FURCHT UND VERACHTUNG

Eine Fan-Fiction-Story aus der Vergangenheit der Harry-Potter-Serie

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© 2004 by Thorsten Oberbossel

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P R O L O G

Die junge Hexe Aurora Dawn verbringt das zweite Jahr in der Zauberschule Hogwarts. Die dunklen Umtriebe des allseits gefürchteten Zauberers Lord Voldemort liegen wie ein düsterer Schatten auf der magischen Welt.

Das zweite Jahr fängt für Aurora mit einem Unfall an. Beim Training für die Quidditch-Hausmannschaft zerbricht ihr Trainingsbesen, und sie stürzt ab. Mühsam schafft sie es, sich von diesem Schock zu erholen. Die Slytherin-Mädchen, angeführt von Tonya Rattler, verhöhnen sie deswegen, als sie dann zum ersten Spiel antritt. Sie erfährt, daß es Zaubertiere gibt, die nur sehen kann, wer bereits jemanden sterben gesehen hat und empfindet ein starkes Unbehagen, weil Drohbriefe Voldemorts in den Zeitungen auftauchen.

Die Schwester ihres Klassenkameraden Bruster Wiffle, Doris, kommt nach Hufflepuff. Dina Murphy, ihre Klassenkameradin, kommt nach dem ersten schwierigen Jahr nun besser in den direkten Zauberfächern zurecht. Die Gryffindors Lily Evans und James Potter sind das diesjährige Schulsprecherpaar.

Aurora ist froh, als sie nach dem ersten Dritteljahr in die Weihnachtsferien reist und dort alle Familienangehörigen gesund und Munter vorfindet. Doch was wird im nächsten Dritteljahr passieren?

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Schnee rieselte in großen weißen Flocken vom Abendhimmel. Das kleine Häuschen stand frei und von jeder Muggelstadt weit genug entfernt im süden Englands. Aus den beiden Schornsteinen kräuselte sich weißer Rauch in den klirrendkalten Winterabendhimmel. Aus dem Haus klangen feierliche Gesänge. Denn es war gerade der zweite Weihnachtstag.

Die Tür des Hauses ging auf, und ein Mann mit dichtem schwarzen Haar und graugrünen Augen stapfte, eingehüllt in einen Lamafell-Mantel und gefütterten Lederstiefeln hinaus in die verschneite Landschaft. Der ab und an zwischen den Schnee abwerfenden Wolken hervorlugende Mond tauchte das Land um das Haus herum in silber-Weißen Schein. Hugo Dawn, der Mann aus dem Haus, stapfte hinüber zu einem alten Ziehbrunenn mit Deckel. Der Deckel war jedoch vom Frost anseinem Platz festgefroren und ließ sich mit bloßen Händen nicht abheben. Doch Hugo Dawn verschenkte keine Zeit mit roher Gewalt, sondern bestrich den Deckelrand mit der Spitze seines Zauberstabs, worauf der Verschluß freikam und gehorsam zurückklappte. Ebenso holte der selbstschwebende Wassereimer, den Hugo in den Brunnen hinunterließ, genug eiskaltes Wasser von unten nach oben. Dann trat Hugo näher an den Brunnen, um zu sehen, ob sich Eis an der Oberfläche des Wassers bildete.

"Lumos!" Murmelte er. Ein dünner, heller Lichtstrahl glomm an der Zauberstabspitze auf und fiel in den gut und gerne zwanzig Meter tiefen Brunnenschacht. Ein sehr schwaches Glimmen kam von unten zurück.

"Amplifico!" Murmelte Hugo. Der dünne Lichtstrahl wure zu einem weißen Lichtkegel, hell wie ein Suchscheinwerfer. So hatte Hugo keine Mühe, das nun widerspiegelnde Wasser zu sehen, das bis auf wenige Stücke frei von Eis war. Hugo fühlte das Zittern im Zauberstab. Denn der Verstärker, den er aufgerufen hatte, laugte Zauberer und Stab zehnmal mehr aus als der normale Gebrauch.

"Ordinarius!" Sprach Hugo, worauf der helle Lichtkegel wieder zu dem gewohnten dünnen Lichtstrahl wurde. Dann jedoch lauschte Hugo.

Er dachte erst, der Widerhall des in den Bäumen spielenden Windes wäre aus dem Brunnenschacht hochgedrungen. Doch dann lauschte er genauer. Es war kein Wind, sondern leises Scharren. Ja irgendetwas im Brunnenschacht scharrte da. Noch einmal rief Hugo Dawn den Verstärkerzauber auf und leuchtete in den Brunnen hinein. Da sah er knapp über der Wasseroberfläche ein Stück Mauerwerk langsam herausbröckeln. Die rhythmischen Bewegungen dabei verrieten ihm, daß dies kein natürlicher Verschleiß war. Kälter als die Winterabendluft traf Hugo die Angst. Denn ihm fiel ein, was ihm seine Mutter Regan vor einem Monat noch erzählt hatte. Er, dessen Name nicht genannt werden durfte, hatte sich darauf spezialisiert, Zaubererhäuser von unten her anzugreifen. Das war es also. Der böse Hexenmeister grub sich seinen Weg zum Brunnenschacht, weil dies wohl die einfachere Möglichkeit war. Nun bröckelte noch ein zweites Mauerstück in der Wand. Leise glucksend verschwanden die herausgebrochenen Stücke Stein im Brunnenwasser. Es konnte nur noch Minuten dauern, bis ein Loch in der Brunnenmauer klaffte und ...

Hugo Dawn warf den Deckel auf den Brunnen zurück und ließ um ihn herum einen dicken Frostring anfrieren. Dann belegte er den Deckel selbst noch mit dem Contraruptus-Zauber, der ihn unzerbrechlich machen würde. Schließlich hetzte er ohne den gefüllten Eimer zurück zum Haus und stürmte mit einem Schrei hinein:

"Achtung, Du-weißt-schon-wer gräbt sich durch den Brunnen!!"

Sofort brach jeder Gesang ab. Die Gesichter der zwanzig im von vielen Kerzen hell erleuchteten Festsaal blickten heftig erschrocken den Warner an. Er selbst sah mit Angst auf seine Frau Regina und seine Tochter Aurora, die zusammen mit seinen Eltern Regan und Arco am Fuß der Tafel saßen. Der Hausherr, Hugos Bruder Dustin, blickte entsetzt auf die Tür, durch die kalte Winterluft wie der Hauch des Todes hereinwehte. Dann nickte er.

"Hugo, danke für die Warnung! Leute, raus hier!"

"Das er es wirklich wagt, uns hier anzugreifen", empörte sich Regan Dawn, deren Schreck in ohnmächtigen Zorn umgeschlagen war. In dem Moment krachte es draußen zum ersten Mal.

"Ich habe den Brunnendeckel unzerbrechlich gezaubert", sagte Hugo rasch, während sein Bruder Flohpulver in den Kamin warf. Smaragdgrün und tosend schoss eine Feuerwand im Kamin auf.

"Oscar, du gehst mit deiner Mummy zuerst", sagte Dustin sehr entschieden. Seine Frau nahm den Jungen bei der Hand und schob ihn zum Kamin. Es krachte erneut.

"Beim dritten Sprengzauber haben sie den Brunnen offen", meinte Regan. Da verschwanden der kleine Oscar und seine Mutter bereits im grünen Flammenwirbel.

"Aurora, du als nächste!" Befahl Dustin Dawn seiner Nichte, die leicht zitternd aufsprang und zu dem Kamin hinüberlief. Da krachte es ein drittes Mal und das Zerbrechen von Holz war unüberhörbar. Keinen Moment später ertönte ein Johlen von draußen. Die Handlanger des Unnennbaren kamen!

"Mach schon, Kind!" Rief Dustin Dawn, als die Haustür aufflog. Im selben Moment verschwanden die meisten erwachsenen Gäste mit lautem Knall. Sie disapparierten. Nur Auroras Oma Regan, ihr Mann, ihre Eltern und Onkel Dustin blieben zurück. Gelähmt vor Entsetzen starrte die im Feuer stehende Junghexe auf den Trupp vermummter Zauberer, die hereinstürzten. Einer von ihnen rief mit schriller Stimme:

"Der dunkle Lord wünscht ewige Weihnachten, Dustin Gerneschlau! Avada Kedavra!" Aurora sah das grüne Leuchten, hörte ein lautes Brausen, noch lauter als das sie umtosende Zauberfeuer und sah, wie ihr Onkel Dustin wie ein gefällter Baum umfiel. Im selben Moment krachte ein rosaroter Blitz von Regan Dawn her genau gegen den, der den Fluch ausgerufen hatte. Mit lautem Schrei krümmte sich der vermummte Zauberer zusammen und wurde zu einer unförmigen Masse aus Fleisch und Stoff. Weitere Vermummte zielten auf die verbliebenen Gäste. Doch Regan und ihr Mann riefen bereits: "Malleus Lunae!" Aurora konnte silbernes Licht sehen, das sich im Raum ausbreitete und alle umwarf, die ihn seiner Flugbahn standen. Doch wie Ameisen aus einem Erdloch strömten mindestens zwanzig weitere Vermummte nach und zielten mit den Zauberstäben auf alle Leute im Festsaal. Aurora rief schnell noch: "Rasches Refugium!" Ihre Eltern verschwanden mit lautem Knall, ebenso wie ihre Großeltern, gerade als wieder der Ruf: "Avada Kedavra!" ertönte. Sie fühlte, wie der Flohpulver-Zauber sie ergriff und davonwirbelte. Sie sah gerade noch, wie Arco Dawn verschwand. Sie hörte dieses helle Sirren, das sie vorhin gehört hatte, als ihr Onkel umgefallen war. Doch dann war sie aus dem Kamin heraus und unterwegs durch das Floh-Netz, jene zusammengefügte Anordnung von Zaubererkaminen. Wild rotierend raste sie dahin, mußte die Augen schließen, bis sie merkte, daß der Wirbel nachließ. Zitternd fing sie sich in dem Kamin ab, in dem sie landen wollte. Ihre Mutter, die schon eingetroffen war, half ihr heraus. Dann sah sie noch Großmutter Regan bei ihrer Schwiegertochter Ellen stehen.

"Es sind alle weggekommen, Kind", sagte Regina Dawn ihrer Tochter, die nun, wo sie aus dem überfallenen Haus herausgekommen war, unvermittelt losweinte. "Nur Onkel Dustin hat's nicht geschafft."

"Wie, der ist ...?" Schluchzte Aurora.

"Ja, leider, Aurora", seufzte Regina Dawn und mußte ebenfalls weinen. Ihr Mann Hugo stand kreidebleich bei seiner Mutter, die zwischen grenzenloser Wut und Trauer hin- und hergerissen wurde. Ellen Dawn weinte ebenfalls. Oscar, der nicht wußte, was passiert war, starrte seine Mutter mit übergroßen Augen an.

"Warum?!" Schrie Aurora aus tiefster Hilflosigkeit.

"Weiß keiner, Kind", war Regina Dawns Antwort darauf. "Niemand weiß das."

"Doch, Regina", mischte sich Regan Dawn ein, die Tränen in den Augen hatte und beinahe aussichtslos um Fassung rang. "Dustin hat in den letzten Monaten Sonderaufträge vom Ministerium gehabt. Er sollte nachforschen, ob etwas daran sei, böse Zauberer vergangener Zeiten aus den von ihnen verspukten Gemäuern zu holen und ob sie für ihn, diesen Bastard, dienstbar gemacht werden konnten. Offenbar ist er ihm dabei wirklich zu nahe gekommen."

"Davon hat er mir nichts erzählt", heulte Ellen Dawn. "Warum hat er mir nichts erzählt?"

"Weil es geheim war", schnaubte Regan Dawn. Aurora Dawn sah durch einen Schleier aus Tränen, wie zwei Hexen in den Raum kamen und betroffen dreinschauten.

"Wer sind Sie?" Fragte eine von ihnen. Regan Dawn, die wohl trotz der Wut und Trauer am besten beherrscht war, um klar zu antworten gab die Namen der Zauberer und Hexen an, die sich in diesen besonderen Raum geflüchtet hatten.

Das rasche Refugium war ein vom Zaubereiministerium vorbereitetes Hotel, das allen dienen sollte, die unmittelbar von jenem düsteren Hexenmeister verfolgt wurden, der sich selbst Lord Voldemort nannte. Es bot zwanzig Zimmer für mehrere Nächte und war mit dem Sanctuafugium-Zauber versehen, der von den vier Betreibern aufrechterhalten wurde. Kein böser Magier konnte hier ungeschoren hereinkommen, wußte Aurora Dawn. Außerdem gab es außerhalb genügend Wehrzauber, die Angreifer zurückdrängen konnten, sowie eine Meute besonderer Wachhunde, den Dreiköpflern, die Ministerin Bagnold vor einem Jahr aus Griechenland hatte importieren lassen. Nur wer mit einer besonderen Kopfbedeckung, an der ein bestimmter Geruch anhaften mußte, dem Hotel näherkam, konnte die insgesamt dreißig monsterhaften Hunde gefahrlos passieren. Da sie sehr schnell zu Fuß waren und sofort tödlich zubissen, war ein Sturmangriff auf die Zufluchtsstätte praktisch wie Selbstmord. All das wußte Aurora. Doch im Moment wußte sie nur, daß ihr netter Onkel Dustin tot war. Sie hatte gesehen, wie er von einem grünen Blitz getroffen umgefallen war.

"Danke, Hugo, daß du uns noch rechtzeitig gewarnt hast", sagte Regan Dawn. "So konnten wir zumindest die Kinder alle rausschaffen."

"Wir hätten alle fortkommen müssen, Mun!" Rief Hugo Dawn. "Warum sind wir nicht sofort disappariert?"

"Weil Dustin sehen wollte, daß alle wegkamen, die nicht disapparieren können", sagte Regan. Aurora schluckte. Dann war ihr Onkel Dustin nur geblieben, weil sie nicht sofort das Flohpulver benutzt hatte. Er war jetzt tot, weil sie nicht rechtzeitig verschwunden war!

"Aurora, das ist nicht deine Schuld", sagte Regan Dawn, als Aurora von einem unbändigen Schuldgefühl überwältigt losheulte. "Du wußtest nicht wohin vor Angst. Das ist nicht deine Schuld, daß Dustin - das Dustin nicht mehr lebt", sagte ihre Großmutter noch. Doch konnte Aurora das wirklich glauben?

"Ich hätte früher floh-pPulvern müssen", schniefte sie. "Dann wäre Onkel Dustin - dann wäre er jetzt auch hiiier!"

"Es wäre keiner hier, wenn wir nicht rechtzeitig gewarnt worden wären", sagte Hugo Dawn, der erkannte, daß er den meisten Mitgliedern seiner Familie das Leben gerettet hatte.

"Die waren hinter Dustin her, und er hat mir nichts davon erzählt", jammerte Auroras Tante Ellen. Oscar, der jetzt kapiert hatte, was mit seinem Vater passiert war, wimmerte ebenso hemmungslos wie seine Cousine, klammerte sich an seiner Mutter fest und heulte Rotz und Wasser.

"Aurora, es ist nicht deine Schuld!" wiederholte Regan dawn eindringlich. Aurora sah sich um. Die Ankunftshalle war bis auf die Verwandten von ihr leer. Die beiden Hexen, die sich nach ihren Namen erkundigt hatten, waren wieder hinausgeeilt.

Wie Oscar suchte Aurora Trost in den Armen ihrer Mutter. Diese sah nur stumm ihren Mann an und dann ihre Tochter.

"Ich denke, wir müssen jetzt alle hierbleiben, bis geklärt ist, was er nun tut", sagte sie zu Hugo und Aurora. "Ich hoffe nur, unser Haus bleibt verschont."

"Er wollte nur Dustin umbringen, Regina", sagte Hugo Dawn, doch nicht so überzeugend klingend. "Dem sind wir doch völlig egal."

"Meinst du das?" Fragte Regina Dawn. "Meinst du das wirklich, Hugo?"

"Ich hoffe es", erwiderte Auroras Vater betroffen dreinschauend.

Nach der Flucht vor den Angreifern unter dem Befehl des Unnennbaren brauchten die Dawns mehrere beruhigende Zaubertränke. Aurora Dawn trank einen grünen Tee, der als Träum-gut-Tee bezeichnet wurde. Die beiden Hexen, die hier arbeiteten, zeigten ihnen Zimmer, wo sie für's erste bleiben konnten. Im Moment war noch eine Familie aus Yorkshire hier, die ebenfalls von seinen Leuten angegriffen worden war und wo nur zwei Frauen und ihre Kinder hatten entkommen können.

Am Nächsten Morgen wurden die Dawns von Alastor Moody, einem der Auroren, zu den Vorkommnissen der letzten Nacht befragt. Hugo Dawn kannte ihn gut von Treffen mit dessen Kollegen Patrokles Balder. Die knurrige Stimme Moodys konnte schon Angst einflößen, fand Aurora Dawn, als ihr der Mann mit den grauen Haaren und entstellenden Narben gegenübersaß und sie fragte, was sie von dem Angriff noch mitbekommen hatte und ob sie vielleicht hatte sehen können, wer der Anführer gewesen war. Sie erwiderte eingeschüchtert:

"Ich habe niemanden erkennen können, Sir. Das könnte auch Sie-wissen-schon-wer gewesen sein. Er hat einfach mit dem Zauberstab auf Onkel Dustin gezeigt und sowas wie Afrada Kedaffra gerufen. Dann kam ein grüner Zauberblitz und hat Onkel Dustin - umgehauen."

"Avada Kedavra, der unverzeihlichste Fluch", knurrte Moody wie ein drohender Wolf. "Diese Bande benutzt ihn wie beliebigen Alltagszauber."

"Sir, ich denke, wenn ich rechtzeitig abgehauen wäre ..."

"Kind, dein Onkel hat denen von ihm zu heftig auf die Füße getreten und wußte das auch. Das er jetzt tot ist ist nicht deine Schuld", Versetzte Moody barsch. "Wir werden die kriegen, diese Drecksbande."

"Müssen wir hierbleiben?" Fragte Aurora Dawn.

"Zumindest bis zum Ende der Weihnachtsferien", grummelte Moody. "Wir wollen klarstellen, daß die euch nicht mehr angreifen können, weil sie jetzt denken, ihr wüßtet noch was, was ihm gefährlich werden kann."

"Ja, aber ich muß doch nach Hogwarts. Meine Sachen liegen zu Hause", fiel es Aurora Dawn ein.

"Wir holen alles, was für deine Eltern und dich wichtig ist raus", sagte der Jäger schwarzer Magier und blickte die Junghexe fest mit beiden schwarzen Augen an.

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Tatsächlich war versucht worden, alle Dawns im Umfeld von Onkel Dustin zu erwischen. Die Auroren hatten sich mit einer Truppe der Todesser einen mörderischen Kampf vor Dustins Familienanwesen geliefert, das dabei jedoch in Schutt und Asche gelegt wurde. Sieben Anhänger des dunklen Lords konnten lebend gefangen werden, fünf von ihnen waren getötet worden. Auch sechs Auroren hatten ihr Leben lassen müssen. Doch was Dustin Dawn herausgefunden hatte, hatte Regan Dawn von ihm behalten. Denn, so erfuhr es Aurora von ihrer Mutter, zwei Tage vor dem Ende der Weihnachtsferien, ihre Oma hatte durch Erinnerungsverpflanzung alle geheimen Akten in ihr Gedächtnis übernommen, die Dustin angelegt hatte. Diese Akteninhalte wurden jedoch erst für ihr Gedächtnis frei, als ihr klar wurde, daß Dustin nicht mehr lebte. So konnte das Geheimnis der Unterwerfung böser Geister früherer Zauberer und Hexen dem Ministerium übergeben werden, welches seinerseits Gegenmaßnahmen ergründete, um dem, dessen Name nicht genannt werden durfte, keine Möglichkeit zu lassen, sich verstorbene Handlanger zu sichern.

Im Tagespropheten kamen Meldungen vom Überfall auf Dustin Dawns Familie und den Tod des Mitarbeiters der Geisterbehörde in großen Artikeln. Dustins Leiche konnte einen Tag nach dem Angriff aus den Trümmern seines Ferienhauses geborgen werden. Fotografen des Tagespropheten hatten eine erschreckende Aufnahme davon gemacht. Aurora sah über qualmenden Schuttbergen riesnhaft die Leuchterscheinung am Himmel, die einen blanken Totenschädel darstellte, zwischen dessen Kiefern eine züngelnde Schlange hervorlugte. Auch kamen Stellungnahmen von Bartemius Crouch, dem Leiter der Strafverfolgungsbehörde und führenden Mitgliedern der Liga zur Abwehr dunkler Künste in die Zeitung. Crouch stellte darin klar:

"Die Schonzeit ist vorbei. Allen aktiven oder bloßen Verehrern jenes schwarzen Hexenmeisters, der sich selbst Lord Sie-wissen-schon-wer nennt, seien gewarnt. Ich habe vor einer Woche eine Sonderregelung zur Bekämpfung der Anhänger dieses brutalen, menschenverachtenden Verbrechers unterzeichnet, dernach ertappte Gefolgsleute von ihm augenblicklich lebenslang nach Askaban verbracht werden und die in Kämpfen überwältigten Todesser ohne Rücksicht auf Abstammung oder Geschlecht mit allen verfügbaren Maßnahmen verhört und bestraft werden. Es wird Zeit, uns dieser Pest zu entledigen."

"Was heißt das jetzt?" Fragte Aurora ihren Vater, als sie diese Stellungnahme gelesen hatte.

"Das Crouch sich durchgesetzt hat", sagte Hugo Dawn beklommen dreinschauend. "Jetzt dürfen die Auroren auch die unverzeihlichen Flüche verwenden. Den heftigsten hast du ja mitgekriegt."

"Das kann doch nicht sein, daß ein Zauber gleich jemanden tot umfallen läßt, Daddy. Das ist ja grausam."

"Deshalb ist Avada Kedavra ja auch geächtet. Wer ihn benutzt, landet für alle Zeiten in Askaban."

"Ja, aber Oma hat den Kerl doch verflucht", sagte Aurora Dawn ebenfalls mit Unbehagen in Stimme und Gesichtsausdruck.

"Ja, hat sie. Deshalb haben die anderen ja so wütend ihr Haus angegriffen. Zum Glück ist ja nichts passiert. Mutter hat wohl gute Schutzzauber aufgeboten."

"Ja, aber was machen wir jetzt?" Wollte Aurora noch wissen.

"Wir können wieder in unser Haus zurück. Jetzt, wo die ganze Geschichte für den Unnennbaren gelaufen ist, wird er uns nicht mehr angreifen, solange wir nichts machen, was ihn wütend auf uns macht."

"Ist das echt wahr?" Wollte Aurora noch wissen.

"Wir kriegen für die nächsten Monate Schutz. In Hogwarts selbst kann dir nichts passieren", bekräftigte Hugo Dawn.

"Ich habe Angst", gestand Aurora ihrem Vater offen und ehrlich.

"Ich auch, Kind", sagte er.

"Mr. Dawn, Ihr Haus kann nun wieder benutzt werden", sagte Leonarda Steaples, eine der vier hier lebenden Bewohnerinnen der raschen Zuflucht. "Mr. Balder hat alle Vorwarnzauber eingerichtet, die Sie vor möglichen Angriffen schützen. Ich hoffe, Sie finden wieder in ihr gewohntes Leben zurück."

"Danke, Mrs. Steaples", sagte Hugo Dawn nur. Dann zog er sich mit seiner Frau und seiner Tochter zurück.

Am nächsten Tag reisten die Dawns mit gewissem Unbehagen zurück in ihr Haus. Alles war noch ganz und unberührt, wie sie es gelassen hatten, als sie am zweiten Weihnachtstag zu Dustins Ferienhaus gereist waren. Selbst Auroras Eule Ducky war unversehrt von irgendwelchen Angreifern geblieben. Als sie dann noch Briefe ihrer Schulfreundinnen Petula und Miriam las, in denen die beiden schrieben, daß sie die Meldungen im Tagespropheten gelesen hatten und hofften, daß ihr nichts passiert sei, mußte sie erneut weinen.

Am Abend besuchten die Dawns das Grab von Onkel Dustin. Sie sprachen dort lange miteinander. Denn an der eigentlichen Beisetzung hatten sie wegen der Bedrohung durch Du-weißt-schon-wen nicht teilnehmen können, da der Friedhof zu unübersichtlich gelegen war und man Dustin schnellstmöglich zur Ruhe betten wollte. Trauer und dumpfe Furcht lasteten auf Aurora, ihre Eltern und Großeltern. Auch ihre Verwandten von der mütterlichen Seite kamen noch einmal hinzu, um sich mit den Angehörigen zu unterhalten. So um neun Uhr abends kehrten Aurora und ihre Eltern in das alteherwürdige Landhaus zurück, das Hugo bei der Heirat von Regina von einem Großonkel geschenkt bekommen hatte, der sich auf seine alten Tage zu allein in dem großen Haus gefühlt hatte und lieber noch ein wenig in der Welt herumreisen wollte. Aurora prüfte, ob alle ihre Sachen gepackt waren, darunter die Weihnachtsgeschenke, die sie bekommen hatte. Sie vergoss wieder eine Träne, als sie jene kleine Trillerpfeife in die Hand nahm, die ihr Onkel Dustin mit der Weihnachtspost geschickt hatte. Es war eine Geisterpfeife. Damit, so hatte Onkel Dustin ihr geschrieben, konnte man Geister herbeirufen oder verscheuchen, je nachdem, wie man in die Pfeife hineinblies. Das war das letzte Geschenk, daß Onkel Dustin ihr machen konnte. Das kleine Stück bezauberten Metalls war alles, was ihn mit ihr verband. Sie legte die Pfeife wieder zurück in die kleine Schachtel und verstaute sie gut in einem der Geheimfächer des Koffers. Dann schloß sie den wuchtigen Deckel des Schrankkoffers und ging in die Küche, wo ihre Mutter ihr eine Tasse Träum-gut-Tee gab, um die letzte Nacht vor der Rückfahrt nach Hogwarts gut zu überstehen.

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Als Aurora Dawn sich zusammen mit Petula, Cynthia und Melinda in ein Abteil setzte, wagte niemand, sie auf den Tod ihres Onkels anzusprechen. Als dann noch Joan Austin und Isis Doris Wiffle ins Abteil kamen, ruckelte der Wagon an. Stampfend zog die scharlachrote Lok den Hogwarts-Express an, schnaufte und rumpelte mit zunehmender Fahrt aus dem Bahnhof hinaus.

"Ein frohes neues Jahr, zusammen, wünschte Doris Wiffle. Die übrigen Mädchen erwiderten den Gruß. Doch mehr wollten sie im Moment nicht sagen. Als zwanzig Minuten verstrichen waren, in denen nur das Rattern der Räder und Schnaufen der Lok zu hören gewesen war, fragte Petula Woodlane:

"Wie geht es deiner Familie jetzt, Aurora?"

"Wir konnten wieder nach Hause, Petula. Aber diese Sache hat uns schon heftig zugesetzt", erwiderte Aurora Dawn mit belegter Stimme. Petula fühlte, daß weitere Fragen ihre Freundin wohl in tiefe Bestürzung treiben mochten. So sprach sie von anderen Dingen, wie den Schulaufgaben, wie die Ravenclaws gegen die Slytherins spielen würden und was Bitterling in ihrem Unterricht demnächst drannehmen mochte. Doris ließ sich von Aurora erklären, worauf sie bei Zauberpflanzen, die die Erstklässler gerade durchnahmen zu beachten hatte. Jeder und jede sprach über die Weihnachtsferien. Aurora brauchte einige Zeit, bis sie von sich aus erzählte, was sie erlebt hatte. Sie zwinkerte zwischendurch einige aufkommende Tränen weg und schilderte den Angriff der Todesser mit allen ihr bekannten Einzelheiten. Zum Schluß sagte sie dann noch:

"Was immer er in der Zaubererwelt will, er ist unmenschlich grausam. Ist das überhaupt noch ein Mensch?"

"Wenn du Du-weißt-schon-wen meinst, Aurora, dann glaube ich, daß er kein Mensch mehr ist", sagte Joan Austin. "Ich weiß, was er meinen Verwandten angetan hat. Dabei hat er noch nicht einmal selbst zugeschlagen. Offenbar waren wir unter der merkwürdigen Würde von ihm. Ich habe nur von meinem Großvater und meinem Vater gehört, daß er will, daß jeder Angst hat, der nicht bereit ist, ihm hinterherzulaufen. Das, so meinte mein Großvater, soll heißen, daß er wohl auch Angst hat, weil andere stärker als er sein könnten und er deshalb alle umbringt, die ihn wütend machen. Was immer dein Onkel rausgekriegt hat, Aurora, war Du-weißt-schon-wem ein Dorn im Auge."

"Ja, aber er haßt die, die Muggelverwandte haben", wimmerte Doris.

"Klar, weil die langsam stärker werden als die Leute, die immer reinblütig waren", erwiderte Joan und blieb dabei völlig ruhig. "Der haßt alle, die mal stärker als er und seine Nachläufer werden können. Villeicht hat er auch Schiss vor denen."

"Das glaube ich nicht", meinte Cynthia Flowers. "Wenn der Angst vor Muggelstämmigen hätte würde der sie doch gleich umbringen, bevor sie nach Hogwarts kommen. Oder denkt ihr nicht, daß er jemanden in der Ausbildungsabteilung hat, der ihm steckt, wieviele Muggelstämmige nach Hogwarts gehen? Was immer der gegen Muggelstämmige hat, muß was anderes sein."

"Leute, sollen wir froh sein, daß wir alle noch leben!" Stellte Petula mit steinerner Miene fest. Dann fügte sie noch hinzu: "Ja, Aurora, es ist schlimm, was mit deinem Onkel passiert ist. Aber wir können nicht aufhören, weiterzuleben, nur weil dieser Mörder herumläuft und harmlose Leute umbringt."

"Voll meine Meinung", warf Joan ein. Doris saß jedoch wie ein Häuflein Elend in der Ecke und blickte bange durch das Glas in der Tür und dann zum Fenster hinaus, als fürchte sie, jemand könne gleich hereinstürmen und sie so einfach totfluchen, wie Aurora Dawn es beschrieben hatte.

"Meine Eltern sagten, daß Dumbledore aufpaßt, daß wir in Hogwarts nicht angegriffen werden", sagte Aurora Dawn mit einer Spur Unbehagen in der Stimme. Auch sie blickte zum Fenster hinaus. Doch außer der üblichen Landschaft, die an ihnen vorbeiglitt, war nichts zu sehen. Hier und da lag Schnee auf Feldern und Wäldern. Anderswo war es eher Schneematsch, der grauweiß an Hängen und auf dem Boden herumlag.

Um die Mittagszeit kam die kugelrunde Hexe mit dem Imbißwagen vorbei. Petula spendierte eine Runde Kesselkuchen. Aurora gab eine Runde Kürbissaft aus. Dann kehrte vorerst Ruhe ein. Aus anderen Abteilen klang zwischendurch Lachen herüber. Aurora hörte die Stimme von Tonya Rattler heraus. Die klobige Slytherin aus ihrer Klasse mußte keine vier Abteile in Richtung Lok von ihr entfernt sitzen. Offenbar freute sie sich auf das kommende Dritteljahr.

Petula ließ zwischendurch ihre junge weiße Katze Schneeflöckchen aus dem bequemen Tragekorb heraus. Sie ließ sie nach einer weichen Fellkugel an einem langen dünnen Faden springen oder kraulte sie, während sie zu einer weißen Fellkugel auf ihrem Schoß zusammengerollt war und schnurrte. Aurora Dawn laß in einem Buch über Wichtel, die sie demnächst bei Bitterling in Verteidigung gegen die dunklen Künste drannehmen würden, während Cynthia und Melinda ihre Zaubertrankhausaufgaben verglichen. Da Melinda in diesem Fach die bessere Schülerin war, lauschte Cynthia ihr aufmerksam und nickte ab und an.

Eine Stunde vor der Ankunft in Hogsmeade wurde die Abteiltür aufgerissen, und in ihrer quadratisch wirkenden Erscheinung stand Tonya Rattler im Türrahmen. Sie blickte sich kurz um und sah erst Doris Wiffle und dann Aurora Dawn an. Joan Austin schien sich auf einen Angriff vorzubereiten. Denn ihr Körper wurde straff, und der Blick der Gryffindor-Erstklässlerin nagelte Tonya regelrecht fest.

"Habe ich doch richtig gehört, Daß du hier bist, Dawn. Und, wie fühlt man sich, wenn man weiß, das jeder neue Tag der letzte sein kann?"

"Fragst du das oder will der Verbrecher das wissen, dem du nachläufst, Rattler?" Erwiderte Joan ungefragt. Tonya sah die Erstklässlerin warnend an. Doch diese schmunzelte nur.

"Ich habe Kuchen gerufen, und nicht Krümel, Austin. Aber wenn du schon so blöd fragst kannst du mir ja auch sagen, ob deine Alten ihr Testament schon gemacht haben."

"Was deine Frage angeht, Rattler", antwortete nun Aurora Dawn, die offenbar alle Selbstbeherrschung zusammennahm, "so weiß ja niemand, wann er oder sie draufgeht. Wenn du meinst, daß das toll ist, wenn jemand von einer Bande durchgedrehter Zauberer umgebracht wird, dann kannst du mir nur leid tun. Offenbar langweilst du dich zu sehr, daß du meinst, dich in anderer Leute Sachen reinhängen zu müssen."

"Ui, die Dame ist ja richtig mutig. Glaubst du echt, deine Alten leben noch, wenn du wieder nach Hause kommst?" Legte Tonya nach. Tatsächlich erbleichte Aurora Dawn. Wußte dieses Klotzweib da wirklich was, was ihren Eltern gefährlich werden würde? Tonya grinste überlegen.

"Dieser Lord Voll daneben pfeift drauf, ob jemand ihm den Dreck von den Schuhen leckt oder ihm querkommt. Ich würde diese Frage mal lieber dir selbst stellen. Immerhin ist es ja kein Geheimnis, daß deine Mutter nicht vor all zu langer Zeit mal geäußert hat, daß er, der sich gerne nicht beim Namen nennen läßt, ein Hexenfeind ist und absolut unfähig, richtig zu lieben. Glaubst du, der läßt sich sowas bieten?" Fragte Joan Austin, ebenfalls siegessicher lächelnd. Tonya trat vor und streckte ihre rechte Hand nach Joans Hals aus. Doch diese schien mit einer derartigen Reaktion gerechnet zu haben. Denn unvermittelt war sie vom Sitz hochgeschnellt und hatte Tonyas Arm fest gepackt und mit einer schnellen Hebelbewegung so gedreht, daß Tonya erschrocken und schmerzhaft stöhnend herumfuhr. Mit einer von ihr nicht zu erwartenden Gewandtheit und Kraft drehte Joan der so breit wie hoch gebauten Slytherin den Arm auf den Rücken und hielt ihn fest. Tonya schlug mit der Freien Hand nach Joan. Diese griff auch den anderen Arm und drehte ihn so, daß Tonya sich nicht mehr rühren konnte, ohne sich mächtig weh zu tun.

"Mädchen, du bist sowas von primitiv. Liegt wohl an dieser Inzucht, die in eurer Familie getrieben wird", schnaubte Joan, während Tonya schmerzhaft aufstöhnte. Dann sagte das Slytherin-Mädchen:

"Du bist tot, Austin, ahaauuua!"

"Das weiß ich seit dem Tag, als mein Opa und meine beiden Onkel von diesem Massenmörder niedergemacht wurden, einfach so, du Klotz mit Hohlkopf. Und weil ich sowieso schon tot bin kann ich jeden Tag genießen, den ich noch mitkriege, klar. Schieb ab! Mach den schnellen Abflug, bevor ich dir die morschen Gräten breche."

Tonya wurde mit einem kräftigen Stoß aus dem Abteil geschoben. Dabei prallte sie gegen einen klapperdürren Jungen, Samiel Sharkey, der zusehen wollte, wie Tonya Aurora Dawn runtermachte. Diese sah Tonya mit wiedergewonnener Entschlossenheit an und sagte:

"Egal, wie gut du ihn kennst, Rattler. Du bist nicht er und hast hier auch nicht seine Sachen durchzuziehen. Jetzt mach dich fort!"

"Eh, Tonya, läßt du dir das von der bieten?" Feixte Sharkey. Joan sah den Jungen an und meinte:

"Was sagt der Kleiderständer? Ich dachte, Weihnachten ist ein Fest mit viel zu essen. Offenbar hat dich auch keiner lieb, was Shaarkey?"

"Ich lache, wenn er dich erledigt hat, blöde Gans", zischte Sharkey und zog sich mit Tonya zurück, die bitterböse Blicke auf Joan abfeuerte. Diese zog die Abteiltür zu und setzte sich wieder hin. Doris fragte bang, ob das nicht sehr dumm war, dieses Mädchen so anzugreifen. Joan meinte nur:

"Die muß kapieren, daß sie nicht einfach Leute bepöbeln kann. Offenbar wurde das Zeit, ihr das beizubringen. Ich hörte, dein Bruder läßt sich von der auch nichts bieten."

"Ja, aber der meint auch, er müsse nicht aufpassen", sagte Doris Wiffle. Im Abteil nebenan lachten Bruster, Mortimer und ein paar andere Jungen. Offenbar war Tonya Rattler mit Samiel vorbeigegangen. Denn Aurora konnte hören, wie sie riefen:

"Klotzweib, hat dir die böse kleine Joan deine Ärmchen verbogen?! Uii, wie böööse!"

"Euch kriegt der auch noch!" Schrie Tonya und zog weiter.

"Man muß doch nicht gleich immer gewalttätig werden", meinte Cynthia Flowers und blickte Joan tadelnd an. Diese sah unschuldsvoll zurück und meinte:

"Dann hätte ich mich lieber von ihr erwürgen lassen sollen, Cynthia? Danach war mir jetzt aber nicht."

"Wie du meinst, Joan. Das kannst du ja mit eurem Vertrauensschüler bequatschen, sollte die Rattler dich bei Snape oder McGonagall verpfeifen", meinte Cynthia. Joan grinste darüber nur. Dann sagte Aurora Dawn noch:

"Das war doch nicht deine Sache, wenn die mich versucht fertigzumachen. Soll ich dir jetzt auch noch dafür danken, daß du dieses Klotzweib auf die Idee gebracht hast, ich käme ohne Hilfe nicht zurecht?"

"Ach, hätte ich die einfach dumm weiterquatschen lassen sollen?" Fragte Joan. Doch dann verstand sie. Offenbar hatte sie Aurora damit keinen Gefallen getan, daß sie Tonya die Arme auf den Rücken gedreht hatte. Sie blickte Aurora abbittend an und schwieg.

Ohne weitere Ereignisse rollte der Hogwarts-Express im Zielbahnhof ein. Die Schülerinnen und Schüler verließen leise die Wagons und suchten die Kutschen. Vor diesem Moment hatte sich Aurora am meisten gefürchtet. Mochte es stimmen, was sie über diese Thestrale gelesen hatte? Würde sie diese Pferde vor den Kutschen nun auch sehen, wie Isis Waverly?

Petula schien die Gedanken ihrer Freundin zu erraten. Sie deutete auf eine freie Kutsche, genau auf die Deichsel. Tatsächlich konnte Aurora nun die mager wirkenden schwarzen Pferde mit den lederartigen Flügeln sehen, die mit bleichen Augen umherblickten und mit ihren hornigen Hufen im Schnee scharrten. Isis Waverly, die gerade mit Eunice, Rebecca und Bernard eine Kutsche bestieg, sah kurz zurück zu Aurora Dawn. Sie nickte flüchtig. Offenbar empfand das Mädchen, das die Ermordung seiner Eltern miterlebt hatte, eine gewisse Verbundenheit mit Aurora Dawn. Ja, nun waren sie beide in irgendeiner Weise Gleichbetroffene. Der dunkle Lord Voldemort hatte sie beide dazu verdammt, etwas zu wissen, was kein Kind wirklich wissen wollte.

"Siehst du sie wirklich?" Fragte Petula vorsichtig. Aurora Dawn nickte nur. Petula Woodlane sagte dann nur: "Hoffentlich gibt es nicht bald noch mehr, die diese Tiere sehen können."

Jetzt, wo das Geheimnis der Kutschen gelöst war, schien es Aurora Dawn schwer zu fallen, einzusteigen und sich diesen wie Totenpferden aussehenden Geschöpfen anzuvertrauen. Doch sie erkannte, daß ihre Angst vor dieser Begegnung unnötig gewesen war. Denn zum einen taten ihr diese Tiere ja nichts. Zum anderen konnten die nichts dafür, daß man sie nur sehen konnte, wenn man vorher jemanden hatte sterben sehen müssen. So dachte Aurora nicht mehr daran, daß sie nun zu Leuten gehörte, die was sehen konnten, von dem die anderen überhaupt nichts wußten.

Rumpelnd zogen die Gespensterpferde, wie Aurora sie abschätzig genannt hatte, die Kutsche mit ihr, Petula, Cynthia, Melinda, Miriam Swann und Dina Murphy hinauf zum Schulgelände, durch das von geflügelten Steinebern bewachte Tor auf die mit Schnee bedeckten Ländereien von Hogwarts. Vor dem Haupttor stiegen alle wieder aus und gingen in das Schloß hinein.

Beim Abendessen herrschte das übliche Getuschel und Lachen. Aurora war froh darüber, daß nicht jeder meinte, sie nun anstarren zu müssen, weil sie ihren Onkel verloren hatte. Vielleicht war es aber auch schon zu normal, daß die Todesser achtbare Zaubererfamilien einfach so überfielen und umbrachten. Doch das wollte sie nicht so hinnehmen. Sie würde das nicht als normal empfinden.

Nach dem Abendessen stand der Schulleiter erneut auf und wartete, bis vollkommene Ruhe eingekehrt war. Dann sprach er zu den versammelten Schülern und Lehrern:

"Liebe Kollegen, liebe Schüler, wir alle wissen, wie furchteinflößend der Gedanke ist, irgendwann lesen zu müssen, daß gute Freunde oder nahe Verwandte grausam ermordet wurden. Ich habe dutzende von guten Freunden sterben sehen müssen, und habe bis heute nicht verlernt, jeden einzelnen zu betrauern. Wir alle haben in den Weihnachtsferien lesen müssen, daß Lord Voldemort und seine Gefolgsleute wieder Familien aus der Zaubererwelt angegriffen und niedergemetzelt haben. Einige von uns kennen die Betroffenen persönlich. Ich weiß, daß jeder von Ihnen oder euch Angst hat. Angst ist natürlich, weil sie uns hilft, Gefahren zu erkennen und zu vermeiden. Doch sie kann auch eine Fessel sein, die uns am Leben hindert. Wir dürfen uns nicht gefallen lassen, daß jemand, nur weil er grenzenlos böse ist, unsere ganze Welt mit dieser Fessel einschnürt. Jeder hier soll daran arbeiten, das ihm oder ihr geschenkte Leben zu erfüllen, ja mehr Freude als Angst zu empfinden. Ich sage Ihnen und euch nur soviel, daß Lord Voldemort stärker wird, wenn wir ihn durch unsere Angst und Hilflosigkeit stärker werden lassen." Wie üblich huschte bei Nennung des gefürchteten Namens des dunklen Hexenmeisters ein Ausdruck von Furcht und Beklemmung über die Gesichter der Anwesenden. Nur Dumbledore wagte es, Voldemort beim Namen zu nennen. Sonst wagte dies wohl keiner. "Ja, wir müssen lernen, auch nach der berechtigten Trauer um gewaltsam umgekommene Verwandte unser Leben weiterzuleben, gerade deshalb, um denen, die gestorben sind, unseren Respekt zu erweisen, uns nicht unterkriegen zu lassen. Also, hier in Hogwarts werden wir weitermachen, immer weiter. Ich kann euch nur Zuversicht raten. Denn ihr Schüler seid die Welt von morgen. Wenn ihr heute daran arbeitet, euren Weg zu finden, wird die Welt, in der ihr nach Hogwarts leben dürft auch angenehmer für euch sein.

Um der in den Ferien ermordeten Freunde, Verwandten und bekannten zu gedenken möchte ich Sie und euch bitten, nun eine Minute lang zu schweigen. Danach bitte ich die Vertrauensschüler, die Bewohner ihrer Häuser in die Gemeinschaftsräume zu führen."

Tatsächlich schwiegen alle für eine Minute, auch die Slytherins, die während Dumbledores Rede hinter vorgehaltener Hand gegrinst hatten. Dann erhoben sich alle und verließen immer noch schweigend die große Halle.

__________

Die nächsten Tage waren für Aurora Dawn sehr schwierig. Immer wieder nutzte Tonya Rattler, sie auf dem Weg zum Unterricht oder im Kräuterkundeunterricht selbst dumm anzuquatschen. "Na, wer ist der Nächste von euch, Dawn?" "Haben deine Eltern schon ihr Testament gemacht, Dawn?" "Pass lieber auf, wenn du wieder nach Hause fährst! Er könnte schon warten."

Aurora Dawn hatte zunächst immer wieder verstört dreingeschaut und nichts antworten können, was der klotzartigen Junghexe richtig Spaß bereitete. Doch als am Ersten Tag der zweiten Unterrichtswoche nach den Ferien Tonya zusammen mit Snape, der wohl keine gleichalterige finden konnte, wie auch Samiel Sharkey auf dem Weg zur Bibliothek Auroras Weg kreuzte und meinte:

"Heh, Dawn, hat deine Mum dir schon erzählt, daß dein Daddy von Du-weißt-schon-wem abgemurkst wurde?" Da straffte sie sich unvermittelt. Die Slytherins, die meinten, sie leicht verängstigen zu können, sahen sie sehr erwartungsvoll an. Sie sagte:

"Ich habe heute morgen einen Eulenbrief gekriegt, Tonya, daß Du-weißt-schon-wer deinen Onkel Orcus getötet hat, weil er meinte, daß der doch meine Mutter und meinen Vater abmurksen müßte. Das Ministerium hat nämlich einen Brief gekriegt, wo er, der ja nicht beim Namen genannt werden soll, erklärt hat, daß wir zu wertlos für ihn sind, wo er doch wichtigeres zu schaffen hätte. Erkundige dich besser bei deinen Eltern, ob die schon ihr Testament gemacht haben, Tonya Rattler!"

"Eh, du lügst ja!" Entfuhr es Tonya, die für eine Sekunde kreidebleich geworden war. Daß dieses schwarzhaarige Ravenclaw-Gör sie mit der eigenen Medizin behandelte schmeckte ihr nicht. "Du verscheißerst mich doch."

"Tja, kann sein, kann aber auch nicht sein. Weiß du denn echt, was dieser Lord vorhat? Nein? Dann lass gefälligst andere in Ruhe, bevor du selbst noch was hast, was dir Angst macht, klar!"

"Eh, so redest du nicht mit mir, Dawn!" Fauchte Tonya Rattler und stürmte vor. Snape machte ein gelangweiltes Gesicht und schüttelte den Kopf. Aurora wich Tonya wendig aus, als sie vorsprang. Ihr Schwung ließ sie vorne überfallen. Sie landete voll auf der Nase.

"Das zahl ich dir heim, du Mistbalg!" Brüllte Tonya und fischte nach ihrem Zauberstab.

"Glaube ich nicht", klang eine Mädchenstimme hinter Aurora Dawn. Tonya sprang auf und sah verdutzt an der verachteten Klassenkameradin vorbei. Eine rothaarige Siebtklässlerin kam mit ausgreifenden Schritten näher. Ihre hellgrünen Augen funkelten bedrohlich, und das silberne S-Abzeichen auf dem Brustteil ihres Umhanges schimmerte wie eine prunkvolle Ritterrüstung.

"Was willst du denn jetzt hier, Schlammblut?" Fauchte Snape.

"Slytherin hat wohl zu leicht Punkte bekommen, wie, Schniefelus? Das sind mal eben zwanzig Punkte Abzug für Slytherin wegen Bedrohung einer Mitschülerin und Beleidigung der Schulsprecherin", sagte die fast erwachsene Hexe, lily Evans. In ihrer hand lag ihr Zauberstab.

"Die hat mich provoziert, mann", knurrte Tonya und zeigte mit dem Finger auf Aurora Dawn, die nun, wo die größte Gefahr vorbei war, ganz gelassen dastand.

"Nachdem du ihr wieder dumme Sprüche um die Ohren gehauen hast, vonwegen ihrer Familie, Tonya. Ich habe das genau gehört. Du warst ja nicht gerade leise. Das du, Schniefelus dich darüber beeumelst ist ja klar. Aber daß ihr damit nicht nur Mitschüler beleidigt, sollte euch auch klar sein", sagte Lily Evans. Snape zog seinen Zauberstab, nur um ihn im nächsten Moment von Lily aus der Hand gehext zu bekommen.

"Du bist und bleibst ein dreckiges, absolut blödes Schlammblut!" Brüllte Snape und tauchte nach seinem Zauberstab. Samiel Sharkey stand da wie ein menschenförmiger Kleiderständer. Offenbar brauchte er Anweisungen, dachte Aurora. Tonya wollte ihren Zauberstab zücken, da tauchte Remus Lupin auf, ein Vertrauensschüler der Gryffindors.

"Hmm, gibt es hier irgendwelchen Krach?" Fragte er scheinheilig. Dann meinte er.

"Oh, Snape, den tust du besser weg, bevor James oder Sirius meinen, du würdest jetzt endgültig ausrasten."

"Halt's Maul, Lusche Lupin!" Zischte Snape überaus bösartig. Dann wirbelte er herum und eilte mit wehendem Umhang davon. Tonya und Samiel waren nun alleine mit Aurora, Lily und Remus Lupin. Tonya erkannte, daß hier und jetzt nichts gutes für sie rausspringen konnte und knurrte nur:

"Du weißt, daß du nur noch vorgezählte Tage hast, Dawn. Mach was draus!" Dann winkte sie Sharkey, der sich aus seiner Starre löste und ihr wie ein magerer Schoßhund hinterhertrottete.

"Sage Mr. Snape, daß das noch mal fünfzehn Punkte Abzug für Slytherin sind!" Rief ihr Lily hinterher. Tonya gab jedoch keine Antwort darauf. Sie verschwand um die nächste Ecke. Erst dann steckte Lily ihren Zauberstab wieder fort und sagte:

"Die lernen es nicht, daß man mit sowas keinen Scherz treibt. War gekonnt, ihr mit derselben Tour zu kommen, Aurora. Soll die selbst mal spüren, wie's ist, wenn jemand so gehässig über den Tod anderer Leute Familienangehöriger redet. Wo wolltest du jetzt hin?"

"Öhm, Bibliothek", brachte Aurora Dawn nur heraus.

"Trifft sich gut. James und Peter sind ja auch da", antwortete Lily und geleitete Aurora zur schuleigenen Bücherei.

Offenbar hatte Auroras Aufbegehren gegen Tonyas Sticheleien gut gewirkt. Denn zum einen sprach es sich schnell herum, was im Korridor passiert war. Offenbar waren noch andere Schüler Ohrenzeuge der Auseinandersetzung geworden. Zum anderen hatte Snape wohl befunden, sich nicht mit dieser viel zu jungen Schülerin abzugeben, die ihn mit diesem muggelstämmigen Mädchen, Lily Evans, zusammenrasseln ließen. Immerhin hörte Tonya mit den üblichen Pöbeleien um Auroras Familie auf, zumal im Tagespropheten Schlagzeilen um getötete Zauberer einander jagten. Offenbar, so erkannten alle, ging es dem dunklen Hexer Voldemort nicht darum, einfach nur Leute einzuschüchtern. Jeder konnte irgendwann von ihm oder seinen Leuten heimgesucht werden. Da Dumbledore nach jeder Unterrichtswoche eine längere Rede über die Ereignisse in der übrigen Zaubererwelt hielt, in denen er immer wieder betonte, daß die ermordeten Hexen und Zauberer die mutigsten waren, da Voldemort ja die ängstlichen so gut einschüchtern konnte, daß sie für ihn alles taten, verärgerte er zwar die Slytherins, nahm ihnen aber dafür jeden Ansatz, ihre Mitschüler zu drangsalieren. Da Tonya offenbar bei Snape alle Sympathien verspielt hatte und auch ihre Schwester Delila merkwürdig verärgert dreinschaute, wenn Tonya mal wieder wen aus ihrer Klasse anpöbelte und sich dabei erwischen ließ, ebbte die offene Gehässigkeit des strohblonden Mädchens mit dem Körper wie ein Klotz merklich ab. Selbst Roy und Bruster wurden jetzt weniger getrietzt, auch wenn diese sofort handgreiflich geworden waren und Ravenclaw einige hart erarbeitete Punkte dafür verlor. Aurora Dawn fühlte sich jedoch nicht wie eine Heldin oder besonders mutig. Einer Mitschülerin die selbst nicht besser als sie war die Meinung zu sagen war ja keine große Kunst, selbst wenn Tonya gute Freunde in Slytherin hatte. Sie dachte eher daran, daß niemand hier, sie eingeschlossen, allzu sehr darauf hoffen durfte, daß sie in den Ferien unbehelligt blieben. Sicher, ihr Vater schickte jeden zweiten Tag eine Eule. Er war jetzt in Ostdeutschland, wo er nahe der von den dortigen Muggeln mit Sprengkörpern und Drahtzäunen versperrten Grenze die wilden Vogelbestände untersuchte, zusammen mit einem Herrn Eschenwurz. Doch wußte sie, ob Voldemorts Leute nicht auch dort schon herumliefen? Sie bekam am dritten Freitag nach den Weihnachtsferien einen Brief in dem Stand:

Hallo, Aurora,

ich werde morgen in den Harz reisen, um die dortigen Überwinterer zu erforschen. Ich hörte, die Lage bei euch in Hogwarts hat sich endgültig wieder beruhigt. Deine Mutter schrieb mir, daß die unsinnigen Streitigkeiten zwischen den Slytherins und euch wohl abgeklungen sind.

Friedebold, Herr Eschenwurz, hat mich mal eingeladen, einen Vortrag in Greifennest zu halten, weil seine da unterrichtende Kollegin Professorin Rauhfels eine UTZ-Klasse in Pflege magischer Geschöpfe hat, die mit magischen Vögeln und Vogelhybriden arbeitet wie Phönixen, Greifen und Hippogreifen. Er meinte, ich könnte mal über die inneren Zustände nichtmagischer Vogelarten reden, um Vergleiche anzustellen. Nun, mein Deutsch ist gerade mit "Danke schön" und "Auf Wiedersehen" brauchbar. Aber da ich noch eine volle Woche hierbleiben werde, werde ich mir wohl den Wechselzungentrank genehmigen, der mich für's erste eine Fremdsprache sprechen lassen kann. Wie der geht, kannst du ja eure Lehrerin fragen.

Wir allle wissen, wie schrecklich Du-weißt-schon-wer ist. Aber wenn ich mir so angucke, wie die Muggel hier in Mecklenburg von ihrer Regierung behandelt werden, könnte ich meinen, wir haben es noch nicht so heftig erwischt. Die Leute werden hier nämlich immer ausspioniert. Sie dürfen nichts sagen, was der Meinung der einen Partei widerspricht, die von russischen Besatzungstruppen unterstützt wird. Jeder Nachbar kann hier ein heimlicher Spitzel der sogenannten Stasi sein, einer Geheimtruppe, um die eigenen Mitbürger zu überwachen. Die Muggel in Ostdeutschland haben Mauern und Zäune gezogen und halten alle anderen hier wie Gefängnisinsassen. Ich habe es erst gestern erlebt, als ich mit Herrn Eschenwurz im Rostocker Wald war. Da kamen uns drei Waffenträger, Soldaten der sogenannten Volksarmee entgegen und fuhren uns an, was wir hier zu suchen hätten und wer wir überhaupt seien. Friedebold hat für mich mitgeredet, weil ich ja eben kein gutes Deutsch sprechen kann. Die Muggel zielten dann mit Gewehren auf uns. Das sind Metallrohre, mit denen sie mit lautem Knall Bleikugeln abschießen können, die jemandem ins Herz oder den Kopf schlagen und töten können. Ich dachte erst, die wollen uns wirklich ermorden, als so ein Soldat mit einer russischen Fellmütze auftauchte und denen was zurief. Da haben die ihre Tötungsrohre gesenkt, sich bei Friedebold entschuldigt und sind abgerückt. Der Mann mit der Russenmütze hat sich dann als Alexej Melechin vorgestellt, Kontaktoffizier der russischen Soldaten und, wie Friedebold wohl schon wußte, ein Zauberer im Auftrag des russischen Zaubereiministers, der zwischen den Muggeln hier und in Russland, aber auch den Zauberern in Russland und Ostdeutschland vermitteln soll. Der hat uns dann noch Pappdinger gegeben, sogenannte Berechtigungsausweise, mit denen wir unbehelligt bleiben, wenn Muggel uns wieder aufhalten. Dann ist er disappariert und hat uns in Ruhe gelassen.

Also, Aurora, es ist schlimm, das Onkel Dustin nicht mehr lebt. Aber wir sind am leben und sollten uns immer dagegen wehren, daß wir es mal so schlimm kriegen, wie die es hier haben. Weil Dustin das auch so sah, ist er nicht umsonst gestorben. Das sagt auch deine Tante Ellen und deine Oma Regan.

Ich weiß nicht, ob ich im Harz wieder eine Zaubererpoststelle finde, um dir in den nächsten Tagen eine Eule zu schicken. Am besten wartest du mit deiner Antwort ein paar Tage und schickst mir den Uhu zurück, der dir diesen Brief gebracht hat. Er hört auf den Namen Rübezahl, warum auch immer.

Halt dich gut in der Schule und lass dich nicht ärgern!

Ich umarme dich und küsse dich

                    dein dich liebender Vater Hugo Dawn

Aurora verfiel ins Grübeln. War das bei den Muggeln wirklich so schlimm, daß die ihre Leute immer ausspionierten, ja mit tödlichen Waffen herumliefen, um Leute umzubringen, von denen sie nicht wußten, was die bei ihnen wollten? Wieso sperrte eine Muggelregierung ihre Mitbürger im eigenen Land ein? Konnte das tatsächlich auch der Unnennbare vorhaben? Sie überlegte, ob sie nicht vor dem Quidditchspiel Hufflepuff gegen Slytherin noch einmal in der Bibliothek nach Büchern über das Leben der Muggel nachlesen sollte. Doch da hatte sie eine bessere Idee. Sie unterhielt sich nach den letzten Unterrichtsstunden des Tages mit ihren Klassenkameraden Petula, Miriam, Dina, Roy und Bruster über den Brief ihres Vaters. Petula meinte dazu:

"Ja, da habe ich auch schon von gehört, daß die durch Deutschland eine Grenze gezogen haben, weil die damals einen schlimmen Krieg gegen viele andere Länder geführt und verloren haben. Im Osten haben Russensoldaten alles übernommen und im Westen sitzen Amerikaner, Franzosen und Soldaten der englischen Muggelwelt. Mein Vater war mal in Greifennest, um sich mit der Burgherrin und Schuldirektrice Adalberta Gräfin Greifennest zu unterhalten. Die hat ihm erklärt, wie schwierig das seit über dreißig Jahren ist, die Schüler aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweizer Region um den Bodensee zusammenzuholen, weil es im Osten Deutschlands ja so wie in Askaban zugehen soll."

"Haha, Askaban", grinste Roy Fielding. "Paßt irgendwie, Petula. Mein Dad war mal drüben in Berlin Ost, wo die Kommunisten das sagen haben, die angeblich wollen, daß alle gleichbehandelt sein sollen und jeder nur tut, was vom Staat befohlen wird. Den hätten die da fast verhaftet, weil er kein Deutsch sprach, nur weil der Typ, der ihn abholen sollte zu spät dran war. Möchte nicht wissen, was die mit ihm angestellt hätten. Das mit dem Krieg ist richtig, Petula. Das nannten die den zweiten Weltkrieg. Damals hat ein Österreicher, der wohl genau so'n Furz im Hirn hatte wie dieser Lord Voldemort ganz Deutschland beherrscht und alle umgebracht, die nicht groß, blond und blauäugig waren. Das muß man sich mal wegtun. Dabei war der Typ selbst klein, hatte schwarze Haare und 'nen Schnurrbart. Meine Mutter hat mir den bei Madame Tusseau in London gezeigt, da steht der als Wachspuppe hinter Panzerglas an einer Treppe runter zur Folterabteilung. Jedenfalls hat der soviele Leute umbringen lassen und mit seinem Krieg andere Länder so heftig wütend gemacht, daß die nach dem Krieg gesagt haben, daß Deutschland nicht mehr in einem Stück zu sein hat."

"Eh, seit wann interessiert sich so'n Liverpoller für Auslandspolitik?" Feixte Bruster.

"Mann, halt doch die Klappe!" Schnaubte Roy und warf Bruster einen bitterbösen Blick zu. Danach sprach er weiter:

"Also am Ende vom Lied wurde aus Deutschland zwei Staaten, also Regierungszonen. Im Osten sind diese Kommunisten, im Westen haben sie echt ein Parlament, wie wir's in England haben, nur das die keine Lords und Ladies haben. Ist schon heftig, wie die Leute von meiner Welt drauf sind."

"Ja, mehr muß dazu ja nicht gesagt werden", meinte Bruster. "Der hat ja echt ein Geschichtsbuch gefrühstückt. Aber Petula, wie ist denn das in Deutschland, wenn es zwei Staaten gibt, aber die Zauberer da sich nicht dran stören wollen?"

"Da mußt du wen fragen, der im Ministerium für Zauberei in der internationalen Zusammenarbeit rumhängt", wies Petula die Frage zurück. Miriam grinste und antwortete:

"Meine Tante Peggy arbeitet in der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit. Die kennt den deutschen Zaubereiminister von Zusammenkünften auf hoher Ebene her. Ministerin Bagnold hat sich mit dem mal auf dem Brocken im Harz getroffen. Der Berg ist angeblich dafür bekannt, daß zu so'nem Fest Ende April die bösen Hexen dahinfliegen und mit dem Teufel feiern. - Eh, was gibt's da zu grinsen, Roy?" Roy Fielding hatte bei der Erwähnung von Miriams Tante ein ziemlich amüsiertes Grinsen ins Gesicht bekommen, das er nicht mehr loswerden konnte.

"Peggy! 'ne Hexe die Peggy heißt. Ihihist ja vohoholl kohohomisch", lachte er nun.

"Was bitte schön soll daran komisch sein?" Fauchte Miriam.

"So heißt doch 'n Hund. Meine Oma hat 'n Königspudel, der so heißt."

"Ha-ha-ha, Roy Fielding. Toller Gag, ehrlich!" Nasrümpfte Miriam. Dann fragte sie barsch: "Interessiert das jetzt wen, wie die das geregelt haben in Deutschland?"

"Mich interessiert das", sagte Bruster. Auch Aurora, Petula und Dina nickten bejahend. "Gib nichts um diesen Typen. Der glaubt ja auch, Liverpool wird dieses Jahr englischer Meister."

"Öi, Bruster. Das deine blaue Gurkentruppe Meister wird kannst du dir doch schon längst abschminken", empörte sich Roy, der schlagartig alles Lachen und Grinsen vergessen hatte. Miriam räusperte sich sehr laut und sagte dann:

"Also die haben in Deutschland eine alte Burg, Burg Greifennest, wo einst der Zauberer und Landesherr Balduin Graf Greifennest die Zaubererkinder der Teutonen, Sachsen und anderer Germanenvölker versammelte, um ihnen die Magie beizubringen, die ihnen angeboren war. Wann das war, weiß ich jetzt nicht genau. Steht aber wohl irgendwo in einem Buch über die Zaubererschulen Europas, wo auch Beauxbatons und Durmstrang erwähnt werden. Weil die Burg mitten im deutschsprachigen Land liegt, wurden wohl wie bei uns hier Transportsachen eingeführt. Früher waren es fliegende Kutschen. Ob die heute mit Zügen fahren weiß ich jetzt nicht genau. Jedenfalls mußten nach der Aufteilung Muggeldeutschlands unterirdische Wege angelegt werden, sogenannte Maulwurfrennstrecken. Wie die genau gehen hat die Gräfin meiner Tante nicht erzählt. Gehört wohl zu den Supersondergeheimsachen von Greifennest. Jedenfalls ging es bei der Unterhaltung darum, wie man die magische Ausbildung in Deutschland umbauen mußte, um auch die aus Ostdeutschland noch lernen zu lassen. Denn die haben ja auch Muggelstämmige. Durmstrang, wo ja viele aus Osteuropa hingehen, nimmt ja nur reinblütige Zauberer an. Jedenfalls müssen die Eltern solcher Zauberschüler immer betreut werden, weil diese Schnüfflergruppe wohl aufpasst, daß die nicht abhauen können."

"Na klar, Miriam. Wenn die Stasi oder wie die Geheimpolizei bei denen heißt alle bespitzeln läßt fällt das ja auf, wenn ein Kind mal für länger verschwunden ist und man nicht weiß, wo es ist", erkannte Roy Fielding. Aurora nickte. Dann fragte sie:

"Hmm, um die Zaubererwelt vor den Muggeln geheim zu halten müssen die Muggeleltern also noch betreut werden. Ist aber auch irgendwie doof, weil die ja dann noch heftiger eingepfercht sind."

"Ja, eben das ist ja die größte Schwierigkeit dabei, Aurora. Die Eltern der Muggelstämmigen aus Ostdeutschland dürfen sich ja nicht noch heftiger überwacht fühlen als es wohl schon der Fall ist. Vielleicht laufen unsichtbare Zauberer um die herum oder sie haben Leute in den Überwachungsabteilungen, die alles bereinigen, was auffliegen könnte. Ich weiß nur, daß die im deutschen Zaubereiministerium eine Abteilung für ostdeutsche Sonderfälle haben, die mit der Abteilung für Strafverfolgung und dem magischen Unfallumkehrkommando zusammenarbeitet. Mehr weiß ich aber nicht", sagte Miriam.

"War ja auch schon mehr als ich vorher wußte", sagte Aurora und bedankte sich bei der Klassenkameradin. Roy grinste wieder über den Namen Peggy. Miriam meinte nur:

"Erweitere mal deinen Horizont, Roy Fielding! Dann hast du hier auch keinen Ärger mehr."

"Eh, Miriam, nicht so", entrüstete sich Roy Fielding. Petula nickte Miriam zustimmend zu. Bruster grinste nun. Miriam sah ihn an und fügte hinzu:

"Könnte dir auch nicht schaden, Bruster. Am besten fangt ihr damit an, euch ein wenig mehr für Quidditch zu interessieren. Nächste Woche müssen die Hufflepuffs gegen die Slytherins ran."

"Das fiele mir noch ein, drauf zu hören, was'n Mädchen nicht älter als ich meint, was ich tun sollte", gab Bruster zurück. Roy nickte nur. Da waren die beiden sonst so leicht miteinander streitenden sich ganz toll einig, erkannte Aurora Dawn. Sie grinste nun auch.

"Glaubst du, die überdrehten Slytherins holen sich den Sieg, Miriam?" Wollte sie von ihrer rotblonden Kameradin wissen.

"Wenn Meadows sie läßt, Aurora. Ich hörte aber, daß die einen neuen Hüter haben. Ich bin gespannt", entgegnete Miriam Swann. Roy meinte nur:

"Na und? Sollen die doch auf ihren Besen rumflitzen und diesen Quaffel herumwerfen. Hauptsache der FC holt im nächsten Spiel die zwei Punkte nach Hause."

"Aber nur wenn der Osterhase schon im Februar kommt, du Pappnase", sagte Bruster Wiffle. Roy verzog nur das Gesicht, sagte aber nichts dazu.

__________

Die Woche vor der Partie Hufflepuff gegen Slytherin war angefüllt mit heftigen Hausaufgaben. Außerdem meinte Aurora, daß Professor Bitterling die Hufflepuffs in ihrer Zaubertrankklasse besonders heftig drangsalierte. Hinzu kam noch die unverhohlene Gehässigkeit der Slytherin-Schüler gegenüber denen aus Hufflepuff, egal ob es Leute aus der ersten oder siebten Klasse waren.

Als am Freitagnachmittag die letzte Unterrichtsstunde vorbei war, eilte Aurora Dawn zusammen mit Petula Woodlane und Dina Murphy in den Gemeinschaftsraum der Ravenclaws. Sie wollten möglichst aus dem Weg der rivalisierenden Schulhäuser Gryffindor und Slytherin bleiben. Denn gerade erst vor einem Tag hatte es auf einem Flur, der zum Zauberkunstraum führte, ein spontanes Duell zwischen Nero Roots von Slytherin und Sirius Black aus Gryffindor gegeben. Die beiden Siebtklässler hatten sich dabei heftig mit Flüchen eingedeckt und dabei Cynthia und Melinda aus Hufflepuff mit abgefälschten Zaubern getroffen. Cynthia hatte danach Wabbelbeine und Melinda einen Kugelbauch, der sie heftig herumschlänkern ließ. Dieses Schicksal wollten sich Aurora und Petula ersparen.

"Worauf tippst du, Aurora? Machen's die Hufflepuffs?" Fragte Petula.

"Ich fürchte, die Slytherins gewinnen. Die sind im Moment sowas von rüpelhaft drauf", erwiderte Aurora.

"Ja, aber Isadoras Leute müssen doch unbedingt gewinnen, wenn sie noch einmal um den Pokal mitspielen wollen, wie letztes Jahr", entgegnete Petula.

"Müssen schon, aber ob sie es auch könnnen", widersprach Aurora betrübt. "Roots will's wissen, ob er nach Hogwarts in der Liga mitspielen darf. Für die Hufflepuffs ist Fairness immer noch wichtiger."

"Mann, du hast recht, Aurora. Die würden sich lieber einmachen lassen als sich auf die Methoden der Slytherins einlassen", gab Petula zu und blickte dabei sehr verächtlich umher.

Eine Siebtklässlerin mit hellblonden Locken und graugrünen Augen turnte gerade durch den Einstieg zum Gemeinschaftsraum. Sie wirkte ziemlich angespannt. Hinter ihr betrat ein anderer Siebtklässler, der ebenfalls blondes Haar besaß den Ravenclaw-Gemeinschaftsraum. Er wirkte ebenfalls leicht genervt. Aurora sah, wie die beiden einen freien Tisch ganz in der Nähe ihres Tisches ansteuerten und sich hinsetzten.

"Was ist denn mit Di und ihrem Traumprinzen los?" Flüsterte Petula, als die beiden Siebtklässler sich eine Minute lang wortlos angestarrt hatten.

"Weiß ich nicht", flüsterte Aurora. Dann hörten sie, wie die Siebtklässlerin, die Dione Craft hieß, laut und ohne auf Zuhörer zu achten sagte:

"Plinius, du weißt genau, daß meine Eltern dich kennenlernen möchten. Seit wir zusammensind hast du es immer wieder geschafft, dich darum hrumzuschummeln. Jetzt kommst du mir damit, daß du Ostern mit deinen Eltern nach Amerika mußt, weil deine große Schwester heiraten will. Warum ausgerechnet zu Ostern?"

"Dione, ich habe mir das nicht ausgesucht. Mom will halt gerne dahin, weil sie immer noch eine Amerikanerin ist. Das hast du doch mitgekriegt, wie ihr, dein großer Bruder und du mich Weihnachten besucht habt."

"Ja sicher, Honey. Das war ja nicht zu überhören. Aber sie weiß doch auch, daß meine Eltern im Juli nach Kanada müssen, wegen der einen Sache, von der ich erzählt habe."

"Ach ja, und jetzt möchte deine nette Mutter haben, daß ich meinen Antrittsbesuch in den Osterferien mache, damit sie mich endlich kennenlernt. Aber Geri heiratet da, und Meine Eltern wollen mit mir eben dahin, zumal Mom froh ist, daß Geri sich den Jungen Myron Redlief ausgesucht hat. Da wir das mit den Verwandten nur um Ostern rum hinbekamen, daß alle hinkönnen, muß das eben da sein", sagte Plinius Porter entschlossen. Dione, seine Freundin, mit der er sonst immer unbeschwert herumlief, grummelte was von Ausreden und Feigheit. Plinius warf ein:

"Wenn deine Eltern meinen, mich kennenlernen zu müssen, wie auch dein großer Bruder, dann frage ich mal meine Eltern, ob die euch nicht auf die Gästeliste setzen können. Meine Eltern haben genug Geld, um noch ein paar Leute unterzubringen und ..."

"Da muß ich meine Eltern erst mal anschreiben, ob die das so haben wollen. Die wollen ja haben, daß du zu ihnen kommst und nicht umgekehrt", wandte Dione Craft ein und wirkte dabei so, als wisse sie nicht, ob ihr Freund ihr nun einen guten Vorschlag gemacht oder sie beleidigt habe. Plinius nickte nur. Dann traf sein Blick Aurora Dawn, und er lief rot an. Dione, die Aurora und Petula den Rücken zugekehrt hatte, wandte sich mit einer fließenden Bewegung um und erkannte die Zuhörerinnen. Auch sie lief rot an, lächelte dabei jedoch.

"Wir hätten ja auch im Park darüber reden können", meinte sie zu Plinius. Dann wandte sie sich wieder Aurora zu und sagte:

"Bei uns ist nichts kaputt, ihr beiden. Das gehört halt dazu, wenn man mit anderen Familien zusammenkommt."

"Ach, dann stimmt das doch, daß ihr beiden schon verlobt seid?" Fragte Petula Woodlane ungehemmt. Plinius errötete noch heftiger, mußte dann aber nicken. Dione verzog zwar das Gesicht zu einer verärgerten Grimasse, sagte dann aber:

"Mußte nicht jeder mitkriegen, Petula. Aber wir haben uns in den Weihnachtsferien einander versprochen. Leider findet der Herr aus gutem Hause keine Zeit, offiziell bei meinen Eltern vorzusprechen, um unsere Verbindung zu bestätigen."

"Ja, Dione. Ich kann nichts dafür, daß meine Eltern sind, was sie sind. Außerdem bist du doch auch kein armes Mädchen, oder?"

"Ich sagte nur, daß deine Eltern aus gutem Hause seien, Plinius. Ich sagte nicht, daß meine Eltern betteln müssen. Aber sei es drum! Wenn du meinst, daß deine Familie uns noch mit auf die Gästeliste setzen kann, möchte deine Mutter meine anschreiben. Ich denke zwar nicht, daß Daddy das so einfach hinnimmt. Aber irgendwie sollten wir das vor den UTZ-Prüfungen noch rüberbringen."

"Wie du meinst", sagte Plinius Porter und nickte seiner Freundin zu. Er stand auf und ging an einen anderen Tisch, wo er mit Jungen seiner Klasse dicke Wälzer besprach, die Aurora als Arithmantikbücher erkannte.

"Deine Mutter will es wissen, Aurora. Sie verlangt bis zum UTZ noch eine Menge Kram. Warum mußte Plinius auch dieses dröge Fach nehmen?"

"Arithmantik will ich auch nicht nehmen", sagte Aurora und verzog dabei das Gesicht, weil sie es nicht mochte, wenn man von Professor Dawn als ihrer Mutter sprach. Immerhin wollten die Lehrerin und die Schülerin nicht, daß man immer von ihrer beider Beziehung sprach.

"Was macht ihr gerade in Pflege magischer Geschöpfe?" Fragte Petula. Dione antwortete:

"Wir haben heute einen Greifen gesehen. Das sind ziemlich mächtige Tierwesen, die halb Adler halb Löwe sind. Professor Kesselbrand hat uns erzählt, daß man diesen Tieren, wenn man sie sieht, niemals den Rücken zuwenden soll, weil sie dann meinen, jemand wolle vor ihnen weglaufen. Das löst dann den Jagdinstinkt aus, und schnell wie ein Greif kann kein Mensch laufen, wenn er nicht Schuhe von Meister Muck anzieht, die einen sehr schnell flitzen lassen."

"Oh, diese Tiere kenne ich. Mein Vater hat mir mal einen gezeigt, der in der magischen Menagerie in Cornwall gehalten wird. Er muß ja dort über vogelartige Zaubertiere forschen, um gewöhnliche Vögel abrichten zu können", sagte Aurora.

"Ja, aber einige Tiere haben die da ja nicht", wandte Petula ein. "Drachen fehlen da. Und seit denen ein brünftiger Erumpentbulle durch eine drei Meter dicke Mauer gebrochen ist, und fast die nächste Muggelstadt niedergemacht hat, gibt es die auch nicht mehr", wußte Petula. Dione nickte. Das hatte ja vor drei Jahren groß im Tagespropheten gestanden, daß dieses Tier, das Muggel für ein gewöhnliches Nashorn halten mochten, ein Haus in einer kleinen Stadt bei Cornwall pulverisiert hatte, als sein mit Sprengflüssigkeit gefülltes Horn die Wand einriss und die Flüssigkeit danach herumgespritzt war, wobei alles, was sie traf, in Millionen Teile zersprengt wurde.

"Deshalb gibt es die hier in Hogwarts auch nicht, oder?" Fragte Aurora Dawn noch.

"Hagrid hat sich vor zwei Jahren noch mal drum bemüht, mindestens ein Paar im verbotenen Wald anzusiedeln. Aber Dumbledore und Kesselbrand haben das strickt abgelehnt. Hagrid hat sie auch nicht mehr alle mit seinem Tick für Monster", erwiderte Dione Craft.

"Heißt es nicht, daß der auch gerne einen Drachen haben wollte und auch damals von Hogwarts geflogen ist, weil er irgendwas angestellt hat?" Hakte Petula nach.

"Das er von Hogwarts runtergeflogen ist ist bekannt. Aber das mit den Drachen wußte ich noch nicht", sagte Dione Craft. Dann meinte sie:

"Ich muß noch was für Bitterling nachlesen, den Trank des schlummernden Todes."

"Ui, der ist fies", wußte Aurora. "Der macht doch, daß jemand, der davon trinkt, nichts davon merkt, bis etwas passiert, was die Wirkung auslöst. Was das ist, muß der Brauer vorher durch bestimmte Zutaten festlegen, ob es mit Angst, Freude, Ärger, Traurigkeit oder einer bestimmten Umgebung zu tun hat. Aber wenn er wirkt, dann wirkt er ziemlich schnell, innerhalb von einer halben Minute."

"Hups, frißt du jetzt schon Zaubertrankbücher der UTZ-Klassen? Oder hast du das nur irgendwo gelesen, wo nicht näher drauf eingegangen wurde?" Wunderte sich Dione.

"Neh, das steht in "Pernitiöse Zaubertränke". Ich habe mir das Buch in den Weihnachtsferien von wem ausleihen können", sagte Aurora. "Ist schon heftig, was da reingemischt wird: Kobragift, Drachenspeichel, Menschenblut und noch so einige Ekelsachen. Müßt ihr den echt hier nachbrauen?"

"Nur den Gegentrank, Aurora. Bitterling wollte uns zwar auch den Ausgangstrank brauen lassen, aber Dumbledore hat da eine Verordnung zitiert, demnach Tränke der Wirkungsstufe 8 nicht gebraut werden dürfen."

"Häh?" Machte Petula. Aurora sah Dione an, dann ihre Klassenkameradin.

"Die Wirkungsstufen der Zaubertränke nach internationaler Vereinbarung legen fest, wie heftig ein Trank wirkt und welchen bleibenden Schaden er anrichten kann. Die Wirkungsstufe 1 ist die, wo Tränke kurz wirken und dann nachlassen. Bei Stufe 2 hält die Wirkung etwas länger vor. Bei Stufe 4, wie den Schwellzaubern muß bereits ein Gegentrank verabreicht werden. Bei Stufe 6 tritt eine heftige Körperveränderung ein, die eine übliche Verabreichung nicht mehr möglich macht. Stufe 7 kann zu bleibenden Schäden führen, wie die Wutwandlung, wo jemand sich bei einem Wutanfall in ein behaartes Ungetüm verwandelt und herumtobt, bis der Grund für den Wutanfall beseitigt ist. Stufe 8 sind alle tödlichen Tränke, die nicht durch einfache Antidote abgewehrt werden können."

"Warum hat die Bitterling uns das nicht im Unterricht erzählt?" Fragte Petula.

"Weil sie das üblicherweise in den ZAG-Klassen abfragt", wußte Dione Craft. Das genügte Petula, um ihre Freundin entweder für eine hoffnungslose Streberin bei Zaubertränken zu halten oder sie dafür zu bewundern, daß sie sich sowas gut merken konnte.

Dione fragte Aurora noch, was das tückischte neben der schlummernden Todesgefahr sei, die der Trank böte. Aurora lächelte siegessicher und sagte:

"Der Trank kann ein ganzes Leben vorhalten, egal, wann du ihn getrunken hast. Ein Fall beschreibt eine Hexengilde aus Arabien, die bei Eintritt in die Gilde diesen Trank ausschenkt, der dann wirken soll, wenn ein Mitglied was von der Gilde verbotenes tut. Das ist aber seit der Erfindung des Gegentrankes hinfällig geworden, zumal Heiler jemanden in einen scheintodartigen Schlaf versetzen können, bis sie den Gegentrank haben."

"Ja, aber so gesehen darfst du ja von niemandem was zu Trinken annehmen, weil da ja dieser Trank drin sein kann", wandte Petula ein. Aurora nickte beklommen dreinschauend.

"Ja, aber mittlerweile kann man ihn aufspüren mit dem Trankwehrzauber. Den haben wir im letzten Jahr bei Bitterling gelernt. Bot sich ja an, wo sie Verteidigung gegen die dunklen Künste und Zaubertränke gibt", sagte Dione noch. Doch dann schaffte sie es, sich von der Unterhaltung loszueisen und den Weg zur Bibliothek anzutreten.

"Was will die eigentlich werden?" Fragte Petula. Aurora überlegte. Natürlich kannten in Ravenclaw alle Schüler die Fächer, die jemand belegte. Dann meinte sie:

"Entweder geht die in die Heilzauberkunde oder die Erforschung von hochpotenten Zaubertränken. Könnte auch sein, daß sie in der Kosmetik landet. Ich habe ja von Professor Dawn eine Broschüre über Arbeitsplätze für Hexen bekommen."

"Klar, zur Heilkunde gehört ja Zaubertränke, Kräuterkunde und Pflege magischer Geschöpfe", sagte Petula. Dann nahm sie ihr Zauberkunstbuch heraus und schlug das Kapitel über Wasserbeeinflussungszauber auf.

Als sie am Abend in der großen Halle aßen, merkten die Ravenclaws, daß um sie herum eine gewisse Spannung herrschte. Die Gryffindors sahen immer wieder zum Slytherin-Tisch herüber, von wo aus einige Blicke den Hufflepuff-Tisch bestrichen und von dort beantwortet bekamen. Offenbar hatten die Gryffindors sich auf die Seite der Hufflepuffs geschlagen und unterstützten diese für das Quidditchspiel am nächsten Tag.

__________

Das Spiel der Slytherins war schnell und Brutal. Aurora Dawn wollte nach zwei Minuten schon nicht mehr hinsehen, als die Truppe um Nero Roots die Spieler in kanariengelber Kleidung regelrecht einstampfte. Nicht nur, daß die stämmigen Slytherin-Jäger jede Minute zwei Tore schossen, sondern auch daß sie die gegnerischen Jäger gnadenlos mit Klatschern und Schlägern bedachten. Zwar gab es immer wieder Freiwürfe für Hufflepuff. Doch die Slytherins sangen jedesmal ein Spottlied auf den Jäger, der gerade werfen sollte und amüsierten sich teuflisch, wenn der Freiwurf danebenging oder gehalten wurde.

"Es droht eine turmhohe Niederlage für die wackeren Spieler von Hufflepuff", malte der Stadionsprecher Lograft das ganze Elend auch noch aus. "Wir haben jetzt zehn Minuten um, und Slytherin führt mit zweihundertfünfzig zu dreißig Punkten. Das kann noch .... Halt! Ja! Hufflepuffs Sucher Finnigan hat den Schnatz gefangen. Da hat jetzt aber keiner mehr mit gerechnet!" Rief er noch, während die Slytherins laut buhten, die Gryffindors jubelten und die Hufflepuffs erleichtert applaudierten. Aurora sah hin und erkannte, wie der kleine goldene Ball in der rechten Faust des quirligen Suchers Finnigan glänzte. Hufflepuff hatte sich eine allzu heftige Niederlage erspart, weil sie mit 180 zu 250 Punkten noch einige Chancen hatten, um den Pokal mitspielen zu können. Das hing aber auch davon ab, wie die Slytherins in einigen Wochen gegen Ravenclaw spielten.

James Potter und seine Freunde schickten mit ihren Zauberstäben Glückwunschbotschaften in die Luft, während Isadora Meadows ihrem Sucher gratulierte, um gleich darauf von Nero Roots angegangen zu werden. An und für sich sollte dieser seiner Gegenspielerin gratulieren. Doch er schüttelte sie wütend am Umhangkragen durch und spuckte vor ihr aus. Dann rannte er wild gestikulierend davon.

"Fünfzig Punkte Abzug für Slytherin wegen grob unsportlichen Verhaltens des Kapitäns Roots!" Rief Professor McGonagall, die in der Nähe Lografts gestanden hatte, durch das magische Megafon. Offenbar war den Slytherins das gleich. Denn sie klatschten bBeifall, als Nero Roots Isadora derartig behandelte und davonrannte.

"Dem fehlt es an Selbstbeherrschung", bemerkte Marion Witt, die neben Aurora saß.

"Der hat gedacht, die Hufflepuffs mit über dreihundert Punkten Vorsprung versenken zu können", wandte Aurora Dawn ein. "Der hat nicht auf Finnigan geachtet. Die Klopperei zwischen Jägern und Treibern war dem offenbar wichtiger. Hinzu kommt ja noch, daß die kein Tor mehr schießen konnten, um den Punktevorsprung auszubauen. Denn mit dem Schnatzfang ist das Spiel ja aus."

"Du meinst, die Slytherins hätten den schon längst fangen können? Stimmt, der Sucher von denen ist ja mal gemütlich dran vorbeigeflogen und hat lediglich Finnigan daran gehindert, den zu kriegen. Finnigan kam ja nur dran, weil sich der Idiot gerade mit zwei Jägern von den Hufflepuffs angelegt hat. Wie kann man nur so blöd sein?"

"Ich habe mir das gar nicht mehr angesehen, Marion. Die Slytherins lernen nie Fairness", sagte Aurora Dawn.

"Ja, nur wir müssen in der Runde deren Gegner sein. Egal, wie wir gegen Gryffindor spielen kriegen die eine Stinkwut auf uns. Entweder gewinnen die Gryffindors viele wichtige Punkte dazu oder wir bauen einen pokalverdächtigen Punktestand auf. So oder so müssen die Slytherins auf Gedeih und Verderb an uns vorbei", bedachte Marion Witt die Lage der Ravenclaw-Mannschaft. Aurora wurde blaß. Worauf hatte sie sich da bloß eingelassen, in die Stammauswahl ihrer Hausmannschaft reinzuwollen?

"Wir sehen zu, daß wir den Schnatz schnell kriegen, wenn wir gegen Neros Barbaren ranmüssen", sagte Marion, die wohl die Befürchtungen Auroras an deren Gesicht ablesen konnte. "Alles andere macht uns nur reif für den Krankenflügel."

"Wohl wahr", erkannte Aurora Dawn.

__________

Die Wochen bis zum Spiel der Ravenclaws gegen die Slytherins krochen für Aurora dahin wie zähflüssiger Brei durch den schmalen Auslass eines Trichters. Sie wußte nicht genau, was sie zwischen Schule und Training überhaupt noch erlebte. Denn die Lehrer hielten die Zweitklässler gut auf Trab. Das einzige, was Aurora richtig in Erinnerung behielt war das ständige Aneinanderrasseln zwischen Bruster Wiffle und Samiel Sharkey. Tonya Rattler schien sich um den sonst hinter ihr herlaufenden hageren Klassenkameraden nicht zu kümmern. Offenbar versuchte sie, Severus Snape wieder gut zu stimmen. Doch dieser hatte wohl von ihr die krumme Nase gestrichen voll. Immerhin ließ sie Aurora Dawn in Ruhe. Dafür jedoch stichelten die anderen Slytherins. Sie fragten Aurora: "Na, schon das Bett im Krankenflügel vorbestellt, Dawn?" Oder sie meinten mit geheuchelter Anteilnahme: "Am besten fliegst du möglichst aus der Reichweite unserer Treiber. Die werden nichts drum geben, ob du mal vom Besen geflogen bist." Die Zweitklässlerin aus Ravenclaw war immer wieder drauf und dran, sich heftig aufzuregen. Doch gerade so schaffte sie es noch, sich zusammenzunehmen und entweder gar nicht hinzuhören oder Antworten wie "Ihr seid doch von den Hufflepuffs noch viel zu müde!" und "Eure Treiber sollen besser aufpassen, sich gegenseitig nicht vom Besen zu hauen" zu geben.

Am Tag vor dem entscheidenden Spiel bekam Aurora Dawn mit, wie sich Tonya Rattler und ihre Kameradin Loren Tormentus in der Bibliothek unterhielten. Da sie selbst gerade hinter einem Regal mit Kräuterkundebüchern hockte, konnten die beiden Slytherins sie nicht sehen. Tonya tönte:

"Also wenn sie die Dawn spielen lassen gibt's beim Spiel einen Totalschaden. Ich denke mal, der Lulatsch von denen hält die schön raus, bevor Dawns Mummy sauer auf den wird."

"Na und? Dann soll die doch vom Besen fliegen!" Erwiderte Loren. "Die meint doch, super fliegen zu können. Die kann gegen Trench und Pokes sowieso nix anstellen."

"Hauptsache, wir kriegen beim Spiel mehr als 200 Punkte. Misthufflepuffs! Wenn wir den Pott haben wollen, hätten wir mehr Tore machen müssen", ärgerte sich Tonya. Loren kicherte nur und meinte:

"Na klar, weil Severus so'n Krach mit Potter hat und das zu gerne hätte, wenn der den Pokal nicht noch einmal zieht. Nicht wahr, Tonya?"

"Weiß ich, was Severus wirklich will? Der ist doch so auf seine Zaubertränke und Flüche festgenagelt", grummelte Tonya. "Soll er mir endlich sagen, ob er was mit mir zu schaffen haben will!"

"Ach, Tonya, merkst du das denn nicht? Severus ist nix für 'ne Beziehung. Und wenn der mit einer zusammen sein will, dann will der was in seiner Größe haben. Also vergiss den doch!"

"Blöde Gans!" Fluchte Tonya und lief mit stampfenden Schritten aus der Bibliothek. Loren kicherte noch, bevor sie ihr folgte.

"Na, das wollen wir doch mal sehen, ob wir euch nicht doch ein wenig ärgern können", dachte Aurora und stellte ein Buch über Kreischbohnen zurück ins Regal.

Am Abend spürte jeder Ravenclaw diese innere Spannung. Morgen schon würde es sich entscheiden, ob man im Rennen um den begehrten Quidditchpokal bleiben würde. Ein Sieg über Slytherin wäre da die halbe Miete. Doch wie Marion es Aurora gesagt hatte würden die Slytherins keine Gnade kennen, weil Ravenclaw entweder gegen sie um den Pokal kämpfen würde oder den Gryffindors zu viele Punkte überlassen hätte, damit die den Pokal kriegen konnten.

"Wie spielt ihr morgen, Aurora? Wollt ihr auf den schnellen Schnatzfang hinspielen oder möglichst viele Tore machen?" Wollte Petula Woodlane wissen. Aurora Dawn erwiderte nur:

"Eins von beiden, Petula. Was genau kriegen wir erst klar, wenn die Partie läuft. Ich weiß ja nicht, wie ausgeruht Roots Leute sind. Nachher lassen die uns einfach Tore schießen, bis sie den Schnatz kriegen können. In "Rekordspiele von 1500 bis Heute" steht drin, daß bei einem Spiel zwischen den Wimbourn Wasps und den Chutley Canons ein Spiel nach zwei Monaten erst vorbei war, weil die Wasps den Schnatzfang hinauszögern konnten, um so fehlende Punkte in der damaligen Direktvergleichswertung zu kriegen. Nicht, daß wir hier auch so was kriegen."

"Wann war denn das?" Fragte Petula.

"1783", gab Aurora das Jahr an, in dem dieses Spiel gelaufen sein sollte. Roy, der rechts neben Aurora Dawn saß meinte dazu nur:

"Das kann beim Fußball nicht passieren. Ein Spiel dauert da zwei mal fünfundvierzig Minuten, und vielleicht ein wenig Verlängerung bis zum Elfmeterschießen. Dann ist aber nach spätestens zweieinhalb Stunden der Käse gegessen."

"Deshalb bringt es Fußball ja auch nicht, Roy", ging Petula auf diese Herausforderung Roys ein. "Die können da langweilig spielen und Zeit schinden, weil ja nach der Zeit sowieso Schluß ist. Aber du kriegst das noch mit, was anständiger Sport ist."

"Das hat er schon, Petula", meinte Bruster, sich einmischen zu müssen. "Er hält nur zur verkehrten Mannschaft. Aber das hängt an seinem Heimatdorf."

"Ich stopf dir gleich dein Heimatdorf so heftig ins Maul zurück, daß es dir aus dem Hintern wieder rausflutscht, du blaue Pappnase!" Schnaubte Roy Fielding. Mortimer Swift räusperte sich nur und meinte:

"Ey, wegen so'nem Luschensport haut ihr euch bestimmt nicht die Birnen ein, klar?"

"Ja, Daddy", sagten Roy und Bruster wie aus einem Mund. Mortimer funkelte beide verärgert an. Aurora und Petula lachten nur.

"Leute, das bringt's doch nicht", warf Nathan Mentry, einer der Vertrauensschüler ein. "Ihr werdet euch nicht weiter um diesen in Ermangelung eines treffenderen Begriffes als Sport bezeichneten Muggelkram zanken! Sonst verspielt ihr wichtige Punkte für Ravenclaw."

"Der kann doch nicht einfach Liverpool ein Dorf nennen. Da gibt's ja doch wesentlich mehr als in so'nem Kuhkaff wie Manchester", protestierte Roy. Bruster wollte ihn dafür am Ohr ziehen. Doch Mortimer blockte den Arm seines Cousins ab und meinte:

"Du verhunzt uns nicht die guten Punkte, werter Vetter. Also friedlich jetzt. Ich dachte, ihr könntet mal für'n paar Minuten ohne diesen Quatsch aushalten."

"Ich fordere dich zum Duell", bemerkte Roy zu Bruster. Dieser nickte nur.

"Das sind fünf Punkte Abzug für Ravenclaw. Wenn ich euch beim Duellieren erwische sind das fünfzig", stellte Nathan fest. Amalia Hopfkirch nickte beipflichtend.

"Ihr lasst euch schön in Ruhe", meinte Petula noch. "Wegen Fußball so'n Schwachsinn zu machen ist doch total blöd."

"Du hast doch keinen Dunst, Petty", zähneknirschte Roy. "Aber wie ihr meint, dann boxen wir halt nur."

"Auch das verbiete ich euch", sagte Nathan. Bruster meinte nur:

"Du kannst Punkte klauen. Aber verbieten kannst du uns doch nichts."

"Noch mal fünf Punkte Abzug", stellte Nathan eiskalt klar. Offenbar reichte es den beiden ständigen Streithähnen Roy und Bruster für's erste. Denn sie gaben Ruhe.

In der Nacht träumte Aurora von ihrem Unfall kurz nach Schuljahresbeginn. Sie spürte, wie sie mit dem zerbrochenen Besen abstürzte und sah den schlammigen Boden des Quidditchfeldes auf sich zurasen. Mit einem kurzen Schreckenslaut erwachte sie aus dem Traum. Keuchend lag sie unter ihrer Bettdecke und versuchte, die Erinnerung an diesen Tag wieder zu verdrängen. Sie mußte heute gegen die Slytherins spielen. Da durfte sie nicht an diesen Unfall denken. So verging eine halbe Stunde, bis sie wieder einschlief.

Als dann um sieben Uhr Petula Woodlanes Katze Schneeflöckchen putzmunter auf Auroras Bett hüpfte wurde sie schlagartig hellwach. Sie erkannte, daß sie beinahe verschlafen hätte und beeilte sich, zusammen mit Dina Murphy in den Waschraum der Mädchen zu gehen. Sie hatten nur noch drei Stunden, um in Ruhe zu frühstücken und sich für den großen Einsatz klarzumachen. Dina fragte Aurora, als sie sich tagesfertig angezogen hatten:

"Sag mal, wie bringe ich das Roy bei, nicht immer so doof über Quidditch herzuziehen, Aurora? Ich finde das doch bescheuert, sich an diesem Einballsport dranzuhängen. Der ist doch nicht mehr bei den Muggeln."

"In den Ferien schon. Außerdem kriegen Bruster und er ja den Muggelsportkurier. Da kriegen die natürlich mit, was beim Fußball so passiert.

"Hmm, könnte man denen nicht sagen, daß sie den nicht mehr lesen sollen? Ich meine, die zanken sich dauernd drum. Das wäre doch dann vorbei", wandte Dina ein.

"Das wäre dann genauso, als wenn jemand uns sagt, wir dürften keine Zaubertrankbücher mehr lesen oder Musik hören, weil wir uns darüber aufregen, wenn jemand dies oder jenes schreibt oder spielt", erwiderte Aurora. Dina nickte betroffen. Natürlich konnte man den Jungen den Muggelsportkurier nicht verbieten, solange die in der Schule nicht schlechte Noten deswegen kriegten. Doch im Moment galt ja auch, daß Ravenclaw gegen Slytherin spielte.

Nach dem Frühstück versammelte Kelvin Hightowers seine Mannschaft im Umkleideraum des Stadions, als sie in den blauen Spielerumhängen steckten.

"Leute, heute gilt es, uns weiterhin für den Pokal zu empfehlen!" Sagte er sehr entschieden dreinschauend. "Die Slytherins haben immer noch die Supermannschaft vom letzten Jahr. Doch zwei von denen wollen den Pokal noch einmal in den Händen halten, weil dieses Jahr ihr letztes ist: Roots selbst und McDowell, der ein Rempelspieler ohne Gnade ist. Gerade McDowell ist schnell und raffiniert. Auf den müssen wir besonders aufpassen. Allesandro", sagte er und blickte Alessandro Boulder ann, "du siehst zu, daß du McDowells Vorstöße abblockst!" Alessandro nickte heftig. "Aurora und Norman, ihr sichert hinten ab. Ich kann zwar gut die Ringe bewachen, aber wir sollten jemanden vor dem Torraum lassen. Wir spielen auf Sicherheit, keine Rempeleien! Also los jetzt!"

Die Spieler gingen ruhig auf den Platz. Die Slytherins hatten bereits ihre grünen Flaggen und Banner entrollt. Auf einem langen grünen Tuch ringelte sich die silberne Slytherin-Schlange über dem Schriftzug: "Rupft die Ravenclaws ratzekahl!" Dann erkannte Aurora noch Tonya Rattler, die neben Samiel Sharkey saß und eine Fahne schwenkte, auf der die Schlange einen großen Vogel vom oberen Rand herunterpflückte, immer und immer wieder. Der Vogel sollte wohl der Ravenclaw-Adler sein.

"Slytherin, Slytherin. Der Pokal kommt zu uns hin!" Riefen die grüne Schals und Fahnen schwenkenden Zuschauer. Die Gryffindors winkten mit blauen Ravenclaw-Fahnen, auf denen zusätzlich der scharlachrote Schriftzug leuchtete: "Fackelt nicht zu lange! Plättet die Schlange!" Auch die Hufflepuffs schwenkten blaue Flaggen. Offenbar hatten sich die beiden anderen Häuser eindeutig entschieden, für Ravenclaw zu sein. Aurora wußte auch warum. Denn die Slytherins hatten in den letzten Wochen immer wieder über die Angehörigen von Familien abgelästert, die Opfer von Lord Voldemort geworden waren. Das sie sich damit den Unmut der Betroffenen zugezogen hatten war den Spöttern wohl vollkommen egal. <

"Da sind auch schon die Ravenclaws in ihren bekannten blauen Umhängen", bedachte Lograft, der Stadionsprecher den Einmarsch der Ravenclaws. Die in Grün spielenden Slytherins waren bereits auf dem Feld und grinsten absolut überheblich. Die beiden Treiber Loki Trench und Typhon Pokes winkten herausfordernd mit ihren Schlägern. Als alle sahen, wen Hightowers aufbieten würde, klangen Aufmunterungen und Spottrufe über alle Spieler aus den Zuschauerrängen. Aurora wagte nicht, hinzusehen oder hinzuhören, was von den über fünfhundert Mädchen und Jungen gerufen oder gesungen wurde. Sie nahm Aufstellung neben Marion Witt.

"Hightowers hat an seiner Erfolgsmannschaft nichts verändert. Doch werden die hervorragenden Techniker dem druckvollen Spiel der Slytherins standhalten?"

"Nie im Leben! Nie im Leben!" Sangen die Slytherins gehässig.

"Kapitäne, begrüßt euch!" Befahl Madame Hooch, die kleine, grauhaarige Fluglehrerin mit energischer Stimme. Nero Roots und Kelvin Hightowers gingen mit festen Schritten aufeinander zu und gaben sich die Hände. Offenbar wollten sie prüfen, wer dem Händedruck des Anderen am wenigsten standhalten konnte. Kelvin gewann offenbar. Denn Nero Roots verzog vor Wut und Schmerz das gesicht.

"Besteigt die Besen!" Kam Madame Hoochs Befehl für die Mannschaften. Schnell saßen die vierzehn Spielerinnen und Spieler auf.

"Eins! Zwei! Drei!" Rief die Lehrerin und ließ dabei die vier Spielbälle auf, zuerst den goldenen Schnatz, dann die Klatscher und zum Schluß den roten Quaffel.

Aurora hhielt sich strickt an Kelvins Anweisungen, nicht zu rasch nach vorne zu fliegen. Daran tat sie gut, denn gleich in der ersten Sekunde ballerten Trench und Pokes beide Klatscher mit Wucht in Norman Waynes Richtung. Dieser mußte ausweichen und konnte nicht an den Quaffel, der fast zeitgleich mit den beiden Klatschern im Torraum der Ravenclaws ankam.

"Tor! Zehn Punkte für Slytherin in den ersten zehn Sekunden!" Rief Lograft aus, während die Slytherins auf der Tribüne johlten und klatschten.

"Kann passieren!" Sagte Kelvin nur, bevor er den roten Ball mit Schwung ins Feld zurückschmetterte. Punktgenau landete der rote Ball bei Norman, der sofort losraste, abgesichert von Alessandro Boulder, der gerade nichts zu tun hatte. Tatsächlich war McDowell ein sehr schneller und rüpelhafter Jäger. Der nahm Wayne den Quaffel durch ein Rundschlagmanöver ab und ging damit zum Angriff auf Hightowers Torraum über. Aurora Dawn wartete, bis McDowell warf. Dann stieß sie blitzartig vor und hieb mit der rechten Hand den Quaffel auf ihren Besenstiel. Sie flog ohne weitere Anweisung los, schlängelte sich um die beiden anderen Jäger der Slytherins herum und raste auf das Tor zu. Nero Roots versuchte, sie aufzuhalten. Doch da flog ihm einer der Klatscher ziemlich gefährlich am linken Ohr vorbei. Ken Dasher hatte ihn fast voll erwischt. Aurora ließ sich keine Sekunde zu viel Zeit. Sie setzte an, wedelte einmal hin und her und warf dann aus einer Schwenkbewegung heraus den Quaffel ab. Sie wollte nicht hinsehen, ob der Ball im Tor ankam, weil ihr schon zwei der drei Jäger im Nacken saßen.

"Gleich machst du 'nen Abflug, Dawn!" Flötete McDowell, als ihn ein Klatscher voll im Magen traf und ihn für seinen Spott bestrafte.

"Auszeit!" Rief Roots. Madame Hooch gewährte die Auszeit.

"Mist, Romulus!" Rief Nero Roots sichtlich erschrocken.

Madame Pomfrey kam aufs Spielfeld und untersuchte den heruntergeschossenen Spieler. Sie befand, daß er in einer Minute wieder spielen könne und behandelte ihn mit Zauberstab und einem Elixier. Als Romulus McDowell wieder fit war ging es sofort weiter. Doch der Wurf von Aurora hatte noch gezählt. Also stand es jetzt zehn zu zehn Punkten.

"Wieder geht es gegen das Tor von Ravenclaw, und diesmal sieht es nicht gut für die junge Jägerin Aurora Dawn aus. Ui!" Kommentierte Lograft das Spielgeschehen. "Zwei Klatscher gleichzeitig sind unmöglich zu parieren. Doch da! Boulder kann Dawn gerade so aus der brenzligen Lage retten. Trench muß aufpassen, weil einer der beiden Klatscher ... Trench schlägt zurück auf Wayne. Der muß sich wegrollen. Verliert dabei den Quaffel an McDowell. Der ist jetzt vor dem Tor, wirft ab und ... Dawn kriegt die rote Kugel!! Sensationell schnell reagiert. Aurora Dawn jetzt wieder unterwegs ... Oiiiii!"

Proctor, der Kamerad von Romulus McDowell rempelte Aurora heftig an und brachte sie damit aus dem Gleichgewicht. Sie fühlte, wie sie stürzte. Lähmende Angst packte sie von einer Sekunde zur Anderen. Sie sah den Boden auf sich zurasen, fühlte den starken Fallwind an ihr hochfahren. Knapp vor dem Boden bekam sie den Besen wieder in die Gewalt, sauste knapp einen Meter über dem Grund bis kurz vor die Torstangen der Slytherins und stieg dann mit schlingernden Bewegungen wieder auf. Sie tauchte hinter dem Hüter auf, gerade als Wayne den Quaffel zugespielt bekam und zum Tor werfen wollte. Er sah Aurora, zielte kurz und warf auf sie ab. Sie raste am Hüter vorbei, nahm den Quaffel an und warf ihn einfach hinter sich durch den rechten Ring.

"Buuuuuuuh!" Riefen die Slytherins zwar. Doch das schadenfrohe Lachen und laute Händeklatschen übertönte das mühelos.

"Du Mistkröte!" Fauchte Nero Roots, der sich wütend zu Aurora Dawn hingeschwungen hatte.

"Ja, wo kommt denn der jetzt her?!" Rief Lograft überrascht. Dann jubelten alle, die nicht in Slytherin wohnten.

"Meridies kriegt den Schnatz in der zweiten Spielminute!! Ja wann gab es das in Hogwarts?!"

"Verfluchte Scheiße!!!!!!" Rief Roots, der jetzt erst erkannte, wie Karin Meridies wackelig auf einem dem Auseinanderbrechen nahen Besen landete, den Schnatz in der rechten Hand. Sie mußte wohl von einem Klatscher getroffen worden sein oder mit einem der Jäger zusammengerasselt sein. Doch sie hatte den Schnatz. Ihr linker Arm hing schlaff herunter. Irgendwo unter ihrem Umhang war sie verletzt. Denn rotbraune Flecken erblühten bedrohlich rasch auf dem blauen Stoff.

"Das kriegt ihr alles wieder!" Brüllte Roots, dem nun klar war, daß mit gerade zehn Punkten kein Pokal mehr zu kriegen war. Ravenclaw hatte durch einen mordsmäßig glücklichen Zufall einhundertachtzig Punkte aus diesem Höllenspiel herausgeholt und stand damit ziemlich gut im Pokalrennen.

"Wer Spott säht, erntet den Schaden selbst!" Rief jemand aus dem Publikum. Aurora sah sich um und entdeckte einen ziemlich amüsiert grinsenden James Potter neben seinem lauthals lachenden Freund Sirius Black.

"Verräterschwein!" Brüllte Nero Roots den Jungen mit dem langen schwarzen Haar entgegen. James Potter lachte darüber nur.

"In den Dreck mit euch Slytherin-Gezücht."

"Es wurd' der großen Schlange,
sehr heftig Angst und Bange.
Denn der Adler, denn der Adler
der fackelte nicht lange!" Sangen die Gryffindors nun. Wer dieses Lied gedichtet hatte konnte sich Aurora Dawn denken. Der Schulsprecher und große Held der Gryfindor-Quidditchmannschaft sang am lautesten.

"Komm schnell vom Feld!" Rief Kelvin Aurora zu. Diese eilte vom Feld, gerade noch rechtzeitig, bevor eine übergroße Faulschleimschote aus den Reihen der Slytherins aufs Feld geflogen kam und mit lautem Knall zerplatzte und ihren giftgrünen, ekelhaft stinkenden Inhalt übers Feld verspritzte.

"Hui, habe ich es doch gewußt", stellte Kelvin fest, als er mit seinen Mannschaftskameraden im Geschwindschritt den Umkleiden zueilte. "Die haben jetzt alle Wut der Welt auf uns. Aber das bringt denen auch nicht mehr Punkte. Gut mitgespielt, Aurora. Danke für deinen Supereinsatz, Alessandro! Aber Karin, wie du den Schnatz gefangen hast, alle Achtung."

Karin stöhnte vor Schmerzen. Madame Pomfrey fegte keuchend über das Feld auf die Mannschaft aus Ravenclaw zu.

"Ich verstehe zwar, daß ihr nicht gerade auf dem Präsentierteller stehen wolltet, Kelvin. Aber die junge Dame hier benötigt meine Hilfe", stellte sie klar und hielt Karin zurück.

In Windeseile kleideten sich die Ravenclaw-Spieler um und liefen dann zum Schloß zurück. Dort warteten jedoch alle Zuschauer, die nicht in Slytherin wohnten und gratulierten zu diesem grandios schnellen Spielgewinn.

"Also, Neros Rüpelbande ist jetzt nicht mehr im Geschäft. Die Kiste wird zwischen euch und uns aufgemacht", grüßte James Potter Kelvin Hightowers. Rosina Oaktree lächelte nur.

"Ich freu mich schon, euch zweihundert zu null zu versenken!" Rief Kelvin und deutete auf Karin.

"Gut gespielt, Aurora", sagte Cynthia Flowers zu ihrer Zaubertrankklassenkameradin. "Aber den Pokal gebt ihr uns doch jetzt oder?"

"Tja, wenn ihr die Gryffindors so niederbügelt wie wir die Slytherins", erwiderte Aurora Dawn. Keine Spur von Angst vor dem Absturz war in ihrem Bewußtsein verblieben. Sie freute sich. Sie hatte ein wichtiges Spiel gemacht, ja sogar ein Tor geschossen und ein anderes verhindert. Was wollte sie jetzt mehr?

"Ihr habt kein Recht auf den Pokal, Potter!" Zischte eine hasserfüllte Stimme. Es war Severus Snape, der neben seinem Kumpan Rossier stand.

"Ja, ihr aber schon gar nicht, Schniefelus!" Lachte James Potter. Seine beiden Freunde, Remus Lupin und Sirius Black, die in seiner Nähe standen, lachten lauthals über diese Antwort.

"Kommt, Leute!" Sagte Kelvin Hightowers und winkte seinen Mannschaftsmitgliedern. Aurora drehte sich um. Irgendwie meinte sie, jemand würde sie bedrohen. Sie sah die Slytherins, die am Spielfeldrand standen, sah auch alle Hauslehrer von Hogwarts und Madame Hooch miteinander sprechen. Dann konnte sie Tonya Rattler erkennen, die ihren Zauberstab hervorholte. Doch bevor diese irgendwas aufrufen konnte, fegte ein scharlachroter Blitz ihn aus ihrer Hand. Aurora konnte Lily Evans sehen, die mit zornesrotem Gesicht auf Tonya zuging, ihren Zauberstab fest in der Hand haltend.

"Verdammt, was sollte das jetzt?" Fragte sich Aurora, bevor sie von ihren Mitspielern weitergeschoben wurde. Wollte Tonya Rattler sie oder Karin wirklich verfluchen? Das konnte doch nicht angehen.

"Leute, wie die Dinge stehen hat Slytherin wegen des Foulspiels gegen dich, Aurora und wegen der Sache mit der Faulschleimschote fünfzig Punkte verheizt. Wenn das mit Tonya wirklich noch ein versuchter Angriff war, kommen da vielleicht noch einmal fünfzig Punkte Abzug bei rum", sagte Kelvin mit ernster Betonung, als sie im Gemeinschaftsraum der Ravenclaws waren.

"Ich sag's ja immer, daß euer doofes Quidditch kein gescheiter Sport ist!" Tönte Roy Fielding. "Aber immerhin haben die Krawallmacher in Grün heute echt die Superpackung kassiert. Im Fußball wäre das ein fünfzehn zu null wert."

"Das Spiel heißt aber Quidditch, du Banause", versetzte Miriam Swann. "Außerdem ist das gerade das spannende, daß ein Spiel nur Minuten oder schon Monate dauern kann."

"Vielleicht wollen die schlüpferigen Slytherins ja ein Rückspiel haben", warf Bruster Wiffle gehässig ein. Natürlich gab es im Schulturnier keine Rückspiele. Jeder hier wußte das.

"Kriegen die, nächstes Jahr", grinste Kelvin sehr amüsiert.

"Jetzt könnt ihr für uns aber den Pokal holen, Kelvin!" Rief Plinius Porter, der bei seiner Freundin Dione stand.

"Wir arbeiten dran", versicherte Kelvin seinem Klassenkameraden.

"Wie bescheuert muß Delila Rattler sein, diese Faulschleimschote zu schmeißen?" Fragte eine Viertklässlerin der Ravenclaws. "Das gibt noch Ärger mit Königin Bitterling. Das könnt ihr aber alle glauben."

"Geht mir total quer am Allerwertesten vorbei", bedachte Kelvin diese Bemerkung. "Wir haben einhundertachtzig Punkte gekriegt. Das zählt."

"Da ist aber heute eine Spontanfete fällig", warf Ken Dashehr, einer der beiden Treiber ein.

"Yep, Ken. Wer holt was?" Entgegnete Alessandro Boulder.

"Ich", bot Nathan Mentry an. Zwar war es nicht gestattet, außerhalb der offiziellen Essenszeiten Sachen aus der Küche zu holen. Doch die dort schaffenden Hauselfen scherten sich nicht darum, wußte Aurora Dawn von Mortimer, der zusammen mit Dorian Dirkson den Weg zur Küche ausgekundschaftet und zwei Stücke Schokoladenkuchen herausgeschmuggelt hatte.

So fand bald eine gemütliche Party mit Musik und Knabbereien statt. Wer tanzen wollte tummelte sich auf einer dafür freigeräumten Fläche in der Mitte des Gemeinschaftsraumes.

Abends kam Professor Flitwick noch einmal nach Ravenclaw und mahnte alle, sich um spätestens elf Uhr zu Bett zu begeben. Obwohl er sehr klein geraten warr strahlte er eine sehr große Entschlossenheit und Willensstärke aus, der sich niemand von den Schülern zu widersetzen wagte. Tatsächlich schafften es die Bewohner von Ravenclaw, kurz nach elf Uhr alle Feiern einzustellen und sich in die Schlafsäle zu begeben. Petula, Miriam und Dina bildeten um Aurora eine Ehrenformation, in der sie die Treppenflucht zum Mädchentrakt erklommen.

"Schön hast du die ausgetrickst, Aurora. Dieser Nero Roots wußte ja gar nicht mehr, wohin mit seiner Wut", sagte Petula Woodlane.

"Hoffentlich weiß er es morgen auch noch nicht", gab Aurora leicht verunsichert zurück.

"Der wird sich den UTZ nicht noch versauen, Aurora. Professor Dumbledore hat sofort nach dem Spiel gesagt, daß er keine Racheakte von den Slytherins haben will. Wer bei sowas erwischt wird, brockt denen einhundert Punkte Abzug ein und fliegt von der Schule. Das hat der wirklich so gesagt", rückte Petula noch mit einer frohen Kunde heraus.

"Oh, dann muß er sich aber schon heftige Sorgen machen", warf Miriam ein. Aurora nickte nur. Wenn Dumbledore, der sonst immer sehr gelassen auf die in der Schule aufkommenden Rangeleien und Fluchattacken reagierte derartig heftig drohte, dann mußte er einen handfesten Grund dafür haben.

"Ja, aber Hogwarts ist groß, und nicht in jedem Korridor kann wer stehen, der aufpaßt", unkte Dina Murphy.

"Hmm, ich denke, Dumbledore weiß, was er machen kann. Oder denkt ihr nicht auch, daß die Bilder an der Wand oder die Ritterrüstungen nicht verpetzen könnten, wenn jemand was streng geächtetes tut?" Beruhigte Miriam Swann ihre Klassenkameradinnen. Aurora Dawn legte die Stirn in Falten und schien geistesabwesend. Dann fragte sie:

"Könnte es sein, daß die Bilder nur deshalb hier hängen, weil sie aufpassen sollen?"

"Neh, tun die nicht, Aurora. Miriam träumt gerne", sagte Petula. "Die Gemälde hängen hier im Andenken früherer Hexen und Zauberer und auch zur reinen Dekoration wie dieser Ritter Cadogan, von dem es Esther Goodman vor zwei Wochen hatte", sagte Petula rasch. "Wir werden hier nicht ausgekundschaftet."

"Wäre auch heftig", warf Dina ein.

"Mädels, ich weiß zwar, daß ihr noch zu wach seid, aber ich bin jetzt hundemüde", verkündete Aurora Dawn und gähnte hinter vorgehaltener Hand. Die drei anderen Mädchen nickten verstehend und legten sich zum Schlafen hin.

__________

Aurora Dawn hatte durch ihr Spiel gegen Slytherin eine gewisse Berühmtheit erlangt. Wo immer sie in Hogwarts hinkam drehten sich Schüler jeden Alters kurz zu ihr um. Außer den Ravenclaws waren es vor allem die Hufflepuffs, die ihr aufmunternd zusprachen. Sicher hatten die Slytherins durch Dumbledores Androhung gewisse Gamaschen, die Quidditchmannschaft der Ravenclaws offen anzugreifen. Doch das schloß keine Beleidigungen oder Spottrufe ein. Aurora hörte immer wieder, daß sie ja bald nicht mehr da sein würde. Immerhin sei ihre Familie ja auf der schwarzen Liste dessen, dessen Namen niemand zu nennen wagte. Aurora Dawn wußte nicht, wie ernst sie diese Gehässigkeiten nehmen mußte. Meistens begnügte sie sich damit, das gehörte sofort wieder zu vergessen. Doch immer gelang ihr das nicht.

"Soll die Dawns doch der grüne Blitz treffen", hörte sie einen bulligen Siebtklässler der Slytherins grummeln, als sie sich mit Melinda und Cynthia zur Bibliothek begab. Aurora zuckte zusammen. Woher wußte dieser Kerl -? Sicher hatte man ihm das erklärt.

"Also bei denen bist du erst einmal unten durch", meinte Melinda Bunton dazu nur, jedoch nicht besorgt, sondern amüsiert. Offenbar gab sie noch weniger auf das Geschwätz der Slytherins als Aurora Dawn oder Cynthia Flowers.

"Ja, aber es ist doch bescheuert, immer wieder zu hören, daß einen einer gerne tot sehen will", erwiderte Aurora dazu nur.

"Die bilden sich ein, weil sie mit Du-weißt-schon-wem halten täte der genau das, was sie gerade wollen. Andersrum wird der Schuh draus", sagte Melinda noch. Das sah Aurora Dawn ein. Sicher würde der grausame Hexenmeister nur seinen Willen durchsetzen und nicht auf das Geschwätz von Hogwarts-Schülern hören. Daß ihr Vater und alle ihre anderen Verwandten außerhalb von Hogwarts noch lebten zeigte ja, daß der Unnennbare erst einmal genug davon hatte, die Dawns zu bedrohen, so gemein das auch klang.

"Bin mal gespannt, ob die Gryffindors gegen euch auch so abschmieren. Wir sind ja schon mit euch durch", sprach Cynthia Flowers.

"Das war wohl das Pech der Slytherins, daß die direkt in zwei Spielen ranmußten", sagte Aurora dazu.

"Jau, dann ist das ja genial, daß ihr zuerst gegen die Gryffindors ranmüßt. Dann sind die bei uns wieder so schön müde", hoffte Melinda lächelnd.

Aurora holte sich aus der Bibliothek einige Bücher und kehrte damit vor den Ravenclaw-Gemeinschaftsraum zurück. in dem Gemälde war zur Zeit keiner. Bruce, der gemalte Landbursche, war ebenso wenig da wie seine braun-weiß gescheckte Kuh Maggy.

"Na toll!" Schnaubte Aurora, die unter jedem Arm zwei dicke Bücher trug. Sie überlegte, ob sie warten oder sich mit dem nützlichen Reinitimaginus-Zauber den Türhüter zurückholen sollte, wo immer der gerade wieder war.

"Ich hole mir den wieder", beschloß sie und legte zwei der Bücher vor sich auf den Boden. Sie wußte zwar, daß Madame Pince sowas nicht mochte. Aber sie kannte ja genug Trockenreinigungszauber und Staubsammelzauber von ihrer Mutter. Als sie sich wieder aufrichtete stand eine gemalte Hexe im dunkelroten Kleid auf der Wiese, auf der sonst Maggy graste. Sie stellte sich unübersehbar in den Vordergrund des Bildes. Aurora sah sie an und grinste. Sie kannte die rotgekleidete Gestalt.

"Ach, Sie! Bruce ist nicht da. Ich will mir den gerade wiederholen."

"Das würde ich euch nicht anempfehlen, Jungfer Aurora. Ich harre seiner hier, weil ich ihn zum wiederholten Male züchtigen muß. Sein Rindvieh wagte es erneut, meinen Garten zu verschandeln. Es reicht mir langsam mit diesem Bauernburschen", empörte sich die gemalte Hexe.

"Lady Medea, so heißen Sie doch, ich kann doch nichts dafür, daß Bruce seine Kuh immer wieder weglaufen läßt. Ich hol den jetzt her. Ob Sie jetzt da in dem Bild bleiben oder nicht ist mir egal", gab Aurora trotzig zur Antwort.

"Untersteht euch! Wenn Ihr diesen Rückholzauber wirkt, werde ich mit Urgewalt aus diesem Gemälde expediert. Wißt ihr, welches Ungemach dies unsereinem bereitet? Ihr werdet es nicht wagen, mich noch einmal derartig zu drangsalieren", sagte die Lady im roten Kleid und blickte Aurora drohend an. Diese zog jedoch davon unbeeindruckt ihren Zauberstab und zog eine schräge Linie von links oben nach rechts unten, wobei sie "Reinitimago" sagte.

"Ich sagte euch, dies zu lassen, Jungfer Aurora! Fahrt nicht damit fort, oder ihr werdet ...", zeterte die Hexenlady. Doch Aurora hatte schon eine Schräge von rechts oben nach links unten gezogen und dabei "Reinitimaginis" gemurmelt. Nun standen zwei sich in der Mitte durchkreuzende weiße Schräglinien auf dem Gemälde. Die Hexenlady lief wutrot an und spie noch aus:

"Ihr werdet dies nicht noch einmal ungestraft tun. Ihr seid gewarnt."

"Reinitimagini", sagte Aurora Dawn und zog eine waagerechte Linie von links nach rechts, die genau auf halber Höhe des Bildes lag. Die Hexenlady sprang zurück. Doch die bereits gezeichneten Linien hielten sie zurück.

"Ihr könnt dies immer noch mit "Incantarupto" abbrechen. Bedenkt die Folgen!" Rief die rotgekleidete Hexe wütend. Dann war jedoch die genau in der Mitte des Bildes angesetzte Senkrechte gezeichnet, und Aurora sprach mit genau auf den Schnittpunkt aller Linien deutenden Zauberstab: "Reinitimagine!" Sofort begann sich das Gebilde aus weißen Linien zu drehen, immer schneller. Ein Brausen wie wütender Sturmwind klang aus dem Bild, und die lauten Schreie der sichtlich erregten Hexenlady schienen von einer Sekunde zur anderen aus dem Bild in einer unendlich weiten Ferne zu verschwinden. Das Bild wurde dunkelgrau. Ein angsterfülltes Muhen und nicht minder erschrockenes Geschrei flogen aus dem Nichts in das Bild, das schlagartig wieder seine frühere Erscheinungsform annahm, diesmal mit Bruce und Maggy wieder im Vordergrund.

"Wie oft und wie häufig soll ich euch das sagen, daß das brutal ist?!" Jammerte Bruce.

"Wenn du dann da bist, wenn jemand von uns rein will, würde ich das nicht machen", entgegnete Aurora Dawn kalt. "Ars longa!" Rief sie dann noch. Bruce nickte hilflos und schwang mit dem Bild auf. Aurora nahm ihre am Boden liegenden Bücher wieder auf und schlüpfte in den Gemeinschaftsraum.

Sie traf Roy und Bruster, die ausnahmsweise mal friedlich zusammensaßen. Sie ging zu ihnen hin und erzählte ihnen, daß sie wieder einmal Bruce in das Bild vor der Tür zurückbeschwören mußte.

"Ach, und diese rote Lady war da? Von der hatte es Tara Branigan doch mal vor Zaubertränken", sagte Bruster.

"Ja, die soll sowas wie die heimliche Herrin der Hogwarts-Bilder sein, heißt es."

"Na und?" Versetzte Aurora. "Die konnte ich genauso verzaubern wie Bruce. Kann ich was dafür, daß die gerade dann in Bruces Bild reingeht, wo ich mir den wieder holen will?"

"Nun, diese Lady soll aber ziemlich unbarmherzig sein, wenn ihr wer querkommt", meinte Bruster. "Meine Mum hat das hier erlebt, daß die glatt andre Bilder angestiftet hat, einen sie anpöbelnden Schüler zu beschatten und ihn bei sich bietenden Gelegenheiten bei der Schulleitung zu verzinken."

"Verzinken?" Fragte Aurora, die den Begriff nicht kannte.

"Verzinken, verpfeifen, verpetzen, verraten", erklärte Bruster leicht herablässig grinsend. "Ihr kennt aber wirklich nicht viele Wörter."

"Eh, nicht so", entrüstete sich Aurora Dawn.

Das Bild klappte nochmals auf und Nathan Mentry turnte in den Gemeinschaftsraum. Sein Gesicht hing irgendwie zwischen Vergnügen und Todernst fest. Er suchte Aurora Dawn und blickte ihr fest in die Augen.

"War das wieder nötig, Bruce zurückzubeschwören?" Fragte er. Aurora nickte. "Ja, und dabei hast du die ehrenwerte Lady medea aus Bruces Bild geschleudert?" Wieder nickte Aurora. "Die ist mir vorhin auf dem Weg von der Toilette begegnet und hat mir gesagt, ich möchte dir ausrichten, daß sie das nicht auf sich beruhen läßt. Wenn du nicht aufrichtig vor sie hintrittst und gelobst, das nicht wieder zu tun, wenn sie in Bruces Bild oder sonst wo ist, würdest du hier keine ruhige Minute mehr haben, Aurora."

"Och joh", fiel Aurora nur dazu ein. Roy meinte nur:

"Seit wann sollen wir uns von irgendwelchen durcheinandergerührten Farbgebilden ins Bockshorn jagen lassen, Nathan. Die kann doch keinem was tun."

"Hast du keine Ahnung von, Roy. Normalerweise sind die gemalten Leute hier völlig unbeeindruckt von uns. Aber es soll auch vorkommen, daß sie sich über wen ärgern und das dann laut hinausbrüllen. Ich würde das machen, Aurora, mich bei der Lady entschuldigen. Ihr Stammgemälde, ein Landhaus mit einem üppigen Garten drum herum, hängt auf dem fünften Stock im Ostflügel. Wenn ich das von Darius Cale mitgekriegt habe muß da irgendwo der Weg nach Hufflepuff abzweigen."

"So weit kommt's noch, daß ich mich bei einer gemalten Hexe entschuldige, die mir nichts tun kann und die ja selbst Schuld ist, daß ich sie rausgeschossen habe", lehnte Aurora die Aufforderung der rotgekleideten Hexe ab.

"Nun, ich fürchte, du wirst deine Meinung bald ändern", seufzte Nathan.

"Als wenn ich nicht schon genug von Tonya Rattler und ihren blöden Nachläufern zu hören kriegte", grummelte Aurora nur. Damit ließ sie die Angelegenheit auf sich beruhen.

Zunächst sah es auch so aus, daß sie von der Drohung der gemalten Hexe nichts weiter zu befürchten hatte. So vergaß sie den Vorfall vom Nachmittag. Sie amüsierte sich mit ihren Klassenkameradinnen, ärgerte sich über die Hausaufgaben und die Sprüche der Slytherins und half Roy und Bruster bei den Zaubertrankrezepturen.

Doch in der folgenden Woche wurde sie deutlich daran erinnert, daß da in der reichhaltigen Galerie von Hogwarts jemand sauer auf sie war. Es ging damit los, daß ein gemaltes Mädchen im blauen Kleid und mit weißem Kopftuch nach einer Nachmittagstunde bei Bitterling vom Raum für Verteidigung gegen die dunklen Künste neben ihr herlief und sie dabei immer wieder anstarrte, bis Aurora Dawn sie ansprach.

"Wer bist du und was möchtest du von mir?"

"Du bist Aurora Dawn, nicht wahr?"

"Ja, stimmt", sagte Aurora nur.

"Dann möchte ich dir bestellen, daß Mylady Medea immer noch böse auf dich ist und verlangt, daß du dich bei ihr entschuldigst. Sie wartet schon seit Tagen auf dich."

"Ach, und du sollst mir das bestellen?" Erwiderte Aurora amüsiert.

"Richtig", bestätigte das gemalte Mädchen mit dem Kopftuch.

"Warum sollte ich? Die stand im Bild unseres Türhüters. Ich mußte ihn herbeirufen und fertig."

"Das ist doch wirklich nicht schwer, hinzugehen, sich höflich zu verbeugen und die großmächtige Lady um Verzeihung zu bitten und zu geloben, sie nicht noch einmal so derb zu behandeln. Das beleidigt sie aufs tiefste, wenn jemand sie so drangsaliert."

"Nun, du hast mir immer noch nicht deinen Namen gesagt", erinnerte Aurora das Mädchen.

"Ich bin Belinda, Schülerin im dritten Jahr. Ich helfe der großmächtigen Lady Medea."

"Dann sage ihr bitte, ich würde sie nicht noch einmal aus dem Bild zaubern, solange sie nicht meint, unbedingt in dem Bild unseres Türhüters warten zu müssen. Der ist immer wieder weg. Wir müssen den dann zurückholen. Aber warum sage ich das eigentlich? Naja, sag das bitte deiner Lady!"

"Nein, das will sie nicht hören", wies Belinda die Aufgabe von sich. "Sie erwartet, daß du zu ihr hingehst und dich entschuldigst. Alles andere will sie nicht hinnehmen. Aber du wirst es ja erleben, wie großmächtig sie ist", sagte das Mädchen mit dem Kopftuch mit einem merkwürdigen Grinsen und schlüpfte nach oben aus dem Bild einer Wiesenlandschaft.

"Die kann mich doch mal", dachte Aurora Dawn noch.

Als sie auf dem Weg zum Mittagessen war, rief sie einer aus dem Bild einer Kartenspielrunde heraus an und meinte, sie solle sich gefälligst bei Lady Medea entschuldigen. Aurora überhörte das noch. Doch als sie nach dem Mittagessen von fast jedem Bild angepöbelt wurde, sie sei ein ungeratenes Frauenzimmer und solle sich schämen, überhaupt hier zur Schule zu gehen, mußte sie schon sehr konzentriert auf den Boden vor sich starren, um das Geschnatter, Gezeter und Gegröhle aus den Bildern zu überhören.

Natürlich bekamen das viele Ravenclaws mit, was ihr passierte. Denn einige hatten selbst Zaubergemälde in ihren Schlafsälen. In jedem davon tauchten nun irgendwelche Gestalten aus der reichhaltigen Galerie von Hogwarts auf und verlangten, Aurora Dawn solle zur gemalten Residenz von Lady Medea gehen und dort Abbitte leisten. Amalia Hopfkirch, die schon für sich selbst fünf Bilder in ihrem Schlafsaal hängen hatte, trat vor dem Abendessen ziemlich genervt dreinschauend zu Aurora hin und sagte:

"Also Nathan hat dich glaube ich gewarnt, das mit Lady Medea nicht als unnötigen Unsinn abzutun. Besser ist es, wenn du zu ihr hingehst und machst, was sie von dir verlangt."

"Ach, haben deine gemalten Anverwandten das verlangt?" Fragte Aurora, die, so wußte es ihre Mutter zu gut, einen recht harten Dickkopf haben konnte.

"nein, aber zwei Nonnen, ein Zauberer aus dem Trakt mit dem zauberkunstraum, so'ne verhutzelte Hexe Namens Violett und zwei Mädchen mit Kopftüchern. Das Portrait meines Großonkels Varus ist sichtlich verärgert. Nachher kommen noch andere Portraits bei mir an."

"Das legt sich wieder, wenn die merkt, daß mir ihre Plärrtruppe nichts ausmacht", sagte Aurora kalt. Sie blickte sich im Gemeinschaftsraum um. Hier hingen vier Bilder. Eines davon war das Portrait von Oberon Meadows, der ein Ururgroßonkel von Aurora Dawn war und vor zweihundert Jahren Ravenclaw als Kräuterkundelehrer geleitet hatte. Dieser blickte aus dem Gemälde zurück und rümpfte die Nase.

"Wie finde ich das, daß meine Ururgroßnichte derartig aus der Rolle gefallen ist und jede Höflichkeit verleugnet?!" Rief er unüberhörbar. Alle anderen blickten erst den gemalten Rufer und dann Aurora Dawn an.

"Nicht der alte Oberon auch noch", quängelte Dione Craft, die in der Nähe des Bildes saß.

"Schnauze was nicht dreidimensional ist!" Pöbelte Roy Fielding das Portrait an. Dieses wurde krebsrot im Gesicht. Die Stirnadern traten bedrohlich deutlich hervor, und der gemalte Zauberer ballte die rechte Hand zur Faust.

"Fängt da noch wer an, uns bildhafte Leute zu beleidigen? Das solltest du lieber nicht tun, Bursche. Und du, meine werte Ururgroßnichte gehst stante pede zu Lady Medeas gemalter Residenz und entschuldigst dich für dein impertinentes Verhalten!"

"Vergessen Sie's!" Schnarrte Aurora nun sichtlich angesäuert zurück. Roy lachte nur.

"Was kannst du denn auch dafür, wenn diese Lady Medora meint, in Bruces Bild rumzuhängen, wo der nicht da ist und jedes Baby weiß, daß man den dann zurückbeschwört?"

"Das geht dich nichts an, Bursche", schnaubte Oberon Meadows' Zauberbild.

"Leute, wir gehen runter zum Essen!" Schlug Bruster vor. Dieser Vorschlag fand unwidersprochene Zustimmung.

Doch unterwegs war Aurora einem ständigen Wortbeschuß aus den an den Wänden hängenden Gemälden ausgesetzt. Das war so enervierend, daß außer Petula und Roy niemand näher als zwei Schritte bei Aurora bleiben wollte.

In der großen Halle hörte sie ein Tuscheln von den anderen Haustischen her. Zwischendurch blickte sie mal der eine oder die Andere an. Am Slytherin-Tisch glotzten die Rattler-Schwestern sehr gehässig auf Aurora Dawn, als sie sich so lässig wie möglich wirkend hinsetzte.

"Das wird doch wohl nicht die ganze Schule mitgekriegt haben", sagte Roy leicht verunsichert.

"Das geht wieder weg. Die hat heute alle möglichen Bilder aufgehetzt, mich anzupöbeln. Das kann morgen noch laufen oder schon wieder vorbei sein", behauptete Aurora Dawn.

Nach dem Essen erhob sich Professor Dumbledore noch einmal und bat um Ruhe.

"Liebe Schüler von Hogwarts, ich möchte euch nur noch sagen, daß hier niemand von seinen Mitschülern wegen irgendwelcher ihn oder sie nicht betreffender Sachen angegangen werden soll. Hinzu kommt noch, daß Mr. Filch mich gebeten hat, euch mitzuteilen, daß die Verwendung von Schlüpfrigkeitsschleim verboten ist. Wen er dabei ertappt, diesen Scherzartikel zu verwenden, rigoros bestrafen will. Nur so viel für euch."

Aurora Dawn entschuldige dich! Aurora Dawn entschuldige dich!" Plärrte es von irgendwo hinter dem Lehrertisch her. Die Slytherins lachten. Einer versuchte sogar, in diese parole mit einzustimmen. Doch Dumbledore schüttelte mißbilligend den Kopf. Professor Dawn wirkte sehr ungehalten, zumal viele Schüler sie auch ansahen und sie beobachteten, wie sie vielleicht reagieren mochte.

"Aurora Dawn entschuldige dich!" Plärrte es weiter hinter dem Lehrertisch. Professor Dumbledore stand auf, trat zurück und öffnete eine Tür zu einer kleineren Kammer. Dann hörten sie nur noch einen Ruf:

"Schweigen Sie! Dieses Verhalten ist höchst unzulässig! Geben Sie keine Ruhe, werde ich sie entfernen lassen."

"Ach neh, noch so'n paar durchgeknallte Bilder", kommentierte Roy das, was er gehört hatte. Miriam meinte zu Aurora:

"Die meint es ernst, Aurora. Ich habe von der Dame gelesen, die dich so bedrängt, dich zu entschuldigen. Sie ist bereits seit über vierhundert Jahren hier und hatte ein lebendes Vorbild, das sehr viel Macht und Einfluß in der damaligen Zaubererwelt gehabt haben soll. Vielleicht hat sie die Bilder hier In Hogwarts auch so im Zug."

"Ach neh, wer war dennn diese Lady medora?" Fragte Roy.

"medea, Roy. Lady Medea. Am besten merkst du dir den Namen gut, bevor du auch noch von ihren Handlangern in der Bildergalerie angepöbelt wirst! Diese Hexe war früher mal die Anführerin einer Hexengilde, die sich nicht nur mit guten Zaubern beschäftigt hat. Daß sie überhaupt als Portrait in Hogwarts aushängt, verdankt sie ihren damaligen guten Beziehungen. Tja, und jetzt zeigt sie wohl, wie stark sie ist."

"Medea, Miriam. Dann merke ich mir mal diesen antiquierten Namen", grinste Roy Fielding.

"Ach, und du meinst, ich soll mich wirklich bei ihr entschuldigen?" Wollte Aurora Dawn von Miriam wissen.

"nun, vielleicht geben die morgen ja wirklich Ruhe. Falls nicht, wäre es wohl doch klüger, ihr den Gefallen zu tun", sagte Miriam verhalten.

"Lassen wir es mal drauf ankommen", grinste Aurora.

Am nächsten Morgen legte sich eine bedrückende Stille auf den Gemeinschaftsraum, als Aurora Dawn eintrat. Alle hier wirkten übernächtigt, irgendwie nicht so ganz erholt. Amalia Hopfkirch sah sie verärgert an und meinte:

"Heute gehst du da hin und sagst dieser roten Furie, daß es dir leid tut! Ich habe keine Lust, noch so'ne Nacht zu verbringen. Ich habe demnächst eine schwere Zwischenprüfung. Da will ich vorher lernen und ausschlafen können."

"Was ist denn passiert?" Fragte Aurora. Alle sahen sie an und schienen sie für dreist zu halten, den Gesichtern nach.

"Wohl jeder hier, der oder die ein rundum offenes Zaubererbild im Schlafsaal hat, hat diese Nacht immer wieder Besucher von anderen Bildern hören müssen, die sich ziemlich laut darüber unterhalten haben, daß du möglichst bald vor Lady Medea hintreten sollst. Wenn das jetzt jede Nacht passiert kriegen wir hier keinen Schlaf mehr. Hat denn bei euch im Schlafsaal keiner ein bezaubertes Bild?"

"Petula hat ein gemaltes Einhorn. Aber sie meint, daß das Bild nicht offen sei, also nicht von anderen gemalten Wesen betreten werden könne. Tja, hat wohl was für sich", antwortete Aurora, nun jedoch nicht mehr überlegen lächelnd, sondern betroffen dreinschauend. Sie dachte daran, das Miriam noch ein paar für andere Besucher offene Bilder hatte. Sollte es wirklich stimmen, daß hier alle Mitschüler um den Schlaf gebracht wurden, weil sie nicht einsah, sich bei einer gemalten Hexe zu entschuldigen? Sie beschloß, den Tag erst einmal umzubringen. Was dann werden sollte, würde sie dann entscheiden.

In der großen Pause wurde die Zweitklässlerin zu Flitwick zitiert. Dieser sah sie ernst an und fragte, was genau mit Bruces Bild passiert sei. Aurora erzählte es in der gebotenen Kürze. Dann meinte der winzige Hauslehrer von Ravenclaw:

"Nun, es ist wohl in der Geschichte nur dreimal vorgekommen, daß gemalte Persönlichkeiten in Hogwarts auf natürliche Personen einen solchen Druck ausgeübt haben. Ihnen steht es frei, der Aufforderung nachzukommen, Miss Dawn. Ich weiß nicht, ob die aufgewiegelten Portraits sich irgendwann beruhigen. Ich meine, ich kann es ihr nicht beweisen. Aber Lady Medea könnte einen unverzeihlichen Fluch benutzen, um die ihr nicht so bereitwillig folgenden Portraits zur Mitarbeit zu zwingen. Andererseits kann sie uns natürlichen Personen eben nur durch Parolen und Forderungen etwas anhaben. Vielleicht klingt dieser Massenprotest gegen Sie wieder ab, wenn Sie einige Zeit verstreichen lassen. Ich fürchte jedoch bei Lady Medea, daß sie ein Exempel statuieren möchte. Nur weiß ich nicht, was sie nach Ihrer Entschuldigung befindet. Manchmal darf man einfach keiner Erpressung nachgeben. Andererseits weiß ich, daß es für nicht angestammte Charaktere in einem Zaubererbild unfaßbar brutal zugeht, wenn sie vom Reinitimaginus-Zauber aus dem Bild katapultiert werden. Insofern ist Lady Medeas Verstimmung durchaus nachvollziehbar."

"Ja, aber ich kann mich doch nicht einfach bei einem Portrait entschuldigen", widersprach Aurora Dawn.

"Nun, rein körperlich-geistig können Sie das schon", stellte Flitwick klar. "Die Frage ist halt nur, was Sie danach zu erwarten haben."

"Ich warte noch", sagte Aurora Dawn nur und wartete, bis der kleine Lehrer mit dem weißen Haarschopf sie zurück in den Unterricht schickte.

Zum Glück für ihre Klassenkameraden hingen in den Klassenräumen selbst keine zauberbilder aus. So waren die Unterrichtsstunden die einzigen, wo kein gemaltes Lebewesen Aurora anrief, sie solle sich bei Lady Medea entschuldigen. Roy Fielding meinte einmal:

"Eure Lady soll der Teufel holen. Am besten nimmt jemand ihr Bild ab und verheizt es unterm Heißwasserkessel."

"Wag dich, so über Lady Medea zu sprechen", schrillte ein gemaltes Mädchen mit gelbem Kopftuch, offenbar noch eine Lernhexe, die für diese rotgekleidete Hexenmeisterin arbeitete.

Aurora schaffte es zwar, die Bilder zu ignorieren, deren Motive sie immer wieder anriefen. Doch die Mitschüler konnte sie nicht ignorieren, die ihr mehr und mehr genervte Blicke zuwarfen oder schleunigst das Weite suchten, wenn sie auftauchte. Da Petula und Miriam selbst Zauberbilder im Schlafsaal hängen hatten, war sie auch hier nicht sicher. Zwei Nächte verstrichen, in denen immer wieder irgendwelches Volk aus den übrigen Gemälden herüberkam und den Schlaf der Mädchen aus der zweiten Klasse störte. Sicher, die übrigen Schüler konnten gut schlafen, aber daß Petula und Dina immer rammdösiger wurden, weil sie nicht durchgeschlafen hatten, berührte Aurora schon heftig.

"Das geht so nicht weiter, Aurora. Ich kann doch mein Bild von Celestine Clover nicht zumachen, also von der restlichen Galerie ausschließen, nur weil diese drei Gören mit den Kopftüchern meinen, uns andauernd nette Lieder singen zu müssen, wie böse du doch seist", knurrte Miriam beim Frühstück. Dina und Petula gähnten hinter vorgehaltener Hand.

"Soll doch wer diese Lady Medora vom Haken nehmen und wegtun. Dann ist ruhe hier", warf Roy Fielding ein. Mortimer meinte:

"Me-De-a, Roy. Du scheinst da jemanden zu verwechseln. Aber was du meinst könnte klappen. Wo hängt die denn rum?"

"Fünfter Stock im Ostflügel", sagte Aurora Dawn.

"Wundert mich eh, daß die sich seit dieser Sache mit Bruce nicht mehr hat blicken lassen", merkte Miriam an. Am Ravenclaw-Tisch tuschelten alle über Aurora Dawns Streit mit einer gemalten Hexe.

"Du hast recht, Mortimer. Ich habe da wohl zwei Sachen durcheinandergeworfen", sagte Roy Fielding nach einer Viertelminute. "Aber wir könnten die suchen und dann runterholen. Oder sollen wir Filch drauf ansetzen?"

"Den? Der würde dir links und rechts eine runterhauen, wenn du unter seinen Augen was anfaßt, das dir nicht gehört", sagte Mortimer. "Ich denke aber, wir finden das Bild und nehmen es ab. Machen wir sofort nach Sprout heute Nachmittag."

"Ist gemacht", sagte Roy.

So schlichen drei Jungen aus der zweiten Klasse von Ravenclaw nachmittags als die Doppelstunde Kräuterkunde überstanden war in den Ostflügel und zum fünften Stock hinauf. Doch als sie bei einem Bild mit einem altehrwürdigen Landhaus, umgeben von einem bunten Gemüse, und Blumengarten ankamen, standen dort zwei verwegen aussehende Zauberer im Vordergrund und lachten.

"Wenn ihr meint, Lady Medea einfach aus der Galerie herausholen zu können habt ihr euch heftig getäuscht, Knaben. Die war auf euren Besuch vorbereitet und hat sich wo versteckt, wo ihr nicht hinkommt. Rührt ihr ihr Anwesen an, kriegt ihr noch mehr Ärger als Aurora Dawn. Aber was sage ich", sprach der größere der beiden Zauberer, "Der Ärger geht ja schon los."

"So, da habe ich euch also wirklich", polterte Filches Stimme, und der ewig miesgelaunte Hausmeister mit dem sackartigen Gesicht kam wie ein gereizter Kampfstier um die nächste Abzweigung gestampft. Seine spindeldürre Katze Mrs. Norris eilte im respektvollen Abstand hinter ihm her.

"Haben die also doch recht, und ihr meint einfach, hier Bilder von der Wand holen zu können, wie? Mitkommen!" Knurrte Filch noch.

"Vergessen Sie's!" Rief Mortimer. Dann liefen er, Bruster und Roy auf einen schnellen Wink in drei verschiedene Richtungen davon. Filch stand erst einmal wie vom Donner gerührt da. Dann wetzte er los, keuchend wie eine bergauf fahrende Dampflokomotive. Er versuchte Roy Fielding zu kriegen, der frechdreist an ihm vorbeigespurtet war und nun eine Tricktreppenflucht zum Westflügel benutzte. Filch jagte hinter dem Jungen her, der wieselflink mehrere Stufen auf einmal nahm, bevor er etwas hinter sich warf, das mit scharfem Knall zerbrach und eine gelbliche Wolke übel riechender Gase freisetzte. Filch fühlte, wie es in seiner Nase und seinen Lungen brannte. Er hustete und Prustete und mußte anhalten. Als sich der Beißgasnebel wieder verzog, war Roy schon weitergelaufen.

"Ich kriege euch alle drei. Die Bilder werden mir sagen, wo ihr hin seid!" Rief er weit hallend.

"Die Aktion ging vor dem Klo in die Hose", machte Roy bei Petula und Dina Meldung. "Filch war auf uns angesetzt. Außerdem ist die böse Tante schon ausgezogen. Die hängt jetzt irgendwo rum, wo wir nicht hinkönnen. Kann also in einem der anderen Schulhäuser sein oder gar in Dumbledores Gemächern."

"Was ist mit Filch?" Fragte petula. Aurora Dawn kam gerade vom Mädchenklo.

"Der wird uns wohl bei Flitwick verpfeifen, um uns einen reinzuwürgen. Aber da wir das Bild ja nicht runtergeholt haben, kann er uns ja nichts. Der Idiot mußte ja schon vorher antanzen. Ich hätte ja gewartet, bis ich uns mit dem abgehängten Bild in der Hand erwischt hätte. Aber wahrscheinlich ist der deswegen nur Hausmeister, weil er nicht mal den ZAG gepackt hat."

"Ja, das war ja zu erwarten, daß die Lady sich absetzt", tat Aurora so, als sei der Versuch von vorne herein Blödsinn gewesen. "Diese verfluchten Portraits verfolgen mich überall hin. Mittlerweile blöken noch irgendwelche Schafe und kreischen komische Vögel, wenn ich an den Bildern vorbeigehe. Wie kann die sowas machen?"

"Imperius, der Unterwerfungsfluch", seufzte Miriam. "Der gehört zu den drei sogenannten unverzeihlichen Flüchen, weil er so heftig ist, daß er nicht gegen Menschen verwendet werden darf."

"Häh?" Machten Roy und Petula.

"Imperius bricht den Willen eines anderen Wesens und zwingt es, jeden Befehl auszuführen, den der es damit belegende Zauberer gibt. Deshalb ist der verboten", konnte Miriam noch anführen. Aurora verstand und erbleichte.

"Nun, die blöde Gans hat wohl auch Superbeziehungen zu den Bilderleuten hier", vermutete Roy. "Ich glaube nicht, daß jeder sich hier von diesem Imperium-Fluch hypnotisieren läßt."

"Roy, erstens heißt der "Imperius" und nicht "Imperium". Zweitens ist das keine Hypnose von wegen: "Sehen Sie auf das Pendel! Sie werden jetzt sehr müde! Sie schlafen ein! Sie gehorchen jetzt nur meinem Willen!" Das geht schneller und wesentlich heftiger, weil du keine Chance hast, dich dagegen zu wehren, sagt meine Mum. Deshalb ist Du-weißt-schon-wer ja so stark. Er kann Leute zwingen, für ihn was zu tun, ohne daß sie sich darüber Gedanken machen, daß sie morden oder foltern", versetzte Miriam höchst gereizt.

"Au Scheiße!" Konnte Roy nur darauf sagen. Die Mädchen rümpften die Nasen und liefen verlegen rot an.

"Kannst du dich bei deiner Ausdrucksweise nicht mal ein wenig besser beherrschen?" Fragte Petula Roy.

"Wozu?" Begehrte Roy auf. "Dann ist das ja komplett unmöglich, dieses rotgekleidete Biest loszuwerden."

"Wie lange wollen wir uns das noch gefallen lassen?" Fragte petula und sah sehr verärgert in Auroras Richtung. Diese schlug die Augen nieder, versuchte, dem wütenden Blick der rehbraunen Augen ihrer guten Schulfreundin auszuweichen. Dann meinte sie:

"Wir warten noch bis morgen. Gibt die dann keine Ruhe, probieren wir was neues aus. Oder meinst du, man sollte sich bei einem Bild entschuldigen?" Sagte sie zu Petula.

"Hast recht, Aurora. Nachher verlangt unser Fernseher zu Hause noch, daß mein Vater sich bei ihm entschuldigt, weil er ihn häufig hauen mußte, um den Wackelkontakt in der Bildröhre einzuränken. Das sind doch nur künstliche Wesen, nur Abklatsche echter Lebewesen. Die haben uns nichts zu befehlen oder was von uns zu verlangen."

"Sehe ich genau so", sagte Aurora. Doch Miriam schüttelte den Kopf.

"Ich fürchte, ihr habt echt keine Ahnung, was gute Zaubermalerei bedeutet. Die gemalten Lebewesen können so echt sein wie ihre natürlichen Vorbilder. In Dumbledores Gemächern hängen Dutzende von ehemaligen Schulleitern rum, die jeder für sich sehr viel von seinem echten Ich mitgekriegt hat. Ich denke, diese Lady Medea ist so echt wie ihre Vorlage. Ich habe sogar gelesen, daß du deine gerade vorhandenen Erinnerungen und Charaktereigenschaften in ein Portrait deiner Selbst reinkopieren kannst, bevor es zum Leben erweckt wird. Es kann dann genauso weiterexistieren wie du. Es ist nur der Unterschied, daß Bilder wesentlich langsamer altern, quasi Jahrhunderte bleiben können. Viele Bilder hier sind mindestens vierhundert Jahre alt. In der Zeit lernen gemalte Leute weiter, lernen andere echte Leute kennen und können sogar Beziehungen mit ihnen aufnehmen. In diesem Buch stand auch drin, daß eine Person, die zwei Portraits oder mehr von sich hat, zwischen den verschiedenen Portraits herumspringen kann. Sie kann also von hier ins Zaubereiministerium oder ins St.-Mungo-Krankenhaus oder zu irgendwelchen Zaubererfamilien, die von dieser gemalten Person abstammen und so weiter."

"Ach, nett, Miriam, daß du uns das jetzt erzählst, wo wir jetzt diesen Stress um die Ohren haben", schnaubte Roy. "Nachher müssen wir echt dieser Lady Meckerziege noch huldigen, weil sie uns alle so herrlich ärgern kann, wie?"

"Nicht wir, sondern wohl nur Aurora", schränkte Miriam Swann ein.

"Die regt sich schon wieder ab", sagte Aurora dazu nur.

Als nach dem Abendessen die Schüler aus Ravenclaw die große Halle verließen, tönten, plärrten und knurrten gemalte Hexen, Zauberer und andere Menschen auf dem Weg zum Ravenclaw-Eingang, Aurora Dawn solle sich sofort bei Lady Medea einfinden. Sie würde in ihrer Residenz warten. Viele Ravenclaws hielten sich die Ohren zu, so schrill klangen die wütenden Stimmen von den Reihen der Leinwände her.

Als Aurora Dawn mit ihren Klassenkameraden in weitem Abstand hinter den übrigen herlief, um das nervtötende Gemoser der gemalten Leute nicht allen zumuten zu müssen, sangen Roy und Bruster Fußballhymnen, um die Zeterei und Brüllerei aus den Bildern zu übertönen. Natürlich sang Roy Loblieder auf den ersten FC Liverpool, während Bruster "Über alles Man United!" Gröhlte.

Als sie dann in den Gang einbogen, der vor dem Wiesengemälde mit Bruce und Maggy endete, liefen sie in einen Stau wild miteinander diskutierender Schüler hinein. Amalia Hopfkirch ging vor und starrte auf das Bild. Maggy und Bruce lagen auf ihrer Wiese. Sie versuchte, sie zu wecken. Doch die beiden rührten sich nicht. Ein imposanter weißer Schwan glitt von oben in das Bild hinein, landete neben der auf dem Bauch liegenden Maggy, streckte den schlanken Hals kerzengerade nach oben und schien sich aufzublähen. Innerhalb von zwei Sekunden schrumpfte das schneeweiße Gefieder ein und verschwand unter einem roten Kleid. Der lange rote Schnabel verschwand in einem langen hellrosa glänzendem Frauengesicht, um das ein Schopf schwarzer Haare an die Stelle der weißen Kopffedern spross. Die Flügel wurden zu schlanken Armen, und die roten schuppigen Vogelbeine streckten und dehnten sich zu Frauenbeinen in glänzenden Lederschuhen. Lady Medea stand nun da, wo der weiße Schwan gelandet war.

"Ist die Jungfer Aurora Dawn unter euch Schülern dieser Lehranstalt?" übertönte sie das aufgeregte Tuscheln der sich stauenden Ravenclaws. Aurora nickte und rief:

"Ich bin hier!"

"Gut, so höret Jungfer. In zehn Minuten findet ihr euch vor meinem Residenzbild ein und erweist mir die geforderte Abbitte und Entschuldigung für eure Respektlosigkeit. Andernfalls tragt Ihr die alleinige Verantwortung dafür, daß Eure Mitschülerinnen und Mitschüler nicht mehr nach Ravenclaw hineingelangen. Ich habe Euren Türhüter in tiefen Zauberschlaf versenkt, aus dem nur ich ihn wieder erwecken kann. Solange Ihr nicht befolgtet, was ich fordere, wird er hier weiterschlafen. Dies ist die gerechte Bestrafung für kindischen Starrsinn. Also, ich erwarte euch gleich", sagte die Lady. Kaum hatte sie ihre Forderung ausgesprochen, verwandelte sie sich in wenigen Sekunden in den weißen Schwan zurück, der vorhin hier gelandet war, breitete die schneeweißen Schwingen aus und flog majestätisch auf, hinaus aus dem Bild von Bruce und Maggy, die beide wie tot auf der Wiese lagen.

"Na toll!" Bemerkte Roy Fielding. "Jetzt blockiert dieses Weib auch noch unseren Eingang. Wo sind wir denn hier?!"

"In Hogwarts, Roy Fielding. In Hogwarts gelten andere Werte als in der Muggelwelt", schnarrte Amalia Hopfkirch sichtlich sauer. Offenbar war bei ihr nun die Grenze des zumutbaren überschritten. Sie sah Aurora Dawn an. Alle anderen drehten sich ihr zu und starrten sie erwartungsvoll an. Keiner sagte auch nur ein Wort. Aurora lief erst rot an, schlug die Augen nieder und schluckte hörbar. Dann räusperte sie sich und sprach laut:

"Wie sie will. Dann muß ich eben zu ihr hin. Ich hoffe, danach ist wieder Ruhe hier."

"Ich komm mit", sagte Miriam. auch die übrigen Zweitklässler begleiteten Aurora. Amalia Hopfkirch wechselte kurz einige Worte mit den anderen Vertrauensschülern und eilte dann den Zweitklässlern nach, bis sie sie auf der Treppe zum fünften Stock wieder einholte.

"Ich möchte nur sicherstellen, daß jemand bezeugen kann, daß diese Lady ihren Willen wirklich bekommen hat, für den Fall, daß die gemalten Personen hier weiteren Ärger machen", sagte sie.

Vor dem Bild mit dem Landhaus im bunten Garten hockte der weiße Schwan, der sich augenblicklich in Lady Medea zurückverwandelte, als Aurora Dawn in ihr Blickfeld geriet.

Sie wartete, bis das zwölfjährige Hexenmädchen genau vor sie hintrat. Dann nickte sie ihr zu.

"Mylady Medea, ich bin gekommen, um mich dafür zu entschuldigen, daß ich Sie aus dem Bild unseres Türhüters hinausgeflucht habe. Ich möchte das nicht wieder tun", sagte Aurora.

"Verbeuge dich vor mir und sprich dann noch einmal!" Verlangte Lady Medea mit kalter Stimme. Aurora stutzte. Dann verbeugte sie sich. Ihr langer schwarzer Schopf wehte ihr dabei ins Gesicht. Sie verharrte eine Viertelminute in der Stellung, bis Lady Medea ihr befahl, sich wieder aufzurichten. Dann sagte Aurora:

"Mylady Medea, ich bin gekommen, um Euch um Verzeihung zu bitten, weil ich euch ohne notwendigen Grund aus dem Bild unseres Türhüters hinausgebannt habe. Ich wußte nicht, daß es euch so heftige Qualen bereitet. Ich bitte darum, mir das nachzusehen."

"Ihr seht also ein, welches Übel Ihr mir wider jedes Recht angetan habt?" Fragte Lady Medea, die Aurora sehr genau anblickte. Die Schülerin schien förmlich zusammenzusinken. Sie sagte:

"ja, ich sehe es ein", sagte sie noch.

"So werdet Ihr mir hier das heilige Versprechen geben, mich oder meine Anvertrauten Schülerinnen niemals wieder in dieser demütigenden, niederträchtigen und grausamen Weise zu behandeln, solange Ihr in diesen Mauern zubringt. Streckt eure Hände vor, während Ihr sprecht!"

Aurora wußte zwar nicht, wieso sie ihre Hände vorstrecken sollte. Beim Schwören brauchte man doch nur eine Hand. Doch sie tat, was Lady Medea ihr befohlen hatte und versprach:

"Ich verspreche feierlich, daß ich weder Sie, noch irgendjemanden aus Ihrem Bekanntenkreis erneut mit dem Reinitimaginus-Zauber wegscheuchen oder herbeibeschwören werde, solange ich hier in der Schule bin."

"Kniet nieder!" Befahl Lady Medea. Aurora zögerte. "Kniet nieder und verneigt euch nochmals vor mir!" Befahl die Lady eindringlich. Aurora Dawn verzog zwar das Gesicht, doch dann kniete sie nieder, verneigte sich unterwürfig und wartete, bis die Hexenlady ihr wieder erlaubte, aufzustehen.

"So, war dies nun so schlimm?" Fragte Lady Medea die Junghexe vor ihrem Bild.

"Nein", sagte Aurora sichtlich geknickt. Amalia trat vor und fragte:

"Hat damit dieser Spuk nun ein Ende, Lady Medea?"

"Dieser Spuk, wie ihr ihn nennt, Jungfer Amalia, war durchaus berechtigt. Wir hier genießen seit Zenturien von Jahren ein Schattendasein, oft verkannt von jener aus Eurer Welt. Es wurde höchste Zeit, diesen Mißstand zu beheben. Wo wir schon einmal dabei sind und ich erkenne, wer alles mit Euch gekommen ist, wird jetzt jeder von Euch mir dasselbe Wort geben, das mir Aurora Dawn gab. Jüngling Roy Fielding, tritt vor, knie Nieder und gelobe, mich in Zukunft so zu achten wie deinesgleichen!" Befahl Lady Medea und deutete auf Roy Fielding. Roy zuckte die Achseln. Doch Amalia schob ihn nach vorne. Roy stand erst kerzengerade vor der Hexenlady auf dem Gemälde. Dann kniete er sich hin und versprach, ihr immer den gebotenen Respekt zu zollen, den sie von ihm erwartete. Danach mußten alle anderen auch dieses Versprechen geben, auch Amalia. Dann erst sagte die Lady:

"Nun, da Ihr allesamt endlich zur Vernunft gekommen seid, kehrt wieder zu eurem Haus zurück. Ihr werdet den Bauernburschen und sein Rindvieh wecken können, indem ihr ihm den Satz sagt: "Die Sonne zehrt die Nebel auf." Dies wird den Schlaf von ihm fahren lassen, mit dem ich ihn belegte. Ich wünsche eine wohltuende Nachtruhe!"

Sie wandte sich um, schritt würdevoll zwischen den Beeten ihres Gartens zu einer grünen eichentür, die im Hintergrund des Bildes die Vorderfront des Landhauses zierte. Sie öffnete die Tür und verschwand im Hintergrund des Gemäldes.

Unter Amalias Führung kehrten die Zweitklässler zum Eingang nach Ravenclaw zurück, wo noch alle Schüler anstanden. Sie trat an das Bild von Bruce und Maggy und sagte laut:

"Die Sonne zehrt die Nebel auf."

Bruce zuckte zusammen, dann schlug er die Augen auf und reckte sich. Maggy neben ihm gab ein tieftönendes Muhen von sich, hob den gehörnten Kopf und stemmte sich auf ihre Beine hoch.

"Vermaledeites Frauenzimmer. Hat die mich doch glatt mit diesem blöden Schlafbann erwischt. Was wollte die damit?" Knurrte Bruce.

"Ars Longa, Bruce!" Sagte Amalia. Bruce blickte sie mißgestimmt an. Doch dann nickte er und schwang mit dem Bild zur Seite. Aurora Dawn war zusammen mit Petula die letzte, die in den Gemeinschaftsraum hinüberkletterte. Hinter ihr fiel das Bild wieder in seine Ausgangslage zurück.

"So, die Damen- und Herrschaften", begann Amalia Hopfkirch. " Es ist jetzt wohl bei allen angekommen, welche Auswirkungen es mit sich bringt, Streit mit einer mächtigen gemalten Hexe zu haben. Ich gehe davon aus, daß hier in Ravenclaw niemand mehr derartig heftig mit Lady Medea oder wem anderen zusammenrasselt. Wer den Reinitimaginus-Zauber beherrscht, sollte ihn nur benutzen, um Bruce in das Bild zurückzuholen. Allerdings sollte er oder sie das nur tun, solange niemand anderes in dem Bild ist. Ich hoffe, wir haben jetzt alle wieder Ruhe."

Danach verlief der Abend wie üblich.

In der Nacht konnten wieder alle durchschlafen.

Am nächsten Tag mußte Aurora Dawn sich die Fragen von Hufflepuffs und Slytherins gefallen lassen, ob sie sich wirklich bei dieser Lady hatte entschuldigen müssen. Tonya Rattler meinte einmal gehässig:

"Na, selbst so'n Ölbild ist dir hoffnungslos überlegen, Dawn. Ich hätte mir das nicht gefallen lassen."

"Da bin ich ja froh, daß ich nicht du bin", gab Aurora gehässig grinsend zurück. Tonya, die mit dieser Retourkutsche nicht gerechnet hatte, warf ihr nur einen verächtlichen Blick zu und zog mit ihrem Gespann weiter.

Die Lage im Schloß beruhigte sich auch wieder. Aurora war durch die Sache mit Lady Medea zu noch größerer Berühmtheit gelangt als durch ihr Quidditchspiel gegen Slytherin. Viele fragten sie, wie dieser Zauber ging, mit dem man gemalte Lebewesen in ihr eigenes Bild zurückholen konnte. Flitwick gab Ravenclaw zwanzig Punkte, weil Aurora letztendlich doch eingesehen hatte, daß ihr Sturheit nichts einbrachte, und Dumbledore lächelte immer wieder, wenn er Aurora Dawn oder ihre Mutter ansah.

__________

Als die Quidditchpartie Ravenclaw gegen Gryffindor kurz vor den Osterferien anstand, war der Spuk der von Lady Medea aufgehetzten Bild-Ichs wieder vergessen.

"Die Spieler sind jetzt allle in der Luft. Potter hat den Quaffel, wird unterstützt von Rosina Oaktree, versucht sofort auf das Tor zu werfen. Nein, Leute, Hightowers hat den Quaffel sicher, wirft weit weit ins Feld. Dawn übernimmt. Dawn fliegt vor. Hui, Klatschereinsatz von Crocker, macht heute sein vorletztes Spiel! Mann, kann die manövrieren! Dawn immer noch mit dem Quaffel zum Tor unterwegs, wirft ab! Gehalten!"

Aurora flog sofort wieder zurück, wartete auf den Abschlag vom Gryffindor-Tor. Anders als gegen die Slytherins konnte sie hier freier aufspielen. Doch das brachte ihr und ihren Kameraden nichts ein. Denn wenn James Potter den Quaffel bekam, brannte es lichterloh im Torraum der Ravenclaws. In den ersten zehn Minuten mußte Hightowers viermal hinter sich greifen, um den Ball hinter den Ringen zurückzuholen. Wütend drosch er den roten Ball so heftig ins Feld zurück, daß er fast Marion Witt vom Besen gefeuert hätte. Diese verfehlte den Quaffel. Wieder bekam James Potter den roten Spielball. Selbst eine Klatscherdoppelsalve konnte ihn nicht davon abhalten, wieder auf Kelvin Hightowers' Tor zuzufliegen und durch zwei schnelle Täuschungen den baumlangen Hüter so abzulenken, daß er den Quaffel durch den linken Ring werfen konnte.

"Wir schreiben die fünfzehnte Spielminute, und es steht schon sechzig zu null für Gryffindor", verkündete Lograft, der wieder den Stadionsprecher machte. "Das heißt aber keineswegs, daß die Jungs und Mädels aus Ravenclaw nicht mitspielen, Ladies and Gentlemen. Jetzt gerade wieder hat Norman Wayne den Quaffel. Hinter ihm fliegt Boulder, einer der Treiber. Wayne rückt vor das Tor! Potter!"

James Potter hatte sich wie ein Raubvogel genau zwischen Norman und die Torringe gestürzt und schnappte den Quaffel im Flug weg. Sofort ging der Schulsprecher zum Gegenangriff über, startete durch und versuchte, den roten Ball im Ravenclaw-Tor zu versenken. Doch Aurora Dawn kreiste um ihn herum, immer wilder, wechselte dabei jedoch andauernd Höhe und Geschwindigkeit, damit James keinen Rhythmus finden konnte. Er riss den Besen hoch und jagte im Rosselini-Raketenaufstieg aufwärts, um etwa zehn Meter über Aurora den Quaffel abzuwerfen. Dabei kam er nur knapp unter einem ihm geltenden Klatscher durch. Kelvin pflückte zwar den geworfenen Ball herunter, bekam ihn jedoch postwendend durch den Mittleren Ring, als er ihn etwas zu eifrig abwarf und der Ball von Rosina kunstfertig zurückgeprällt wurde.

Nach zwanzig Minuten sah es so aus, als könne Karin Meridies den Schnatz fangen. Das würde den Ravenclaws, die durch Tore von Aurora und Marion wenigstens dreißig Punkte geholt hatten einen akzeptabeln Rückstand von nur zwanzig Punkten einbringen. Doch Karin wurde von beiden Klatschern voll erwischt, als sie auf Höhe des Gryffindor-Tores den kleinen goldenen Ball zu fassen versuchte. Sie stürzte vom Besen, der gegen eine Torstange krachte und zersplitterte. Aurora sah der Kameradin nach. Sie flog unkontrolliert dahin, so heftig packte sie die Angst, selbst abzustürzen. Dabei verpaßte sie den Quaffel, den ihr Norman noch zugeworfen hatte. Ein schneller Fallbremszauber von drei Lehrern gleichzeitig federte Karins Aufprall ab. Doch in der von Kelvin geforderten Auszeit kam heraus, daß Karin eine schwere Gehirnerschütterung abgekriegt hatte und mindestens eine Woche im Krankenflügel bleiben mußte. Das hieß, daß die Ravenclaws nun ohne Stammsucher auskommen mußten. Denn die Regeln besagten, daß bei Verletzung eines Spielers nicht ausgewechselt werden durfte. Allerdings behalfen sich die Ravenclaws damit, daß Norman Wayne die Sucherposition einnahm und sie mit nur zwei Jägern weiterspielten. Doch das führte nur dazu, daß bei Erreichen der vollen Stunde Spielzeit ein schier uneinholbarer Vorsprung der Gryffindors von mehr als vierhundert Punkten bestand. Die Slytherins buhten wild. Denn für sie war nun jeder Pokaltraum geplatzt. Als dann noch Gryffindors Sucher Dewdrop den Schnatz genau unter Normans Nase wegschnappte stand es fest. Wollten die Hufflepuffs noch vom Pokal träumen, mußten sie Gryffindor mit mehr als fünfhundert Punkten Vorsprung schlagen. Doch das, so wußten es alle, würde wohl nur am dreißigsten Februar gelingen.

"Wir haben den Pokal! Wir haben den Pokal!" Sangen die Gryffindors bereits, während die Slytherins laut buhten und pfiffen. Die Hufflepuffs schwiegen betreten. Die Ravenclaws klatschten nur höflichen Beifall für die Mühen ihrer Spieler.

"Damit dürfte es nur noch eine Frage der Endstände sein, mit wievielen Punkten Gryffindor den Pokal wieder gewinnen wird", verkündete der Stadionsprecher. Aurora blickte sich um, wie die Hauslehrer das hinnahmen. Professor McGonagall strahlte über ihr ganzes Gesicht. Professor Sprout wiegte nur den Kopf. Professor Flitwick nickte nur hin und wieder. Offenbar mußte er eingestehen, daß bei dieser Supermannschaft von Gryffindor ein Pokalgewinn sehr unwahrscheinlich gewesen war. Professor Bitterling knirschte sichtbar mit den Zähnen. Sie sah erst ihre Kollegin McGonagall an und dann Flitwick. Sie schien Flitwick was zu fragen. Dieser antwortete ihr etwas. Doch das verbesserte Professor Bitterlings Laune kein Stückchen.

Die Anhänger der Gryffindors stürmten das Feld und gratulierten ihrer Mannschaft. Allen war klar, daß der Pokal schon ihren Namen tragen würde. Kelvin Hightowers gratulierte Rosina Oaktree zum Sieg. James Potter, der von glücklichen Gratulanten umzingelt war, winkte hinauf zum Zuschauerraum. Aurora sah hinauf in ein hellgrünes Augenpaar unter leuchtendrotem Haarschopf.

"Das lag nicht an dir, Aurora", sagte Petula Woodlane, die zusammen mit Miriam und Mortimer runtergekommen war. "Daß wir überhaupt fünfzig Punkte geholt haben hast du doch geschafft. Zwei Tore direkt geschossen und eins vorgelegt. Immerhin kein kompletter Reinfall."

"Das mit Karin hätte nicht passieren dürfen", seufzte Aurora.

"Ja, Norman war nicht so gut als Sucher. Aber wir mußten ja einen Sucher haben", sagte Marion Witt, die sich gerade von ihren Gratulanten abgesetzt hatte.

"Im nächsten Jahr sind Potter und Oaktree nicht mehr dabei. Dann holen wir uns den Pott", verhieß Mortimer Swift sehr zuversichtlich. Aurora mußte lächeln. Immerhin hatten sie lange gespielt und nicht schlecht ausgesehen. Die Gryffindors hätten ja auch mit über tausend Punkten gewinnen können.

"Zumindest haben die Slytherins jetzt ihr Maul gestopft gekriegt. Gryffindor fährt die Kiste jetzt ein. Wären ja schön blöd, wenn die das noch im letzten Spiel vermurksen würden", sagte Mortimer noch. Aurora nickte und fragte, wo Dina und die beiden anderen Jungen abgeblieben waren.

"Komm, die beiden zanken sich um ein Fußballspiel, daß heute läuft, und Dina versucht, sie davon abzubringen. Könnte sein, daß sie Roy bekehren will, weil sie sich in ihn verguckt hat", grinste Mortimer.

"Findest du?" Fragte Aurora Dawn schmunzelnd.

"Alles ist drin, keiner kuckt rinn", sang Mortimer nur.

Nach dem Spiel gratulierten noch Erica Fielding, Priscilla Woodlane und Cynthia Flowers Aurora Dawn zu ihrem Spiel. Dann kam noch Doris Wiffle zusammen mit Eunice Armstrong und Joan Austin herüber.

"Bruster hat für das hier doch keinen Sinn", grummelte Doris. "Wir wollten euch auch gratulieren, weil ihr die Slytherins rausgekegelt habt. Dann haben James und Lily zumindest noch was schönes, bevor sie hier abgehen."

"Ich denke, nicht einmal Lady Medea könnte deinen Bruder dazu zwingen, Fußball sausen zu lassen", lachte Aurora. Joan Austin sagte dazu nur:

"Fußball. Das ist 'n Sport?"

"Nur für echte Muggel", bemerkte Eunice dazu nur.

"Man sieht sich dann vielleicht mal wieder in der Bibliothek", wünschte Doris noch und zog mit ihren Hauskameradinnen ab.

"Hättest du dumme Göre nicht mehr aufpassen können? Dieser Potter ist doch nur so überheblich, weil keiner ihn ernsthaft abhält", knurrte Tonya Rattler, als Aurora Dawn auf dem Weg zum Schloß an einem Pulk Slytherins vorbeiging. Sie überhörte das einfach und betrat die Eingangshalle.

Die Feier der Gryffindors nach dem haushohen Sieg zog sich in die tiefe Nacht hinein. Petula grummelte einmal in ihr Kissen, ob McGonagall die nicht endlich ruhigstellen konnte. Doch es dauerte bis ein Uhr, bis man aus dem Gryffindor-Turm nichts mehr hören konnte.

__________

Es war in der letzten Woche vor den Osterferien. Der Frühling lockte bereits die Sonne hinter den schweren grauen Wolken heraus. Doch es war noch immer sehr kalt, wenn die Schüler zur Kräuterkundestunde aus dem Schloß gingen. Doch die ersten Blumen streckten schon ihre bunten Köpfe aus der Erde.

Am Donnerstagmorgen saßen die Ravenclaws am Tisch und frühstückten. Da kamen die üblichen Posteulen in einem riesigen Schwarm durch die Fenster und Eingangstür herein, flatterten über den Tischen und suchten die Empfänger ihrer mitgebrachten Postsendungen. Viele trugen Zeitungen mit sich herum, die sie Abonenten zustellen mußten. Aurora Sah ihre Eule Ducky anfliegen, die einen Brief ihrer Tante June mitbrachte. Sie hörte jedoch, wie erst Totenstille und dann betroffenes Raunen einsetzte. Als sie dann einen verzweifelten Aufschrei vom Ravenclaw-Tisch hörte, schrak sie hoch und sah Amalia Hopfkirch, die kreidebleich und mit weit aufgerissenen Augen einen Brief anstarrte, den sie mit immer stärker zitternden Händen hielt.

"Was ist passiert?" Flüsterte Aurora Petula zu. Diese winkte ihrer Schwester, ihr mal eben den Tagespropheten rüberzureichen. Als Aurora die Zaubererzeitung in der Hand hielt, sah sie ein Familienfoto. Sie erkannte Amalia Hopfkirch sofort darauf, wie sie zwischen einer Hexe und einem Zauberer stand und die Betrachter anstrahlte. Darunter stand in großen schwarzen Lettern:

"DER, DESSEN NAME NICHT GENANNT WERDEN DARF; ERMORDET ANGESEHENE ZAUBERERFAMILIE!"

Aurora erstarrte. Dann las sie den dazugehörigen Artikel.

"In den frühen Abendstunden des vergangenen Mittwochs kam es auf dem Anwesen der Familie Jerimias Hopfkirchs und seiner Frau Antigone zu einem Überfall dessen, dessen Name nicht genannt werden darf. Mit zwanzig seiner Getreuen, sogenannten Todessern, die wie üblich vermummt auftraten, griff er um acht Uhr abends das Haus der Hofpkirchs bei Glocester an. Nach einem kurzen Zauberergefecht gelang es ihm und seinen Handlangern, die Eheleute Hopfkirch zu töten. Sie plünderten das Haus und legten es danach in Schutt und Asche. Durch das dunkle Mal, welches sie an den Himmel beschworen, wurden nicht nur die Streitkräfte des Aurorencorps, sondern auch die Ordnungshüter der Muggel aufmerksam. Alastor Moody, der zusammen mit seinen Kollegen das angegriffene Haus als erster erreichte, gab unseren Reportern keine Auskunft darüber, weshalb jener, dessen Name nicht genannt werden darf, ausgerechnet die angesehene Familie Hopfkirch angegriffen hat. Jerimias und Antigone Hopfkirch hinterlassen eine sechzehnjährige Tochter, die zur Zeit Hogwarts, die Schule für Hexerei und Zauberei besucht. Unsere Anteilnahme gilt dieser jungen Schülerin und ihren Verwandten. Die gesamte Zaubererwelt stellt sich die bange Frage: Was können wir tun, um sicher vor solchen Anschlägen zu sein? Zaubereiministerin Bagnold nahm zu dieser Frage in ihrem Pressezimmer im Zaubereiministerium Stellung. Das vollständige Interview lesen Sie bitte auf den Seiten 2 bis 4! Eine Stellungnahme von Patrokles Balder vom Aurorencorps lesen Sie bitte auf den Seiten 5 bis 7! Welche Auswirkungen die Anschläge von Sie-wissen-schon-wem bisher haben lesen Sie auf den Seiten 10 bis 14!"

Aurora hatte keine Lust, irgendwelche Stellungnahmen zu lesen. Ihr Magen hatte sich heftig verkrampft. Ihr Herz pochte wild, und auf ihrer Stirn stand der kalte Schweiß. Augenblicklich sah sie die Bilder vom zweiten Weihnachtstag vor sich und hörte das hämische Lachen der verkleideten und maskierten Verbrecher, die das Waldhäuschen ihres Onkels Dustin stürmten. Sie hörte den Fluch "Avada Kedavra", dem ein gleißender grüner Blitz mit lautem Sirren folgte und sah ihren Onkel Dustin übergangslos umfallen. Sie hatte entkommen können, zusammen mit ihren Eltern, ihrer Tante Ellen, ihrem Vetter Oscar und ihren Großeltern. Doch was wäre passiert, wenn ihr Vater sie nicht rechtzeitig gewarnt hätte? Und jetzt hatten sie Amalias Eltern umgebracht, wohl einfach so. Was trieb diese Verbrecher dazu, einfach Leute umzubringen? Mit welcher Rechtfertigung mordeten sie unschuldige Hexen und Zauberer? Was gab diesem unnennbaren Hexer die Macht, Angst und Schrecken verbreiten zu können?

Amalia Hopfkirch weinte als Aurora Dawn sie wieder ansah. Sie heulte hemmungslos, ihre Würde völlig vergessend, ungeachtet aller Schüler und Lehrer in der großen Halle.

"Scheißtyp!" Fluchte Roy Fielding. "Was gibt dem das Recht, Leute abzumurksen?"

"Weiß ich auch nicht", seufzte Aurora. Obwohl in den letzten Monaten immer wieder von Angriffen auf Zaubererfamilien berichtet worden war hatte sich niemand daran gewöhnt, sowas in der Zeitung zu lesen. Um so heftiger wirkte es, wenn es unmittelbar Leute traf, die man kannte. Aurora konnte sich noch zu gut an die Tage danach erinnern. Man hatte sie bemitleidet, aufzumuntern versucht und verspottet. Das würde nun auch Amalia Hopfkirch bevorstehen. Was sollte sie nun sagen? Sollte sie überhaupt was sagen? Sie wartete.

"Er ist die Pest", fauchte Miriam Swann. "Er suhlt sich drin, daß er jeden einfach umbringen kann, wann er es will."

"Die sind wahnsinnig", sagte Aurora Dawn. "Als die uns Weihnachten angegriffen haben waren die total gehässig. Was immer er vorhat, wir kriegen es erst mit, wenn es passiert", resignierte Aurora Dawn.

"Macht den Typen doch platt. Wer andere Leute wie beiläufig killt gehört gehängt, geköpft oder gevierteilt", fauchte Roy Fielding. "In Amerika setzen die so einen entweder auf den elektrischen Stuhl oder sperren den in eine geschlossene Irrenanstalt ein."

"Ja, aber wir sind nicht in Amerika", warf Mortimer ein. "Und wenn wir ihn umbringen würden wären wir ja nicht besser als er."

"Achso, dann darf der einfach weiter irgendwelche Leute umbringen?" Zischte Roy Fielding sichtlich wütend.

"Er darf es nicht", sagte Mortimer.

"Morty, wenn man ihn läßt, dann darf er das auch. Sonst würde man den doch schon längst in eine Ecke treiben und Bumm!" Wußte Roy noch nachzulegen. "Der ist doch sowas von krank. Wenn man das nicht heilen kann muß er eben weg vom Fenster."

"Leute, das ist nicht unser Ding, uns drüber zu zanken, was mit ihr-wißt-schon-wem passieren soll. Dem ist das völlig schnurz", wandte Petula Woodlane ein, die rechts neben Aurora Dawn saß.

Dumbledore und Flitwick kamen persönlich an den Tisch der Ravenclaws und drückten der von Voldemorts Grausamkeit heimgesuchten Vertrauensschülerin ihr Beileid aus. Dann führten sie sie aus der Halle.

"Wo gehen die jetzt hin?" Fragte Roy ängstlich.

"Denkst du, die geht heute zum Unterricht?" Gab Bruster gehässig zurück. "Die werden sie wohl bis Ferienanfang krank schreiben. Oder würdest du so cool weiterlernen, wenn es deine Eltern oder deine Schwester erwischen würde?"

"Mal den Teufel nicht an die Wand!" Warf Petula ein. Mortimer nickte. Dieser Zeitungsartikel und der Brief für Amalia hatten es allen wieder einmal gezeigt, daß jeden Tag einer von ihnen so eine Nachricht kriegen konnte. Solange der dunkle Hexer weiterhin hemmungslos dreinschlug war niemand hier davor sicher, Familienangehörige zu verlieren oder das nächste Jahr nicht mehr zu erleben. Aurora blickte sich um. Die Slytherins hatten wohl den Artikel mit ihrer üblichen Überheblichkeit abgetan. Die Rattlers sahen nur immer wieder zum Ravenclaw-Tisch hinüber. Offenbar wollten sie wissen, wie die Freunde von Amalia das wegsteckten, daß sie nun Vollwaise war.

"Na klar, die Geschwister Klotz mit Dutteln grinsen wieder so breit wie ein Kühlergrill", kommentierte Roy Fielding das Verhalten der Rattlers.

Als Dumbledore alleine zurückkehrte klatschte er in die Hände und sagte:

"Miss Hopfkirch wurde zunächst in Madame Pomfreys Obhut gegeben. Sie wird wahrscheinlich vorzeitig in die Ferien fahren. Es ist nie hinzunehmen, was derzeit in der Zaubererwelt vor sich geht. Wir dürfen nur nicht den Fehler machen, uns auf das Niveau jener fehlgeleiteten Hexen und Zauberer herabzulassen, die uns allen sowas antun. Unsere Stärke sind die Anteilnahme, der Zusammenhalt und die Ehrfurcht vor dem Leben. Wir kennen den Schmerz des Verlustes, aber auch die Freude der tiefen Verbundenheit. Das alles geht Voldemort völlig ab, wie sich leider immer wieder erweist. Er mag denken, sein Terror gebe ihm die Zaubererwelt in die Hand. Doch er wird sich damit verrechnen. Wir hier sollen uns nicht davon abschrecken lassen, Verantwortung und Mitgefühl zu zeigen und Vernunft und Zusammenhalt über alle Versuchungen der Machtier und der Todesangst zu stellen. Denn so werden wir es sein, die ihn bezwingen. Ja, jemanden zu verlieren, den man geliebt hat ist schmerzhaft und unverzeihlich, wenn es durch einen Mord passiert. Doch wir müssen denen, die uns ebenfalls lieben immer zeigen, daß wir mitfühlende Wesen sind, die atmen, denken, lieben und leiden können und nicht durch Haß und Angst zu Sklaven böser Absichten verkommen. Miss Hopfkirch wird wohl vorher schon in die Ferien fahren. Für euch andere gilt: Geht weiter in den Unterricht. Gebt euch nicht auf, nur weil Voldemort euch Angst und Verzweiflung ins Herz treibt. Ihr müßt das loswerden, euch sagen, daß niemand das Recht hat, euer Leben zu zerstören und mit aller Kraft weiterleben. Damit helft ihr nicht nur euch selbst, sondern ehrt die, die er aus niedrigen Beweggründen ermordet hat. So, und jetzt macht euch fertig für den Unterricht!"

Außer dann, wenn Dumbledore den Namen Voldemort erwähnte, womit er immer wieder einen kurzen Moment des Schreckens auslöste, saßen die Schüler sehr ruhig auf ihren Stühlen. Dumbledores Stimme strahlte eine warme, unversiegende Kraft aus, der sich niemand entziehen konnte. Jeder überließ sich dieser Stärke, nahm die gesagten Worte in sein oder ihr Herz auf. Der Schulleiter stand ruhig aber so aufrecht wie möglich in der Halle und sah immer wieder zu den Tischen hinüber.

Die Schüler warteten noch eine Minute. Dann standen sie schweigend auf und verließen die Halle.

Die Ravenclaws erfuhren noch am selben Tag, daß Amalias Tante Mafalda sie abholte. Offenbar hatte sie nun, wo ihr Bruder und ihre Schwägerin ermordet worden waren das Sorgerecht für Amalia, solange sie noch nicht volljährig war.

Darius Cale, ihr Freund aus Hufflepuff, besuchte sie einmal kurz im Krankenflügel, bevor sie abreiste. Von Cynthia erfuhr Aurora Dawn einen Tag später, daß Darius wohl in den Ferien zu Amalia hinfahren würde. Offenbar lief da zwischen den beiden doch mehr als nur Kameradschaft.

Im Kräuterkundeunterricht ließ Tonya Rattler mal wieder eine böse Bemerkung zu Aurora Dawns Familie fallen. Sie sagte: "Offenbar mußte der erst die Hopfkirchs abfertigen. Jetzt kann er wieder kucken, wer ihm mal durch die Lappen gegangen ist, was Dawn?"

"Kann sein", sagte Aurora mit aufgesetzter Gelassenheit. "Kann ja auch seinn, daß er alle die umbringen wird, die so tun als wären sie auf seiner Seite. Bist du dir so sicher, daß du den wirklich so toll finden kannst, wenn es deine Eltern erwischt? Lass mich und alle anderen also mit diesem völlig abartigen Getue in Ruhe!"

"Uuuhuhuuuu, das kleine Mädchen zeigt Krallen!" Utzte Tonya. Das war aber etwas zu laut. Professor Sprout kam herüber und knallte ihr mal eben fünfzig Punkte Abzug für Slytherin um die Ohren. Danach war Ruhe. Roy Fielding beglückwünschte Aurora Dawn nach der Stunde.

"Gut gemacht, Mädel! Die meint einfach, sie könnte sich alles rausnehmen, nur weil die so'n Klotz ist und mit diesem Schniefelus Snape rumhängt. Wurde Zeit, daß die kapiert, daß nicht jeder von ihr beeindruckt ist."

"Dieses Mädchen ist und bleibt einfach nur blöd, Roy. Ich denke nicht, daß die es irgendwann kapiert, was sie für dummes Zeug daherredet. Aber bei den Vorbildern ja kein Wunder", schickte Aurora Dawn eine abfällige Bemerkung über Tonya zurück.

"Ich hoffe stark, daß wir in den Ferien nicht von dieser Pestbeule Voldemort angegriffen werden", sagte Roy. Aurora verzog zwar das Gesicht, weil er den dunklen Hexer beim Namen nannte, aber sie nickte zustimmend.

__________

Der Rest der Woche vor den Ferien verlief zum Glück ohne weitere schlimme Ereignisse. Tonya hatte es einstweilen aufgegeben, Aurora Dawn einzuschüchtern, zumal fünfzig Punkte Abzug für Slytherin ihr nicht gerade Zustimmung ihrer Kameraden eintrug. Aurora Dawn hingegen holte in Kräuterkunde und Zaubertränken alleine fünfzig Punkte. Dina schaffte es, zwanzig Punkte in Bitterlings Zaubertrankunterricht zu holen. Roy und Bruster schafften sogar fünf Punkte für Ravenclaw, was nicht zuletzt an Aurora und Dina lag, die den beiden gut unter die Arme gegriffen hatten.

Die Stimmung bei der Abreise mit dem Hogwarts-Express war etwas trüber als vor Ferien üblich. Denn alle wußten zu gut, daß sie nur hier in Hogwarts sicher vor heimtückischen Überfällen des dunklen Lords waren. So war es auch nicht verwunderlich, daß zwei Drittel aller Schüler lieber in den Mauern von Hogwarts bleiben wollten. Aurora, Petula, Erica und Roy Fielding, sowie Bruster und Doris Wiffle gehörten zu denen, die in den Ferien nach Hause fuhren. Sie teilten sich ein Zugabteil weit ab von einem Wagon, der ausschließlich von Slytherins bevölkert wurde. Da der Zug nun sehr leer war, konnten sie sich weit ab von Tonya und ihrer Bande niederlassen und in Ruhe über das sprechen, was sie in den Ferien tun wollten. Aurora Dawn würde mit ihren Eltern die Quidditchpartie Wimbledon Woodchucks gegen die Newcastle Nightmares anschauen. Petula und ihre Schwester würden einen kurzen Ausflug in die schweizer Alpen machen. Erica und Roy würden mit ihren Eltern eine Kreuzfahrt auf dem Mittelmeer machen. Da ihre Eltern beide für eine erfolgreiche Kreuzfahrtreederei arbeiteten, bekamen sie einmal im Jahr stark verbilligten Urlaub für die Familie spendiert. Erica sagte nur:

"Da werden wir uns richtig erholen. Die ZAG-Vorbereitungen können mir erst einmal gestohlen bleiben."

"Zumindest haben die da Kurzwellenradio. Dann kann ich zumindest die Fußballnachrichten hören", sagte Roy.

"Ja, wenn die Roten hoffnungslos im Abstiegssumpf stecken", feixte Bruster.

"Was macht ihr denn so?" Fragte Aurora Doris.

"Ich wurde von Joan eingeladen, ihre Familie in Devonshire zu besuchen. Mum hat schon mit Mrs. Austin gesprochen. Dad wollte eigentlich haben, daß wir mit ihm seine Schwester Shanon in Florida besuchen. Aber Mum meinte, daß wir doch in der Zaubererwelt besser zurechtkämen."

"Na klar, wenn du Dad auch gleich schreibst, daß ein supergemeiner Zauberer herumläuft meint der, uns bloß aus der Zaubererwelt raushalten zu können. Ist schon besser, wenn wir nicht in Amerika rumeiern. Da gibt's keinen richtigen Fußball. Ich hörte vor kurzem davon, daß da so'n Operettenclub namens Cosmos New York den Beckenbauer verpflichtet hat. Aber der bringt den Amis auch keinen anständigen Fußball bei."

"Hast recht, Bruster. Die haben keinen Dunst vom Fußball", sagte Roy. Dies war eine der kostbar seltenen Gelegenheiten, wo sich die beiden Jungs bei diesem Thema völlig einig waren.

"Tja, so macht jeder, was er oder sie gerne tut", sagte Erica Fielding.

Als der Zug im Bahnhof Kings Cross einlief konnte Aurora eine Gruppe von Zauberern sehen, die genau vor dem Eisentor lauerten, durch das man vom Bahnsteig 9 3/4 auf den Bahnsteig 9 wechseln konnte. Petula konnte drei zierliche Hexen sehen, die unauffällig zusammenstanden.

"Ach, die müssen den Bahnsteig wieder absichern. Offenbar hat der Unnennbare wieder einen Angriff versucht oder noch vor."

"Nicht schon wieder", grummelte Roy Fielding, dem Weihnachten vor einem Jahr schon gereicht hatte.

"Die drei Hexen da gehören zur Aurorentruppe. Die ranghöchste ist Bellona Dodger. Die beiden anderen sind die Cousinen Wilma Jason und Lutricia Clover. Meine Mum war mit den beiden jüngeren zusammen in derselben Klasse von Hogwarts."

"Wo da?" Fragte Roy Fielding.

"Lutricia war eine Gryffindor, Wilma eine Ravenclaw", erklärte Petula.

"Ich will nur hoffen,d aß wir hier ohne Probleme wegkommen", sprach Aurora einen sie umtreibenden Gedanken laut aus.

Tatsächlich erwies sich alleine die Anwesenheit der Strafverfolgungszauberer als ausreichend, die in die Ferien gereisten Schüler ohne Zwischenfall vom für Muggel unbetretbaren Gleis herunterzubekommen. Als Aurora sich von Petula, den Fieldings und Wiffles verabschiedete, wünschten sie sich alle schöne und vor allem ruhige Ferientage. Dann klappte das große Tor auf, und Aurora ging mit ihren Eltern hinüber in die hektische Muggelwelt.

Vom Gasthaus zum tropfenden Kessel aus reisten sie mit Flohpulver zurück in das Landhaus der Dawns, wo Aurora sofort diverse Umbauten auffielen.

"Oma Regan hat das angeregt, Schutzräume einzubauen, die uns verbergen können, wenn wir angegriffen werden. Zudem wurde das ganze Haus mit Brandschutzzaubern ausgestattet.

"Es ist schon schlimm, daß unbescholtene Hexen und Zauberer sich ein eigenes Gefängnis bauen müssen, in das sie sich einsperren, weil draußen mordlüsterne Dunkelmagier herumstrolchen", sagte Regina Dawn. "Anders ging's aber wohl nicht, was Hugo?"

"Ich bin froh, daß ihr beide wieder da seid, Regie", sagte Auroras Vater.

Während des gemütlichen Abendessens besprachen sie das überstandene Dritteljahr. Regina erwähnte auch die Sache mit Lady Medea.

"Ach, und deine Klassenkameraden haben versucht, ihr Residenzbild abzunehmen?" Lachte Hugo Dawn. "Klar, daß die dann zu drastischen Maßnahmen greift. Gut, daß ich mit dieser Frau nie Krach hatte, selbst wenn sie nur gemalt ist. Aber es ist schön, daß du dich gut in die Quidditchmannschaft eingefügt hast. Das macht mir richtig Freude, wieder einen mit dem Namen Dawn im Ravenclaw-Aufgebot zu wissen."

"Ich finde das auch schön", sagte Regina Dawn. Dann rückte sie mit etwas heraus, was sie bis dahin vor ihrem Mann und ihrer Tochter verborgen gehalten hatte.

"Ich möchte euch beiden schon jetzt ankündigen, daß ich in diesem Schuljahr in Hogwarts aufhöre. Ich möchte doch in die Abteilung für magischen Personenverkehr. Das Angebot von Tony Priestley stand noch, und ich werde ein wenig mehr von der Welt sehen."

Aurora traten plötzlich Tränen in die Augen. Ihre Mutter sah sie verdutzt an. Dann fragte sie:

"Was macht dich da so traurig, Kind?"

"Das du dann nicht mehr in Hogwarts bist, Mum. Nach dem ganzen Schrecklichen von Du-weißt-schon-wem war ich immer froh, daß wir beiden in Hogwarts sind, bei Dumbledore", schniefte Aurora.

"Kind, ich lasse mich doch nicht gleich umbringen, nur weil ich im nächsten Jahr nicht mehr in Hogwarts bin", lachte Regina Dawn. Auroras Vater lachte auch und sagte:

"Was immer er von Onkel Dustin wollte, er wollte es nicht von uns. Seine Spießgesellen haben nur versucht, alle herumstehenden Leute zu töten. Aber seitdem wir alles in die Zeitung gesetzt haben und Dustins Geheimprojekt doch ein Erfolg wurde hat er uns in Ruhe gelassen. Aber wo wirst du dann genau arbeiten, Regina. Wirklich im Apparitionstestbüro?"

"Genau da werde ich mich dann aufhalten. Kann dir also passieren, Aurora, daß du irgendwann in der sechsten Klasse mal zu mir kommst und von mir geprüft wirst, ob du die Erlaubnis zum Apparieren kriegen kannst. Und Hugo, dir könnte es mal passieren, daß du wegen lange nicht mehr geübter Apparition eine Überprüfung über dich ergehen lassen mußt."

"Da mache ich mir keinen Kopf, Regina. Ich hätte ja dann gute Beziehungen", gab Hugo Dawn lächelnd zurück.

"In jedem Fall mußt du nicht traurig sein, wenn ich nicht mehr in Hogwarts bin, Kind", sagte Auroras Mutter zuversichtlich lächelnd. "Vielleicht ist das sogar gut für dich, wenn die anderen dich nicht immer auf mich ansprechen. Das Leben bringt eben gewisse Veränderungen."

"Ja, hoffentlich zahlen die vom Ministerium auch mehr als Hogwarts", warf Auroras Vater ein.

"Das muß ich noch mit Tony aushandeln", grinste Mrs. Dawn. "Die Tatsache, daß ich elf Jahre Lang Arithmantiklehrerin war dürfte mir eine gewisse Grundlage für aussichtsreiche Zugeständnisse bieten."

"Wie du meinst, Regie", stimmte Hugo Dawn seiner Frau zu.

Nach dem langen und ausgiebigen Gespräch zwischen Eltern und Tochter zogen sie sich in ihre Schlafzimmer zurück. Aurora war es etwas mulmig, als sie durch die massive Tür schritt, die im Falle eines Angriffs zu einer betonharten Wand zusammenwuchs, während der Raum mit einem magisch verborgenen Raum den Platz tauschte, der dann völlig leer wäre, wenn jemand die Wand vor der Tür einreißen würde. Doch nach Weihnachten und der Sache mit Amalias Familie war sie doch froh, daß ihre Eltern was getan hatten, um das Haus zu sichern. Sie legte sich ins Bett und schlief bald ein.

ENDE

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