SCHÜLER UND LEHRER

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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Was bisher geschah

"Das unterschreiben Sie mir aber, daß Sie damit einverstanden sind", schnaubte Madame Faucon dem sehr verkniffen dreinschauenden Zauberer entgegen, der mit seiner Frau in ihrem Salon saß.

"Sonst ist mit Ihnen wohl nicht zu reden", schnarrte der angesprochene verbittert zurück. Madame Faucon nickte sehr entschieden und deutete auf das zwischen ihnen stehende Tintenfaß, aus dem eine Schreibfeder ragte wie ein Mangrovenbaum aus dem Sumpf einer tropischen Flußmündung. Der Zauberer warf seiner Frau einen Blick zu. Diese nickte auch, jedoch schwerfällig, als müsse sie aufpassen, daß ihr Kopf dabei nicht vom Hals abfiel. So nahm er die Feder und zielte auf das von Madame Faucon mit einem Finger bezeichnete Feld auf einem bereitliegenden Pergament. Die gestrenge Hexe, die heute einen neuen Lebensabschnitt beginnen würde, ergänzte ihre entschlossene Aufforderung noch mit der Feststellung: "Bedenken Sie, daß ich laut Schulregeln nicht dazu verpflichtet werden kann und ich die außergewöhnlichen Umstände berücksichtige!" Der Besucher grummelte nur. Dann unterzeichnete er das Pergamentstück. Seine Frau seufzte mit einer Mischung aus Erleichterung und Ungewißheit. Madame Faucon bedankte sich für das Entgegenkommen ihrer Besucher und sprach die Hoffnung aus, daß sie drei es nicht bereuen mochten.

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"Dürft ihr nur von Millemerveilles aus nach Beauxbatons?" fragte Martha Andrews, die ihren Kopf zu ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter in den Kamin geschickt hatte. Julius überlegte kurz und antwortete dann: "Ich bin zwar schon einmal von hier aus nach Beauxbatons rübergeflogen, Mum. Es heißt zwar, daß Kinder von da abreisen sollten, wo deren Eltern wohnen. Aber bei Volljährigen wüßte ich nicht, ob die nicht auch von woanders losreisen. Millie wurde zumindest nicht aufgefordert, zu ihren Eltern rüberzuflohpulvern." Die erwähnte nickte bestätigend. "Die in Beauxbatons wollen nur, daß die angemeldeten Schüler da ankommen. Von wo aus die mit der Sphäre abgehen ist der Schulleitung egal." Der Kopf seiner Mutter bewegte sich einmal vor und zurück.

"Dann begleite ich eben Catherine und Joe, wenn sie Babette zum Ausgangskreis bringen", sagte Martha Andrews. Julius fühlte, daß sie ihm, obwohl sie es nicht wollte, damit einen stillen Vorwurf machte, daß sie ihn nicht mehr zur Schule bringen durfte. Dann fiel ihm ein, wie unsinnig der Gedanke war. Denn wo er noch nach Hogwarts gegangen war hatte sie ihn ja auch nicht bis auf Gleis 9 3/4 begleiten können. So sagte er noch schnell, daß er Vivianes Beauxbatons-Version schicken würde, wenn er angekommen sei.

"Mit der Goldbrosche haben Sie dir wohl genug für den ersten Tag aufgehalst um deiner Mutter zu sagen, ob du gut angekommen bist. Du wirst dann wohl mit den anderen zuerst übersetzen, weil Blanche die neue Schulleiterin wird, oder?"

"Hmm, daß weiß ich jetzt nicht, Mum. Das ist für mich komplettes Neuland", wandte Julius ein. Millie meinte dazu: "Wir könnten auch mit Professeur Fourmier rüberfliegen. Die wohnt ja auch hier." Martha Andrews schien zu überlegen. Dann bewegte sich ihr Kopf wieder zum Nicken. Julius vermutete, daß Professeur Faucon wohl früher übersetzen würde, um den Schlüssel zum Tor von Beauxbatons und die Schulleiterräume zu übernehmen. Martha und Millie nickten beipflichtend. Julius meinte dann noch: "Ich weiß nicht, wie die das mit den Wohnräumen der Schulleitung machen. Die müssen die ja erst noch auf Normalmaße zurückbauen. Blanche Faucon ist ja doch ein wenig kürzer als ich und wird bestimmt nicht an einer Kloschüssel hochklettern, die bald so hoch ist wie sie selbst."

"Das muß dich wohl nicht kümmern, mein Sohn", erwiderte Martha Andrews. Julius nickte. Doch weil er ja als wohl einziger Schüler die Wohnräume Madame Maximes kennengelernt hatte, interessierte ihn das natürlich. Das mußte seine Mutter zumindest einsehen.

"Jedenfalls wünsche ich euch beiden ein friedliches Schuljahr, nicht so turbulent wie das letzte", gab Martha ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter noch mit auf den Weg. Mildrid Latierre wiegte ihren Kopf, daß ihr schulterlanger, rotblonder Schopf eine fließende Pendelbewegung vollführte und erwiderte: "Hängt davon ab, was Bernadette Lavalette passiert ist und ob die mir deshalb das Jahr vermurksen will oder nicht."

"Ihr werdet das schon hinkriegen", meinte ihre Schwiegermutter dazu nur. Dann verabschiedete sie sich von Millie und Julius. Mit leisem Plopp verschwand ihr Kopf aus dem Kamin.

"Wetten das Ma auch noch durchguckt und wissen will, ob wir beiden nicht doch von Paris aus losreisen wollen?" Fragte Millie ihren Mann anblickend. Dieser zuckte jedoch nur die Schultern und grinste nur.

"Ich hab' dir's doch gesagt, daß mir das zu gefährlich ist, mit einer Latierre zu wetten", meinte er noch. Doch diese Wette hätte er gewinnen können. Denn bis zum Abreisezeitpunkt ließ sich weder Albericus Latierre noch seine Frau Hippolyte mit dem Kopf im Kamin sehen.

Es war echt ein Unterschied, ob sie mit den Händen ihre Koffer packen mußten oder mit dem einfach aussehenden, doch große Konzentration fordernden Pack-Zauber alles nötige in die großen Koffer hineinfliegen ließen. Millie meinte einmal zu Julius: "Paß auf, daß du meine Unterwäsche nicht mit zu dir reinzauberst! Würde in Beaux viel blödes Gerede geben."

"Wo wir's davon haben, Mamille. Sollen wir die Unterwäsche aus der großen Truhe mitnehmen oder hierlassen?"

"Du meinst wegen der Armbänder?" Fragte Millie und deutete auf das silberne Armband am rechten Handgelenk, das dem glich, das Julius trug. Er nickte bejahend. "Wenn wir's bei Madame Rossignol anmelden geht's vielleicht. Aber wir wollten ja mit der wegen dem reden, was Venus' Vater uns erzählt hat. Oder wolltest du das so weiterlaufen lassen wie bisher?"

"Ich habe lange überlegt, Mamille. Ich finde, jetzt, wo Blanche Faucon die neue Schulleiterin wird, könnten ruhig auch neue Regeln eingeführt werden. wie die genau aussehen sollten wir dann mit Madame Rossignol direkt bereden, vielleicht sogar in der Konferenz besprechen. Ich habe nämlich keine Lust, wem auch immer von meinen Leuten diese Kiste mit den Bettpfannen aufzubinden, wo ich weiß, daß das nicht gemacht werden darf. Dann hätte ich ja gleich ins Kloster gehen können und arglosen Bauern was vom bösen Teufel aus der Hölle predigen können."

"Abgesehen davon, daß du mit diesem billigen Betschmuck bestimmt nix gegen Hallitti oder Bokanowski hättest machen können hättest du in 'ner Kutte bestimmt zu süß ausgesehen, als daß die Mädels dich in so einem Spaßbremserhaus hätten verkümmern lassen. Außerdem hättest du mit deinem Zaubertalent irgendwann irgendwas angerichtet, was den Brüdern eine Riesenangst vor dir gemacht hätte. Da bist du in Beaux und bei mir besser aufgehoben. Aber noch mal zu den besonderen Klamotten, die die Leute uns geschenkt haben, denen du letzten Sommer geholfen hast. Mitnehmen oder hierlassen?"

"Könnte Madame Rossignol einfallen, die einzuziehen, wenn wir die mitnehmen", meinte Julius. Millie grummelte verdrossen, nickte aber.

"Dann heben wir uns eben bis Weihnachten füreinander auf. Direkt zusammen ist ja auch wesentlich schöner." Julius nickte ihr zustimmend zu.

Kurz vor sechs Uhr schlossen Mildrid und Julius Latierre die Haustür von außen ab. Sie verschwand scheinbar im großen, runden, orangeroten Körper des Hauses, das sie beide von den Einwohnern Millemerveilles geschenkt bekommen hatten. Es sah von außen aus wie ein großer, pflückreifer Apfel, dessen Stiel grün in der Mitte des Daches herausragte. Das runde Haus und ein weitläufiges, kreisförmiges Grundstück, waren die weithin erkennbaren Zeichen der Dankbarkeit, die die neuen Nachbarn äußerten, weil Millie und Julius mitgeholfen hatten, die Gefahr des übermächtigen Lord Voldemort zu bannen. Zwar wußten es nur sehr wenige Leute, was genau Julius getan hatte, um die von Voldemort alias Tom Riddle erweckten Schlangenkrieger zu stoppen. Doch im wesentlichen dankten sie ihm alle, weil durch ihn seine Mutter nach Millemerveilles gekommen war und bei der Abwehr der anstürmenden Kreaturen gute Organisationsarbeit geleistet hatte. Sie standen noch einige Minuten vor dem Apfelhaus. Denn sie wollten genau eine Minute vor sechs Uhr an der grünen Kreisfläche sein. Es fehlten noch drei Minuten bis dahin. Julius dachte an das letzte Jahr, was da so alles passiert war. Er dachte an die Herrschaft von Janus Didier und seinem treuen Helfer Sebastian Pétain, der sich am Ende als Spion einer Gruppe Muggel hassender Zauberer entpuppt hatte. Er dachte an Dolores Umbridge, die seine Freunde fast den Dementoren vorgeworfen hätte. Er fühlte sich sehr stolz, dieses krötenartige Weib hinter Gitter geschickt zu haben. Er dachte an die Entomanthropen und Schlangenkrieger, die Reise nach Australien, weshalb er dort für unbestimmte Zeit besser nicht wieder hinreisen sollte, die Himmelsburg der Vogelmenschen und die Vernichtung der Schlangenmenschen. Die Bilder von der Schlacht von Hogwarts spukten ihm durch den Kopf. Er sah den grausamen Hexenmeister Voldemort unter seinem zurückprallenden Todesfluch niederstürzen. In seiner alten Heimat wurden seitdem die Helfer des Massenmörders gejagt und abgeurteilt. Er, Julius Latierre, hatte sein Leben mehr als einmal riskiert, um jetzt auf eine neue, friedliche zeit hoffen zu dürfen. Doch außer den unmittelbar beteiligten und für ihn verantwortlichen durfte es keiner wissen. Darin unterschied er sich von Harry Potter, der am Ende seinem Erzfeind gegenübergetreten war und vor den Augen seiner Mitschüler triumphiert hatte. Er prüfte noch einmal, ob die goldene, kreisrunde Brosche richtig an seinem Umhang steckte. Auf ihr Stand: "Saalsprecher Saal Grün, M. Julius Latierre" Millie hatte ihre goldene Brosche auch sichtbar an ihrer blaßblauen Schulmädchenbluse befestigt. Sie beide würden gleich in die volle Verantwortung der Saalsprecher eintreten. Julius hoffte, daß er diese zusätzliche Bürde schultern und tragen konnte.

"Jetzt ist es gleich eins vor sechs, Monju", wisperte Millie. Julius nickte. Er ergriff seinen weinroten Koffer, an dem sein Ganymed 10 in einem gepolsterten Futteral und eine Reisetasche befestigt waren. Mit der rechten Hand hob er den Zauberstab, der ihn nun in das sechste Schuljahr begleiten sollte. Millie hatte auch ihren großen Koffer, an dem außer ihrem Besen auch noch eine geräumige Handtasche hing vom Boden gehoben. Auch sie hob ihren Zauberstab aus Kirschbaumholz an. "Du zuerst, Monju", sagte sie bestimmend. Julius nickte und konzentrierte sich auf den Platz, an dem Beauxbatons-Schüler ankamen und abreisten, die in Millemerveilles wohnten. Er stellte sich die Schirmblattbüsche vor, die die grüne Kreisfläche umgaben und wünschte sich, mit seinem Gepäck dort zu sein. Dann machte er eine schnelle Drehung auf der Stelle und fühlte unvermittelt, wie er in einem alle Körperstellen zusammendrückenden schwarzen Etwas steckte, das ihm die Luft aus den Lungen, die Augen in die Höhlen und die Trommelfelle in die Ohren zu pressen drohte. Doch es dauerte nur einen Augenblick, da ließ der übermenschliche Druck von ihm ab. Um ihn herum erschien ein großer Platz, auf dem meterhohe Büsche mit weit ausladenden, tellerartigen Blättern standen. Er hörte Stimmen hinter den Büschen. Er trat einige Schritte vor, um seine Beine zu fühlen. Er hatte es geschafft, mit dem Koffer und allem darin und daran zu apparieren. Er war stolz, diese magische Kunst endlich anwenden zu können. Da ploppte es vier schritte rechts hinter ihm. Er wandte seinen Kopf um und sah mit erleichterung, daß seine Frau vollständig an diesem Ort eingetroffen war.

"Die alle sind schon am Kreis", sagte Millie und deutete auf den Durchgang zwischen den Büschen. Julius nickte und setzte sich in Bewegung.

"Fast vor Toresschluß", meinte Geneviève Dumas, die am äußeren Rand des Kreises stand. Ihre Tochter Sandrine stand mit den anderen Mitschülern schon im Kreis selbst. Im Mittelpunkt der grünen Fläche wartete eine spindeldürre Hexe mit spinnenartig wirkenden Armen und Beinen. Sie hatte dunkelblondes Haar und trug einen wallenden, hellblauen Umhang. Auf der breiten Nase ritt eine Brille mit spiegelnden, bläulich schimmernden Gläsern, hinter denen, wie Julius wußte, graublaue Augen ganz normal in die Gegend blickten. Also war wirklich Professeur Fourmier für die Abreise der Schüler aus Millemerveilles zuständig. Hieß das, daß Professeur Faucon schon in Beauxbatons war?

"Ein bißchen früher wäre auch nicht so verkehrt", begrüßte die im Kreiszentrum stehende Lehrerin, deren Fach die Pflege magischer Tierwesen war. Millie und Julius nickten zustimmend. Doch da sie noch in der Zeit waren beließ es die dünne Hexe bei dieser leichten Ermahnung.

"Immer so, daß die die den kürzesten Weg nehmen können als letzte kommen", schnarrte Jacques Lumière, der etwas neidvoll auf den hochgewachsenen Mitschüler blickte. Natürlich wußten es hier alle, daß die jungen Eheleute Latierre die Apparierprüfung bestanden hatten.

"Madame Maxime und Professeur Faucon erwarten uns bereits in der Akademie. Ich wurde angewiesen, die übliche Reihenfolge der Anreisenden einzuhalten. Daher werden wir nun als erste aufbrechen", sagte Professeur Fourmier. Die Eltern der minderjährigen Schüler verabschiedeten sich noch rasch von ihren Kindern, aber auch von Julius und Millie. Die beiden konnten Camille und Florymont Dusoleil auf der anderen Seite des Kreises erkennen. Womöglich hätten die beiden sich gerne noch in Ruhe verabschiedet. Doch jetzt war es zu spät. Die Eltern traten zügig aus dem Kreis heraus. Julius sah alle zwanzig neuen Erstklässler aus Millemerveilles, darunter Monsieur Pierres Enkelsohn Bauduin und Monsieur Charpentiers jüngste Tochter Valerie, von denen seine Mutter erzählt hatte, sie seien bei ihrem Rechenunterricht sehr gelehrig gewesen. Als Professeur Fourmier sich mit einem Rundblick von der Vollzähligkeit der mitzunehmenden Schüler überzeugt hatte, hob sie den Zauberstab und vollführte mehrere Drehbewegungen, wobei sie unverständliche Wörter murmelte, bis eine rotgoldene Lichtfontäne aus dem Zauberstab emporschoß, weit über den Köpfen der im Kreis stehenden zu einer sonnenuntergangsroten Kuppel wurde und dann alle einschloß. Einen Augenblick später schwebten sie alle im Inneren einer leuchtenden Kugelschale. Wenige Sekunden später kehrte die Schwerkraft zurück und ließ viele stolpern. Die Kugel wurde wieder zur Kuppel und stürzte oben auseinanderklaffend um sie herum in den Boden. Sie standen nun in einer roten Kreisfläche. Das war der Ankunftskreis von Beauxbatons. Sie waren am Ziel.

Julius sah die drei Meter große Frau mit dem schwarzen Haarschopf, die die Ankömmlinge erwartete. Neben ihr stand eine Hexe im mauvefarbenen Umhang, die ebenfalls tiefschwarzes Haar besaß und die Anreisenden mit saphirblauen Augen musterte. Also war Madame Maxime, die eigentlich auf ihre reinrassig riesische Tante Meglamora aufpassen sollte, doch noch einmal nach Beauxbatons gekommen. Julius fragte sich, ob alles wieder umgestoßen worden sei und Madame Maxime weiterhin ... Doch er hatte doch einen Brief von ihr gelesen, daß sie wirklich und wahrhaftig ihre Stellung als Schulleiterin von Beauxbatons abtrat. Außerdem hatte es in den Zaubererzeitungen gestanden. Wäre das alles wieder umgestoßen worden, hätten der Miroir Magique und die Temps de Liberté sicher noch heute auf Seite eins darüber berichtet. Dann erkannte Julius, was sie hier noch wollte.

"Bitte zügig aus dem Ausgangskreis treten!" Befahl die Halbriesin, mit der Julius drei Monate seines Lebens verbracht hatte. Die Schüler wunderten sich wohl. Denn sie dachten wohl wie er, daß Olympe Maxime hier nicht mehr das Kommando führte. Dennoch folgten sie alle der Anweisung. So wurde der Kreis frei für die Mitschüler und Lehrer aus den anderen größeren Regionen. Als die Leute aus Nizza eintrafen, erkannte Julius unter ihnen einen altgedienten Zauberer mit dunkelbraunem Vollbart und Haarkranz. Also fand doch eine Neuordnung statt. Denn das war Monsieur Phoebus Delamontagne, der für Professeur Faucon den Unterricht in Abwehr schädlicher Zauber übernehmen sollte. Das würde sicher noch spannend, weil Delamontagne als Gegenminister und Mitglied der Liga gegen die dunklen Künste einiges erlebt hatte und einer der wenigen war, denen Julius die vier alten Zauber beigebracht hatte, die er im letzten Jahr in der vergessenen Stadt von den unsterblichen, körperlosen Erzmagiern des alten Reiches erlernt hatte. Würde Delamontagne diese Zauber an andere weitergeben, wenn er jetzt als Lehrer angestellt war? Fühlte sich Phoebus Delamontagne vielleicht von Blanche Faucon überrumpelt und gesellschaftlich erniedrigt? Julius wollte nicht zu lange darüber nachgrübeln. Denn nun traf die Gruppe aus Straßburg an der französisch-deutschen Grenze ein.

Als er die gut genährt aussehende Junghexe Laurentine Hellersdorf sah, winkte diese ihm zu. Auch sie trug eine Saalsprecherinnenbrosche, allerdings die silberne der Stellvertreterin. Neben Laurentine stand eine erwachsene Hexe mit seidigglattem, schwarzem Haar. Sie trug einen veilchenblauen Umhang und blickte auf drei schwarzhaarige Kinder, Zwillingsbrüder und ein Mädchen, das deren Schwester sein mußte. Vom Gesicht her ähnelte das Mädchen der schwarzhaarigen Hexe. Nur die Augen glichen nicht.

"Huch, hat die noch Kinder im Schulalter?" Raunte Jacques Lumière, der mit Sandrine Dumas und Caroline Renard bei Julius geblieben war.

"Drei auf einen Wurf", meinte Julius. "Die müßten so zwölf oder dreizehn sein."

"Drillinge?" Entfuhr es Caro. "Heftig. Aber das deren Mann und Vater die nach Frankreich gelassen hat." Julius schluckte es gerade so noch hinunter, Caro zu erzählen, daß der Vater der Drillinge von Umbridges Leuten ermordet worden war. Doch da kamen Laurentine und die anderen aus Straßburg zu ihnen herüber.

Als die Abordnung aus Calais eintraf konnte Julius die bereits wie erwachsen aussehende Belisama Lagrange mit einer goldenen Saalsprecherinnenbrosche erkennen. Doch was Laurentine, Millie und Julius am heftigsten überraschte war der Junge, der kerzengerade aufgerichtet in der Nähe der Arithmantiklehrerin Professeur Laplace stand. Laurentine stupste Julius an.

"Das ist doch Gaston", zischte sie. "Ich dachte, der wäre für alle zeiten aus Beaux raus."

"Offenbar haben die eine Sonderregel gefunden oder sowas", vermutete Julius leicht alarmiert. Gaston Perignon war im letzten Jahr für Didier eingetreten und hatte sich offen gegen Madame Maxime gestellt, als diese von Didier zum Rücktritt aufgefordert worden war. Erst hatte sie ihn zwei Klassen zurückgestuft. Dann hatte er jedoch gemeint, sie mit einem Zauber angreifen zu müssen und war im hohen Bogen von der Akademie geflogen. Normalerweise hieß das für jeden, daß die Zaubereiausbildung erledigt war. Das Gaston nun wieder mit Leuten aus seiner Heimatstadt anreiste konnte nur heißen, daß man die besonderen Umstände seines Rauswurfs berücksichtigt hatte oder sein Rauswurf für ungültig erklärt worden war und er eben im neuen Schuljahr wieder weiterlernen durfte. Nicht nur Laurentine und Julius wunderten sich über Gastons unangekündigte Rückkehr. Raunen und Tuscheln verriet, daß auch die anderen bereits eingetroffenen Schüler darüber debattierten, warum Gaston wieder da war.

"Na, Laurentine, da könntest du doch noch anknüpfen, wo du beim letzten Mal aufgehört hast", feixte Caroline Renard.

"Der Typ ist für mich erledigt, egal ob der wieder herkommen durfte oder nicht", schnarrte Laurentine verdrossen.

"Wenn jetzt noch Hercules mit denen aus Paris ankommt könnte ich meinen, das letzte Jahr nur geträumt zu haben", scherzte Julius. Millie knuffte ihm dafür in die Seite. Dann deutete sie auf die beiden neuen Lehrer und meinte, daß die dann wohl jetzt nicht da wären.

Hercules Moulin kam jedoch nicht mit der Abordnung aus Paris. Céline Dornier und ihre Schwester Constance führten die jüngeren Verwandten von Mildrid aus dem Kreis. Julius konnte seine beiden Schwiegertanten Patricia und Mayette sehen. Mayette blickte sich neugierig um. Für sie war es das allererste Mal, daß sie die so oft erwähnte Schule sah, in die ihre Eltern und ihre älteren Halbgeschwister gegangen waren. Tja, und da sah Julius noch ein Mädchen mit schwarzen Haaren, die diesmal nicht zu Kleinmädchenzöpfen gebunden waren, sondern als Schopf mit hinter dem Nacken von einer Silberspange zusammengehalten frisiert waren. Sie blickte aus saphirblauen Augen auf das Schulgebäude und betrachtete die Hexe in Mauve, die den Blick flüchtig erwiderte. Professeur Faucons Enkelin Babette würde ab heute hier lernen.

"Neh, das glaube ich nicht", knurrte Gérard Laplace, als er Gaston Perignon sah. "Haben die den Idioten noch mal hier reingelassen?"

"Werden wir noch mitkriegen", erwiederte Julius so gelassen er konnte.

"Wenn der das ZAG-Jahr wiederholen darf hat Königin Blanche aber ein Problem mit der Disziplin", meinte Gérard. "Oder glaubst du, daß dann noch wer echt Angst vor dem Rauswurf kriegt?"

"Warten wir mal ab, was passiert", grummelte Julius. Er fragte sich, ob Gaston nicht aus dem letzten Jahr gelernt hatte. Immerhin hatte Madame Maxime seinen Zauberstab zerbrochen. Falls er hier wieder lernen durfte, hatten seine Eltern ihm einen neuen Zauberstab besorgen müssen. Die hatten ihm dann sicher die richtigen Ratschläge für den Neuanfang mitgegeben. Er sah sich Gaston an. Der wirkte trotzig wie einer, dem sie hier alle nichts konnten. Demut oder Reue sah dann wohl doch anders aus, fand Julius.

"Mesdames, Mesdemoiselles und Messieurs", begann die Halbriesin laut und vernehmlich. Das Raunen und Tuscheln erstarb. "Alle diejenigen, die mit mir mindestens ein Jahr an dieser hochehrwürdigen Akademie verbracht haben wundern sich gewiß, warum ich heute noch einmal vor Sie alle hintrete, wo es doch offiziell vermeldet wurde, daß ich meine bisherigen Obliegenheiten mit Zustimmung der Schulräte abtreten möchte, um mich einer zeitlich unbefristeten Aufgabe zu widmen, die nur ich übernehmen kann." Zustimmendes Nicken fast aller Schüler war die stumme Antwort. "Nun, es gehört sich seit Gründung der ehrwürdigen Akademie, daß bei der Übergabe des höchstrespektablen Amtes, diese erhabene Lehranstalt zu leiten, die Übergabe als solches vor den Toren des Palastes unter freiem Himmel und in Anwesenheit des gesamten Lehrkörpers, sowie aller angereisten Schüler zu erfolgen hat." Julius fragte sich, warum das nicht in der Schulchronik stand. "Es handelt sich dabei nicht um ein verbrieftes, schriftlich niedergelegtes Procedere. Dennoch gilt es seit der Generation nach der der Gründer als würdig und angemessen, den aus allen Ämtern verabschiedeten Schulleiter oder die Schulleiterin vor dem offiziellen Beginn eines neuen Schuljahres die Ehre zu erweisen", sagte Madame Maxime und straffte sich. Julius vermeinte, es in ihren Augen zucken zu sehen, als wolle sie aufkommende Tränen zurückhalten. "Ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht. Auch haben viele Schulräte mich inständig gebeten, mir genau zu überlegen, ob ich wirklich diesen Schritt tun möchte. Doch ich muß die seit mehr als dreißig Jahren ausgeübte Tätigkeit als Direktrice der Beauxbatons-Akademie für französischsprachige Hexen und Zauberer aufgeben, um einer unerwarteten Verpflichtung nachzukommen, die ich vor meinem Gewissen nicht zurückweisen konnte. Wie Sie wohl alle erfahren haben wird meine hochrespektable Kollegin Madame Blanche Faucon die ehrenvolle wie verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen, die Geschicke der Beauxbatons-Akademie zu leiten und wie wir beide sehr zuversichtlich hoffen, das Ansehen und den Erfolg dieser Lehranstalt mehren und Sie alle durch die kommenden Jahre führen, bis Sie, wenn sie die Regeln und Anforderungen dieser Lehranstalt befolgen, mit einem ansehnlichen Abschluß von hier abgehen." Alle blickten zunächst zu ihr und dann zu Gaston, der sie trotzig ansah. Doch sie schien das nicht zu bemerken. Sie sprach weiter: "So frage ich nun Sie, werte Kollegin Blanche Faucon, ob Sie willens und bereit sind, die Schlüssel von Beauxbatons von mir anzunehmen und ihre Last zu tragen, bis der Tag kommt, an dem Sie befinden, sie einem würdigen Nachfolger weitergeben zu dürfen." Professeur Faucon trat vor und rief weithin hörbar:

"Ich bin bereit, Madame Maxime!"

"So empfangen Sie nun von mir die Schlüssel von Beauxbatons, auf daß Sie diese große Schule weiterhin als Hort und Herd von Wissen und Kunst, Verstand und Erfahrung erhalten und erweitern mögen!" Damit griff die Halbriesin in eine Außentasche ihres dunkelblauen Seidenumhangs und holte ein großes, schwarzes Lederetui heraus, aus dem sie einen Bund großer, goldener Schlüssel entnahm. Sie ging in die Knie und bot Etui und Schlüssel der wartenden Kollegin dar. "Hiermit übergebe ich, Olympe Geneviève Laura Maxime, Ihnen, Blanche Faucon, die Schlüssel von Beauxbatons. Herzlichen Glückwunsch, Madame la Directrice Faucon!" Mit diesen Worten wechselte das Schlüsselbund aus der übergroßen Hand der Halbriesin in die schmale Hand der bisherigen Verwandlungslehrerin. Julius vermeinte, ein leichtes Flimmern in der Luft zu sehen, dort wo das Schlüsselbund gerade die Besitzerin wechselte. Womöglich trat ein Zauber in Kraft, der die Amtsübergabe magisch besiegelte. Blanche Faucon hielt die goldenen Schlüssel hoch und antwortete:

"Ich bedanke mich bei Ihnen, meine hochverehrte Vorgängerin. Ich gelobe hiermit, zu jeder Zeit und an jedem Ort das Wohlergehen dieser Schule und der ihr anvertrauten Schülerinnen und Schüler zu achten, zu wahren und zu mehren, den Ruf dieser Lehranstalt nicht mutwillig zu gefährden, sondern ihn nach meinen Möglichkeiten zu mehren, bis ich finde, jemand würdigem mein Amt anzuvertrauen. Ich bedanke mich im Namen von Beauxbatons für alles, was Sie für diese Lehranstalt erreicht haben und im Namen aller Schülerinnen und Schüler, die unter Ihrer besonnenen Führung Wissen und Kenntnisse gewinnen durften, um damit festen Halt in ihrem Leben zu finden." Gaston grinste nun sehr spöttisch. Doch Blanche Faucons saphirblaue Augen blickten ihn sehr entschlossen an. Gaston schien förmlich zusammenzuschrecken. Dann meinte die soeben neu ernannte Schulleiterin noch: "Ich wünsche Ihnen auf Ihrem weiteren Weg durch das Leben Ruhe, Kraft und Gesundheit, sowie das Bewußtsein, über dreißig Schülergenerationen auf einen lohnenden, erfolgreichen Weg in die Zaubererwelt geführt zu haben. Viel Glück, Mademoiselle Maxime!" Fast alle Schüler und Lehrer klatschten. Nur die Neulinge, die gerade mal erst hier angekommen waren, wußten nicht, ob sie nun klatschen oder nur stumm nicken sollten. Gaston blickte Mademoiselle Maxime nach, die mit einem Nicken den Dank und den Abschied erwiderte und dann auf den roten Ausgangskreis zuschritt. Julius sah, wie die Halbriesin mit den Tränen kämpfte. Er verstand, warum sie nun so schnell wie möglich von hier abreisen wollte. Sie trat in den Kreis und murmelte schnell die Wörter für eine Reisesphäre. Als diese entstand und mit ihr mit lautem Knall verschwand, klatschte die neue Schulleiterin in ihre Hände. Es klang nicht so laut wie ein Gewehrschuß, wie Madame Maxime es immer hinbekommen hatte. Doch Julius verschwendete keinen Gedanken daran, daß sie nicht längst in die neue Rolle hineingewachsen war.

"Werte Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich dafür, daß Sie unsere Schülerinnen und Schüler wohlbehalten aus den erholsamen Sommerferien zurückgebracht haben und möchte nun alle, die heute zum allerersten Mal die Räumlichkeiten von Beauxbatons betreten höflich bitten, sich hinter meiner Kollegin, Professeur Fixus, einzureihen und mit ihr den Raum der Auswahl zu betreten, aus dem ich Sie dann in alphabetischer Abfolge einzeln herausrufen werde. - Das gilt auch für den jungen Monsieur Perignon." Gaston hatte sich schon in Bewegung gesetzt, zu den bereits mehr als ein Jahr hier lernenden Schülern zu gehen. Er warf sich herum und blickte die neue Schulleiterin mit einer Mischung aus Verwunderung und verhaltener Verdrossenheit an.

"Ähm, ich weiß doch, an welchem Tisch ich mich hinsetzen muß, Professeur Faucon", sagte er.

"Zum ersten, und das auch für alle anderen, lautet meine Anrede ab heute Madame la Directrice Faucon oder schlicht Madame Faucon, Monsieur Perignon. "Und wenn ich Sie auffordere, den übrigen Neuankömmlingen in Beauxbatons zu folgen, so hat das seinen Grund. Ihre Eltern haben lange und sehr beharrlich darauf hingewirkt, daß Sie nun hier sind. Soll dieser Energieaufwand wertlos sein?" Gaston verstand die Drohung und nickte. Schnell eilte er zu der kleinen, rotbraun gelockten Professeur Fixus hinüber, die ihn schon sehr mißmutig anblickte. Julius zählte die Neuankömmlinge durch, als sie in Dreierreihen hinter der Zaubertranklehrerin Aufstellung nahmen und wie zu einer lautlosen Trommel auf das sieben Meter hohe Portal zumarschierten. Es waren zusammen vierzig Jungen und fünfzig Mädchen. Wer sich vorher schon gekannt hatte blieb zusammen. So lief Babette neben Mayette in einer Dreiergruppe mit Valerie Charpentier, während die drei Kinder der neuen Lehrerin eine Gruppe bildeten. Eine Minute später durften die bereits zugeteilten Schüler Madame Faucon folgen, die sie in den weißen Palast führte. Die Spätsommersonne ließ die Astronomiekuppel auf dem Dach gerade glitzernd.

Julius verabschiedete sich auf dem Weg in den Speisesaal von seiner Frau, Sandrine und Caroline, um mit seinen Kameraden aus dem grasgrünen Saal an den für sie gedeckten, runden tisch zu treten, der mit fünf anderen runden Tischen ein Sechseck bildete. Madame Faucon postierte sich am Lehrertisch, wo Julius den thronartigen breiten und hohen Stuhl vermißte, auf dem vor den Ferien noch Madame Maxime gesessen hatte. Statt seiner stand dort nun ein vergoldeter Stuhl mit weißen Kissen vor Kopf des einzigen rechteckigen Tisches, an dem sich gerade auch die restlichen Lehrer aufstellten. Julius erhaschte einen Blick von der neuen Verwandlungslehrerin, die er kurz vor Ferienende bei der neuen Schulleiterin zu Hause getroffen hatte. Sie lächelte ihm flüchtig zu. Sicher hatte sie sich schon über die UTZ-Schüler erkundigt, dachte Julius. Doch das lächeln war nicht das einer Lehrerin, die sich auf einen hervorragenden Schüler freute, zumal sie nicht garantieren konnte, daß er auch bei ihr im Unterricht sitzen würde. Es war eher das Lächeln einer Frau, die einiges mehr als nur Schulsachen über ihn erfahren hatte.

"Die Saalsprecher setzen sich bitte so, daß sie bei Zuteilung der Erstklässler deren ordnungsgemäße Ankunft an den zugeteilten Tischen sicherstellen", hörte Julius wie durch Kopfhörer Madame Faucons Stimme. Er wunderte sich. Wieso hörte er sie so? Dann fiel ihm auf, das seine goldene Brosche ein wenig vibriert hatte. Das war ihm letztes Jahr nicht passiert. Doch da hatte er ja noch die Silberbrosche getragen.

"Wie macht sie das denn?" Fragte Céline Dornier, die wohl auch die offenbar nur für die Saalsprecher hörbare Anweisung vernommen hatte.

"Hängt wohl an den Broschen und dem Schlüsselbund, Céline. Okay, setzen wir uns parat", sagte Julius und nickte Célines Freund Robert und seinem neuen Stellvertreter Gérard zu, während Céline Laurentine mit schnellen Gesten bedeutete, mit den anderen Mädchen aus der Sechsten eine Reihe zu bilden. Dann nahmen die beiden Goldbroschenträger des grünen Tisches so Platz, daß sie auf den gerade nicht sichtbaren Zugang zum zylindrischen Warteraum blickten. Als sie beide saßen kam der neue Lehrer Delamontagne herüber. Er nickte Céline und Julius zu und sagte: "meine werte Kampfgefährtin und derzeitige Vorgesetzte Madame Faucon hat mir ihre Verantwortung für Ihren Tisch übertragen. ich habe es damals irgendwie hinbekommen, keine Brosche tragen zu müssen. Deshalb weiß ich auch nicht, von wem Sie beide das Zugangswort für Ihren Saal erhalten", sprach er halblaut, während alle am Tisch ihn ansahen, wobei sich die, die ihm den Rücken zukehrten, die Hälse verrenken mußten.

"Die Zettel sollen wir von unserem Saalvorsteher bekommen stand in dem Schreiben. Und zwar wenn wir an unseren Tischen sitzen", bemerkte Julius. Professeur Delamontagne nickte.

"Wieso ist er der neue Vorsteher, Julius. Ich dachte, Professeur Bellart ist die zweitälteste Lehrerin aus dem grünen Saal."

"Monsieur ..., ähm, Professeur Delamontagne ist wohl ein paar Sommer älter als sie. Soweit die Bulletins de Beauxbatons verraten hat immer der älteste Lehrer die Möglichkeit, dem Saal vorzustehen, in dem er früher selbst gewohnt hat. Hoffentlich steckt Professeur Bellart das gut weg, daß man ihr einen Quereinsteiger vor die Nase gesetzt hat."

"Apropos. Die Drei von der neuen, Önieß Dirksong sind doch schon zwölf oder dreizehn. Kommen die dann gleich in die dritte oder fangen die ganz neu an?"

"Die waren ein Jahr in Hogwarts. Wo die letztes Jahr waren weiß ich nicht, weil deren Vater Muggelstämmiger war. Sonst würde ich sagen, die Antwort auf deine Frage sitzt neben dir", erwiderte Julius. Céline musterte ihn mit ihren dunkelgrünen Augen, die einen scharfen Kontrast mit ihrem fast bleichen Gesicht bildeten. Dann grinste sie. "Wenn's nach unserer neuen Schulleiterin gegangen wäre hätte die dich doch gleich eine Klasse über uns einquartiert. Dann könntest du dieses Jahr mit Connie die UTZs machen."

"Da mußte ich doch erst mal bei euch reinwachsen, Céline. Deshalb kam ich zu euch rein und ...", Julius sah den neuen Lehrer vom Tisch zurückkehren. "War ein wenig hektisch, die letzten zwei Tage. Eigentlich wollte die gute Madame Faucon mir Ihre Zettel schon vorgestern gegeben haben, weil sie ja wußte, daß ich ... Hier sind sie", sagte Delamontagne. Er gab Céline und Julius einen Zettel. "Wenn ich das richtig verstehe sind die Zettel mit dem Coincidentius-Zauber belegt, daß nur Träger der Broschen lesen können, was darauf steht", sagte er.

"Ähnlich lief wohl auch die Anweisung ab, uns bereitzuhalten", erwiderte Julius.

"Das stimmt. Betrifft aber dann nur die Goldbroschenträger. Dann bis zum ersten, den unser Saal zugeteilt bekommt!" Professeur Delamontagne kehrte mit weiten Schritten zurück an den Lehrertisch. Madame Faucon erhob sich gerade. Wie bei Madame Maxime erlernt sprangen auch alle anderen von ihren Plätzen auf. Sie klatschte in die Hände. Tatsächlich erstarb alles Raunen und Tuscheln.

"Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Schülerinnen und Schüler. Nachdem ich nun hochoffiziell als Ihre neue Schulleiterin eingesetzt bin ist es mir eine Freude, als erste Amtshandlung die neuen Schülerinnen und Schüler in unserer Mitte willkommen zu heißen und sie ihren künftigen Wohnsälen zuzuteilen. Den Damen und Herren am grasgrünen Tisch möchte ich noch verkünden, daß ich natürlich als Schulleiterin nicht mehr Ihre Belange alleine vertreten kann und deshalb meinen neuen Kollegen und Vertrauten aus der Liga gegen dunkle Künste, Professeur Delamontagne, als durch Lebensalter ausgewiesenen Vorstand Ihres Saales für Ihre Belange zuständig erklärt habe. Schreiten wir nun zur erhabenen Zeremonie der Zuteilung!"

Professeur Fixus keuchte in den Speisesaal. Sie sah ziemlich verärgert aus. Doch sie mied alle fragenden Blicke, machte eine abbittende Geste gegenüber Madame Faucon und setzte sich auf ihren Platz am Lehrertisch.

"Hat die sich mit wem duelliert?" Fragte Jemand am Tisch mit dem himmelblauen Tuch. Schadenfrohe Blicke flogen der Zaubertranklehrerin zu.

"Könnte sein, daß der erste schon Strafpunkte kassiert hat, bevor der am Tisch sitzt", dachte Julius und sah Gastons Bild vor sich. Doch zu sagen wagte er genausowenig wie die anderen. "Zunächst rufe ich, wie es bei Austauschschülern üblich ist, Monsieur Southerland, Cyril aus der nordamerikanischen Thorntails-Akademie herein", begann Madame Faucon. Die Tür ging auf, und ein stämmiger Junge mit rotblondem Haar trat ein, der hellblaue Augen besaß. Er sah die Lehrer am Tisch und nickte den Leuten an den Runden Tischen zu. Die Tür ging hinter ihm wieder zu. "Monsieur Southerland wird für ein Jahr die vierte Klasse besuchen", informierte Madame Faucon die anderen. "Bitte überschreiten Sie jetzt den Teppich, der vor Ihnen liegt!" Der Junge nickte und betrat den Teppich. Er machte einen Schritt. Da verschwanden bis auf Rot und Grün alle farben. Er machte drei weitere Schritte. Da verschwanden alle grünen Anteile des Teppichs. Eine Glocke über dem roten Tisch läutete einmal. Cyril sah zu dem Tisch hinüber, an dem nun alle applaudierten. Die kleine Lehrerin Professeur Fixus kam ihm entgegen und führte ihn in Richtung des roten Tisches. Von dort kam dem Jungen Apollo Arbrenoir entgegen, um den Austauschschüler zu begrüßen. Danach erwähnte Madame Faucon, daß sie nun die Liste der regulären Neuankömmlinge, die dauerhaft hier lernen wollten beginnen würde. "Ich rufe als erstes Albert, Véronique!" Die verborgene Tür öffnete sich wieder, so daß Julius und die anderen in den Warteraum hineinblicken konnten, wo die knapp neunzig Neuankömmlinge fast wie Sardinen in der Dose zusammenstanden. Ein noch ziemlich kleines Mädchen mit haselnußbraunen Locken verließ erleichtert den Warteraum. Julius hatte es sonst immer verwünscht, einen Nachnamen mit A getragen zu haben. Doch das Mädchen war wohl begeistert, die erste zu sein. Madame Faucon deutete auf den sechsfarbigen Teppich, über den die Neue nun laufen sollte. Sie setzte arglos einen Fuß auf das magische Knüpfkunstwerk, worauf alle violetten, blauen und weißen Stellen verschwanden. "Wie 'ne durcheinandergewürfelte Ampel", dachte Julius, als Véronique verdutzt auf den Teppich glotzte, bis Madame Faucon sie ruhig aber unmißverständlich aufforderte, weiterzugehen. Die neue Schülerin tat nun den zweiten Schritt. Nichts passierte. Auch nach dem siebten Schritt blieb der Teppich rot, gelb und grün. Die Schüler an den drei noch möglichen Tischen feuerten sie an, weiterzugehen. Véronique fühlte sich nun wieder mutig genug und tat weitere zwei Schritte. Da verschwanden alle grünen Anteile. Sie wurden von den roten und gelben partien förmlich verschlungen. Erst als die Neue den elften Schritt tat, verschwanden alle gelben Stellen. Über dem kirschroten Tisch erklang die dort aufgehängte Bronzeglocke.

"Eine für Millie", bemerkte Julius zu Céline. "Und Mayette wird ganz sicher auch bei ihr in den Saal reinkommen."

"Die ist wohl Muggelstämmig, weil die so total verdutzt geguckt hat, als der Teppich sich verändert hat", meinte Céline. "Aber mit Mayette wirst du wohl recht haben. Wundere mich nur, daß der Teppich so lange brauchte, um das rauszukriegen, wohin sie ziehen soll." Sie sahen beide, wie Professeur Fixus der ersten neuen Erstklässlerin ein kirschrotes Büchlein in die Hand drückte und sie in Richtung roten Tisch führte, wo bereits Beifall geklatscht wurde. Millie kam Véronique auf halbem Weg entgegen. Julius konnte nun klar vergleichen. Die neue reichte seiner Frau gerade bis zum Bauch. Véronique, durch die ebenfalls kleine Professeur Fixus wohl arglos geworden, schrak einen Moment zurück. Doch Millie lächelte sie freundlich an, legte ihr die rechte Hand auf die Schulter und bat sie wohl, mit ihr zu gehen. Während Julius' Frau die erste neue Mitbewohnerin auf einen freien Stuhl zuführte wurde bereits der nächste Name aufgerufen, "Beauchamp, Fabian!"

Der drahtige Knirps mit den dunkelbraunen Stoppelhaaren landete nach fünf Schritten auf dem Teppich bei den Weißen, nachdem bereits beim ersten Schritt nur noch Gelb und Weiß übrig geblieben war. Weitere fünf Schüler mit einem B-Namen wurden aufgerufen, zwei Jungen und drei Mädchen. Sie landeten in den Sälen Violett, Gelb und Blau.

"Brickston, Babette!" Rief Madame Faucon. Julius wußte nicht, ob er die leise Erregung in ihrer Stimme wirklich hörte oder sie sich nur dazudachte. Denn da kam nun ihre erste Enkeltochter durch die Tür. Sie sah den Teppich und verhielt einen Moment. Dann betrat sie den magischen Bodenschmuck. Weiß, Violett und Gelb verschwanden sofort. Julius feixte leise, daß Madame Faucons Alptraum doch wahrwerden, und Babette zu den Blauen kommen könnte. Céline fragte ihn unter dem rhythmischen Klatschen der Roten und Blauen, was dann passieren würde. Julius mußte einräumen, das nicht zu wissen. So schritt Babette weiter auf dem Teppich dahin. Nach dem fünften Schritt verschwanden die roten Partien. Babette sah ein wenig enttäuscht auf den Boden, während die Roten erkannten, daß sie Madame Faucons Enkeltochter nicht bei sich begrüßen würden. Doch die Blauen, schulweit als die chaotischen, undisziplinierten Leute verschrien, klatschten noch begeisterter und skandierten: "Komm zu uns, den Blauen! Komm zu uns, den Blauen!" Babette machte den nächsten Schritt. Doch der Teppich blieb nun blau und grün. Als sie jedoch den Fuß zum siebten Schritt auf den Teppich setzte, verschlangen die grünen alle himmelblauen Stellen und ließen den Teppich ausschließlich grasgrün werden. Mit lautem Dong bestätigte die Glocke über dem grasgrünen Tisch den Einzug eines neuen Bewohners.

"Dann geh mal, sie abholen", forderte Julius Céline auf. Diese grinste kurz und stand dann ohne Erwiderung auf, um Professeur Delamontagne entgegenzugehen. Julius suchte und fand Madame Faucons Blick. Die neue Direktrice lächelte. Babette war doch keine Blaue geworden. Er winkte Babette zu, als Céline sie auf den Tisch zuführte und auf einen freien Platz setzte. Während dessen wurde bereits "Charpentier, Charles!" aufgerufen. Dieser landete nach nur fünf Schritten bei den Grünen. Julius wartete einige Sekunden. Dann stand er auf und ging Professeur Delamontagne und dem Neuzugang entgegen.

"Hallo Monsieur Charpentier, ich bin Julius Latierre, der hauptamtliche Saalsprecher der Grünen", stellte Julius sich vor, als er den schlachsigen Jungen mit den langen Händen begrüßte, der Ähnlichkeiten mit dem ehemaligen Ratssprecher von Millemerveilles besaß, aber nicht sein Sohn oder Enkel war, weil er dann ja mit aus Millemerveilles herübergekommen wäre.

"Hat mein Onkel bei euch schon gemeint, ich käme entweder zu den Violetten oder euch Grünen rein", sagte Charles, als Professeur Delamontagne sich wieder zu seinem Platz davongemacht hatte.

"Du bist der erste, der bei uns neu reinkommt", sagte Julius. Dann führte er Charles an einen freien Stuhl in der Reihe der Jungen. Pierre Marceau saß zwei Stühle weiter und meinte zu Julius: "Müssen wir jetzt alle Monsieur zu dir sagen?"

"Hat sich nichts wesentliches geändert, Pierre", meinte Julius. Dann kehrte er zu Céline zurück.

"Charpentier, Valerie!" Rief Madame Faucon auf. Julius verglich die Tochter des Dorfratsmitgliedes mit dessen Neffen. Würde sie auch zu den Grünen kommen? Fünf Schritte auf dem Teppich der Farben dauerte es, bis nur noch Violett und Grün übrig waren. Der sechste Schritt brachte die Entscheidung. Die Glocke über dem violetten Tisch läutete.

Die nächsten Schüler landeten bei den Weißen, Gelben und Roten. Gaston wurde also wie alle anderen aufgerufen.

"Dirkson, Esther!" Rief Madame Faucon. Die Tochter der neuen Lehrerin betrat den Saal. "Sie werden wie ihre Geschwister auf Antrag Ihrer Frau Mutter mit der zweiten Klasse beginnen", sagte die Schulleiterin noch. Die neue Schülerin warf einen enttäuschten Blick über den Lehrertisch und suchte den Blick ihrer Mutter, die jedoch mit einer kurzen Abwehrgeste bedeutete, daß Esther sich nicht aufzuregen habe. So betrat das Mädchen den Teppich der Farben. Nach acht Schritten waren noch die Farben Rot, Violett und Grün übrig. Julius fragte sich, ob die neue Lehrerin alle diese Eigenschaften in sich vereinte, oder ob Esthers Vater seinen Anteil dazu beigetragen hatte. Nach Schritt Nummer zehn war der Teppich immer noch dreifarbig. Nach Schritt Nummer elf verschwanden die violetten Stellen. Würde jetzt eintreten, was bisher wohl selten passiert war? Würde der Teppich auch nach dem zwölften Schritt noch keine eindeutige -? Dong! Die Glocke über ihm vertrieb Julius Gedanken. Esther trat von einem gerade grasgrünen Teppich herunter, der sofort wieder sechsfarbig wurde. Céline stand auf und ging ihr entgegen. "Da freut sich Babette, 'ne Saalkameradin zu haben, die auch eine Verwandte im Lehrkörper hat", dachte Julius. Babette stand auf, als Esther von Céline an den Tisch geleitet wurde und bot ihr den Stuhl neben sich an. Céline kehrte somit zu Julius zurück.

"Zwei zu eins, Julius", sagte sie. Julius nickte.

"Dirkson, Horuswurde nun Esthers Drillingsbruder aufgerufen. Dieser betrat den Teppich und ging schnell darauf entlang. Wieder fielen Gelb, Blau und Weiß nach wenigen Schritten aus. Wieder dauerte es bis zum elften Schritt, bis der Teppich nur zweifarbig war, rot und grün. Beim zwölften Schritt erscholl die Glocke über dem roten Tisch. Der baumlange, dunkelhäutige Sechstklässler Apollo Arbrenoir erhob sich und wartete darauf, daß der Neuzugang von Professeur Fixus das kirschrote Regelbuch erhielt und zu ihm geführt wurde. Esther rief verstimmt auf Englisch: "Mensch, warum bist du nicht auch bei mir gelandet?!"

"Mademoiselle Dirkson, die hiesige Sprache ist Französisch. Ihre Frau Mutter bekräftigte, mit Ihnen lange genug geübt zu haben und der Aufnahmetest belegt, daß Sie dieser Sprache mächtig genug sind. Daher muß ich Ihnen bereits fünf Strafpunkte zuerkennen", schnarrte Madame Faucon, wobei sie Französisch sprach. Esther machte nur "Häh?!" Doch mehr traute sie sich nicht.

Als "Dirkson, Lawrence" aufgerufen wurde rief dieser: "Och nöh, nicht wie in Hogwarts. Ich heiße Larry." Zumindest sprach er Französisch. Alle Schüler lachten lauthals. Auch Julius. Die Roten und Blauen klatschten sogar für diesen Einwurf, der die doch ziemlich langwierige Zeremonie etwas auflockerte. "Hier steht aber Lawrence, Monsieur Dirkson", beharrte Madame Faucon auf den richtigen Namen. "Sie sollten mir höflichkeitshalber dankbar sein, ihn korrekt ausgesprochen zu haben. Und jetzt unterziehen Sie sich gütigst der Auswahl!" Tatsächlich brachte auch der dritte Drilling von Eunice Dirkson nach sechs Schritten den Teppich dazu, nur die Farben Violett, Grün und Rot zu zeigen. Auch er brauchte bis zum elften Schritt, bis die Farbe Rot verschwand. Beim zwölften Schritt verschwand dann auch noch alles Grün aus dem Teppich.

"Hübsch verteilt", bemerkte Julius, während Horus und Esther über den Beifall vom violetten Tisch ihr Mißfallen äußerten. "Tust du mir bitte einen Gefallen und fragst Esther nachher, in welchem Haus in Hogwarts sie gewohnt hat?" Wandte sich Julius an Céline.

"Das kannst du sie selbst fragen. Es ist ja nicht verboten, daß Jungen mit Mädchen reden", erwiderte Céline leicht schnippisch. Doch als sie grinste kapierte Julius, daß sie ihn nicht dumm anquatschen wollte, sondern ihm die Gelegenheit bot, mit der aus England zugereisten Mitschülerin über die alte Schule zu reden. So sagte er: "Okay, wenn du ihre Bettgehzeit heute mal vergißt."

"Die kommt in die zweite rein, hat unsere neue Schulleiterin erzählt", sagte Céline. Julius nickte, während "Dorfmann, Hanno" gerade auf den Teppich trat. Er gab sich sehr überlegen, als sei das hier für ihn nur ein einfaches Spiel. Julius war sich nach nun schon drei Jahren in Beauxbatons sicher, Muggelstämmige zu erkennen, die bis zur Einschulung nichts mit der Zaubererwelt zu schaffen hatten. Ihn irritierte auch nicht der deutsch klingende Name. Laurentine war ja das erklärende Beispiel dafür, daß Beauxbatons-Schüler auch Eltern außerhalb Frankreichs hatten. Vier schritte dauerte es, bis Hanno nur noch Grün, Blau und Rot auf dem Teppich unter sich liegen hatte. Doch nach dem fünften Schritt läutete die Glocke über dem grünen Tisch einmal kräftig. Julius stand erneut auf, um den neuen zu begrüßen.

Es kamen noch weitere Schüler, die jedoch nicht im grünen Saal landeten. Mayette Latierre brauchte nur zwei Schritte zu tun, um eindeutig bei den Roten reinzukommen. Millie verbarg ihre Freude nicht, die wesentlich jüngere Tante in ihrem Wohnsaal begrüßen zu dürfen.

Mit "Loisville, Christine" und "Munster, Armgard" bekam der grüne Saal dann doch noch Zuwachs. So waren es jetzt drei Erstklässlerinnen.

Schüler Nummer zweiundfünfzig war "Perignon, Gaston". Der Hereingerufene stürmte förmlich in den Speisesaal. Auch Madame Faucons zur Mäßigung gemahnte Geste bremste ihn nicht ab. So sprach sie sehr energisch, während er wie ein Pirat auf dem Weg auf ein Gold beladenes Schiff den Teppich enterte: "Monsieur Perignon dürfte den bereits im letzten Jahr hier verweilenden Kollegen und Schülern noch bekannt sein. Eigentlich wurde er wegen offenem Ungehorsam in Tateinheit mit magischer Tätlichkeit gegen Madame Maxime der Akademie verwiesen. Da jedoch die Schulräte befunden haben, ihm im Zuge der damals verstörenden Lage in Frankreich eine zweite Chance einräumen zu dürfen, habe ich mich nach schriftlichem Einverständnis seiner Eltern dazu entschlossen, ihn als Schüler der vierten Klasse wieder bei uns aufzunehmen." Gaston hatte bereits fünf Schritte auf dem Teppich zurückgelegt, der noch die Farben Rot, Grün, Blau und Weiß zeigte. Gaston blieb abrupt stehen. "Ähm, ich habe es von meinen Eltern, daß ich das ZAG-Jahr noch mal anfangen darf", schnarrte Gaston, während der Teppich unter ihm zu vibrieren begann.

"Halten Sie mich für altersverwirrt, Monsieur Perignon? Ich erwähnte, daß ich die schriftliche Einverständniserklärung Ihrer Eltern besitze, Sie nur dann in diesen Mauern wieder aufzunehmen, wenn Sie die Klasse besuchen, aus der Sie von meiner Vorgängerin der Schule verwiesen wurden. Es wundert mich sehr, daß Ihre Eltern Sie zum einen nicht über diesen wichtigen Umstand unterrichteten und Ihnen zweitens nicht nahelegten, sich hier wesentlich gesitteter zu betragen als vor ihrem Schulverweis. Eigentlich mußte ich Sie nicht wieder aufnehmen. Und meine hochverehrte Vorgängerin Madame Maxime hätte sich auf keinen Fall dazu bereiterklärt, Sie wieder aufzunehmen. Die Schulregeln sind auf meiner Seite, Monsieur Perignon. Ich komme lediglich den Schulräten entgegen, die Ihr damaliges Verhalten als große Verunsicherung wegen der unser Land bedrückenden Lage eingeschätzt haben. Ich kann meine Entscheidung jedoch auch widerrufen, hier und jetzt. Auch dies haben Ihre Eltern mir schriftlich bestätigt. Entweder Sie nehmen Ihren Besuch an dieser Lehranstalt als Schüler der nun vierten Schulklasse wieder auf oder reisen unverzüglich zu ihren Eltern zurück. Ihren neuerworbenen Zauberstab werde ich dann jedoch hier und vor allen Augen zerstören. Auch dazu habe ich die Berechtigung. Es liegt nun ganz und gar in Ihrem Ermessen, Monsieur Perignon." Gaston verharrte geschlagene fünf Sekunden auf dem Teppich der Farben, dessen verbliebene Muster sich nun scheinbar ungeduldig verschoben und verdrehten. Offenbar mochte es der Teppich nicht, wenn jemand zu lange auf ihm herumstand. Dann sagte Gaston laut und vernehmlich: "Ich habe mit meinem Vater heute Morgen noch 'ne lange Beredung gehabt, daß die Schule mich wieder aufnimmt und ich das Jahr noch Mal neu Machen soll. Der hat nix von vierter Klasse gesagt."

"Sie meinen, Daß Sie das Jahr noch einmal neu beginnen mögen. Damit ist klar und deutlich gemeint, es dort zu beginnen, wo Sie es beendet haben, Monsieur Perignon", berichtigte ihn Madame Faucon. "Wie gesagt, Monsieur, Sie haben es hier und jetzt in der Hand, zu einem vollwertigen Zauberer ausgebildet zu werden oder die gebotene zweite Möglichkeit ungenutzt zu verwerfen. Es steht Ihnen frei, sich mit Ihren Eltern über die Auslegung ihrer und meiner Worte zu verständigen. Sie entscheiden nun, ob Sie dies mit einem Brief von hier aus tun oder gleich wieder zu Ihren Eltern zurückgeschickt werden."

"Minister Grandchapeau wird's Ihnen sagen, daß Sie mich in der Klasse neu anfangen lassen, die ich im letzten Jahr angefangen habe", beharrte Gaston auf seinen Anspruch, das ZAG-Jahr zu wiederholen.

"Zum einen, junger Mann, haben der Minister, die Schulräte und die Schulleitung von Beauxbatons sich in einer Auffrischung des Unterrichtsgestaltungsvertrages darauf verständigt, daß das Ministerium sich nach den Versuchen Didiers nicht noch einmal in die inneren Angelegenheiten von Beauxbatons einmischen wird, sondern nur erfährt, wer neu eingeschult, als fertig ausgebildet oder wegen fortgesetzter Verletzung der Schulregeln vorzeitig entlassen wird. Minister Grandchapeau wird und will mir daher nicht dreinreden, wie ich Schülerinnen und Schüler zu führen habe, solange diesen dabei kein körperlich-seelischer Schaden entsteht. Und die Wiederholung von zwei Schuljahren ist kein heilkundlich akzeptierter Grund für seelischen Schaden. Schüler mit überragenden Talenten können Klassen überspringen. Schüler mit Lernschwierigkeiten oder für die nächste Klassenstufe fehlender Geistesreife können um ein Jahr zurückversetzt oder ganz vom weiteren Besuch dieser Lehranstalt ausgeschlossen werden. Das steht in den Schulregeln, und das wissen sowohl das Ministerium als auch die Schulräte. Ihre Eltern haben sich gestern abend ausführlich mit mir über diese Möglichkeiten unterhalten. Ihr Vater stimmte zu, Sie nur dann wieder aufzunehmen, wenn Sie die Klassenstufe wiederholen, aus der heraus Sie entlassen wurden. In diesem Fall war ich bereits sehr entgegenkommend und habe Jahrgangsstufe statt Klassenstufe angenommen. Dies heißt, daß Sie entweder mit den Damen und Herren der vierten Klasse dem Unterricht folgen oder als unbelehrbar und undankbar diesmal für immer der Akademie verwiesen werden. Beauxbatons ist kein Kinderhort und auch kein Tummelplatz für engstirnige Jungen und Mädchen, die nicht erkennen möchten, welche große Chance ihnen hier geboten wird. Also zum letzten Mal, Monsieur Perignon, damit wir heute noch fertig werden: Nehmen Sie die Bedingung an, zu der Sie Wiederaufnahme finden oder verzichten Sie auf Ihre Ausbildung?"

"Ich fang hier nicht als blöder Viertklässler an und seh zu, wie die, die ein jahr nach mir hier reinkamen vor mir hier rauswandern dürfen. Abgesehen davon gibt es auch andere Schulen. Durmstrang zum Beispiel. Und Hogwarts macht erst am ersten September wieder auf. Noch rechtzeitig genug, um da reinzukommen." Julius schluckte. Gaston wollte nach Durmstrang? Er fühlte es im rechten Arm kribbeln, aufzuzeigen und Sprecherlaubnis zu erbitten.

"Darauf spekulieren Sie. Weil drei Schüler aus Hogwarts nun bei uns eingeschult werden gehen Sie davon aus, einen der freien Plätze in Hogwarts zu besetzen", schnarrte Madame Faucon. "Was glauben Sie, was meine geschätzte Kollegin Professor McGonagall dazu sagen wird, wenn Ihre Eltern Ihre Umschulung dorthin beantragen? Zum einen greift bei Beauxbatons und Hogwarts die Regel, daß dort nur magisch begabte Kinder und Jugendliche aufgenommen werden, deren Erziehungsberechtigte im Einzugsbereich der Schule wohnen und die dort gepflegte Sprache erlernt haben und gut genug in Wort und Schrift beherrschen, um dem Unterricht zu folgen. Das sind bereits zwei unüberwindliche Hürden. Denn Ihre Eltern werden Ihretwegen nicht umziehen, und bis zum ersten September können Sie auch mit magischen Hilfsmitteln nicht schnell genug alles wesentliche erlernen, um dort Aufnahme zu finden. Die Geschwister Dirkson haben im letzten Jahr mit ihrer Mutter drei Sprachen erlernt, weil sie dauernd auf der Flucht vor dem glücklicherweise nun entmachteten Hauptfeind aller redlichen Zauberer waren, darunter auch Französisch. Außerdem lebt und arbeitet ihre Mutter nun in Frankreich, wie Sie alle sehen können. Zum dritten Hinderungsgrund für eine Umschulung nach Hogwarts, Monsieur Perignon: Ihnen wurde von ministerieller Seite nur einmal die Wiederbeschaffung eines Zauberstabes erlaubt, weil eben wegen der letztjährigen Umstände eine einmalige Ausnahme gewährt wurde. Gemäß der internationalen Ausbildungsübereinkunft verliert jeder, der vorzeitig von der Zaubereiausbildung ausgeschlossen wird, das Anrecht, einen Zauberstab zu erwerben, zu besitzen und zu benutzen. Wenn Sie die Frieden bietende Hand von Beauxbatons nicht nur nicht ergreifen, sondern beißen, werde ich, wie vorhin erwähnt, Ihren Zauberstab unbrauchbar machen. Einen dritten Stab werden Sie dann nicht mehr erwerben dürfen. Ohne zauberstab können sie weder nach Hogwarts noch Durmstrang. Was den entscheidenden Hinderungsgrund angeht, weshalb Sie weder in Hogwarts noch in Durmstrang Aufnahme erhoffen dürfen, Monsieur Perignon, so weiß ich im Falle meiner Kollegin McGonagall, daß diese niemanden bei sich aufnimmt, der unehrenhaft vor Abschluß der Ausbildung aus einer anderen Zaubererschule verwiesen wurde. Was Durmstrang angeht, so weiß ich, daß fünf Generationen vor Ihrer Geburt eine Frau ohne Magie Ihren Urahnen, einen halbmuggelstämmigen Zauberer ehelichte. Das reicht den auf Reinblütigkeit versessenen Führern von Durmstrang völlig aus, Sie als nicht völlig reinblütig abzulehnen. Die möchten dort nur Hexen und Zauberer, deren Ahnenlinie über mindestens zwölf Generationen rein magische Vorfahren aufweist. Ich erkenne an, daß Sie diese Alternativen überprüfen wollten und erwarte nun Ihre endgültige Entscheidung. Endgültig, Monsieur Perignon. Das heißt, daß sie ein fortan gültiges Ende nach sich zieht."

Gaston verharrte auf dem Teppich, dessen nun bereits wieder sechs Farbmuster unter ihm herumtanzten, sich drehten, ausdehnten, streckten oder zu ineinander windenden Spiralen verdrehten. Alle hielten den Atem an. Die noch im Warteraum stehenden blickten unsicher und ungeduldig in den Saal hinein, wagten jedoch nicht, unaufgefordert einzutreten. Dann sagte Gaston: "In Ordnung, Sie haben gewonnen. Ich nehme die Bedingung an."

"Dann verlassen Sie den Teppich und kehren Sie zum Anfang zurück, um die Auswahl erneut einzuleiten!" Befahl Madame Faucon. Gaston trollte sich. Er verließ den Farbenteppich und lief an ihm entlang zum Anfang, während sich die sechs Farbmuster wieder beruhigten. Gaston betrat ihn erst, als Madame Faucon ihn noch einmal aufforderte. Gaston ging nun langsam darauf entlang. Erst verschwanden die Farben, die bereits vor der kleinen Auseinandersetzung verschwunden waren. Erst nach dem achten Schritt wurde der Teppich kirschrot. Julius sah es und hörte die Glocke. Professeur Fixus kam zu ihm und führte ihn Apollo entgegen, der für einen Moment ein breites Grinsen bot, bis seine Saalvorsteherin ihn sehr warnend anblickte.

"jedenfalls nicht bei uns", meinte Julius. "Millie freut sich bestimmt."

"Und Apollo erst, Julius. Gaston wird die Bettzeiten der Viertklässler einzuhalten haben. Abgesehen davon, daß die ihn da jetzt schon für total bescheuert halten werden, das Wort Durmstrang laut ausgesprochen zu haben. Da sind ja einige, deren Eltern mit Leuten von ... aber das kann dir Millie erzählen, wenn sie das für richtig hält."

Bauduin Pierre wurde nach fünf Schritten ein neuer Bewohner des violetten Saales. Dann folgten noch mehrere Erstklässler, deren Nachnamen mit P anfingen und einige, deren Familienname mit R begann. Sie alle wurden auf die Säle außer Grün verteilt.

"Richelieu, Jacqueline", war eine sehr neugierig dreinschauende Hexe mit dunkelbraunem, fast schwarzem Har und blaßgrünen Augen. Julius konnte sie nicht recht einordnen. Sie benahm sich nicht ganz muggelstämmig, aber auch nicht so, als habe sie schon viel über Beauxbatons gehört. Sie war mit den Leuten aus Straßburg gekommen wie Laurentine. Nach zehn Schritten, bei denen bis auf Grün und Violett alle Farben nach und nach verschwanden, wurde sie als vierte Erstklässlerin der Grünen eingeläutet.

Mit "Roymont, Patrice", kam ein hellblonder Junge mit hellgrünen Augen in den grasgrünen Saal. Julius war erst erstaunt, einen Jungen zu sehen, bis ihm klar wurde, daß der Vorname Patrice nicht nur als Mädchenname verwendet werden konnte.

Fünf Mädchen wanderten dann noch zu den Gelben, zwei zu den Weißen. Blieben nur noch zwei Jungen. Doch von denen zog je einer zu den Blauen und zu den Violetten. So besaß Saal Grün in der ersten Klasse nun drei Jungen und fünf Mädchen, von denen eines jedoch bei den Zweitklässlerinnen schlafen und lernen würde, also bei Gabrielle Delacour. Er sah die Schwester Fleurs kurz an, bevor er zu seinen Klassenkameraden zurückkehrte. Sie hatte sich in den Ferien noch mehr zur Frau hin entwickelt. Er fühlte diese ihr anhaftende Präsenz. Ja, sie hatte ihre Veela-Aura offenbar entfaltet. Hoffentlich gab es deshalb keinen Ärger mit den Jungs, die sich davon angezogen fühlen würden wie die Wespen von der Marmelade. Würde sie weiterhin mit Pierre gehen, oder ihn als doch zu kleinen Jungen irgendwann ablegen? Er machte sich echt schon gedanken um das laufende Schuljahr, das gerade einmal seit gerade erst etwas mehr als einer Stunde lief. Er wuchs tatsächlich in das große Kleid hinein, daß Beauxbatons ihm übergestreift hatte.

"Hast du diesen Horus Dirksong oder wie die sich aussprechen gesehen, als Gaston meinte, der könnte auch nach Durmstrang rein?" Fragte Robert Deloire, als Julius sich zu seinen Klassenkameraden gesetzt hatte. Julius schüttelte den Kopf. Er hatte nur auf Gaston und Madame Faucon geachtet. "Das war ein Blick, als wollte der Gaston zu Asche verbrennen. Gibt's so'n Zauber?"

"In den Muggelcomics gibt's böse Zauberer und Hexen, die aus ihren Augen Todesstrahlen schießen können", meinte Julius. "Kann es ihm nicht mal verübeln, wenn Horus alles was mit Durmstrang zu tun hat haßt. Sein Vater ist von der Umbridge umgebracht worden, angeblich auf der Flucht nicht anders als mit finalem Zauber zu stoppen, was klar Todesfluch heißt. Ich habe die Urteilsbegründung gehört. Wenn Horus dann noch erzählt bekommen hat, daß in Durmstrang nur muggelfeindliche, schwarze Magier ihre Kinder ausbilden lassen, muß der alles verwünschen, was damit zu tun hat."

"Dann hat Gaston da jetzt einen Feind. Glückwunsch, Gaston", knurrte Gérard.

"Ich hoffe, seine Mutter kriegt das in Horus rein, daß Gaston nur meinte, Madame Faucon aushebeln zu können, bis er merkte, daß sie doch am längeren Hebel saß. Ich weiß, daß die internationale Ausbildungsübereinkunft den Schulen gestattet, jeden abzuweisen, der von einer anderen Schule geflogen ist. Und Professor McGonagall und Madame Faucon sind zu gute Kolleginnen, als daß Gaston und seine Eltern der Honig ums Maul schmieren könnten, um ihn in Hogwarts unterzukriegen. Und die in Durmstrang kriegen demnächst einen Burschen rein, den Hogwarts nicht mehr sehen will. Hmm, ob der offiziell von da verwiesen wurde? Gut, kriege ich wohl nicht mehr raus. Aber jedenfalls warten die da ganz sicher nicht auf wen aus Beauxbatons, der seine alte Schule satt hat. Der müßte die Schulsprache können. Ich vermute mal Russisch, weil da doch viele aus dem Ostblock hingehen."

"Aus dem was?" Fragte Robert.

"'tschuldigung, altes Muggelwort. War ein Kriegsbündnis osteuropäischer Länder, als die von einer angeblich sozialistischen Einparteienregierung geführt wurden. Ist seit Anfang der Neunziger zum Glück geschichte."

"Zum Glück?" Fragte Robert.

"Weil die wie wir hier im Westen Atomwaffen haben, also Bomben, die jede für sich eine Großstadt plattmachen können."

"O Drachenmist", schnarrte Robert. Dann meinte er noch: "Dann wäre Gaston da in Durmstrang voll durch den Rost geplumpst, weil der 'ne Muggelurururoma oder so hat?"

"Positiv. Der wäre nicht mal bis ans Schultor gekommen, wenn die das nachgeprüft hätten", erwiderte Julius.

"Immerhin haben Céline und du dieses Jahr weniger junges Gemüse zu beaufsichtigen. Könnt ihr zwei euch voll auf die Lernerei einstellen."

"Wir haben euch andere auch noch um die Ohren", meinte Julius. Gérard nickte.

"Ich meinte nur, daß das mit der Einführungsrunde nicht so stressig wird wie für die Leute aus dem roten, dem violetten und dem weißen Saal. Und bei den Gelben sind es ja gleich acht frische Mädels, die Sandrine rumführen darf", gab Robert zum besten. Gérard nickte.

"Auf jeden Fall mal was anderes, bei der Willkommensfeier die Leute an den Tisch zu bringen als nur zuzusehen", sagte Julius. Er sah die acht Neuzugänge, Esther, Christine, Armgard, Jacqueline und Babette, Charles, Patrice und Hanno. Heute würde er hochoffiziell die neuen Schüler seines Saales herumführen, zur Bibliothek, zum Büro des Saalvorstehers - das hoffentlich das gleiche war, was vorher von Professeur Faucon besetzt gewesen war - bis zu Madame Rossignols Reich. Sollte er sie schon mal auf die Bettpfannensache ansprechen? Nein, besser war es, wenn Millie und er das machten, wenn sie erst einmal richtig angekommen waren.

Wie an jedem Schuljahresanfang üblich gab es viel zu essen. Doch immer wieder blickten alle zur neuen Schulleiterin hinüber. Viele fragten sich wohl auch, wie die beiden neuen Lehrer sein würden. Professeur Delamontagne besaß ja bereits einen weitreichenden Ruf als Didiers Gegenspieler und Befreier der Friedenslager. Da viele hier Verwandte oder Freunde hatten, die in diesen Lagern eingesperrt gewesen waren war Delamontagne für sie wohl der Held schlechthin. Die wirklich unbekannte war die neue Verwandlungslehrerin Eunice Dirkson, deren Namen Julius seinen Mitschülern beim Essen richtig auszusprechen beibrachte. Wieso hatte sie ihn vorhin so angelächelt, so aufmunternd, erkennend? Er hatte sie nur bei der Gerichtsverhandlung gegen Umbridge gesehen. Das mochte es auch gewesen sein. Sie hatte ja von seinem Auftritt gehört. Das hatte sie ihm doch erzählt, als er sie bei Madame Faucon getroffen hatte. Wie würde er sich mit ihren Kindern hier arrangieren. Denn Saalsprecher mußten nicht ausschließlich auf die geschlechtsgleichen Mitschüler aufpassen oder eingehen. Jedenfalls war Beauxbatons nun was ganz anderes für ihn als vor zwei Monaten noch. Oder meinte er das nur, weil Madame Maxime nicht mehr da war? Ja, wenn er so zum Lehrertisch hinüberblickte wirkte das Bild anders als sonst. Er dachte daran, drei Monate an diesem Tisch gesessen zu haben. Er sah die Lehrer, mit denen er sich über alles mögliche unterhalten hatte. Der Besenfluglehrer Dedalus hatte sich bereits mit Professeur Dirkson in eine Unterhaltung gestürzt. Womöglich spielten die Drillinge Quidditch. Professeur Fourmier plauderte mit Professeur Laplace, und Professeur Delamontagne sprach mit Professeur Fixus. Offenbar wollte die ihm erklären, wie er als neuer Saalvorsteher aufzutreten hatte. Der Kräuterkundelehrer Trifolio schien sich an keiner Unterhaltung zu beteiligen. Womöglich arbeitete er im Kopf gerade an den letzten Feinheiten für die ersten Unterrichtsstunden. Was würde er den Sechstklässlern zeigen? Julius wußte nur, daß Millie, Sandrine und Belisama mit ihm die Kräuterkundestunden weitermachen würden. Was mit seinen anderen Mitschülern war wußte er nicht. Hoffentlich wurde das kein Hahn-im-Korb-Ding, dachte er, vor allem wenn drei der Hexen vor zwei Jahren noch um ihn herumgeschlichen waren und gehofft hatten, er könne was für die eine oder andere empfinden. Gérard wollte mit Kräuterkunde nichts mehr zu tun haben. Robert wollte das Fach weiterbelegen, obgleich er dort nur ein A geschafft hatte, womit Trifolio ihn nicht in seinem Kurs haben wollte. Dann fiel Julius noch ein, daß Millie und er bis jetzt nicht wußten, was mit Bernadette war. Er suchte sie am roten Tisch. Sie saß bei den Fünftklässlern. Das sollte er noch klären. Jedenfalls bildeten Millie, Caro und Leonie einen Dreierblock, und dann kamen schon die Fünftklässlerinnen. Hatte doch was für sich, die Plätze nach Klassenstufe zu ordnen. Früher war ihm das zu knöchern, überreguliert und unspaßig vorgekommen. In Hogwarts hatten sie sich alle so setzen können wie sie gerade sitzen wollten.

Nach dem Abendessen berührte Madame Faucon ihren Kelch mit dem Zauberstab, worauf ein raumfüllender, sphärischer Ton erklang. Alle stellten das leise Tuscheln ein. Auch eine Möglichkeit, Ruhe herzustellen, dachte Julius. Dann sprach sie für alle gut genug hörbar, was wohl auch den Teppichen und den Vorhängen zu verdanken war, die störende Echos schluckten.

"messieursdames et Mesdemoiselles, ich möchte noch einmal die Gelegenheit ergreifen, einige Worte an Sie alle zu richten. "Auch wenn Monsieur Perignon zunächst Anstalten machte, unsere erhabene Willkommensfeier zu verderben, so hoffe ich doch sehr, daß wir alle, in welchen Klassen und Lehranstellungen wir uns befinden, dieses Schuljahr erheblich friedvoller und erfolgreicher gestalten können als das letzte. Ich weiß mich mit Ihnen allen einig, daß die Ereignisse des letzten Schuljahres sehr unangenehm waren und wir froh sein dürfen, die dunkle Zeit von Angst und Bedrohung glimpflich überstanden zu haben." Die Drillinge machten Anstalten, was einzuwerfen. Doch Madame Faucon blickte sie nacheinander an und fuhr fort: "Ich weiß natürlich, daß hier mehrere Schüler und auch Lehrer sitzen, die im vergangenen Jahr unersetzliche Verluste hinnehmen mußten. Natürlich würden Sie gerne mit Ihren Angehörigen weiterleben, die ein grausamer Magier und seine von seinem Gift des Hasses verdorbenen Helfer Ihnen genommen haben. Ich kann allen, die geliebte Angehörige zu betrauern haben nachempfinden, wie schlimm der Schmerz des Verlustes ist. Die Meisten hier wissen, daß ich damals meinen geliebten Ehemann und beinahe meine einzige Tochter verloren habe. Um so mehr freue ich mich, sehen zu können, daß am heutigen Tage die erstgeborene Tochter meiner Tochter den Weg zu uns nach Beauxbatons gefunden hat. Wobei ich hier und jetzt ein für alle mal einwerfen muß, daß ich hier keinen Schüler und keine Schülerin bevorzugen oder benachteiligen werde, unabhängig vom Grad der Verwandtschaft oder Freundschaft mit deren Angehörigen. Ich habe mit den neuen Kollegen abgesprochen, daß sie wie die bereits länger hier tätigen Mitglieder des Lehrkörpers ebensowenig zwischen Fremden oder Angehörigen unterscheiden mögen, da dies für die Angehörigen im Zweifelsfall nur Nachteile nach sich ziehen würde. Also erwarte ich von jedem hier, sein oder ihr Miteinander mit den anderen Schülern nicht durch Beziehungen mit hiesigen Lehrkräften hervorzuheben. Soweit zur Vermeidung möglicher Mißverständnisse. Kommen wir noch zum Verlauf des restlichen Abends. Die Sprecherinnen und Sprecher Ihrer den Tischen zugehörigen Säle werden gleich mit den Schülerinnen und Schülern der ersten Klasse unseren ehrwürdigen Palast begehen und ihnen die wichtigsten öffentlichen Räume zeigen, um sie dann abschließend in die Ihnen zugeteilten Säle zu führen. Ich bitte die überwiegend neu eingesetzten Saalsprecherinnen und Saalsprecher, Ruhe zu bewahren und die Ihnen zufallende Aufgabe mit der gebotenen Beharrlichkeit und Disziplin zu bewältigen. Da wir uns erst morgen früh wieder sehen werden wünsche ich Ihnen bereits jetzt schon mal eine angenehme, erholsame Nachtruhe."

Ohne Es zu verlangen grüßten die bereits mehr als ein Jahr hier lernenden Schüler im Chor zurück und wünschten gleichfalls eine gute Nacht. Dann durften sie sich erheben. Julius winkte Charles, Hanno und patrice zu. Dann las er das Passwort für den grünen Saal und grinste: "Aurora nova", flüsterte er mit breitem Grinsen Gérard zu. "Neues Morgenrot heißt das."

"Joh, das kann ich mir merken", sagte Gérard. "Apropos, soll ich deiner gemalten Außendienstkundschafterin schöne Grüße bestellen?"

"Wenn sie zu Hause ist, Gérard. Aber die weiß sicher, daß ich die Leute rumführe. Die kommt dann wohl erst gegen Mitternacht. Ist ja im Moment nichts los in Hogwarts und Australien", sagte Julius und erkannte, wie sehr das gelogen sein mochte. Er hoffte jedoch, daß es die Wahrheit war.

"Bis dann nachher", sagte Gérard. "Ich darf ja jetzt bis Mitternacht aufbleiben."

"Wir alle dürfen bis halb zwölf aufbleiben, du ...", setzte Robert an. Doch Julius blickte ihn warnend an. "Ich möchte heute noch keine Strafpunkte raushauen. Letztes Jahr hat mir schon gereicht", sagte er. Dann ging er zu den drei Jungen aus der ersten Klasse.

"So, ihr habt's gehört. Ich bin Julius Latierre und führe euch nun rum. Ihr könnt mich beim Vornamen nennen, das macht die Sache einfacher, auch wenn die Lehrer und meisten Schulbediensteten euch mit Monsieur und Nachnamen ansprechen. Ihr habt hoffentlich die Regeln gelesen, wie ihr euch hier zu benehmen habt. Ich hoffe, euch nicht andauernd Strafpunkte geben zu müssen, weil das auf die Dauer ziemlich fies für euch wird und für mich in Langeweile ausarten könnte. Also bleibt solange schön in meiner Nähe, bis wir in unserem Wohnsaal sind!"

Die Saalsprecher zogen mit ihren Erstklässlern am Lehrertisch vorbei. Bei der Gelegenheit fragte Julius Madame Faucon, ob Professeur Delamontagne nun in ihrem Sprechzimmer arbeiten würde.

"Nein, mein ehemaliges Sprechzimmer hat Professeur Dirkson erhalten. Professeur Delamontagne ist ab heute auf dem vierten Stockwerk zu finden, dort wo vor einem Jahr noch das Elternsprechzimmer Madame Maximes war."

"Danke, Prof..., ähm, Madame Faucon. Muß mich noch dran gewöhnen", erwiderte Julius.

"Ich auch", erwiderte die neue Schulleiterin verlegen lächelnd. Dann führte Julius die drei Jungen herum, erst zur Bibliothek, wo er fast in Sandrines Tross aus acht Junghexen reinrasselte.

"Ui, wir hätten uns doch vorher absprechen sollen", meinte Julius.

"Liegt an Apollo, weil der unbedingt mit seinen Jungen zuerst zu Madame Rossignol wollte und ich dann nur zur Bibliothek ausweichen konnte", meinte Sandrine. Hanno blickte eine der jungen Mädchen an, die für ihr Alter schon recht groß und gerundet aussah. "Wau" machte er. "'n Model."

"Häh?" Stieß die Angeguckte zurück. Julius schritt sofort ein. "Ich weiß, daß die in der Welt der Menschen ohne Magie Models heißen, aber Lucine Berlios ist kein Mannequin. Sonst müßte sie dir für Anglotzen Geld abknöpfen."

"Eh, 'n Clown gefrühstückt?" Fragte Hanno. Patrice und Charles glotzten den neuen Mitschüler nun ziemlich verdutzt an, während die Mädchen aus dem gelben Saal albern kicherten.

"Neh, heute noch nicht. Aber zwischendurch fresse ich kleine Kinder. Also wachs schön schnell." Die Mädchen starrten Julius verdutzt an. Doch weil er lächelte, erkannten sie, daß er es nicht so meinte.

"Die haben den richtigen Führer", grinste Sandrine. "Aber führ die besser erst woanders lang, bevor die meine Mädchen durcheinanderbringen", sagte Sandrine.

"Ihre Mädchen?" Fragte Hanno.

"So heißt das bei uns in Beauxbatons, wenn Saalsprecher mit den Neuen rumgehen und denen alles hier zeigen. hat nichts anderes zu bedeuten, bevor bei dir da oben im Kopf irgendwelche komischen Gedanken aufkommen."

"Der ist echt zu euch rübergekommen?" Fragte Sandrine.

"Die Roten bekamen schon genug und die Blauen haben schon zu viele", meinte Julius leise zu seiner Pflegehelfer- und Saalsprecherkollegin.

"Okay, wenn die "ihre Mädchen" nicht durch den Wind haben will, wo geht's dann hin?" Fragte Hanno, während Patrice grinste und Charles sehr verunsichert dreinschaute.

"Wir besuchen unseren Saalvorsteher, also den Lehrer, der uns bei den anderen Lehrern vertritt und die Sachen regelt, die bei uns ablaufen. Da ist wohl noch keiner von den anderen hin." Julius verabschiedete sich von Sandrine, während Lucine Berlios dem Jahrgangskameraden vergnügt hinterherzwinkerte.

"Was hat die Akademie Monsieur Delamontagne geboten, daß der nicht mehr im Ministerium arbeiten wollte und jetzt Lehrer ist?" Wollte Charles Charpentier wissen.

"Hmm, ich weiß nicht, ob ihm das zu privat wäre. Ich selbst weiß nicht, ob es mit Geld zu tun hat. Wenn er die Antwort auf die Frage ablehnt, wirst du wohl auch so gut schlafen können", sagte Julius. Er hatte beschlossen, die sonst übliche Strenge eines Saalsprechers nicht zu zeigen, wenn sie nicht nötig war.

Er kannte den Weg zum Sprechzimmer der nun ehemaligen Schulleiterin, wenn sie mit Eltern sprechen wollte. Tatsächlich war noch keiner vor der Tür angekommen. Er las laut das Türschild: "Professeur Phoebus Delamontagne, Fachlehrer für Protektion gegen destruktive Formen der Magie. Bitte anklopfen!" So klopfte er laut genug, daß es nicht aufdringlich klang. Von drinnen erklang Professeur Delamontagnes Stimme: "Herein!"

"So, die Herrschaften, das ist unser Saalvorsteher, Professeur Delamontagne. Er unterrichtet die Abwehr von Flüchen und anderen bösartigen Zaubern."

"Cool! Kann man bei Ihnen auch lernen, wie Leute zu Stein werden oder sowas?" Fragte Hanno. Julius sah den Neuling an und meinte:

"Ähm, wegen Gebrauch eines Fremdsprachenausdrucks muß ich dir, so ungern ich das tue, fünf Strafpunkte auferlegen, Hanno Dorfmann. Entschuldigen Sie Professeur Delamontagne!"

"Also mal von der Erinnerung an unsere erlauchte Heimat- und Schulsprache abgesehen, junger Monsieur, lernen Sie bei mir zwar einige Zauber, um Angreifer kampfunfähig zu machen. Aber ich werde Ihnen keine nachhaltigen Schadenszauber beibringen, die eine dauerhafte Versteinerung hervorrufen. Wenn Ihnen nach magischer Rauferei sein sollte, junger Mann, dann sehen Sie erst einmal zu, die Sachen zu lernen, die ich Ihnen in der ersten Klasse beibringen kann!" Er lächelte den Jungen dabei an wie ein Vater, den die Wildheit seines Sohnes erfreut, auch wenn er ihn tadeln muß. "Außerdem werden Sie bei und von mir lernen, daß Zauberei und gerade die sogenannte schwarze Magie, kein lustiges Unterfangen ist. Lassen sie sich bitte von Ihren älteren Mitschülern berichten, mit welchen grausamen Dingen wir in den letzten Jahren zu tun hatten! Dann werden Sie hoffentlich erkennen, daß es auf Dauer kein Spaß ist, mit Flüchen zu tun zu haben, auch wenn der Rausch der Macht am Anfang alle Vernunft überdecken kannn. Insofern hoffe ich, Ihnen da genug beibringen zu können, um Ihr Bild von der magie in den passenden Rahmen zu rücken."

"Sie sind also unser Saalvorsteher, also Zuständig für uns?" Fragte Charles Charpentier. "Ich dachte, Sie arbeiten weiter für das Ministerium."

"Nun, Monsieur Charpentier, ich habe lange genug für das Ministerium gearbeitet um zu wissen, daß ich meine Hauptaufgabe, die Abwehr dunkler Kräfte und Organisationen, innerhalb des Ministeriums nicht weiterführen kann. Abgesehen davon hat Madame Faucon mich überzeugt, daß meine Talente hier in Beauxbatons gerade mehr als benötigt werden, um nach dem ganzen Unfrieden im letzten Jahr künftigen Generationen zu helfen, solche Sachen im Vorfeld zu erkennen und sich dagegen zu schützen und vor allem, frei von böswilligen Gedanken in die Zaubererwelt einzutreten und nicht zu versuchen, die Untaten von damals zu wiederholen. Das betrachte ich hier als meine Aufgabe. Was meine Funktion als Saalvorsteher angeht, so bin ich dafür zuständig, daß in Ihrem Wohnsaal ein friedliches Miteinander besteht, die allgemeine Ordnung erhalten bleibt und welche Lernfortschritte Sie machen. Ich passe auch darauf auf, daß Sie genug Zeit zum Lernen haben und verwalte Ihre Wertungsbücher, in denen Ihre Bonus- und Strafpunkte verzeichnet werden. Näheres kann Ihr Saalsprecher Ihnen dazu erläutern. Ich bereite mich gerade darauf vor, noch weitere Interessenten zu begrüßen." Julius erkannte, daß sie wohl bald den Abgang machen sollten. So fragte er noch nach den Freizeitkurslisten. Zur Antwort bekam er einen Packen ausgehändigt. "Sehe ich es richtig, daß Sie weiterhin Verwandlung und die Abwehr destruktiver zauber belegen werden, Monsieur Latierre?" Fragte Professeur Delamontagne. Julius nickte. "Dann werde ich Sie besser schon mal für den Duellierkurs am Freitag und den Kurs Verwandlung für fortgeschrittene vormerken, bevor meine junge Kollegin der Meinung ist, Ihre Talente nicht zu würdigen." Julius kapierte es. Professeur Dirkson würde wie ihre Vorgängerin und jetzige Vorgesetzte darauf bestehen, ihn in ihrem Fortgeschrittenenkurs zu haben. So nahm er die unmarkierten Freizeitkurslisten und gab schon mal drei an seine Begleiter weiter. Danach verabschiedete er sich von dem neuen Lehrer.

"Geh mal davon aus, daß was in Rollenspielen oder Filmen geht, in der echten Zaubererwelt auch geht und verbinde das noch mit Ideen wie die von Hitler oder anderen Diktatoren, und du hast eine ungefähre Ahnung davon, was wir im letzten Jahr so mitmachen mußten", wies Julius Hanno zurecht. "Da gab's Leute, die fanden es auch echt stark, andere mit fiesen Körperveränderungsflüchen zu belegen oder mit einem Fluch zu ihren Sklaven zu machen, sie ohne Daumenschrauben oder Brandeisen zu foltern oder gleich umzubringen, wenn sie ihnen nicht paßten. Abgesehen von Ungeheuern, die Dunkelheit und Kälte um sich ausbreiten und einem erst alle glücklichen Erinnerungen aussaugen und wenn sie können noch die ganze Seele, daß Leute danach nur noch wie lebende Maschinen rumlaufen, ohne Sinn, Verstand oder Gefühl. Ja, jetzt kuckst du schon verdutzt. Aber die meisten Leute, die wissen, daß es sowas gibt, haben eine Riesenangst und haben dann lieber schon freiwillig gemacht, was die Verbrecher von ihnen wollten, wie die Leute in den Krimis, wenn denen eine entsicherte Knarre vor die Nase gehalten wurde oder deren Angehörige entführt wurden. Entführungen sind auch passiert. Und in der magischen Welt geht der Zeitlose Ortswechsel, was in der magielosen Welt unter Teleportation läuft. Wenn dich da einer zu fassen kriegt und auf diese Weise mit dir verschwindet findet dich niemand wieder, wenn der oder die das nicht will." Hanno sah merkwürdigerweise immer noch ziemlich begeistert aus, verhielt sich aber ruhig. Charles nickte Julius zu, während Patrice sich räusperte und fragte, ob Julius jener Julius sei, dessen Vater von einem weiblichen Ungeheuer unterworfen und dann auch getötet worden war. Julius bestätigte das. Dann fragte er Patrice, woher er das wußte, wo er da wohl gerade erst neun war und Eltern sowas Kindern in dem Alter wohl nicht unbedingt erzählten.

"Na ja, so ganz freiwillig nicht. Aber ich habe mal meine Großeltern belauscht, weil die sich darüber hatten, daß an diesen Geschichten doch was dran sein soll, daß es diese Mörderfrauen, die keine Hexen sind, gibt, die Männer mit ihrem Zauber rumkriegen, für sich arbeiten lassen und dabei immer mehr leersaugen, bis sie sie nicht mehr brauchen." Hanno hörte gespannt zu. Er fragte mit einem gewissen Schauer, ob sie Vampire meinten. Julius verkniff sich das Grinsen. Er sagte nur, daß es die auch gäbe, genauso wie Werwölfe und Riesen, aber eben auch jene Ungeheuer, die einem glückliche Momente aus der Erinnerung saugten, so daß die Leute nur noch an die schlimmsten Erlebnisse denken konnten. Irgendwie merkte Julius, daß das wohl bei Hanno tief einschlug. Doch der Junge straffte sich sofort wieder und lachte: "Achso, wie Dämonen aus dem Gruselfilm."

"Das nennt man schon eher Horror", meinte Julius. Patrice und Charles wollten wissen, was ein Film sei und warum Muggel sich so gerne gruseln wollten. Auf dem Weg zu Madame Rossignol erklärte Julius es.

Die Schulheilerin von Beauxbatons saß in ihrem Sprechzimmer und strickte mal wieder. Hier bekam Hanno nach den bereits beobachteten zaubern in der Reisesphäre und dem Speisesaal noch mehr Magie zu sehen, nämlich selbst weiterstrickende Nadeln. Denn die braunhaarige Heilerin gab jedem einzelnen die Hand. Dann deutete sie auf Julius und machte eine Geste, er solle das Pflegehelferarmband freilegen. "Ihr habt es gut getroffen, daß euer amtierender Saalsprecher auch ein Mitglied meiner Pflegehelfertruppe ist. Das sind sehr gut mitarbeitende Schüler, die Zauber und Zaubertränke lernen, um anderen zu helfen, wieder gesund zu werden. Ich erwarte von euch jedoch, daß ihr gut auf euch aufpaßt. Ich kann zwar fast alles behandeln, auch das was die Magielosen für unheilbar halten. Aber wenn ich wen behandeln muß, der sich absichtlich krank gemacht hat oder meinte, sich mit größeren Jungs und viel besseren Hexen und Zauberern zu prügeln oder zu duellieren, kann ich auch ziemlich ungemütlich werden. Nur daß ihr das wißt. Ihr findet mich auf jeden Fall hier, wenn ihr mich braucht. Oder ihr bittet Julius hier, mich anzurufen oder euch zu mir hinzubringen, wenn es wirklich sehr schlimm ist. Er kann aber auch, und das hoffe ich sehr, von sich aus befinden, wann einer von euch bei mir aufzutauchen hat. Er muß nämlich aufpassen, daß ihr auch immer in Form für den Unterricht seid. Sonst bekommt er nämlich Ärger, und den will er bestimmt nicht haben."

"Dann lieber ihr", nahm Julius den hingeworfenen Faden auf. Charles und Patrice waren gut eingeschüchtert, während Hanno seine jungenhafte Verwegenheit wiederfand.

"Und was ist, wenn ich nicht will, daß Sie an mir irgendwelchen Simsalabim machen, Madame?"

"Noch so einer, der meint, nur diese Knochenflicker von den Muggeln hätten das Recht, Leute zu behandeln", seufzte Madame Rossignol. Dann sagte sie: "Du hast mich gehört. Wenn ich finde, daß du mich nötig hast, frage ich dich nicht erst. Wenn du meinst, dich vor mir verstecken zu wollen, und ich finde dich trotzdem, dann wird das richtig unangenehm. Ich darf nämlich Leute zum Putzen anfordern, wenn im Krankenflügel die Betten zu machen sind oder Leute, die Tage lang nicht aufstehen konnten, ihre Notdurft in Nachttöpfe oder Bettpfannen verrichtet haben, dwieder sauberes Nachtgeschirr bekommen sollen. Also paß besser auf dich auf."

"Meine Mutter ist Anwältin. Die kriegt das hin, Ihnen das zu verbieten, weil das Körperverletzung ist."

"Ui, jetzt bekomme ich doch wirklich Angst", spottete die Heilerin. "Du wärest nicht der erste Sohn eines Rechtsgelehrten, der lernen muß, daß recht und Recht kriegen zwei verschiedene Sachen sind. Ich bin hier sozusagen die Gesundheitschefin. Wenn du krank wirst, habe ich dich wieder hinzukriegen, ob dir das paßt oder nicht. So einfach läuft das hier zwischen euch und mir." Hanno kapierte es wohl. Er sollte sich nicht mit echten Hexen anlegen.

Auf dem weiteren Rundgang ging es noch zu den Klassenzimmern, den frei zugänglichen Jungentoiletten, noch mal zum Speisesaal, zum Quidditchstadion, dem Meeresstrand, zum Pausenhofausgang und schließlich zur Bibliothek. Dort traf er Corinne Duisenberg mit den zwölf Mädchen aus der ersten Klasse. Die kleine, kugelrunde Junghexe fragte Julius, ob er mit seiner Runde durch sei. Er meinte, daß er noch die Büros der anderen Saalvorsteher angesteuert hätte, es aber von der Zeit her zu eng sei. Sie wünschte ihm noch eine gute Nacht und sammelte ihre Neulinge rasch ein, bevor die sich in allen Gängen verteilen konnten.

"Ist die in deiner Klasse, Julius?" Fragte Hanno. Julius schüttelte den Kopf und erwähnte, daß Corinne in der obersten Klasse sei. "Könnte ruhig mal ein paar Kilos abspecken."

"Das sagst du der besser ins Gesicht, wenn du die Reaktion verkraften kannst", meinte Julius dazu. Hanno fragte, was ihm denn passieren könnte. Patrice und Charles seufzten laut.

"Sie könnte dich in einen dicken Eber verwandeln und schlachten und aus dir Würste machen, wenn sie schnell genug ist."

"D-das darf die doch bestimmt nicht oder", stammelte Hanno.

"Ich fürchte, wenn ihr jemand wirklich blöd kommt kann die das mal eben vergessen, bis die die ersten zwanzig Würste aus dir gedreht und verputzt hat", erwiderte Julius und merkte, daß diese pure Andeutung schon bei Hanno einschlug. Doch offenbar, so erkannte Julius jetzt, baute der Elfjährige sofort einen Schutzschirm aus aufgesetzter Überlegenheit auf, um einen seelischen Treffer zu verbergen. Wenn er das schon immer so hielt, dann würde ihm eines Tages jemand hier übel mitspielen. Julius erkannte, daß er Hanno schon bald unmißverständlich klarmachen mußte, wo er hier war und wie schnell ihm fiese Dinge passieren konnten. Doch heute Nacht wollte er noch ruhig darüber schlafen.

So führte er die drei Jungen der ersten Klasse zum grünen Saal, wo er das Passwort aussprach. "Das dürft ihr keinem erzählen. Denn wenn jemand, der nicht hier wohnt, trotzdem hier reinkommt, und jemand kriegt raus, von wem der oder die das Passwort hat, kriege erst ich Ärger und dann der von euch, der das Passwort ausgeplaudert hat. Ich hoffe, wir verstehen uns da."

"Logo", meinte Hanno, mal wieder den überlegenen Typen markieren zu müssen.

Julius war froh, als er die drei zur festgelegten Bettgehzeit in ihrem Schlafsaal, der im letzten Jahr noch der für Siebtklässler gewesen war, untergebracht hatte. "Wecken ist von Montags bis Freitags um sechs. Wer früher wach wird und Frühsport machen will, erst um sechs dürfen wir aus unserem Saal raus", sagte Julius noch. "Gute Nacht!"

"Na, die Raubtierdressur für heute erledigt?" Fragte Laurentine Céline und Julius.

"Bei dem Muggelstämmigen müssen wir aufpassen. Der Hält Frechheit für Stärke. Dabei denke ich, der braucht das als Schutzschirm, also als nach außen wirkende Abwehr, um anderen nicht zu zeigen, wie es in ihm tickt. Bin zwar nicht der Diplompsychologe. Aber drei Sachen an dem haben mir das verraten. Zum einen tut er so, als sei das hier eine superlustige Schau, die ihm geboten wird, hat aber meine Andeutung über Dementoren und was eine wütende Hexe mit ihm anstellen könnte nicht so locker weggepackt, wie er gehofft hat. Zum anderen hat der bei Madame Rossignol nur erwähnt, daß seine Mutter Anwältin sei. Von seinem Vater hat er nichts gesagt. Vielleicht ist es nicht so schlecht, daß wir jetzt einen Zauberer als Saalvorsteher haben."

"Achso, du meinst, dem sein Vater könnte nicht mehr da sein, tot vielleicht?" Erkundigte sich Céline besorgt.

"Tot, geschieden oder mal eben Zigaretten holen gegangen", erwiderte Julius. Céline und Gérard, der nun dazugekommen war machten "Häh?" Laurentine grinste nur und tippte Julius an. "Das wurde früher oft als Ausrede von Männern benutzt, die ihre Familie ohne große Diskussion verlassen wollten. Sie sind mal eben los ... und kamen nicht mehr wieder. Als Patrice - muß mich noch dran gewöhnen, Corinnes Tante nicht zu meinen - das ansprach, was vor zwei Jahren mit meinem Vater passiert ist, war Hanno eine Weile ziemlich kleinlaut. Aber weil er wohl merkte, daß ich das mitbekam und er nicht wollte, daß ich das irgendwie ausnutzen könnte, hat er gleich diesen Schutzschirm wieder ausgefahren, von dem ich gesprochen habe. Der wollte sich schon mit Madame Rossignol anlegen."

"Ui, und wie hat deine zweite Chefin das weggesteckt?" Fragte Gérard.

"Sie meinte nur, daß sie vor seiner Mutter keine Angst habe und hier für die Gesundheit zuständig sei und nicht nachfrage, ob jemand von ihr behandelt werden wolle, wenn sie fände, sie müsse behandeln. Mit Serge und Marc ist die gute ja auch gut im Training." Da vibrierte sein Pflegehelferschlüssel. "Ups, klingeln der etwa die Ohren?" Fragte Julius und legte seinen Finger auf den weißen Schmuckstein des Armbandes:

"Julius, komm bitte noch mal zu mir!" klang Madame Rossignols Stimme aus dem Armband, während ein frei in der Luft schwebendes Abbild von ihr die Lippen bewegte. Julius bestätigte und setzte das magische Schnellwegsystem für Pflegehelfer in Gang. Als Céline zusah, wie Julius durch die Wand verschwand wandte sie sich an Laurentine:

"Tja, Esther trauert um ihren Vater. Und jetzt, wo sie ihre Mutter so nahe bei sich hat, sie aber nicht andauernd aufsuchen darf, könnte das für die ziemlich fies werden. Das sollten wir mit Professeur Dirkson und Professeur Delamontagne klären."

Julius erschien bei der Heilerin, die im Moment niemanden zu Besuch hatte. "Es ist eigentlich immer dasselbe", polterte sie los. "Über die Zaubererweltangehörigen kriegen wir umfangreiche Unterlagen. Bei den Muggelgeborenen wissen wir außer über den Geburtstag, Geburtsort und die Elternteile nur noch, wann sie Magie entfaltet haben. Ich fürchte nämlich, wenn wir nicht rauskriegen, was deinen neuen Schützling so vorlaut macht, könnte ich den häufiger bei mir zu Gast haben als sonst wen."

"Das fürchte ich auch. Ich denke, der spielt den überlegenen Typen, gerade wenn Frauen in der Nähe sind, weil er nicht zeigen will oder darf, wie es in ihm aussieht. Sowas läuft eigentlich eher bei Jungen in meinem Alter ab."

"Du meinst in deinem zeitlichen Alter, Julius. Aber du hast genau erkannt, was ich bei der Kontaktaufnahme schon mutmaßte. Monsieur Dorfmann ist darauf bedacht, seine Empfindungen hinter einem Schutzwall aus aufgesetzter Überheblichkeit oder Spott zu verbergen. Könnte sein, daß er auf kurz oder lang deshalb mit jemandem aneinandergerät. Bring ihm bitte bei, daß die meisten oberhalb der zweiten Klasse sehr rasch mit Zauberflüchen dabei sein könnten, bevor ich den in Einzelteilen angeliefert bekomme. Es ist bei der Gelegenheit nicht der erste Bursche, der meint, die ganzen fremden, ja auch bedrückenden Eindrücke abzutun. Einige von denen haben echt mal Krach mit weiter ausgebildeten Mitschülern bekommen. Das müssen wir beide in deinen beiden letzten Schuljahren ja echt nicht haben, oder?"

"Ganz bestimmt nicht. Mein Bedarf an Ärger ist schon gedeckt", erwiderte Julius.

"Dann ist ja gut. Am besten gehst du heute früher ins Bett. Vielleicht mußt du dich erst wieder daran gewöhnen, alleine zu schlafen."

"Ich kenne das doch schon von Hogwarts her."

"Täusch dich da mal nicht. Wer einmal in den Genuß eines Ehebettes gekommen ist, verlernt schnell, wie es in einem einzelbett ist, Julius. Bevor du in deinen Saal zurückkehrst: Bitte sorge dafür, das Louis Vignier morgen nachmittag zwischen Mittagessen und Nachmittagsunterricht zu mir kommt. Er hat es ja darauf angelegt."

"Huch, der ist Muggelstämmiger. Wo hat denn der den Ferienkurs herbekommen? Ich meine, ich war da in Millemerveilles."

"Ich habe ihm die Adresse einer Kollegin gegeben. Die hat ihn wohl besucht. Seine Eltern haben das erlaubt, weil sie wollen, daß er seine Zauberkräfte verantwortungsbewußt ausübt. Und das kann er nun mal eben am besten in der Pflegehelfertruppe."

"Ich richte es ihm morgen vor dem Frühstück aus", sagte Julius. Dann verabschiedete er sich und wandschlüpfte in den grünen Saal zurück.

"Und, war was, was wir anderen Broschenträger auch wissen dürfen?" Fragte Gérard seinen Klassenkameraden. Julius erzählte es ihm, Céline und Laurentine, daß Madame Rossignol das auch gemerkt hatte, daß Hanno Dorfmann wohl Probleme mit dem rechten Umgangston hatte und woran das liegen könnte.

"Dann hoffe ich nur, daß die Jungs hier den nicht immer für voll nehmen", meinte Gérard. "Wenn er bei den Roten reingekommen wäre hätte der wohl schon bald Probleme."

"Da sind auch einige Muggelstämmige dieses Jahr reingekommen", meinte Julius. Dann mußte er natürlich erklären, woran er das gemerkt haben wollte. Gérard meinte dann noch: "Ich bin mal gespannt, wie Apollo mit Gaston fertig wird. Schon heftig, den in die vierte zurückzusetzen. Damals dachte ich, das sei nur eine Strafaktion von Madame Maxime. Aber wenn die das jetzt weiter durchziehen ..."

"Ist es immer noch eine Abschreckung, Gérard. Madame Faucon will klarstellen, daß es kein lockeres Ding ist, mal eben rausgeworfen zu werden und dann ohne weiteres wieder zurückgeholt zu werden. Unter normalen Umständen hätte sie ihn gar nicht mehr zurückkommen lassen. Das hat sie ja laut genug gesagt. Also muß was erschwerendes hinzukommen, um uns anderen zu zeigen, daß wir nicht meinen, uns den Rauswurf leisten zu können. Im Fußball wird jemand, der die rote Karte sieht und damit vorzeitig aus dem Spiel zu verschwinden hat für mindestens ein weiteres Spiel gesperrt, darf also nicht von seinem Trainer aufgestellt werden. Jetzt hängt's davon ab, bei was für einem Spiel der Spieler vom Platz mußte. War es ein Ligaspiel seines Vereins, darf er bei Spielen der Nationalmannschaft mitspielen. Fliegt er bei einer Europa- oder Weltmeisterschaft vom Platz, darf er beim nächsten Spiel der Nationalmannschaft nicht aufgestellt werden."

"Das sollten die im Quidditch mal einführen, wenn jemand zu häufig foult", meinte Laurentine, die ja ein wenig von Fußball verstand, wo ihr Vater zu der deutschen Mannschaft gehalten hatte, die ja doch ein wenig früher als erträumt aus dem letzten Weltpokalwettbewerb ausschied.

"Ähm, wie willst du denn dann anständig spielen, wenn du nur noch sechs Leute im Spiel hast?" Wandte Céline ein. "Stellt euch vor, den Sucher wirft es aus dem Spiel. Dann kriegen die anderen ja ganz von selbst die 150 Schnatzfangpunkte. Wenn der Hüter rausfliegt bringt jeder Torwurf zehn Punkte und so weiter."

"Beim Quodpot besetzen sie die wichtigsten Positionen beim Rausknallen von Spielen mit denen, die noch im Spiel sind. Die kommen wunderbar damit klar", flocht Julius ein und erläuterte die Quodpotregeln. Danach diskutierten sie weiter über Strafmaßnahmen, wobei Julius auf der Hut war, die Bettpfannenstrafe der Schulheilerin außen vor zu lassen. So verging die Zeit bis halb zwölf. Dann meinte Julius, daß er doch besser früh genug ins Bett gehen wollte. Gérard grinste und meinte, er möge sich da nicht zu einsam fühlen. Der stellvertretende Saalsprecher blieb dann noch auf.

Im Schlafsaal der Sechstklässler sah Julius Aurora Dawns Bild an. Das Vollportrait war gerade anwesend. So machte er sich schnell bettfertig, legte sich hin und zog den nach außen schallschluckenden Bettvorhang zu. Dann sagte er zu der gemalten Version der australischen Heilerin: "Bin wieder in Beauxbatons, Aurora."

"Habe ich schon längst mitbekommen. War sehr überrascht, daß Eunice Dirkson jetzt bei euch als Lehrerin anfängt. Die war mit meiner natürlichen Ausgabe im gleichen Hogwarts-Jahrgang. Sie war eine Gryffindor."

"Ach neh. Ähm, könnte es sein, daß sie daher so gelächelt hat, weil sie weiß, daß ich dein Original-Ich kenne?" Fragte Julius.

"Ich denke schon. Sie wird sich wohl erkundigt haben, wer so alles in ihren höheren Klassen sein wird. Oder machst du Verwandlung nicht weiter?"

"Mit dem unterstrichenen O hätte Prof..., Madame Faucon mich wohl für seltendämlich erklärt, wenn ich das nicht machen würde. Dabei muß ich die Freizeitliste noch ausfüllen. Gut, daß wir es von Verwandlung hatten." Julius holte die Liste mit den Freizeitmöglichkeiten aus der Nachtkommode und überflog sie. Tatsächlich hatte Delamontagne ihn schon für seinen Duellierkurs vorgemerkt und auch den Kurs Verwandlung für Fortgeschrittene angekreuzt. Diesmal würde der am Montag stattfinden. Die anderen Kurse blieben an den Wochentagen vom letzten Jahr. Julius konnte sich so auch wieder in den Freizeitkurs Tierwesen eintragen, der am Donnerstag Nachmittag stattfand. Die Voraussetzung dafür war jedoch die Teilnahme am Unterricht in diesem Fach. Aber das hatte er eh vor, weiterzubelegen, um sich die Tür zur Tierwesenabteilung offenzuhalten. Er staunte, daß er auch das Angebot intelligente Zauberwesen fand, das im letzten Jahr noch von Madame Maxime betreut wurde. Diesmal würde Professeur Delamontagne den Kurs leiten. Hierfür galt keine Unterrichtsteilnahmeverpflichtung. Natürlich wählte er auch die Schach-AG. Wer war eigentlich Quidditch-Kapitän dieses Jahr? War das noch nicht raus? Er hielt sich auf jeden Fall den Dienstag Nachmittag frei. Er wählte dann noch die Alchemie-AG am Mittwoch und statt der Kräuterkunde-AG den Kurs magische Haushaltsführung, um Millie gegenüber nicht als unkundiger Ehemann dazustehen, auch wenn da vielleicht mehr Mädchen als Jungen dran teilnahmen und er von den anderen Jungen dumm angequatscht werden mochte. Denen konnte er aber dann um die Ohren hauen, daß er nicht verhungern würde, wenn er nicht mehr bei Mutti mitessen durfte oder er kein kochkundiges Hausweibchen finden konnte. Blieb noch die Zauberkunst-AG am Freitag Nachmittag und die Holzbläsergruppe. In den letzten Jahren hatte er so viel über Musik zurückbekommen, daß er nicht darauf verzichten wollte. Hoffentlich war dann noch genug Zeit für die sicher anstrengenden Hausaufgaben. Aber er hatte jetzt einige Fächer weniger, und letztes Jahr war es auch irgendwie gegangen. Er verabschiedete sich dann noch von Auroras Abbild und legte sich zum Schlafen zurecht.

Um Mitternacht meldete sich Millie, in dem sie die magische Gedankenverbindung zwischen seinem und ihrem rubinroten Herzanhänger benutzte.

"Ich mußte nach der Erstklässlerführung noch mal zu Madame Rossignol, weil die sicherheitshalber nachprüfen wollte, ob wir zwei nicht doch schon bald zu dritt sind", hörte er Millies Gedankenstimme unter seiner Schädeldecke. Julius fragte unhörbar zurück, was das Ergebnis war. "Sie hat mich mit Zauberstab und Prüflösung untersucht, aber noch niemanden in meinem Unterbau gefunden. Sie meinte dann, daß ich dann weiter Quidditch spielen und in dem Jahr schon an die höheren Selbstverwandlungen drangehen könne."

"Dann hat das mit dem blauen Spülmittel ja doch immer gut geklappt", erwiderte Julius darauf. "Und was machen die Neuen bei euch?"

"Gaston hat sich schon mit Apollo verkracht, weil der ihn mit den Viertklässlern ins Bett geschickt hat. Der darf morgen ohne Zauberstab putzen, damit er kapiert, welches Glück der hat, überhaupt noch zaubern lernen zu dürfen. Die neuen Mädels bei uns sind außer Mayette alle Muggelstämmige oder Halbmuggelstämmige. Gut daß du mir über deren Leben genug erzählt hast, um denen was erklären zu können. Weißt du schon, wer bei euch Quidditchkapitän ist?"

"Nöh, ist komischerweise noch nicht rum. Offenbar reißt sich da keiner drum, ich ja auch nicht."

"Apollo bleibt es bei uns. Er hat schon klargemacht, daß wir den Doppelachser trainieren. Callie und Pennie sind die neuen Treiber. Pattie will Sucherin werden. Brochet wird wohl Jäger."

"Wir haben einen Muggelstämmigen Erstklässler, der wunders wie überlegen und locker tut. Aber Madame Rossignol findet, der könnte sich nur hinter einem Schutzwall verstecken und eigentlich ziemlich empfindlich oder schon angeschlagen sein. Hoffentlich kriegt der keinen Krach mit euren Jungs."

"Dann lernt er, daß bellende Hunde auch beißen können müssen, Monju. Hast du noch mit Aurora Dawns Bild-Ich gesprochen?"

"Habe ich. Das hat mir erzählt, daß die neue Verwandlungslehrerin mit ihr im selben Jahrgang in Hogwarts war."

"Ups, und dann fängt die hier an, wo die in Hogwarts auch einen neuen Verwandlungslehrer gesucht haben?" Fragte Millie. Julius bestätigte das. Dann fragte er seine Frau, was mit Bernadette sei.

"Die wurde auf Wunsch ihrer Eltern ins ZAG-Jahr zurückversetzt, weil sie ziemlichen Krach wegen unserer Prüfung gemacht hat. Madame Maxime und Fixie haben ihren Eltern angedroht, sie vom weiteren Besuch auszuschließen, wenn sie weiter meint, Mitschüler runtermachen zu müssen. Da haben sich ihre Eltern drauf eingelassen, sie das Jahr wiederholen zu lassen, zumal Bernadette eh meint, einige ZAGs nicht so hinbekommen zu haben, wie sie wollte und den Kräuterkunde-ZAG eh verhauen hat. Die hält sich aber schön aus meiner Reichweite. Mal was ganz neues. Hat wohl Angst, ich könnte der die ganzen Strafpunkte zurückgeben, die ich von der letztes Jahr abgekriegt habe. Soll mir recht sein."

"Mir auch, Mamille. Mir auch", bestätigte Julius. Dann wünschten sich beide eine gute Nacht.

__________

Am nächsten Morgen zogen die gemalten Mexikaner von Callie und Pennie Latierre wieder durch die Bilder. Doch hinter denen kam noch eine schottische Dudelsacktruppe her mit Trommeln und fünf quäkigen Sackpfeifen. Die gemalten Mariachis trompeteten und fidelten lautstark gegen die ihnen ungewohnte Konkurrenz an. Robert schrie: "Mist verdammter sowas noch! Nicht schon genug, daß die blöden Blasmusiker uns jeden Morgen zu früh aus dem Bett reißen! Jetzt noch so'n Geheul."

"Leute, hier wollen noch welche schlafen!" Rief Julius den Dudlern auf Englisch zu. Diese winkten zurück. Der führende Trommler im grün-gelb-blau gemusterten Schottenrock antwortete im schottischen Englisch:

"Wir sollen wecken, Laddy, Zejt zum Aufsteh'n."

"Das bestimmt die Schulleitung und die Saalsprecher", erwiderte Julius. "Raus aus unseren Bildern!" Doch die Dudelsacktruppe ließ sich nicht davon beeindrucken. Gérard hängte mal eben das Bild von einem Bergwerksstollen voller Zwerge ab, das Sandrine für ihn gemalt und mit Bildbelebungszaubern versehen hatte. Die Dudelsackspieler waren nun in dieser gemalten Landschaft gefangen. "Ätsch!" Machte Gérard. Doch die nun nicht weiter könnenden Musiker aus Schottland ließen sich offenbar nicht davon beirren. Im Gegenteil. Sie spielten weiter, während sie nun offenbar im Kreis um die gerade aus tiefem Schlaf gerissenen Zwerge herummarschierten. Die Bergarbeiter fluchten und hieben mit ihren Hacken und Schaufeln nach den Musikern, die jedoch jedem Schlag auswichen.

"Häng's wieder auf, damit die Truppe aus unserem Zimmer verschwinden kann!" Wies Julius Gérard an. Dieser sah ihn verdrossen an, befolgte dann aber die Anweisung. Sofort stürmten die gemalten Musiker mit voranpeitschenden Dudelsackklängen aus dem Bild heraus durch weitere Bilder hindurch und zum Schlafsaal hinaus. "Krieg bitte raus, wem wir diese Krachmacher zu verdanken haben!" Schnarrte Robert an Julius' Adresse.

"Kann nur einer von den Drillingen sein. Am besten hängen die das Bild ab, bevor es echten Krach mit Madame Faucon gibt."

"Die kommen morgen nicht noch mal", sagte Julius. Doch seine drei verbliebenen Schlafsaalkameraden widersprachen, daß die gemalten Mexikaner ja auch noch da wären. Julius mußte dem beipflichten. Vielleicht ging es aber, die gemalten Dudelsackspieler erst ab sechs Uhr durch die Bilder laufen zu lassen. Immerhin hatte er die Miniaturausgabe von Artemis vom grünen Rain im Apfelhaus zurückgelassen, wo sie eingepackt wie im Tiefschlaf bis zu den Ferien warten konnte. Er würde das wohl noch klären, wem die schottischen Musiker gehörten. Zunächst galt es aber, früh genug aus dem Bett zu kommen, um die ganzen Jungen im grünen Saal wecken zu können. So wünschte er seinen Kameraden einen guten Morgen und suchte den Waschraum für sechst- und Siebtklässler auf.

Als er um sechs Uhr bei den Erstklässlern an die Tür klopfte kam keine Reaktion. Er öffnete die Tür und sah hinein. Die Bettvorhänge waren noch zugezogen. "Morgen Leute! Der Tag fängt an. Alle raus aus der Falle!" Keine Antwort. Er ließ ungesagt die Vorhänge vor den Betten aufgleiten. Die drei Jungen lagen darin und schienen fest zu schlafen. Julius fackelte nicht lange und hob den Zauberstab. "Evoco Ventum Polaris!" Unvermittelt kam eiskalter Wind auf, der immer stärker wurde. Diesen nicht ganz einfach zu wirkenden Wetterzauber hatte er aus "Alle Wetter - die Macht der Meteomagie", einem der Zauberkunstbücher, die die Whitesands Millie und ihm zum Geburtstag geschenkt hatten. Er mußte dabei jedoch an weiße, wirbelnde Kreise denken. Jedenfalls verfehlte der immer kälter und heftiger wehende Wind seine Wirkung nicht. Lose Pergamente und Papierstücke wurden aufgewirbelt und flatterten durch den Schlafsaal. Die Bettdecken wurden angehoben, und die drei Jungen begannen zu bibbern. "Ey, mach das aus, ey!" Bibberte Hanno Dorfmann, während Charles Charpentier versuchte, die ihm entwundene Decke fest um seinen Körper zu ziehen. Doch der Wind wurde immer stärker und kälter. Jetzt waren einzelne Schneeflocken zu erkennen. Julius fühlte, wie der zauber auch ihn sichtlich beeinträchtigte. So bekam er die Hand mit dem Zauberstab gerade noch hoch genug erhoben, um mit einem ungesagten "Meteolohex Recanto!" den Wetterzauber zu beenden. Es fühlte sich so an, als würden alle in einen vorgewärmten Backofen geworfen, so schlagartig wurde es warm. Denn die Luft von draußen brach nun mit aller Wärme wieder in den unterkühlten Schlafsaal hinein. "Na, jetzt wach?" Fragte Julius. Die drei sprangen aus dem Bett. Hanno wollte auf ihn los. Doch ohne Zauberstab drängte Julius den wesentlich kleineren Burschen zurück. "Mach sowas nicht noch mal, Jungchen, sonst muß ich dir mehrere hundert Strafpunkte geben, weil du einen Saalsprecher und Pflegehelfer angreifst", drohte Julius. Hanno landete mit dem Hinterteil auf dem Bett, während die anderen noch leicht bibbernd dastanden.

"Ui, mein Onkel hat nicht übertrieben", seufzte Charles. "Du bist ein superstarker Zauberer. Jetzt kapier ich's! Gibt's diesen Windzauber auch hier in Beaux?"

"""Im Unterricht meinst du? In der siebten vielleicht. Habe schon mal ein wenig vorgearbeitet."

"Ey, mach das noch mal und ich vergess dieses Glitzerding da an deinem altmodischen Umhang!" Drohte Hanno. Julius grinste breit und tat etwas, was ihm sonst zu wieder war. Er ließ seine Muskeln spielen und hob die rechte Faust wie zum Angriff.

"Ich weiß nicht, wer dir beigebracht hat, wie's bei Männern so zugeht. Aber wenn du mal Tierfilme gesehen hast kennst du das wohl, das Männchen im Rudel klare Rangordnungen haben. Ich hätte dieses Glitzerding, wie du's nennst nicht gekriegt, wenn ich nicht wesentlich weiter über dir stehen würde. Ich bin vielleicht kein typisches Alphamännchen. Aber um dir den Hintern zu versohlen reicht's alle mal, klar! Züchtigungen ohne lang anhaltenden Schaden sind Saalsprechern erlaubt. Ich kann sogar 'ne Maus, Ratte oder Kröte aus dir machen, wenn das hilft, dich besser zu benehmen. Das willst du nicht echt ausprobieren. Außerdem imponiert mir dein Getue nicht. Ich weiß nicht, wen du damit je beeindruckt hast. Bei mir zieht die Tour jedenfalls nicht. So und jetzt alle Mann zum Waschen und Anziehen ausrücken! Ich muß die anderen noch wachmachen." Julius ging rückwärts aus dem Schlafsaal. Hanno sah sich den spöttischen Blicken seiner Kameraden ausgesetzt.

Pierre war schon aus dem Bett und hatte einen Zettel hingelegt, daß er zum Frühsport unterwegs war. So konnte Julius die weiteren Jungen wecken, was ohne Probleme ging, weil die seine Weckzauber schon zu gut kannten, um zu lange im Bett zu bleiben. So war er nach nur vier Minuten fertig. Frühsport würde er auch gerne wieder machen. Laufen, Springen und Gymnastik unter Schwermachereinfluß. Zwar hatte ihm Madame Maximes Blutspende mehr Muskeln und Ausdauer verschafft, die er im Sommer auch gut ausgenutzt hatte. Aber wenn er nicht regelmäßig trainierte würde sich das irgendwann wieder verringern.

Als kurz vor sieben alle im grünen Saal antraten, um zum Frühstück zu gehen, mied Hanno Julius Blick. Er war froh, daß der Goldbroschenträger nichts an ihm auszusetzen hatte.

Während des Frühstücks gingen die Saalvorsteher um die Tische und verteilten Stundenpläne. Die Sechstklässler bekamen eine Auswahl der Stunden, die sie ankreuzen sollten. Bei der Gelegenheit sollten die erfolgreich bestandenen ZAGs vorgewiesen werden, um zu prüfen, ob damit die Erwartungen der Fachlehrer erfüllt wurden. Gérard kreuzte von den Zauberstabbasierenden Fächern nur Zauberkunst und Abwehr bösartiger Zauber an, während Julius alle drei zauberstabbezogenen Fächer ankreuzte und sah, daß er gleich in der zweiten Stunde bei Professeur Dirkson haben würde. Die erste Stunde waren Arithmantik, das er nicht weiterlernte, sowie alte Runen auf dem Stundenplan. Nach Professeur Dirkson war praktische Magizoologie bei Professeur Fourmier. Das wollte Gérard auf jeden Fall weiterlernen. Danach war Mittagessen. Nachmittags hatte Julius Frei, weil da das Fach Zaubereigeschichte angesetzt war, das er auch nicht mehr weiterlernen wollte, sowie Wahrsagen. Die erste Stunde bei Delamontagne würde er am Dienstag in der zweiten haben, gleich nach Kräuterkunde und vor Zauberkunst. Dann Nachmittags alte Runen. Mittwochs hatte er morgens Zaubertränke, danach erneut Verwandlung und Nachmittags Zauberkunst. Am Donnerstag hatte er zwei Doppelstunden hintereinander frei, weil Wahrsagen und Muggelstudien in der ersten und Zaubereigeschichte und Arithmantik in der zweiten Stunde anstanden. In der dritten hatte er wieder Abwehr dunkler Kräfte. Nachmittags kamen die zaubertiere wieder dran. Passte ganz gut, weil er danach ja den Freizeitkurs hatte. Freitags noch mal seine Lieblingsfächer, zwei Doppelstunden Zaubertränke, dann Kräuterkunde. Nachmittags wieder Frei, weil Arithmantik und Zaubereigeschichte anfielen.

"Viele Parallelstunden bei den früheren Hauptfächern", meinte Gérard. "Wer keine Zaubertränke nimt kann da Zauberkunst und ein Theoriefach nehmen." Julius nickte. Er kreuzte die für ihn wichtigen Stunden und Tage an und frühstückte. Als Professeur Delamontagne zurückkehrte und die Pläne mit den ZAGs verglich meinte er zu André Deckers: "Auch wenn Sie den ZAG für Protektion gegen destruktive Formen der Magie bestanden haben, möchte ich Sie jedoch darauf hinweisen, daß ich der hohen Anforderungen dieses Faches wegen nur Absolventen mit einem E oder höher in meinem Unterricht begrüßen möchte. Sie haben doch ein E in Verwandlung. Warum möchten Sie dieses Fach nicht weiter erlernen? Meine Kollegin Professeur Dirkson würde Sie problemlos zu ihrem Unterricht zulassen."

"Weil Verwandlung nix echtes ist", meinte André. "Zauberkunst und Fluchabwehr sind wesentlich wichtiger als das komplizierte rumzaubern mit Verwandlungstricks. Gold kann man damit doch eh nicht machen, und Essen kann man auch nicht aus dem Nichts machen. Prof..., Madame Faucon hat immer gesagt, daß gute Fluchabwehr wichtig sei."

"Nun, meine Kollegin und jetzige Vorgesetzte legt aber auch hohe Maßstäbe an. Daher wundert mich, daß Sie gerade nur mit einem Akzeptabel bestanden haben, wenn Sie diese Auffassung zu meinem Fach hegen."

"Die Tagesform und die bekloppte Theorie", knurrte André.

"Hmm, warum haben Sie dann keine Nachholprüfung beantragt, um Ihr Ergebnis zu verbessern?" Fragte Professeur Delamontagne.

"Weil meinen Eltern das zu lästig war und wir eine längere Ferienreise geplant hatten, die wegen der bestandenen ZAGs nicht umgestoßen wurde", grummelte André. "Dann kann ich bei Ihnen nicht rein, obwohl ich bestanden habe?"

"Nun, ich denke, Ihre Eltern und Sie legen sehr viel Wert auf ein hohes Unterrichtsniveau. Das können meine Kollegen und ich nur gewährleisten, wenn die Leistungen der Schüler im Vorfeld schon hoch genug ausfallen. Eigentlich habe ich mit dem Gedanken gespielt, nur Kandidaten mit Ohne Gleichen in meinem Fach in meinem Unterricht zuzulassen. Aber aus dem Grund, den Sie schon anführten, weil das Fach an sich sehr wichtig ist, habe ich die Mindestanforderung Madame Faucons übernommen und unterrichte alle mit einem E oder höher."

"Dann nehme ich eben nur Zauberkunst. Ich muß ja keine fünf Fächer nehmen", grummelte André.

"Hmm, Wahrsagen, Zauberkunst und Astronomie. Zaubertränke ist wohl auch wegen der Mindestanforderung nicht möglich, Kräuterkunde will der Kollege Trifolio nur für Erwartungen-übertroffen-Kandidaten erteilen, und mit dem M haben sie seine Anforderungen deutlich untererfüllt. Sie hatten noch ein A in Zaubereigeschichte. Das genügt der Kollegin Pallas zur Teilnahmeberechtigung. Aber ich würde Ihnen doch als weiteres Zauberstabfach Verwandlung anempfehlen. So unwichtig ist das Fach auch nicht, weil sie da mit den Animierzaubern und Selbstverwandlungen vertraut gemacht werden."

"Ich bleibe dabei, die drei und sonst nichts", bestand André auf seiner Auswahl. Delamontagne nickte und kam zu Julius. Er überflog die ausgesuchten Fächer und die ZAGs. "Hohe Grundvoraussetzungen, Monsieur Latierre. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei den von Ihnen erwählten Fächern", sagte der neue Saalvorsteher der Grünen. Dann ging er zu Robert und riet ihm von Kräuterkunde ab, weil er hier nur ein A erzielt hatte. Robert grummelte, daß er dann die Bewerbung bei Mansio Magica vergessen konnte, wo er in die Fachabteilung für magische Lebewesen reinwollte. "Mit dem A in Zaubereigeschichte könnten sie bei denen in die Abteilung Dokumentationen und historische Unterhaltungsliteratur rein, Monsieur Deloire. Das wäre dann möglich." Robert überlegte und nickte dann. So kreuzte er die Geschichtsstunden an. Immerhin konnte er Zauberkunst, Verteidigung gegen dunkle Zauber und Verwandlung weitermachen, wo er erwartungen übertroffen erreicht hatte. Julius hörte dann noch, daß Céline auch Verwandlung, Kräuterkunde, Zauberkunst, Zaubertränke, Protektion gegen destruktive Formen der Magie und praktische Magizoologie belegen würde, während Laurentine Arithmantik, Zauberkunst, Verwandlung, Abwehr dunkler Zauber, Kräuterkunde und Muggelstudien fortsetzen würde. Er dachte an die anderen Pflegehelfer aus seinem Jahrgang. Würde er Sandrine, Patrice Duisenberg und Belisama Lagrange auch in den drei Zauberstabfächern als Klassenkameradinnen haben? Von Millie wußte er ja längst, daß sie alle drei auf Zauberstabbenutzung aufbauenden Fächer bis zu den UTZs lernen wollte, daneben noch praktische Magizoologie, Zaubertränke, Kräuterkunde und Muggelstudien belegen würde.

Ein Klingeln wie von einer kleinen, aber weitreichenden Glocke erscholl. Ding! Ding! Ding! Alle starrten auf den Lehrertisch, wo Madame Faucon gerade mit ihrem silbernen Teelöffel gegen ihre leere Tasse klopfte, was jedoch lauter als natürlich war. Ruhe kehrte ein. "Schön, daß diese Methode zum Erwerb der vollen Aufmerksamkeit noch funktioniert", begann die neue Schulleiterin. "Nun, heute Morgen kam es in den magischen Gemälden, die für den Zutritt außenstehender Bildmotive offen sind zu unerwünschten Störungen, weil eine Gruppe folkloristischer Musiker aus Schottland mit traditionellen Instrumenten weit vor der üblichen Weckzeit den Schlaf vieler Schüler und auch einiger von uns Lehrern beendeten. Es ist schon schwierig genug, den Aufmarsch einer ähnlich motivierten Bildnistruppe aus Mexiko zu unterbinden. Daher fordere ich den Besitzer oder die Besitzerin des betreffenden Gemäldes auf, die darauf agierenden Musikanten entweder dahingehend anzuweisen, ihre Tätigkeit nicht vor sechs Uhr morgens aufzunehmen oder gänzlich auf den Durchmarsch durch alle verfügbaren Bilder zu verzichten. Widrigenfalls muß ich, so gerne ich morgens mit Musik geweckt werde, als amtliche Anweisung ausgeben, für Ausgang und Zutritt offene Bilder mit von sich aus Musik aufführenden Motiven aus Beauxbatons zu verbannen, sofern sie nicht darauf hingewiesen werden können, ihre Darbietungen zu einem dem Tagesablauf in der Akademie genehmen Zeitpunkt aufzuführen. Des weiteren habe ich mit den Mitgliedern des Lehrkörpers folgenden Beschluß erarbeitet, den ich nun verkünden werde: Da in einigen Sälen weniger als sechs Schüler der Klasse eins einzogen und es üblich ist, den Unterricht nach Sälen eingeteilt zu erteilen, muß ich von dieser Regelung abweichen und auch für die üblichen Einzelsaalstunden gemischte Klassenverbände veranlassen. So werden alle Schüler aus dem grasgrünen Saal mit jenen aus dem kirschroten die Stunden Protektion gegen die destruktiven Formen der Magie, Transfiguration, Zaubereigeschichte und Zauberkunst zusammen wahrnehmen. Der Fachunterricht magische Alchemie, also Zaubertränke und -mixturen erfolgt für die erste Klasse in folgenden Verbünden: Rot, Grün und Blau, die Jungen aus dem Violetten Saal mit allen aus dem gelben saal, sowie alle Mädchen aus dem Violetten Saal mit allen Jungen aus dem weißen Saal. Der Fachunterricht Herbologie findet in der gleichen Zusammenlegung statt. Diese Festlegung tritt ab sofort in Kraft und bleibt bis zum Ende der fünften Klasse bestehen. Sie Alle haben ihre Stundenpläne erhalten und hoffentlich zur Kenntnis genommen. Für alle Erstklässler empfehle ich, mindestens fünf Minuten vor Unterrichtsbeginn den Weg zu Ihren Klassenräumen anzutreten, weil unsere Tages- oder Uhrzeitbezogenen Gangsysteme für Neulinge etwas verwirrend anmuten mögen. Falls Sie sich nicht sicher genug fühlen, scheuen Sie sich nicht, Ihre Saalsprecher zu fragen. Ich möchte allen Erstklässlern mitteilen, daß verspätetes Eintreffen im Klassenraum je nach Länge der Verspätung mit Strafpunkten geahndet wird. Jene, die bereits mehr als ein Jahr Schülerinnen und Schüler der Akademie sind erinnere ich gerne daran, daß diese Regelung immer noch in Kraft ist." Einige lachten. Andre grinsten nur verhalten. "Für alle UTZ-Schüler, die heute ihre Unterrichtsfächer für die nächsten zwei Jahre ausgewählt haben gilt, daß diese Auswahl nun bindend ist und bis zu den UTZ-Prüfungen gilt. Mehr gibt es im Moment nicht zu sagen. Frühstücken Sie reichlich, um für den Tag gestärkt zu sein!"

"Super, Babette hat mit den Blauen zusammen Zaubertränke", meinte Julius. "Wäre ja fast bei denen reingekommen."

"Aber auch nur fast, Julius", meinte Gérard. "Aber wieso die die Jungen und Mädchen aus dem violetten Saal in zwei Gruppen aufteilt kapiere ich nicht."

"Weil die im gelben Saal mehr Mädchen haben und im weißen Saal mehr Jungen", vermutete Julius. "Die hätte auch eine reine Mädchen- und Jungenklasse machen können, wie das zur Zeit der Gründer üblich war."

"Wo die Säle noch nach Geschlechtern getrennt waren und es vier Jungen und zwei Mädchensäle gab", meinte Robert. Julius nickte. Er wollte den Kameraden nicht auf die Nase binden, daß er in einer magischen Rückschau einen halben Unterrichtstag aus der Gründerzeit nacherlebt hatte.

Die Eulen flogen herein. Insofern alles wie gehabt. Babette bekam eine Eule von ihren Eltern. Gabrielle Delacour wurde von einem stattlichen Uhu angeflogen, der ein schweres Paket durch die Luft trug. Julius ging nicht davon aus, am ersten Tag Post zu erhalten. Francis saß wohl gerade in der Eulerei des grünen Saales und schlief. Doch da segelte Gloria Porters Steinkauzweibchen Trixie auf ihn zu. Er nahm dem Postvogel einen Briefumschlag ab und las, daß Gloria und ihre Eltern ihm einen störungsfreien und erfolgreichen Schuljahresbeginn wünschten. Dann traf noch eine Eule von seinen Schwiegereltern ein.

Hallo Julius,

wir wünschen dir für die nun zwei wichtigsten Jahre deiner Schulzeit die Kraft, Neugier, Ausdauer und Entschlossenheit, die nötig sind, um die UTZs zu erreichen. Wir sind zwar überzeugt, daß du diese Eigenschaften besitzt, sehen aber keinen Grund, sie dir nicht doch noch zu wünschen. Wir haben erfahren, daß Mayette wie zu erwarten war im roten Saal unterkam und erfuhren auch, daß dein ehemaliger Mitschüler Gaston Perignon nach einer kurzen Auseinandersetzung mit eurer neuen Schulleiterin den Teppich erneut überqueren mußte und jetzt doch im roten Saal gelandet ist, wo er bei seinem ersten Aufenthalt auch schon fast gelandet wäre. Wir haben das auch mit Bernadette erfahren und hoffen, ihr kriegt mit der deshalb keinen weiteren Ärger. Gut, ihr seid jetzt in einer besseren Position als sie. Aber das verhütet ja nicht immer Probleme. Wir schreiben dir das, was wir unserer Tochter gestern noch über den Pappostillon empfohlen haben: Laßt euch nicht von Bernadette oder Gaston zu Überreaktionen reizen! Es ist ein großer Glücksfall, daß ihr die letzten beiden Schuljahre in einer wesentlich friedlicheren Zaubererwelt verleben dürft. Alle innerschulischen Streitereien sind völlig unnötig. Aber lasse dir auch nicht alles gefallen! Finde raus, wann es richtig und nötig ist, einzuschreiten und wann du es auf sich beruhen lassen kannst! Dies und der Wunsch, daß du trotz der wohl immer noch von dir verlangten Höchstleistungen doch noch ein ruhigeres Schuljahr anfängst als das letzte war, sollen dich begleiten.

In Liebe und Anerkennung

Hippolyte und Albericus Latierre

Um viertel vor acht befahl Madame Faucon: "Bitte machen Sie sich nun fertig für den Unterricht!"

"Sie hat "bitte" gesagt", stellte Robert lächelnd fest. "Madame Maxime war da nicht so freundlich."

"Sie war doch während des trimagischen Turniers Schulleiterin. Hat sie da nicht "bitte" gesagt?" Wollte Julius wissen. Robert erwiderte, daß sie immer freundlich aber sehr bestimmt gesprochen hatte, aber jetzt, wo sie vollwertige Schulleiterin sei hätte sie sich ja Madame Maximes Tonfall angewöhnen können.

Julius hielt sich bereit, den Erstklässlern zu zeigen, wo sie hin mußten. Als Pflegehelfer konnte er ja locker per Wandschlüpfen zum Raum für alte Runen überwechseln. Tatsächlich wollten Hanno und Charles wissen, wo der Verwandlungsklassenraum sei. Da Babette und die anderen das auch wissen wollten klärte Julius mit Céline, die Erstklässler zu führen. Bei der Gelegenheit konnte er vielleicht schon die neue Lehrerin sehen. Esther wollte wissen, wo der Zaubertrankraum war. So konnte Céline sie dorthin führen. Céline hatte die erste Stunde frei und mußte daher keine Verspätungsstrafpunkte fürchten. "Hoffentlich ist Professeur Fixus so lustig wie Slughorn", meinte Esther. Julius hörte es und erwiderte:

"Ihr könnt froh sein, daß ihr nicht bei Snape Zaubertränke hattet, egal was man jetzt alles über ihn sagt und schreibt."

"Der gab Verteidigung. Hat schon gereicht", knurrte Esther. "Der konnte Gryffindors nicht ab, hat denen immer Punkte abgezogen wo's ging und wegen Mum und Dad gerne rumgelästert, Larry, Horus und ich müßten doch mehr drauf haben als der Rest." Damit hatte Julius es nun raus, daß die Drillinge Gryffindors wie ihre Mutter gewesen waren. Er hätte gerne gewußt, wo ihr Vater gewohnt hatte. Doch das Thema wollte er besser nicht kurz vor der ersten Stunde in einer neuen Schule anschneiden. Zumindest würde Esther ihren Bruder Horus im Unterricht treffen, der ja bei den Roten wohnte.

"Ich find's zumindest gut, daß Oma Blanche keine Noten mehr geben kann", wisperte Babette an Julius' Adresse, als sie durch die verwirrenden Gänge von Beauxbatons liefen, ohne zu rennen.

"Du meinst, weil sie deine Mutter ziemlich rangehalten hat?" Fragte Julius. Babette nickte. "Na ja, ob sie bei dir anders oder genauso drauf gewesen wäre können wir ja jetzt nicht mehr rauskriegen. Aber benimm dich trotzdem anständig. Ich weiß nicht, wie Professeur Dirkson drauf ist. Die muß den anderen Lehrern zeigen, daß sie hier her gehört. Wie die das macht wissen wir wohl erst am Ende der Woche genau. Also mach nichts, was sie dazu bringen könnte, an dir ein Exempel zu statuieren!"

"Ein was zu statuisieren?" Fragte Babette leise. Julius meinte, kein Beispiel für heftige Strafen zu bilden.

"Kriegen wir schon raus, wie wir Menschen in Frösche verwandeln oder wie wir aus Scheiße Geld machen?" Mußte Hanno mal wieder einen Spruch ablassen.

"Aus Unrat Geld machen kann jeder Muggel, der in der Werbung arbeitet, Hanno und auch jeder Rechtsanwalt. Und Menschen in Frösche verwandeln geht erst ab der sechsten Klasse und ist obendrein nur für Unterrichtszwecke für kurze Zeit erlaubt, weil dich sonst das Zaubereiministerium zur Schnecke macht und das ohne Magie."

"Ey, das mit den Anwälten sollte wohl komisch rüberkommen, oder? Kann ich aber nicht drüber lachen", knurrte Hanno.

"Ich auch nicht, mein Onkel ist Anwalt, und der macht fast jeden Tag aus Dreck Kohle", konterte Julius. Er hatte lange nicht mehr mit seinem Onkel Claude gesprochen, weil seine Mutter und er beschlossen hatten, den Kontakt mit ihm zu beenden, als er damals meinte, ihn einzufordern und ihm angeblich im Sinne seines verstorbenen Bruders Richard zu erziehen.

"Suchst du Ärger?" Fragte Hanno aufbrausend.

"Neh, muß ich nicht. Als Saalsprecher findet der Ärger mich, wenn er was von mir will", erwiderte Julius. Die Mädchen kicherten, Patrice und Charles zwinkerten Julius zustimmend zu. Hanno merkte, daß seine Art wohl bei Julius keinen rechten Angriffspunkt fand und gab Ruhe.

Auf dem Weg zum Verwandlungsraum lief ihnen Sandrine mit ihrer Kolonne Erstklässlerinnen über den Weg. Da meinte Hanno wieder, den Bilderbuch-Macho geben zu müssen und rief: "Yo, Mädels, alles senkrecht?"

"Häh?!" Tönte es aus acht Mündern. Sandrine starrte Hanno verdutzt an. Julius meinte locker klingend: "Hanno will nur wissen, ob ihr für den Unterricht wach genug seid, mehr nicht."

"So'n Muggelausdruck für Typen, die meinen, echte Männer zu sein", meinte Lucine Berlios, die Hanno gestern schon so abschätzend angeguckt hatte.

"Danke der Nachfrage, Hanno, wir sind wach genug, aber haben es ein wenig eilig", sagte Sandrine leicht ungehalten. "Zauberkunst fängt gleich an."

"Ach ja, und die Mädels sind mal wieder später dran als die Jungs", warf Hanno ein. Julius räusperte sich sehr deutlich. Sandrine baute sich vor dem Erstklässler auf, warf Julius einen fragenden Blick zu. Er nickte. "Also zum einen, junger Mann, geht es dich nichts an, wofür wir Mädchen wie viel Zeit brauchen und ob wir dadurch früher oder später zu den Klassenräumen finden, solange wir pünktlich sind. Zum anderen", fuhr Sandrine dann fort, "Reicht die Bezeichnung Mädels bei einigen Hexen aus, solchen Großmäulern mal eben irgendwelche unfeinen Sachen anzuhexen. Lern das, wenn du mit uns gut auskommen möchtest!"

"Ähm, dieses Glitzerding da sagt, du heißt Sandrine Dumas", erwiderte Hanno. "Erstens bist du nicht für mich zuständig, Sandrine. Zweitens haben die Mädels da, wo ich herkomme kein Problem damit und quatschen selbst so wie ich und nicht so überkandidelt. Drittens lasse ich mir grundsätzlich nix von 'ner Frau sagen, aus der ich nicht rausgezogen wurde."

"Ist gut jetzt, Hanno", schritt Julius ein, weil Sandrine um Worte rang. Die Mädchen starrten den Jahrgangskameraden verdattert an. Nur nicht Lucine Berlios und Jacqueline Richelieu. "Willst du deine Kameraden länger aufhalten als nötig und bei der Gelegenheit schon Strafpunkte abräumen. Dann weiter so! Aber wenn du zu viele Strafpunkte abräumst fliegst du ohne Besen."

"mach du weiter so, und deine Mutter wird die einzige Frau bleiben, die was von dir wissen will", schnaubte Sandrine noch und gab Hanno zehn Respektlosigkeitsstrafpunkte mit.

"Darf die das, mir solche Strafpunkte reindrücken?" Fragte Hanno Julius. Dieser deutete auf die Brosche an Sandrines Bluse. "Das, was du Glitzerding nennst, sagt, daß sie das darf, nicht nur bei denen aus ihrem Saal. Merk dir das besser gleich, bevor dich noch wer anderes voll reinrasseln läßt!" Bestätigte Julius. Sandrine nickte ihm beipflichtend zu. Dann winkte sie den acht Erstklässlerinnen aus ihrem Saal. Julius trieb seine Truppe zum Weitermarsch an und legte ein höheres Tempo vor. Das bewirkte, daß die wesentlich kleineren Mitschüler vor lauter schnellem Trab keine Luft für weitere Kommentare oder Sprüche mehr hatten. Als er sie vor dem Verwandlungsklassenraum ablieferte stand Professeur Dirkson schon vor der Tür und blickte auf ihre Armbanduhr. Sie winkte den Schülerinnen und Schülern. "Noch dreißig Sekunden. Gehen wir rein", sagte sie. "Danke, daß Sie sie hergebracht haben, Monsieur Latierre!"

"Keine Ursache, Professeur Dirkson. Bis dann in der zweiten Stunde."

"Bis dann! So die Herrschaften. Sie wirken zwar gut angestrengt. Aber ich denke, Ihre Konzentration reicht noch aus", sagte sie. Julius hörte nicht weiter zu, er peilte ein Wandstück in der Nähe an und löste durch Berührung seines Pflegehelferarmbandes das Wandschlüpfsystem aus. Als er in der Nähe des Kursraumes für alte Runen aus der Wand fiel wäre er fast in Sandrines Rücken gestolpert. Diese blickte sich um und sah Julius an.

"Was hat euer Neuzugang für ein Problem?" Fragte sie leise. Julius erwiderte: "Müssen wir noch rausfinden. Vielleicht kriegen wir dessen Art bei der Pflegehelferkonferenz."

"Der macht das gute Bild von Muggelstämmigen kaputt. Das ist dir doch klar."

"Woher möchtest du wissen, daß er Muggelstämmig ist?" Fragte Julius zurück.

"Weil der offenbar nicht weiß, wie Zauberer mit jungen Hexen reden. Außerdem hat er getönt, daß er aus einer Gegend kommt, wo die Mädchen mit seiner Art kein Problem haben. Mehr muß ich nicht wissen, um zu wissen, daß der keine Zauberereltern hat."

"Natürlich", erwiderte Julius und steuerte die Tür zum Runenklassenraum an. Professeur Milet wartete schon davor. Allerdings war sonst noch niemand hier. Julius sah das seidigweich fließende schwarze Haar der Lehrerin und verglich es mit dem von Eunice Dirkson. Die neue Lehrerin hatte noch dunkleres Haar, stellte er fest.

"Es sind nur vier von Ihnen bereit, die alten Runen weiterzuerforschen", sagte sie. Da kamen Charlotte Colbert und Xavier Holzmann um die Ecke, gerade noch ohne zu rennen. So konnte es also losgehen.

Nach der Stunde alte Runen, wo es um die ersten der sogenannten Machtrunen ging, die bei starken, vorhaltenden zaubern wichtig waren, aber auch in Texten über den Sinn des Geschriebenen entscheiden konnten, freute sich Julius auf Verwandlung. Xavier und Sandrine begleiteten ihn zum Kursraum. Dort trafen sie alle aus den anderen Sälen, die die Mindestanforderung für den UTZ-Unterricht erfüllten. Dazu gehörten neben Julius' Frau Millie tatsächlich alle Pflegehelferinnen aus seinem Jahrgang, Laurentine, Céline und Gérard, sowie Apollo Arbrenoir und Leonie Poissonier aus dem roten Saal und Sandrines Saalkameradin Béatrice. Alle anderen konnten oder wollten nicht weitermachen.

Professeur Dirkson kam von außen. "Ich habe die Leute aus der ersten Klasse in die Nähe ihres nächsten Klassenraumes gebracht. Ist auch für mich eine gute Übung, mich in diesen Gängen zurechtzufinden", sagte sie und schloß die Türe auf.

Wie es alle anderen Lehrer hier taten nahm sie die im Chor der Schüler geäußerte Begrüßung entgegen, bedankte sich und schloß die Tür von innen. Sie verlas eine Anwesenheitsliste und merkte sich die Gesichter zu den Namen. Dann ließ sie die Schüler Platznehmen. Dabei kam es nicht ganz zufällig so, daß die Pflegehelfer eine Gruppe für sich bildeten. Professeur Dirkson lächelte und meinte, daß sie damit gerechnet habe, daß diese Zusammensetzung passierte. ""Die Sitzordnung bleibt bis zu den UTZ-Prüfungen. Und Sie, Monsieur Latierre, setzen Sich bitte nach vorne!" Julius verstand. Sie wollte ihn bei bedarf vorführen, wie es Professeur Faucon vor einem Jahr noch gerne getan und der neuen Kollegin sicher haarklein erzählt hatte. So setzte er sich nach vorne, flankiert von Mildrid und Belisama. Sandrine und Patrice saßen hinter ihm.

"Dann möchte ich mich noch einmal anständig vorstellen. Ich bin Professeur Eunice Dirkson. Der Name dürfte für die meisten von euch schwierig nachzusprechen sein. Aber wir haben ja Zeit." Sie sagte "für euch" und nicht "für Sie", erkannte Julius sofort. Mit Vornamen sprach sonst nur die Geschichtslehrerin ihre Schüler an. "Ich habe gerade eine Doppelstunde Erfahrung und kenne eure Stundenpläne nicht auswendig. Hattet ihr schon Zauberkunst oder Verteidigung gegen dunkle Künste?" Alle schüttelten die Köpfe. "Dann habe ich wohl die große Ehre, euch darauf einzustimmen, was der eigentliche Schwerpunkt dieses Jahres ist", sagte sie und zückte ihren Zauberstab. Ohne ein einziges Wort ließ sie Teetassen zu Ratten und Fledermäusen werden, ließ eine Porzellanente lebendig werden und dann verschwinden und dann alle umgewandelten Tiere wieder in ihre Ausgangsformen zurückkehren. Alle sahen sie an, wie spielerisch sie diese schnellen Verwandlungen ausführte, um sich kurz noch hellblondes Haar und eine lange Nase zu verpassen, um das nach nur fünf Sekunden Anblick wieder in ihre übliche Erscheinungsform zurückzuwandeln. Julius wußte ja, daß ab heute alle seine Klassenkameraden ungesagte Zauber einzuüben hatten. Etwas, daß er schon seit der ersten Klasse unfreiwillig gut beherrschte. Die Schülerinnen und Schüler staunten über die schnelle und wortlose Abfolge von Verwandlungsübungen. "Die wahre magische Reife zeigt sich, so meine Lehrmeisterin, Professor McGonagall in Hogwarts, in der ausführung aller Zauber, ohne die dazu gehörigen Worte und Formeln laut aussprechen zu müssen. Wir werden also ab heute jeden alten und auch jeden Neuen Zauber so gut es geht ungesagt ausführen. Natürlich weiß ich, daß das für den einen oder die andre am Anfang schwer bis scheinbar unmöglich ist. Aber ich habe das gelernt und durch viel Übung verinnerlicht. Dann kriegt ihr das auch hin", sagte die Lehrerin. Dann sah sie auf Sandrine, die die Hand erhoben hatte.

"Entschuldigung, Professeur Dirkson, bevor wir fortfahren möchte ich nur wissen, ob wir weiterhin die Unittamotechniken benutzen. Sie sagten, Sie waren in Hogwarts. Da werden doch Wendels Techniken benutzt."

"Der Lehrplan verlangt von mir, daß ich euch alle Verwandlungen gemäß Maya Unittamos Techniken beibringe", sagte Professeur Dirkson. "Also ungesagtes Zaubern. Ihr alle seit lange genug ausgebildet worden, um genug Zauberkraft zu entwickeln, um diese Hauptanforderung dieses Jahres zu schaffen, die ja auch für Zauberkunst und Verteidigung gegen dunkle Künste gilt. Jetzt weiß ich, daß hier einer im Raum sitzt, dem eine so hohe Grundkraft in die Wiege gelegt wurde, daß er bereits Übung darin hat, ungesagte Zauberstücke auszuführen. Sowohl meine Lehrmeisterin Professor McGonagall, als auch meine Vorgängerin hier und jetzige Vorgesetzte empfahl mir, disen jungen Mann deshalb bereits mit weiter fortgeschrittenen Zaubern zu betrauen. Julius, kannst du aus diesem Tisch da bitte mal ein Pferd machen, ohne ein Wort dabei über deine Lippen kommen zu lassen?" Julius nickte, stand auf und konzentrierte sich. Es dauerte fünf Sekunden, da stand an Stelle eines freien weißen Tisches ein Schimmel im Klassenraum. Die, die ihn noch nicht hatten zaubern sehen können seufzten, weil sie fanden, daß es doch schwierig war, ungesagt zu zaubern. Professeur Dirkson kehrte die Verwandlung mit einer Lockerheit um, als dirigiere sie einen fröhlichen Tanz.

"am Ende des Jahres kann das jeder und jede von euch auch", tröstete sie die anderen. "Für seine Kräfte muß sich niemand schämen, nur für das, was er damit anstellt. Also fangen wir mit einfachen Verwandlungen an, während Julius mir vorführt, wie schnell er die Vivo-ad-Vivo und die Materialisationszauber ausführen kann. Wer es schafft, die ersten Invivo-ad-invivo-Verwandlungen ungesagt hinzubekommen, kann sich an Vivo-ad-invivo-Verwandlungen versuchen. Vielleicht bekommt ihr schon heute ein gewisses Gefühl dafür, ungesagt zu zaubern. Damit ihr von eurem bereits fortgeschrittenen Kameraden nicht irritiert werdet ziehe ich einen teildurchsichtigen Wandschirm zwischen ihn und euch." Sie wedelte mit dem Zauberstab, und aus der Luft klackerten Fingerhüte, Zigarrenkisten und Holzbecher auf die Tische. Sie verteilte Aufgaben und kam dann zu Julius zurück. "Tritt bitte an den Tisch da vor dir!" Sagte sie und beschwor aus dem Nichts einen breiten Arbeitstisch herauf. Julius erkannte, daß die Hexe da ihm doch noch weit voraus war, was die schnelle und ungesagte Zauberei anging. Er befolgte die nicht so streng klingende aber bestimmt verbindliche Anweisung und nickte seinen Kameradinnen zu. Er ging nach vorne. Professeur Dirkson trat an seine Seite, wandte sich um und zog einen Wandschirm hoch, der wie aus Glas wirkte. ""Paraventum semilucentum", sagte sie, als der Schirm stand. "Von meiner Seite aus kann ich alles beobachten. Du bist für die anderen aber gerade nicht zu sehen." Sie drückte ihm eine Pergamentrolle in die Hand und stellte zu der in Beauxbatons üblichen Pünktlichkeitssanduhr noch eine kleinere Sanduhr auf. "Das auf der Rolle möchte ich von dir haben, bis die durchgelaufen ist", wisperte sie. Julius nickte.

"Und Madame Faucon hat Ihnen garantiert, daß ich das hinkriegen kann? Nicht daß Sie enttäuscht sind", meinte Julius. Doch statt einer Antwort deutete die Lehrerin nur auf den nun leise und stetig aus dem oberen in den unteren Kolben rieselnden Sand. Julius kapierte es, daß sie es wissen wollte und keinen Einwand zuließ. Er las die Aufgaben von seinem Zettel. Als er fertig war, standen auf dem Tisch Kästen und Glasgefäße mit lebenden Tieren, die jedoch keine Geräusche von sich geben konnten, Schnecken, Schildkröten, Regenwürmer und Spinnen. Die Gegenstände sollte er zu anderen Gegenständen machen. Die Schnecken in Goldfische Verwandeln, die Regenwürmer in Käfer und die Spinnen in Schmetterlinge. Sie wollte also keinen Laut hören. Julius sah kurz zu seiner Frau und Belisama, die verbissen mit ihren Zauberstäben auf die vor ihnen liegenden Knöpfe zielten. Professeur Dirkson stupste Julius an und deutete wortlos auf den Tisch. Aus ihrem Zauberstab schlängelte sich ein Silberfaden, der in der Luft die Worte "Nicht auf die anderen gucken!" buchstabierte. Er füllte die leeren Gläser mit einem ungesagten Aguamenti-Zauber fast bis zum Rand mit klarem Wasser. Dann bezauberte er die erste Schnecke. Nach drei Sekunden zappelte ein großer Goldfisch im Kasten der Schnecke. Julius ließ ihn ungesagt in eines der Wassergläser schweben. Wiederholte den Vorgang an der zweiten, dritten und vierten Schnecke. Er meinte, jedes Sandkorn in der Uhr rieseln zu hören. Doch als er alle sechs Schnecken zu Goldfischen gemacht hatte und auf die Uhr sehen wollte, waren die Kolben undurchsichtig. Professeur Dirkson ging im Klassenraum herum. Julius verdrängte den Impuls, ihr zuzurufen, daß er gerne die Zeit ablesen wollte. Sie hatte ihm ganz ohne strenges Wort eine heftige psychologische Last aufgeladen, nicht zu wissen, wie lange er noch hatte, um die ihm gestellten Aufgaben zu erledigen. Da sah er, wie Millie gerade ihren Knopf in eine Zigarrenkiste umwandelte. Ob sie dabei was gesagt hatte wußte er nicht. Doch es spornte ihn an, seine Aufgaben nun schneller zu erledigen. Da er die anderen Tiere nicht ins Wasser setzen mußte konnte er sogar den Wiederholzauber Repetitio benutzen. Das ging leichter und schneller, wenn er immer das gleiche zaubern sollte. So verschwanden die Schildkröten, Würmer, Käfer und Spinnen, um den angewiesenen, für Menschenohren stummen Tieren Platz zu machen. Dann sollte er noch diverse Sachen heraufbeschwören, die nicht aus Metall waren, Kerzen, Vasen, Tonteller und Untersetzer. Als er das auch hatte kam die letzte Aufgabe, eine partielle Selbstverwandlung. Also hatte Madame Faucon ihr das auch erzählt. Er brauchte dazu aber einen Spiegel. Er beschwor einen Wandspiegel herauf, den er so leise er konnte an die ihm gegenüberliegende Wand hängte. Dann ging er daran, ungesagt an sich herumzuzaubern, bis er die smaragdgrünen Haare und die lila Augen hatte, die die Lehrerin von ihm zu sehen wünschte. Als er fertig war, blickte er noch einmal auf alles und dann auf die Sanduhr. Ob sie immer noch lief wußte er nicht. Er wollte Professeur Dirkson rufen. Doch die stand gerade bei Laurentine und lächelte sie an, weil diese bereits mit Invivo-ad-Vivo-Verwandlungen hantierte. Belisama mühte sich wohl noch mit ihrem ersten Übungsobjekt ab, während Millie gerade eine Zigarrenkiste in eine Blumenvase verwandelte. Dann erscholl ein leiser Klingelton. Julius sah die Sanduhr nun wieder durchsichtig werden. Aller Sand war im unteren Kolben. Professeur Dirkson nickte Laurentine zu und wetzte um den Wandschirm herum. Sie betrachtete erst Julius und dann seine Arbeit und grinste feist. Dann nickte sie heftig und notierte etwas. Wie ein Taschenspieler ließ sie aus ihrem Ärmel einen weiteren Zettel herausrutschen. Julius sollte erst die Selbstverwandlung umkehren und dann noch einmal eine Serie lautloser Tiere lautlos in andre lautlose Tiere verwandeln, Fische in Eidechsen, Schmetterlinge in Seesterne, Regenwürmer in Ameisen und sich am Ende schwarzes Haar und grüne Augen verpassen. Wieder konnte er die Sanduhr nicht ablesen. Wieder ging Professeur Dirkson auf der anderen Seite des Wandschirms herum und beaufsichtigte die anderen Schüler. Millie konnte jetzt auch einige Sachen mehr verwandeln, und Belisama hatte es geschafft, ihr erstes kleines Verwandlungskunststück ohne gesprochene Zauberworte zu erledigen. Apollo und Gérard stellten sich aber wohl noch unbeholfen an. Julius mußte sich wieder auf seine Aufgaben konzentrieren, weil er nicht wußte, wie lange die Uhr durchlief. Denn das naheliegende, seine eigene Uhr abzulesen, als die Sanduhr umgedreht wurde, hatte er verschwitzt. Als er dann mit allem durch war wartete er noch zwei Minuten, bis der magische Klingelton erklang und die Lehrerin ohne ein Wort seine Arbeit prüfte. Wieder notierte sie sich was dazu. Dann schrieb sie mit Zauberfadenschrift: "Ist wohl zu einfach, wie?" Julius fragte sich, warum sie nichts sagte. Doch der seltene Ehrgeiz, ihr vorzuführen, was er konnte, trieb ihn an, ebenfalls den zauberstab zu heben und mit den nur gedachten Worten "Scriptum volatum" und den dazu gedachten Worten "Bin froh, noch in der Zeit zu sein" eine Antwort zu schreiben. Dann schrieb er, weil der magische Silberfaden noch aus dem Zauberstab kroch: "Warum sagen sie kein lautes Wort?"

"Weil das den Versuch versauen würde", zauberfadenschrieb sie zurück. Also hatte sie den Wandschirm oder die Sanduhr mit einem Zauber belegt, der bei einem gesprochenen Wort Alarm auslösen oder sonst was anstellen würde. Julius erinnerte sich an einen entsprechenden Meldezauber und schrieb zurück: "Verbanuntius?" "Genau", bildete sich die Antwort in der Luft schwebend. Professeur Dirkson strahlte ihn an. "Ist zwar Zauberkunst und damit nicht das mir zugeteilte Fach. Aber schon schön, daß du mit deinen Kräften auch die gesunde Neugier hast, alles damit mögliche und friedfertige zu lernen." Dann wischte sie mit einigen Schlenkern die in die Luft geschriebenen Botschaften ins Nichts. Sie holte noch einen zettel hervor und drehte die Uhr um. Jetzt blickte Julius auf seine Weltzeituhr. Als er die neuen Aufgaben hatte ging er daran, Tiere in Pflanzen und umgekehrt zu verwandeln, wobei er große Schildkröten in Zimmerpalmen und Gummibäume verwandeln sollte. Als er auch mit dieser Aufgabenstellung durch war wartete er auf das Klingelzeichen. Als es kam las er seine Uhr ab. Er hatte tatsächlich nur sieben Minuten Zeit zur Verfügung gehabt? Das würde ihm auch imponieren, wenn er das bei anderen gesehen hätte. Dann war seine Schnelligkeit wohl ausgiebig genug getestet worden. Professeur Dirkson ließ den Wandschirm verschwinden und überflog die Notizen. "Tja, das sind alle fünfzig von fünfzig erreichbaren Bonuspunkten, Julius Latierre", verkündete sie nun mit hörbaren Worten. "Jetzt weiß ich, woran ich bei dir bin und wo wir weitermachen müssen. Laurentine erhält auch fünfzig Bonuspunkte, weil sie als erste bis zur Vivo-ad-Vivo-Verwandlung von Käfern in Spinnen vorgedrungen ist, ohne ein Wort zu sagen. Mildrid Latierre bekommt dreißig Bonuspunkte für die zweitschnellste, Céline Dornier zwanzig für die drittschnellste Überwindung der Schwelle zwischen verbalem und nonverbalem Zaubern bei einfachen Verwandlungsübungen. Die anderen erhalten zehn für den erfolgreichen Versuch. Gérard und Apollo, ihr bekommt fünf für die sichtbare Bemühung, das hinzukriegen. Dann können wir in die Theorie der höheren Verwandlungen einsteigen. Wer von euch kennt Gamps Gesetze zur elementaren Transfiguration?" Die Pflegehelfer in der Klasse und Laurentine zeigten auf. "Hui, ich kann mir wen aussuchen. Schön!" Bemerkte die neue Lehrerin dazu. Alle lachten. "Als ich in der sechsten Klasse war kannten nur die ausgewiesenen Streber diese Gesetze. Ich muß zugeben, damals auch dazu gehört zu haben. Das waren dann nur zwei." Wieder lachten alle und sahen einander an. "Aber ich verstehe zumindest, daß die Damen und Herren mit den silbernen Armbändern schon darauf hingetrieben wurden, möglichst früh die wichtigsten Gesetze verschiedener Fachrichtungen zu kennen. Also möchte ich von Mademoiselle Sandrine Dumas hören, was diese Gesetze allgemein besagen."

"Chrysostomos Gamps Gesetze bezeichnen, welche Dinge sehr leicht bis gar nicht zu verwandeln sind und inwieweit die elementare Verbundenheit des Ausgangsobjektes mit dem Zielobjekt besteht. Es gibt acht Hauptregeln und fünf Ausnahmen. Die Ausnahmen besagen, was nicht verwandelt oder beschworen werden kann."

"In Ordnung, das sind fünf Bonuspunkte für dich, Sandrine Dumas. Dann möchte ich jetzt von dir, Laurentine, die vierte Ausnahme hören." Laurentine sah sie verdutzt an. Doch dann straffte sie sich.

"Gamps viertes Ausnahmegesetz der elementaren Transfiguration besagt: Es ist möglich, Gold in beliebige andere Materie zu verwandeln. Doch es ist unmöglich, diese verwandelte Materie oder jede natürlich vorhandene Materie in dauerhaftes Gold zu verwandeln. Zwar gibt es den Geminio-Zauber, der auch Sachen aus Gold verdoppeln kann. Der hält aber nicht länger als einen Viertelmondzyklus an. Dann löst sich das verdoppelte Objekt in Nichts auf, sofern es aus Silber, Gold oder Platin gemacht war. Deshalb kann ein Vorrat von Edelmetallen oberhalb Kupfer nicht beliebig vermehrt werden, sondern nur die vorhandene Menge eingeschrumpft und rückvergrößert werden."

"Und zehn Bonuspunkte für dich, Laurentine, weil du den scheinbaren Widerspruch zwischen Gamps Gesetz und der Existenz des Geminio-Zaubers aufgeklärt hast", quittierte Professeur Dirkson diese Antwort. "Was ist die erste allgemeine Regel, die keine Ausnahme ist, Julius?" Wandte sie sich an Julius Latierre.

"Die erste allgemeine Regel lautet: Es ist leichter, bereits in Reichweite befindliche Dinge umzuwandeln, als sie aus dem Nichts zu erschaffen, wobei die Schwierigkeit in Ausgangs- und Zielgröße allein liegt."

"Für dich auch noch fünf Bonuspunkte, Julius Latierre", sagte Professeur Dirkson. "Tja, und wenn ich schon kein Gold aus Dreck zaubern kann, wie mich ein Erstklässler doch vorhin zu fragen gewagt hat, wie sieht's dann mit dem Essen aus, Mildrid?"

"Gamps erste Ausnahme der elementaren Transfiguration sagt, daß es unmöglich ist, Nahrung aus dem Nichts zu erschaffen. Es kann nur bereits in einer Grundform vorhandene Nahrung umgewandelt oder in gewissen Grenzen vermehrt werden. Mit dem Problem hatten wir es hier im letzten Jahr ziemlich übel zu tun", antwortete Millie und erntete allgemeines Nicken.

"Auch für dich weitere fünf Bonuspunkte, Mildrid Latierre. Hmm, ich hörte sowas, daß es in Beauxbatons zu einer Lebensmittelknappheit kam. Wodurch wurde sie ausgelöst und wie beendet, Céline."

"Ähm, ich weiß nicht, ob ich das sagen darf, weil das Beauxbatons-intern ist, Professeur Dirkson", wandte Céline ein.

"Im Moment bin ich auch ein Bestandteil von Beauxbatons", erwiderte Eunice Dirkson lächelnd. Damit schlug sie Célines Bedenken aus dem Feld. So schilderte diese in wenigen Sätzen, was Didier versucht hatte, warum und wie es ausgehebelt werden konnte, wenngleich sie nicht wußte, wie die zwölf Nachfahren der Gründer es genau geschafft hatten, wobei sie Millie und Julius ansah.

"Für die sehr kompakte Formulierung zehn Bonuspunkte, Céline Dornier", erwiderte Professeur Dirkson. "jetzt muß ich mich zumindest nicht vor den Kollegen klein fühlen, weil die was wissen, was ich noch nicht wußte." Alle lachten. Mit einem Schsch-Laut stellte die Lehrerin wieder Ruhe her. "Damit habt ihr also sehr anschaulich vor Augen geführt bekommen, welche Grenzen die Verwandlungskunst besitzt. Andererseits ist es aber eine sehr wichtige Fertigkeit der magie, die im Alltag sehr praktisch und für die Balance zwischen Geist, Bewegungsfertigkeit und Zauberkraft sehr wirkungsvoll ist. Gehen wir also weiter auf Gamps Gesetze ein und diskutieren mal, warum das so ist, wie er es niedergeschrieben hat." In den folgenden Minuten entspann sich eine rege Debatte über die Gründe, warum es nicht ging, Essen aus dem Nichts zu holen oder Gold in beliebiger Menge herzustellen. Die Struktur von Nahrungsmitteln war zu komplex, um sie durch Beschwörungszauber nachzubilden. Gold war ein für Zauberkunst und Flüche gut geeignetes, wenn auch schwer bezauberbares Metall, konnte aber genau deshalb nicht auf magische Weise erzeugt und vermehrt werden. Julius warf ein, daß das mit der magischen Erzeugung nicht so ganz richtig war, da er von einem Alchemisten gehört habe, der tatsächlich den legendären Stein der Weisen hergestellt hatte, mit dem Gold in beliebiger, ja unbegrenzter Menge erschaffen werden konnte.

"Nun, da du, wie ich erfuhr, ja auch von Elternseite her leichter an die Alchemie heranzuführen warst als andere weißt du sicher auch, daß dafür nicht beliebige Stoffe benutzt wurden und das Gold nicht aus dem Nichts erzeugt wurde, sondern durch magische Prozesse, in die der Stein einbezogen war." Julius schüttelte den Kopf. Er wußte nur, daß der Stein in Hogwarts gewesen war. "Ich habe mich zwar eher auf Zauberstabfächer festgelegt, aber auch Zaubertränke gebraut. Es gilt wohl, den Ausgangsstoff durch einen vom Stein der Weisen katalysierten Prozeß in mehreren Schritten immer weiter aufzuwerten, bis er die Schwelle zum Gold überspringen kann. Die dabei anfallende Restsubstanz soll angeblich das Leben verlängern und daher als "Elixir des Lebens" bezeichnet werden, womit zwei große Träume der Menschen erfüllt wären, unerschöpflicher Reichtum und Unsterblichkeit." Julius nickte. Zumindest das wußte er auch von diesem sagenhaften Stein. "Um diesen Prozeß zum Erfolg zu führen muß die Substanz, aus der der Stein besteht über alle Elementarkräfte gebieten und für eine sehr große Magiedichte empfänglich sein, so daß die in ihm konzentrierte Zauberkraft selbst wie Materie ist. Aber ich fürchte, wir gleiten jetzt zu weit in die Fachrichtung meiner Kollegin Professeur Fixus. Nachher meint sie noch, sich an mir rächen zu müssen, indem sie in ihren Stunden die Zusammenhänge von Bewegung, Zeit und Ausgangsform-Zielformdifferenz in Tabellen fassen lassen will." Wieder lachten alle. "Um wieder auf unseren gerade laufenden Unterricht zu kommen, ich habe dem Erstklässler, der mich in einer kindlich unbekümmert einfachen Sprache gefragt hat, ob man Dung zu Gold machen kann gesagt, daß es Tierwesen gibt, deren Ausscheidungen in Galleonen bezahltt werden, die aber nicht aus dem Nichts erschaffen werden können. Wie sieht das mit magischen Kreuzungen von Tieren aus, die es ja sehr häufig gibt?" Sie sprachen über die möglichen Zauber und wie diese verflochten werden konnten. Millie steuerte die Sachen bei, die bei der Züchtung von Latierre-Kühen nicht geheim waren. "Das dürft ihr euch jetzt mal aufschreiben, daß bei einer Zusammenfügung mehrerer artverschiedener Lebewesen zu einer neuen Art die einzelnen PTR-Werte nicht summiert, sondern multipliziert werden und auch das Größengefälle hineinspielt." Sie diktierte ihren Schülern die korrekte Formulierung. Dann durften sie noch einige praktische Übungen machen, wobei Julius seiner Grundkraft und Übung angepaßte Aufgaben erhielt. So verflog die Zeit. Als alle ihre Übungsergebnisse bewertet bekamen erhielt Julius zwanzig und die anderen dreißig Bonuspunkte.

"Es ist angenehm, mit einer Klasse von interessierten wie begabten Schülern zu arbeiten. Danke für eure Mitarbeit und euer Interesse. bis nächsten Montag möchte ich von jedem von euch einen drei Rollen füllenden Aufsatz über die Birkenklotz-Barriere zwischen Verwandlungen an nichtmagischen Tieren und Menschen. Und jetzt raus mit euch, Frische Luft schnappen, bevor ihr bei dem Kollegen nach mir nur noch gähnt! Die Eheleute Latierre, die Mademoiselle Belisama Lagrange und die Mademoiselle Laurentine Hellersdorf sehe ich dann heute nachmittag im Kurs für Fortgeschrittene." Laurentine stutzte. Sie hatte sich offenbar nicht dafür eingetragen. "Ich habe erkannt, daß du da reinpaßt und von deinem Hauslehrer, ähm, Saalvorsteher erfahren, daß du zu dieser Zeit keinen anderen Freizeitkurs ausgewählt hast. Deshalb komm ruhig zu mir", sagte Professeur Dirkson noch, wobei sie mütterlich lächelnd auf Laurentine blickte, die keine Worte fand. Dann nickte sie.

"hat die mich doch voll überrumpelt", knurrte Laurentine auf dem Pausenhof, als sie mit Julius, Millie und Céline zusammenstand. "Ich dachte schon, die verdonnert uns alle zu diesem Kurs."

"Das Ding schimpft sich Freizeitkurs, Laurentine", meinte Julius. "Das sie dich da reinholen wollte liegt nur daran, daß du die erste warst, die ungesagt was gezaubert hat. Willkommen im Club der Verplanten!"

"Na ja, hatte eigentlich vor, da Hausaufgaben zu machen. Aber wenn die meint, ich störe da nicht oder hänge nur dumm rum. Warum bist du da eigentlich nicht rein, Céline?"

"Aus dem gleichen Grund wie du, Laurentine. Ich bin als Saalsprecherin schon heftig genug am strampeln. Da wollte ich den Montag nachmittag für Hausaufgaben freihalten. Aber mach du das ruhig. Wenn du es nicht hinkriegst, ist sie die blamierte."

"Wie nett, Céline. 'ne tolle Freundin bist du", knurrte Laurentine. Julius meinte dann: "Die wird sich von unserer neuen Gesamtleiterin schon erzählen lassen, wer für was gut geeignet ist oder nicht. Die ist gerade einen Tag hier. Die wird genau nachdenken, was sie anstellt, um nicht gleich am ersten Tag einen Bock zu schießen."

"Ich kapier's. Dann treffe ich euch Heute Nachmittag in diesem Kurs wieder", sagte Laurentine.

"So ist es", bestätigte Julius.

Professeur Fourmier hatte Pausenhofaufsicht. Üblicherweise wurde sie von einem aus der Pflegehelfertruppe begleitet. Doch die Einteilung der Aufsicht passierte erst bei der ersten Konferenz der bereits erfahrenen und der neuen Pflegehelfer. So meinte Julius, noch Ruhe zu haben. Doch als Pierre Marceau von gleich fünf älteren Jungen aus dem roten und dem blauen Saal umzingelt wurde schrillte die Alarmklingel in seinem Kopf. Er nickte den Mädchen zu und setzte an, zu den Jungen hinüberzulaufen. Pierre sah sichtlich nervös aus, wie ein in die Enge getriebenes Tier. Das war bestimmt auch nicht so weit hergeholt, dachte Julius. Als er die Gruppe erreichte, hörte er einen der Fünftklässler aus dem roten Saal sagen: "... ist die Kleine nix für so'n Hänfling wie dich. Wie die mich und Arno angestrahlt hat sucht die sich was größeres zum Zudecken aus."

"Morgen zusammen!" Fuhr Julius dazwischen, als Pierre gerade die Faust hob, um den mindestens zwanzig Zentimeter größeren Burschen zu schlagen. "Sticht euch der Hafer, oder wollt ihr dem Jungen von eurer achso großen Lebensweisheit mitgeben, was den Umgang mit Hexen angeht?"

"Ey, was wills'n ... Ou!" Der Junge, der Pierre wohl gerade provoziert hatte sah, wer ihn da angesprochen hatte und verzog das Gesicht. Pierre senkte seine Fäuste. Er hätte gegen den Jungen und seine verächtlich grinsenden Kameraden wohl schlecht ausgesehen, ob mit oder ohne Zauberstab. Er sah Julius an und schnaufte: "Der da meint, Gabie hätte mich satt und wolle was von ihm. Das soll der zurücknehmen."

"Echt, hat Gabrielle Delacour dir was angeboten, Bernard?" Fragte Julius den Fünftklässler. "Ist die nicht noch ein wenig zu jung für so einen wilden Burschen?"

"Was geht dich das an, du hast dich ja von unserer Millie abschleppen lassen", knurrte Bernard und ließ die Muskeln spielen. Julius wußte, daß nur die goldene Brosche und das absichtlich schön sichtbar entblößte Silberarmband den Jungen daran hinderten, ihm eine reinzuhauen oder gar den Zauberstab zu zücken. Doch Julius wußte auch, daß er Bernard nicht zu heftig herausfordern durfte.

"Nur mit dem Unterschied, daß Millie und ich im selben Jahrgang sind", erwiderte Julius nach außen hin ruhig. Innerlich bereitete er sich darauf vor, sich gegen Bernard zu verteidigen. Bernard schätzte Julius' Größe ab. Der war nach Madame Maximes Blutspende gute zehn zentimeter größer als er. Auch wußten die Roten, daß Julius nicht nur überragend gut zaubern konnte, sondern schon vor den drei Monaten bei Madame Maxime durch Schwermachertraining und eine Muggelkampftechnik sehr gut gegen größere Jungs durchhalten konnte. Die Zeit mit der Halbriesin hatte Julius zudem noch um einiges stärker werden lassen. Es sähe schlecht für Bernard aus, auch wenn Julius kein Pflegehelfer und Saalsprecher wäre. Doch wenn er den Jungen da jetzt angriff fing er sich womöglich nicht nur Prügel, sondern vor allem sechshundert Strafpunkte auf einen Schlag ein, weil der tätliche oder magische Angriff auf Saalsprecher und/oder Pflegehelfer je dreihundert Strafpunkte nach sich zog. Bernard war zwar ein Raufbold. Aber so blöd war er dann doch nicht. Doch um das zu bewahren, was er für männlichen Stolz hielt und weil wohl die Hormone gerade mit ihm Achterbahn fuhren stieß er aus: "Dann häng dich nicht in Sachen rein, mit denen du nix mehr zu tun hast, Julius Latierre!"

"Ach, daß ihr großen Jungs zu fünft einen kleineren eingekreist habt und dumm anpöbelt, der nicht ganz zufällig in meinem Saal wohnt geht mich also nix an, Bernard? 'tschuldigung, denkst du, mir wäre danach, mich in irgendwelche Privatsachen reinzuhängen? Aber wer mit fünf Mann einen für jeden einzelnen schon harmlosen Mitschüler umzingelt zwingt mich als Saalsprecher, einzuschreiten. Es geht um Gabrielle Delacour. Habt ihr Burschis gemerkt, daß die kein kleines Mädchen mehr ist und wollt euch jetzt drum kloppen, wer sie am dollsten beeindrucken kann. Dann klärt aber vorher ab, ob sie eure Art von Vorführung gutfindet und ob sie den Aufwand wert ist, von den Strafpunkten ganz abgesehen. Und ich denke mal nicht, daß Gabrielle auf Feiglinge steht, wo sie Harry Potter angehimmelt hat, weil der sie aus dem See von Hogwarts herausgeholt hat, wo ihre große Schwester sich mit zu vielen Grindelohs auf einmal angelegt hat."

"Ey, du nennst uns ...", schnarrte Bernard, bevor ihm klar wurde, daß Julius wohl recht hatte. Pierre war doch kein Gegner für ihn. Den konnte er mit einem Schlag umhauen. Aber die anderen Jungs wollten sich nicht abwimmeln lassen, als er meinte, das jetzt mit Pierre zu klären. Das mußte für Julius ja wie Feigheit rüberkommen. So deutete er auf die anderen und blaffte: "Der Typ hat recht. Ich habe euch nicht nötig, um meine Sachen zu regeln. Verzieht euch!"

"Ach, du meinst, du hättest Chancen bei der kleinen Schwester von der hübschen Fleur und könntest das ganz alleine ...", schnarrte ein Junge von den Blauen. Da tauchte noch Apollo Arbrenoir auf. "Gibt's ein Problem, Jungs?" Fragte der baumlange Saalsprecher der Roten. Unvermittelt verzogen sich die zwei Roten, die noch bei Bernard gestanden hatten. Der sah Julius an und meinte:

"Der Kleine wird sehen, daß dieses Bienchen nur mit ihm spielt um zu sehen, wie sie Jungs rumkriegt und sich dann was größeres ausguckt."

"Du meinst, wenn sie bei Pierre alles perfektioniert hat, um Jungs wie an der Hundeleine zu führen möchtest du dich von ihr rumführen lassen, Bernard? Ist aber nett", erwiderte Julius. Pierre funkelte Julius und Bernard an. Apollo grinste und meinte:

"Am besten sagst du Céline, die soll der kleinen Delacour beibringen, nicht mehr so einladend zu zwinkern, wenn sie einen von denen hier sieht", wobei er auf Bernard deutete. "Ihre große Schwester hat in ihrem dritten Jahr auch einige Prügeleien ausgelöst, hat Bruno mir erzählt. Bernard, am besten machst du dich jetzt auch davon und läßt den Kleinen da in Ruhe!" Bernard grummelte. Auch Apollo trug eine Goldbrosche. Und der war auch nicht schlecht im Verkloppen, wußte Bernard. So trollte er sich. Die beiden Blauen feixten noch, daß Pierre sich besser Corinne oder "die würfelförmige" Edwine Lemont als Freundin zulegen sollte. Da hätte er keine Konkurrenz. Apollo grinste darüber nur, während Julius sich fragte, was er dazu sagen sollte. Der Saalsprecher der Roten meinte dann:

"Edwine, die hat doch deinen kleinen Bruder für sich erwärmt, Henri. Ich würde über deine zukünftige Schwägerin nicht so fies ablästern."

"Ey, das stimmt nicht. Die meint wohl nur, Boris würde auf die stehen. Aber ...", protestierte der Angesprochene. Doch Julius konnte in seinem Gesicht ablesen, daß er nicht so ganz von dem überzeugt war, was er da sagte. Als der sich dann auch ohne weiteres Wort trollte und sein Klassenkamerad ihm hinterherdackelte war die Lage für die beiden Saalsprecher geklärt.

"Das mit dir und Gabie Delacour läuft noch, Pierre?" Fragte Julius.

"Die hat mir nix anderes erzählt, Julius. Stimmt zwar, daß die irgendwas an sich hat, was einen richtig kirre macht. Aber sie meint, die kriegt raus, wie sie das runterregeln kann, daß nicht jeder Hirnie hinter der herläuft."

"Ihre große Schwester hat lange gebraucht, um das zu steuern, Pierre. Entweder lernst du damit zu leben, daß du ständig von lauernden Jungs umschlichen wirst, die meinen, dich ablösen zu können, wenn du bei Gabie was verbockt hast oder suchst dir von dir aus eine andre Freundin."

"Meine Eltern haben Gabie und ihre Eltern mal zu uns eingeladen. Maman hätte Papa fast eine runtergehauen, weil der Gabies Maman so angeglubscht hat, als hätte die ihm was angehext, was den auf die fliegen macht. Die kann Gabie nicht ab, meint, das so eine garantiert nur Ärger macht. Aber Gabie hat keine Lust auf die blöden Angeber, die nur meinen, sie wie'n Hauptgewinn abstauben zu müssen."

"Pierre, was ich dem strammen Bernard gesagt habe meine ich auch so", erwiderte Julius. "Könnte sein, daß Gabrielle rauskriegen will, wie sie Jungs für sich springen und tanzen lassen kann. Du mußt für dich klarkriegen, ob du nur für sie tanzen willst oder dir von einer Beziehung mehr versprichst."

"Ey, mach mich jetzt nicht auch noch blöd an, Julius", schnarrte Pierre und hob wieder seine Fäuste. Julius seufzte mitleidig und drückte dem kleineren Jungen die erhobenen Arme wie beiläufig runter. "Ich merk's, du bist im Grunde nicht besser dran als die anderen Burschen hier", sagte er noch und ließ Pierre einfach stehen. Die spindeldürre Zaubertierlehrerin kam auf ihn zu und sagte:

"Worum ging es, Monsieur Latierre?"

"Um das übliche, worum sich Jungs so streiten, Professeur Fourmier", erwiederte Julius darauf nur. "Ich habe das geklärt, ohne handgreiflich werden zu müssen."

"Worum ging es im einzelnen, Monsieur Latierre?" Hakte die Lehrerin für Zaubertierkunde nach.

"Die größeren fanden, daß der kleinere nichts mit einem Mädchen anfangen könnte und sich daher besser ruhigverhalten solle. Ich sagte denen dann, daß es kein Grund sei, daß größere Jungs einen kleineren einzukreisen hätten und das doch dem überlassen sei, ob er schon alt genug für eine feste Beziehung sei oder nicht."

"Um welche junge Dame ging es konkret?" Fragte Professeur Fourmier. Doch Julius kam nicht dazu, ihr das zu verraten, weil gerade eine wilde Prügelei zwischen Bernard und den beiden anderen Roten ausbrach, die eben noch mit ihm um Pierre herumgestanden hatten. Unvermittelt warf sich die Lehrerin herum und preschte los, daß Julius den Kopf umwenden mußte, um den aufgewirbelten Staub nicht in die Augen zu kriegen. Als er eine Sekunde später wieder hinsah konnte er die Lehrerin sehen, wie sie schon vierzig Meter von ihm entfernt auf die Ecke zulief, wo die drei Raufbolde aufeinander eindroschen und -traten. Ein erstauntes "Ui", vor allem der Jungen wehte über den Pausenhof. Da erreichte die alles andere als muskulös gebaute Agrippine Fourmier die drei Streitenden und packte mit jeder Hand einen von ihnen um die Hüften. Julius staunte selbst, obwohl er das doch längst wußte, wie stark die Lehrerin war, als sie die beiden Ergriffenen locker von sich schleuderte und diese einige Meter weit durch die Luft flogen. Der dritte, Bernard, stand nun alleine da. Professeur Fourmier schrie ihn wohl an. Der etliche Zentimeter größer und breiter gebaute Bursche schien vor ihr zusammenzuschrumpfen oder im Boden zu versinken, während die beiden anderen Raufbolde über den Pausenhof kullerten und sich erst nach einigen Sekunden berappelten. Offenbar hatten sie nicht damit gerechnet, daß jemand sie mal eben wie Daunenkissen durch die Gegend pfeffern konnte. Julius suchte schnell nach den Jungen aus seinem Saal, vor allem den Erstklässlern. Er fand Hanno Dorfmann, der mit Charles Charpentier zusammenstand, schön weit weg von den vier Mädchen aus seiner Klasse. Hanno deutete auf die Lehrerin, die Pausenaufsicht hatte und mal eben zwei stramme Jungen aus dem roten Saal über den Hof geworfen hatte. Julius sah Millie, die auf die beiden sich gerade wieder auf die Beine hochstemmenden zueilte und lief auch los. Er wußte, daß er mit seiner neuen Kondition die Hundert Meter locker unter zehn Sekunden schaffen mochte. Aber Professeur Fourmier konnte die Strecke wohl unter fünf oder gar vier Sekunden überwinden.

"Ey, Drachenscheiße, hat die einen Griff", schnarrte einer der beiden, als Julius bei ihm war. "mein Rücken ..."

"Hallo Julius. Die beiden hier haben sich nur die Ellenbogen und Knie leicht angeschürft", meinte Millie.

"Die alte spinnt doch", schnarrte der zweite Junge und rieb sich den Nacken. Julius fragte ihn, ob der Fünftklässler dann besser zu Madame Rossignol gehen sollte. "Du hast wohl'n Wichtel unterm Hut, ey. Die will dann wissen, was los war", knurrte der Gefragte. Sein Kamerad, der eben noch sein Gegner in der Rauferei war nickte und verzog sein Gesicht. "Die hätte mir fast das Rückgrat gebrochen, die Alte", schnarrte er. Die erwähnte tauchte in diesem Moment so schnell auf, als sei sie appariert. Doch das ging in Beauxbatons ja nicht.

"So, bin ich gerade rechtzeitig gekommen, um Ihnen wie Ihrem Kameraden sowohl für ungebührliches Betragen vor jüngeren Mitschülern, tätlicher Auseinandersetzung und dazu noch Respektlosigkeit gegenüber einem Mitglied des Lehrkörpers insgesamt einhundertfünfzig Strafpunkte zuzuteilen. Oder hat Monsieur Latierre dies schon getan?"

"Ich wollte erst klären, ob die beiden heilmagische Hilfe benötigen, Professeur Fourmier", erwiderte Julius. So fingen sich die beiden verbliebenen Raufbolde tatsächlich hundertfünfzig Strafpunkte ein. "Ihren Ausflug ans Meer können Sie damit wohl für einige Zeit vergessen, Messieurs. Ich werde Ihre Saalvorsteherin über Ihr unentschuldbares Verhalten in Kenntnis setzen."

"Ey, Sie haben mir fast das Genick gebrochen. Das gibt noch Ärger für Sie, weil Sie ihre magischen Arme nur in Notwehr gegen andere Menschen benutzen dürfen."

"Tun Sie ja nicht so, als hätte ich Sie lebensgefährlich verletzt. Danken Sie Ihrem Schöpfer oder wem immer, daß Sie bisher keine Ahnung haben, wie sich das anfühlt, wirklich schlimm verletzt zu sein", schnarrte die Lehrerin sehr verärgert. Dann sah sie Julius und Millie an und bestimmte: "Sie beide übernehmen für den Rest der Pause die Hofaufsicht, damit ich Professuer Fixus in Kenntnis setzen kann." Ohne eine Bestätigung oder Widerrede abzuwarten lief sie davon, nicht mehr so überschnell wie gerade eben noch, aber zielstrebig.

"Wie gesagt, die kriegt noch Ärger", schnarrte Bernards Jahrgangskamerad, bevor er sich davonmachte.

"Wir hätten die beiden vielleicht doch besser zu Madame Rossignol schaffen sollen, Millie. Nachher haben die echt ein Problem mit der Wirbelsäule", unkte Julius.

"Von den blauen Flecken ganz zu schweigen, die Bernard ihm verpaßt hat", erwiderte Millie, bevor sie auf die Hofmitte deutete. Julius kapierte es. Er war eingeteilt worden, weil er der gerade für Professeur Fourmier verfügbare Saalsprecher und Pflegehelfer war.

Der Rest der Pause verlief ohne weitere Störung. Offenbar kuschten die rauflustigen Jungen vor dem Ehe- und Saalsprecherpaar, das zehn Minuten lang ohne Lehrer auf dem Pausenhof aufpaßte. Hanno kam mit Charles zu Julius und fragte ihn zu den vorgeführten Superkräften der da nicht nach aussehenden Lehrerin aus. Er wollte wissen, ob Fourmier ihre Kräfte durch einen Zaubertrank hatte, eine Androidin oder ein kybernetischer Organismus sei, weil das die einzigen ihm bekannten Gründe für Superkräfte waren. Julius erwiderte, daß Professeur Fourmier im Kampf gegen einen Drachen Arme und Beine verloren und vom Zaubereiministerium dafür künstliche Gliedmaßen bekommen habe. Er habe aber nicht gewußt, wie stark sie wirklich war. Das war zwar gelogen, weil er einen anderen Träger magischer Kunstarme kannte, der ihm genug von sich erzählt hatte. Doch Hanno sollte glauben, daß Julius auch erstaunt war.

"Dann lege ich mich mit der wohl besser nicht an", meinte Hanno. "Wenn die so stark ist wie der Terminator können die beiden Typen froh sein, daß die denen nicht die Birne vom Hals gepflückt hat."

"Können die wohl", sagte Julius. Dann fragte er wie die ersten zwei Stunden verlaufen seien.

"Hmm, das Verwandlungszeug ist wohl ziemlich schwer. Außer Babette und Jacqueline hat das bei uns noch keiner hingekriegt, so'n popeliges Streichholz in 'ne Stecknadel zu verwandeln. Die Dirkson ist aber voll locker drauf. Die hat uns erst mal vorgeführt, was da so alles geht und gemeint, daß wir das in den nächsten fünf Jahren lernen würden und nicht sauer sein sollten, wenn wir im ersten Jahr überwiegend mit Kleinkram herumarbeiteten. Aber wer bisher noch nie eigenständig gezaubert hätte müßte mit Kleinzeug anfangen."

"Professeur Dirkson, Hanno. Die sind hier nicht alle so locker drauf wie sie und Professeur Pallas", warnte Julius den Erstklässler. Dann wollte er wissen, was sie in der zweiten Stunde gehabt hatten.

"Zaubereigeschichte", meinte Hanno. Julius sah sich nun gehalten, Hanno noch einmal zur Vorsicht zu ermahnen, weil er den Eindruck bekommen haben mochte, daß alle Lehrer hier so lässig und tolerant seien. In der dritten sollten die Erstklässler bei Professeur Fixus antreten, die im Vergleich zu Professeur Pallas sehr streng und unerbittlich auftrat.

Als die Pause vorüber war beeilten sich alle, zu ihren Klassenräumen zu kommen. Millie und Julius begaben sich zum Kursraum für praktische Magizoologie, wo sie auf alle die trafen, die auch schon in den letzten drei Jahren diesem Unterricht beigewohnt hatten. Es dauerte keine fünf Minuten, bis Professeur Fourmier im Geschwindschritt nahte und die Tür aufschloß, auf der ein goldenes Pferd mit Flügeln, ein Drache und ein Kniesel abgebildet waren.

"Ich freue mich, daß Sie alle die nötige ZAG-Prüfung geschafft haben, um weiterhin mit den Eigenschaften und Nutzanwendungen magischer Tierwesen vertraut gemacht zu werden", begrüßte die Lehrerin ihre Schüler, nachdem sie die Anwesenheitsliste abgearbeitet hatte. "In den beiden anstehenden Schuljahren werden wir uns mit den größeren Zaubertieren und solchen der Gefahreneinstufung XXXX befassen. Im zweiten Jahr, wenn Sie alle Ihre Volljährigkeit erreicht haben werden, werden wir zudem Ausflüge in die Reservate hier nicht zu haltender Tierwesen wie Drachen, Greife und Felsenvögel unternehmen, da diese Tiere trotz ihrer Größe und/oder Gefährlichkeit wichtige Exemplare des magischen Tierreiches sind und von Ihnen zumindest einmal in Natura besichtigt werden sollten. Ich weiß, daß vor allem die jungen Herren unter Ihnen darauf brennen, einem leibhaftigen Drachen zu begegnen. Aber in diesem Jahr werden wir uns mit den gerade noch haltbaren Geschöpfen befassen. Da das Jahr gerade anfängt fangen wir jedoch klein an und betrachten heute ein kleines Geschöpf, das kurz vor der endgültigen Ausrottung stand, weil es wegen seiner Augen, des Gefiders und vor allem seiner Wendigkeit wegen lange Zeit als begehrtes Jagdziel und lebendiges Spielgerät geschätzt wurde. Ah, ich sehe, Sie wissen natürlich, was ich meine." Alle zeigten auf. Belisama durfte es sagen:

"Sie meinen den Schnatzer, Professeur Fourmier. Madame Maxime stellte ihn in der Freizeit-AG Magizoologie vor." Professeur Fourmier nickte. Weil Madame Maxime ihr das wohl auch schon erzählt hatte bekam Belisama deshalb keine Bonuspunkte für die richtige Antwort. Mildrid und Julius durften dann berichten, was sie in besagter Zaubertier-AG über den kleinen, runden Vogel mit vier gelenkigen Flügeln gelernt hatten. Gérard wurde dann gefragt, wie schnell ein Schnatzer fliegen könne. Gérard räumte ein, damals nicht dabei gewesen zu sein. Professeur Fourmier prüfte das nach und nickte. Dann meinte sie: "Ich gehe jedoch davon aus, daß Sie dieses Tierwesen auch so gut genug kennen. Also wie schnell fliegt es?"

"Hmm, damals waren die Besen noch nicht so schnell wie heute. Ich vermute mal so an die hundert Stundenkilometer", stellte Gérard zur Auswahl.

"Vermutungen sind in der Zaubertierkunde nicht immer hilfreich, Monsieur Laplace. Ihre Antwort ist leider falsch. Daher muß ich Ihnen fünf Strafpunkte zuteilen, Monsieur Laplace. Wer weiß die korrekte Antwort?" Alle anderen zeigten auf. Gérard verzog das Gesicht. Caroline Renard durfte antworten.

"Ein Schnatzer kann auf gerader Strecke bis zu einhundertfünfzig Stundenkilometer erreichen, diese Geschwindigkeit aber nur fünfhundert Meter weit durchhalten. Meistens begnügt er sich bei der Abwehr von Feinden mit schnellen Richtungswechseln, weshalb er ja als Quidditchtrophäe geschätzt wurde."

"Stimmt genau, Mademoiselle Renard. Zehn Bonuspunkte für die vollständige Antwort. Wie viele Eier legt eine Schnatzerhenne im Jahr?" Fragte Professeur Fourmier. Belisama durfte antworten:

"Schnatzer können pro Jahr nur vier Eier legen, da diese ein Viertel so groß werden wie die erwachsenen Tiere. Sie bauen dafür Nester in von Wegen abgelegenen Büschen, die aus eigenen Daunenfedern, Spinnweben und frischen Blättern bestehen."

"Stimmt alles, Mademoiselle Lagrange. Zehn Bonuspunkte für Sie", erwiderte die Lehrerin. Danach wurde noch behandelt, daß Schnatzer sich von Gräserpollen und Löwenzahnsamen ernährten, daß sie im kalt- bis warmgemäßigten Teil Europas und Asiens beheimatet waren und wo die zwanzig von den jeweiligen Zaubereiministerien festgelegten Schnatzerschutzgebiete lagen. zu einem, den in der Provence, nördlich von Nizza, wollten sie am Donnerstag Nachmittag der folgenden Woche hinreisen. Mit der Reisesphäre und einer vor Ort wartenden Kutsche mit Thestralen würden sie in nur zehn Minuten vor Ort sein. Da hier in Beauxbatons zu wenig Platz für die artgerechte Haltung der Schnatzer war konnten sie heute nur ein zwanzigmal vergrößertes Modell des Unterrichtsobjektes begutachten. Der Lehrerin ging es vor allem darum, ihren Schülern beizubringen, wieso die Schnatzerflügel wie eine Mischung aus Kolibri- und Bienenflügel so schnelle und wendige Flüge ermöglichten, daß die Beine des Schnatzers aus spiralförmigen Muskelsträngen bestanden, die beim Entspannen die vierzehigen Füße tief ins Federkleid an den Körper ziehen konnten, um den Luftwiderstand zu senken. "Ich weiß, was Sie gleich sagen möchten, Monsieur Latierre, daß die eisernen Flugmaschinen der Muggel nach einem ähnlichen Prinzip die Räder zum An- und Ausrollen in ihren Bauch einziehen können. Betrachten Sie diese Errungenschaft als von Mutter Natur schon vor etlichen Jahrtausenden vorweggenommen." Julius nickte. Doch dann fragte er, wann die ersten Schnatzer urkundlich erwähnt worden seien. "Kann jemand von Ihnen Ihrem Mitschüler die korrekte Antwort geben?" Millie lächelte und meldete sich. Aber auch Céline hob den Arm zur Wortmeldung. "Bitte, Mademoiselle Dornier?"

"Schnatzer wurden zuerst von Melampus Magnoculus im Jahre zweihundert nach Gründung der Stadt Rom erwähnt. Er beschrieb sie als Küken der Sonne und wurde von seinen magischen Zeitgenossen ausgelacht, weil er Vögel rund wie die Sonnenscheibe und schnell wie ein Windhauch gesehen haben wollte, bis es ihm gelang, einen mit einem Netz aus feinen Maschen einzufangen und zu präsentieren. Von da an wurde aber lange nichts mehr von den Schnatzern erwähnt, bis im siebten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung eine Kolonie von Schnatzern in Großbritannien und da vor allem Schottland gesichtet wurde. Wie die Vögel den Kanal überquert haben ist wohl ihr geheimnis. Aber seit da sind sie der magischen Welt bekannt. Im dreizehnten Jahrhundert kam Barberus Bragge, der damalige Vorsitzende des britischen Zauberrats auf die Idee, bei dem gerade in Mode kommenden Quidditch Schnatzer fangen zu lassen und dem Fänger einhundertfünfzig Galleonen Belohnung auszuzahlen. Das erzürnte jedoch die Hexe Elfrida Clagg, die sich für den Schutz der kleinen Vögel stark machte."

"Alles korrekt, Mademoiselle Dornier. Nur die Zeitangabe der Sichtung durch Magnoculus möchte ich gerne in der standardisierten Art haben", sagte Professeur Fourmier.

"Öhm, wann wurde denn Rom gegründet?" Fragte Céline verlegen zurück. Julius zeigte auf und nickte ihr zu. Als er das Wort erhielt sagte er: "Die Geschichtsschreiber haben sich auf das Jahr 753 vor Christi Geburt festgelegt, auch wenn sie noch uneinig sind, ob die Stadt da schon stand oder der Grundstein gelegt wurde. Meine Mutter gab mir diesen tollen Merkspruch mit: Sieben fünf drei, Rom kroch aus dem Ei." Die anderen Schüler lachten verhalten. Professeur Fourmier ließ ihnen das einige Sekunden durchgehen und gebot dann wieder Ruhe und Aufmerksamkeit. Céline nickte Julius zu und warf die Stirn in nachdenkliche Falten. "Dann stammt dieser Bericht aus dem Jahr 553 vor der gültigen Zeitrechnung."

"Perfekt, Mademoiselle. fünfzehn Bonuspunkte für Sie und fünf für Monsieur Latierre für die hilfreiche Zeitangabe. Damit kennen die Magier des eurasischen Raumes den goldenen Schnatzer nun seit zweitausendfünfhunderteinundfünfzig Jahren. Wie diese einmalige und nur in der Art Globornis tachopteros existente Zaubertierart genau entstand wird von der Paläomagizoologie bis heute sehr leidenschaftlich diskutiert, leider ohne stichhaltige Anhaltspunkte oder gar dienliche Erklärungen. Wie bei vielen anderen Wildformen der magischen Tierwelt gilt die genaue Entstehungsgeschichte als ungeklärt. Die Erforscher vorzeitlicher Zaubertiergruppen und ihrer Entwicklung zu gegenwärtigen Tierwesen stellen Theorien über spontane Lebendkörperverwandlungen bei vorzeitlichen Vögeln, Verschiebungen magischer Kraftzentren oder die Existenz präägyptischer Zaubererzivilisationen zur Auswahl." Julius nickte. Vielleicht sollte er in den Ferien mal in die geheime Stadt Khalakatan und da nachfragen, wodurch die Schnatzer genau entstanden. Dabei fiel ihm auf, daß Madame Faucon seinen Lotsenstein noch hatte.

"Der lange Schnabel", kam die Zaubertierlehrerin auf das Anschauungsmodell zurück, "Kann sowohl aufpickend wie als Saugorgan verwendet werden. Schnatzer können wie unmagische Kolibris ihren Flüssigkeitsbedarf aus offenen Blütenkelchen decken, wodurch sie in ihren Verbreitungsgebieten neben staatenbildenden Fluginsekten zur Bestäubung von Blütenpflanzen beitragen. Wir hatten es bisher nicht davon, ob Schnatzer Laute von sich geben wie größere Ordinärvögel. Weiß das wer von Madame Maximes Vorführung noch?" Die Teilnehmer am Seminar dachten an Monsieur Moulins Vorführung. Dabei hatte der auch erwähnt, daß Schnatzer für Menschenohren unhörbare Töne ausstießen, die erst der als Fledermaus-Animagus bekannt gewordene Nachttierforscher Hesperos Blautopf 1890 eigenohrig vernommen hatte und sie in seinem Buch "Unhörbare Rufe - Die Jagd- und Verständigungslaute von Säugern, Vögeln und Insekten" veröffentlicht hatte. Das durfte Apollo Arbrenoir dann erwähnen.

Es ging dann noch um die Flugeigenschaften, das Höchstgewicht und die mechanische Nachahmung durch den Thaumaturgen Bowman Wright, der dem Schnatzer damit das Schicksal der Jagdbeute beim Quidditch erspart hatte.

Als die Stunden vorbei waren, hatten die Schüler eine Menge Notizen zusammengeschrieben. Am Donnerstag würden sie sich über die weltweiten Schnatzerschutzgebiete und ihre Geschichte unterhalten. Die Woche darauf sollte dann der Ausflug nach Nizza stattfinden.

Nach dem Mittagessen führte Julius seinen jüngeren Mitschüler Louis Vignier zu Madame Rossignol. Er war nicht sonderlich überrascht, dort auf seine Frau Mildrid und die gerade mit der dritten Klasse anfangende Patricia Latierre zu stoßen, auch wenn Millie ihm das mit keinem Wort verraten hatte.

"Eure Ausbilderinnen haben euch gelobt, daß ihr sehr fleißig gelernt und hervorragende Ersthelferprüfungen abgelegt habt. Daher darf ich euch beiden die silbernen Bänder der Pflegehelfer von Beauxbatons umlegen", lobte Madame Rossignol die beiden neuen Pflegehelfer. Dann fragte sie die beiden: "Wo wollt ihr sie tragen?" Patricia ließ sich ihr Armband an den linken Arm schließen. Julius konnte lesen, daß sie das Armband von Deborah Flaubert aus dem letzten Jahr bekommen hatte. Louis Vignier wollte sein Armband am rechten Arm tragen. Da beide noch Unterricht hatten, sollten Millie und Julius sie zu den jeweiligen Klassenräumen bringen. Patricia hatte jetzt die erste Stunde bei Professeur Dirkson, während Louis Muggelstudien bei Professeur Paximus, dem bärtigen Vorsteher des gelben Saales hatte. Danach sollten Millie und Julius ihren neuen Kameraden das Wegesystem bis zu den Freizeitkursen so weit es ging erläutern. "Bringt ihnen auch bitte bei, daß eure Aufgaben höchste Disziplin erfordern und was für schwere Regelverstöße angezeigt ist!" Forderte Madame Rossignol. Da war es also, worauf Julius und Millie innerlich bangend gewartet hatten. Sie mußten sich wirklich bald entscheiden, wie sie das Thema Bestrafung der Pflegehelfer behandeln sollten. Wollten sie einfach davon ausgehen, daß den zu Bestrafenden nicht wirklich was passierte, oder wollten sie das ganze aufdecken und in eine andere, nicht minder abschreckende Strafe umwandeln, beispielsweise Rückstufung der betreffenden oder fristlose Entlassung? Sie hatten es jetzt in der Hand, alles so weiterlaufen zu lassen wie über Jahrhunderte oder dem ganzen endlich den nötigen Schlußpunkt zu setzen.

"Du hast auch frei?" Fragte Millie ihren Mann. Dieser nickte, wies jedoch darauf hin, daß er die Zeit für Hausaufgaben nutzen wollte. "Verwandlung? Können wir doch zusammen machen", meinte Millie. Julius stimte nach kurzem Zögern zu. So saß er mit Millie, Sandrine und Laurentine in der Bibliothek und feilte an der Erörterung der Birkenklotz-Barriere, die besagte, warum es schwieriger war, einen Menschen zu verwandeln als ein Tier. Julius erinnerte sich an die Apparierstunden. Da hatte er gelernt, daß der Wille eines Menschen Hindernis oder Erleichterung sein konnte. So schlug er in "Wege zur Verwandlung" nach und fand die entsprechende Formulierung. Darüber verging die Freistunde so schnell, daß sie nicht wußten, wie ihnen geschah.

"Okay, jetzt sind wir gut vorgewärmt", meinte Julius mit Blick auf die Uhr. Gleich hatten sie den Verwandlungskurs für Fortgeschrittene. Laurentine wußte zwar immer noch nicht recht, was sie dort zu suchen hatte. Doch sie wollte nun so gut und gründlich mitarbeiten wie sie konnte. Von ihrer früheren Ablehnungshaltung war seit Claires körperlichem Tod nichts mehr übrig geblieben. Julius wußte es, daß alles was Laurentine seitdem gelernt und erreicht hatte auf den Wunsch zurückzuführen war, Claires Mühen nicht für nichts und wieder nichts anzusehen.

Wie schon im letzten Schuljahr trafen sich die Schüler ab der fünften Klasse, die von sich aus oder auf Empfehlung der Fachlehrerin am Fortgeschrittenenkurs teilnahmen, vor einem großen Saal, aus dem heraus es vielstimmig zwitscherte, schnatterte, quakte und krächzte. Julius wurde von der neuen Lehrerin mit Constance, Millie und Laurentine in eine Gruppe eingeteilt. Professeur Dirkson las kurz einen Zettel ab und sah dann Millie und Julius an.

"Ihr werdet ja schon als volljährig geführt", sagte sie. "Dann darf ich von euch ja auch schon höhere Selbstverwandlungen verlangen, wie die Zustandsformenänderung oder die vollständige Metamorphose. Madame Faucon hat auf meine Frage, ob bereits der Endoteriomorphietest mit euch gemacht wurde eine Liste gegeben, welche bevorzugten Tiergestalten ihr annehmen könntet. Da gehen wir am Ende des Schuljahres mal genauer drauf ein. Ähm, wir zwei hatten heute noch nicht das Vergnügen", wandte sie sich dann an Constance Dornier, die darauf wartete, einen Übungszettel zu erhalten. "Du bist die große Schwester von Céline Dornier? Constance?" Die erwähnte bestätigte es verwundert. Offenbar hatte sie damit gerechnet, daß die neue Lehrerin sie genauso förmlich ansprach wie Madame Faucon in den Jahren davor. "Ich habe mit deinem Saalvorsteher darüber gesprochen, daß du hier ein Kind bekommen hast und deshalb im letzten Jahr noch nicht an die vollständigen Selbstumwandlungen herangeführt wurdest. Aber wie die Selbstverwandlungen eingeleitet werden weißt du?"

"Das war eine Aufgabe im Theorieteil", erwiderte Constance immer noch leicht verwundert. "Anders als bei der teilweisen Selbstverwandlung, die mit den Worten "Initio Variationem" eingeleitet wird und mit den Worten "Veni Variatio" abgeschlossen wird, muß bei der mehr als das Erscheinungsbild betreffenden Selbstverwandlung mit der Grundformel "Intro Transmutationem" begonnen werden, wobei auf den eigenen Körper zu deuten ist und dabei an das eigene Spiegelbild zu denken ist, dem erst gedanklich und dann durch Zauberkraft ein neues Aussehen gegeben wird. Bei Mensch-zu-Tier-Verwandlungen genügt dabei auch schon der Gedanke an zwei oder mehr Grundeigenschaften des Tieres. Bei Gegenständlichen Selbstverwandlungen muß sich der Gegenstand vorgestellt werden. Dann, wenn sozusagen das Ziel umrissen ist, gilt es unbedingt, durch drei Zauberstabbewegungen im Uhrzeigersinn und die bei jeder Bewegung gedachte oder gesprochene Formel "Preservo anteriorem" genug eigene Zauberkraft in sich zu bündeln, um nach erfolgter Selbstverwandlung aktionsfähig zu bleiben und auf den konzentrierten Wunsch "Regresso Originem" die ursprüngliche Gestalt zurückzubekommen. Wer das nicht schafft, genug eigene Magie in sich zu konzentrieren, lläuft gefahr, in der neuen Daseinsform festzustecken, bis entweder ein anderer die Rückverwandlung mit dem Reversomutatus-Zauber ausführt oder durch das Verhältnis von Ausgangsform-Zielformunterschied, Dauer und eigener Willenskraft jede Bestrebung, die ursprüngliche Form anzunehmen verschwindet. Bei gegenständlichen Selbstverwandlungen führt dieses Scheitern dazu, daß der Ausführende dann auch bewegungsunfähig wird."

"Eine ganze Menge", erwiderte Professeur Dirkson. "Am besten lest ihr euch das aus dem Buch "Wege zur Verwandlung" im Unterkapitel "Grundlagen der erfolgreichen Autotransfiguration" mehrmals durch und geht die dargestellten Zauberstabbewegungen durch. Die Eingangs- und Ausgangsformeln und Bewegungen sind bei allen Selbstverwandlungen gleich. Für gezielte Selbstverwandlungen muß jedoch ein passender Mittelteil einbezogen werden. Änderungen in einen anderen Zustand, also Gasförmigkeit oder Selbstverflüssigung bedürfen neben den Formeln und Absichten auch einer gehörigen Anstrengung, um dabei nicht restlos zu verwehen oder zu zerfließen. Es hat lange gedauert, sichere Selbstumwandlungsformeln zu finden und bestimmt mehreren hundert Magiern das Leben gekostet. Deshalb greifen Hexen und Zauberer höchst Selten auf Zustandsänderungen zurück. Hier in Beauxbatons gehören Sie zum Einstieg in die siebte Klasse und dürfen nur volljährigen Schülerinnen und Schülern zugemutet werden. Den Reversomutatus-Zauber beherrscht ihr schon, Constance und Julius?" Beide nickten. "Gut zu wissen. Denn dann könnt ihr in den nächsten Wochen die vollständige Selbstverwandlung einüben. Sollte jemand dabei die eigenständige Rückverwandlung nicht hinbekommen können die Kameraden von außen die Rückverwandlung einleiten. Für heute bleibt ihr bitte bei partiellen Selbstverwandlungen, also den Variationszaubern!" Sie händigte jedem einen Zettel aus. Laurentine, die Connies Erörterung mit einem gewissen Unbehagen gehört hatte wartete bis Professeur Dirkson zu den anderen Gruppen ging. Dann sagte sie:

"Die Selbstverwandlung scheint mir doch zu gefährlich zu sein. Ich weiß nicht, ob ich das nicht verweigern kann und lieber einen Notenwert schlechter habe als in irgendwas verwandelt zu bleiben, was ich nicht will. Aber was heißt das, gasförmig zu werden. Kann sich echt wer in eine Nebelwolke verwandeln und dann immer noch was anstellen?"

"Meine Schwester hat's gelernt", sagte Millie. "Aber sie meinte auch, daß sie das freiwillig nicht noch mal machen wolle." Laurentine nickte. Dann meinte sie, daß sie früher davon gehört habe, daß Vampire in Nebelgestalt in verschlossene Häuser eindringen könnten. Constance meinte dazu: "Wenn die Vampire vor ihrer Umwandlung Zauberer oder Hexen waren und trotz der Vampirwandlung noch nach außen wirksame Zauberkräfte haben können sie das tatsächlich. Aber die müssen halt sehr willensstark sein. Die meisten können sich nur in große Fledermäuse verwandeln." Julius nickte. Er erwähnte dann mit gewissem Unbehagen, daß die Töchter des Abgrunds wohl Meisterinnen waren, als Nebelwesen irgendwo einzudringen. Dann gingen sie daran, die Aufgaben auf den Zetteln abzuhandeln. Damit brachten sie einen Großteil der Stunden zu, bis Professeur Dirkson bemerkte, daß Julius ab nächste Woche die ersten vollständigen Selbstverwandlungen einüben sollte. Wenn Millie sich weiterhin mit ungesagten Zaubern ranhielt wollte sie dieser auch helfen, Selbstverwandlungen auszuführen.

Beim Abendessen bekam Julius mit, daß es wohl aus irgendeinem Grund zwischen Babette und Jacqueline auf der einen und Hanno auf der anderen Seite zu Unstimmigkeiten gekommen war. So raffte er sich mit gewissem Widerwillen auf, den Erstklässler nach dem Essen bei Seite zu nehmen und zu fragen, was los sei.

"Nix, was ich nicht mit den beiden blöden Gänsen alleine klären kann", grummelte Hanno verstockt. "Du mußt dich da nicht reinhängen. Die Kiste kkriege ich alleine gestemmt."

"Welche Kiste?" Fragte Julius unbeeindruckt.

"Wie gesagt, kann dir egal sein", grummelte Hanno. Julius straffte sich. Hanno mochte mit seinen elf Jahren gerade einen Meter und vierzig groß sein. Julius überragte ihn mindestens um anderthalb Köpfe.

"Zum einen kenne ich Babette gut genug, um mich zu interessieren, warum die mit dir Krach hat. Zum anderen ist das, so blöd mir das selbst vorkommt, mein Job hier, klarzukriegen, daß die Schüler sich nicht gegenseitig runtermachen, um beim Unterricht voll bei der Sache sein zu können. Wenn die Kiste, die du meinst, alleine stemmen zu müssen zu schwer wird und du deshalb Ärger mit den Lehrern kriegst, fragen die mich, warum ich das nicht gemerkt habe, daß du private Sachen nicht regeln konntest. Kriege ich Ärger, kriegst du noch mehr Ärger als das, was du gerade mit den beiden Mädchen hast. Also wo klemmt's?"

"Das sind eingebildete Küken, die meinen, schon wunders wie gut zaubern oder hexen zu können. Abgesehen davon haben die gemeint, ich sollte mir 'nen anderen Ton angewöhnen, wenn ich mit diesen Schnepfen rede. Da habe ich denen gesagt, daß ich mir von blöden Gänsen, die nicht älter als ich sind nix sagen lasse und ich kein Problem damit habe, dummen Gören meine Meinung zu geigen, wenn die sich bereits für kleine Königinnen halten. Babettes Oma ist ja die große Chefin hier. Die bildet sich wohl was drauf ein, bei jedem falsch klingenden Furz zu der hinrennen und sich ausheulen zu können. Und Jacqueline gibt mit ihrer Tante an, die in diesem Dings, dem zaubereiministerium arbeitet, was auch immer Apparieren ist."

"Ach, hat Jacqueline dir das nicht erklärt?" Fragte Julius leise. Hanno schüttelte den Kopf. Julius erklärte es ihm. Hanno staunte.

"Achso, was du gestern schon gemeint hast. Teleportieren, Beamen oder sonst wie einfach mal eben von wo verschwinden und anderswo auftauchen. Geil!"

"Abgesehen davon, daß das Wort geil hier wohl noch mit Scharf oder liebesdoll gleichgestellt wird hast du recht, Hanno. Aber was genau hat da zwischen euch dreien so heftig gekracht?"

"Das die zwei offenbar meinen, mir einreden zu müssen, wie ich mit Hexen umzuspringen habe. Nur weil die so'n Zauberstecken in der Hand haben sind die nicht anders als andere Weiber."

"Du meinst Frauen, Hanno", berichtigte Julius und verzichtete gerade so noch darauf, "Damen" zu sagen.

"Oh, noch so'n überkandidelter Knilch, der meint, die Tussis mit schönen Wörtern besülzen zu müssen, wie? Aber die sollen wissen, daß auch mit Zauberei wir Jungs besser drauf sind als die."

"Interessant. Ich hatte das nach meinem ersten Tag in einer Zauberschule noch nicht so klar raus wie du", erwiderte Julius mit eigentlich gut hörbarer Ironie in der Stimme. "Welches Buch hast du gelesen, um das zu wissen?"

"Da brauch ich kein verstaubtes Buch für. So viel habe ich auch so mitgekriegt", erwiderte Hanno ausweichend und verbittert. "Jedenfalls sollen die zwei aufhören, andauernd an mir rumzuknöttern, sonst kriegen die demnächst eine reingehauen."

"Du schlägst Frauen?" Fragte Julius nun mit sichtlich gereizt klingender Stimmlage.

"Esel kriegt man nur so in die richtige Spur", erwiderte Hanno. Julius sog laut zischend Luft zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen ein. Dann meinte er:

"Ich fürchte, Hanno, wenn du hier einer egal wer eine runterhaust hast du Krach mit allen anderen Mädels hier. Abgesehen davon zeigst du denen dann, daß du selbst ein Hirnie bist, der meint, was ihm in der Birne fehlt mit den Fäusten ausgleichen zu können. Willst du echt als brutaler Holzkopf rumgereicht werden? Dann paßt das mit dem Esel, der nur durch Schläge in die richtige Spur gedrückt wird eher auf dich."

"Klugscheißer!" Zischte Hanno und wollte sich davonmachen. Doch Julius ergriff seinen rechten Arm und hielt ihn unerbittlich zurück.

"Sei du froh, daß ich mir geschworen habe, nicht gleich bei jeder dummen Anmache Strafpunkte rauszuhauen, solange kein Lehrer in der Nähe ist. Andere hätten dir schon fünfzig Strafpunkte für dein Geschwätz über den Umgang mit Mädchen und Frauen angehängt, und ich weiß nicht, wie meine Kollegin Céline das weggesteckt hätte. Aber wenn du hier die nächste Woche überstehen willst gewöhn dir echt andere Umgangsformen an!"

"Oder sonst?" Fragte Hanno trotzig, dem Julius' Griff am Arm offenbar eher Widerwillen als Einschüchterung einflößte. Julius grinste ihn an und versuchte, ihn vom Boden anzuheben. Da versuchte Hanno, ihm einen Handkantenschlag an die Brust zu versetzen. Julius wich dem Schlag jedoch aus und ging unbewußt in Karatekampfstellung. "Achso, du meinst, weil du ein paar Kampfsporttricks kannst mit jedem umspringen zu können wie du willst", sagte er, als er zwei weitere Angriffe ausgetanzt hatte. "Dann merk dir mal drei Sachen. Erstens bist du hier in einer Zauberschule. Die älteren hier können dich aus sicherer Entfernung mit fiesen Sachen beharken, wenn du denen dummkommst. Zweitens kriegst du noch mehr Probleme, wenn du andauernd mit wem kämpfen willst, egal ob Junge oder Mädchen. Drittens bist du hier nicht der einzige, der Kampfsport kann." Hanno versuchte derweil, noch mehrere Schläge oder Tritte anzubringen. Doch Julius hatte zu gute Reflexe. Das machte das Training in den Ferien und die trotz lange zurückliegender Ausbildung noch vorhandenen Bewegungsabläufe. Nach seinem letzten Wort brachte er selbst einen fast ansatzlosen Handkantenschlag knapp an Hannos Kopf vorbei an. Der Junge zuckte zurück, weil er den Schlag nicht recht hatte kommen sehen können. Julius sagte dann noch: "Ich müßte dir eigentlich Strafpunkte anhängen, weil du einen Saalsprecher und Pflegehelfer körperlich angegriffen hast, Hanno. Aber dann dürftest du heute abend schon wieder nach Hause zu deinen Eltern fahren und denen erklären, was für'n Versager du bist."

"Ich ein Versager, du Arschloch", schnarrte Hanno nun sehr wütend und wollte auf Julius losgehen. Doch der wich mit einem gekonnten Sprung zurück. Der Schwung des Angriffs warf Hanno nach Vorne. Er schlug der Länge nach hin. Julius sprang zu ihm hin und riß ihn vom Boden hoch. Unvermittelt hing Hanno einen Meter hoch in der Luft und strampelte.

"Okay, für das Schimpfwort fünfzig Strafpunkte, Hanno Dorfmann. Ich werde wohl mit Professeur Delamontagne sprechen müssen, was wir mit dir machen müssen, um dir beizubringen, daß du mit der Einstellung hier voll auf die Nase krachen wirst". Julius warf Hanno von sich, daß dieser wieder auf dem Bauch landete. Der Erstklässler keuchte, als er sich am Boden wiederfand. Er stemmte sich hoch und sah Julius perplex an. Offenbar hatte der ihm mit seiner Körperkraft und Gewandtheit imponiert. Dachte Hanno denn, die alle hier wären nur mit Zauberstäben stark?

"Du willst mich bei diesem alten Bartträger verpfeifen?" Fragte er.

"Von wollen ist keine Rede, Hanno. Aber ich wurde nun mal von Madame Maxime und Madame Faucon mit diesem Job beladen, auf euch junges Gemüse aufzupassen. Wenn du meinst, dich mit jeder und jedem kloppen zu müssen spielst du so heftig mit deiner Gesundheit, daß der Rauswurf das kleinste mögliche Übel für dich ist. Also was immer da zwischen Babette, Jacqueline und dir passiert ist, krieg's hin, das wie ein anständiger Mann zu bereinigen!"

"mich bei denen zum Trottel machen und mich entschuldigen? Vergiss es!" Schnarrte Hanno und rannte davon. Julius ließ ihm zehn Schritte Vorsprung. Dann zog er seinen Zauberstabund ließ ihn ungesagt mal eben an die Decke schweben. Hanno schrie auf, als er unvermittelt den Boden unter den Füßen verlor. Fünf Sekunden hing er mit dem Kopf unter der hohen Korridordecke. Julius konnte jetzt ein leises Kichern hören und wandte für einen Moment den Kopf, um ein rasch hinter der Biegung verschwindendes saphirblaues Augenpaar zu erkennen. Offenbar hatte Babette mitbekommen, daß Julius Hanno zusammenstauchen wollte und war den beiden im gebührenden Abstand gefolgt. Julius nahm sich vor, sie gleich darauf anzusprechen. Doch zunächst wollte er die ihm aufgezwungene Belehrung Hannos zu Ende bringen. Er ließ den Jungen wieder auf den Boden sinken und sah ihn nun sehr streng an. Hanno starrte mit einer Mischung aus Furcht und Verachtung auf den Saalsprecher der Grünen.

"Was immer zwischen den beiden Mädchen und dir passiert ist, Hanno. Wenn du's angerichtet hast, entschuldigst du dich bei denen und vergisst dieses alberne Getue. Das imponiert hier keinem."

"Was für'n Schlappschwanz bist du, daß du meinst, anderen Jungs einreden zu wollen, die hätten sich kleinzumachen, um diesen dämlichen Tussis zu gefallen. Die haben zu wissen, wer das sagen hat. Wenn mir die blöde Gans Brickston noch mal dummkommt rupfe ich die eigenhändig. Egal ob die dann zu ihrer Oma rennt und sich bei der ausheult."

"So, also Jungs haben immer zu zeigen, wo's langgeht. Dann müssen die es aber erst mal selbst wissen, wo's langgeht", erwiderte Julius grinsend. "Und so wie du gerade rumtönst hast du null Ahnung, was hier so alles geht. Ich habe dir gesagt, das mit den Mädchen ruhig zu klären, was passiert ist. Wenn ich ärger kriege, weil du mit deiner hohlen Birne voll gegen die Wand geknallt bist, kriegst du den Ärger zurück. Mensch, du kapierst es echt nicht, was du hier für Möglichkeiten hast. Abgesehen davon solltest du mal zu Madame Rossignol und dich mit der unterhalten, wo du den Schaden her hast, der dich so'n Unsinn denken und reden läßt."

"Ey, du hast wohl'n Schaden. Dir ham'se wohl die Klöten abgeschnitten was", zischte Hanno verächtlich und griff nach seinem Zauberstab. Julius schnalzte mißbilligend mit der Zunge. Ihm ging komischerweise die Szene aus dem Dschungelbuch-Film durch den Kopf, wo Mowgli meinte, auf den großen, dicken Balou eindreschen zu müssen, und der das total bedauernswert fand. Was hatte der gemütliche Brummbär da noch mal gesagt? Doch Julius mußte aufpassen, daß Hanno ihm nicht aus purem Anfängerglück und nötiger Wut einen Zauber aufhalsen konnte. Er zückte seinen eigenen Zauberstab und machte eine gegen Flüche wirkende Abwehrbewegung. Den Strom roter Funken, der mit lautem Prasseln aus Hannos Zauberstab fuhr, wischte er mit einem schnellen Seitwärtsschwung vor sich weg und dachte "Elementa recalmata!" Unvermittelt ebbte der Funkenstrahl ab. Hanno sah Julius an und verstand. Er senkte den Zauberstab und steckte ihn schnell wieder weg.

"Okay, zwanzig Strafpunkte wegen unbeherrschtheit und unerlaubter Zauberei auf dem Korridor", sagte Julius laut genug, daß Hanno es hören mußte. "Abgesehen davon daß du hier wohl kaum schon was anständiges zu zaubern gelernt hast könntest du dir von wem anderen was ziemlich übles einhandeln, wenn du dem so kommst wie mir. Greifst du mich, Céline oder wen anderen der 'ne Brosche oder ein Silberarmband trägt noch mal an, setzt es sechshundert Strafpunkte und mindestens einen Heuler für dich und deinen Vater, weil der dir nicht rechtzeitig beigebracht hat, daß nur die größten und stärksten Männchen sich wie Alphamännchen aufzuspielen trauen dürfen. Du bist kein Problem für mich, Jüngelchen. Und was die Klöten angeht, ich habe größere als du und scheiße auch größere Haufen als du, habe dir fünf Jahre Zauberschule voraus und kann auch Karate, wenngleich ich bei einem richtigen Meister gelernt habe, der mir als erstes sehr gründlich beigebracht hat, daß das keine Lizenz zum Draufhauen ist, sondern nur dann benutzt werden darf, wenn du dich unmittelbar gegen wen wehren mußt. So, und jetzt zieh ab und vertrage dich mit Jacqueline und Babette, bevor Céline findet, dich in einen Frosch zu verwandeln, der nur wieder Mensch wird, wenn ihn wer küßt, die ihn aufrichtig liebt."

"Steck's dir", schnarrte Hanno und lief davon. Julius ließ ihn diesmal abrücken. Er wandte sich um und rief nach Babette. Doch sie reagierte nicht. So lief er in die Richtung, in der er sie eben noch gesehen hatte. Er fand sie nicht mehr. Offenbar hatte sie sich sehr schnell davongemacht, als er sie gesehen hatte. Gut, dann wollte er jetzt auch nicht länger suchen. Gleich war Schach-AG. Da würde er sich wohl gut von diesem ungeliebten Thema ablenken können.

"Der hat Krach mit Babette? Weiß der Typ nicht, wie gut die schon zaubern kann?" Fragte Laurentine ihn, als sie auf dem Weg zum Schachraum waren.

"Ich hätte dem am liebsten den Infanticorpore aufgehalst, weil der offenbar mit dem Gehirn noch im Windelalter hängengeblieben ist, Laurentine. Aber dann ist mir doch eingefallen, daß der ja nur deshalb auf starken Maxen macht, weil der Angst hat, irgendwer könnte ihm sonst Schwäche unterstellen."

"Immerhin hast du dem gezeigt, daß du dem körperlich und mit dem Zauberstab über bist", knurrte Laurentine. "Wenn ich überlege, was mir Barbara damals alles aufgehalst hat, weil die meinte, mich mit Gewalt in die richtige Spur zu kriegen", seufzte Laurentine. "Deshalb versuche ich das lieber mit ruhigem Reden, wenn Céline mich machen läßt."

"Jungs ticken anders, Laurentine. Denen kannst du oft nur durch Überlegenheit kommen", erwiderte Julius. "Ich habe damals viel Kloppe bezogen und wäre fast dran kaputtgegangen. Als ich dann Karate gelernt habe hat mein Lehrer viel zeit damit aufgewandt, mir beizubringen, daß Draufhauen immer die letzte aller Lösungen ist, aber mir auch geholfen, mich besser und sicherer zu fühlen, weil ich gelernt habe, nicht mehr hilflos zu sein. In Hogwarts mußte ich dann lernen, daß es wohl besser ist, sich nicht mit Leuten anzulegen, die einen aus mehreren Metern Entfernung krumme Nasen oder Riesenpusteln ins Gesicht hexen können. Warum ich nie wegen der Ruster-Simonowsky-Begabung so abgehoben habe weiß ich bis heute nicht recht."

"Weil die dir da wohl wie hier gleich Sondersachen aufgehalst haben, um dir zu wünschen, das nicht so gut zu können, vermute ich mal", sagte Laurentine. Julius nickte verhalten. ja, etwas beschämt hatte er sich damals gefühlt, als er ohne Worte Sachen zaubern konnte, etwas, was seine Jahrgangskameraden jetzt erst lernen konnten oder mußten. Er hätte doch auf Supertyp machen und sich mit wem auch immer anlegen können. Dann fiel ihm ein, woran es noch gelegen haben konnte. Er hatte bei seiner ersten Zugfahrt nach Hogwarts einen Dementor zu Gesicht bekommen. Dieses Ungeheuer hatte ihm wohl all zu sehr verdeutlicht, wie schnell er erledigt sein konnte, wenn er nicht aufpaßte und sich hübsch ruhig und unauffällig verhielt. Im Vergleich zu dem, was ihm seit dem schon passiert war erschien ihm dieser Gedanke merkwürdig lächerlich.

Mayette Latierre war nicht wie ihre zwei Jahre ältere Schwester zur Schach-AG gekommen. Julius' drittjüngste Schwiegertante interessierte sich eher für Quidditch und Musik als für Schach.

Nach der von Professeur Paximus geleiteten Freizeitgruppe kontrollierte Julius die Jungenschlafräume des grünen Saales. Hanno hielt sich auffallend ruhig, als Julius den drei Erstklässlern eine gute Nacht wünschte. Anschließend saß er noch mit den anderen Sechst- und Siebtklässlern im Aufenthaltsraum und unterhielt sich über den ersten Tag. Céline erzählte ihm, daß Hanno Babette und Jacqueline als hohlköpfige Hühner bezeichnet hatte, weil sie sich gegenseitig mit ihren bereits erworbenen Zauberkenntnissen anstachelten. Laurentine meinte darauf:

"Ihr müßt das klären, was bei dem Typen im Argen ist, bevor der sich mit wem anlegt, der oder die nicht so auf friedliche Lösungen steht wie Julius. Im Sommer kam im Fernsehen ein Bericht über halbstarke Burschen, die nur von ihren Müttern erzogen worden waren und meinten, sich an allen Mädchen und Frauen für die Zurechtweisungen rächen zu müssen und daß wir wohl in den nächsten Jahren noch mehr solche durchgeknallten Typen zu erwarten hätten. Das hat eine hitzige Debatte im Studio ausgelöst, weil der Psychologe, der diese Behauptung vertrat sich von den einen als Spinner bezeichnen lassen mußte und von Männern, die das Thema als Anlaß sahen, über die achso zügellosen Weibsbilder herziehen zu können, die ohne Trauschein Kinder kriegten oder undankbar waren und sich mit ihren Männern verkrachten rechtbekam."

"Das hat Joe Brickston ja gemeint, meinen Vater ersetzen zu müssen", erwiderte Julius. "Könnte sein, daß Hanno auch der Sohn einer alleinerziehenden Mutter ist. Die soll ja Anwältin sein, hat also wohl auch nicht alle Zeit der Welt für ihn. Ich kenne die Diskussion auch, Laurentine, daß immer mehr Kinder von ihren Eltern vor dem Fernseher geparkt werden und da alles mögliche und unmögliche von lernen, ohne die Rückmeldung zu kriegen, was davon anständig oder total ungeeignet wäre."

"Das bedient ja eben diese Vorstellung, daß Mütter gefälligst wieder zu Hause zu bleiben hätten, während die Väter das Geld ranzuschaffen hätten", knurrte Laurentine. "Und ich wurde auch schon vor dem Fernseher geparkt, wie du es nennst, Julius. Das hörte erst auf, als ich mir auf den Privatsendern diese Prolligen Redesendungen angeguckt habe, wo die über die abgedrehtesten Sachen sprachen, wie oft ein Mann seine Freundin beschlafen konnte, wer mit wessen bestem Freund rumgemacht hat und so weiter. Ab da war die Glotze - So sagen wir Muggelstämmigen auch für den Fernseher - aus meinem Kinderzimmer verbannt und mein Vater der unbestrittene Herrscher über die Fernbedienung und die damit ausgewählten Programme. Durch das Internet kam ich aber dann auch wieder auf jede Menge Zeugs, daß meiner Oma mütterlicherseits den Herzinfarkt verpaßt hätte, wenn die das gelesen oder angeguckt hätte, was da so rumschwirrt. Aber da meine Eltern ja wollen, daß ich nicht wegen Beaux hinter der technischen Welt zurückfalle steht der Rechner immer noch bei mir im Zimmer."

"Ist vielleicht auch zu einfach, die Schuld an verkorksten Leuten dem Fernsehen oder dem Internet anzuhängen", meinte Julius. "Weil im wesentlichen liegt es immer bei den Eltern, ob als Paar oder alleinerziehend, was ihre Kinder mit dem anfangen, was sie mitkriegen. Deshalb interessiert mich schon, was mit Hanno los ist. Aber das konnte ich heute abend nicht ansprechen, weil ich wollte, daß er lernt, daß er sich hier nicht wie so'n billiger Filmmacho zu benehmen hat. Und selbst die Machotypen haben es raus, mit Frauen auch mal freundlich umzuspringen."

"Tja, aber nur solange die dann auch spuren und den großen, starken Mann als ihren Herrn und Beschützer anhimmeln", wandte Laurentine ein. Céline sah von ihr zu Julius und meinte dann:

"Die werden schon gewußt haben, warum sie zwei Muggelstämmige zu Saalsprechern gemacht haben. Die ganzen Sachen, die ihr zwei da gerade erwähnt habt kennt ja aus der Zaubererwelt so echt keiner."

"Die haben uns zu Saalsprechern gemacht, weil unsere Noten denen so gefielen", meinte Laurentine. "Ob ich das echt wollte fragen die ja nicht."

"Ja, aber wir zwei haben das doch geklärt, daß du nicht in der leeren Luft hängst und wir das zusammen hinkriegen. Aber was dieses Jüngelchen angeht, so hat der sich doch mit zweien angelegt, die selbst Muggeleltern haben, oder?"

"Catherine ist eine Hexe, Céline", berichtigte Julius die Kameradin. Diese nickte abbittend und lief an den Ohren rot an. Julius verstand jedoch, was sie wohl meinte und erwiderte:

"Du meinst, die haben nur deshalb mit dem Krach, weil der ihnen Sachen an den Kopf geworfen hat, die nur Muggelstämmige oder Halbmuggelstämmige kapieren?" Fragte Julius.

"Ja, das meine ich", erwiderte Céline. Dann sah sie sich um und winkte Monique Lachaise aus der siebten Klasse heran.

"Morgen ist doch Quidditchtraining oder. Hast du was gehört, wen Delamontagne als Kapitän ausgesucht hat oder ob Madame Faucon das noch erledigt hat. Weder Julius noch ich haben da was entsprechendes gehört."

"Die sind wohl noch drüber am reden, ob das ein Siebtklässler oder Sechstklässler machen soll. Wundert mich auch, daß Julius nicht ausgesucht wurde. Aber ich kann mir vorstellen, daß unsere ehemalige Saalvorsteherin ihn nur deshalb nicht zum Kapitän machen wollte, weil er sich dann zu sehr in Quidditchsachen reinhängt und keine Zusatzsachen mehr machen kann." Sie lächelte Julius an, damit dieser verstand, daß sie ihn nicht runtermachen wollte. "Abgesehen davon brauchen wir ja auch einige neue Spieler. Wenn Dedalus bis nächste Woche nicht weiß, wer bei uns Mannschaftskapitän ist könnte das für die Auswahl problematisch werden."

"Stimmt", erwiderte Julius. Dann fragte er Céline, ob sie wirklich in die Mannschaft nachrücken wolle. Diese nickte sehr heftig.

"Und ihr habt morgen schon bei unserem neuen Saalvorsteher?" Fragte Monique Lachaise. "Wir sind erst am Mittwoch bei ihm dran."

"Morgen früh haben die von uns bei ihm, die Erwartungen übertroffen im ZAG abgeräumt haben", bestätigte Laurentine.

"Ob der denselben Stoff durchnimmt wie Madame Faucon im letzten Jahr?" Fragte Monique. "Wir durften in der ersten Stunde ausprobieren, wie wir ungesagt Flüche auf jemanden schleudern könnten. War eine rechte Stehparty, weil das am Anfang keiner hingekriegt hat."

"Wir hatten es ja schon heute Morgen in Verwandlung davon", meinte Laurentine. Julius hoffte, daß sie nicht davon anfing, daß er ja schon wesentlich weiter war als der Rest der Jahrgangsstufe. Doch weil das hier eh schon längst alle wußten kam keiner mehr darauf zu sprechen.

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Am nächsten Morgen zog die Dudelsacktruppe nicht durch die Bilder. Nur die mexikanischen Musiker waren offenbar nicht davon abzubringen, ihre viel zu munteren Lieder schon kurz nach halb sechs in allen erreichbaren Bildern aufzuspielen. Womöglich lag es daran, daß die Latierre-Zwillinge überhaupt kein oder zu wenig Spanisch konnten, um die Señores mit den breitkrempigen Hüten und bunten Trachten eindringlich aufzufordern, ihre eingepinselte Aufgabe zu einem späteren Zeitpunkt zu erfüllen. Bei den Sackpfeifern war das wohl einfacher, weil deren Bildbesitzer zumindest Englisch konnten.

Julius hatte Gérard zum Wecken eingeteilt, so daß er an diesem Dienstagmorgen mit seiner Frau und anderen Mitschülern zum Frühsport am Quidditchstadion antreten konnte.

"Zeigst du mir noch mal wie du Wasser aus dem Zauberstab schießen kannst? Die drei aus der ersten und die Jungs aus der siebten haben mich blöd angemacht, weil ich die nicht schnell genug aus dem Bett kriegen konnte. Sandrine kann diesen Wasserstrahlzauber auch. Sie meint, sie könnte den sogar mit unterschiedlichen Wärmegraden von eisigkalt bis siedendheiß."

"Der Wasserstrahlzauber heißt Aguamenti. Die Kunst dabei ist, daß du dir beim Ausführen genau vorstellen mußt, wie du Wasser erscheinen lassen willst, als Strahl oder als Inhalt eines Eimers, Bechers oder einer Vase. Die verschiedenen Temperaturen kriegst du mit dem Zusatzwort frigidissima für eiskalt, frigida für kalt, calida für warm und coquenta für siedendheiß. steht zumindest im Buch über alltägliche Zauberkunst, das mir Babettes Mutter mal geschenkt hat. Aber mit heißem Wasser würde ich die nicht absprühen, weil du sonst tierischen Krach mit Madame Rossignol bekommen dürftest", erwähnte Julius. Gérard nickte. Julius wies ihn aber darauf hin, daß er mit kalten Luftstrahlen und beschworenen Regen im Schlafsaal genauso gut zurecht kam.

Wieder einmal waren es vor allem die Pflegehelfer aus der gleichen Jahrgangsstufe, die ein für sie wichtiges Schulfach gemeinsam besuchten. In dem Fall war es Kräuterkunde. Der hochgewachsene Professeur Ranunculus Trifolio begrüßte seine UTZ-Schüler vor dem Gewächshaus mit den gefährlichen Zauberpflanzen, den sogenannten Teratophyten. Sicher würden sie ab heute Pflanzen wie Snargaluffs, Venomosa tentacula und Springschnapper behandeln.

"Ich hoffe sehr stark, daß Sie alle sich dessen bewußt sind, daß Sie in den nun für Sie anstehenden beiden Abschlußjahren die bisher erlernte Verantwortung, Vor- und Umsicht walten lassen werden. Denn ab heute kann jeder Fehler oder jede Unachtsamkeit körperliche Schäden nach sich ziehen", sagte der Kräuterkundelehrer. "Hier, in diesem Gewächshaus, beherbergt Beauxbatons Pflanzen der zweithöchsten und höchsten Gefahrenstufe, die jedoch wegen der aus ihnen erstellbaren Präparate unverzichtbare Lieferanten für Zaubertränke oder magische Salben sind. Allerdings muß zur Haltung dieser Pflanzen eine besondere Zulassung erworben werden, die ausweist, daß genug Kenntnisse erworben und der Umgang mit den Pflanzen zufriedenstellend bis hervorragend eingeübt wurde. Auch möchte ich Sie bitten, ab heute immer mit geschützten Händen in die Stunden zu gehen. Einige Pflanzen scheiden hochgiftige Substanzen aus ihren Blättern ab, die bereits bei der bloßen Berührung Hautschädigungen hervorrufen oder durch die Poren in den Blutkreislauf eindringen können, wo sie verheerend wirken. Bei einigen Gewächsen, vor allem den Pilzen, empfiehlt sich zudem ein Atemschutz, um die Sporen der Pilze nicht in die Atemwege geraten zu lassen. Doch diesen Atemschutz werde ich Ihnen früh genug ausgeben, wenn wir entsprechende Exemplare studieren. heute werden wir uns mit der amazonischen Blutwurz Haemorhizza amazonica befassen, die auch als Vampirstrunk oder Saugranke bezeichnet wird. Bitte legen Sie ihre Drachenhauthandschuhe an! die Pflanzen sind sehr ausgezehrt und würden jede freiliegende Haut sofort mit ihren Saugdornen durchstoßen." Trifolio wartete, bis alle ihre Handschuhe angezogen hatten, bevor er die mehrfach gesicherte Gewächshaustür aufschloß und dahinter Aufstellung nahm, bis alle Schüler eingetreten waren. Laurentine, die ebenfalls Kräuterkunde gewählt hatte, hielt sich in Julius' Nähe.

In der Abteilung für tropische Pflanzen, wo neben einigen gewöhnlichen Urwaldbäumen eben auch Zauberpflanzen gehalten wurden, sahen sie in einem großen Glaskasten einen Haufen Erde, durch den sich rostrote Adern zogen, die bei längerem Hinsehen sacht pulsierten. Es wirkte so, als durchzöge ein Geflecht aus Adern die Erde. Julius kannte das Blutgras, eine Nebenform der Fleisch oder Blut verzehrenden Pflanzen. Die Blutwurz galt als schwer zu halten, da sie alle zwei Wochen mit je vier Litern Wirbeltierblut pro hundert Gramm Pflanzenmasse gegossen werden mußte. Ließ man das aus oder versorgte die Pflanze nicht ausgiebig, konnte sie Triebe ausbilden, die sich wie Schlangen bewegten und nach allem langten, was sie durch eine Art Wärmeempfindung und Duftstofferkennung als Wirbeltier erkannten. Wenn Trifolio sagte, daß die Pflanzen ausgezehrt waren, so stand die Triebausbildung wohl schon an, dachte Julius. So wunderte es ihn nicht, daß sie zu den Handschuhen auch mützenartige Drachenhautkappen mit Gesichtsmasken überziehen mußten, die ihnen allen ein gruseliges Aussehen mit schwarz glänzenden Fratzen verschafften. Erst dann durfte einer nach dem anderen an den Glaskasten heran. Tatsächlich krochen feine, biegsame Gebilde aus der Erde und tasteten umher. Als alle Schüler ausgereizt hatten, wie schnell die Pflanze auf ihre mögliche Beute losging galt es, die ausgebildeten Triebe mit goldenen Messern abzutrennen. Die in den Trieben zu einem Gemisch aus Blut und Pflanzensaft umgewandelte Flüssigkeit fand bei Blutreinigungs- und Blutgefäßverstärkungstränken Anwendung. Einmal gelang es einem Trieb, sich um Belisamas linken, behandschuhten Arm zu wickeln, wobei die Spritzennadeln ähnelnden Hohldornen gefährlich lang und spitz hervortraten, bis Millie den scheinbar erfolgreichen Strunk mit ihrem goldenen Messer abgetrennt hatte.

"Die Pflanze braucht alle zwei Wochen vier Liter Blut auf hundert Gramm Pflanzenmasse", wandte sich Julius an den Lehrer. "Woher bezieht die Schule genug Blut, um die Pflanze zu erhalten?"

"Daher, wo wir alle auch das für die Ernährung verwendete Fleisch herbeziehen. Wir haben hier genau sechs Pfund lebender Haemorhizza amazonica, was also einen Frischblutbedarf von sechzig Liter pro Woche sein müßten. Da wir jedoch die für die Trankherstellung wichtigen Fangtriebe hervorrufen wollen, erhalten unsere Exemplare gerade ein Viertel der idealen Blutgabe. Allerdings gelten die gerade von mir und ihnen ergriffenen Sicherheitsvorkehrungen. Ergreift eine Pflanze ein Wirbeltier von der Größe eines Menschen, kann sie ihm innerhalb von nur zwei Minuten alles Blut aus den Adern saugen. Ich weiß nicht, bei welchem Verlust bereits der Tod eintritt. Aber wer völlig blutleer gesaugt wird stirbt in jedem Fall. Nur reines Gold kann die Fasern der Wurzeln durchtrennen. Ansonsten können die Pflanzen nur durch Feuer oder zwei Monate andauernden Frischblutentzug abgetötet werden. Schamanen, die im Habitat der Haemorhizza amazonica leben legen daher immer wieder Feuer an von ihr besiedelten Substraten, um die Gefahr für ihre Schutzbefohlenen zu reduzieren. Zum großen Glück ist die Pflanze sessil und gehört damit zu den Teratophyten der zweithöchsten Stufe, deren Gefahr durch weiträumiges Ausweichen oder Umfrieden dauerhaft auf null gebracht werden kann. Wir werden uns aber auch mit durchaus ortsbeweglichen Exemplaren befassen, die nicht darauf warten, daß ihre Beute in die Reichweite ihrer Fang- und Saugorgane gerät, sondern Tieren gleich auf die Jagd gehen. - Ah, da ist noch ein Fangtrieb", sagte der Lehrer, während sich ein rostrotes Etwas aus dem Boden wühlte und peitschenartig nach Millies rechtem Arm ausschlug. Doch Millie zuckte mit dem Arm schnell genug zurück, so daß der Trieb klatschend auf dem Rand des Glaskastens landete und sofort Suchbewegungen machte, um verheißungsvoll duftende und Wärme verströmende Blutquellen anzuvisieren.

"Ich las in "Pakt mit dem grünen Tod", daß die von Ihnen erwähnten Heiler und Zauberkundigen der Eingeborenen auch Menschen bewußt solchen Pflanzen überlassen, um ihre Macht zu stärken. Sie behaupten, daß die Geister der Wälder solche Opfer haben wollten, um dem Stamm weiterhin zu helfen", erwähnte Edith Messier, eine Jahrgangsstufenkameradin aus dem violetten Saal. Trifolio grummelte. Welches Gesicht er machte konnten die Schüler wegen der Maske nicht erkennen.

"Ich weiß, daß es derartige Leute gibt, die ihre Autorität durch derartige Menschenopfer aufrechterhalten", sagte der Lehrer. "Häufig werden dann aber Ortsfremde diesen Pflanzen vorgeworfen. Es gab in den letzten Jahren Probleme mit Glücksrittern, Männern, die im Dschungelgebiet des Amazonas nach Gold oder Edelsteinen suchten und dabei in abgelegene Ansiedlungen gerieten, in deren Nähe solche Zauberpflanzen gediehen. Einige von denen wurden geopfert. Die überlebenden massakrierten darauf die Dorfbevölkerung und setzten das Gebiet in Brand, auch um freien Zugang zu scheinbar ergiebigen Fundstätten zu erlangen. Das brasilianische Zaubereiministerium mußte immer wieder Meldungen über Menschenfresserpflanzen und Vampirgewächse eindämmen. Hinzu kommt, daß die Habitate dieser Pflanzen auch so schon durch rücksichtslose Ausbeutung von Boden und Bodenschätzen immer weiter in ihrem Gesamtbestand reduziert werden. Wenn die Pflanzen völlig ausgerottet werden und es keine Alternativwirkstoffe gibt, könnten viele wirksame Mixturen nicht mehr gebraut werden, und die magische Heilkunst dürfte einen schwer zu überwindenden Rückschlag erleiden. Auf der herbologischen Konvention vor zwei Jahren wurde das Thema der Menschenopfer an Teratophyten sowie der rigorose Raubbau an den Regenwäldern ausführlich diskutiert. Ähm, woher bezogen Sie eigentlich die Ausgabe von "Pakt mit dem grünen Tod", Mademoiselle Messier?"

"Das haben wir in unserer Bibliothek", erwiderte die Gefragte. "Ich wundere mich eh, warum das hier in Beauxbatons in der verbotenen Abteilung aufbewahrt wird."

"So, Sie wundern sich? Allein schon die Erwähnung, daß Magier Vorteile aus gezielter Opferung von Menschenleben ziehen gilt hier als moralisch anstößig beziehungsweise als Geistesgift. Der von Ihnen erwähnte Auszug ist sogar noch das harmloseste, was dieses Buch enthält. Daher darf es hier nur gegen schriftliche Anforderung von mir oder dem Fachlehrer für die Abwehr destruktiver Zauber ausgegeben und nicht aus der Bibliothek mitgenommen werden. Nichts für ungut, Mademoiselle Messier. Aber ich fürchte, ich muß Ihren Saalvorsteher davon in Kenntnis setzen, daß Sie offenbar ungehinderten Zugang zu diesem Buch besitzen. Er möchte sich dann mit Ihnen verständigen, inwieweit Sie es bisher studiert haben, um zu befinden, welche Ratschläge er Ihnen für den Umgang damit erteilen wird." Edith straffte sich. Auch ihr Gesicht konnte durch die Drachenhautmaske nicht gedeutet werden. Doch das kurze Funkeln ihrer Augen verriet eine gewisse Wut. Julius dachte daran, daß sie es wohl besser nicht erwähnt hätte, ein für Trifolio so anstößiges Buch zu kennen. Julius dachte daran, daß Béatrice Latierre und Aurora Dawn dieses Buch sicher auch kannten, ja womöglich aus beruflichen Gründen in ihrer Bibliothek aufbewahrten.

Um die aufgeloderte Verärgerung wieder in die für seinen Unterricht so typische Nüchternheit zurückzuführen hielt Trifolio noch einen langen Vortrag über die bisher gemessenen Bewegungsabläufe der Blutwurz, daß die Pflanze auch temperaturabhängig war und wie ein Reptil bei großer Wärme am beweglichsten war. Daher waren es meistens auch Schlangen und Echsen, die der Pflanze zum Opfer fielen, obwohl diese keine eigene Körperwärme ausstrahlten. Sie bevorzuge jedoch gleichwarme Tiere wie Nager und Vögel, zwischendurch auch kleinere Affen, die nicht schnell genug aus der Reichweite der maximal zwei Meter lang werdenden Fangtriebe flüchten konnten.

Nach der Stunde zog Edith sichtlich verdrossen dreinschauend in Richtung Badezimmer ab, während Millie Julius bei Seite nahm: "Ist ja gut, daß die übergescheite Mademoiselle das mit dem Buch angeschnitten hat. Tante Trice hat's auch bei sich. Aber die wollte es mir nicht zum lesen lassen, sondern meinte nur, daß ich wohl in den UTZ-Jahren mit heftigen Pflanzen zu tun bekäme, wenn ich Kräuterkunde weitermache."

"In der Bibliothek, die wir bei uns eingerichtet haben ist es jedenfalls nicht drin", raunte Julius, nachdem er kurz gesichert hatte, daß ihnen beiden keinr zuhören mochte. Millie nickte. Sie kannte die aufgestockte Büchersammlung im Apfelhaus ja auch gut genug. Da standen aber auch umfangreiche Bücher über alle möglichen Formen der Magie, die durchaus in die verbotene Abteilung von Beauxbatons gehört hätten.

Edith tauchte erst wieder auf, als ein Großteil der Kräuterkundeklasse vor dem Raum für die Abwehr dunkler Kräfte eintraf. Hier kamen auch jene, die entweder aus eigenem Willen oder wegen unzureichender ZAG-Noten auf Trifolios Unterricht verzichtet hatten.

"Na, ob uns Delamontagne alles erzählt, was die Liga gegen dunkle Kräfte so macht?" Fragte Robert Deloire seine Freundin Céline. Diese sah erst Julius und dann Robert an und antwortete:

"Womöglich wird der uns erst zeigen, wie sich Zauberer ohne lautes Wort gegenseitig mit Flüchen bewerfen können. Immerhin kann Julius das ja schon. Das wird der sich nicht entgehen lassen." Julius nickte. Ihm war das auch schon in den Sinn gekommen, daß Delamontagne die Gunst nutzen würde, einen Ruster-Simonowsky-Zauberer in der Klasse zu haben, der bereits in den ZAG-Prüfungen ungesagt gezaubert hatte.

Der neue Lehrer erschien in einem langen, marineblauen Samtumhang mit Stehkragen. Sein Vollbart war glatt gestriegelt. Auf dem Kopf trug er einen mitternachtsblauen Zaubererhut mit silberner Krempe.

"Ah, schon alle da! Wunderbar! Guten Morgen, die Herrschaften!" Grüßte er. Die nach fünf jahren auf die richtige Begrüßung dressierten Schüler erwiderten den Gruß im Chor. "Sind ja doch einige mehr, als Madame Faucon befürchtet hat. Das ist sehr gut. Denn wie die letzten Jahre gezeigt haben ist die Fähigkeit, sich gegen dunkle Kräfte und Zeitgenossen zu verteidigen doch wichtig genug, um sie so gut es geht zu lernen. Bitte eintreten!" Professeur Delamontagne schloß die Tür auf und ließ alle eintreten. Er stellte die Sanduhr zur Messung möglicher Verspätungen auf. Dabei sagte er aber: "Ich habe eine Liste und kenne ja die meisten von Ihnen von Ihren Eltern oder Großeltern her, daß ich weiß, daß Sie alle da sind. Damit können wir uns die mündliche Anwesenheitsprüfung ersparen. Nehmen Sie bitte auf den Stühlen Platz! Ich mache hier keine Unterschiede nach Wohnsälen. Aber ich möchte Sie auffordern, sich nach Geschlechtern getrennt hinzusetzen, um unnötige Ablenkungen auf Grund aufkommender Annäherungsbedürfnisse zu vermeiden. Die von Ihnen gewählte Sitzordnung wird von mir notiert und gilt bis zum Ende Ihrer Schulzeit oder bis ich eine Umstellung anordne. Danke!" Robert und Gérard warfen Delamontagne einen finsteren Blick zu. Millie verzog kurz das Gesicht. Doch keiner sagte was. Delamontagne hielt sie alle mit seinem Blick in Schach, als würde er bei der kleinsten Meckerei tödliche Blitze daraus abfeuern. Julius wußte ja schon, wie willensstark der ehemalige Gegenminister war. Außerdem hatten sie alle, er eingeschlossen, großen Respekt vor ihm, weil er das Didier-Regime erledigt und die Friedenslager befreit hatte. Das kam dem neuen Lehrer offenbar gerade zu Gute. Denn ohne weitere Verzögerung teilte sich die Klasse in eine Jungen -und eine Mädchengruppe auf. Julius setzte sich zwischen Robert und Gérard, während seine Frau mit Belisama, Laurentine, Céline und Sandrine eine Saalsprecherinnengruppe bildete.

"Was ist die größte Schwierigkeit bei der Abwehr bösartiger Zauber?" Eröffnete Delamontagne den eigentlichen Unterricht, nachdem er sich aufgeschrieben hatte, wer wo und bei wem saß. Dann tippte er ein Pergamentblatt an und murmelte "Hic omnes!" Dann sah er seine Schüler an, die wohl über seine Frage nachdachten.

"Daß man vor lauter Angst nicht recht nachdenken kann", schlug Robert vor, als der Lehrer ihn auffordernd ansah.

"Ja, das kann die eigenen Verteidigungsfähigkeiten behindern", bestätigte Delamontagne. "Fünf Bonuspunkte."

"Daß man überhaupt weiß, daß man angegriffen wird", brachte Laurentine einen weiteren Punkt an. Der Lehrer lächelte und gab ihr dafür zehn Bonuspunkte. Er rechtfertigte diese Auszeichnung damit, daß es gerade in der Magie und besonders in der Auseinandersetzung mit bösartigen Zaubern immer wichtig war, zu erkennen und zu bestimmen, welche Magie auf jemanden einwirkte. Schließlich gäbe es ja stationäre Flüche, die sich nicht durch ein auffälliges Knistern oder Lichtgewitter verrieten, sondern für alle normalen Sinne unbemerkbar wirkten. Dann meinte er: "Und auch für die direkten Angriffe gilt, daß man wissen muß, wie und von woher man angegriffen wird. Wer sich optimal verteidigen will, muß entweder dem Angriff zuvorkommen oder bereits einen gegen viele Angriffsarten wirkenden Präventivzauber aufrufen. Präventivzauber können aber von böswilligen Zeitgenossen aufgehoben werden, wenn diese wissen, welche Zauber ihre Angriffe auffangen sollen. Na, was sagt uns das über die optimale Abwehrbereitschaft, beziehungsweise die größte Schwierigkeit bei der Abwehr?" Er sah die Schüler an. Julius kapierte es, worauf er hinauswollte und wollte aufzeigen. Doch irgendwas hielt seinen Arm unten. Gleichzeitig erwärmte sich das Pflegehelferarmband. Er hatte gar nicht gesehen, wie Delamontagne den Zauberstab auf ihn gerichtet hatte. Wollte der Lehrer ihn absichtlich daran hindern, sich ordentlich zu melden? Laurentine hob nun den Arm. Delamontagne sah sie an und sagte dann: "Mademoiselle Hellersdorf, was meinen Sie noch?"

"Daß ich irgendwie so zaubern muß, daß der Gegner nicht mitbekommt, was ich zaubere, also am besten kein lautes Wort sagen darf." Delamontagne strahlte sie an. Dann sah er die anderen an und meinte amüsiert:

"Das wundert mich jetzt aber ehrlich, daß Sie anderen nicht schon längst darauf gekommen sind, wo meine Kollegin Dirkson viele von Ihnen gestern schon darauf hinwies, daß Sie ab dieser Klassenstufe vordringlich in der Ausführung nonverbaler Zauber unterwiesen werden. Genau, Mademoiselle Hellersdorf. Nur wer laut rufen muß, was er zaubern will, gibt seinem Gegner genug Anhaltspunkte, wie er dem vorgetragenen Angriff bestmöglich begegnen muß." Keine Sekunde später zuckte ein silberner Lichtblitz knapp an Jacques Lumière vorbei, der ein feistes Grinsen präsentiert hatte. Keiner hatte mitbekommen, daß Delamontagne einen Zauber aufgerufen hatte. Schlagartig gefror dem Mitschüler aus dem blauen Saal das Grinsen. Der silberne Blitz krachte gegen die Wand und zerstob laut prasselnd in einer Wolke aus blauen und silbernen Funken.

"Wenn ich das gewollt hätte hätten Sie jetzt Gorattas Maske auf, Monsieur Lumière. Das ist ein ziemlich unangenehmer Gesichtslähmungszauber, der noch dazu jede stimmliche Äußerung wie ein dicker Knebel im Mund zurückhält. Zwei Wörter lösen diesen zauber aus. Ich mußte keines davon laut aussprechen, um ihn zu wirken. Damit erkennen Sie alle, wie wichtig es ab heute ist, alle bisherigen und künftigen Abwehrzauber möglichst ungesagt aufzurufen. Auch gibt es Flüche, die nur nonverbal, also ohne hörbare Zaubersprüche gekontert werden können. Natürlich gilt es, daß ein ausgerufener Zauber seine stärkste Kraft entfaltet. Auch gibt es Flüche, die nur durch lautes Ausrufen ihre vom Angreifer gewünschte Wirkung erzielen. Fällt Ihnen mindestens einer ein, der in diese Kategorie fällt?" Diesmal konnte Julius auch den Arm heben. Er war aber nicht alleine. "Es erfüllt mich mit großer Zufriedenheit, mir unter so vielen Kandidaten einen aussuchen zu dürfen", sagte der Lehrer. Doch weil Jacques nicht aufgezeigt hatte, sollte dieser was sagen. Er sah den ehemaligen Gegenminister verdutzt an und meinte, daß wohl alle Flüche laut ausgesprochen voll wirkten. Delamontagne bemerkte, daß er das doch schon erwähnt habe und gab Jacques fünf Strafpunkte wegen Unaufmerksamkeit. Dann sah er Sandrine an, die zu denen gehörte, die ihren rechten Arm erhoben hatten. Alle anderen senkten nun ihre Arme wieder.

"Ganz sicher meinen Sie die drei unverzeihlichen Flüche: Imperius, Cruciatus und ... Avada Kedavra. Professeur Faucon hat uns in der dritten Klasse gesagt, daß das die stärksten Angriffszauber sind. Wahrscheinlich können sie nicht ungesagt aufgerufen werden."

"Ja, das ist richtig. Zehn Bonuspunkte für Sie, Mademoiselle Dumas. Die drei Unverzeihlichen entfalten ihre Wirkung nur bei Ausstoß des auslösenden Zauberwortes. Ebenso wie die schweren Flüche Infanticorpore, Contrarigenus oder Intercorpores Permuto können diese nur laut ausgerufen in Kraft treten. Selbst mächtige Dunkelmagier und -hexen wie Sardonia, Grindelwald und der letztendlich über seine eigene Überheblichkeit zu Fall gekommene Tom Riddle, der sich den Namen Lord Voldemort zugelegt hat ... Och neh, Leute!" Julius grinste für einen Moment. Als die anderen alle zusammengezuckt waren hätte er fast genau das gesagt, was der Lehrer ausgerufen hatte. "Bei den anderen Namen reagierten Sie nicht so erschrocken, obwohl die damit bedachten nicht minder grausam und brutal zu Werke gingen. Nur Mademoiselle Hellersdorf und Monsieur Latierre scheinen mit diesem Namen keine Probleme zu haben. Wo waren wir? Achso! Also die erwähnten Personen düsterer Zeitgeschichte waren trotz ihrer Macht und Gewissenlosigkeit nicht im Stande, die drei unverzeihlichen Flüche ungesagt aufzurufen. Für eine Vielzahl anderer zauber gilt jedoch, daß sie bei zunehmender Ausprägung der eigenen Zauberkraft und Übung unausgesprochen in Kraft gesetzt werden können und damit einen entscheidenden Vorteil für den Angreifer bieten. Auch andere Zauber können töten, auch wenn es Gegenzauber gibt. Wenn diese aber nicht rechtzeitig ausgeführt werden nützen sie nicht viel. Monsieur Latierre: Wir beide hatten während der ZAG-Prüfungen im vergangenen Schuljahr die Ehre. Ich erfuhr, daß Sie bereits weitgehend alle Nieder- und mittelstufigen Zauber und Flüche ungesagt aufzurufen vermögen. Erklären Sie sich zu einer kurzen Vorführung bereit, um Ihren Mitschülern zu verdeutlichen, wie wichtig es ist, den eigenen Verstand und die eigene Disziplin zu schärfen, um ungesagte Zauber zu wirken?" Julius erhob sich und nickte. Er hatte ja damit gerechnet. Der Lehrer deutete auf den rechten Arm des Jungzauberers. "Mir ist natürlich bekannt, daß Sie als Pflegehelfer ein mit Curattentius-Zauber belegtes Armband tragen, das auf die Einwirkung schädigender Zauber oder die Anwesenheit böswilliger Wesen anspricht. Das kann nicht gut genug gewirkte Flüche schwächen. Führen Sie zudem noch Gegenstände mit sich, die feindliche Zauber zurückdrängen können?" Julius nickte und erwähnte die Goldblütenhonigphiole, die er einmal von Madame Faucon geschenkt bekommen hatte, daß diese aber gerade in einem diebstahlsicheren Practicus-Brustbeutel steckte. Der Lehrer nickte und erwähnte, daß sie dort keine Wirkung gegen andere Zauber zeigen konnte. Dann bat er Julius in die Mitte des Klassenraumes. Unvermittelt stieg um sie herum eine kurz flimmernde und dann glasartig durchsichtige Wand auf. Delamontagne hatte wohl mit unsichtbarer Zaubertinte einen provisorischen Sperrkreis gezogen und aktiviert. "Ein echter Feind würde ohne die höfliche Begrüßung seines Kombatanten losschlagen. Aber wir halten uns an die ungeschriebene Etikette ehrenvoller Zaubererduelle", sagte der Lehrer. Seine Stimme klang in diesem Raum normal. Also ließ der unsichtbare Sperrzauber Schall normal passieren. Julius nickte. Er verbeugte sich vor dem Lehrer, der sich dann auch vor ihm verbeugte. Sofort danach konzentrierte sich Julius auf den großen Schild. Kaum stand dieser, krachte auch schon ein ungesagt aufgerufener Fluch hinein. Julius konterte mit einem ungesagten Schockzauber, der jedoch in einem unsichtbaren Schild seines Duellgegners hängenblieb. Dann folgte ein offener Schlagabtausch. Keiner der beiden sagte dabei ein Wort, während Zauber wie buntes Wetterleuchten hin und herflogen, dabei immer mal wieder in die Sperre krachten und diese bläulich oder grünlich auflodern ließen, bis mit lautem Knack ein weißer Funkenwirbel um die beiden herum entstand. Die Funken sausten zur Decke oder schossen in den Boden. Dann fauchte es kurz, und alles sah so aus wie vorher.

"Hui, nur eine Minute hat die zeitweilige Begrenzung das ausgehalten", bemerkte der Lehrer und senkte seinen Zauberstab. "Ich ging von mindestens zwei Minuten aus. Na ja, das zeigt nur, wie heftig wir beide uns beharkt haben. Meine Vorgängerin hat Sie sehr gut vorgebildet. Das macht mich sehr zuversichtlich, daß sie bei Ihren Kameraden die ggleiche Umsicht und Beharrlichkeit aufgewendet hat. Wie Sie alle hier miterleben konnten vermögen es geübte oder hochbegabte Zauberer, auf ungesagte Weise kräftig aufeinander einzufluchen. Prävention und Reaktion, nur so kann ein Angegriffener sich davor schützen, gleich beim ersten Angriff zu unterliegen. Hierbei gilt, daß dem Angreifer die ersten zwei Sekunden der Auseinandersetzung uneingeschränkt gehören. gelingt es ihm in dieser Zeit nicht, seinen Gegner niederzukämpfen, kann dieser sich gut genug zur Wehr setzen. Deshalb sollten Sie alle sich die drei Grundsätze erfolgreicher Verteidigung einprägen: Aufmerksamkeit, Schnelligkeit und Entschlossenheit. Sie müssen immer davon ausgehen, daß Ihr Gegner darauf hinarbeitet, Sie zu verunstalten, zu lähmen, zu quälen oder zu töten. Deshalb dürfen Sie keine Halbherzigkeit zeigen und müssen bereit sein, den Gegner kampfunfähig zu machen. Monsieur Latierre, kehren Sie nun bitte an ihren Platz zurück!" Julius gehorchte. Alle schrieben sich die ersten Worte des Lehrers genau auf. Dann sollten sich je zwei Schüler zu Duellpaaren zusammenstellen, wobei sie kein lautes Wort sagen sollten. Professeur Delamontagne gab Julius für die Zeit, die dessen Mitschüler einander ungesagt anzugreifen versuchen sollten auf, sich in einem von Madame Faucons geschenkten Büchern alles über das Licht der Erlösung durchzulesen, einem Feuerelementarzauber, der niederstufige Flüche auf sich zog und damit eine Zone der Unangreifbarkeit schuf, so weit sein Licht reichte. Julius las das Kapitel und erfuhr dabei, daß der Zauber nur solange vorhielt, wie mindestens ein Lebewesen im Schein seines Lichtes stand. war niemand mehr im Wirkungsbereich, erlosch das Licht. Er las auch, daß Zauber, die Finsternis und Eiseskälte großflächig verbreiten konnten, den Einfluß des Lichtes eindämmten, wenn dieses nicht selbst großflächig entfacht wurde. So vermochten Dementoren und Nachtschatten, das Licht zu schwächen, wenngleich sie es nicht ganz auslöschen konnten und von seiner Kraft sichtlich mitgenommen wirkten. Vampire flohen dieses Licht, weil es wie eine Mischung zwischen natürlicher Sonnenstrahlung und fließendem Wasser Körperkräfte absog und trotz seiner für Menschenaugen angenehmen Helligkeit wie zehn blendende Lichter auf einmal auf Vampire und andere Nachtgeschöpfe wirkte. Allerdings, und das war das große Problem, konnte das Licht der Erlösung nur von einem Zauberkundigen entzündet werden, der keine Angriffslust empfand und es nicht als Waffe gegen andere anwenden wollte.

Alls eine Viertelstunde vergangen war, riß ein lautes Fauchen Julius' aus der Konzentration. Er warf seinen Kopf herum und sah, wie Belisama gerade schlaff zu Boden stürzte. Sie hatte mit Laurentine ein Übungspaar gebildet. Millie und Leonie standen einander gegenüber und richteten ihre Zauberstäbe aufeinander. Da flog ein scharlachroter Blitz aus Millies Stab und fegte Leonie den zauberstab aus der Hand. Die anderen Übungspaare schafften es offenbar nicht, einen ungesagten Zauber auszulösen. Millie strahlte zufrieden, während Leonie nach ihrem davongeschleuderten Zauberstab hechtete. Belisama wurde derweil von Professeur Delamontagne wieder aus der Schockstarre erweckt und zum Weitermachen angehalten, obwohl sich die Pflegehelferkameradin den Hinterkopf hielt, weil der Sturz ihr wohl eine Beule verpaßt hatte. Julius hob die Hand zur Meldung und winkte den Lehrer heran. "Ich habe den Trank gegen Blutergüsse mit. Darf ich Mademoiselle Lagrange was davon geben?"

"zeigen Sie mir den bitte erst", wisperte der Lehrer und sah dann die anderen Paare an, die mit hochkonzentriert wirkenden, teilweise aber auch frustrierten und verbissenen Gesichtern einander gegenüberstanden. Jacques zwinkerte seinem Duellpartner aus dem blauen Saal zu, worauf laut pfeifend ein Zauber aus Jacques Zauberstab flog, der von einem schnellen Gegenfluch pariert wurde.

"Monsieur Lumière belieben wohl zu mogeln", sagte Professeur Delamontagne. "Ich habe das gehört, daß Sie das Zauberwort für den Hypothermia-Zauber geflüstert haben. Ich mag zwar einige dutzend Winter mehr erlebt haben als Sie, aber die Ohren funktionieren noch gut. Ungesagt heißt ohne Flüstern, Rufen oder Singen, die Herrschaften. Weitermachen!" Julius hatte kein Wort von Jacques gehört. Doch das knallrote Gesicht des Jungen zeigte überdeutlich, daß er sich ertappt fühlte. Auch sein Partner lief an den Wangen und Ohren rot an. Offenbar hatten die beiden sich abgestimmt, durch geflüsterte Zauber besser auszusehen als der Rest. Julius zeigte dem Lehrer den Trank. Dieser überprüfte ihn mit einem Specialis Revelio, nickte und ging damit zu Belisama, die neben Laurentine stand, die nicht wußte, ob sie sich über den Erfolg freuen oder Belisama bedauern sollte. Das Mädchen mit den honigfarbenen Haaren schenkte Julius einen dankbaren Blick aus bergquellklaren Augen. Dann baute sie sich wieder vor Laurentine auf, um wieder zu versuchen, sie ungesagt mit einem umkehrbaren Fluch zu erwischen. Jacques versuchte es offenbar noch einmal, leise aber doch hörbar zu zaubern. Dafür fing er sich von Professeur Delamontagne den Sprechbann ein, ebenso wie sein Partner. "Fünfzehn Strafpunkte wegen wiederholten Versuches, die Anweisungen des Lehrers zu umgehen, die Herren Lumière und Jospin", sagte der neue Lehrer noch. Dann sah er nur zu, wie die anderen einander gegenüberstanden. Millie erwischte Leonie mit einem ungesagten Beinklammerfluch, während Laurentine Belisama mit dem Tanzzwangzauber Tarantallegra überrumpelte.

"Lesen Sie sich noch den Abschnitt über den Schutzkreis gegen Beobachtungszauber durch, Monsieur Latierre!" Wies Delamontagne den Ruster-Simonowsky-Zauberer an. Julius holte ein anderes Buch aus seiner Tasche und las das angewiesene Kapitel und schrieb sich in Stichpunkten die wichtigsten Aussagen auf. Da hörte er Gérard mißmutig zu Robert sagen: "Mann, den Glatzenmacher hättest du nicht unbedingt machen sollen, ey!" Julius sah Gérard an, dem gerade sämtliches Kopfhaar abhanden gekommen war. Alle Haare rieselten oder lagen um ihn herum. Robert grinste nur und erwiederte, daß das ja ein harmloser Fluch war.

"Harmlos! Ballinflato!" Erwiederte Gérard, wobei er den Zauberstab in einer schnellen Kreiselbewegung gegen Roberts Bauch führte. Dieser begann unmittelbar darauf ballonartig anzuschwellen. "So, jetzt meint jeder, du bekämst von Céline ein Kind, du Weihnachtsmann!"

"Okay, das reicht wohl, die beiden Herren", bellte Delamontagne so laut, daß alle vor Schreck zusammenfuhren. Dabei lösten sich blaue, rote, grüne, gelbe und weiße Funkenwolken aus den einsatzbereiten Zauberstäben und wirbelten im Raum herum. Der Lehrer fegte sie mit einem Gegenzauber zusammen und ließ sie mit lautem Plopp verlöschen. "Wegen Mißachtung der lehreranweisung, sowie Unbeherrschtheit und derber Rede erhält Monsieur Gérard Laplace dreißig Strafpunkte. Wenn Sie sich nicht beherrschen können werden Sie für jeden wirklich bösartigen Gegner zur leichten Beute. Merken Sie sich das gefälligst!" Alle sahen auf den Lehrer. Offenbar hatte keiner damit gerechnet, daß er auch ungehalten sein konnte. Die Mädchen, die nicht im roten Saal wohnten schlugen die Augen nieder. Millie und Leonie grinsten einander an. Delamontagne kehrte den Kugelbauchfluch gegen Robert wieder um. Robert schnaubte, weil der angeschwollene Bauch ihm fast die Luft abgeschnürt hatte. Dann ließ er Gérard mit einem rosafarbenen Zauberlicht neues Haar wachsen, erst babyflaumartig, und dann auf knapp einen Zentimeter Länge.

"So, weitermachen!" Befahl der Lehrer und ging wieder auf seine Überwachungsposition. Julius las dann das Kapitel über den Zauber zum Ausschluß ungebetener Besucher, den Madame Delamontagne einmal verwendet hatte, um ungestört einen Osterball zu veranstalten. Er erkannte, wie kompliziert dieser zauber war und daß mindestens eine halbe Stunde lang in vorgeschriebenen Abständen und an geometrisch wichtigen Punkten des damit zu sichernden Bereiches gezaubert werden mußte. Zwischendurch fauchte oder knallte es. Julius sah, daß nach Laurentine und Millie jetzt auch Apollo Arbrenoir einen ungesagten Zauber hatte aufrufen können, als sein Duellpartner zwei haarige Insektenfühler auf dem Kopf hatte. Am Ende der Stunde waren außer Julius, der das ja schon längst konnte, nur Millie, Laurentine, Apollo und Belisama im Stande gewesen, ungesagte Zauber aufzurufen. Sie alle sahen sichtlich erschöpft aus.

"Das werden wir im Laufe des Jahres mehrmals üben. Bis dahin versuchen Sie bei allem, was wir neu lernen, sowohl gesagt als auch ungesagt zu zaubern. Sie werden wie auch bei anderen Zauberstabanwendungen erkennen, daß sich mit der Übung auch eine immer größere Leichtigkeit einfinden wird. Am Ende des Jahres werden Sie alle die alltäglichen Zauber größtenteils ungesagt ausführen können. Das ist wie mit dem Laufen oder einer anderen Bewegungsform. Sie will erlernt und geübt werden. Magie ist die Erweiterung Ihres Geistes, aus Gedanken Gegebenheiten zu formen. Je mehr Sie damit üben, desto besser gelingt es. Einigen Menschen, wie Ihrem Mitschüler Monsieur Latierre, wird es bereits in die Wiege gelegt, mit reiner Gedankenkraft magische Wirkungen zu erzielen. Doch er mußte lernen, dieses Übermaß an Grundkraft zu dosieren, während Sie alle lernen müssen, es auf ein gewünschtes Maß zu verstärken. Wo die Mitte liegt, in der Sie sich dann treffen weiß ich nicht." Jacques grinste belustigt. Der Lehrer hob den Sprechbann auf und fragte ihn, was er zu grinsen habe.

"In der Mitte treffen klingt irgendwie ziemlich unanständig für einen Lehrer", erwiderte Jacques.

"Wer böses denkt, Monsieur Lumière, der böses tut", sagte Professeur Delamontagne ganz ruhig. "Ich meinte nur einen Weg, den Ihr Kamerad beschreitet und den Sie beschreiten, ohne zu wissen, wo sie Einander begegnen. Falls Sie Probleme mit dem Verständnis haben, sollten Sie sich bei Madame Rossignol melden und fragen, ob es was dagegen gibt." Jacques schüttelte nur den Kopf.

"Wie erwähnt wird die Übung ungesagter Zauber ein wesentlicher Bestandteil unserer praktischen Versuche sein. Natürlich werde ich Ihnen außerdem weitere wirksame Schutz- und Wehrzauber beibringen und mit Ihnen die Natur eindeutig schwarzmagischer Kreaturen oder Objekte besprechen, um sich ihrer erwehren zu können." Da läutete die Schulglocke. "Damit sind wir für heute fertig. Hausaufgaben kann ich im Moment noch nicht vergeben, weil wir außer uns gegenseitig belauern ja nichts wirklich wichtiges erreicht haben. Bis zum nächsten Mal!" Die Schüler erwiderten den Abschiedsgruß im Chor. Dann eilten sie hinaus auf den Pausenhof.

"Ein bißchen lockerer als Königin Blanche ist der schon drauf. Die hätte Jacques für seine blöde Anzüglichkeit wohl glatt den Ratzeputz über sein Lästermaul gezogen", meinte Belisama zu Julius und Millie. Dann ffragte sie ihn, was er in der Zeit so gelesen hatte.

Auch in der folgenden Stunde Zauberkunst sollten die Schüler schon ungesagte Zauber ausführen. Julius wurde wieder als Vorführschüler ausgesucht, um zu zeigen, wie das aussehen konnte. Am Ende der Stunde konnten die, die schon bei Verwandlung und Abwehr dunkler Zauber ungesagte Sachen hinbekommen hatten Zauberstablicht und tragbares Feuer ohne Worte zaubern, während Julius sich ein Kapitel über Eigenschaftsveränderungen lebender Wesen durchlesen mußte. Dabei erfuhr er, wie Hexen und Zauberer ihre natürlichen Körpereigenschaften verstärken konnten. Wie Zauberer sich für eine durch ihre vorhandene Tagesausdauer teilbare Zeit zehnfache Körperkraft verschaffen konnten oder für wenige Minuten bis zu zehnmal schneller sehen, denken und handeln konnten wußte er schon aus den ZAG-Vorbereitungen. Er hatte auch gelernt, daß die beiden Zauber sich gegenseitig ausschlossen und somit kein Superheld wie der rote Blitz oder der bionische Geheimagent Steve Austin nachgemacht werden konnte. Ebenso las er noch einmal den kurzen Abschnitt über den Fastenzauber, der jemandem für einen Tag Hunger und Durst ersparte, allerdings zum Preis, daß bei Aufrufen dieses Zaubers andere Körperbeeinflussungszauber nicht mehr griffen und jede in dessen Wirkungszeit eingenommene Mahlzeit ein vielfaches ihres Sättigungs- und Gewichtszunahmegrades bewirkte. nun las er noch etwas von supersensorischen Zaubern, mit denen die Sinne für eine kurze Zeit erweitert werden konnten, was jedoch auf die geistige Ausdauer ging. So konnten die Augen mit dem Falcoculus-Zauber auf achtfache Reichweite verbessert, mit dem Strigoculus-Zauber für das Sehen in vollkommener Dunkelheit und mit dem Caloroculus-Zauber auf das Sehen von Wärmequellen eingestellt werden. Mit dem Circumvisus-Zauber, einer Art unsichtbarem Rückspiegel, konnten die Augen des Zauberkundigen oder eines von ihm bezauberten auf Rundumsicht gestellt werden. Mit anderen Zaubern konnte der Frequenzgang und die Empfindlichkeit der Ohren verstärkt oder die Leistung der Nase auf die eines Bluthundes angehoben werden. Es wurde jedoch unmißverständlich davor gewarnt, diese Zauber länger als für eine Anwendung üblich zu verwenden, weil die Sinnesorgane bei dauerhaftem Einsatz geschädigt werden konnten und der Verlust der üblichen Warhnehmung möglich war. Zumindest erkannte Julius jetzt, auf welcher Grundlage die magischen Augen oder Ohren diverser Leute funktionierten. Professeur Bellart las die von ihm angefertigten Notizen und gab ihm auf, sich über den Feuereiszauber kundig zu lesen. Julius hatte davon schon gehört. Damit konnten Flammen regelrecht eingefroren und zu greifbaren, selbstleuchtenden Objekten gemacht werden. Babettes Großtante Madeleine hatte es beiläufig erwähnt, daß das ginge, was im Buch über den satanarchäolügenialkohöllischen Wunschpunsch mit kaltem Feuer gemeint war. Allerdings bestand die Gefahr, daß das Feuereis bei einer Temperaturzunahme von mehr als zehn Grad seine Festigkeit verlor und in gewöhnliches Feuer zurückverwandelt wurde. Doch Julius dachte schon an interessante Kunstwerke, die aus gefrorenem Feuer gebaut werden konnten. Vor allem, daß in einem gleichwarmen Behälter genug davon mitgenommen werden konnte, um im Bedarfsfall mehrere nicht brennende Lichtquellen verteilen zu können war interessant.

Nach dem Mittagessen fanden die Schüler des grünen Saales einen Aushang in ihrem Aufenthaltsraum vor.

Sehr geehrte Schüler des grünen Saales,

die Auswahl für die Mitgliedschaft in Ihrer Quidditchmannschaft findet wegen unaufschiebbarer Termine des Besenfluglehrers Professeur Dedalus erst in der kommenden Woche am Dienstag statt. Wer Interesse hat möge sich bitte bei mir eintragen.

Prof. Phoebus Delamontagne

"Na toll, und der bestimmt wohl auch, wer der Kapitän wird", meinte Céline dazu nur. "Unaufschiebbarer Termin. Dedalus war doch heute morgen noch am Lehrertisch", wunderte sich Gérard.

"Vielleicht sucht er eine neue Anstellung", warf Robert eine Vermutung ein. "Könnte doch sein, daß er sich mit Madame Faucon nicht so gut versteht wie mit Madame Maxime."

"So ganz abwegig ist das nicht", sagte Julius. "Ich habe ihn ja etwas besser kennenlernen dürfen. Es könnte echt sein, daß der mit Madame Faucon nicht die passende Wellenlänge gefunden hat. Deshalb haben wir wohl auch noch keinen Kapitän."

"Dann soll Madame Faucon den mit nettem Dank davonziehen lassen", meinte Laurentine. Sie wollte zwar kein Quidditch spielen. Doch die Besenflugstunden steckten ihr noch gut in den Knochen, um den Fluglehrer mit dem Kommandoton eines Armeeausbilders nicht zu ihren Lieblingslehrern zu zählen.

"Na toll, könnte dann auch heißen, daß Quidditch in diesem Jahr auch ganz ausfällt", grummelte Céline. Julius beruhigte sie jedoch, daß Beauxbatons in diesem Jahr sicher wieder ein Quidditchturnier austragen würde, weil er davon ausging, daß im nächsten Jahr wieder ein trimagisches Turnier stattfand, wenn er auch nicht wußte, wo.

"Jedenfalls habt ihr Quidditchleute heute frei", sagte Laurentine dazu nur. Das war unbestreitbar. So konnten sie ihre Hausaufgaben machen.

Als er seine Aufgaben fertig hatte, sprach ihn Babette Brickston von hinten an. Er wandte sich um und sah die Enkelin Madame Faucons fragend an.

"Hattest du auch schon bei Professeur Delamontagne?" Fragte sie. Julius erwähnte, daß er erst heute bei ihm die erste Stunde gehabt hatte. "Wir hatten den gerade eben. Hanno hat wissen wollen, wie man Dämonen beschwört und ob man auch Succubusse zu sich rufen kann."

"Wie nett, ausgerechnet mir sowas unter die Nase zu reiben", grummelte Julius. Doch dann fing er sich. Er war Engländer und sollte vieles mit mehr Humor nehmen. So grinste er und meinte dann: "Und, hat Professeur Delamontagne ihm die Telefonnummer der noch wachen Abgrundsschwestern geben können?"

"Neh, hat der nicht. Der hat erst komisch geguckt, als wollte der dem gleich einen Fluch überziehen oder sowas. Dann hat er ihn ganz cool gefragt, was Hanno genau meine. Tja, da mußte Hanno dem erzählen, daß er von solchen bösen Biestern gehört habe und er wissen wollte, ob ein Zauberer die nicht für sich zähmen kann, wobei der meinte, daß die dann als sein Bettwärmer herhalten könnten."

"Und wie hat unser neuer Saalvorsteher das geschluckt?" Fragte Julius.

"Der meinte, daß Hanno besser nicht abfällig von Sachen reden sollte, von denen er keinen Dunst hat und sich besser mal damit anzufreunden hätte, daß wir hier nicht im Kino seien und die Monster, die es gibt nicht nach Filmende weg sind. Dann hat der ganz cool rumgefragt, was wir für böse Zauberwesen kennen. Ich habe dabei dreißig Bonuspunkte abgeräumt, weil ich die Dementoren erwähnt habe und wie Oma Blanche, Maman und du die weggescheucht habt, die in Paris um unser Haus herumgeflogen sind. Hanno meinte, so'n Dementor sei bestimmt 'ne geniale Möglichkeit, Leute, die man nicht mag abzuschrecken. Da sah Professeur Delamontagne erst wieder so aus, als wolle der dem gleich eins überbraten. Dann meinte er aber, daß Dementoren nur denen gehorchten, die keiner wirklich liebhabe, weil die bei dem nichts zu futtern bekämen und deshalb nicht ans Futtern dächten. Charles und Jacqueline haben Hanno dann gefragt, ob der nicht noch zu klein sei, um echte Monster bei sich haben zu wollen. Da hätte der Jacqueline fast geohrfeigt. Das klappte nur nicht, weil Professeur Delamontagne ihm mit einem Fernbewegerzauber den Arm runtergedrückt hat. Da wurde der Knilch etwas ruhiger. Delamontagne wollte von dem dann die Frage beantwortet haben, die Jacqueline gestellt hat. Der meinte dann, daß er ja nur 'ne Pistole mit Silberkugeln bräuchte, wenn die Monster nicht spurten. Da hatten wir's dann von Werwölfen. Ich kapier's nicht, daß der Typ nicht kapiert, daß die ganzen Biester aus den Filmen, die Papa mich nicht sehen lassen will, weil die zu heftig sind, echt rumlaufen. Warum meint der, so'n starken Maxen raushängen zu müssen?"

"Weil's bei manchen Männern gut ankommt, wenn sie sich gegenseitig als starke Maxen aufspielen, Babette. Aber wie ging die Sache aus?"

"Professeur Delamontagne hat ihm und uns erzählt, daß Dementoren nicht mit gewöhnlichen Waffen zu erledigen sind, weil die einem die schlimmsten Sachen aus dem leben immer wieder durch den Kopf gehen lassen. Hanno hat's nicht glauben wollen. Da hat Professeur Delamontagne ihn für so zwei drei Sekunden mit einem unsichtbaren Zauber erwischt. Danach war Hanno ziemlich kleinlaut. Professeur Delamontagne meinte dann, daß das bei Dementoren minutenlang so gehen könne. Das hat dem Dummschwätzer wohl gereicht."

"Manchmal kriegt man wen nur zum glauben, wenn man ihm vorführt, daß es geht", grummelte Julius.

"Jedenfalls wurde es danach noch eine ganz dolle Stunde, weil wir über die echten und die echt nur erfundenen Monster geredet haben. Wir sollen bis zur nächsten Stunde 'ne Liste machen, welche Biester am gefährlichsten sind und welche leicht plattzumachen gehen", meinte Babette.

"Wir haben am Donnerstag wieder bei Dellie", fügte Jacqueline noch hinzu.

"So von wegen direkte Abwehrzauber wollte Professeur Delamontagne noch nicht mit euch anfangen?" Fragte Julius.

"Durch das Gerede von Hanno wollte der wohl erst klarhaben, was wir über echte Mörderbiester wissen", antwortete Jacqueline. "Außerdem hängen Armgard und Hanno bei einfachen Zaubern wohl noch hinten dran. Der will wohl erst richtige Sachen zum Zaubern bringen, wenn die beiden ihre Zauberstäbe zum leuchten kriegen."

"Deine Tante ist ja auch eine Hexe, hweiß ich ja schon. Aber warst du dann auch in einer der Eingangsschulen für Zaubererkinder?" Fragte Julius Jacqueline.

"Ach du Drachenkacke, hat Céline dir das nicht erzählt? Meine Eltern sind beide Muggel. Mein Vater ist das erste von zwei Kindern, die Oma Estelle gekriegt hat. Aber nur Tante Lou hat von den beiden Zauberkraft. Deshalb gab's seitdem Zoff, als die von diesem Descartes aus dem Ministerium besucht wurde, nachdem die den Brief aus Beaux gekriegt hat. Tja, da wollte Pa von der Zaubererwelt nix mehr wissen, ist extra rüber nach Korsika, um da weit genug von Tante Lou und ihren neuen Kameraden weg zu sein. Da hat der dann meine Ma kennengelernt, die ursprünglich aus dijon stammt. Was die beiden dann nach Straßburg getrieben hat weiß ich nicht. Ich war's jedenfalls nicht, weil die da schon gewohnt haben, als ich noch nicht gemacht war. Jedenfalls schafft mein Pa als kleiner Angestellter im Europaparlament, während Ma Übersetzerin für Deutsch, Französisch, Spanisch und Englisch ist. Die hat meinem Pa ja den Job verschafft, weil der wegen der Krise um Tante Lou keinen rechten Bock auf Uni oder so hatte. Jedenfalls dachten die wohl, ich wär auch Muggel, bis ich den blauen Familienschlitten irgendwie schweinerosa gestreichelt habe. Mir gefällt Rosa. Deshalb ist das ja hier so blöd, in blauem Zeugs rumzulaufen."

"Dann hättest du ein Baby bleiben sollen", feixte Babette. Jacqueline funkelte sie dafür mit ihren blaßgrünen Augen an. Doch dann grinste sie. "Hätte meinem Pa sicher auch gefallen, mich dauernd rumfahren zu dürfen. Außerdem hätte ich da bestimmt nicht den großen Schlitten rosa machen können."

"Durch Streicheln?" Fragte Julius. "Dann sollte ich mich von dir besser nicht anfassen lassen. Schweinchenrosa Hare will ich bestimmt nicht haben."

"Da war ich gerade sieben und ziemlich sauer auf Pa, weil der mich dazu verdonnert hat, die Karre zu waschen, damit der mit seinen Kumpels Fußball gucken konnte. Als der nach Hause kam hatte der eben 'ne rosarote Kutsche. Auch die Metalldinger in den Reifen waren rosa. Der hat gekuckt, als hätte der Schlitten den umgefahren. Dann wollte der wissen, wie ich das gemacht habe, und ich hab's dem gezeigt. Dabei wurden dann auch die Reifen rosa. Hihi! Dann war für den die Kiste klar, denke ich. Tja, und einige Tage später war dann Tante Lou bei uns, die meinen Eltern und mir das erzählt hat, daß ich wohl auch eine echte Hexe wäre, mal auf 'nem Besen fliegen und mit 'nem Zauberstab Sachen anstellen könnte und sie deshalb auf mich aufzupassen habe, obwohl sie nicht meine Patin wäre. Das war der aber egal, daß Mas Tante Marie meine Patin ist, weil Tante Lou meinte, daß magische Kinder mit magischen Verwandten diese Verwandten als Paten haben sollten, wobei die da wohl Männer zu Jungs und Frauen zu Mädchen einteilen. Tante Lou hat dann versucht, das rosa Auto wieder blau umzuhexen. Hat nicht ganz geklappt. Die Räder wurden zwar wieder schwarz und silbern. Aber der Rest ist rosa geblieben. Pa hat dann versucht, den Schlitten neumalen zu lassen. Ging auch nicht, weil die blaue Farbe nach einem Monat abgebröckelt ist. Dann hat der das Schweinchenauto als Juxauto an so'ne Clowntruppe verkauft und gemeint, ich sollte bloß die Pfoten von seinen Sachen lassen. Danach sind mir in der Muggelschule ein paar Dinger passiert, die das ganz klar gemacht haben, daß ich auf jeden fall hier nach Beaux zu gehen hätte. Tja, mein Pa ist stinksauer, weil er nicht zaubern kann. Ma hätte fast die Fliege gemacht, weil die Angst hat, noch wen mit Zauberkraft auszubrüten, und die anderen Verwandten glauben jetzt, ich wäre in die Schweiz geschickt worden wie viele angeblich anständige Mädels."

"Ja, aber deine Tante hat dir schon Sachen beigebracht", wandte Babette ein. "Die Zauberkunstdinger kannst du doch schon."

"Bin ich auch froh drum", sagte Jacqueline. Da zerfloß die feste Steinwand, die den Eingang zum grünen Saal versperrte, und Céline trat ein. Sie sah die beiden Erstklässlerinnen bei Julius, winkte ihnen zu und kam dann herüber.

"Na, unterhaltet ihr euch mit Julius über eure Stunden?" Fragte sie. Babette nickte ihr zu. Jacqueline meinte, daß sie Julius ihre Geschichte erzählt habe, weil der ja wissen wollte, ob sie rein Muggelstämmig sei. Céline grinste. "Die Sache mit diesem Autowagen, Jacqueline?" Die Gefragte nickte und grinste von einem Ohr zum anderen.

"Ich hoffe, ihr habt Julius nicht beim Hausaufgabenmachen gestört", meinte Céline. Julius schüttelte den Kopf und erwähnte, daß Babette wohl gewartet habe, bis er fertig war. Dann sprachen sie noch einmal von Hanno. Céline warf die fast weiße Stirn in Falten und wiegte den Kopf. "Ob das gleich in der ersten Stunde so doll ist, wem mit so einem Zauber zuzusetzen, der gerade drei Tage von zu Hause weg ist und in eine komplett neue Welt reingekommen ist? Vielleicht solltest du das mit Professeur Delamontagne bereden, bevor die SSK das auf den Punkt bringt."

"Das war nicht der Depressissimus-Fluch, Céline", sagte Jacqueline unerwartet. "Das sah so aus, als hätte der dem wie'n Dementor die schlimmsten Sachen aus seinem Leben in den Kopf zurückgerufen. Fixie hat Hanno ja beim Zaubertrankunterricht auch schon so angeglubscht, als wollte die den mit den Augen durchleuchten wie so'n Röntgenapparat. Babette sagt, die kann hören, was wer denkt. Vielleicht hat Dellie was ähnliches drauf oder hat 'nen Zauber gemacht, mit dem sowas geht."

"Professeur Fixus kann tatsächlich worthafte Gedanken hören, Jacqueline. Und Professeur Delamontagne vermag wohl, einen Ausforschungszauber auszuführen, der ihn in das Innere von Leuten sehen läßt. Aber der Zauber ist ziemlich heftig und sehr ungern gesehen, weil den normalerweise nur böse Hexen und Zauberer bringen, um ihre Gegner noch leichter niedermachen zu können." Julius nickte. Jacqueline nickte auch.

"hat Maman auch mal gesagt, daß sowas geht", seufzte Babette. Julius fragte sich, ob Professeur Delamontagne nicht eine Grenze überschritten hatte. Er wollte gerade einwenden, daß der neue Lehrer und Saalvorsteher bestimmt nicht so weit gegangen war, als sein Pflegehelferarmband zitterte. Er entschuldigte sich bei den Mädchen und zog sich an einen freien Tisch zurück, um das magische Gespräch anzunehmen. Als Madame Rossignols räumliche Abbildung frei in der luft schwebte hörte er ihre Stimme aus dem Armband. "Was hat da so lange gedauert? - Ist jetzt auch egal. Komm bitte sofort zu mir!" Julius bestätigte den Erhalt der Anweisung und konzentrierte sich auf das Wandschlüpfsystem. Als nur für ihn ein Teilstück der Wand rosarot flimmerte dachte er einen Moment an Jacquelines Bemerkung, daß sie Rosatöne liebte. Dann eilte er auf das aktivierte Wandstück zu und berührte es mit dem Armband. Sofort sog es ihn ein und ließ ihn aus der Direktverbindungswand im Sprechzimmer der Heilerin wieder herauspurzeln.

Madame Rossignol wartete nicht alleine auf ihn. Da war noch Madame Faucon und Professeur Delamontagne. auf dem Behandlungstisch lag Hanno Dorfmann, offenbar bewegungsunfähig.

"Patricia hat den erwischt, als er im grünen Forst verschwinden wollte. Sie wußte keine andere Möglichkeit, als ihn mit einem Erstarrungszauber bewegungsunfähig zu machen und dann herzubringen. Er hat sich dann gegen mich zur Wehr gesetzt, als ich die Erstarrung aufgehoben habe. Deshalb mußte ich ihn fixieren, um rauszufinden, was mit ihm ist. Der wollte mir nichts verraten. Da mußte ich legilimentieren. Offenbar war ich nicht die erste, die das bei ihm getan hat. Dabei erfuhr ich zu meiner großen Bestürzung, was ihm in der letzten Schulstunde widerfuhr. Außerdem bekam ich dabei auch mit, was der Grund für das von uns schon einmal angesprochene Verhalten des Jungen ist. Ich habe dich in der Doppelfunktion als Saalsprecher und Pflegehelfer herzitiert, um dich in die deshalb fällige Diskussion mit einzubeziehen."

"Ähm, warum hat Patricia gedacht, ihn zu Ihnen bringen zu müssen?" Fragte Julius.

"Sie hat ihn gefragt, wo er hinwolle und er hat ihr in einer derben Ausdrucksweise erwidert, bereits von Beauxbatons und seinen Lehrern genug zu haben und das Weite suchen zu wollen." Auf dem Tisch versuchte Hanno, sich egen unsichtbare Fesseln zu stemmen und öffnete den Mund, bekam aber keinen Ton heraus. "Achso, ich habe ihn vorerst mit Schweigezauber belegt, um mit Madame Faucon, Professeur Delamontagne und dir in Ruhe sprechen zu können, bevor ich ihn aussagen lasse", sagte die Heilerin. Hanno versuchte weiter, sich aus der magischen Fesselung herauszuwinden. Doch er war wie mit unsichtbaren Nägeln am Tisch fest verankert. Er konnte nur den Kopf bewegen. Wieder versuchte er etwas zu rufen. Die Zunge bewegte sich, der Kehlkopf erzitterte. Doch es war nichts zu hören.

"Die Klassenkameraden von Monsieur Dorfmann haben mir schon erzählt, daß Sie ihm einen Zauber unterzogen haben, der ihn heftig verängstigt hat, Professeur Delamontagne", wandte sich Julius an den neuen Lehrer. Dieser nickte. Madame Faucon sah Julius an und erwiderte:

"Mein neuer Kollege und hochgeschätzter Mitstreiter gegen dunkle Künste hielt es offenbar für sehr dringend geboten, an diesem jungen Mann ein nachhaltiges Exempel zu statuieren, indem er ihm vorführte, wie schnell jemand durch magische Geistesmanipulation außer Gefecht gesetzt werden kann. Dabei hat er es nicht beim Depressissimus-Fluch belassen, der die Wirkung der Dementoren nachempfinden läßt. als Madame Rossignol die Einlieferung von Monsieur Dorfmann meldete befand sich Professeur Delamontagne bereits bei mir, um den Vorfall zu diskutieren, weil er erkannt hat, dabei womöglich die Grenze der Verhältnismäßigkeit überschritten zu haben." Professeur Delamontagne nickte bestätigend und sah dann Julius an, der sofort seinen Geist verschloß, ein ihm antrainierter Reflex, der ihm jedoch schon häufiger Unannehmlichkeiten erspart hatte.

"Nun, ich ging davon aus, es mit einem reinen Maulhelden zu tun zu haben, der mit der Umstellung nicht so leicht fertig wird und dies durch unangebrachte Aufsässigkeiten zu verschleiern trachtet, vor allem in Anwesenheit von Damen. Ich wollte ihm zeigen, daß es weder spaßig noch wünschenswert sei, dem Einfluß eines Dementors ausgesetzt zu sein oder danach zu trachten, die Nähe einer Abgrundstochter herbeizusehnen und unterzog ihm einer legilimentischen Einsichtnahme, um ihm vorzuführen, wie schnell seine eigenen Ängste ihn aus der Bahn werfen können. Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht wissen konnte erschloß sich mir erst, als ich mit Überdeutlichkeit erkannte, was diesen jungen Mann zu dieser Geisteshaltung treibt, sich immer und überall überlegen aufspielen zu müssen, Mädchen und Damen als untergeordnete Personen, ja sogar als gewisses Übel zu sehen und Dinge, die er nicht versteht oder die ihn bedrücken ins Lächerliche zu ziehen." Hanno warf sich auf dem gepolsterten Behandlungstisch herum und brüllte lautlos gegen den Lehrer an. Dieser beachtete es nicht und fuhr fort. "Nun, zum einen ist Monsieur Dorfmann die Frucht einer aus purem Vergnügen einmalig vollzogenen Liebesnacht. Sein Vater lehnte es wohl ab, bei der Erziehung des Jungen anwesend und tätig zu sein und ließ seine Mutter mit ihm im Stich. Sie war wohl damals am Anfang ihrer Hochschulausbildung zur Rechtsberaterin und verfügte nicht über die finanziellen Mittel, die Mutterschaft alleine wahrzunehmen. So überließ sie den Jungen wohl einigen weiblichen Anverwandten, die ihn nicht gut behandelten, die fällige Fürsorge vernachlässigten und ihn zudem auch körperlich züchtigten, während seine Mutter ihren Werdegang vorantrieb. Offenbar - zumindest erschloß es sich mir bei der einzigen Betrachtung, leugnete sie sogar seine Existenz. Kurz zusammengefaßt hat Monsieur Dorfmann keine behütete oder gar liebevolle Kindheit erfahren. Somit erklärt sich für mich sein Verhalten aus dem Drang heraus, gegen alles, was ihn bevormundet zu rebellieren, insbesondere wenn es von weiblichen Autoritäten ausgeht. Die bei der Betrachtung dieser Erlebnisse auftretende Konfrontation seines Jetztbewußtseins mit seinen Kindheitstraumata dürfte ihn noch mehr aus dem seelischen Gleichgewicht geworfen haben, sofern er ein solches überhaupt besaß. Erschwerend kommt noch hinzu, daß er bereits unbewußt mit seinen Zauberfähigkeiten experimentiert hat und offenbar darauf ausgeht, schnellstmöglich alles zu lernen, um sich an denen zu rächen, die ihm so übel mitgespielt haben. Das konnte ich vorher nicht wissen."

"Oha", machte Julius. Madame Rossignol nickte und ergänzte:

"Ich habe eine wesentlich eingehendere Erinnerungslotung ausgeführt und erkannt, daß Monsieur Dorfmann durch die ihm zugefügten Mißhandlungen und Vernachlässigungen sehr schwer gestört ist und am Rande einer ireversiblen Geisteskrankheit entlangbalanciert." Der Erwähnte kämpfte wieder gegen seine magischen Fesseln und stieß unhörbar bleibende Schreie und Verwünschungen aus. Julius seufzte. Dann fragte er, ob er wissen dürfe, wie heftig diese Mißhandlungen waren.

"Deshalb bist du jetzt hier, zumal du die Muggelwelt von uns vieren am besten einschätzen kannst", sagte Madame Rossignol. Dann erzählte sie Julius, was sie bei ihrer legilimentischen Anamnese herausgefunden hatte. Hanno war unzureichend gefüttert worden, um möglichst wenig gewickelt zu werden. Auch hatten ihn seine Tanten mehrmals über einen vollen Tag in vollen Windeln liegen lassen, ihn in kaltem Wasser gebadet, um ihm das viele Schreien abzugewöhnen, ihn mit verstopften Ohren und verbundenen Augen in einem Raum eingesperrt und mehrere Stunden nicht aufgesucht. Als er dann laufen konnte hatten seine sogenannten Fürsorgerinnen ihn häufig, wenn er nicht rechtzeitig zur Toilette gelangte mit der Nase in seine Ausscheidungen getunkt. Julius sog laut Luft zwischen zusammengebissenen Zähnen durch und schnarrte: "Sowas machen Leute mit jungen Hunden, um die dazu zu kriegen, nur draußen zu machen. Und selbst das wird heute für verkehrt gehalten. Meine Urgroßmutter Hillary hatte mehrere Jagdhunde, die sie auf die Weise stubenrein gemacht hat."

"Eine ähnliche Erziehungsgrundhaltung hatten wohl auch Monsieur Dorfmanns Tanten", erwiderte Madame Rossignol. "Kein Lohn, nur Mißhandlungen, Zwang und gewaltsame Unterwerfung. Eine seiner Tanten verstarb wohl an einem Herzanfall, als der Junge fünf war. Ob das womöglich schon eine Freisetzung von Magie war wissen wir nicht."

"Das Ministerium verzeichnet die erste magische Aktivität bei ihm mit sieben Jahren, als er einen Deckenleuchter zu Fall brachte", erwiderte Madame Faucon.

"Das wäre auch heftig, wenn das Ministerium einen magischen Angriff verschweigt", erwiderte Julius.

"Wenn es die Unterlagen korrekt geführt hat. Der Junge war zu der Zeit in Südspanien mit seinen Tanten in Urlaub", erwähnte Madame Rossignol. Julius seufzte. Dann konnten die dort tätigen Magieüberwacher einen unbewußt auf wen geschleuderten Herztodzauber entweder nicht registriert haben oder ihn als nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich angesehen haben. Er kannte seit der zeit bei Madame Maxime die magische Registrierung neuer Schüler, auch der Muggelstämmigen. Konnte es sein, daß da eine Überwachungslücke entstanden war, die sich irgendwann noch sehr übel auswirken konnte?

"Bei dem Leuchtersturz kam seine zweite Tante zu Tode", erwähnte Madame Faucon sehr betrübt. "Ich habe den Unfallbericht gelesen und zunächst gedacht, Monsieur Dorfmann betrage sich deshalb so abweisend, weil er mit dem Tod seiner Tante hadere." Hanno schüttelte heftig den Kopf. Madame Rossignol registrierte diese Geste mit gefühlloser Miene. Doch Julius vermeinte, ein gewisses Unbehagen von ihr zu spüren. Doch das mochte sein eigenes Unbehagen sein, sich vorzustellen, daß jemand schon als Kleinkind mit Schadenszaubern gegen alle kämpfte, die ihm übel mitspielten. Was hatte Madame Faucon in der ersten Stunde erzählt, die er je bei ihr hatte? Es war schon zu einem Vorfall gekommen, wo ein muggelstämmiges Mädchen, daß aus der Zauberschule geflogen war, telekinetische Kräfte ausgebildet und damit einmal eine große Katastrophe ausgelöst hatte. Wie viele Minuten fehlten hier noch bis zwölf Uhr, fragte sich Julius.

"jetzt ergibt auch der Wohnungsbrand, bei dem seine dritte Tante den Tod fand einen sinn", seufzte Madame Faucon.

"Mit Schlangen kommunizieren kann er wohl nicht", wandte sich Professeur Delamontagne an Madame Faucon. Diese schüttelte energisch den Kopf. Madame Rossignol sagte dann:

"Es wurde allerhöchste Zeit, daß er in die Obhut magischer Heilkundiger kam. Seine Mutter hat ihn nur deshalb aufgenommen, weil sie ihn bei niemandem sonst mehr unterbringen konnte. Er vergöttert sie. Aber sie verachtet ihn. Zumindest erkannte ich keine Gegenliebe. Ich möchte diese Dame gerne sprechen und sie fragen, wer der Vater von Hanno ist."

"Hat sie ihm das nicht verraten?" Fragte Julius.

"Sie hat ihm nur verraten, daß er nicht beabsichtigt war und sein Vater wohl ein sehr schöner, starker Mann war, mit dem sie eine unverbindliche Nacht verbringen wollte."

"Und hat sich die paar Franc für die Verhütung gespart", warf Julius unpassend ein. Madame Faucon warf ihm dafür einen sehr zur Vorsicht gemahnenden Blick zu.

"Wie gesagt, Madame Faucon. Ich möchte diese Dame, die sich Mutter nennen läßt fragen, wessen Kind sie da geboren hat und warum sie nach der Schwangerschaft keinen Kontakt mehr zu ihm aufnahm."

"Vielleicht sollten wir Monsieur Dorfmann dazu befragen", schlug Professeur Delamontagne vor. Julius fragte, ob Hanno sie hier auch mit bloßen Gedanken töten konnte. Hanno grinste verschmitzt.

"Das verhindern die Schutzzauber in der Akademie, daß ungerichtete Zauber unerwünschte Schadwirkungen herbeiführen. Zauber können nur durch die klare Ausrichtung und Verstärkung mittels Zauberstäben auf Menschen oder Gegenstände gelegt werden. Wenn Monsieur Dorfmann ein geborener Telekinet wäre wie Sardonia oder Anthelia hätte er schon wesentlich früher wesentlich größeren Schaden anrichten können. Und das wäre eindeutig vermerkt worden", erwiderte die Schulleiterin.

"Ja, aber was machen wir jetzt mit ihm?" Fragte Julius. Hanno stierte ihn böse an. Julius konnte ihn sogar verstehen. Wenn der wirklich sein ganzes Leben lang drangsaliert worden war und jetzt komplett hilflos an einen Tisch gebannt war mußte er doch alles und jeden hassen, daß gerade um ihn herum war. Wieder einmal fragte er sich, wie haarscharf er an einer Karriere als schwarzmagischer Wunderknabe vorbeigeschrammt war. Er hatte schon häufig mit den Dusoleils oder Madame Faucon und ihrer Tochter über die Gründe für Voldemorts Grausamkeit gesprochen. War Hanno ein möglicher Kandidat für die Nachfolge dieses brutalen, menschenverachtenden Magiers?

"patricia hat erwähnt, daß er sie mit Handkantenschlägen zu treffen versucht hat. Das gilt als Angriff auf einen Pflegehelfer und wird seit den unfeinen Anwandlungen von Monsieur Moulin mit dreihundert Strafpunkten geahndet", sagte Madame Rossignol. Julius fragte sich, wo seine Schwiegertante abgeblieben war. Doch laut fragte er das nicht.

"Ich muß mit dem Minister klären, ob er Madame Dorfmann zu uns bringen läßt. Wenn sie es ablehnt müssen wir es respektieren, weil sie ein Recht auf Selbstbestimmung hat, Florence. Aber Sie könnten zu ihr hinreisen und sie befragen, falls Ihnen das für Ihre Therapieplanung wichtig erscheint." Hanno funkelte Madame Faucon an. Diese straffte sich und zückte ihren Zauberstab. Dann blickte sie den Jungen konzentriert an. Dieser versuchte, die Augen zu schließen, fand sich aber offenbar schon im Strudel durch Legilimentie in sein Bewußtsein gespülter Erinnerungen gefangen. Er bebte und stieß unhörbar bleibende Schreie aus. Schweiß und Tränen flossen über sein Gesicht. Professeur Delamontagne starrte seine Vorgesetzte an, während Madame Rossignol Anstalten machte, die neue Vorgesetzte abzuhalten. Auch Madame Faucon begann zu schwitzen. Offenbar setzten ihr die aus Hannos Geist gezerrten Erinnerungen ebenso zu. Nach zwanzig Sekunden hielt sie ein und senkte ihren Zauberstab wieder. Hanno weinte bitterlich.

"Dieser Junge auf dem Behandlungstisch gehört dringend in psychomorphologische Betreuung, Florence. Das kann ich auch ohne Heileraprobation atestieren. Jede willkürliche Bestrafung, die er durch Aufsässigkeit ablehnte, führte zu noch größerer Strafe. Es fehlt nicht mehr viel, und er verliert die geistige und die magische Balance. Daß er hier ist hat ihn zunächst stabilisiert, weil er endlich Antworten auf die Fragen nach seiner Besonderheit erwartet hat und gleichzeitig die Hoffnung hegte, alles zu lernen, um sich an allen zu rächen, die ihm übel mitgespielt haben. Wir hätten uns hier fast einen potentiellen Erben des Psychopathen Riddle herangezüchtet. Insofern bin ich bereit, Ihre Grenzüberschreitung im Unterricht als nicht stattgefunden zu erklären, Phoebus."

Julius erschauerte. Also hatte Madame Faucon denselben Gedanken gehabt wie er.

"Ich möchte ihn gerne fragen, ob er je rausgefunden hat, wer sein Vater ist, wenn er schon weiß, daß er das Produkt eines One Night ... ähm, einer einzigen Liebesnacht wurde", bat Julius.

"Warum nicht", sagte Madame Faucon. "Florence, lösen Sie bitte den Schweigezauber!"

Als die Heilerin die Anweisung ausgeführt hatte blaffte Hanno sie an: "Ich mach dich fertig, du Schlampe! Wenn ich gleich hier von deinem Wickeltisch runterbin mach ich dich tot und euch anderen auch!"

"Was hättest du davon? Dann würden sie dich für gemeingefährlich erklären und hinrichten", sagte Julius, obwohl er wußte, daß es in der französischen Zaubererwelt keine Todesstrafe mehr gab.

"Na und, dann seid ihr eben vor mir in der Hölle. Die kann nicht schlimmer sein als das, was dieser Kerl und diese schwarzhaarige Puffmutter da mit mir angestellt haben."

"Bitte wie haben Sie mich ...", schnarrte Madame Faucon. Doch Madame Rossignol gebot ihr, Ruhe zu bewahren.

"Gut, dann sind wir tot und du kommst in die Hölle zu deinen Tanten, die schon vor dir dahingefahren sind. Die freuen sich bestimmt, dich da weiter mit der Nase in deinem eigenen Kack zu stupsen", erwiderte Julius ungerührt. Womöglich darfst du denen dann auch noch den Schweiß von den Füßen lutschen oder sonst was machen, worauf die gerade scharf sind." Hanno erstarrte. Julius ertappte sich dabei, wie überlegen er sich fühlte, dem offenbar knapp am Irrsinn entlangschrammenden Typen zugesetzt zu haben. Das konnte er aber nur, weil man ihm erzählt hatte, wo Hanno heftig zu treffen war. Das wiederum weckte sein Gewissen. Er nutzte gerade legilimentisch erzwungene Kenntnisse aus. Damit machte er sich genauso schuldig wie Voldemort oder Anthelia, die das immer wieder getan hatten. So sagte er schnell: "Keinem hier liegt was daran, dich umzubringen oder komplett fertigzumachen, Hanno. Wir möchten dir helfen, von dem ganzen Zeug runterzukommen, daß sie dir aufgeladen haben." Hanno reckte seinen Kopf und spuckte in Julius' Richtung. Doch er wich der Speichelladung aus und sah, wie diese auf Hannos Umhang landete. Als hätte der Spuckangriff nicht stattgefunden sagte Julius ruhig: "Na ja, wenn du nie wissen wolltest, wer dein Vater ist kannst du ja auch nicht rauskriegen, ob der dich echt nicht haben wollte."

"Du Arschloch. Ich weiß wer der Typ ist, der mich gemacht hat. Das ist so'n piekfeiner Knilch aus Paris, der meine Alte damals flachgelegt hat, weil die meinte, von dem was abhaben zu können. Der wollte aber nur die schnelle Nummer ohne alles. Edmond hieß der, hat meine Mutter erzählt, als sie meinte, ich sei groß genug, mir das zu sagen. Die konnte mich damals nicht füttern und hat mich deshalb diesen alten Schachteln überlassen, die meinten, mich kleinhalten zu können. Die hat mir doch glatt vor dem Herkommen hierhin gesagt, wenn's nach ihr gegangen wäre, hätte die mich abgetrieben und ich sollte die hier fragen, ob ich auch in den Ferien hier wohnen könnte, weil sie wegen ihres Anwaltsjobs keine Zeit für mich hat. Also wollte die mich echt nicht. Tja, und deren alte Tanten sind jetzt alle tot, und meine Alte stirbt heute auch noch, genau wie der Typ, der ihr seinen Dödel ..."

"Wir wissen, wie Kinder entstehen", erwiderte Julius. "Madame Rossignol ist Heilerin, Madame Faucon Mutter und Großmutter und Professeur Delamontagne Vater und Großvater. Und ich bin Pflegehelfer und habe schon gesehen, wie Kinder geboren wurden. Wie willst du deine Eltern denn umbringen. Du hast doch hier nix gelernt, um einen Fernfluch zu wirken."

"Hast du 'ne Ahnung", schnaubte Hanno. "Als ich in dem Wald war habe ich das Blutritual gemacht. Das steht in einem Buch, das ich mir in Paris gezogen habe. Meine Mutter wußte nicht, daß das auch heftige Flüche drin hat. Da stand nur was von wegen "Zauber des Lebens drauf." Madame Faucon und Professeur Delamontagne erstarrten, während Madame Rossignol sehr besorgt aussah. Julius erkannte, daß der Junge offenbar was erwähnt hatte, was die drei alarmierte, als wenn sie gerade eine Atombombendrohung gegen Beauxbatons erhalten hätten. Julius dachte seine Selbstbeherrschungsformel und sagte dann wieder ruhig: "So, in einem Buch über Lebenszauber steht drin, wie man Leute ganz weit weg umbringt? Und das konntest du heute nachmittag in den paar Minuten machen, die du alleine im Wald warst?"

"Ich war eine halbe Stunde da, bis diese rotblonde Nutte mich gefunden hat und meinte, mich ihrer Chefin abliefern zu müssen. Ich habe die umhauen wollen. Aber die Schlampe ist mir immer ausgewichen und hat mich dann mit so'nem Fangzauber erwischt. Die bringe ich auch noch um, und jeden, der mit ihr verwandt ist."

"Madame Faucon hat gerade befürchtet, du könntest jemandes Nachfolger werden, der auch nichts anderes dachte als Leute umzubringen. Der war aber wohl wesentlich gescheiter und hat das nicht rumposaunt, was er vorhatte, weil der sonst ja schon längst vorher kaltgestellt worden wäre", erwiderte Julius. "Und du meinst, ein Zauber, von dem du nicht mal weißt, ob der wirklich so geht, könnte von dir schon jetzt benutzt werden, um Leute weit weg von hier umzubringen?"

"Nicht irgendwen, sondern die alte Schlampe, durch deren Schleimloch ich meine Birne stecken mußte, um rauszukommen und den Typen, der mich in die reingeschossen hat. Mein Blut verbindet die mit mir. Ich habe den zauber so gemacht, wie der in dem Buch steht. Damit sterben die heute noch, weil ich die tothaben will. Ganz einfach und genial. Keiner kriegt das raus. Meine Mutter wird unten rum verbluten, und mein toller Vater, der die hat sitzen lassen kriegt 'nen Herzschlag und ist alle. Ob ihr mich dann noch umbringt ist mir scheißegal. Die haben es nicht anders verdient."

"Und wer ist dein Vater?" Fragte Julius.

"Bringt euch nix mehr, den zu warnen, weil der Fluch schon wirkt, du Klugscheißer. Die krepieren noch in den nächsten Stunden. Da könnt ihr nix mehr gegen machen, weil der Fluch voll wirkt."

"Sie haben im Wald einen Kreis und darin miteinander verbundene Dreiecke aus eigenem Blut gezeichnet?" Fragte Madame Faucon. Hanno lachte und bestätigte es. Dann erwähnte er, wie er dann gegen den Uhrzeigersinn um diesen Kreis gelaufen war, dabei aus seinem Arm Blut verloren hatte und dabei gerufen hatte, daß er seine Eltern tot sehen wolle und die Zauberwörter, die er aus diesem Buch hatte. Madame Faucon warf Professeur Delamontagne einen vielsagenden Blick zu, der daraufhin nickte.

"Es stimmt also doch, daß es noch Exemplare davon gibt", seufzte sie. "Dieses Buch existiert. Es enthält tatsächlich viele mächtige Zauber, die das Leben beeinflussen, darunter sowohl Schutzzauber für werdende Mütter oder ihre Kinder, als auch dunkle Verkehrungen, um Verwandte oder Leute, deren Blut man rauben konnte mit allen möglichen Verstümmelungen oder dem Tod treffen kann. Haben Sie das Buch hier?" Fragte die Schulleiterin. Hanno lachte und nickte. Madame Faucon starrte ihn an und hob ihren Zauberstab. Sie vollführte Bewegungen, um etwas aus der Ferne an diesem Ort erscheinen zu lassen. Es dauerte jedoch länger als bei der geübten Hexe zu erwarten wäre. Sie verzog das Gesicht und sah Julius an. "Die Gerüchte entsprechen wohl der Wahrheit. Dieses Buch ist durch Zauber gegen Aufrufen und Apportation geschützt und beinhaltet einen Gedächtniszauber, der jedem, der es liest die vermittelten Kenntnisse im Geiste versiegelt, so daß sie nur durch sehr intensives Legilimentieren enthüllt werden können. Kehren Sie in Ihren Saal zurück und beschlagnahmen sie das Buch, ohne die anderen mit der Nase darauf zu stoßen, wie gefährlich es ist!"

"Wie wirkt dieser Fluch?" Fragte Julius die Schulleiterin.

"Wenn es das Ritual der blutigen Rache ist wirkt der Fluch in dem Moment, wo das letzte Zauberwort gesprochen wurde. Ich weiß zwar nicht, ob das magische Potential des Patienten ausreicht, um ihn aufzurufen, will es aber nicht ausschließen. Der Fluch erlischt erst, wenn das dafür eingesetzte Blut nicht mehr strömen kann. Vor allem Blutsverwandte können damit getroffen werden. Es hat schon Vorkommnisse gegeben, bei denen Hexen und Zauberer Erbtanten oder ihre Eltern auf diese Weise ermordet haben. Aber wir vertun unsere Zeit. Besorgen Sie dieses Buch!""

"Wenn der Fluch nur erlischt, wenn sein Blutspender stirbt ...", setzte Julius an. "Vielleicht kann man den auch so aufheben."

"kann man nicht, du Vollhirnie. Ihr müßt mich entweder gleich hier abmurksen, um das noch aufzuhalten, wenn es nicht schon zu spät ist oder euch von meinen Alten verabschieden. Ätsch!"

"Das werden wir doch gleich wissen, wer sich hier von wem verabschiden muß", schnarrte Madame Faucon. In ihren saphirblauen Augen glomm Entschlossenheit. Sie winkte Julius zur Seite, richtete dann den Zauberstab auf den gefesselten Jungen und hob die magische Fixierung auf. Hanno bemerkte nicht, daß die magischen Bande verschwanden, bis er einen Arm zu heben versuchte. Er wollte gerade die wiedergewonnene Freiheit ausnutzen, um vom Tisch zu springen, als die Lehrerin mit fester, entschieden betonender Stimme eine Zauberformel ausrief.

"Angarte Kasanballan Iandasu Janasar!" Ein weißer Lichtstrahl schoß aus Madame Faucons Zauberstab und traf Hanno, der gerade vom Tisch herunterspringen wollte. Das Licht umschloß ihn. Julius vermeinte, den Jungen im weißen Licht zerfließen zu sehen. Es pulsierte heftig, begann sich zu drehen und zu wirbbeln. Dabei wuchs es an. Julius traute seinen Augen nicht, als er sah, wie aus dem einen Licht zwei Lichtquellen wurden, von denen die eine immer größer wurde, während die andere immer kleiner wurde. Dann, als die kleine Leuchterscheinung kaum größer als ein Reiskorn war, flog sie wie ein Geschoß in die größere, noch unförmige weiße Leuchterscheinung hinein. Dann krachte es laut, und das Licht erlosch. Hannos Kleidung lag zerknüllt neben dem Tisch. Seine Schuhe kullerten gerade über den Boden. Statt ihm hockte auf dem gepolsterten weißen Behandlungstisch eine sehr verstört dreinschauende Frau im dunkelblauen Hosenanzug, die Ähnlichkeiten mit Hanno Dorfmann hatte. Madame Faucon verzog zwar erst das Gesicht, nickte dann aber. Julius brauchte noch, um das gesehene zu verstehen, während die beiden anderen Zauberkundigen im Raum sich stumm anblickten. Die Unbekannte starrte auf die Anwesenden. Dann zeterte sie etwas in einer Sprache, die Julius nicht kannte. Madame Faucon antwortete ihr wohl in derselben Sprache, wobei er die Wörter "Frau Dorfmann" heraushören konnte. Natürlich, das war Hannos Mutter. Der altaxarroi'sche Fluchumkehrer hatte sie hergeholt, quasi von ihrem Arbeitsplatz weggebeamt und ... zu ihrem Sohn zurückgebracht. Julius fühlte sich schwindelig. Wenn er seinen Sinnen trauen konnte ... Die Fremde wechselte nun zum Französischen über und zeterte, daß sie sich dagegen verwahren würde, auf diese Weise von ihrer Arbeit weggeholt zu werden. Madame Rossignol hatte inzwischen ihren Zauberstab gezogen und machte damit einige geheimnisvolle Bewegungen vor der unerwartet herbeigezauberten. "Nehmen Sie diesen Stecken runter, Sie Hexe", schnarrte Hannos Mutter. Julius dachte gerade den Gedanken zu Ende, der ihm in den Sinn gekommen war. Er hatte zwei weiße Leuchterscheinungen gesehen. Hanno war wohl die eine. Dann war die andere aus dem Nichts entstanden. Das war Hannos Mutter. Die erste war dann zusammengeschrumpft und mit Urgewalt in die zweite eingedrungen. Die einzige Erklärung dafür war phantastisch, barg jedoch die Logik der Umkehrung in sich. Der Fluchumkehrer hatte einen verbindenden Fernfluch mit Todeswirkung in einen zur nächsten Nähe verbindenden, Lebenserzeugenden Zauber umgewandelt. Hanno war zum Ungeborenen zurückgeschrumpft und von seiner an diesen Ort gezogenen Mutter im Zustand magischer Energie wiederempfangen worden. Als das passiert war hatte der Umkehrer Mutter und Kind wiederverstofflicht. Deshalb vollführte Madame Rossignol den Zauber, mit dem sie damals nach der Reise über die alten Straßen auch Camille untersucht hatte.

"Dieser Zauber ist wahrlich mit größter Umsicht und Vorsicht zu genießen, Blanche", bemerkte Professeur Delamontagne, der womöglich längst auf den gleichen Gedanken wie Julius gekommen war.

"Ihr Sohn hat es gewagt, einen bei uns streng verbotenen zauber zu wirken, der Ihnen den Tod bringen sollte, werte Dame", sagte Professeur Delamontagne. "Er war so einfältig, es uns zu verraten, sonst würden Sie wohl demnächst sterben."

"Wer sind Sie alle?" Fragte die Herbeigeholte. Madame Faucon stellte erst sich, dann Professeur Delamontagne und dann Madame Rossignol vor, ehe sie auf Julius deutete und sagte, daß dies der Sprecher der Jungen des Saales sei, in dem ihr Sohn gewohnt hatte. Sie sprach in der Vergangenheit.

"Hanno, dieses mißratene Kind. Hat der was gemacht, um mich herzuholen", schnarrte die Mutter Hannos.

"Nein, Ihr Erscheinen habe ich zu verantworten", erwiderte Madame Faucon, die gerade sehr entschlossen dreinschaute. Madame Rossignol nickte ihr zu und machte eine Geste, die Julius nicht verstand. Madame Faucon sah dann wieder Madame Dorfmann an: "Von wo kommen Sie gerade?" Fragte die Schulleiterin.

"Von einem Scheidungsprüfungstermin in Straßburg, Sie Hexe. Womöglich haben meine Mandantin und mein Opponent bereits die Polizei alarmiert, weil Sie mich da herausgebeamt haben."

"Die werden erst mal blöd geguckt haben", rutschte es Julius heraus. Madame Faucon räusperte sich und deutete auf die Tür zum Schlafsaal des Krankenflügels. Julius verstand. Er schlüpfte hinüber in den gerade unbenutzten Saal mit den zwei Reihen von offenen Betten. Er dachte, jetzt nicht mehr mitzubekommen, was im Sprechzimmer passierte. Dann trat Professeur Delamontagne in den Schlafsaal und schloß die Tür. Er legte seine Finger auf die Lippen und deutete mit der freien Hand durch den Raum. Dann zog er den Zauberstab und erzeugte ockergelbes Licht, das er über die Wände, den Boden und die Decke streichen ließ, bis der Raum schlagartig mit diesem Licht vollständig ausgekleidet war.

"Du hast gesehen, was passiert ist?" Fragte der Lehrer, die förmliche Anrede auslassend. Julius nickte. Er preschte vor und sagte dem Lehrrer, daß Hanno und seine Mutter wohl gerade wieder vereinigt worden seien.

"Wie erwähnt soll man diesen alten Zauber doch mit großer Umsicht genießen. Man weiß nie genau, auf welche Weise er einen Fluch umkehrt. In dem fall hat er zwei räumlich getrennte Verwandte, von denen einer den Tod der Anderen bewirkken wollte, am selben Ort zusammengeführt und den Auslöser dazu verdammt, alle erlebten Jahre zurückzugewinnen und vorerst aus der Welt zu verschwinden. Wir können nur hoffen, daß alle seine Erlebnisse dabei aus seinem Gedächtnis verschwanden und er gerade als unschuldiger Fötus existiert, der ohne die seelischen Wunden wiedergeboren werden kann, die seine Verwandten ihm beibrachten."

"Zurück auf Anfang, Systemneustart", erwiderte Julius.

"Soll wohl ein Begriff aus der Elektrorechnerterminologie deiner Mutter sein. Wenn es bezeichnet, alle fehlerhaften oder schädlichen Informationen auszulöschen und das System, in diesem Fall ein Menschenleben, davon unbelastet neu beginnen zu lassen, entspricht die Formulierung wohl der Wahrheit. Es ist jetzt nur zu klären, wie mit dieser Situation umzugehen ist."

"Das ist unmöglich, Sie Trickserin. Ich kann unmöglich schwanger sein. Auch wenn es Sie nichts angeht sage ich Ihnen, daß ich gerade heute eine sehr heftige Regelblutung habe, die sehr schmerzhaft ist und ich daher Tabletten einnehmen mußte. Ich kann unmöglich schwanger sein. Denn ich habe lange schon keine geschlechtliche Beziehung mehr, seitdem der Vater Hannos meinte, mich mit ihm sitzen lassen zu müssen. Sie lügen, was auch immer Sie sind."

"Nudato!" Hörte Julius das Zauberwort, das einen vollständigen Entkleidungszauber hervorrief.

"Deshalb wollten die beiden ehrwürdigen Damen uns Mannsbilder nicht im Raum haben", grinste Professeur Delamontagne. "Dabei sind wir zwei ja glücklich verheiratet."

"Ja, aber nicht miteinander", wagte Julius eine freche Gegenbemerkung. Der neue Lehrer lachte darüber jedoch. Offenbar hatte er doch noch genug Humor, trotz der vielen Erlebnisse mit dunklen Mächten.

"Was werden sie machen, um das hinzubiegen?" Fragte Julius.

"Sie verdammte Hexe. Das ist empörend", schrillte Hannos Mutter. Dann hörten sie Madame Faucon ein Lied singen. Professeur Delamontagne legte seine Hände auf die Ohren. Julius tat es ihm gleich. Da sie gerade in einem Klangkerker standen konnte er sogar gegen das ihn wie betäubendes Gas umfangende Lied ansingen und damit dessen Wirkung abwehren. Erst als der Lehrer seine Hände wieder von den Ohren nahm hörte Julius zu singen auf und sah auf die Tür. Da ging sie auch schon auf, und der Klangkerker erlosch.

"Haben Sie Monsieur Latierre über die Geschehnisse informiert, Phoebus?" Fragte Madame Faucon. Beide Zauberer nickten. Professeur Delamontagne erwiderte sogar, daß es ja nicht zu übersehen war, wie der Fluchumkehrer gewirkt hatte. "Ich bin froh, daß seine Mutter von der Magie hergeschafft wurde und es nicht mir oder Florence aufgebürdet wwurde, diesen armen Knaben neu in die Welt zu tragen", seufzte Madame Faucon, der eine grenzenlose Erleichterung ins Gesicht geschrieben stand. Julius nickte. Dann meinte er, daß der Umkehrer eben alle Facetten des von ihm umzudrehenden Fluches berührte, Tod in Leben und Ferne in Nähe verwandelt habe.

""Drei bis vier Wochen, Blanche. Womöglich hatte unsere unerwartete Gästin nur noch eine Stunde Zeit, einer magisch induzierten Gebärmutterblutung zu entrinnen, wenn ich die Zeit des Fluches mit der Rückführung der Verbindung zwischen Mutter und Kind berechne.

"Besteht die Möglichkeit, daß Hanno sein Gedächtnis wiederfindet, wenn sein Gehirn groß genug ist?" Fragte Julius.

"Es handelt sich nicht um den Iterapartio-Zauber, Julius. Dieser erhält den entwickelten Geist und läßt ihn wiedererstarken. Bei diesem Phänomen weiß ich nicht, ob der Umkehrzauber nicht alle negativen Erlebnisse, von denen es ja offenbar zu viele gab, bei der Regestation ausgelöscht hat, dafür weiß ich zu wenig über diesen Zauber, den ich gelinde gesagt nur noch als allerletztes Mittel verwenden würde, Blanche."

"Mir war auch nicht wohl dabei, nachdem, was Professeur Tourrecandide zustieß, als sie ihn verwendete. Aber es galt, Menschenleben zu retten und womöglich eine Gefahr im Keim zu ersticken."

"Tolle Wortwahl, Blanche. Jetzt ist der Gefahrenherd nur noch ein Keim. Hoffentlich erstickt er nicht und kann unbelastet neu aufwachsen", sagte Delamontagne.

"Offenbar frühstücken Sie in meiner Abwesenheit Wichtel, Phoebus", schnaubte Madame Faucon, weil Julius grinste. "Es ist wichtig zu klären, ob eine vollständige körperlich-geistige Wiederverjüngung wie durch den Totajuvenus-Trank erzielt wurde oder Monsieur Dorfmanns Gedächtnis in einer Art Kokon eingeschlossen wurde, der sich auflöst, wenn das Gehirn weit genug entwickelt ist, es wieder aufzunehmen. Außerdem gilt es zu klären, wie wir die zur Wiederholung der Mutterschaft gebrachte Madame Dorfmann behandeln, ob sie wissen soll, was genau ihr widerfuhr. Außerdem müssen die Zeugen ihres Verschwindens von den Vergissmichs aufgesucht werden."

"Nachher glauben die, Hannos Mutter sei von Außerirdischen entführt worden", wandte Julius ein. Madame Faucon rümpfte die Nase. Dann sah sie Julius an.

"Das ist auch wenn sie schon dreist ist eine interessante Inspiration, Monsieur Latierre. Ich erhielt immer wieder Berichte, wonach Menschen behaupteten, von Wesen anderer Sternensysteme verschleppt und aus menschlicher Sicht grausamen Experimenten unterzogen worden zu sein. Diese Menschen zeichneten sich durch psychische Instabilität und Gedächtnislücken aus. So könnten wir auch die unverhoffte Schwangerschaft als biologisches Experiment ausgeben. Doch das würde Madame Dorfmann auf Lebenszeit belasten. Nein, wir machen es anders. Die Zeugen erhalten ein neues Gedächtnis, demnach sie wegen einer plötzlichen Feuerentwicklung fluchtartig den Gerichtssaal verlassen mußten. Wir müssen sie nur schnell genug aufspüren, bevor sie Alarm schlagen können."

"Das Ministerium erfuhr bereits von unserer Besucherin. Magistra Delourdes hat die zuständige Abteilung informiert", sagte Madame Rossignol. Madame Faucon verzog das Gesicht. Keiner hatte auf das Bild der Gründungsmutter und ersten Heilerin von Beauxbatons geachtet.

"Am besten wird dann auch Madame Dorfmann mit Gedächtniszauber belegt, um sich daran zu erinnern, wie sie schwanger wurde", wandte Professeur Delamontagne ein. Julius nickte.

"Gut, das empfehle ich dem Ministerium. Die Besucherin schicke ich in die Delourdesklinik, wo ein Vergissmich sie übernehmen soll", sagte die Heilerin.

"Was sagen wir den anderen hier?" Fragte Julius, der nun durch die offene Tür hinaussah und die nun wieder vollständig bekleidete Madame Dorfmann auf dem Behandlungstisch liegen sah.

"Ganz einfach, Monsieur Latierre. Mademoiselle Latierre mußte ihn mit Gewalt herbringen. Er hat sich also gegen sie aufgelehnt. Macht dreihundert Strafpunkte. Danach hat er versucht, sich der Behandlung zu entziehen und hat Madame Rossignol körperlich angegriffen und mit Beleidigungen traktiert. Das macht zusammen neunhundert Strafpunkte. Da dies sein bisher geringes Startkonto an Bonuspunkten weit unterschritt, folgte auf meine Konsultation hin der Beschluß, ihn unverzüglich aus der Akademie zu verweisen. Das dürfte einigen renitenten Damen und Herren in dieser Lehranstalt als mahnendes Beispiel dienen, sich etwas gesitteter und umgänglicher aufzuführen", sagte Madame Faucon. "Sie verkünden das dann Ihren Saalmitbewohnern und sichern die Habseligkeiten des so oder so aus der Akademie entfernten Ex-Schülers. Ich verlange die Übergabe des erwähnten Buches. Es darf nicht noch mal in falsche Hände geraten."

"Sie wollen es vernichten?" Fragte Julius.

"Nein, auch wenn es sehr viel Gefahrenpotential enthält liegt mir, einer Akademikerin, nichts an der Vernichtung eines Buches. Das wäre gleichbedeutend mit der Vernichtung von Wissen und schöpferischem Geist. Aber ich will, muß und werde dafür sorgen, daß es nur geistig stabilen Lesern zur Verfügung stehen wird, um eventuell Mittel gegen die von Monsieur Dorfmann angerichtete Verheerung zu entwickeln."

"Ähm, er sagte, sein Vater würde auch sterben. Hoffentlich ist seine Mutter nicht auch mit dem schwanger geworden."

"Interessante Frage", sagte Professeur Delamontagne. Madame Rossignol schüttelte den Kopf.

"Ich habe nur einen Embryo im Uterus dieser Frau vorgefunden. Was mit dem Vater des Jungen ist weiß ich nicht. Mag sein, daß er bereits dem Fluch zum Opfer fiel. Kann aber auch sein, daß er zu weit fort war und die Mutter-Kind-Beziehung die einzige wirksame Brücke bot. Kann aber auch sein, daß auch er einer Umwandlung unterworfen wurde. Womöglich muß Madame Dorfmann vor der fälligen Gedächtnisüberarbeitung befragt werden. Leider dürfen wir Heiler kein Veritaserum an schwangeren Frauen verwenden, und das Ministerium hat diesbezüglich auch keine Erlaubnis dazu."

"Machen Sie doch eine Erinnerungsextraktion. Dann kriegen Sie raus, wer der Vater von Hanno ist oder war oder sein wird", schlug Julius vor, bevor ihm klar wurde, daß er seine Kompetenzen überschritt. Doch Madame Faucon ahndete das nicht. Sie sah ihn nur warnend an, um dann jedoch zu nicken. Dann sagte sie noch: "Lagern Sie die traumatischen Erlebnisse des Jungen aus. Ich werde gleich mit Minister Grandchapeau kontaktfeuern um ihm vorzuschlagen, die zur Wiederholung der Schwangerschaft geführte mit einer Gedächtnisänderung zu versehen, dernach sie bereits Angstträume von einem mißhandelten Kind hatte und deshalb nicht will, daß ihr Kind derartigen Leuten in die Hände fällt. Wenn wir schon an ihrem Gedächtnis rühren, können wir es auch so beeinflussen, daß sich die Ereignisse nicht wiederholen. Womöglich haben wir damit gerade so noch einen Nachfolger des Psychopathen verhindert. Unser Glück war, daß er zu trotzköpfig und ungeduldig war um sein Vorhaben unbemerkt ausführen zu können. Wollen wir hoffen, daß wir nicht irgendwann wieder wen antreffen, der mit mehr Geduld und Ruhe vorgeht und sich anderen gegenüber sehr umgänglich zeigt, bis er stark genug ist."

"In Ordnung, Blanche. Wir werden Madame Dorfmann diesbezüglich behandeln lassen. Hoffentlich kriegen Sie keinen Ärger wegen des Umkehrzaubers."

"Das wäre dann die kürzeste Ära eines Schulleiters von Beauxbatons seit seiner Gründung", grummelte Madame Faucon. Dann deutete sie auf Julius und schickte ihn los, ihr die Sachen von Hanno Dorfmann zu holen.

"Leute, Hanno fliegt raus!" Rief Julius den Erstklässlern zu, die gerade um Céline, Laurentine und Gérard versammelt waren. "Der wollte was im Wald anstellen. Meine Schwiegertante Patricia Latierre, auch eine Pflegehelferin, hat ihn dabei erwischt und gedacht, er müsse in den Krankenflügel. Da hat er sich heftig gegen sie gewehrt. Sie konnte ihn aber überwältigen und zu Madame Rossignol bringen. Die wollte der dann erwürgen. Dafür hat er von Madame Faucon insgesamt neunhundert Strafpunkte abgekriegt. Zweihundert Bonuspunkte kriegt ihr ja, wenn ihr hier ganz frisch anfangt. So hat er jetzt so um die minus sechshundert bis siebenhundert Punkte auf dem Bonuskonto. Deshalb hat Madame Faucon sofort die Bremse gezogen und ihn entlassen. Ich soll nur seine Sachen holen, damit die mit ihm seiner Mutter zurückgegeben werden." Babette und Jacqueline erstarrten. Charles und Patrice sahen einander an. Julius konnte den Schrecken in ihren Gesichtern lesen. "Noch einmal zur allgemeinen Lage: Pflegehelfer anzugreifen setzt dreihundert Strafpunkte. Das gleiche gilt für Saalsprecher. Wer Lehrer oder die amtierende Heilerin angreift kriegt je nach Art und Schwere des Angriffs fünfhundert Strafpunkte oder mehr ab. Hanno wußte, daß ihn das von der Akademie feuert, wenn er wichtige Leute angreift. Professeur Delamontagne hat ihm schließlich das Regelbuch gegeben. Und selbst, wenn er es nicht gewußt hätte gilt auch in der Zaubererwelt, daß Unwissenheit nicht vor Strafe schützt. Ende der Bekanntmachung!" Julius wartete nicht auf eine Antwort, sondern lief in den Schlaftrakt für Jungen und ging in das Erstklässlerzimmer. Da er gestern ja gesehen hatte, wer wo schlief und jedes Kleidungs- und Gepäckstück mit Namen versehen wurde fand er schnell Hannos muggelmäßigen Schrankkoffer, seine Sachen und Bücher. Er suchte nach dem Buch. doch er fand es nicht. Es waren nur die üblichen Zauberbücher und ein paar Romane für Muggeljungen. Erst als er ein Buch über die Arthussage fand, fühlte er, daß da was merkwürdiges war. Denn sein Pflegehelferarmband vibrierte sanft und erwärmte sich. Also lag auf dem Buch eine magische Kraft, die der im Armband enthaltene Curattentius-Zauber verdächtig fand. Da es das einzige bezauberte Buch war ging Julius davon aus, es mit einem Mimicrius-Zauber zu tun zu haben, der Bücher oder Gegenstände tarnen und als harmlose oder unwichtige Sachen erscheinen lassen konnte. Er klappte das Buch auf. Dabei fühlte er, wie es sich seinem Griff widersetzte. Also schien es mit ihm auf irgendeine Art zu wirken.

"Hast gedacht, ich kriege dich nicht, wenn du dich tarnst", grummelte Julius und versenkte das Buch in einer Tasche seines Umhangs. Dann ließ er mit dem Pack-Zauber alle Sachen von Hanno in den Koffer zurückfallen. Er würde die in den nächsten elf Jahren wohl nicht mehr anziehen können. Womöglich würden die Heiler und Vergissmichs bei Madame Dorfmann alles auslöschen, was sie an Hanno denken ließ. Er würde dann sicher unter neuem Namen aufwachsen. Als er dies dachte fiel ihm ein, was Madame Faucon erwähnt hatte. Professeur Tourrecandide hatte auch den Fluchumkehrer benutzt und hatte dadurch was unangenehmes abbekommen. Das konnte nur bei der Sache passiert sein, über die er bis heute nichts näheres erfahren hatte. Doch es nährte einen Verdacht, den er seit einigen Wochen hatte. Doch immer noch fehlten ihm konkrete Hinweise, um sich sicher zu sein, nicht einem Hirngespinnst aufzusitzen. Die einzigen, die ihm da helfen könnten waren Professeur Tourrecandide und die wiedergekehrte Anthelia. Die eine wollte ihm nichts sagen. Die andere wollte er nicht aufsuchen.

Ohne daß die anderen es mitbekamen, daß er ein verdächtiges Buch aus Hannos Sachen ausgefiltert hatte bugsierte er mit dem Bewegungszauber den vollen Koffer und zwei Rucksäcke durch den Aufenthaltsraum, lud sich die Rucksäcke auf, griff den Koffer mit einer Hand und wandschlüpfte davon, um Madame Faucon die Sachen zu übergeben.

"Gut, daß das Armband den Verheimlichungszauber gewittert hat", meinte Madame Faucon. "Sonst hätten Sie Jahre nach dem richtigen Buch suchen dürfen. Ich habe das gehofft, daß nur Sie oder ein anderer Pflegehelfer es aufspürt, weil es durch die in es eingewirkten Zauber spürt, wenn wer es sucht und beseitigen will. Dann tarnt es sich nämlich als dem Besitzer entsprechendes, jedoch unverdächtiges Schrifterzeugnis. Aber das nützt ihm nichts mehr. Es ist das richtige Buch, Monsieur Latierre. Vielen Dank! Hat jemand mitbekommen, daß Sie es bei Seite geschafft haben?" Julius schüttelte den Kopf. "Dann können wir diese leidige Angelegenheit als glücklich abgeschlossen zu den Akten legen", erwiderte sie erleichtert, als sie das Buch an sich nahm, das nun versuchte, sich ihrem Griff zu entwinden. "Es erkennt, daß es versteckt werden soll. Es ist darauf aus, möglichst viele Leser zu ködern. Die Schutzzauber darin sollen die gemeingefährlichen Zauber verbergen, für deren Weitergabe es ursprünglich verfaßt wurde. Wir haben noch einmal sehr viel Glück gehabt, daß der, der es las durch seine Erlebnisse zu aufsässig war, um sich unauffällig auf seinen Rachefeldzug vorzubereiten und womöglich noch mehr Unheil anzurichten. Bitte verlautbaren sie keinem Mitschüler die wahren Umstände. Da ich weiß, wie belastend Geheimhaltung gegenüber einem Partner sein kann erlaube ich Ihnen die vollständige Schilderung an die Adresse Ihrer Ehefrau unter der Bedingung, daß diese Angelegenheit zum Geheimnis Ihrer angetrauten Familie erhoben wird." Julius bedankte sich für diese Zubilligung. Er hatte schon gefürchtet, Millie nichts verraten zu dürfen. Dann hätte er eben nur erwähnen dürfen, daß Hanno geflogen war. Das würde Pattie Latierre bestimmt gerne hören, wo sie gerade erst einen Tag Pflegehelferin war.

"Ich empfehle mich jetzt", sagte Madame Faucon und winkte Madame Rossignol. Dann verließ sie den Krankenflügel zusammen mit Professeur Delamontagne, der ein Protokoll abzeichnen wollte, daß die Entlassung Hanno Dorfmanns mit seiner kompletten Habe abgeschlossen sei.

"Es war ein interessanter, rhetorischer Schachzug, den Jungen damit zu bedrohen, er könne in der biblischen Hölle seinen bereits verstorbenen Tanten jede von diesen verlangte Gefälligkeit erfüllen, Julius", sagte die Heilerin, als Julius Anstalten machte, sich durch die Wand abzusetzen. Er wandte sich noch einmal um und sah sie leicht verdrossen an. Dann sagte er:

"Bei allem Respekt, Madame Rossignol, das wundert mich nicht, daß Sie das jetzt erwähnen. Ich selbst glaube nicht an die Hölle und würde jeden auslachen, der mir damit droht. Aber mir war nicht recht wohl, dem Jungen sowas aufzutischen, weil ich es nicht wirklich gut finde, wem Angst zu machen, noch dazu mit Sachen, die nicht stimmen oder nicht passieren können."

"Ich entnehme deinem Gesicht und deiner Antwort, daß du da an einen ganz konkreten Fall denkst", antwortete Madame Rossignol.

"Davon dürfen Sie ausgehen", grummelte Julius nicht ganz so pflegeleicht und gehorsam, wie es von ihm erwartet wurde.

"Möchtest du mir sagen, was genau dich derartig verstimmt, Julius?"

"Nicht heute. Ich werde das bei der ersten PK erwähnen", sagte Julius.

"Du meinst, was deine Frau und du in Viento del Sol erfahren habt?" Fragte Madame Rossignol. Mit dieser konkreten, als Frage daherkommenden Antwort hatte er jetzt nicht gerechnet und stand einen Moment lang wie vom Donner gerührt da, bevor sein Verstand wieder Tritt faßte.

"Ach, sie Wissen von unserer Reise nach Viento del Sol?" Fragte er so ruhig er konnte.

"Sagen wir es so, daß ihr zwei dort eingeladen wart stand ja in den Zeitungen. Insofern wundert mich jetzt, daß du diese Frage stellst, sagt mir jedoch auch, daß du nicht darauf hinauswillst, was du dort genau erfahren hast. Dann sage ich dir mal was, Julius: Serena Delourdes", wobei sie auf das gerade wieder besetzte Bild der heilkundigen Gründungsmutter deutete, "unterhält wie alle anderen fünf Gründer von Beauxbatons eine Verbindung nach Viento del Sol, auch und vor allem zu der dortigen Hebamme. Die wiederum wurde von ihrem Kollegen, dem für allgemeine Heilfragen niedergelassenen Silvester Partridge, aufgesucht und dahingehend unterrichtet, daß wir in Beauxbatons allen Pflegehelfern eine für Heiler unerlaubte Bestrafung androhen und er das von euch erfahren habe, daß sich daran bis heute nichts geändert habe. Er sah es offenbar als seine Pflicht an, euch zu erklären und sogar vorzuführen, warum diese Strafe nicht vollstreckt werden könne und wie dennoch so getan würde, daß sie vollstreckt würde." Serena machte eine wohl nickende Kopfbewegung in ihrem Bild. Julius erkannte, daß alle Karten auf dem Tisch lagen. Die Heilerin hatte nicht warten wollen, bis Millie und er es vor der Pflegehelfertruppe auspackten. Natürlich, weil diese übermächtige Keule, Leute in Bettpfannen zu verwandeln, dann nicht mehr wirken konnte. Natürlich hatte Julius mit seiner Frau darüber gesprochen, ob es wirklich so gut war, das aufzudecken, aber auch festgestellt, daß es nicht recht war, Leuten mit Lügen Angst einzujagen.

"Wenn du vorhast, deine Pflegehelferkameraden aufzuklären, daß in dem Regal dort keine verwandelten Vorgänger versammelt sind und ihnen auch klarmachst, wie der Eindruck erweckt wurde, daß dort verwandelte Schüler aufbewahrt und verwendet werden, solltest du und auch Millie euch genau überlegen, welche Alternative ich habe, um zu verhindern, daß Ihr eure Vorrechte mißbraucht, um euren Mitschülern zu schaden. Macht und Vorrecht geht immer mit Versuchung einher. Das hat uns der gerade zur Rückkehr in den Mutterschoß verurteilte Hanno Dorfmann ganz klar bestätigt. Er hat in seiner neuen Rolle als Zauberschüler die ihm genial erscheinende Gelegenheit gewittert, endlich alle Qualen und Erniedrigungen zu ahnden. Womöglich hat er seine Tanten mit reinen Wunschverstärkungen den Tod bereitet. Doch das hat ihm nicht gereicht. Auch wenn er beide Eltern ermordet hätte, hätte er keinen Frieden gefunden. Er hätte mit der immer größeren Wahnvorstellung gelebt, nur wegen seiner Unerwünschtheit und Andersartigkeit gehaßt und erniedrigt zu werden und hätte dann irgendwann jeden gehaßt, der sich ihm nicht unterwirft. Madame Faucon hat das schon richtig erkannt, daß wir dann einen potentiellen Nachfolger Voldemorts erhalten hätten. Nur der als Lord Voldemort gefürchtete Zauberer besaß genug Intelligenz und ein Gespür dafür, sich unauffällig zu verhalten. Mittlerweile haben wir von der Heilzunft mehr über ihn erfahren, weil die Liga befand, daß wir nun, wo er keine Bedrohung mehr bildet, möglichen Nachahmern im Vorfeld begegnen können. Der selige Albus Dumbledore hat offenbar eine detaillierte Beschreibung seiner Erfahrungen mit ihm erstellt, die erst von Professor McGonagall gefunden werden konnte, als kein todesser mehr in Hogwarts war. Aber zurück zu deiner Aversion gegen die seit der Gründung gültige Strafandrohung, die du nur hast, weil du davon ausgehst, daß dich diese Strafe nicht treffen kann. Jeder, der die Heilergesetze studiert muß zwangsläufig darauf stoßen, daß ich als Heilerin dazu verpflichtet bin, die Unversehrtheit von Menschen zu schützen oder wieder herzustellen. Eine unbefristete Verwandlung wäre also das Gegenteil dieser Grundverpflichtung. Deshalb gelangen nur volljährige Schüler in den Besitz der Heilerstatuten. Die Zunft in Frankreich hat im Bewußtsein, die Strafe nicht wahrhaftig zu vollstrecken, die Androhung als solche weiterhin zugelassen, um das schon mal zu klären, bevor du mit meiner Kollegin Eauvive Kontakt aufnehmen könntest. Allerdings gewähre ich volljährigen und charakterlich von mir als geeignet befundenen Pflegehelfern die Einsicht in die allgemeinen und überall gültigen Heilerregeln und führe ihnen vor, wie der Anschein der Strafvollstreckung gewahrt bleibt. Ihr beide seid nun die einzigen volljährigen Pflegehelfer. Somit hätte ich euch in diese sehr prekäre Sachlage eingeweiht. Das hat mir mein offenbar nicht weitsichtig genug denkender Kollege Partridge schon abgenommen. Na, sag jetzt nicht, es sei seine Pflicht gewesen und er sei nicht dumm! Das habe ich nicht behauptet. Ich behaupte nur, daß ihm die nötige Weitsicht fehlt, weil er eben nicht hier in Beauxbatons praktiziert und es in Thorntails nach dem Experiment von dortigen Pflegehelfern keine Ersthelfergruppe mehr gibt. Ich halte euch Pflegehelfer jedoch für uns hier unverzichtbar. Patricia hat es ja heute wieder bewiesen, daß es wichtig und richtig ist, in möglichst allen Sälen wen zu haben, der mir hilft, kranke Schülerinnen und Schüler zu erfassen und mir zur Behandlung zu bringen. Ich kann nicht überall sein. Ich bin durch meine Arbeit auf diese Räume beschränkt, falls ich nicht zu größeren Schulveranstaltungen gerufen werde, bei denen alle Schüler und Lehrer anwesend sind, wie die Quidditchspiele oder die Abschlußbälle. Deshalb kann und will ich die Truppe nicht auflösen, zumal ihr bisher keinen Anlaß geboten habt, euch zu entlassen oder zu bestrafen." Sie sah auf die Wanduhr und sagte: "Wir haben noch eine halbe Stunde bis zum Abendessen. Ich werde deine Frau zu dieser Unterredung hinzubestellen." Sie rief über ihr Armband nach Millie und forderte sie ruhig auf, zu ihr zu kommen. Julius hoffte darauf, daß sie ihm und Millie nichts tun würde. Als Millie dann durch das Wandstück zum roten Saal hereinschlüpfte sagte Madame Rossignol: "Dein Mann deutete an, ich würde euch belügen, was die Höchststrafe anginge. Ich habe eigentlich schon seit Eurer Rückkehr aus Viento del Sol damit gerechnet, daß ihr mich deshalb kontaktiert oder meine geschätzte Kollegin Eauvive oder meine junge Kollegin Béatrice Latierre deswegen befragt." Millie verzog das Gesicht und sah Julius vorwurfsvoll an. "Ja, er wollte es mit dir zusammen erst bei der ersten Pflegehelferkonferenz zur Sprache bringen, daß ihr nicht befürchten müßt, in dem Regal mit den Bettpfannen zu landen, weil ich durch die zehn Heilerdirektiven dazu verpflichtet bin, Menschenleben zu achten und in seiner Form zu schützen. Das stimmt auch. Ich darf hier niemanden einfach so verwandeln. Doch euer Informant in Viento del Sol, von dessen Aussage ich bereits einen Tag nach eurer Rückkehr von dort erfuhr, sieht nicht, welche Bedeutung es hat, minderjährige Schüler in Dinge einzuweihen, die über Wohl und Wehe menschlicher Körperfunktionen eingeweiht werden, wenn ihnen keine klare Grenze gezeigt wird, wie weit sie dieses Wissen nutzen dürfen und was sie auf gar keinen Fall damit anstellen dürfen. für einen Zauberer oder eine Hexe gibt es nach dem Tod nur eine wirklich beängstigende Strafe, die Existenz in niderer Daseinsform oder als unbewegliches Objekt, das sogar benutzt wird. Das erkannte meine ehrwürdige Urvorgängerin Magistra Delurdes recht früh, als sie, damals noch sehr idealistisch, die Pflegehelfertruppe gründete und das Wegesystem erbauen ließ, das bis heute funktioniert. Doch bald erkannte sie, daß die von ihr angeleiteten Schüler ihre neuen Vorrechte ausnutzten, beispielsweise um in nicht für sie erlaubte Säle einzudringen. Damals galt hier noch Geschlechtertrennung." Serena nickte in ihrem Bild. "Da sie sehr mütterlich aber auch sehr streng war erachtete sie die Mißbrauchsfälle als grobe Undankbarkeit und verhängte Strafen. Doch die reichten nicht aus, um einen Vorfall zu verhindern, der sich zehn Jahre nach Gründung der Akademie zutrug. Es würde jetzt länger als bis zum Abendessen dauern, euch die vollständige Geschichte zu erzählen und ihr würdet mir wohl nicht uneingeschränkt abkaufen, daß es sich so zugetragen hatte. Nur so viel für den Anfang: Magistra Delourdes mußte sich entscheiden, die dadurch in Ungnade zu fallen drohende Pflegehelfertruppe für alle Zeiten aufzulösen oder eine besonders abschreckende Strafandrohung zu formulieren, womöglich die Strafe auch selbst zu vollstrecken. Sie besann sich aber auf Versuche, die sie vor ihrer Zeit in Beauxbatons anstellte, um das Wesen in lebende Wesen verwandelter Gegenstände zu ergründen und erkannte, daß sie damit auch Gegenstände so maskieren konnte, als seien es vorher lebendige Wesen gewesen. Sie experimentierte im Rahmen der damals schon gültigen Einschränkungen mit ihren Kindern und ergründete, wie sie deren Körperauren auf tote Gegenstände übertragen konnte. Damit war die Idee, eine wahrlich drakonische Höchststrafe anzudrohen geboren. Als die Urheber des Vorfalls von Zehn Jahren nach der Gründung entlassen werden solten und Serena Delourdes die einzigen Alternativen hatte, die Übeltäter zu bestrafen oder die Truppe aufzulösen, führte sie die bis heute gültige und zehnmal vollzogene Bestrafungsart ein, wobei hier kein Mensch wirklich umgewandelt wird, sondern lediglich an einen magisch gesicherten Ort verbracht wird, wo er dann ohne Zauberstab wie Muggel in einem technisch unterentwickelten Dorf leben muß. Das entspricht übrigens einer Strafe, die auch vom Ministerium vollstreckt wird, wenn knapp vor dem Eintritt in die Volljährigkeit stehende Schüler die fristlose Entlassung provozieren. Wo dieser Ort ist verrate ich euch nicht. Nur so viel, daß sie dort alle ein zauberfreies Leben führen können, aber nicht mehr in die Muggelwelt zurückfinden, weil ihre Zauberkräfte schon zu gut ausgebildet sind und sie deshalb dort wohl auffallen würden. Dort leben auch die Nachfahren der zehn Schülerinnen und Schüler, deren Körperauren auf zehn Bettpfannen kopiert wurden. Ich habe euch ja gesagt, daß ich selbst eine solche Strafe ausführen mußte. Der Bursche, an dem ich sie vollzog ist mittlerweile Vater von fünf Kindern und hat sich damit abgefunden, den Rest seines Lebens von der Muggel- und Zaubererwelt abgeschottet zu leben."

"Klingt nett. Aber die Angst vor dieser Strafe ist doch zu heftig, wenn es keine echte Bestrafung gibt", sagte Julius. Millie stimmte ihm zu. "Das ist ja eben das, wenn Priester einem was von der ewigen Verdammnis und den Höllenqualen erzählen, wenn jemand nicht so lebt, wie sie das für einzig richtig halten."

"Und trotzdem hast du selbst vorhin diese psychorhetorische Peitsche gegen Hanno Dorfmann geschwungen, um ihn dazu zu bringen, uns seine Untaten zu schildern, weil er fürchten mußte, bei seinem Tod dieser ewigen Verdammnis zu verfallen und womöglich alles, was ihm hier auf der Welt Qualen bereitet hat, in vielfacher Ausführung immer und immer weiter erleiden würde. Warum hast du das getan?"

"Weil der mit der Hölle angefangen hat, Madame Rossignol. War wohl so'n Reflex. Echt toll fühle ich mich deshalb nicht, weil ich ja auch Sachen verwendet habe, die Professeur Delamontagne und Sie aus seinem Gedächtnis rausgezogen haben." Millie sah ihn verdutzt an.

"Ich dachte, Hanno wäre einfach so rausgeworfen worden, weil der Pattie und Madame Rossignol zusammenhauen wollte", sagte Millie. Julius bekam die Erlaubnis, seine Frau über die wahren Zusammenhänge aufzuklären. Sie staunte und erschauderte. Dann meinte sie: "Auch eine Art, Schaden zu beheben, den Untäter noch mal in Mamans Bauch zurückzuschicken, damit die und er noch mal richtig anfangen können. Nur daß die Muggelfrau jetzt elf Jahre älter ist. Oder hat die sich auch verjüngt?"

"Nein, hat sie nicht, soweit ich es ergründen konnte. Und die Regestation, wie ich diesen Effekt mal nennen möchte, weil ich nicht sicher bin, daß sie mit dem Iterapartio-Zauber identisch verläuft, kam nur zustande, weil ein Fluch umgekehrt wurde, der einen weit vom Auslöser lebenden Menschen treffen sollte. Ich weiß mittlerweile auch, daß wir was Hannos Vater anging zu spät kamen. Er starb wohl zehn Minuten vor dem Versuch, den Fluch umzukehren bei einem Zusammenstoß seines Kraftwagens mit einem anderen, weil sein Herz ausgesetzt hat. Das Ministerium hat das von den Informanten bei den Ordnungshütern." Julius seufzte. Doch was hätte er tun können? Hätte er den Jungen nicht zu lange am reden halten sollen? Hätte man nicht ... Doch von dem Fluch wußte ja keiner was und hätte es wohl auch nicht erfahren, wenn Julius den Jungen nicht dazu angestachelt hätte, es ihm unter die Nase zu reiben. Wenn sie noch einige Stunden gewartet hätten wäre seine Mutter gestorben und er hätte mit seinen schlimmen Erlebnissen weiterleben müssen und vielleicht doch noch Voldemorts Erbschaft angetreten. Doch Anthelia reichte schon völlig aus, um dessen Stelle einzunehmen, dachte Julius. Dabei flammte in ihm wieder der Verdacht auf, daß Anthelia das nur konnte, weil Professeur Tourrecandide den Fluchumkehrer gegen sie benutzt hatte. Anthelia war befreit worden statt zu unterliegen. Also war sie offenbar gefangen oder hatte unter einem Bann gestanden, der durch den Fluchumkehrer in sein Gegenteil gewendet worden war.

"Also jedenfalls fühle ich mich nicht wie ein Held, weil ich das aus Hanno rauslegilimentierte Wissen gegen ihn benutzt habe."

"Ohne das hätten wir womöglich wen unter uns, der seine Chance nutzen und sich zu einem machthungrigen Zauberer hätte ausbilden lassen. Es ist nicht nur in der Heilzunft populär, bei zwei möglichen Übeln immer das kleinstmögliche zu wählen, wenn es schon ein Übel zu ertragen gilt", erwiderte Madame Rossignol. Serena Delourdes räusperte sich. Alle sahen auf ihr Bild.

"Nun, Florence, da ja eben wegen dieser Grundhaltung nun zu klären ist, wie die beiden mit ihrem Wissen um meinen Trick der Bestrafung umgehen sollen, wäre es wohl besser, wenn sie im vollen Umfang erfahren, was mich damals dazu brachte, Leuten vorzumachen, ihre Kameraden in Bettpfannen zu verwandeln. Wenn sie das wissen können sie ja immer noch die restlichen Pflegehelfer aufklären. Aber dann, werte Herrschaften, müßt ihr auch genau wissen, wie es anders und besser gemacht werden soll. Etwas zu kritisieren und abzulehnen ist einfach. Es mit etwas besserem auszutauschen ist manchmal sehr schwer."

"Ja, aber Sie haben Ihren Schülern damals vorgemacht, sie würden wenn sie im Krankenflügel lägen in ihre früheren Kameraden reinmachen. Meine Mutter hat das doch auch noch geglaubt, als Martine hier Pflegehelferin war und ich hier anfing."

"Martine wußte es genau wie die meisten volljährigen Pflegehelfer, als ich befand, sie über die genauen Umstände informieren zu können, ohne Angst vor dem Verlust der Disziplin haben zu müssen."

"Sie meinen, Angst davor, uns nicht mehr kontrollieren zu können", schnaubte Julius. Millie nickte.

"Welches Wesen ist das mit Abstand gefährlichste Raubtier der Welt?" Fragte Serenas Bild-Ich. Julius kannte die Antwort. Doch er wartete, ob Millie sie auch fand. Als sie meinte, daß der Basilisk, ein Drache oder ein Letifold am gefährlichsten seien schüttelte die gemalte Gründungsmutter den Kopf. Julius sah Madame Rossignol an. Dann sagte er: "Das ist die gleiche antwort wie die Lösung des Rätsels, was morgens auf vier beinen geht, mittags auf zwei und abends auf drei."

"Sieh an, dieses alte Rätsel gehört noch zur Allgemeinbildung", erwiderte Serena Delourdes lächelnd. Millie grummelte, daß sie die Antwort nicht kannte.

"Das ist der Mensch, Millie. Laut einem Rätsel aus dem alten Griechenland soll er als Baby auf allen vieren krabbeln, am Morgen seines Lebens, später läuft er lange Zeit auf zwei gesunden Beinen rum und als alter Mensch, am Abend seines Lebens, benutzt er einen Stock wie ein drittes Bein."

"Jetzt kapiere ich warum Brunhilde meint, daß manche Männer wie auf drei Beinen rumlaufen", knurrte Millie. Julius grinste. Madame Rossignol räusperte sich. Serena sagte dann:

"Wenn der Mensch also das gefährlichste Raubtier ist, weil er Intelligenz besitzt, sich Waffen, Fallen oder eben Zauber auszudenken, um auf große Entfernung zu töten, so gilt für ihn genau das gleiche wie für Raubtiere, die zur Unterhaltung dressiert oder für Nutzanwendungen wie Bewachungsaufträge oder Fellproduktion gehalten werden. Sie dürfen niemals ihre wahre Stärke ausnutzen und müssen immer kontrollierbar bleiben. Menschen haben deshalb Gesetze und Strafen, wohnen in Städten mit Regeln und Staaten mit Verfassungen, um zu regeln, daß niemand seines Nachbarn Wolf wird", belehrte sie die gemalte Gründungsmutter. "Besonders mit Magie begabte Menschen müssen lernen, gewisse Grenzen einzuhalten, damit sie nicht für andere und irgendwann auch für sich zu einer unerträglichen Gefahr werden. Gerade das mit diesem armen Jungen Hanno zeigt doch, wie nötig wir es haben, uns selbst Grenzen zu setzen, damit wir uns nicht gegenseitig zerfleischen. Aber das werdet ihr beiden hoffentlich einsehen, wenn ihr meine vor über neunhundert Jahren ausgelagerten Erinnerungen an jenes höchst unerfreuliche Vorkommnis teilt, das mich dazu zwang, eine abschreckende Strafe einzuführen."

"Löwenbändigerin", knurrte Millie. Doch dann bildeten sich Denkfalten auf ihrer Stirn. "Na ja, wenn ich mir ansehe, was bei uns im roten Saal läuft und wir das nur mit Strafpunkten und heftigen Putzdiensten kleinhalten können schon irgendwas dran", grummelte sie. "Aber warum eine Lüge? Weil das ist's doch. Warum haben Sie die Straftäter nicht einfach gedächtnismodifiziert und irgendwo rausgesetzt und jedem gedroht, daß das jedem passiert, der großen Drachenmist baut?"

"Hämm-ämm, den Drachenmist überhöre ich mal", schnarrte die gemalte Gründungsmutter. Dann fuhr sie fort: "Weil das, was mich dazu getrieben hat, diese Bestrafung einzuführen mit einem einfachen Rauswurf nicht richtig abschreckend beantwortet hätte. Es mußte was sein, wo jeder immer vor Augen hatte, daß das nachhielt und für alle Zeiten bliebe."

"Warum ausgerechnet Bettpfannen?" Fragte Millie.

"Weil die hygienisch-technische Errungenschaft eines Wasserklosetts damals noch nicht erfunden war", erwiderte Madame Rossignol. "Damals waren Nachttöpfe und Bettpfannen die einzigen halberträglichen Mittel, die menschlichen Ausscheidungen zu entsorgen."

"Flatsch! Aus dem Fenster", warf Julius ein, der sich an Berichte über mittelalterliche Städte erinnerte.

"Ja, das ist wohl wahr", erwiderte Madame Rossignol leicht verdrossen. Dann sagte sie: "Die erste Pflegehelferkonferenz ist am Sonntag. Wenn ihr beiden am Samstag keinen arbeitsintensiven Freizeitkurs habt biete ich euch an, Magistra Delourdes' Vorschlag wahrzunehmen. Madame Faucon besitzt das Denkarium, in dem die erwähnte Erinnerung aufbewahrt wird. Ich werde sie über die Sachlage informieren. Bis dahin bitte ich euch mit allem Respekt, erst einmal niemanden aus der Truppe auf die Nase zu binden, daß die Bettpfannen im Regal ganz ordinäre Nachtgeschirre sind."

"Ja, aber wir werden auch nicht hingehen und denen was von dieser Höchststrafe erzählen", sagte Julius. Millie nickte. Offenbar hatte sie Patricia auch nicht eingeweiht, falls deren Schwester Béatrice das nicht getan hatte. Madame Rossignol bedankte sich für das Verständnis. Dann schickte sie die beiden zum Abendessen.

Bei Tisch wurde noch lange über Hannos Rauswurf gesprochen. Madame Faucon erwähnte es vor allen und schilderte auch die offizielle Begründung, damit keine Gerüchte ins Kraut schossen. Robert fragte Julius, ob jetzt jeder Muggelstämmige gesondert geprüft würde, bevor er oder sie nach Beauxbatons gelassen würde.

"Also mir ist davon nichts erzählt worden", erwiderte Julius. "Ich gehe aber davon aus, daß Laurentine, Nadine, Marc und ich hier gezeigt haben, daß wir nicht gleich jeden angreifen, der uns mal was unangenehmes erzählt. Ich weiß ja nichts richtiges von Hanno. Der hatte was gegen Frauen. Deshalb hat der was gegen Pattie und Madame Rossignol gehabt. Wo das herkommt weiß ich nicht." Julius wußte, daß das gelogen war. Doch was da im Sprechzimmer der Heilerin passiert war gehörte wegen des Fluchumkehrzaubers zu den Sachen, die er nur sehr wenigen erzählen durfte.

"Sagen wir es so, Julius, du würdest es uns wohl nicht erzählen, wenn Madame Faucon es dir erklärt, weil die anderen nicht meinen sollen, der wäre die große Ausnahme", sagte Gérard dazu nur. Julius schwieg dazu. Mochten die Jungen das als Bejahung auffassen oder nicht.

Professeur Delamontagne begrüßte die Teilnehmer an der Zauberwesen-AG vor dem kleinen Illusionsraum, der ähnlich wie die Schulaula innen mit allen möglichen oder erfundenen Landschaftsansichten ausgestattet werden konnte. Er blickte über die Schüler, bei denen auch welche aus der ersten Klasse waren, da hier ja keine Unterrichtsvoraussetzung wie bei der Zaubertier-AG war. So waren auch Babette, Jacqueline, sowie drei Muggelstämmige aus dem violetten Saal da. Dazu noch alle amtierenden Pflegehelfer, die es wohl wissen wollten, was für gefährliche oder interessante Wesen es in der magischen Welt gab. Der ehemalige Gegenminister rief nach der Begrüßung in leere Luft, worauf ein kleines Wesen mit fledermausartigen Ohren, rubinroten Augen so groß wie Tennisbälle und einer langen Karottennase aus dem Nichts erschien. Das kleine Geschöpf trug ein derbes Tuch um seinen Körper, auf dem die zwei gekreuzten Zauberstäbe mit je drei goldenen Funken aufgestickt waren, die das Wappen von Beauxbatons bildeten. Julius erkannte das Wesen. Es war Corie, eine Hauselfe. Zu ihr gesellte sich dann noch ein männliches Exemplar dieser dienstbaren, ja sklavisch unterwürfigen Zauberwesen. Der Elf besaß eine leicht gekrümmte, knollenartige Nase und smaragdgrüne Tennisballaugen. Alle wurden gefragt, ob sie die Wesen erkannten. Die Muggelstämmigen aus der ersten Klasse hatten wohl schon die Gringotts-Kobolde gesehen und wußten, daß das hier keine waren. So sprachen sie über die Hauselfen, ließen sich von Corie und Archie, dem Artgenossen der Elfe, ihr Leben schildern. Auf die Frage, ob sie was für ihre Arbeit bekämen schüttelten die beiden sich angewidert und stießen aus, daß sie keinen Knut haben wollten, weil das gegen die Ehre sei, für die Arbeit Geld zu nehmen. Ein Junge aus der zweiten lachte und meinte, daß Arbeitgeber das sehr gerne hören würden, wenn jemand bei ihnen ohne Lohn arbeiten wolle. Louis Vignier fragte dann, wovon die Elfen denn lebten, wenn sie kein Geld zum Ausgeben bekämen. Corie erwähnte, daß sie von den angelieferten Lebensmitteln was abbekämen und ihre Schlafstellen im Palast hätten. Mehr bräuchten sie nicht. So verlief die Unterhaltung über die und mit den Hauselfen weiter. Tatsächlich gab es auch Leute, die es als Ausbeutung der Zauberkreaturen ansahen, wenn sie ohne Bezahlung schwere Arbeiten ausführen mußten. Julius kannte die Diskussion ja schon längst. Er hätte aber noch gerne eingeworfen, daß das Hauselfenzuteilungsbüro im Zaubereiministerium Gebühren für die Haltung von Hauselfen beziehe und daß das schon ziemllich gemein den kleinen Wesen gegenüber sei. Doch weil die neuen Schüler wissen wollten, was die Elfen so konnten kam er nicht mehr dazu, diesen Punkt anzuschneiden. Danach waren alle nur noch müde und wollten in ihre Säle.

"Ob Ma das von Martine erfahren hat, bevor sie dich mit mir über die Mondbrücke geschickt hat, Monju?" klang Millies über die Zuneigungsherzen mentiloquierte Frage in Julius' Kopf.

"Falls ja, dann hat sie mich schön hingehalten, als sie meinte, lieber ein Kind von mir in dir zu sehen als das, was in Bettpfannen so reingemacht wird", schickte Millies Mann über die heimliche und unabhörbare Verbindung zurück.

"Soso, hat sie das gesagt", kam eine amüsiert wirkende Antwort zurück. "Und wenn sie es von Martine nicht gehört hat, um es mir nicht aus Versehen zu verraten, Monju?"

"Weiß ich nicht, ob ich das fragen soll oder besser mal so lassen soll", gab Julius zurück.

"Soso, Monju, weil wenn Ma das schon wußte, daß die Schulheilerinnen ihre Pflegehelfer mit einer erfundenen Strafe kleinhalten, dann hätte sie ja keine Angst gehabt, daß Belisama und ich irgendwas anstellen, um Bettpfannen zu werden. Willst du das wirklich nicht wissen?"

"In dem Fall hätte sie erst Martine und mich und dann dich und mich losgeschickt, weil sie mich so oder so als Schwiegersohn haben wollte", schickte Julius die einzig ersichtliche Schlußfolgerung zurück. Millie erwiderte darauf, daß ihr das eh schon längst klar geweesen sei, weil sie ja sonst nur Martine oder sie mit ihm zur Brücke der Mondtöchter gebracht hätte. Julius bestätigte das. Was sollte es? Die Entscheidung war ja nicht aus Angst, sondern aus Erkenntnis der guten Aussichten und Gemeinsamkeiten getroffen worden. Warum jetzt also noch fragen, warum sie herbeigeführt wurde? So wünschte er Millie noch eine gute Nachtruhe. Da er morgen wieder wecken gehen würde, würden sie sich erst im Unterricht wiedersehen.

__________

Nach Hannos ungewöhnlichem Abschied aus Beauxbatons holte der normale Saalsprecheralltag Julius wieder ein. Er nutzte die Freistunden, um Hausaufgaben zu machen oder seinen Mitschülern zu helfen. Er unterhielt sich einmal in der Bibliothek mit Horus Dirkson über Hogwarts und daß Horus zwar froh war, da nicht mehr zu sein, weil da immer noch Kinder von den Todessern waren, aber auch nicht richtig hier angekommen sei und seine beiden Drillingsgeschwister auf unterschiedliche Säle verteilt waren und sie ihre Mutter zwar jeden Tag am Lehrertisch und zwischendurch auch im Verwandlungsunterricht sahen, sie aber nur als Lehrerin zu sehen hatten.

Die neuen Erstklässler lebten sich gut ein. Céline erwähnte Julius gegenüber, daß Babette, Armgard und Jacqueline eine kleine Mädchenbande gegründet hatten und fast wie Drillinge herumliefen, wobei offenbar noch ausstand, wer die Anführerin war, weil Babette schon einiges zaubern und sogar auf einem Besen fliegen konnte, während Jacqueline sich ziemlich gut mit Zaubergegenständen auskannte und Armgard ihre Mathekenntnisse und andre in einer normalen Schule erlernten Sachen in die Waagschale warf.

Am Freita konnte Millie vermelden, daß Mayette und deren Klassenkameradin Juliette Dupont sich der Dreierbande aus dem grünen Saal angeschlossen habe. Die Jungs standen wohl eher auf Einzelkämpfer. Denn obwohl sich hier und da erste Schulfreundschaften bildeten, wirkten die meisten so, als müßten sie erst mal rausfinden, wo sie selbst gerade stünden.

Die Freizeitkurse verliefen wie früher. Beim Duellierkurs legte Professeur Delamontagne fest, daß alle Teilnehmer ausgerufene Zauber verwenden durften, allein schon um Madame Rossignol zu zeigen, gegen was sie möglicherweise behandeln mußte. Allerdings führte der neue Lehrer mit Julius und drei Leuten aus der siebten Klasse vor, wie ungesagte Zaubererduelle reinhauen konnten. Die magische Mauer, die quer- und fehlschlagende Flüche abfing, kam aus dem Krachen und Klingen nicht heraus. Richtig interessant wurde es erst am Samstag, weil da die erste Kochstunde für alle Interessierten über der ZAG-Klasse war. Julius hatte sich im Kräuterkundeunterricht Trifolios Vorwurf anhören müssen, seine Talente nicht auch in der Freizeitgruppe auszufeilen. Doch er hatte es über sich ergehen lassen. Nach den letzten Jahren und der Sache mit Hanno erschien es ihm lächerlich, sich mit einem Fachidioten wie Trifolio über die Wichtigkeit seines Faches zu zanken und dafür Strafpunkte einzufangen.

"Die haben mich zum Tanzunterricht mit den Kleinen verdonnert", hörte Julius am Samstag morgen Cyril Southerland, den Austauschschüler aus Thorntails. "ich bin doch nicht bescheuert und laß mir von kleinen Möchtegern-Ballköniginnen auf den Füßen rumtrampeln." Er sprach starken amerikanischen Akzent. Apollo meinte, daß er daran nicht kaputtgehen würde, weil die meisten Mädchen selbst viel zu zerbrechlich wären. Darauf hörte Julius Callie Latierre antworten: "Dich könnte ich leicht in der Mitte durchbrechen, Langer. Deshalb hast du ja die Brosche an, damit keiner das mit dir macht."

"Ja, und deshalb kriegst du auch mal eben zwanzig Strafpunkte wegen respektlosigkeit gegen einen Saalsprecher, Mademoiselle Calypso Latierre", erwiderte Apollo. Julius näherte sich der Gruppe, die gerade nach dem Frühstück über die Ländereien schlenderte.

"Ihr habt doch Abschlußbälle, haben mir Mitschülerinnen von dir erzählt, Cyril", mengte er sich nun in die Unterhaltung, von der er nicht wußte, ob er als Grüner da was zu melden hatte.

"Ja, in der siebten, Monsjur Latierre", erwiderte Cyril. "Ich muß das erst da lernen und nicht diesen bekloppten Walzer und diesen langweiligen Rumba, den die Nourieve hier gibt."

"Nur daß wir hier alle tanzen, wenn der Abschlußball des Schuljahres ist", sagte Apollo und winkte Julius. "Der hier hat schon tanzen können, als er bei uns reinkam. Frag ihn mal, wie viele Heiratsanträge er danach bekommen hat!"

"Echt?" Fragte Cyril. Julius lächelte und sagte, daß ihm zwei Mädchen vor der Umschulung und fünf nach der Umschulung Komplimente wegen seiner Tanzausbildung gemacht hätten. Eines davon habe er dann auch geheiratet.

"I, ich will doch nicht gleich heiraten, nur um Spaß mit 'nem Mädel zu haben", stieß Cyril aus. "Wie weit hinterm Mond lebt ihr denn hier?"

"Weit genug, um alles auf der Erde überblicken zu können", erwiderte Apollo grinsend. Julius nickte ihm beipflichtend zu.

"Es bleibt dabei, ich geh nicht mit dem Kleingemüse in den Tanzsaal. Wenn die wollen, daß ich das kann, dann sollen die mir Privatstunden geben. Am besten eine, die auch lange Beine hat."

"meine Frau und ich machen heute Kochkurs", sagte Julius. "Abgesehen davon sind die Langbeinigen schon fast alle verplant."

"Wir haben auch noch Tanzen. Kannst ja zu uns kommen, Cyril", sagte Callie. "Könnte nur sein, daß du dann Ärger mit Tante Patties Freund kriegst, wenn du die da auch so anschmachtest."

"Ich habe die nicht angeschmachtet. Die ist mir viel zu klein. Deine große Cousine wäre was, aber die ist ja mit dem Goldträger von den Grünen zusammengebunden wie 'ne stierige Kuh und ein Preisbulle."

"Howdy und Muh Mann", erwiderte Julius breit grinsend. "Außerdem wärest du meiner Frau zu klein, weil die wen haben will, der in zwei Jahren mit der Babys wickelt, und da bist du wohl noch in der Schule."

"Plärrbälger. Neh, ist nicht meine Sache nicht", erwiderte Cyril leicht angewidert.

"Das haben wir gerne, naschen wollen aber Angst vor dem Zunehmen haben", erwiderte Apollo. "Bei der Gelegenheit, kleiner, Leonie ist mit mir zusammen und ist damit auch glücklich. Nur, weil du jetzt meinst, dir nach einer Woche schon ein Mädel aussuchen zu müssen."

"Bleib locker, Polly. Hat deine Süße mir doch schon längst erzählt, als ich wissen wollte, wo die so drauf steht. Außerdem ist die ja auch so'ne Broschenträgerin und damit wohl unantastbar."

"Polly? Ist das nicht ein Mädchenname?" Schnarrte Apollo Arbrenoir. Julius nickte unwillkürlich. "Das gewöhn dir also mal wieder ab, weil du sonst nur noch im rosa Ballettkleidchen rumläufst, Monsieur Texas. Bei der Gelegenheit erhältst du genauso zwanzig Strafpunkte wegen respektloser Anrede eines Saalsprechers, Cyril Southerland"

"Ich bin aus Neumexiko, Polly", schnarrte Cyril zurück. Da zückte Apollo seinen Zauberstab und vollführte einige schnelle Bewegungen damit. Unvermittelt stand Cyril statt im blaßblauen Schulumhang in einem rosaroten Tutu da, das seine gut behaarten Beine freiließ.

"Apollo, das ist gegen die Schulordnung, Jungs Mädchensachen anzuziehen", meinte Julius schadenfroh grinsend.

"Saalsprechern mit Schnurrbärten Mädchennamen zu geben ist respektlos. Aber Strafpunkte würden den nicht davon abbringen. Das rosa Tanzpüppchenkleid schon. Damit geht der gleich zu Mademoiselle Nurieve."

"Das glaubst du aber. Ich zwitscher ab und zieh mir den anderen Umhang an", schnaubte Cyril und lief davon.

"Warum hast du dem nur zwanzig Strafpunkte verpaßt?" Fragte Callie. "Nachher kriegst du noch welche."

"Gleich ist die Saalsprecherkonferenz. Da haue ich das unserer Saalvorsteherin schon mundgerecht auf den Tisch, daß der zumindest heute in dem Ding rumlaufen darf."

"Besser so, als wenn ihm das Kleid paßt", meinte Julius, der sich noch daran erinnerte, daß Belle Grandchapeau ihn fast dazu genötigt hatte, auch mal sowas anzuziehen.

"Hast du einen Anhaftzauber draufgehauen?" Fragte Julius. Apollo nickte. "Einen Proxipersona-Zauber, der Sachen an wem dran läßt, ohne den oder die zu ersticken. Habe ich nach unserer letzten Stunde bei Bellart eingeübt. Der kriegt das Ding nicht ausgezogen. Pinkeln kann er noch, und sonst hindert es ihn auch nicht." Aus der Ferne war Mädchenlachen zu hören.

"Das ist demütigend, Apollo. Ich fürchte, du fängst dir dafür 'ne Ladung Strafpunkte ein", raunte Julius.

"Du hast in Rock und Bluse auch nicht schlecht ausgesehen", raunte Apollo zurück. Julius meinte dazu leise, daß er da aber auch die passende Figur für gehabt habe und jetzt wohl bescheuert darin aussehen würde.

"Mach keine langen Ohren, Callie, nix für kleine Mädchen", sagte Apollo.

"Selber, Polly", schnarrte Callie und wetzte davon.

"Meint die, wenn sie nicht hören kann, wie viele Strafpunkte ich der gebe kriegt die keine?" Fragte Apollo verärgert. Julius grinste. "Klar, dieser Typ hat sie ja drauf gebracht. Calypso Latierre erhält also noch mal zwanzig Strafpunkte wegen respektlosigkeit gegen einen amtierenden Saalsprecher. Kannst du deiner Frau gleich weitergeben."

"Die wird dir da nicht dreinreden, Apollo. Es sei denn, du hältst die Mädels zu erniedrigenden Tätigkeiten an. Dann könnte die sich erinnern, daß die zwei Tanten und zwei Cousinen hier hat."

"Dann auf zur Saalsprecherkonferenz", sagte Apollo.

Bei der ersten Saalsprecherkonferenz ging es um die neuen Schüler, die neuen Aufgaben der früheren Stellvertreter und die neuen Lehrer und wie die Schüler mit ihnen auskamen. Das war für Julius schon gewöhnungsbedürftig, Madame Faucon auf dem Stuhl vor Kopf zu sehen und Professeur Fixus als ihre neue Stellvertreterin. Über Hanno Dorfmanns kurzes Gastspiel ließ sich Julius nur soweit aus, daß er das bedauere, daß der Junge wohl wegen früherer Probleme nicht in die Zaubererwelt hineinfinden wollte. Über Professeur Dirkson ließen die Saalsprecher nur gutes verlauten. Madame Faucon räumte ein, daß ihr der freundschaftliche Umgang der jungen Lehrerin zwar nicht so recht war, weil es für eine hochwertige Schule wichtig sei, eine gesunde Distanz zwischen Lehrern und Schülern zu wahren, aber die Unterrichtskompetenz unbestritten sei. Sie hatte wohl zwischendurch den Unterricht bei den Schülern unterhalb der ZAG-Klasse geprüft, sowohl bei Professeur Dirkson als auch bei Professeur Delamontagne. Auf Julius' Frage, warum die UTZ-Stunden nicht überprüft worden waren erhielt er die Antwort, daß es der neuen Schulleiterin erst darum gegangen sei, die Methoden und Umgangsformen der beiden Lehrer zu studieren und die UTZ-Kandidaten nicht bei ihrem Lernen gestört werden sollten.

"Cyril ist wohl auf weibliche Bekanntschaft aus", sagte Apollo über den amerikanischen Austauschschüler."Er tut wunders wie groß er schon sei und schmachtet gerade Mädchen oberhalb seiner Klasse an. Alles unter dreizehn ist dem schon zu jung. Dann hat er es an Respekt mir gegenüber fehlen lassen. Ich habe ihn daher mit einer Erscheinungsbildstrafe bedacht. Er muß jetzt bis auf Widerruf im rosa Ballettkleid herumlaufen."

"Wie viele Strafpunkte haben Sie ihm zusätzlich gegeben?" Fragte Madame Faucon.

"Zwanzig, Madame", erwiderte der baumlange Saalsprecher der Roten.

"Für eine derartig harte Strafe ein wenig zu wenig, Monsieur Arbrenoir. Wieso diese Strafe?"

"Der nante mich Polly. das ist ein englischer Mädchenname, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Damit das nicht jeder nachmacht mußte ich so heftig dreinhauen", rechtfertigte Apollo seine Aktion.

"Gut, einen Tag soll er diese Strafe ertragen", sagte Madame Faucon nach einigen Sekunden. "Die richtige Anrede eines Saalsprechers sollte schon verbindlich feststehen. Aber ich entsinne mich, daß Sie alle sich von Ihren Mitschülern mit Vornamen ansprechen lassen. Die Verwechslung des Geschlechtes würde bei einer verbindlichen Anrede mit dem Nachnamen nicht auftreten."

"So weit ich mich noch erinnere hatte Bruno Chevallier die Unterhaltung mal mit Madame Maxime und Ihnen, weil Sie der Meinung waren, daß die förmliche Anrede mehr Durchsetzungsvermögen brächte. Mademoiselle Grandchapeau hat sich immer mit Nachnamen ansprechen lassen. Hat ihr aber auch nicht mehr Respekt eingebracht." Julius nickte beipflichtend. Madame Faucon grummelte nur, dann erkannte sie, daß der bisherige Umgang der Schüler untereinander eher garantierte, daß die Schüler Vertrauen zu ihren Saalsprechern faßten. Dann ging es noch um die zurückgestuften Schüler Gaston Perignon und Bernadette Lavalette. Millie sollte über Bernadette berichten, was damit abgehandelt wurde, daß Bernadette seit ihrer Rückstufung nur noch in den Klassenräumen, dem Speisesaal, der Bibliothek oder dem Schlafsaal sei. Sie hätten sich darauf verständigt, sich gegenseitig in Ruhe zu lassen, was Millie sehr entgegenkam. Über Gaston vermeldete Apollo, das der sich schon mehrmals mit ihm gestritten habe und sich auch gerne mit dem Austauschschüler Cyril in die Haare kriegte, weil Gaston ihn für einen Dummkopf hielt, der wohl nur für das Bespringen williger Hexen lebe, was wohl an seinen Erbanlagen läge, da die Southerlands ja mit den Latierres und Lesauvages verwandt seien.

"Dann schlafen die im selben Saal", dachte Julius. Laut fragte er, ob das Probleme in den Schlafsälen gebe. Apollo meinte, daß er wohl demnächst einen Meldezauber anbringen müsse, um nach der Bettkontrolle jede Bewegung im Schlafsaal zu überwachen. Doch das wurde ihm von Madame Faucon und Professeur Fixus untersagt. "Wir überwachen unsere Schüler nicht auf Schritt und Tritt, Monsieur Arbrenoir. Sonst würden wir meldezauber und an den Schülern anzubringende Ortungsartefakte verwenden. Die Gründer von Beauxbatons haben damals verfügt, daß friedfertige Zauberer und Hexen nur im Bewußtsein erwerbbarer Freiheiten entstehen können. Also, die Einrichtung von Bewegungsüberwachungszaubern in den Schlafräumen ist und bleibt strickt untersagt", bekräftigte die Schulleiterin. Apollo und die anderen nickten.

Nach der Saalsprecherkonferenz gingen die Teilnehmer am Kochkurs los, um in der kleinen Übungsküche anzutreten. In der Beschreibung stand, daß die, die sich sicher waren, was genießbares hinbekommen zu haben, ihre Erzeugnisse mit in den Speisesaal nehmen oder den Küchenelfen überlassen durften, die es dann verteilten, da Mittags eh verschiedene Speisen aufgetischt wurden. Allerdings mußte Julius erkennen, daß er doch nur einer von drei Jungen in diesem Kurs war, während zwanzig Mädchen daran teilnahmen. Also galt in dieser Frage doch die althergebrachte Rollenverteilung, dachte Julius. Die Mädchen hatten ihre langen Schöpfe hochgesteckt, um bei den Kocharbeiten kein Haar in einem Topf oder sonstigen Kochgeschirr zu verlieren. Millie ahmte das Beispiel nach und flocht sich ihr schulterlanges, rotblondes Har nach oben fast wie ein gewachsenes Kopftuch. Außer Julius waren nur noch Antoine Lasalle aus der siebten und Armin Wiesner aus dem gelben Saal da. Ansonsten waren Mädchen aus der sechsten und siebten Klasse da. Julius wußte nicht, wer den Kurs gab. Es konnte Madame Faucon sein, die ja leidenschaftlich gerne kochte. Doch als dann Professeur Dirkson mit einer blauen Schürze und einer weißen Köchinnenmütze auf dem Gang erschien staunten sie alle.

"Ich dachte, Professeur, ähm, Madame Faucon macht den Kurs weiter", wunderte sich Constance, die neben ihrer Schwester Céline vor der Tür wartete.

"Wir wechseln uns ab", sagte Professeur Dirkson. "Ich bin auch so eine Küchenhexe. Bei drei Kindern kam mir das sehr zu Paß", sagte sie und tippte die schwere Stahltür an, die herausschlagendes Feuer verhindern sollte.

Die Küche war ein langer, rußiger Saal mit mehreren Herden, Anrichten und Spülbecken. Professeur Dirkson warf einen kritischen Blick auf die Herdstellen. "Hmm, macht ihr hier nie sauber?" Fragte sie. Die Schüler sahen sie sehr verdattert an. Keiner fühlte sich schuldig an dem Dreck auf den Herden und darüber. "Kann wer einen guten Säuberungszauber?" Alle hoben die Hände. "Dann macht mal!" Sagte die Lehrerin. "Ähm, Moment, Arbeitsumhänge sind für draußen gut." Mit einem Wink ließ sie blaue und grüne Schürzen von der Decke regnen, die sich von selbst passende Trägerinnen und Träger aussuchten und sich von selbst umbanden. Dann segelten noch weiße Mützen herab, die sich zielgenau auf passende Köpfe setzten, um gerade bei den Mädchen die langen Haare sicher zu verbergen. "So, jetzt schrubbt die Dinger mal richtig ab!" Trieb sie die Gruppe an. Julius trat neben seine Frau, die mit Leonie zusammen an einem großen Herd mit acht Platten Aufstellung genommen hatte. "Ratzeputz Maxima!" Rief Julius mit auf eine besonders verdreckte Stelle gerichtetem Zauberstab. Unverzüglich fegte ein rosa Schaumstrahl über den Herd und sog den Dreck ein. Keine halbe Minute später war der Herd blitzblank. Auch die anderen hatten den Ratzeputz-Zauber benutzt. So waren die Arbeitsflächen schnell glatt und sauber.

"Ich habe auch welche aus der siebten laut rufen hören. Könnt ihr den nur verbal?" Fragte Professeur Dirkson mit einem Grinsen, das sich schlagartig über alle Mädchengesichter verbreitete. "Madame Faucon hat gesagt, ihr könntet alle ungesagt zaubern und hexen." Die anderen schwiegen. Dann begrüßte die Lehrerin die neuen Teilnehmer und führte aus, daß es in ihrem Kurs darum ginge, Putz- und Kochzauber so gut einzuüben, daß die meisten davon ungesagt ausgeführt werden konnten. Außerdem sollte jeder und jede im Verlauf der nächsten Wochen das Rezept für sein oder ihr Lieblingsessen ausprobieren. Natürlich mußten die verwendeten Kochgeschirre nach dem Gebrauch ordentlich gespült werden. Dann ging es richtig los. Sandrine und Laurentine wurden von Professeur Dirkson noch zu Julius, Millie und Leonie gestellt. Zunächst wurden Gemüseputzzauber und Zerkleinerungszauber ausprobiert. Laurentine hatte es nach drei unförmig zerteilten Karotten raus, einen Rhythmus für den Viridisectum-Zauber zu finden, der die Gemüseteile gleichmäßig schnitt. Auch konnten Messer bezaubert werden, die Fleisch durchtrennten. Julius hatte es bald raus, ungesagt ein Ballett von besonders scharfen Messern aufzuführen, das mehrere große Schulterstücke Rindfleisch zurechtschnitt. Da Millie und er in den Ferien schon die Zauber aus den magischen Kochbüchern ausprobiert hatten, konnten sie die anderen gut einweisen, ohne überheblich rüberzukommen. Vor allem Laurentine war dankbar, daß Julius ihr was zeigen konnte, was ohne Zauberei umständlich aussah. So vergingen die zwei Stunden, in denen sie einander einiges beibrachten und abschauten, Feuer unter den Herdplatten machten und Würzzauber ausprobierten, um aus den in den Schränken bereitstehenden Fäßchen Salz, Pfeffer oder Thymian auf die ersten selbstgemachten Speisen zu bringen. Sandrine fragte Julius einmal, warum er das können wollte. Er sagte, daß er bei seiner Mutter schon einfachere Sachen mit Elektroküchengeräten gemacht habe und nicht einsah, warum nur Frauen kochen können sollten.

"Gérard meint, weil meine Mutter meinen Vater nicht in die Küche läßt und seine Mutter da auch keinen Mann drin sehen wolle, wenn sie was großes macht bräuche er das nicht zu können."

"Ich ziehe auf jeden Fall nach der Siebten aus", bemerkte Laurentine. "meine Eltern meinen immer noch, ich hätte das Gymnasium nachzuholen. Soll ich erst mit dreißig ein eigenes Leben haben? Wenn ich apparieren kann können die zusehen, wie die mich noch im Haus halten wollen. Gibt's auch einen Quirlzauber, Julius?"

"Ja, gibt es, Laurentine", antwortete Julius und führte ihn an einer kleinen Schüssel mit Mehl und Milch vor. Wie von einem unsichtbaren Mixer gequirlt rotierte die Mischung, als Julius "Rapidimisceo" murmelte. "Finis Incantato", sagte er, als er meinte, genug umgerührt zu haben.

"Die Geschwindigkeit und Rührrichtung kannst du durch die einleitende Bewegung des Zauberstabes regulieren", sagte Professeur Dirkson, die gerade auf ihrem Kontrollgang an der Gruppe vorbeikam. "Es gilt immer die fünfzigfache Drehbewegungsgeschwindigkeit des Zauberstabes. Wenn du hundert Drehungen pro Minute hinbekommst, fliegt dir das meiste Zeug aus der Rührschüssel. Außerdem wollen einige Zutaten nicht wild herumgequirlt, sondern sacht verrührt werden. Ist wie bei Zaubertränken. Wer von euch macht das Fach noch?" Alle nickten ihr zu. "Dann habt ihr wohl das Gefühl dafür, Mixturen mit der nötigen Geduld zu verrühren. Ähm, würde der Quirlzauber da auch was bringen?" Julius wandte seinen Kopf ab. Sollten doch mal die anderen antworten. Sandrine sagte, daß jeder Zauber die Wirkung veränderte und am besten nur unmagische Rühr- und Aufheizmittel benutzt wurden. Deshalb könne man einen Kessel mit angesetzter Mischung nicht mit dem Siedezauber Coquento aufheizen.

"Genau das. Ich habe eine muggelstämmige Schulfreundin, die einen magischen Mixer, also ein Rührgerät mit schnellen Rührstäben gebaut hat, weil sie's von zu Hause aus kannte. Damit meinte die, tausend Rührbewegungen in einer Minute hinbekommen zu können. Der Trank hat sich in einer grünen Wolke aus dem Kessel verflüchtigt. Aus der Wolke schlugen sogar kleine Blitze auf den Herd ein. Also nur Sachen zum essen mit dem Rapidimisceo-Zauber durchquirlen. Sonst kriege ich Ärger mit der Kollegin Professeur Fixus." Sie lächelte und ging weiter, um einige ältere Mädchen anzuleiten, wie sie den Pfannwender-Zauber richtig bringen mußten, um das Bratgut nicht dauernd an die Decke klatschen zu lassen. Julius dachte an seine Mutter. Madeleine Leauvite wollte ihr auch solche Zauber beibringen oder hatte das schon. jedenfalls wehten die Düfte von kochendem Gemüse, Soße, Fleisch und kleinen Törtchen durch den Küchensaal, als die Kochgruppe im Dunst aus Töpfen und Rauch aus den Feuerungen eingenebelt bereits vertraute und neue Zauber verwendete. Laurentine ließ sich von Millie zeigen, wie sie echte deutsche Bratwürstchen so in der Pfanne umwenden konnte, daß sie gleichmäßig durchbrieten, ohne sie dauernd beobachten zu müssen. So geriet an den vielen Herdstellen alles mögliche zur vollen Zufriedenheit der Haushaltszauberkursler. Constance und Céline hatten einen großen Kuchen gekochuspokust, den ihre Mutter bei größeren Festen machte. Als alle durch Abschmecken ihrer Gerichte befunden hatten, es so unter die Leute bringen zu können, ließ Professeur Dirkson alle vollen Terinen und Bratenplatten verschwinden. Natürlich verschwanden sie nicht für immer, sondern wurden lediglich in die Großküche des Palastes teleportiert, wo die Hauselfen die Gerichte mit den von ihnen zubereiteten Speisen in den Esssaal hinaufschickten. Dann putzten und schrubbten die Kursteilnehmer die benutzten Herde und Arbeitsflächen noch einmal gründlich sauber. Julius fragte, wer außer ihnen noch hier hereinkam, weil ja nur ein Kurs angegeben wurde.

"Außer uns keiner. Das ist eben nur eine Übungsküche", sagte die Lehrerin. Damit stand für Julius fest, daß der Dreck zu Beginn der Stunde absichtlich angebracht worden war, um ihre Sauberzauberkünste herauszufordern.

Die Kochkursler verrieten den anderen nicht, was von den Sachen von ihnen zusammengebraten, -gekocht oder -gebacken worden war. Nur Laurentines frankfurter Würstchen konnte Julius eindeutig bei den Roten und Violetten wiedersehen. Er nahm sich vor, sich von seiner Mutter das Kochbuch seiner Uroma Hillary schicken zu lassen, um den Eintopf nachzukochen, zumindest aber Millie zu zeigen, wie der ging, damit die Familientradition gewahrt blieb. Dann dachte er an das, was sie und er heute wohl noch erfahren würden. Irgendwie wußte er nicht, ob das seine Meinung ändern mochte oder nicht. Er wußte nur, daß es wohl etwas sehr schlimmes sein mußte, was die Gründerin des gelben Saales dazu veranlaßt hatte, Generationen von Pflegehelfern in Schach zu halten, bei groben Verstößen für immer zur Bettpfanne zu werden.

ENDE

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