aber die meinte, sie hätte ihn gerne behalten, hätte ihm bestimmt eine bessere Unterbringung ermöglicht und weil wir, also du und ich ja so an Flöckchens Jungen hingen gehofft, er würde bei ihr bleiben. Wußte ja keiner, daß der ein halber Hauskniesel ist, der immer nahe bei Menschen schlafen will."

"Ja, toll, und jetzt ist er vielleicht unter einen dieser Muggelwagen geraten und tot", schnarrte Aurora. "Oder hat sich einer von Priscillas Nachbarn gemeldet, daß sich ein orangeroter Kater mit krummen Beinen und bürstenartigem Schwanz bei ihm eingefunden hat?"

"Nein, hat Priscilla überprüft. Und nein, in unserer Gegend gibt es keine Muggelwagen. Da hätte er zehn Meilen weit laufen müssen."

"Was ein gesunder, selbstversorgender Kniesel durchaus in zwei Tagen hinkriegt", warf Hugo Dawn ein, womit er die eisige Spannung zwischen seiner Tochter und ihrer ehemaligen Klassenkameradin keinesfalls lockerte.

"Da hörst du's", schnarrte die Medimagie-Adeptin. "Krummbein hätte, wenn er keinen Zauberer im Umkreis von zehn Meilen findet, weit genug laufen können, um von diesen lauten, stinkenden Selbstfahrvehikeln überrollt zu werden. Du weißt doch selbst, was Tim, Vivian und Anne uns darüber erzählt haben, wie oft Menschen oder Kleintiere von diesen Automobilwagen überfahren werden, weil deren Lenker nicht richtig aufpassen, wie schnell sie fahren oder betrunken sind oder anderswo hingucken. Ich will das von Priscilla selbst hören, was da passiert ist."

"Priscilla ist im siebten Monat schwanger. Ihre Hebamme hat uns gesagt, daß sie sich nicht aufregen darf", warf Petula ein.

"Petula, halt mir jetzt bloß keinen Vortrag, wie ich mit werdenden Müttern umspringen muß. Da habe ich doch mehr Ahnung von als du", fauchte Aurora. Ihre Mutter sah sie sehr verstimmt an und sagte:

"Aurora, beruhige dich bitte! Du bist kein kleines Mädchen mehr. Wenn Petula dir das nicht rechtzeitig gesagt hat ist klar, daß dich das ärgert. Aber dich jetzt, wo das wohl schon einige Monate her ist, noch drüber aufzuregen bringt diesen Halbkniesel nicht mehr zurück, ob er noch lebt oder nicht."

"Danke, Mrs. Dawn", erwiderte Petula aufatmend. Aurora nickte ihrer Mutter zu und dann Petula.

"Okay, ich verstehe, daß du da keine Schuld hast, Petula. Womöglich ärgere ich mich auch nur, weil ich den nicht selbst mitnehmen durfte. Dir sind Flöckchens Kinder ja doch auch wichtig. Aber trotzdem möchte ich mit deiner Schwester sprechen, auch schon, um ihr persönlich zur Hochzeit und zur anstehenden Geburt gratulieren zu können. Mum, ich weiß, daß ich mich nicht über verschüttete Milch ärgern soll. Aber du weißt ja, daß ich diesen kleinen Kerl damals aus Petulas Katze Schneeflocke herausziehen mußte und der zuerst wie tot dalag, bis seine Mutter ihn angestupst hat." Regina Dawn nickte verstehend.

"Ja, und dann gab es ja die Nachfragen, wer von den Jungen eines kriegen konnte", ergänzte Petula. Aurora nickte. "Immerhin sind die anderen Jungen noch in Hogwarts unterwegs. Vivian, Roxanne und Nelly sind ja hin und weg von ihren jungen Kätzinnen Fleckchen, Flinkpfote und Weißnase, und Dinas und Roys Kater Sonnenwecker wirst du hoffentlich noch zu sehen kriegen."

"ja, nur Krummbein ist weg, und keiner weiß wo und wie", grummelte Aurora. Ihre Mutter räusperte sich mahnend.

"Vielleicht könnt ihr ja eine Anzeige im Tagespropheten veröffentlichen. Der sah ja wohl doch sehr auffällig aus", schlug Tony Priestley vor.

"Der ist seit April weg, Onkel Tony. Wenn den bisher keiner gefunden hat ... abgesehen davon, daß Petulas Schwester den ja nicht behalten kann", widersprach Aurora.

"Meine Eltern haben mir gesagt, daß ich keine weitere Katze haben soll, bevor Flöckchen nicht stirbt. Die hat ja wieder Junge bekommen, von einem gewöhnlichen Kater diesmal. Aber Dad war etwas ungemütlich, als sie ihm die drei Jungen ins Bett hineingedrückt hat. Ich kann ja nicht immer auf die aufpassen, und deshalb wären meine Eltern wohl nicht begeistert, wenn wir einen Kater dazubekämen."

"Tja, ihr hättet eure Katze halt neutrieren lassen sollen", feixte Tony Priestley.

"Da haben Mum und ich was gegen", sagte Petula. "Wir haben Dad angedroht, wenn er Flöckchen unfruchtbar machen läßt, passiert ihm dasselbe. Mum behauptet sogar, sie hätte Flöckchen mit einem entsprechenden Fluch belegt, daß jemand, der sich an ihr vergreift, das abkriegt, was er ihr tut."

"Hömm, lebende Tiere zu verfluchen ist aber illegal", warf Aurora ein, die sich an die endlos erscheinenden Sitzungen mit Meisterin Herbregis erinnerte, wo sie die Zaubereigesetze rauf und runtergepaukt hatte.

"Denkst du, das wüßte Mum nicht", wandte Petula ein. "Aber Dad weiß es nicht, und so bleibt Flöckchen eine ganze Frau und kann vielleicht noch mal süße Maunzbällchen kriegen. Die, die sie das letzte Mal gekriegt hat, sind in unserer Muggelnachbarschaft gut untergekommen."

"Noch ein paar Vogelfresser mehr", grummelte Hugo Dawn.

"Ey, die fressen eher Mäuse und Ratten, weil die nicht wegfliegen können", protestierte Petula etwas frech. Mr. Dawn blickte sie tadelnd an. Doch sein Schwippschwager Tony lachte über Petulas beherzten Widerspruch. Er sagte grinsend:

"Nimm's so, Hugo, daß die Katzen nur die Vögel fressen, die zu blöd zum wegfliegen sind oder nie wieder fliegen können und dann eh verhungern müssen. Die kannst du dann ja auch nicht mehr gebrauchen."

"Red mir nicht in meinen Job rein, Tony, dann halte ich mich auch bei deinem geschlossen. Oder muß meine Tochter echt hören, daß du deinem Sohn bei der Apparierprüfung geholfen hast, weil er fast die gesetzliche Anforderung verpaßt hat?"

"Nur, wenn du das beweisen könntest, Hugo. Ansonsten könnte ich dich vor jedem Zauberergericht wegen Beamtenbeleidigung und übler Nachrede zur Kasse bitten. Aber ich tu's nicht, weil meine geliebte Frau mit deiner geliebten Frau verwandt ist und wir daher friedlich miteinander klarkommen müssen."

"Soll das eine Drohung sein, Tony? Aber du hast recht, daß ich mit Regina keinen Streit kriegen will", grummelte Hugo Dawn. Petula schien sichtlich befreit, daß sie nun über was anderes redeten als über den ausgebüchsten und unauffindbaren Krummbein.

"Fragen wir doch mal so, Onkel Tony, hat Philipp die Apparierprüfung im ersten Ansatz bestanden oder nicht?"

"Hat er es dir nicht geschrieben?" Fragte ihr Onkel. "Er ist bei einem Sprung in einem startenden Flugzeug der Muggel angekommen und hat die dort drinsitzenden Leute ziemlich erschreckt. Der Steuermann dieser Flugmaschine hat davon nichts mitbekommen, weil Philipp sofort wieder disappariert ist. Aber Als dann die Leute aus dem Flugapparat stiegen und zu erzählen anfingen, daß da mal eben jemand in einem schwarzen Umhang mit Spitzhut auf dem Kopf in ihrer Reisekabine aufgetaucht ist wurde der Wachhabende an dem Flugzeughafen stutzig und hat eine Brigade Vergissmichs herbeigerufen. Daß Phil die Prüfung trotzdem bestanden hat, verdankt er nur dem Umstand, daß seine übrigen Apparitionen präziser als eine Zaubertrankzutatenwaage abliefen."

"Ja, und du hast natürlich nur ein gutes Wort für ihn eingelegt", feixte Hugo Dawn und fing sich warnende Blicke seiner Frau und seiner Schwägerin ein.

"Ich berief mich zusammen mit den anderen Prüfern auf das Lester-Platz-Abkommen, wo ein Prüfling, der aus Versehen in einer Gegend mit vielen Muggeln appariert die Prüfung trotzdem bestehen kann, wenn er bei allen anderen Prüfsprüngen weniger als einen Meter vom angestrebten Zielpunkt auftaucht. Geht aber nur ein Sprung aus dieser Toleranz heraus, muß die Prüfung wiederholt werden. Also habe ich nichts ungesetzliches getan, werter Schwippschwager", erläuterte Anthony Priestley.

"Na klar", grummelte Hugo Dawn. "In drei Jahren tritt Agatha zur Prüfung an. Hoffentlich läuft das auch reibungslos ab."

"Sei du mal lieber froh, daß deine Tochter so eine gute Zielausrichtung beherrscht", knurrte Tony. Petula und Aurora sahen einander an. Aurora kribbelte es unter der Schädeldecke, ihrer früheren Klassenkameradin was zuzumentiloquieren. Aber sie wußte nicht, ob Petula ihr auch antworten konnte. So vergaß sie das und fragte leise, wann sie denn mal mit ihrer Schwester sprechen könne.

"Miriam hat uns alle für den zehnten eingeladen, Aurora. Sie meinte, wenn sie dich von den Känguruhs wegließen dürftest du auch kommen. Priscilla kommt dann auch. Ihr Mann ist im Moment in Argentinien unterwegs. Die haben den angefordert, weil sie nach einer Truppe Werwölfe suchen, die es irgendwie rausgekriegt haben, ihren Fluch auf ordinäre Hausrinder zu übertragen. Die würden zwar keine Werwölfe, gäben aber mit ihrem Fleisch und ihrer Milch den Keim weiter."

"So eine Art Rinderwahnsinn?" Fragte Aurora. "Habe ich nichts von gehört. Und das wäre doch ein Fall für den Heilerherold."

"Na ja, weil die Argentinos wohl einen tonnenschweren Deckel drauflegen wollen, daß jemand durch bloßes Milchtrinken ein Werwolf werden könnte. Nicht nur die Muggel verdienen sich da unten eine goldene Nase mit der Rinderzucht."

"Die Zauberer da unten sollten sich diese Latierre-Kühe zulegen. Die sind ergiebiger und gegen magische Gifte und Keime größtenteils immun", wandte Hugo Dawn ein.

"Haben Sie so'n Latierre-Rind schon mal gesehen, Sir?" Fragte Petula. "Die sind so hoch wie Ihr haus hier und fressen jeden Tag mehrere Tonnen frisches Grünzeug. Das würde den Leuten da unten doch auffallen. Außerdem können die Latierre-Kühe fliegen."

"Ach neh", erwiderte Hugo Dawn jungenhaft grinsend. Seine Frau warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu und sagte:

"Ich weiß, daß einige Zaubererfamilien in Spanien mit einigen in Südamerika darüber verhandeln, ob sie sich nicht auch solche Monsterkühe zulegen sollen. Aber die Ein-und-Ausfuhrbestimmungen für magische Tierwesen der Stufe XXXX sind da sehr strickt."

"Hätte dir Philipp nicht besser sagen können, Regina. Die hatten im vergangenen Jahr Abraxas-Pferde, Hippogreife und sogar einen Asgard-Schwan aus Norwegen."

"Jau, herrliche Tiere sind das", schwärmte Auroras Vater. Dann sah er Petula und seine Tochter an und fragte, ob sie noch was frühstücken wollten. Aurora war danach, ihren neuen Besen auszuprobieren, um bald Quidditch spielen zu können. Außerdem reizte sie es jetzt, mit ihren früheren Schulkameraden zusammenzutreffen und über die vergangenen sieben Monate zu plaudern. Die Wut über das Verschwinden Krummbeins war mittlerweile verraucht und einem Bedürfnis nach den altbekannten Leuten gewichen, die wie sie selbst in den verstrichenen Monaten viel neues erlebt hatten. So fragte sie Petula, ob sie mit ihr eine Runde Besenfliegen trainieren wollte. Doch diese lehnte dankend ab. Sie müsse in zwei Stunden im Ministerium antreten.

"Hat das jetzt echt geklappt mit der Anstellung in der Handelsbehörde?" Fragte Aurora.

"Ja, hat es. Wenn in Hogwarts das neue Schuljahr anfängt fange ich da als Hilfskraft in der Sektion Großbritannien an. Jede Menge Gesetzestexte büffeln und vorführen, wie gut ich bezauberte Gegenstände auseinanderhalten kann. Aber immerhin eine gut bezahlte Anstellung."

"Ja, das mit dem Auseinanderhalten von verzauberten Gegenständen kenne ich auch sehr sehr gut", seufzte Aurora Dawn. Beide mußten lachen. Dann verließen Aurora und Petula das alte Landhaus, um das noch viele unsichtbare Wehrzauber wirkten, die aufgerufen worden waren, als ihr Onkel Dustin ermordet worden war. Sie hoffte, daß diese nützlichen Schutzzauber nur noch schmückendes, unauffälliges Beiwerk waren und ihr restliches Leben lang nicht mehr benötigt würden.

Als Petula nach einem gemütlichen Spaziergang disapparierte, um sich vor dem Vorstellungsgespräch noch einmal richtig zurechtzumachen, holte Aurora ihren neuen Nimbus 1500 aus dem Zimmer und saß auf. Sie war auf der Hut, daß der noch nie zuvor geflogene Besen vielleicht überreagierte oder in den ersten Minuten etwas ruckelig flöge. Doch er fuhr mit ihr durch die Luft wie an straffen Seilen entlanglaufend und war dabei doch so wendig wie ein Wanderfalke. Nach nur zehn Minuten fühlte sich Aurora wieder wie früher, wenn sie auf einem Besen saß. Der Nimbus war einfach der beste Rennbesen, den es im Moment zu kaufen gab. Sie flog mit ihm Quidditchmanöver aus, fand sogar in ihre Doppelachsen-Flugtechnik zurück und brauste mehrere Dutzend Kilometer weit über Land dahin. Dabei mußte sie natürlich darauf achten, daß sie nicht in die von den Muggel-Nachbarn Bewohnten Siedlungen hineingeriet. Doch die großen, freien Felder und Hänge waren menschenleer. Womöglich waren alle Muggel dieser Gegend mit ihren Kindern in die Ferien gefahren und genossen nun die Sommersonne, die hell und heiß vom Himmel herabschien. Eine Stunde tobte sich Aurora auf ihrem Besen aus, bevor sie mit rotglühenden Wangen in ihr Elternhaus zurückkehrte.

"Na, hast du dich gefreut, mal wieder wie ein junges Hexenmädchen herumsausen zu dürfen?" Fragte ihre Mutter vergnügt.

"Oja, habe ich, Mum. Noch mal vielen Dank für den Besen. Jetzt weiß ich, was ich die ganzen Monate vermißt habe", keuchte Aurora Dawn fröhlich aber erschöpft von den vielen kraftzehrenden Wenden und Beschleunigungen.

"Warum die bei euch kein Quidditch spielen dürfen verstehe ich ja. Aber wie ist das mit eigenen Besen bei denen?"

"Solange ich in der Ausbildung bin darf ich keinen privaten Besen benutzen. Sonst könnten wir ja auf die Idee kommen, auch ohne Erlaubnis Quidditch zu üben, Mum. Ein wenig überbehütsam sind die da unten drunter schon. Aber diesmal sehe ich nicht ein, gegen die bestehenden Vorschriften zu rebellieren. Ich bin da in gewisser Weise immer noch auf Bewährung, weil ich ja nicht bei denen groß geworden bin. Wenn Laura Morehead befindet, daß Heiler auch ein Recht auf schnellen Sport haben, werde ich den Besen wohl mitnehmen dürfen."

"Schade eigentlich", antwortete ihre Mutter. "Wir dachten halt, weil dir der letzte Besen ja ausgerechnet im entscheidenden Spiel kaputtgegangen ist, daß du auch in der Freizeit weitertrainieren kannst."

"Fliegen tun wir wohl auch, Mum. Allerdings haben die da die alten Himmelsstürmer 2 und 3. Die sind zwar nicht gerade langsam, aber dafür auch nicht so wendig wie ein Nimbus oder ein Willy-Willy", entgegnete Aurora.

"Gut, ihr habt ja auch viel zu tun da unten", sagte Regina Dawn etwas betrübt. "Und das war nur die Grundausbildung. Jetzt kommen wohl die schwierigsten Jahre für dich, wo sie dich bei der Behandlung von Patienten mit einbeziehen."

"Das auch. Aber Grundlagenweiterbildung steht trotzdem auf dem Stundenplan, soweit ich das so nennen darf. Im wesentlichen läuft es dann so, daß Meisterin Herbregis und ich in den Stunden, wo wir uns nicht um Patienten in der Klinik oder ambulante Fälle kümmern müssen weiter mit den wichtigsten Grundlagen der Heilzauberei befassen. Bis zur Jahresendprüfung nächstes Jahr soll ich sogar einen selbstentwickelten Zaubertrank zubereiten."

"Ich hörte das von June, daß viele Zaubertränke von Heilern in der Ausbildung erfunden wurden, aber vor allem die Nebenwirkungen von Tränken von diesen gründlich erforscht werden."

"Das stimmt, Mum. Aber um die Zaubertrank-Prüfung mache ich mir die geringsten Sorgen. Ich weiß nicht, ob ich wirklich schwerverletzte oder verunstaltete Leute ansehen kann. Bis jetzt ist mir das ja erspart geblieben."

"Du hast deinem Vater damals geholfen, als dieser nervige Weckwolf explodiert ist", erinnerte ihre Mutter sie daran, daß sie schon gewisse Erfahrungen gesammelt hatte. "Und heute morgen hatten wir es ja wieder von Krummbeins Geburt. Also wirst du dir sowas wohl auch bei Menschen ansehen können."

"Ja, aber die Sache mit dem Weckwolf betraf Daddy. Ich weiß nicht, ob das bei einem wildfremden Menschen genauso läuft."

"Da wirst du mehr gefühlsmäßigen Abstand haben, Kind. Das wird dir helfen, nachher nur noch die Erkrankung und die Behandlung in einem Menschen zu sehen."

"Komm, mach mir jetzt bloß keine Angst, ich könnte irgendwann mal nur noch Krankheiten statt Menschen sehen. Als das mit Roy und dieser läufigen Sabberhexe damals passiert ist habe ich das widerlich gefunden, wie sich die Heiler mit ihren Fachbegriffen über ihn unterhalten haben, ohne ihn als fühlenden Menschen zu sehen. Ich habe mir damals geschworen, nicht selbst so kaltherzig zu werden."

"Und, hat deine Mentorin dich in der Hoffnung bestärkt oder geschwächt, daß du so arbeiten kannst?" Fragte Auroras Mutter.

"Ich habe mit ihr einmal darüber gesprochen. Sie meinte, ich müsse es lernen, das Gleichgewicht zwischen Betroffenheit und reiner Funktion zu finden. das könne sie mir nicht in der Theorie beibringen. Das könnte und würde ich nur in der direkten Praxis lernen, und wenn ich Glück hätte, noch vor der Zulassungsprüfung. Denn dann könnte ich mit ihr über die Empfindungen sprechen und ausloten, inwieweit es mich stärker oder schwächer betrifft oder nicht."

"Dem kann ich jetzt absolut nichts hinzufügen oder absprechen", erwiderte Regina Dawn. "Ich kann nur wiederholen, daß du mit dieser Mentorin, so streng und unerbittlich sie mit dir umspringt, ein Glückslos gezogen hast. Du hättest auch einen Mentor oder eine Mentorin erwischen können, welcher nicht besonders viel Wert auf deine Leistungsgrenzen legt.

Das haben mir so viele erzählt, daß ich mit meiner Meisterin so zufrieden sein soll, Mum. Bis zu den Prüfungen habe ich das nicht so recht geglaubt. Du weißt ja noch, wie ich über Weihnachten mit so vielen Übungszetteln hier angekommen bin", sagte Aurora.

"Oja, kann ich mich auch noch gut daran erinnern. Wundere mich deshalb, daß sie dir nicht schon wieder so viele Zettel zum durcharbeiten mitgegeben hat", erwiderte ihre Mutter lächelnd.

"Scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, daß zwischen den Ausbildungsjahren keine Hausaufgaben verteilt werden dürfen, Mum", entgegnete Aurora darauf.

"Dann hast du jetzt doch Urlaub", bemerkte Regina Dawn dazu. Ihre Tochter nickte nur noch.

Ihrer Mutter mit praktischen Haushaltszaubern zur Hand zu gehen erschien Aurora wie ein befreiendes Ausschütteln ihres mit Formeln, Gesetzen und Fachbegriffen vollgestopften Gehirns. Während des Morgens trafen die ersten Begrüßungseulen ein, darunter von Miriam Swann aus Hogsmeade, die bestätigte, was Petula ihr bereits erzählt hatte.

Nach dem Mittagessen, das Mutter und Tochter alleine einnahmen, weil der Hausherr mal wieder wegen irgendwelcher Forschungsarbeiten in der freien Natur unterwegs war, besuchte Aurora die Winkelgasse. Der alte Tom, der kahlköpfige Wirt vom tropfenden Kessel, erkannte sie wieder und freute sich. Außerdem sah sie im Schankraum des Pubs zwischen Muggel- und Zaubererwelt Cynthia Flowers, die neben einer etwa zehn Jahre älteren Hexe mit dunklen Haaren an einem Tisch saß. Cynthia winkte, als die ehemalige Mitschülerin hereintrat.

"Hi Aurora! Lange nicht mehr gesehen. Was machen die Känguruhs?!" Rief sie. Ihre Tischgenossin sah sie etwas verstimmt an, mußte dann aber lächeln, als Aurora antwortete:

"Die sehen zu, daß die auch mit leerem Beutel große Sprünge machen können, wie die Finanzabteilung im Zaubereiministerium." Cynthia lachte zusammen mit den anderen Pubbesuchern. Nur eine kleine Hexe mit mausgrauem Haar, untersetzt und mit dem Gesicht einer grimmigen Kröte, lachte nicht darüber. Sie tat so, als ginge sie das Geplänkel nichts an. Cynthia sprach leise mit ihrer Tischnachbarin und winkte Aurora dann an den Tisch.

"Ms. Oaktree, daß ist meine Schulkameradin Aurora Dawn. Wir waren zusammen Vertrauensschüler. Sie in Ravenclaw, ich in Hufflepuff", stellte Cynthia Aurora vor. "Aurora, daß ist Ms. Lorna Oaktree. Sie arbeitet im Außendienst für Hogwarts für die reibungslose Eingliederung muggelstämmiger Schüler und hat mich vor einer Stunde offiziell als Mitarbeiterin angestellt."

"Huch, ich dachte, für die Muggelstämmigen sei ein Mr. Watergate zuständig", erwiderte Aurora.

"Tja, der arbeitet jetzt in der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit", sagte Lorna Oaktree und blickte Aurora prüfend mit ihren braunen Augen an. "Jedenfalls hat Professor Dumbledore mich jetzt an seine Stelle berufen, und ich habe Ms. Flowers nach ihrer eindrucksvollen Bewerbung engagiert."

"Oh, dann hast du ein Jahr pausiert?" Fragte Aurora Cynthia.

"Wo denkst du hin. Ich habe drei Sprachen gelernt und sechs Monate in der Muggelwelt zugebracht, um Feldforschung zu betreiben. Eigentlich wollte ich ja in das Muggelverbindungsbüro im Ministerium. Aber die haben Stellen abgebaut, wohl weil Du-weißt-schon-wer keine Muggel mehr umbringt", zischte Cynthia verschwörerisch. "Tja, und dann las ich von Mr. Watergates Beförderung und Professor Dumbledores Anzeige, daß für das Sekretäriat zur Eingliederung von muggelstämmigen Schülern ein Außendienstmitarbeiter männlich oder weiblich gesucht würde. Ja, und den Job habe ich jetzt bekommen."

"Nun, das erspart mir viel Beinarbeit", sagte Lorna Oaktree. Die ersten Neuzugänge werden morgen durch die Winkelgasse geführt."

"Gleich in die Arbeit rein?" Fragte Aurora Cynthia. "Wird bei dem Job keine Einarbeitungsphase verlangt?"

"Nur Einfühlungsvermögen, Sachkenntnis und viel Humor", sagte Ms. Oaktree. "Längst nicht alle Eltern von Muggelstämmigen empfinden es als Auszeichnung, ihre Kinder in Hogwarts lernen zu lassen. Das wollte ich gerne mit Ms. Flowers noch abklären."

"O, dann möchte ich Sie nicht bei Ihrer Arbeitsbesprechung stören", sagte Aurora mit leicht errötenden Ohren und machte Anstalten, aufzustehen. Doch Lorna Oaktree bedeutete ihr mit einer Handbewegung, sie dürfe sitzenbleiben.

"Ich habe mir den ganzen Tag für die Einweisung freigehalten. Und Ms. Flowers, Ihre ehemalige Jahrgangskameradin, bringt die gewünschten Voraussetzungen mit, um sich rasch einzuarbeiten. Offenkundig sind Sie auf der Durchreise oder in den Berufsferien hier, Ms. Dawn."

"Aurora", bot die in Australien lernende Medimagie-Adeptin an. So bot auch Ms. Oaktree ihr die Anrede mit ihrem Vornamen an. Dann erzählte Aurora, daß sie in Australien die magische Heilkunst studiere und gerade in den Jahresendferien sei und gerne wieder alte Orte und Bekannte besuchen wollte. So entwickelte sich eine Unterhaltung über die ehemalige britische Kolonie auf der Südhalbkugel, die entgegengesetzten Jahreszeiten und wie Aurora das erste Jahr überstanden hatte. Cynthia meinte dazu:

"Das war doch klar, daß du mit deinen Begabungen da gut reinkommst. Aber deine Lehrmeisterin ist wohl ziemlich ehrgeizig. War die in Hufflepuff oder Slytherin?"

"Woodring in der Redrock-Akademie", flüsterte Aurora. Cynthia verzog das Gesicht und errötete etwas. Natürlich war Bethesda Herbregis nicht in Hogwarts gewesen, wo Redrock schon seit mehr als einhundert Jahren die australischen Hexen und Zauberer hervorbrachte. Lorna Oaktree nickte und erwähnte, daß sie von dieser Großmeisterin auch schon gehört habe.

"Offenbar ist die interne Rangelei um die Nachfolge von Professor Dr. Springs noch nicht entschieden. Ich hörte, daß er in den nächsten Jahren als Niedergelassener Heiler anfangen wolle, weil ihm der Alltagstrott einer Klinik zu ermüdend werde. Aber das sind womöglich unausgegorene Gerüchte, die Sie, Aurora, womöglich irritieren mögen. Reden wir von Hogwarts! Sie haben gehört, was mit Cerby Blomfield passiert ist?"

"Der Lehrer für verteidigung gegen die dunklen Künste? Komische Geschichte, wenn ich mich daran erinnere, was anderen Lehrern passiert ist", sagte Aurora. "Er wurde von Kobolden verfolgt, weil er angeblich die Tochter eines Clanchefs von denen ... ähm ... entehrt hat."

"Leider nicht angeblich. Professor Dumbledore erfuhr es sehr spät, daß Blomfield vor seinem Amtsantritt eine Koboldin mit einem von ihm selbst gebrauten Liebestrank gefügig gemacht hat, um irgendwelchen Freunden zu beweisen, daß die nicht so reinrassig veranlagt sind wie sie sonst tun. Problem nur, er hätte auf kontrazeptive Maßnahmen achten müssen. Jedenfalls mußte er, als die derartig beglückte Dame und ihre älteren Brüder heraushatten, wo Blomfield abgeblieben war, sehr rasch für längere Zeit verreisen", sagte Cynthia.

"Sehr peinliche Sache das", grummelte Lorna Oaktree. Aurora nickte beipflichtend.

"Tja, und der Unfall von Perseus Forester ist vielleicht auch durch die Zeitungen bei euch gegangen", wandte Cynthia ein.

"Das stand sogar im Heilerherold, Cynthia. Der hat sich bei der Jagd nach einem walisischen Grünling zu nahe rangewagt. Das Biest hat ihm beide Arme glatt abgebissen. Da der Drachenspeichel magische Vergiftungen verursacht mußten sie ihm die Armstümpfe auch entfernen, um eine voranschreitende Vergiftung zu unterbinden. Sie haben ihm jetzt hochmoderne Magicoprothesen angepaßt. Er ist aber wohl nicht so ganz zufrieden damit", sagte Aurora.

"Ich habe ein Foto von ihm gesehen, Aurora. Diese magischen Kunstarme sehen aus wie aus geschmiedetem Silber, genau wie die Hände, die da dranhängen. Alles soweit brauchbar und geschickt. Aber ich kann mir vorstellen, daß es schon befremdlich ist, wenn er jemandem die Hand schütteln möchte."

"Diese Unterabteilung der Heilkunst werde ich wohl im dritten Jahr genauer kennenlernen. Bei uns in der Sano gibt es auch Spezialisten dafür", sagte Aurora. Dann sprachen sie über die jüngeren Kameraden, die jetzt noch in Hogwarts waren, wie Cynthias Schwester Nelly oder die Priestleys und Swifts. Aurora fragte, ob sie wissen dürfe, wie viele Muggelstämmige in diesem Jahr nach Hogwarts kommen würden. Lorna bedauerte, ihr das nicht sagen zu dürfen. Damit war es für Cynthia auch klar, dazu nichts zu sagen. Ehe sie sich versahen, hatten sie eine volle Stunde verplaudert. Aurora bedankte sich für die nette Unterhaltung und wünschte Cynthia einen guten Einstieg in den neuen Job. Dann wechselte sie hinüber in die Winkelgasse und flanierte eine Zeit lang an den Schaufenstern und Auslagen entlang, bewunderte die neuen Quidditchbälle und Rennbesen, verglich die Preise für Zaubertrankzutaten in der Apotheke mit den Standardpreisen im Bedarfsregister für Heiler und stellte fest, daß die Schüler und Freizeitbraukünstler hier mit fünfzig Prozent mehr zur Kasse gebeten wurden als die Medimagier. Sie lächelte, als sie kurz in die Unterhaltung von zwei rotwangigen Jungen hineinhörte, die vor dem Laden für Astronomiebedarf standen und sich über die Sterne in der Galaxis unterhielten und dabei eine große Glaskugel bestaunten, in der es wie von winzigen Leuchtkäfern wimmelte. Das war ein naturgetreues Modell der Galaxis, wie sie die magischen Astronomen auf Grund ihrer Beobachtungen rekonstruiert hatten. Irgendwie war das alles für sie so vertraut und doch so fremdartig. Es war jetzt ein Jahr und einen Monat her, daß sie die Schule beendet hatte. Wie oft war sie davor durch diese kopfsteingepflasterte Straße gezogen und hatte zusammen mit ihren Eltern oder Leuten wie Bernhard Hawkins, Petula Woodlane oder Mortimer Swift eingekauft. Ja, sie dachte auch an die dunklen Ereignisse, wie sie gleich bei ihrem ersten Besuch hier Zeugin wurde, wie bösartig die Anhänger dessen, dessen Name sie nicht nennen mochte waren. Dann war sie mit ihrem damaligen Freund in einen Überfall von Todessern hineingeraten. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie sie den damals knapp ein Jahr alten Draco Malfoy gerettet hatte. Hatten seine Eltern es ihm erzählt, daß er sein Leben ihrem Mut und ihrer Hilfsbereitschaft zu verdanken hatte? Womöglich war ihnen das aber auch peinlich, und weil sie ja meinten, dafür genug zurückgezahlt zu haben hatten sie es wohl schnell wieder vergessen, dachte Aurora. Sie sah sich um. Kein Haus in der Winkelgasse wirkte neuoder beschädigt. Alles schien so, als sei diese Straße mit ihren Läden immer schon so gewesen. Doch Aurora wußte es besser und sie hoffte, daß die Zeiten nicht wiederkamen, wo Leute wie sie immer wieder ängstlich zurückschauen mußten, ob ihnen nicht gleich jemand einen tödlichen Fluch aufhalsen wollte. Sie dachte an Bellatrix Lestrange, deren Zauberstab Bernhard genommen hatte, um sich zu wehren. Die saß nun lebenslang in Askaban, weil sie meinte, ihren Herrn und Meister suchen zu müssen, wo schon alle dachten, er sei endgültig verschwunden und dabei ein ehrenvolles Ehepaar in den Wahnsinn gefoltert hatte. Wenn sie sich vorstellte, daß ihr damaliger Freund mit demselben Zauberstab um sein und ihr Leben gekämpft hatte ... Sie sollte besser nicht mehr daran denken. Denn die schöne ruhige Stimmung, die sie hier und jetzt umfing, sollte bleiben, ihr wirklich das Gefühl von Ferien geben. Um sich von den trüben Gedanken wieder abzulenken kehrte sie bei Florean Fortescue ein und genehmigte sich eine Riesenportion Eiscreme. Ihre Lehrmeisterin hätte sie dafür wohl schief angesehen, weil sie als Heileranwärterin ungehemmt süßes verschlang. Doch Bethesda Herbregis war nicht hier. Womöglich machte diese selbst gerade Ferien von ihrer gelehrigen Schülerin, um im nächsten Jahr, wenn es neben den Grundlagen an die direkten Studien an echten Patienten ging ... Nein, sie wollte doch nicht an die Arbeit denken! Sie aß ihr Eis und sprach mit dem Besitzer des Eiscafés über die letzten Monate in England, über die Quidditchliga und über die Winkelgasse. Was sie selbst gerade tat ließ sie außen vor.

Nach dem Besuch bei Florean Fortescue stöberte sie in Madam Malkins Bekleidungsgeschäft herum, besorgte für ihre australische Freundin Heather Springs einen wasserblauen, sanft fließenden Festumhang und kaufte in der Buchhandlung Flourish & Blotts einige Bücher über die britischen zauberpflanzen und Tierwesen, von denen sie einige für Ireen und andere für Heather besorgen wollte. Schließlich besuchte sie die magische Menagerie, um sich die neueren magischen Haustiere anzusehen. Sie fragte nach Hausknieseln und Edelratten, erfuhr, daß junge Knuddelmuffs angeboten wurden und bestaunte ein Wechselkaninchen, das sich aus irgendeinem Antrieb heraus in einen schwarzen Zylinder verwandelte und dann wieder zu einem weißen Kaninchen wurde. Sie fragte, was der Sinn einer solchen Züchtung sei. Die Hexe an der Verkaufstheke grinste sie nur komisch an und meinte, daß das wohl von den Muggelstämmigen so eingeführt worden sei, weil deren sogenannten Zauberer gerne so taten, als könnten sie Kaninchen aus ihren Hüten hervorholen. Sie sprachen über reinrassige Kniesel und Halbkniesel. Aurora erfuhr so, daß solche Tiere im Laden zwischen zehn und fünfzig Galleonen allein für ein Jungtier kosten mochten, je danach, wieviele Ordinärkatzenanteile in einem Kniesel enthalten waren.

"Manchmal bekomme ich aus Surrey kleine Halbkniesel, die sehr gelehrig sind. Aber Sie scheinen eher auf eine neue Eule auszugehen, oder?"

"Ich bin beruflich in Australien tätig", sagte Aurora dazu. "Da darf ich keine ausländischen Tiere und Pflanzen einführen."

"Ach, da wo es diese grünen Riesenkänguruhs gibt?" Fragte die Verkaufshexe. Aurora nickte.

"Ich habe da drüben in Sydney einen Geschäftspartner, der sich auf die Zucht dieser grünen Kreaturen versteht. Sind ein wenig eigenwillig."

"Ja, das hörte ich auch", erwiderte Aurora. Dann wurde sie gefragt, ob sie vor ihrer neuen Arbeitsstelle in Hogwarts gewesen sei und bejahte es.

"Zwischendurch kommen auch welche von da her und holen sich Krötenhautglättungstinkturen oder Katzenaugenreinigungstropfen."

"War auf jeden Fall mal interessant, zu sehen, was an magischen Haustieren existiert", sagte Aurora und bedankte sich für die kurze Unterhaltung. Um ihr Gewissen zu erleichtern und ein wenig Umsatz zu machen kaufte sie für Heather Ratgeber zu verschiedenen hier angebotenen Tierwesen wie Knuddelmuffs und Kniesel. Dann kehrte sie in ihr Elternhaus zurück.

__________

In den nächsten Tagen wurde die angehende Heilerin von ihren früheren Mannschaftskameraden zu einem Quidditch-Übungsspiel eingeladen. Sie genoß es sichtlich, hinter einem Quaffel herzujagen, dabei wilden Klatschern auszuweichen und den gegnerischen Hüter zu verladen, was der Mannschaft, in der sie zusammen mit den Muggelstämmigen Vivian Acer und Tim Preston spielte, auch ohne Schnatzfang hundert Punkte eintrug. Mortimer Swift, der in der Gegenmannschaft der bedauerliche Hüter war, meinte nach dem dritten Übungsspiel:

"Mann, bin ich froh, daß du in Hogwarts in meiner Mannschaft gespielt hast. Dieses Doppelachsen-Flugmanöver ist ja fies gegen Hüter."

"Alles 'ne Frage der Gegenzüge", wandte Tim Preston ein, der wie in der Schule Treiber spielte. "Allerdings könnten wir deine Doppelachse gegen die Gryffindors gut gebrauchen. Dieser Charlie Weasley soll im nächsten Schuljahr bei denen Jäger spielen. Wenn der mit Joan Armstrong dann ein Duo bildet, sieht unser Hüter sehr schlecht aus."

"Ich hörte, sie würden dich zum Mannschaftskapitän ernennen", sagte Aurora zu Tim. Doch dieser schüttelte den Kopf.

"Flitwick und Hooch haben Vivian ausgewählt. Ist auch die bessere Wahl, weil ich als Treiber nur hinter den Klatschern herfliegen kann und keinen Überblick über das sonstige Gedöns habe."

"Die kann meine Doppelachse", sagte Aurora stolz. Vivian Acer nickte sehr wild und erfreut.

"Deshalb haben die Gryffindors ja im letzten Jahr auch gegen uns verloren, das einzige Spiel, das die verloren haben. Deshalb durften wir den Pokal auch wieder küssen."

"War nicht so sicher, wo die gegen die Hufflepuffs mit fünfhundert Punkten gewonnen haben. Das war ein Schlachtfest", warf Nelly Flowers ein, die wie Vivian und Tim in der Ravenclaw-Stammauswahl mitspielte.

"Hat dich das sehr runtergezogen?" Fragte Aurora die frühere Schulkameradin.

"Eigentlich nicht. Ich habe Cyn wochenlang damit ärgern können, daß ihr früheres Haus so heftig versenkt wurde", antwortete Nelly Flowers grinsend.

"Wohl dem, der nur eine kleine Schwester hat", stöhnte Mortimer. Seine Drillingsschwestern Ramona, Roxanne und Rita hörten das wohl und blafften ihn an, daß sie mit einem so rechthaberischen großen Bruder auch nicht froh wären.

"Immerhin habe ich euch Stammplätze in der Mannschaft klargemacht", knurrte Mortimer. Aurora nickte. Neben Vivian flogen Rita und Ramona als Jägerinnen, und Roxanne hatte sich als neue Sucherin empfohlen, wußte sie.

"Auf jeden Fall ein gutes Training, mit euch aus der alten Truppe zu üben", meinte Vivian, nachdem sie befunden hatten, es gut sein zu lassen. Aurora bedankte sich, daß sie noch einmal den wilden Besensport machen durfte.

"Und die erlauben dir das, in den Ferien Quidditch zu spielen, wo die es bei sich selbst nicht zulassen?" Wunderte sich Tim Preston.

"Was die nicht wissen, können die nicht verbieten. Außerdem bin ich volljährig und daher für meine Freizeitgestaltung selbst verantwortlich", sagte Aurora darauf nur.

"Die Pomfrey guckt sich schon um, wen sie aus unserer Truppe als Nachwuchsheiler oder -heilerin empfehlen kann", sagte Tim Preston verschmitzt grinsend. "Aber im Moment wollen die meisten, die die ZAGs machen entweder ins Ministerium oder in die Quidditch-Liga."

"Zu welcher Mannschaft würdest du denn gehen?" Fragte Aurora Tim.

"Ich denke, ich such mir besser gleich was länger dauerndes aus. In einer Mannschaft kannst du ja wohl gerade zehn oder fünfzehn Jahre spielen, wenn du nicht gerade bei den Stonehenge Greystones oder dem Middlesborough Methusalems mitspielen willst."

"Ja, und die Holyhead Harpyies haben auch eine Althexen-Mannschaft aufgemacht, wo alle ehemaligen Profi-Spielerinnen über fünfzig mitspielen dürfen", grummelte Mortimer. "Mum droht es Dad immer wieder an, daß sie da auch reingehen könnte, wenn die drei Mädels aus dem Haus sind."

"Die war eine Harpyie?" Fragte Nelly Flowers ihn. "Stark!"

"Vier Jahre lang Jägerin. Dann hat sie von meinem Vater einen Quaffel untern Umhang gefangen, der Arme und Beine bekam und hat nicht mehr weiterspielen können."

"Soso, du Quaffel mit Armen und Beinen", grinste Nelly. "Dann würde die jetzt wieder in den Altweiberclub von Holyhead reingehen?"

"Nur wenn Daddy das Kunststück mit dem untern Umhang bugsierten Quaffel nicht doch noch einmal bringt", erwiderte Mortimer verrucht grinsend. Ramona knuffte ihm dafür in die Seite.

"Red' nicht so blöd über Mum und Dad, Morty! Immerhin haben sie dich noch nicht vor die Tür gesetzt, damit du für dein Futter alleine sorgst."

"Jaja, nur weil ich bisher noch keinen eigenen Wohnsitz habe muß ich euch armen im Wachstum befindlichen Mädchen was wegessen", feixte Mortimer und bekam es dann prompt mit allen drei Schwestern zu tun. Er drohte einmal, daß er in den Ferien zaubern dürfe und sie nicht. Doch jeder hier wußte, daß er die Drillinge selbst zu sehr mochte, um auch nur einer von ihnen was anzuhexen. Aurora unterhielt sich, während Mortimer mit selbstverschuldeten Familienstreitigkeiten zu tun hatte, über Cynthia und fragte sie, ob Nelly sie womöglich einmal in Hogwarts sehen würde.

"Die wird wohl im für Schüler unzugänglichen Teil arbeiten. An und für sich hat sie dann ja nur vor der Einschulung was zu tun", sagte Nelly darauf.

"Sie erzählte mir, daß es mit der Einschulung alleine nicht erledigt sei, weil sie ja die Verbindung zwischen den Schülern und ihren Eltern aufrechterhalten müsse und diesen auch bei nötigen Ausflüchten, wo denn ihre Kinder hingeschickt worden seien, helfen müsse", entgegnete Aurora Dawn darauf. Nelly nickte. Offenbar hatte ihre große Schwester es ihr auch so erzählt. Dann fragte sie die ehemalige Vertrauensschülerin:

"Das mit Australien war deine Entscheidung, oder hättest du auch im St. Mungo anfangen können?"

"Zum einen waren die beim St. Mungo schon sehr gut besetzt, und zum anderen hat es mich gereizt, die magische Heilkunst so intensiv wie es geht zu erlernen. Die haben in Australien für jeden Schüler einen voll ausgebildeten Heiler als persönlichen Lehrmeister. Im St. Mungos lläuft ja viel wie in Hogwarts ab, nur mit größeren Klassen."

"Vielleicht gehe ich in eine Quidditchmannschaft, wenn ich bis zur siebten durchhalte. Aber was ich danach mache weiß ich dann noch nicht", sagte Nelly.

"Du hast ja auch noch drei Jahre vor dir", sagte Aurora. "Vielleicht interessiert dich ja noch was anderes außer Quidditch."

"Tim wird wohl jetzt wo er die ZAGs hat Zaubertränke sausen lassen, weil Snape da unausstehlich geworden ist. Aber ich müßte den ja bis zur siebten durchziehen, wenn ich Heilerin werden wollte", sagte Nelly darauf betrübt.

"Da kannst du aber von ausgehen, daß ich nix mache, wo ich dem sein Fach für brauche", knurrte Tim, der mitbekommen hatte, daß sein Name gefallen war. Aurora sah ihn etwas verdrossen an, weil sie eigentlich nur mit Nelly sprechen wollte. Doch sie nickte ihm zu und sagte:

"Wie waren deine ZAGs denn so?"

"Bei Zaubertränken ein E, wie bei Verwandlung, Zauberkunst und Astronomie, bei Verteidigung gegen die dunklen Künste bei diesem Kobold-Deckhengst Blomfield ein rundes O, gleiches in Goldbridges letztem Jahr als Lehrer für Muggelkunde, bei deiner Lieblingslehrerin Sprout, dem Gähngespenst Binns und bei Vector ein M und bei der Räucherstäbchen-Hexe Trelawney ein T wie Totalausfall."

"Dann kannst du Snape eh vergessen", warf Aurora ein. "Der wollte schon damals, wo ich die ZAGs machte, nur Leute mit einem O in seinem Fach in den UTZ-Klassen haben."

"Soll er doch. Dann kann Phiona Carpenter die Ehre der Muggelstämmigen bei ihm hochhalten. Die hat so'n O bei ihm geholt. Wird der blöd kucken, wenn die nach den Ferien sagt, daß sie auch den UTZ bei ihm haben will", grinste Tim.

"Freiwillig bei Snape? Was will die denn mit dem Fach machen?" Fragte Mortimer, der nun fand, sich auch an der Unterhaltung beteiligen zu dürfen.

"Die hat ein Angebot von Dione Porters Schönheitsladen gelesen", erwiderte Vivian Acer. "Sie wollte ja früher Modell werden, also eine, die für Leute, die sich neue Klamotten anschaffen wollen vorführt, was es da so gibt und ..."

"Wir wissen, was ein Modell oder Mannequin ist", knurrte Tim Preston. Mortimer meinte dann:

"Dann will die bei Dione Porter in die Fertigung rein oder als Vorzeigepüppchen für Leute, die nicht wissen, wofür sie diesen Kosmetikkrempel benutzen können?"

"Yep", machte Vivian. "Die Pomfrey muß die ja immer wieder anhalten, genug zu essen, weil die morgens nur eine Schnitte Toastbrot mit etwas Käse ist und auch nur klares Wasser trinkt. Vom Abendessen ganz zu schweigen."

"Habe ich von gehört, daß es bei den jüngeren Muggelfrauen und -mädchen langsam zu einer echten Krankheit wird, daß die finden, sie dürften nicht zunehmen und sich deshalb fast oder tatsächlich tothungern", wandte Aurora besorgt klingend ein. Vivian nickte.

"Ihre Mutter ist Ballettmeisterin. Offenbar hat sie das daher", seufzte Vivian und befand, nicht länger über die hier nicht anwesende Phiona Carpenter herziehen zu dürfen.

"Jedenfalls komm ich um Snape rum, weil ich nur ein E in Blubberbräukunde habe?" Fragte Tim. Aurora nickte bestätigend. Sie wußte von Philipp, daß Snape seine Einstellung zu seinem Fach und wer es lernen durfte nicht geändert hatte.

"Flitwick meinte sowas, daß er zwar Leute mit einem A in seine UTZ-Klassen reinlassen würde, aber nur, wenn die in anderen praktischen Zauberfächern mindestens ein E gemacht hätten oder wie Dina damals viele sehr guten ZAGs aber keine in den Zauberstab-Fächern hätten. Aber mit dem E mache ich das zumindest weiter."

"Dann hast du ja kein Theoriefach mehr, oder?" Fragte Aurora Tim. Dieser grinste und sagte, daß er Muggelkunde weitermachen würde.

"Die haben Charity Burbage aus dem Ministerium abwerben können", sagte Nelly. "Die hat da im Ausschuß gegen den Mißbrauch der Magie geschafft. Hatte da wohl auch mit vielen Muggelstämmigen zu tun, die meinten, in den Ferien zaubern zu müssen."

"Ach du meine Güte, die alte Schrulle?" Entfuhr es Mortimer. "Oha, was die da wohl rüberbringt."

"Das braucht dich doch jetzt eh nicht mehr zu jucken, Mortimer", blaffte Nelly ihn an. Vivian sagte nur, daß sie wohl keine Probleme mit der neuen Lehrerin kriegen würde. Tim nickte ihr beipflichtend zu.

"Was haben eure Eltern gesagt, wie ihr von hier wieder nach Hause kommt?" Fragte Mortimer Tim und Vivian, da sie auf ihren Besen ja nicht in eine Muggelsiedlung hineinfliegen durften.

"Wir fahren mit dem Ritter", sagte Nelly. "Damit sind wir ja auch hergekommen."

"Ups, habe ich nicht mitgekriegt", sagte Mortimer.

"Klar, weil du ja herappariert bist", warf Tim ein. "Schon stark, dieser Bus." Er holte seinen Zauberstab hervor und winkte damit einigemale. Da knallte es, und laut ratternd erschien ein dreistöckiger, purpurroter Bus aus dem Nichts heraus.

"Ich zahl die Rückfahrt", sagte er Nelly zugewandt und kramte einen Lederbrustbeutel unter seinem T-Shirt hervor. Da hielt das ratternde Ungetüm auf Rädern auch schon, und ein korpulenter Jüngling mit schwarzem Lockenhaar rief laut:

"Willkommen im Fahrenden Ritter, dem Nottransporter für gestrandete Hexen und Zauberer. Strecken Sie einfach den Zauberstab aus ..."

"Ja, wir hatten heute schon das Vergnügen", sagte Tim. "Jetzt geht's zurück. Ich zahle für die Lady hier mit." Er deutete auf Vivian, die ihn charmant anlächelte. Dann stiegen die beiden Muggelstämmigen in den Bus ein. Aurora und die anderen Quidditchkameraden sprangen erschrocken zur Seite, als das dreistöckige Vehikel mit einem lauten Hupsignal und dann mit aufbrüllendem Motor anfuhr, um die Ecke bog und dann mit einem lauten Knall im Nichts verschwand.

"Okay, Mädels, dann machen wir uns besser auch weg", sagte Mortimer. "Dann zeigt Aurora mal, daß ihr auch gut apparieren könnt!"

"Andrer Ton, Morty", knurrte Roxanne Swift. Doch dann ploppte es, und sie war einfach weg. Ihre beiden Drillingsschwestern folgten ihr, wobei Rita sich sehr elegant auf der Stelle drehte und fast unhörbar verschwand.

"Ich weiß nicht, was bei euch Mädchen macht, daß ihr so leise wie ein schwacher Furz disapparieren könnt", knurrte Mortimer. "Wir sehen uns dann bei Miriam am zehnten?" Fragte er noch.

"Wenn sie dich eingeladen hat", feixte Aurora. Er nickte heftig und disapparierte dann mit einem vernehmlichen Knall.

"Wann darf ich das lernen?" Fragte Nelly.

"im sechsten Jahr", erwiderte Aurora. "Soll Cynthia dich abholen?"

"Ich fliege nach Hause. Ist ja nicht so weit von hier weg. Muß nur aufpassen, nicht zu nahe über den Muggel-Autobahnen zu fliegen", sagte Nelly und saß auf ihrem Besen auf. Auch die restlichen Übungskameraden flogen davon oder disapparierten. Aurora stand alleine vor dem Stadion der Wimbourne Wasps, in dem sie für vier Übungsstunden bezahlt hatten. In zwei Wochen wollten sie alle noch einmal zusammen hier trainieren. Sie schulterte ihren neuen Besen und kehrte mit leisem Plopp in ihr Elternhaus zurück. Dort wurde sie bereits erwartet.

"Hallo, Ms. Dawn", begrüßte Madame Pomfrey die Urlauberin aus Australien, als Aurora das Wohnzimmer ihrer Eltern betrat.

"Oh, Madame Pomfrey. Wußte nicht, daß Sie heute in der Gegend sind", staunte Aurora Dawn.

"Ihre Mutter hat gefragt, ob ich Zeit und Lust hätte, auf einen kurzen Schwatz herüberzukommen. Natürlich nur, wenn Sie es erlauben", sagte die Schulheilerin von Hogwarts. Aurora hatte überhaupt keine Einwände. Sie dachte zwar daran, daß sie gleich über all die Sachen reden sollte, von denen sie im Moment gerade Urlaub machte. Aber zum einen hatte sie jetzt schön lange Quidditch gespielt. Zum anderen lagen zwischen dem Abreisetag von der Sano und jetzt bereits sieben Tage. Sie entschuldigte sich nur, daß sie gerade von einer Besenpartie zurückkehrte und sich erst einmal gesellschaftsfähig machen wollte. Madame Pomfrey sah sie verschwörerisch an.

"Sie können mir ruhig sagen, daß Sie Quidditch gespielt haben. Als ich mein erstes Ausbildungsjahr hinter mir hatte, habe ich das auch noch einmal genossen, auf einem Rennbesen zu sitzen. Allerdings waren die damaligen Besen auch sehr unsicher und langsam."

"Es ist mir nicht verboten worden. Aber die australische Vorsitzende der Heilerzunft mag es wohl nicht, daß die ihr unterstellten Leute Quidditch spielen", wandte Aurora ein.

"Ich entsinne mich dessen", sagte Madame Pomfrey. "Ich habe die gute Laura Morehead ja schon einigemale sprechen können. Ich denke jedoch nicht, daß sie Ihre Ausbildung widerruft, nur weil Sie von früheren Kameraden zu einem lockeren Freizeitspiel eingeladen wurden. Eingesperrt werden Sie in Australien ja genausowenig wie im St.-Mungo-Krankenhaus."

"Geben Sie mir bitte vier bis fünf Minuten, damit ich mich frisch machen kann. Dann werde ich sehr gerne mit Ihnen über mein erstes Jahr sprechen", erwiderte Aurora. Die Besucherin nickte ihr zustimmend zu.

Als die angehende Heilerin mit der bereits altgedienten Heilerin im Wohnzimmer bei Tee und Gebäck zusammensaß wurde es eine sehr lange und ausgiebige Unterhaltung über die Lehrmethoden und das im ersten Jahr angesammelte Fachwissen. Regina Dawn hielt sich derweil in ihrem kleinen Arbeitszimmer auf, während Hugo Dawn mit alten Freunden aus seiner Hogwarts-Zeit die Winkelgasse unsicher machte.

"Oh, diese dunkle Illusionskammer ist wohl sehr neu. In meiner Lehrzeit habe ich noch mit Wachsmodellen und Tierorganen herumlaborieren müssen. Außerdem haben sie im Vorlesesaal eine Wand mit einem Bilderzeugungszauber belegt, der uns funktionierende Organe und Körpervorgänge gezeigt hat. Der Lehrer für Blut- und Kreislaufkunde hatte aber einen einschläfernden Tonfall beim Erklären. Da haben wir uns dann von den Leuten aus den höheren Klassen Wachhaltetränke besorgt, um nicht einzuschlafen."

"Diese Dunkelkammer ist schon sehr praktisch, Madame Pomfrey", erwiderte Aurora Dawn. "Da können alle Vorgänge von innen heraus simuliert werden. Meisterin Herbregis hat mich mal meine eigene Geburt nacherleben lassen. Das Erlebnis war sehr einprägend."

"Kann ich mir vorstellen. Ich habe die erste Mutterschaftsbetreuung erst am Ende des zweiten Jahres mitbekommen, wo wir auf bestimmte Patienten verteilt wurden. Damals gab es aber schon die Exosenso-Haube. Hat Meisterin Herbregis Ihnen die auch vorgeführt?"

"Einmal nur. Sie meinte aber, daß ich den entsprechenden Zauber selbst lernen solle. Aber für Hebammen und werdende Mütter sei die schon praktisch", erwiderte Aurora.

"Habe ich auch so gelernt", Lachte Madame Pomfrey. Dann ging es um die altbewährten und die modernen Heilzauber. Aurora erfuhr, daß ein Heiler alle zwei Jahre an einer Fortbildung teilnehmen solle, um immer auf dem neusten Stand zu bleiben. Sie nickte nur. Dann sprachen sie noch über die australischen Zauberpflanzen und inwieweit diese den europäischen zauberkräutern unter- oder überlegen waren. Jedenfalls flogen die Stunden nur so dahin, bis Regina Dawn fragte, ob die beiden Damen etwas zu essen haben wollten. Das veranlaßte Aurora, mit der Schulheilerin über Phiona Carpenter zu sprechen.

"Ach, haben die anderen es erzählt, daß die junge Ms. Carpenter offenbar dem Drang nachhängt, bloß nicht zunehmen zu dürfen? Ich fürchte, ich werde sie bei der Rückkehr mit den Alternativen Zwangsernährung, ordentliches Essen oder Hungerverstärkungstrank konfrontieren. Sie wiegt bestimmt zwölf Kilogramm weniger als sie in ihrem Entwicklungszustand wiegen müßte. Aber anders als die Muggel haben wir immer noch Mittel und Wege, sowas abzuändern, egal ob nach oben oder nach unten."

"Nun, es geht mich ja eigentlich auch nichts an, was mit den noch in Hogwarts lernenden Schülern passiert", räumte Aurora ein. Ihre Mutter nickte verhalten.

"Sagen wir es so, als Vertrauensschülerin hätten Sie die betreffende Dame zu mir hinbringen und die Einhaltung meiner Heileranweisungen überwachen müssen. Insofern erkenne ich das schon als gerechtfertigtes Interesse an. Was haben die anderen erzählt, was Phionas Eltern machen?"

"Ihre Mutter ist Kunsttanzlehrerin, und ihr Vater arbeitet in einer Bank der Muggel."

"Ballett? Oha, da wundert es mich schon gar nicht mehr, daß sie findet, sich so beweglich wie möglich halten zu müssen. Aber mit Unterernährung geht das auch nicht", seufzte die Schulheilerin von Hogwarts. Aurora fragte sie dann noch, ob sie während der Ferienzeit in Hogwarts wohnte.

"In den großen Ferien nicht. Ich habe es vorgezogen, mir ein kleines Häuschen für die Sommerwochen zuzulegen. Andere Kolleginnen bleiben gerne in ihren Schulen, weil dort auch Seminare für Erwachsene abgehalten werden oder alleinstehende Lehrer wohnen. In Hogwarts ist im Moment niemand außer Mr. Filch und den Geistern. Ersterer hat mir gesagt, daß er mich nicht braucht, und letzteren kann ich mit meinen Künsten nicht helfen, zumal sich die ektoplasmatische Konstitution eines Geistes nicht von physischen oder toxischen Einflüssen beeindrucken läßt."

"Das ist wohl wahr", bestätigte Aurora. "Meisterin Herbregis erklärte mir, daß die Magier der australischen Ureinwohner zwar Zauber könnten, um einem Geist Schaden zuzufügen oder ihn zu stärken, aber die wenigen Ektoplasmologen, die in der Geisterbehörde arbeiteten, stünden diesen archaischen Zaubern so unkundig gegenüber wie ein Muggel jeder einfachen Zauberei.

"Ja, die Naturvölker haben schon eine besondere Beziehung zur Magie, das ist nicht zu leugnen. Aber für uns, die wir mit der magischen Heilkunst befaßt sind, sind Gespenster und Phantome als Patienten wohl ausgeschlossen."

"Nur traurig, daß ein Zauberer zum Geist wird, weil er Angst vor dem Tod hat oder irgendwelche nicht erledigten Aufgaben zurückzulassen droht, wenn er vollständig aus der Welt geht. Wer dann einmal als Geist in dieser Welt verbleibt kann sie nicht mehr aus eigenem Willen verlassen."

"Ja, das haben schon etliche Gewesenen gedacht, daß die Bewältigung der ungelösten Aufgaben ihr postmortales Dasein beendet. Einige von denen, die sich geirrt haben geben wir in Hogwarts immer noch Unterschlupf."

"Ich sollte mich doch besser mit lebendigen Wesen befassen", stellte Aurora fest, die das Thema etwas trübselig gestimmt hatte. Ihre Mutter nickte. Sie warf ein, daß Aurora wohl in den kommenden Jahren genug Freude und Leid unter den lebendigen Wesen miterleben würde. Aurora erinnerte sie an die Halloweenfeier, wo viele Heiler, auch ihre Mentorin, wegen eines Großeinsatzes ausrücken mußten.

"Als wenn nicht schon genug Unfälle und Fehleinschätzungen bei Zaubertränken oder Zaubern auftreten würden", grummelte Madame Pomfrey. Dann aßen sie zu Abend.

Gegen zehn verabschiedete sich die Schulheilerin von Aurora und wünschte ihr weiterhin genug Einsatzbereitschaft und Erfolg für ihre Ausbildung. Sie erinnerte sie noch einmal daran, daß die magische Heilkunst nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung sei und sie sich geehrt fühlen dürfe, wenn sie die Ausbildung und das praktische Jahr erfolgreich hinter sich gebracht haben würde. Aurora bedankte sich für den Besuch und das lange Fachgespräch, bei dem sie zumindest den Eindruck hatte, wirklich noch was für Madame Pomfrey interessantes gelernt zu haben.

"Sie wollte wissen, ob dein Enthusiasmus noch ungebrochen ist, Aurora. Ich denke, sie freut sich, daß sie dich nicht zu etwas getrieben hat, daß dir nicht liegt. Außerdem vermute ich, daß sie froh ist, daß sie keinen Heuler von deiner Mentorin oder jener Laura Morehead erwarten muß."

"Das hoffe ich doch, Mum", erwiderte Aurora.

"Aber daß du deine Geburt in dieser Simulationskammer nacherlebt hast macht mich schon nachdenklich. Ich war damals nicht gerade freundlich zu dir, weil mir das so wehtat und ich die Nacht gerne noch geschlafen hätte und mir dann von deiner Oma Regan noch was anhören mußte, daß sie selbst zwei drei gesunde Kinder zur Welt gebracht habe. Dann noch diese Kommandohaltung von Heilerin Newport, die kaum älter war als ich und meinte, mehr von meinem Körper wissen zu dürfen als ich."

"Meisterin Herbregis hat mich die letzten fünf Stunden nacherleben lassen. Hast schon häufig geschimpft. Aber tröste dich, daß es mich auch ziemlich mitgenommen haben muß", erwiderte Aurora. Ihre Mutter grinste.

"Zumindest eine gewisse Genugtuung. Aber jetzt bist du schon seit mehr als achtzehn Jahren auf der Welt und gehst endlich deinen ganz eigenen Weg. Dafür hat sich diese Quälerei doch gelohnt."

"Ich hoffe das doch, Mum. Noch einmal danke, daß du mich bis jetzt ausgehalten hast!"

"Das hat mir ein sonst total langweiliges Leben erspart", entgegnete Regina Dawn mütterlich lächelnd. Dann wünschte sie ihrer Tochter noch eine gute Nacht.

__________

Aurora Dawn bekam eine Einladung von Eunice Dirkson und ihrem Mann Dorian. Die ehemalige Jahrgangskameradin hatte nicht von sich aus auf einen Besuch drängen wollen und schon befürchtet, Eunice und ihre Drillinge nicht zu sehen zu bekommen. Doch die schwarzhaarige Musterschülerin und unverhoffte Dreifachmutter hatte in ihrer Einladung für den neunten August klargestellt, daß Aurora nicht so heimlich wieder nach Australien abreisen dürfe, ohne sich die drei Wonneproppen angesehen zu haben, deren Herzschläge sie in den Weihnachtsferien schon gehört hatte.

"Ich glaube, ich leg's drauf an und tu mir den Nutrilactus-Trank an", sagte Dorian, als Aurora ihn und seine schlagartig angewachsene Familie begrüßt hatte. Die drei Babys, zwei Jungen und ein Mädchen, lagen in drei geräumigen Wiegen und schliefen gerade. "Wenn ich mir so ansehe, wie sich Eunice damit abquält, die drei sattzuhalten ..."

"Glaub's mir, Dorian, daß ich dich gerne beim Wort nehme. Aber wenn du schon bei der Geburt von Esther fast in Ohnmacht gefallen bist solltest du dir klar werden, daß der Trank für eine männliche Amme wie ein Todeselixier wirkt", sagte Eunice und blickte ihren Mann verwegen an.

"Ich hatte das in der Ausbildung, wie anstrengend das für die Kinder selbst ist, geboren zu werden. Wielange hat es denn gedauert, bis sie alle da waren?" Fragte Aurora.

"Esther war die erste. Die hat sich zwei Stunden Zeit genommen, bis ihre Füße an der frischen Luft waren. Larry entsprang mir förmlich innerhalb von einer Minute. Offenbar hat seine große Schwester die Tür weit genug aufgerissen. Tja, und Horus hat es dann in einer Viertelstunde geschafft, in meine Arme gelegt zu werden. Ich hoffe nur, daß er immer genug von mir abbekommt. Weil Esther und Larry schreien fast immer zugleich. Ist nicht so einfach, festzulegen, wer von den drei Rackern jetzt noch was mehr haben soll", erzählte Eunice voller Stolz. "Zumindest sind meine Eltern und Rorians Mutter hochzufrieden, gleich drei Enkel betüddeln zu dürfen. Mr. Dirkson und meine Schwiegeronkel sind da ja nicht sonderlich begeistert."

"Klar, weil meine Onkel sich um die Patenschaft für Larry und Horus zanken mußten", grummelte Dorian. "Aber meine Cousine Angela freut sich, daß sie Esthers Patin sein darf. Sie hat ja selbst vier Bengel in die Welt gesetzt, aber im Abstand von fünf Jahren."

"Ja, die hat mich schon wie ein Weltwunder angeglotzt, daß ich drei auf einmal herumtragen konnte und mich schon bedauernd angekuckt, daß ich mich auf einen Höllenritt gefaßt machen müßte", erwiderte Eunice.

"Ja, aber irgendwie hast du ihr auch Appetit auf Kind Nummer fünf gemacht", erwiderte Dorian belustigt. "Die hat ihren achso vielbeschäftigten mann bestimmt schon in Arbeit, abends doch mal früher ins Bett zu gehen oder morgens nicht gleich rauszuspringen, weil er meint, der Tagesprophet liefe ohne ihn nicht."

"Oder er hat jetzt das schlagkräftigste Argument, daß seine Frau mit vier Kindern bedient sei."

"Sie will aber noch eine Genoveva haben, weil sie Oma Gennys Namen so putzig findet."

"Kann dein verschwägerter Cousin nur Jungs machen?" Fragte Aurora mädchenhaft grinsend.

"Von den vieren, die auf sein Konto gehen sind alle als Jungs zur Welt gekommen", antwortete Dorian darauf.

"Sagen wir es so, Dorian, wenn wir beide genug Zeit und Geld haben, um zu den dreien, die ich uns herangetragen habe noch eins durchzukriegen, dann in zwei Jahren gerne noch mal. Sonst lassen wir es besser bei den Übungsrunden", warf Eunice ein. Ihr Mann grinste verrucht und deutete auf Aurora.

"Mußt du sie in unsere Familienplanung einweihen?" Fragte er nicht ganz so streng klingend.

"Vielleicht ist sie in drei oder vier Jahren ja die Heilerin, die deinem Nachwuchs auf die Welt holen darf", erwiderte Eunice. Dann bat sie Aurora in die Wohnstube, in der mehrere plüschige Mobilees von der Decke hingen, die wie fliegende Vögel oder bunte Schmetterlinge aussahen und unhörbar mit den großen Flügeln schwangen und immer wieder im Kreis herumflogen, nur von einem hauchdünnen Faden mit der Deckenlampe verbunden.

"Madame Newport meinte, daß die geistige Entwicklung von Neugeborenen bei bunten, sich bewegenden Objekten schneller voranschreitet", erklärte Eunice. Aurora stutzte. Newport? Das war doch die Hebamme, die ihrer Mutter bei ihrer Ankunft geholfen hatte. Dann fiel ihr ein, daß Eunice doch in ihren Briefen immer von einer Enchantra Brightgate geschrieben hatte und fragte die Schulkameradin.

"Tja, eure Zunft ist wohl ziemlich hierarchisch. Der Leiter vom St. Mungo hat Enchantra Brightgate zum Innendienst geholt, weil eine seiner Stationsheilerinnen in den Ruhestand ging. Da hat die werte Madam Brightgate ihre Patientinnen an ihre ältere Kollegin Newport abgegeben", erwiderte Eunice.

"Ziemlich herrschsüchtige Hexe. Könnte glatt mit der McGonagall verwandt sein", knurrte Dorian. "Ich wollte unbedingt bei Eunice bleiben, als Esther gerade ankam. Da meinte diese Schabracke, daß Männer bei sowas eh nicht zugucken könnten. Kaum daß Horus seinen ersten Schrei getan hat, scheuchte die mich rum, ich solle die drei Wiegen herholen und die Keimfreilösung über die Kissen und Decken darin verteilen, damit die drei sich nichts einfangen würden. Die kommt heute noch mal vorbei. Aber Eunice hat erwähnt, daß wir Besuch hätten und es besser sei, wenn der nicht in alle Angelegenheiten reingezogen würde."

"Benefica Newport ist deine Hebamme gewesen?" Fragte Aurora Dawn Eunice.

"Gewesen? Solange ich die drei nicht abgestillt habe kommt die jeden zweiten Tag zur Nachsorge vorbei. Aber woher kennst denn du die?"

"Die hat wohl meinen Kopf in den Händen gehalten, als ich noch keinen Atemzug getan habe", sagte Aurora grinsend. "Durch eine Übungseinheit, sehr weit zurückliegende Erinnerungen zurückzuholen weiß ich, daß die sich häufig mit meiner Mutter und meiner Großmutter väterlicherseits gezankt hat, weil sie damals wohl noch sehr neu in ihrem Job war."

"Hups, ist ja heiß", warf Dorian ein. "Na ja, dann sollten wir eigentlich beruhigt sein. Dich hat sie wohl gut ans Licht geholt und unsere drei sind ja auch gut ins Leben gerutscht."

"Gerutscht ist gut", knurrte Eunice, mußte aber grinsen. "Larry ist ihr fast an den Hals gesprungen, und Esther hat regelrecht gerangelt, bis sie da war. Der einzige, der es nicht so wild und ruppig mochte war Horus."

"Ja, du bist keine Rutschbahn, Eunice. Aber mein Vater nennt das halt so."

"Ja, und was dein Vater so sagt findest du auch alles richtig", schnarrte Eunice nun doch etwas ungehalten zurück. Dorian verzog das Gesicht und deutete dann auf Aurora.

"Wir sollten uns besser nicht zanken, wo Aurora dabei ist. Nachher denkt die noch, es läge am Kinderkriegen."

"Ach ich denke, wenn sie den passenden Vater dafür findet, wird sie auch mal wen kleines unterm Umhang haben wollen", sagte Eunice darauf nur und holte mit ihrer unnachahmlichen Begabung für ungesagte Zauber Tee und Gebäck aus dem Nichts. Dann sprachen sie über die Monate vor und nach der Drillingsgeburt, daß Eunice sich schon für die Zeit nach dem Babyjahr orientierte und Dorian hoffte, den für die drei nötigen Anbau am Haus finanzieren zu können, bis seine frau zunächst als Teilzeitkraft arbeiten würde.

"Meine Mutter findet, daß wir uns beide Teilzeitjobs zulegen sollten, damit wir uns bei der Betreuung abwechseln können", sagte Dorian. "Mein Vater findet, daß ich meinen guten Job beim Ministerium nicht sausen lassen sollte und er für uns ja auch genug verdient habe. Mum meinte dann, daß Eunice mit ihren Super-UTZs nicht als Haushexe herumhocken sollte. Aber wir klären das, wer was arbeitet. Mit drei auf einmal ist es halt nicht so leicht, Familie und Beruf zusammenzulegen."

"Ja, aber abwechslungsreich wird es schon", sagte Eunice darauf. Dann ließen sie sich von Aurora erzählen, wie das erste Jahr gelaufen war, wie sie mit ihren Jahrgangskameraden zurechtkäme und welche Hilfsmittel sie beim Lernen einsetzen konnten. So verging die Zeit, bis es an der Haustür läutete. Dorian verzog das Gesicht. Er stand auf und ging zum Öffnen. Aurora hörte die Stimme einer energischen Hexe in mittleren Jahren, die sie durch ihre Erinnerungsrückbesinnung noch so im Kopf hatte, als sei es erst vorgestern gewesen, daß sie sie gehört hatte.

"Nichts für ungut, Mr. Dirkson, aber mit Drillingen ist eine lückenlose Betreuung von Mutter und Kindern mehr denn je erforderlich", sagte die Hexe, die wohl schon auf dem Weg herein war. "Ich denke, Ihr Besuch wird das verstehen, daß ich mit Ihrer Gattin und den Kindern einige Minuten Zeit verbringen muß."

"Nun, wenn Sie finden, Ihre Fürsorgepflichten erfüllen zu müssen ..." grummelte Mr. Dirkson. Dann trat er mit einer Hexe im fliderfarbenen Umhang ein. Aurora sah sie sehr interessiert an. So sah also die Hexe aus, die ihr vor über achtzehn Jahren auf die Welt geholfen hatte, klein, gedrungen, kurze, erdbraune Haare und wolkengraue Augen. Die Heilerin sah Aurora beiläufig an und wünschte mit einem leicht wie bellen klingenden Tonfall "Schönen guten Tag!"

"Aurora, daß ist meine Hebamme, Madame Newport. Madame Newport, das ist meine frühere Klassenkameradin und Vertrauensschülerkollegin Aurora Dawn."

"Moment, Dawn, Aurora Dawn?" Fragte die Hebamme und musterte Aurora nun sehr interessiert. "Oh, dann hatten wir schon das Vergnügen. achtundzwanzigstr Mai neunzehnhundertsechsundsechzig. War ein schöner Frühlingstag, und Du, öhm, Sie, fanden wohl, daß Sie mit der Morgensonne zusammen erscheinen wollten", sagte sie, nun etwas freundlicher. Dann musterte sie die junge Heilkunstanwärterin. "Sie haben wohl mehr von Ihrem Vater geerbt. Ihre Mutter hat ja nicht so nachtschwarzes Haar."

"Sie denkt heute noch gerne daran, wie gut sie ihr geholfen haben, Madame Newport", sagte Aurora grinsend.

"Stimmt, ich las, daß Sie sich bei den australischen Kollegen zur Heilerin ausbilden lassen möchten. Dann sind Sie jetzt mit dem ersten Jahr durch?"

"Oja, bin ich. meine Ausbilder haben es bisher nicht bereut, daß ich zu ihnen kam", erwiderte Aurora.

"Nun, wahrscheinlich wollten die beiden Herrschaften hier nicht, daß ich in die Widersehensfeier hineinplatze. Aber wenn Sie die drei Jahre vollendet haben und in unserem erlauchten Kreis willkommen geheißen werden, werden Sie mich verstehen, daß ich gerade bei einer Mehrlingsgeburt besonders auf die Gesundheit von Mutter und Kindern achten muß. Immerhin haben die drei meine Geburtshilfestatistik auf zweihundert Babys aufgestockt."

"Das hat mir meine Mum nie erzählt, das wievielte Baby ich war", sagte Aurora mutig.

"Sie haben das halbe Dutzend vollgemacht, Ms. Dawn. Insofern schon ein besonderes Ereignis. Vor allem erinnere ich mich gut an ihre Frau Großmutter, die befand, ich sei ihr in der Erfahrung mit Geburten nicht ebenbürtig. Ich hoffe, sie befindet sich wohl."

"Alle meine Verwandten befinden sich wohl", erwähnte Aurora. Die Heilerin nickte zufrieden und deutete dann auf Eunice.

"So gern ich die kurzweilige Plauderei mit Ihrer früheren Schulkameradin und einer, wie ich hoffe, zukünftigen Kollegin fortsetzen würde, Mrs. Dirkson, möchte ich doch jetzt darum bitten, daß wir beide die ordnungsgemäße Untersuchung und Besprechung durchführen. Ich möchte die drei jetzt gerne untersuchen und dann Sie."

"Wie Sie meinen, Madame Newport", erwiderte Eunice und erhob sich folgsam. Aurora unterdrückte den Wunsch, zu fragen, ob sie bei der Untersuchung und üblichen Besprechung dabei sein durfte. Doch im Moment ging es sie nichts an, was eine ausgebildete Heilerin mit ihrer Patientin oder Schutzbefohlenen zu besprechen hatte. Die Vertraulichkeit der Heiler stand über der Neugier. So sah sie Eunice nach, die nach der überstandenen Schwangerschaft noch leicht untersetzt wirkte und sprach mit Dorian über die Kameraden aus Hogwarts-Zeiten und denen, die noch dort lernten.

"War schon ein komisches Jahr, nicht in den Zug zu steigen und sich vom sprechenden Hut was vorsingen zu lassen. Aber sowohl der Arbeitstrott und dann der Dreifachtreffer mit den Kindern haben mich gut abgelenkt. Aber bei dir ist das ja noch drastischer gelaufen, daß du nicht mehr an die guten alten Zeiten denken mußtest."

"Och, gedacht habe ich immer wieder daran, weil meine Ausbildung heftiger ist als in Hogwarts", erwiderte Aurora noch einmal, was sie erst vorhin erwähnt hatte, als sie von ihrem ersten Jahr berichtet hatte. Dorian nickte. Dann flüsterte er:

"Ich habe die jüngere Sabberhexe einmal in einem Wald rumstrolchen gesehen, die Roy ein Balg abgerungen hat. Ich wollte es Roy schon schreiben, hab's aber dann doch besser gelassen. Die hat von dem einen Jungen gekriegt, der rotbraunes Haar hat. Die hat den am Leben gelassen."

"Ja, das muß Roy wirklich nicht wissen, und Dina schon gar nicht. Lass sie besser im Glauben, daß Tom das erste Kind von ihm ist."

"Das eh, weil die beiden das ja richtig gewollt haben. Ich wollte dir das nur sagen, wo Eunice nicht im Raum ist und ich weiß, daß du Roy aus dieser Kiste rausgeholt hast. Aber warum die jetzt auch ihre Söhne leben lassen wundert mich etwas."

"Ich habe mich in der Bibliothek der Sano etwas schlauer gelesen, Dorian. Manche Sabberhexen verlieben sich richtig in die, die sie zur Zeugung gefügig machen. Denen ist dann egal, ob sie einen Jungen oder ein Mädchen kriegen, ja passen auch auf den Jungen auf, damit der von ihren Artgenossen nicht getötet wird. Ist sehr selten und daher nur in Fachbüchern der Heilerzunft nachzulesen."

"Wie erwähnt muß Roy das nicht wissen", wiederholte Dorian sein Anliegen. Aurora nickte bestätigend.

Nach der üblichen Nachsorge für Mutter und Kinder verabschiedete sich Madame Newport von Aurora Dawn und wünschte ihr noch einen erfolgreichen Weg in die Heilerzunft. Dann verließ sie das Haus und disapparierte wohl außerhalb der magischen Einfriedung, die nur Familienangehörige apparieren und disapparieren ließ.

Aurora blieb noch ein paar Stunden bei den Dirksons, durfte sogar zusehen, wie Eunice zwei der drei Babys anlegte und dachte dabei daran, daß sie diese Erfahrung wohl erst mehrere Jahre später würde machen können, falls sie als aprobierte Heilerin Zeit und Muße für eine Partnerschaft und Kinder finden mochte. Es berührte sie etwas unangenehm, sich vorzustellen, daß sie vielleicht ihr ganzes Leben lang unverheiratet und kinderlos bleiben könnte. Doch das konnte ihren Willen, die Ausbildung fortzusetzen und danach als Heilerin zu arbeiten nicht verdrängen. Dafür hatte sie schon früh genug dieses erhabene Gefühl verspürt, wie wohltuend es wahr, anderen helfen zu können. Außerdem, wenn sie Eunice und demnächst Priscilla und Dina ansah, empfand sie es auch nicht als so tragisch, wenn sie selbst vorerst keine eigenen Kinder haben würde.

Sie kehrte um elf Uhr abends in das alte Landhaus ihrer Eltern zurück und plauderte mit diesen noch über den Besuch bei den Dirksons. Dann war sie müde genug, um in den zehnten August hineinzuschlafen, an dem sie bei Miriam die ganze Rasselbande aus ihrem Jahrgang wiedersehen würde. Als sie in ihr Zimmer ging hörte sie ihre Mutter zu ihrem Vater sagen:

"Dann ist Benefica Newport immer noch solo. Bringt der Beruf vielleicht doch mit sich." Sie verdrängte das gehörte schnell wieder und dachte daran, daß sie morgen mit ihren alten Kameraden über das letzte Jahr plaudern würde. Mit Priscilla wollte sie sich noch einmal über Krummbeins Verschwinden unterhalten. Vielleicht tauchte er ja doch wieder bei ihr auf.

__________

Dafür das sommer war hing am Morgen des zehnten Augustes eine dicke, bleigraue Wolkendecke vom Himmel herab. Aurora bangte schon, daß aus diesen Wolken gleich ein kräftiger Regenguß auf sie niedergehen würde, als sie sich von ihren Eltern verabschiedete, um außerhalb des immer noch geltenden Sicherheitsbereiches um das alte Landhaus zu disapparieren.

"Weißt du ungefähr, wann du wiederkommst?" Fragte Regina Dawn ihre Tochter.

"Wenn Miriam uns alle zum Abendessen bei sich haben will könnte es spät werden", antwortete Aurora. "Aber ich sehe zu, um Mitternacht spätestens wieder zurückzusein."

"Gut, die Schutzzauber akzeptieren dich ja. Ich wollte nur sicherstellen, daß du nicht erst morgen früh wiederkommst."

"Ich respektiere es, daß Dad und du gerne gut schlafen möchtet. Ich sehe zu, daß ich noch vor Mitternacht wieder da bin", erwiderte Aurora leicht genervt. Sie wurde wie ein kleines Mädchen angehalten. Andererseits verstand sie, daß ihre Eltern sich wunderbar dabei fühlten, sich mal wieder um ihre einzige Tochter Sorgen machen zu können, wenn sie schon die Ferien unter ihrem Dach verbrachte. Andererseits sollte sich das nicht unbedingt zur Gewohnheit auswachsen, fand die Heiler-Anwärterin, umarmte ihre Mutter noch einmal kurz und disapparierte.

Gemessen an den in Australien schon zurückgelegten Entfernungen war es für die junge Hexe wie ein Spaziergang, vom Haus ihrer Eltern innerhalb eines Augenblicks auf den großen Zentralplatz von Hogsmeade überzuwechseln. Sie fühlte, daß das ungerichtete Apparieren, daß sie im letzten Jahr erlernt hatte, ihr ein treffliches Gefühl für zurückgelegte Entfernungen und die genaue Richtung vermittelte. Meisterin Herbregis hatte recht. Apparatoren konnten lernen, ihren Standort zu fühlen. Doch hier war sie an einem Ort, den sie gut genug kannte und daher nicht blindlings apparieren mußte. Sie sah die spielenden Kinder, die durch die Straßen tollten, einige von ihnen, die auf Baby-Besen flogen, die nicht höher als dreißig Zentimeter über dem Boden dahinglitten. Sie konnte zwei alte Hexen sehen, die sich durch die aufgeklappten oberen Hälften ihrer Haustüren einander ansahen und miteinander schwatzten. Sie sah die Rauchfahnen über den beiden Pubs, den drei Besen und dem Eberkopf, sowie eine besonders dunkle Rauchfahne aus der Richtung, wo Forins Schmiede zu finden war, die sie auch schon einmal besichtigt hatte. Dann sah sie den Hügel, den die Einheimischen Hasenrücken nannten und machte ein silbriges Glitzern aus, das auf der Kuppe des Hügels glänzte. Sie konzentrierte sich darauf, stellte sich vor, dort zu stehen und wechselte innerhalb eines Sekundenbruchteils auf den Hügel hinüber, wo bereits ein großerTisch stand, an dem mehrere Hexen und Zauberer saßen, die sie kannte. Die rotblonde Miriam Swann fiel ihr sofort auf. Auch Petula Woodlane und ihre sichtlich gerundete Schwester Priscilla waren bereits da. Neben dieser saß ein Zauberer, den Aurora noch nicht kannte. Das mußte Priscillas Mann sein. Also war er schon wieder aus Südamerika zurück oder hatte sich einen Tag freinehmen können. Dann war Mortimer Swift mit seinen drei Schwestern Ramona, Rita und Roxanne schon da. Dann erkannte sie noch den rotbraunhaarigen Roy Fielding und seine Frau Dina, die ebenfalls mit Aurora in Hogwarts gelernt hatten. "Fast die letzte", grüßte Miriam die frühere Schlafsaalkameradin und winkte ihr zu.

"Fast? Ich habe gerade gedacht, ich sei die letzte", grüßte Aurora zurück.

"Mel Bunton wollte noch kommen. Sie wollte uns einen großen Kuchen backen", sagte Miriam. "Außerdem kommen die Flowers' noch. Cynthia hat ja schon geschrieben, daß du sie getroffen hast."

"Ja, stimmt", bestätigte Aurora. Dann trat sie an den großen Tisch heran und begrüßte alle ehemaligen Mitschüler, sowie Priscillas Mann, der sie abbittend ansah, als ahne er schon, daß sie ihn für das Verschwinden Krummbeins verantwortlich machen könnte.

"Petula hat es mir erzählt, daß du im Oktober wohl wen neues begrüßen kannst. Herzlichen Glückwunsch", wandte sich Aurora an Priscilla. Diese lächelte ehrlich berührt und bedankte sich. So kamen die beiden Hexen ins Gespräch, während Miriam die letzten Ankömmlinge erwartete.

"Petula hat mir erzählt, daß sie dir das mit Krummbein erzählt hat", sagte Priscilla nach ungefähr zwei Minuten einfacher Unterhaltung über das Wetter in Australien, Argentinien und hier, das vergangene Jahr und die Familienverhältnisse. Aurora nickte ihr bestätigend zu und erwiderte ganz ruhig und gelassen:

"Es wäre netter gewesen, wenn du mir das vorher geschrieben hättest, daß Myles gegen Katzenhaar allergisch ist. Aber wieso habt ihr keinen Heiler aufgesucht? Soweit ich bis jetzt gelernt habe gibt es Desensibilisierungstränke."

"Hat Myles seit seiner Kindheit probiert, vor allem in Hogwarts", erwiderte Priscilla. Ihr Mann, Myles Boot, räusperte sich verhalten und sagte dann mit seiner samtweichen Baritonstimme:

"Der Trank hat gegen Katzen wunderbar geholfen. Aber dieser krummbeinige Bursche, den Priscilla von ihrer Schwester bekommen hat, ist ja ein halber Kniesel, und gegen die wirkt die Abstumpfung nicht. Das wußten die in Hogwarts schon, als ich in der vierten Klasse mit Vollknieseln zu tun bekam. Kesselbrand hat mich dann auf Madame Pomfreys Heiler-Gutachten hin von der Unterrichtseinheit Kniesel ausgeschlossen. Ich habe den Krempel dazu dann rein theoretisch gemacht und bei den ZAGs kamen Knarls und Krubs für mich dran. Ich dachte ja erst, daß der orangerote Kater mir nichts ausmacht. Aber die Knieselanteile haben die ganze schöne Abstumpfung verhunzt. Jetzt fang ich auch wieder bei gewöhnlichen Katzen an zu niesen und zu schniefen." Aurora sah Priscillas Ehemann an. Sie hatte ihn bisher nur auf einem farbigen Hochzeitsfoto gesehen, daß Petula ihr geschickt hatte. In allen drei Dimensionen sah er wirklich überragend aus mit seinen fast zwei Metern Körpergröße, dem athletischen Körperbau, den Haaren, die golden wie Herbstlaub im Sonnenschein glänzten und den hellwachen, tiefblauen Augen. Ein pinselartiges Oberlippenbärtchen verlieh Myles Boot eine verwegene Note. Sie konnte sich vorstellen, daß Priscilla diesen Zauberer vom Fleck weg geliebt hatte. Irgendwie konnte sie ihm auch nicht böse sein. Für Krankheiten und Unverträglichkeiten konnte ja keiner was, der es nicht gezielt drauf angelegt hatte, sich was einzufangen. Dennoch wandte sie ein, daß er das mit seiner Frau hätte klären können, daß Krummbein nicht wie ein ungeliebter Streuner im Freien zu schlafen hatte, wo er von seiner Mutter her doch ein wahres Haustier sei.

"Hat meine Schwägerin mir auch schon um die Ohren gehauen, Ms. Dawn", lachte Myles. "Sie hat mir sogar einen Heuler geschickt, als der Kater nicht mehr in das Freigehege zurückgekehrt ist."

"Das hat sie mir nicht erzählt", warf Aurora ein. Priscilla lachte leise, und jemand, der noch nicht zu sehen war, stupste sie dafür deutlich sichtbar in den Bauch.

"Natürlich erzählt die sowas nicht, weil ich fast unser Baby verloren hätte, weil der Lärm des Heulers selbst durch die gute Verpackung gedrungen ist. Dafür habe ich ihr einen Heuler zurückgeschickt und angemerkt, daß ich ihr noch einen schicke, wenn sie oder sonst wer meint, mir wegen Krummbein weitere rauchende rote Umschläge zuzuschicken." Aurora verzog das Gesicht. Deshalb hatte Petula bis in die Ferien hinein verschwiegen, daß Krummbein ausgerissen war. Sie fragte ob sie ihn denn gesucht hätten.

"An dem Abend herrschte echtes Aprilwetter, Aurora. Selbst mit dem Spurenfindezauber konnten wir nichts mehr von ihm entdecken. Er hat wohl befunden, daß er wegen Prunella nicht mehr geliebt würde."

"Du meinst Nathanael", berichtigte Myles seine Frau grinsend.

"Finde dich damit ab, daß sie Prunella oder einen anderen Mädchennamen tragen wird, Mylo."

"Prunella heißt deine Oma Mütterlicherseits. Da hätte meine Mum was gegen, weil die mit deiner Oma ... Muß jetzt nicht noch mal aufgewärmt werden", grummelte Myles und kam auf das Verschwinden Krummbeins zurück. "Ich habe meinen Onkel hergerufen, der in der Tierwesenbehörde arbeitet und sich auf das Aufspüren von Zaubertieren versteht. Aber auch der konnte diesen orangeroten Kerl nicht mehr auffinden. Wo immer der hingelaufen ist, entweder hat ihn einer dieser Muggel-Autowagen überrollt", Aurora verzog doch etwas wütend das Gesicht. "Oder er ist in irgendein Haus reingelaufen, daß gegen Suchzauber abgeschlossen war. Aber in unserer Gegend gibt es kein solches Haus, weil wir etliche Meilen vom nächsten Zaubererhaus entfernt wohnen."

"Wir haben wirklich eine Woche lang gesucht und gewartet, ob er nicht von selbst wiederkomt. Aber er ist auch nicht bei Petula aufgetaucht, wie wir auch gehofft haben", ergänzte Priscilla Boot die Schilderung ihres Mannes.

"Habt ihr keine Anzeige im Propheten bringen lassen?" Fragte Aurora.

"Onkel Faunus hat uns gesagt, daß es nichts brächte, wenn wir Krummbein nicht eine bessere Unterbringung bieten könnten", seufzte Priscilla. "Dann würde er immer wieder weglaufen."

"Ja, aber Petula hätte ihn dann nehmen können oder einem von uns anderen überlassen können."

"Sie hätte ihn nicht behalten können, weil er Anstalten machte, seine eigene Mutter zu bespringen", warf Priscilla ein. "Wir waren mal mit ihm bei ihr. Da war ihre Schneeflocke gerade rollig, und dieser Bursche hat vergessen, daß sie seine Mutter ist. Deshalb wollten wir ihr den nicht dalassen."

"Das wäre es noch gewesen", knurrte Aurora. "Dann habt ihr es dabei bewenden lassen", seufzte sie noch. "Ja, und jetzt sind vier Monate drüber weggegangen, und in dem Gras, das seitdem gewachsen ist ist er sicher wunderbar verschwunden. Ihr wißt ja wohl von Petula, daß ich Krummbein auf die Welt gezogen habe. Deshalb wollte ich ihn ja auch eigentlich nehmen. Aber da hatte ich mich schon zu sehr auf die Heilerausbildung eingerichtet, und in Australien hätte ich den schon gar nicht halten dürfen."

"Nun, wenn er nicht von irgendwelchen rücksichtslosen Muggeln totgefahren wurde wird er sich wohl irgendwann wen neues suchen, bei dem er wohnen darf und dem er womöglich einmal sehr nützlich sein kann. Die Instinkte eines Kniesels und die Intelligenz hat er ja geerbt", sprach Priscilla beschwichtigend auf Aurora ein, die nach dem kurzen Anflug von Zorn wieder ruhig dasaß und ihr nur zunickte.

"In Hogwarts wissen die alle, daß Feuerball und Schneeflocke fünf Junge hatten. Krummbeins Schwestern wohnen ja da noch", sagte Aurora. "Wenn ihn also wer findet und aufnimmt, dann sei es eben. Machen können wir da jetzt eh nichts mehr dran."

"Danke, Aurora, daß du zumindest nicht mehr wütend auf uns bist", sagte Priscilla.

"Ihr habt in den nächsten Monaten noch viel vor euch", begann Aurora nun, von einem für die Boots angenehmem Thema zu sprechen und unterhielt sich mit ihnen über die Anstehende Geburt ihres ersten Kindes. Daß Priscilla schon längst wußte, daß sie eine Tochter unter dem Herzen trug war für Aurora keine besondere Sache. Immerhin kannte sie die nützlichen Instrumente, um einer werdenden Mutter in den Schoß zu blicken, um das darin heranwachsende neue Leben zu untersuchen, ohne ihr nach Art der Muggel-Ärzte irgendwelche Sachen hineinzuschieben oder den Bauch aufzuschneiden. Priscilla sprach dann noch über ihre Arbeit in der Redaktion von Verwandlung heute und ihren Treffen mit berühmten Verwandlungsexperten wie Maya Unittamo, Alexandre Énas, sowie Blanche Faucon. Bei dem Gedanken an französische Experten dachte sie an Camille Dusoleil. Sie hatte ihr kurz vor ihrer Abreise aus Australien einen kurzen Brief über die zu behandelnden Zauberkräuter geschrieben und sich für ihre wohl sehr ungeübte Rechtschreibung entschuldigt. Bisher war keine Antwort eingetroffen.

Nach einer halben Stunde mit den Boots sprach Aurora mit Dina und Roy, die ihr erzählten, wie gut Tom sich mit Sonnenwecker vertrage.

"Es war für ihn wohl das beste, daß er bereits in den letzten Monaten vor Tommys Geburt bei uns wohnte und mitbekam, daß wir noch wen dazukriegen würden. Daß wir ihn Sonnenwecker genannt haben weißt du ja schon. Denn wenn er nachts draußen war kommt er immer zu unserer Hintertür und maunzt solange, bis die Sonne aufgeht und wir ihn reinlassen."

"Wo habt ihr eigentlich den Kleinen? Den hätte ich gerne gesehen", sagte Aurora.

"Meine Mutter kümmert sich um ihn und Sonni. Sie meint, die beiden wären wie gleichalte Brüder, was das Maulen nach Essen und den Schabernack angeht." Roy seufzte vernehmlich.

"Schwiegermutter Annabell betüddelt uns alle zu sehr. Ich hatte ihr vor der Hochzeit erzählt, daß meine Eltern von diesem Massenmörder und seiner Bande umgebracht wurden. Seitdem befindet die wohl, ich hätte eine neue Mutter nötig. Jetzt wo das Baby da ist ist die natürlich im Nette-Oma-Modus und macht deutlich, daß sie unverzichtbar ist."

"Sei nicht undankbar, Roy. Immerhin haben meine Eltern dir sehr geholfen, ins Ministerium reinzukommen und halten uns beiden mit Tommy und Sonni den Rücken frei."

"Ja, aber ich höre deine Mutter noch, wie sie sagt, daß ein halber Kniesel zwar ein guter Kamerad für einen kleinen Jungen sei, aber kein Ersatz für eine kleine Schwester."

"Das liegt ja wohl wirklich nur bei uns", knurrte Dina. "Abgesehen davon hast du damals als Tommy geboren wurde mit der Sonne um die Wette gestrahlt, während ich fast ohnmächtig geworden bin, weil nach der ganzen Anstrengung dieses rote, runzelige Bündel in meine Arme gelegt wurde und ich erst einmal verstehen mußte, daß das unser Kind sein sollte. Wer hat denn da gesagt, daß das ja der erste Versuch sei und der nächste besser aussehen würde?""

"Jemand, den ich heute morgen beim Rasieren im Spiegel gesehen habe", erwiderte Roy. "Aber ein kleiner Bruder wäre besser, weil dann könnten die beiden mit mir Fußball spielen."

"Das habe ich ihm noch nicht austreiben können", seufzte Dina an Auroras Adresse. "Ich mußte ihm sogar so ein mit Elektrostrombatterien laufendes Muggelradio gönnen, damit er jeden Samstag hören kann, wie die englischen Fußballmannschaften spielen. Tom sitzt dabei schon auf seinem Schoß und freut sich, wenn sein Daddy sich freut. Ich fürchte, der wird sich irgendwann auch für diesen langweiligen ..."

"Na, Dina, sag nicht langweilig!" Knurrte Roy. "Mein Sohn kapiert es halt jetzt schon, daß das Runde ins eckige reingetreten werden muß."

"Bis sein Großvater mit ihm zum Quidditch geht und er mitbekommt, daß das wesentlich spannender ist."

"Ich hör's noch, daß unser Sohn bitte kein Quidditchprofi werden möchte, weil es in der letzten Saison diesen Zusammenstoß beim Spiel der Tornados und den Canons gegeben hat", feixte Roy. Aurora fragte sich, ob sie eine Art Anregungszauber für Ehestreitigkeiten ausstrahlte. Sie wartete noch eine halbe Minute, bis Dina sie wieder ansah und sagte:

"Oh, du mußt ja denken, wir hätten es nötig, uns vor dir oder anderen zu zanken, Aurora. Aber ist eben so, wenn es um diesen Einballsport geht. Da ist Roy immer noch zu sehr drauf festgelegt."

"Ich hoffe, ihr habt euch und euren Sohn trotzdem lieb", sagte Aurora dazu.

"Wenn das nicht so wäre könnte ich Di nicht so schön damit auf die Palme treiben, daß mir der FC Liverpool noch immmer was bedeutet und ich halt wissen muß, wie der in der ersten Liga aufgestellt ist. Außerdem kriege ich über das kleine Kofferradio auch Infos über Raumfahrtprojekte rein. Immerhin soll Voyager II im nächsten Jahr am Uranus vorbeifliegen, und die Amis machen immer wieder Flüge mit ihrer halb wiederverwendbaren Raumfähre. Das alles interessiert Dina ja auch, von der Popmusik ganz zu schweigen."

"Wenn's nicht gerade diese Madonna ist", knurrte Dina. "Die macht euch Kerle doch nur wuschig und durcheinander."

"Juhu", trällerte Roy. "Jetzt weißt du, daß Dina mich noch liebt, weil sie eifersüchtig auf diese kleine, quirlige Sängerin ist, die die halbe Musikszene aufmischt. Die andere Hälfte wird von Cyndi Lauper und Michael Jackson beharkt und von diesem kleinen schwarzen Bürschchen, der sich als Prinz bezeichnet. Schon interessante Figuren in der Muggel-Popmusik unterwegs. Da kann die alte Warbeck ihren heißen Kessel hundertmal hinhalten, da rührt keiner mehr drin um."

"Na, Roy", stieß Dina aus. Aurora grinste jedoch. Dann fragte sie noch einiges über Dinas und Roys Alltag als junge Eltern, wie sie mit Dinas Verwandten so klarkamen und ob Erica zwischendurch mal herüberkam. Sie erwähnte, daß sie sie in der australischen Grenzstation getroffen hatte.

"Die ist am dritten September hier, wenn Tommy Geburtstag feiert. Vielleicht kann er da schon laufen", sagte Roy mit väterlichem Stolz in Stimme und Miene.

"Ja, mein Vater will ihm da einen dieser Baby-Besen schenken, wie sie die Kinder hier auch verwenden", sagte Dina. "Ich kann es ihm nicht ausreden."

"Diese kleinen Tu-dem-Kind-nicht-weh-Handfeger", erwiderte Roy. "Der kriegt von mir seinen ersten Ball zum spielen, egal ob er den wirft oder tritt."

"Na hoffentlich übersteht der euren Sonni."

"Ach, da mache ich die Gummireißfestigkeitslösung drauf, dann kann unser orangeroter Schnurrschlingel den nicht mit den Krallen kaputtmachen oder mit seinen netten Beißerchen anfressen."

"Die beiden Racker würde ich mir gerne mal ansehen", sagte Aurora.

"Dann kommst du morgen zu uns rüber. Dann kannst du Oma Annabell als angehende Heilerin ausforschen, ob die mit Tommy auch richtig umspringt", sagte Roy.

"Besser nicht. Meine Mutter könnte sich beleidigt fühlen", wandte Dina ein. Aurora nickte. Sie hatte ja auch nicht vor, ihre noch nicht so große Fachkompetenz zu sehr in die Waagschale zu werfen. So sprachen sie noch über das Verhältnis zu den Nachbarn, daß Roy sich bei den Zwergenschmieden federleichte Kronleuchter besorgt hatte und daß eine Hexe aus der Nachbarschaft schon angefragt hatte, ob sie sich Sonnenwecker ausleihen dürfe, um ihren zwei Knieselinnen die Freuden der Mutterschaft angedeien zu lassen. Immerhin habe Sonnenwecker ja keine krummen Beine. Aurora verzog etwas das Gesicht und wandte leise ein, daß Sonnis Bruder sich bei Priscillas Familie nicht wohlgefühlt habe und deshalb wohl das Weite gesucht und gefunden habe. Roy nickte schuldbewußt dreinschauend.

"Hätten wir das gewußt hätten wir den auch noch genommen. Wäre vielleicht nicht das schlechteste gewesen. Aber wenn Pettys Schwester meint, das einfach so auf sich beruhen zu lassen .. Dann ist die verschüttete Milch eh schon eingetrocknet."

"Habe ich dir schon mal gesagt, daß ich nicht Petty genannt werden möchte?" Knurrte Petula Woodlane. Roy grinste verächtlich, während Dina ihn mißbilligend ansah. Aurora fühlte sich irgendwie so, als hätte es das letzte Jahr gar nicht gegeben, als seien sie alle noch Hogwarts-Schüler und würden sich um so belangloses Zeug käbbeln. Roy sagte jedoch nichts zur Entschuldigung. Er sah Melinda Bunton an, die einen großen selbstgebackenen Kuchen mitgebracht hatte, von dem jedoch nicht mehr viel übrig war. Aurora nutzte die Gelegenheit nach der Begrüßung der pummeligen Ex-Hufflepuff, um mit ihr über ihre Arbeit zu sprechen und brachte damit weitere kurzweilige Minuten. Dann sprach sie mit Miriam über die Verhältnisse im Zaubereiministerium, daß Fudge sich nicht gerade mit viel Ruhm bekleckerte und der Unmut groß war, weil er mit Leuten gut vertraut war, die vor einigen Jahren noch angeklagt worden waren, dem Unnennbaren geholfen zu haben.

"Er sagt immer, daß jeder vor ein ordentliches Gericht gebracht worden war und dieses sie freigesprochen habe. Was für Snape gelte müsse auch für einen Lucius Malfoy oder McNair gelten. Dabei ist McNair ein brutaler Kerl, der im Ausschuß zur Beseitigung gefährlicher Geschöpfe richtig viel Spaß daran hat, wild gewordene zaubertiere umzubringen. Wenn der das nicht schon vor fünf Jahren mit unschuldigen Menschen angestellt hat weiß ich nicht, was ihn dann dazu gebracht hat, im Ministerium anzufangen."

"Dem würde ich schön weit aus dem Weg gehen", bemerkte Aurora dazu. Miriam nickte und sagte, daß sie froh sei, daß sie diesem Typen problemlos aus dem Weg bleiben konnte. Dann sprachen sie noch über Miriams Verwandte in den vereinigten Staaten, zu denen sie Ende August kurz hinreisen würde, auch um sich ein Quodpot-Spiel anzusehen. Aurora beneidete sie darum. Zwar hatte sie ja noch bis zum ersten September Ferien. Doch sie hatte sich schon bei Heathers Familie angemeldet und wollte die Zeit dort nutzen, um sich wieder an das australische Klima zu gewöhnen.

Es wurde noch ein gemütlicher Abend, der mit Geplauder und Gesang ausklang. Kurz vor elf Uhr abends verließen die Fieldings und Boots die Festgesellschaft. Dann verabschiedete sich auch Aurora Dawn.

"Vielleicht sehen wir uns um Weihnachten wieder", sagte sie zu Miriam und Petula. "Ich komme morgen noch einmal her, um Dinas und Roys Haus und den kleinen Kronprinzen zu besuchen."

"Müßte ich mir eigentlich auch antun", sagte Petula. "Wenn ich bald Tante bin sollte ich schon mal gesehen haben, wie so'n kleines Hexenkind herumwuselt."

"Vielleicht sehen wir uns dann morgen", sagte Aurora noch und winkte den verbliebenen Festgästen. Dann disapparierte sie, um keine zehn Meter vor der magischen Außenbegrenzung ihres Elternhauses wieder aufzutauchen. Mit erleuchtetem Zauberstab betrat sie das Grundstück, auf dem das altehrwürdige Haus unter dem nun dunkel werdenden Himmel schwarz und mächtig auf sie herabblickte. Sie prüfte, ob die magischen Verriegelungszauber bereits für die Nacht eingerichtet waren und öffnete die Tür mit drei Zauberstabstupsern und dabei geflüsterten Passwörtern. Ihr Vater saß noch im Wohnzimmer über einem Pergament. Sie meldete sich brav zurück und erzählte im Flüsterton, was sie so alles neues erfahren hatte. Ihre Mutter lag bereits im Bett. Gegen Mitternacht ging auch Aurora schlafen.

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Der Besuch bei den Fieldings war noch eine willkommene Ablenkung von den überstandenen Monaten in der Sana-Novodies-Klinik. Der kleine Tom Fielding besaß nun immer stärkere Ähnlichkeit mit seinem Vater. Nur die Augen hatte er von seiner Mutter geerbt. Krummbeins Bruder Sonnenwecker hatte sich auch zu einem beachtlichen Kater mit leuchtendem orangerotem Fell ausgewachsen, dessen Schweif wie eine Flaschenbürste aufragte, und dessen gelbe, lampenartigen Augen aufgeweckt und interessiert umherblickten und den kleinen Tommy dabei ständig beobachteten. Sie sprach mit Dinas Mutter Annabell, die sich von ihr erzählen ließ, was Heilerinnen im ersten Ausbildungsjahr so alles lernen mußten. Dabei erfuhr Aurora, daß Dinas Urgroßmutter selbst eine Heilerin sei und in der Abteilung für die Behandlung von Unfällen mit Tierwesen arbeitete. Mrs. Murphy erzählte ihr dann noch, daß Dina demnächst in die Astronomieabteilung des Ministeriums gehen würde.

"Ich dachte eigentlich, sie würde sich ein paar Jahre Zeit nehmen um dem Kleinen noch ein Geschwisterchen zu schenken. Aber ich kann es ihr nicht ausreden, wo sie bei euch in Hogwarts ja die Jahre bis zu den UTZs immer wieder hart geackert hat, um diese Zauberkraftschwäche zu überwinden, die ihr diese Giftmischerin Bitterling und die überstrenge Minerva immer wieder um die Ohren gehauen haben."

"Tom hat aber noch keine Zauberkräfte geäußert", meinte Aurora. Dina und Roy bestätigten das.

"Wenn es nicht gerade ein überragend begabter Junge ist, wird er woh so mit sechs oder sieben die ersten Anzeichen von Magie zeigen. Außerdem mache ich mir bei Tom keine Gedanken, daß er kein Zauberer sein könnte. Das Problem, daß unsere Dina hatte, kam daher, daß mein Mann meinte, einen einfachen Zauberstab kaufen zu müssen, ohne genau zu prüfen, ob der mit Dina zusammenpaßt. Meine Schwiegermutter konnte auch erst mit sechzehn ohne unangenehme Begleiterscheinungen zaubern. Insofern ..."

"Und es ist ja auch ein Junge", sagte Roy. "Der hat meine Stärke geerbt."

"Ey, das ist fies", knurrte Dina, und ihre Mutter sah ihn sehr mißbilligend an.

"Ich gehe sehr stark davon aus, daß mein Enkelsohn Dinas Gespür für magische Wirkstoffe und unser aller Zauberkraft zur Geltung kommen läßt. Du hättest meine Tochter wohl nicht geheiratet, wenn du nur auf ein Mädchen mit exzellenter Zauberkraft ausgegangen wärest. Also benimm dich, wenn Besuch da ist!"

"Merkst du, was ich dir gestern erzählt habe?" Fragte Roy Aurora trotzig grinsend. Sie nickte ihm zu.

"Jedenfalls ist der Kleine schon gut gewachsen", stellte die Heilerin in der Ausbildung fest und hob Tom Fielding hoch, was diesem erst mißfiel, bis er fand, daß er in Auroras Armen doch sehr gemütlich lag. Sonni, der Halbkniesel, beäugte die junge, schwarzhaarige Hexe. Womöglich erinnerte er sich daran, daß sie schon bei ihm gewesen war, als er zum ersten Mal die Augen aufgemacht hatte. So blieb er ruhig auf dem Sofakissen liegen, das laut Roy sein kleiner Königsthron war, von dem aus er alles und jeden im Blick behalten konnte. "Und gut zu essen kriegst du auch, nicht wahr?" Säuselte Aurora und sang ein paar Takte eines Wiegenliedes.

"Da würde ich den beiden hier auch was sagen, wenn die den süßen ratz hier verhungern ließen", erwiderte Mrs. Murphy. Dina glubschte ihre Mutter verärgert an und grummelte:

"Wenn es nach dir gegangen wäre hätte ich ihm auch mit allen Zähnen noch jeden halben Tag die Brust geben sollen, Mum."

"Dir hat das nicht geschadet, daß ich dich bis zum zweiten Lebensjahr gestillt habe, Dina."

"Kein Kommentar", knurrte Dina dazu nur. Aurora überhörte dieses Geplenkel und sang weiter auf den von ihr gewiegten kleinen Zauberer ein, der eines Tages wie sie in den Zug mit der scharlachroten Lokomotive klettern und sieben schöne, aber auch anstrengende Jahre vor sich haben würde.

"Siehst so aus, als wolltest du Tommy mitnehmen", feixte Roy.

"Ich wollte nur sehen, ob ich das von Natur aus hinkriege, ein kleines Kind ruhigzuhalten", erwiderte Aurora und setzte den kleinen Tommy Fielding wieder ab. Er klammerte sich mit seinen kurzen Ärmchen an ihrem rechten Bein fest und zog sich daran hoch, bis er auf seinen noch schwächlich wirkenden Beinchen stand.

"Kuck mal da, das macht der auch bei anderen", lachte Roy sehr erfreut. "Dauert nicht mehr lange, dann läuft der rum. Dann kann sich unser Sonni warm anziehen."

"Der wird immer schneller weglaufen oder höher springen können als Tom", sagte Aurora.

"Nur nicht wenn Dad ihm einen Kinderbesen schenkt", sagte Dina.

"Eure Möbel und Vasen sind alle bruchsicher, Kind. Da kann er dann gut herumflitzen."

Der Halbkniesel blickte Aurora auffordernd an. Sie ging zu ihm ... und konnte gerade noch die Arme vor der Brust zusammenbringen, um den aus dem Liegen losspringenden Kater aufzufangen, der sich wie selbstverständlich in ihren Armen einkuschelte und behaglich zu schnurren begann.

"Schade, daß du nicht weißt, wo dein kleiner Bruder abgeblieben ist", seufzte Aurora, nachdem sie den orangeroten Schnurrer einige Minuten lang gewiegt und geknuddelt hatte. Er kletterte auf ihre rechte Schulter und kauerte sich dort zu einer Fellkugel mit kräftigen, geraden Beinen zusammen.

"Der hat noch einen kleinen Bruder?" Fragte Mrs. Murphy.

"Ja, haben wir dir doch erzählt, Mum", sagte Dina. "Aurora hat die alle auf die Welt geholt, und den ganz kleinen, Krummbein hieß er, mußte sie sogar mit einer Zange aus Petulas Katze herausziehen, weil der sich in ihrem Becken festgesetzt hatte."

"Natürlich, hattest du erzählt, Dina", erwiderte ihre Mutter schuldbewußt dreinschauend.

"Vielleicht ist er ja bei einer anderen Zaubererfamilie untergekommen", sagte Mrs. Murphy beschwichtigend. "Außerdem sind Kniesel sehr selbständig, und der Vater von dem Sonnenanbeter hier ist ja ein Vollkniesel."

"Ja, mit mehreren Hauskatzen in der Zuchtlinie", sagte Aurora. Sie versuchte, Sonnenwecker behutsam von ihrer Schulter zu heben. Doch dieser gab nur ein ungehaltenes "Mrrau" von sich und krallte sich spürbar fest.

"Heißt es nicht, daß Kniesel keinem gehören, aber jeder, den sie sich aussuchen ihnen gehört?" Fragte Roy Aurora.

"Ja, aber Sonni ist ja kein reinrassiger Kniesel", schränkte Aurora ein.

"Gilt auch für gewöhnliche Katzen", warf Mrs. Murphy ein. "Eine Cousine von mir hat drei Normalkatzen. Die Frage, wer da wem gehört war schon entschieden, als ihr die drei zugelaufen sind. Wurfgleiche Schwestern von einer Streunerin, die meinte, sich mit einem Bullterrier anlegen zu müssen. Seitdem macht die jedes Jahr mindestens einmal eine Entbindugnsstation für Katzen auf, wenn sie nicht will, daß die ihre Jungen in ihrem Bett bekommen oder eines der Sofas als Kinderstube beanspruchen."

"Wo viele Mäuse sind ist sowas praktisch", feixte Roy. Seine Schwiegermutter sah ihn mißbilligend an.

"Ich werde jedes Jahr gefragt, ob ich nicht welche von den neuen Kätzchen haben will. Anstatt sie die drei neutrieren läßt ... Aber lassen wir das!"

Aurora blieb noch zwei Stunden bei den Fieldings. Miriam kam zusammen mit Petula noch einmal vorbei. Sie spielten mit Tommy und Sonni und lauschten der Unterhaltungsmusik aus Roys Kofferradio, als seine Schwiegermutter befand, daß sie ihrer Großmutterpflichten für heute genügt hatte. Dann kehrte Aurora zu ihren Eltern zurück.

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In den verbleibenden Wochen spielte sie noch einmal Quidditch, besuchte Cynthia und Nelly, schaute noch einmal bei den Dirksons herein und reiste sogar nach Millemerveilles, wo sie sich mit der Kräuterkundeexpertin Camille Dusoleil die grüne Gasse von Millemerveilles ansah. Sie freute sich, daß die kleine Claire bereits richtig laufen konnte und sah Camilles älterer Tochter Jeanne bei ihren ersten Besenflugübungen zu.

"Die wird mal eine große Quidditchspielerin", freute sich Camille Dusoleil, während Aurora Claire auf dem Schoß sitzen hatte und ihr zärtlich durch das nun dichte, schwarze Haar strich.

"Kann Jeanne dennn schon was zaubern?" Fragte Aurora.

"In der Tat kann sie das", grinste Camille. "Als Claire ihr den kleinen Flauschebären weggenommen hat, mit dem Jeanne bisher immer zu Bett ging, hat die ihn sich mit einem zauberstablosen Aufrufezauber zurückgeholt. Da war die Schreierei groß, weil die Kleine den süßen roten Bären wiederhaben wollte und Jeanne ihn nicht mehr hergeben wollte."

"Ey, Maman, muß die das wissen?" Quängelte Jeanne. Ihre Mutter erwiderte:

"Sie hat gefragt, ob du jetzt auch schon sachen mit Zauberkraft machen kannst. Da habe ich das nur erzählt, daß du dir Monsieur Rouge wiedergeholt hast."

"Was hat die da das zu interessieren. Ist doch keine Tante von mir", maulte Jeanne.

"Benimm dich, Mädchen! Aurora ist eine sehr nette junge Hexe, die gerne alles lernen möchte, was deine Maman so kann und sehr kinderlieb ist", erwiderte Madame Dusoleil. Aurora fragte sich, ob das mit der Kinderliebe echt stimmte.

"Dann soll die diese blöde Kreischliese da mitnehmen", grummelte Jeanne.

"Na, paß auf, daß ich ihr nicht dich mitgebe, Jeannie!" Schnarrte Camille Dusoleil, lächelte dann aber beruhigend.

"Ich habe euch beide gleichlieb, Jeanne. Du hast gesehen, wie Claire aus meinem Bauch gekommen ist und weißt, daß du da auch warst. Also gehört ihr beide zusammen und habt nett zueinander zu sein."

"Nur wenn die Monsieur Rouge in Ruhe läßt. Das ist mein Bär", quängelte Jeanne.

"Claire hat doch jetzt einen eigenen Gutenachtfreund von Oma Aurélie gekriegt, Jeanne. Die findet halt nur rote Sachen schön."

"Echt?" Fragte Aurora, die sich freute, daß ihr Französisch wahrhaftig gut gelernt war.

"Die hat sich mal an dem Umhang von Madame Delamontagne festgekrallt, weil der dunkelrot war. Von mir hat die das nicht. Rot ist nicht meine Farbe", sagte Camille und strich sich über den grasgrünen Gebrauchsumhang, den sie trug. "Ich habe das rausgekriegt, daß sie bei roten Sachen ganz ruhig ist oder sehr neugierig ist. Als die Sonne richtig rot aufging, hat sie sehr lange reingeguckt. Ich mußte Madame Matine herholen, um ihre Augen untersuchen zu lassen. Das vergessen die meisten, daß zu lange in die Sonne zu gucken blind machen kann."

"Dann mag sie eben rote Sachen", sagte Aurora und flüsterte Claire ins Ohr. "Ich ziehe auch gerne mal was rotes an."

"Ey, da kommt Barbara!" Rief Jeanne, als ein drahtiges Mädchen mit braunen Haaren um die Ecke kam. Sie sprang auf und lief ihr laut rufend entgegen.

"So, jetzt haben wir erst einmal Ruhe", grinste Camille Dusoleil. "Die beiden sind die dicksten Freundinnen, die ich hier in Millemerveilles jemals habe rumlaufen sehen. Ich bin froh, daß die beiden nach Beauxbatons gehen. Wenn die dann noch im selben Saal landen ..."

"Muß nicht heißen, daß die dann immer gut befreundet bleiben. Ich hatte Klassenkameraden, die waren Vettern und haben sich immer wieder gerne gezankt", antwortete Aurora.

"Na ja, aber für Jeanne ist es doch schön, wenn sie nicht so ganz alleine nach Beauxbatons kommt. Aber Barbara ist eine Bestimmerin. Die sagt, wo es langgeht. Aber Jeanne spurt, wenn sie bei ihr ist. Ich glaube, ich sollte Barbaras Mutter mal fragen, wie sie das hingekriegt hat."

"Tun Sie das!" Erwiderte Aurora lächelnd und schaukelte die kleine Claire auf ihren Knien.

"Nur schade, daß du wegen der Heilerrichtlinien vor Ende des praktischen Jahres keine feste Bindung eingehen darfst. Du kannst gut mit Kindern. Das habe ich nicht nur so für Jeanne gesagt. Ich würde meine eigenen Töchter doch nicht anlügen."

"Ich habe mich entschieden, erst einmal Heilerin zu werden. Ob ich dann irgendwann Mutter werde hängt dann ja auch von dem entsprechenden Mannsbild ab."

"Hera, also Madame Matine, hat ja auch keine Probleme damit gehabt, nach ihrer Ausbildung zu heiraten und ein paar Kinder zu kriegen. Und Madame Rossignol in Beauxbatons ist auch bereits stolze Grandmaman. Du mußt also nicht wie diese Betschwestern der Muggel leben."

"Ich hoffe, Sie haben recht", sagte Aurora.

"Du, Aurora. Ich finde, wir beide sind noch jung genug, um uns zu duzen. Außerdem möchtest du ja neben deiner Heilerausbildung noch weiter mit Zauberkräutern arbeiten, hast du gesagt. Dann sollten wir uns auch wie Kolleginnen ansprechen."

"Danke, Camille", ging Aurora darauf ein. Zur Besiegelung der neuen Kameradschaft tranken die beiden Hexen einen Kelch Met, der Aurora gut ins Blut und in den Kopf ging.

"Ja, Begonie L'ordoux hat schon fleißige Bienen, die einen sehr brauchbaren Honig machen", stellte Camille fest und schenkte Aurora einen zweiten Kelch voll. Doch danach beließen es die zwei Hexen bei Zitronenlimonade und Kaffee. Camilles Schwägerin Uranie kümmerte sich um Claire, die von ihrem Vater einen großen, alleine krabbelnden Marienkäfer aus flauschigweichem rotem stoff bekommen hatte.

"Der läuft nur herum, wenn's hell ist. Wenn es dunkel wird gähnt er laut. Claire gähnt dann mit und läßt sich dann auch ohne Gequängel zu Bett bringen", berichtete Camille, wie nützlich dieser Flauschekäfer mit den sieben schwarzen Punkten und den lustig wedelnden Fühlern war.

"Schon praktisch, was es alles an Zauberspielzeug gibt", sagte Aurora. Dann sprachen sie noch über australische Zauberpflanzen, und ob sie dort Sonnenkraut halten konnten, was Aurora voll bestätigte.

Camille und Florymont luden die Besucherin ein, bei ihnen in einem der Gästezimmer zu übernachten, bevor sie am nächsten Morgen zu ihren Eltern zurückkehrte. Sie nahm die Einladung an und schlief in einem Zimmer, dessen Tapeten so gestaltet waren, daß sie dachte, in einer freien Wiesenlandschaft zu übernachten. Sie hörte sogar ein paar Grillen zirpen und wußte nicht, ob diese nur auf der Tapete oder auch draußen im Garten im Gras hockten.

Am nächsten Morgen bedankte sie sich artig bei ihren Gastgebern und flohpulberte nach England zurück, wo sie noch drei Tage blieb, bevor sie nach Australien zurückkehrte, wo sie Heather Springs traf.

"Komm jetzt bloß nicht auf die Idee, die letzte Woche mit Vorarbeiterei zu vertun, Aurora! Ich habe für uns ein tolles Ferienabschlußprogramm zurechtgelegt", stellte Heather sofort klar. Aurora befand, daß sie sich zumindest wieder in die bereits erledigten Übungen einarbeiten müsse, um am ersten September nicht völlig neu anfangen zu müssen. So legten die beiden jungen Hexen einen Tagesplan fest, bei dem Aurora eine Stunde für die Vorbereitungen auf das neue Studienjahr genehmigt bekam. Die restliche Zeit gehörte den Freizeitangeboten Australiens, zu denen auch der Besuch von zwei Quidditchpartien, sowie ein Besuch in Hidden Groves, wo Aurora zu Heathers Verdruß alle dort gehaltenen Zauberpflanzen sorgfältig bestimmte, notierte und mit dem zugeteilten Parkführer über deren Anwendungszwecke diskutierte.

Alles in allem gewöhnte sich Aurora recht gut an die hier gerade herrschende Kühle des südlichen Winters und lernte schmerzhaft, die Sonne nicht zu unterschätzen.

"Ich hörte davon, daß die Abgase der Muggel irgendwas machen, daß die Luft über uns für gefährlichere Sonnenstrahlen durchlässig wird", sagte Aurora, als sie mit einer Tinktur aus Sonnenkraut einen ziemlich unangenehmen Sonnenbrand auf ihrer Schulter kurierte. Heather nickte.

"Hat mir Onkel Vitus auch schon erzählt. Irgendwas ganz weit über uns, wo wir mit den Besen nicht hinkommen, wird von Sprühgasen der Muggel zerstört. Das macht, daß die Sonnenstrahlen stärker durchkommen, auch im Winter. Wenn die Sonne dann auch noch so schön lange scheint wie heute, vertun sich Touristen von der Nordhalbkugel ganz gerne, obwohl da gerade Hochsommer ist."

"Ja, aber der ist in England nicht so heiß wie hier unten, Heather", erwiderte Aurora. Heather nickte.

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Als der erste September mit grauen Wolken und starkem Wind aufwartete, freute sich Aurora auf das nächste Jahr. Sicher, die Ferien hatten ihr sehr gut getan. Aber sie hatte gerade vor der letzten Woche hier bei Heather gemerkt, daß sie sich schnell langweilen würde, wenn sie nicht jeden Tag was aufregendes, wichtiges oder interessantes erleben konnte. So sah sie dem kommenden Lehrjahr und dem zu erwartenden harten Trott ihrer Mentorin mit mehr Vorfreude entgegen, als auf den Gesichtern ihrer Kameraden zu sehen war. Als sie alle in ihrer grünen Adeptenkleidung abends im Tagesraum des Wohngebäudes für angehende Heiler zusammensaßen sprachen sie aufgeregt von den verstrichenen vier Wochen, die doch wieder wie im Fluge vergangen waren.

"Dann hast du ja eine kleine Rundreise gemacht", warf Ireen Barnickle ein, als Aurora von ihrem kurzen Besuch in Frankreich berichtete. "Ich glaube, ich sollte auch noch eine oder zwei Sprachen dazulernen."

"Frage Meisterin Beanstock, ob das schon während der Ausbildung geht!" Schlug Aurora vor.

"Na, das glaube ich nicht", sagte Ireen betrübt. "Sie hat mir schon einen Brief geschrieben, in dem drinsteht, wo sie mit mir in den nächsten Wochen so alles arbeiten wird, wenn nicht gerade vertiefende Grundkenntnisse drankommen. Hat deine Mentorin dir keinen Brief geschrieben?"

"Ich fürchte, sie will mich überraschen, damit ich mich nicht vorher schon auf was vorbereiten konnte", antwortete Aurora Dawn. Das würde zu Meisterin Herbregis passen.

"Kuck mal, da kommen die neuen!" Sagte Ireen und deutete auf drei junge Zauberer und eine Hexe, die bereits die grüne Tracht der Auszubildenden trugen. Direktor Springs begrüßte alle miteinander und teilte den vier neuen ihre Mentoren zu. Jene Mentorin, die bis zu diesem Jahr Jill Trylief unterrichtet hatte, bekam einen schmächtig wirkenden Zauberer mit schwarzem Haar namens Robert Greenbelt zugeteilt."

"Huch, ich dachte, die Mentoren werden dem Geschlecht des Auszubildenden nach zugeteilt", wunderte sich Aurora. Ihre eigene Ausbilderin schüttelte den Kopf.

"Bevor ich das Vergnügen hatte, deine Mentorin zu werden, hatte ich auch einen männlichen Adepten", sagte sie und erwähnte Jeff Greenstam, der gestern vom Rat der australischen Heilzunft als eigenständiger Heiler willkommengeheißen worden war. Er arbeitete jetzt im ambulanten Dienst der Klinik, weil seine Fähigkeiten mit dem Zauberstab ihn für schnelle Noteinsätze qualifizierten.

"Noch drei Jahre, Aurora, dann wirst auch du vor dem Rat stehen und deine endgültige Zulassung erhalten", prophezeite Meisterin Herbregis sehr optimistisch. Aurora nickte nur, sagte aber kein Wort dazu.

Nach der Begrüßung der vier Neuen und dem Abendessen gingen die angehenden Heiler und heilerinnen auf ihre Zimmer. Aurora wunderte es nicht, daß auf dem Schild an ihrer Tür stand, daß sie jetzt Adeptin im zweiten Ausbildungsjahr war. Sie kannte das ja schon von Hogwarts her. In ihrem Zimmer war noch alles wie sie es vier Wochen zuvor hinterlassen hatte. Ihr gemaltes Ich grüßte lächelnd aus seinem Bilderrahmen. Sie war wieder zurück in ihrem kleinen Reich, weit weg von Eltern und Verwandten und weit weg von ihren ehemaligen Schulfreunden, mit denen sie in den Ferien das vergangene Jahr hatte vergessen können, das erste Jahr nach Hogwarts, wo sich für die meisten so viel neues ergeben hatte. Aurora dachte an Krummbein. Sie wollte nicht daran denken, daß er von einem Muggelwagen überfahren oder sonst wie umgekommen war. Vielleicht suchte er da draußen nach jemandem, mit dem er glücklich unter einem Dach leben konnte. Mit dieser Hoffnung legte sie sich ins Bett und schlief ein.

ENDE

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