DIE JAGD AUF SARAHS ERBSCHAFT

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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© 2003 by Thorsten Oberbossel

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P R O L O G

Als am 24. Juni 1995 das trimagische Turnier zu Hogwarts mit dem Tod Cedric Diggorys endete, war dies der Beginn der neuen Schreckensherrschaft des dunklen Magiers Lord Voldemort und seiner Anhänger, den Todessern. Sein Gefolgsmann Barty Crouch Junior wurde entlarvt und durch einen Dementor seiner Seele beraubt. Die zaubererwelt ist gespalten in jene, die an die Rückkehr des Unnennbaren glauben und jene, die seine Wiederkehr schlicht verleugnen. Doch Voldemort ist nicht die einzige dunkle Bedrohung der magischen und nichtmagischen Menschheit.

Der entseelte Körper Barty Crouches wird in einer abgelegenen Höhle versteckt gehalten. Von dort entführt die Hexe Pandora Straton ihn gerade noch rechtzeitig, bevor ein Handlanger Voldemorts ihn töten kann. Der Körper Barty Crouches wird zunächst durch einen dunklen Zauber vom Mann zur Frau umgewandelt. Dann wird in einem schwarzmagischen Ritual die bis dahin in einem dunklen Artefakt geborgene Seele der schwarzen Hexe Anthelia vom Bitterwald in diesen Körper übertragen, worauf Anthelia nun wiederkehrt und ihrerseits ein Bündnis begründet, daß aus Hexen besteht, die skrupellos die Rückgewinnung der Vorherrschaft der Hexen über alle Menschen anstrebt. Das Netz der Spinne, wie dieses geheime Bündnis genannt wird, bleibt jedoch nicht unentdeckt. Der nichtmagische Halbwüchsige Ben Calder erlauscht das Wiederbeseelungsritual der dunklen Schwesternschaft, wird jedoch von dieser aufgespürt und gefangengenommen. Anthelia unterwirft den Jungen einem Bindungsfluch, der ihn unter ihre Überwachung bringt und gibt ihm im Gegenzug einen gesunden, langlebigen Körper. Nun hat Anthelia einen Kundschafter in der Welt der sogenannten Muggel. Bei einer Vollversammlung aller Gefolgsleute spricht sie einen Fluch über alle, der sie zwingt, Stillschweigen gegenüber uneingeweihten zu bewahren, wenn sie nicht sofort sterben wollen. Doch diese Taten sind nur der Anfang.

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Das alte Haus lag halb von uralten Bäumen überdeckt in einem dichten Wald bei Sussex. Tagsüber malten die spärlich durch das üppige Mittsommerblattwerk der hohen Bäume dringenden Sonnenstrahlen verspielte Lichtmuster auf den erdigen Boden. Vögel zwitscherten geschäftig, es raschelte im Unterholz, wenn Waldtiere verschiedener Sorten dort nach Nahrung oder Gefährten suchten.

Dicke Holzläden verschlossen die quadratischen Fenster. Einst waren sie hellgrün lackiert worden. Doch der Lack hatte den Wetteränderungen vieler Jahre langsam nachgegeben und splitterte stumpf und unansehnlich ab, wenn auch nur der leiseste Windstoß an den alten Läden rüttelte. Eine Tür, in eine obere und untere Hälfte teilbar, versperrte den Außenstehenden den Zugang zu diesem Haus. Und obwohl neugierige Jungen wie auch unterschiedliche Forstbeamte versucht hatten, sich Zugang zu diesem alten Gemäuer zu verschaffen, hatten Tür und Fensterläden Jeden Eindringling abgehalten. Förster Coalman, der vor zehn Jahren zum Verwalter dieses Waldreviers ernannt worden war, hatte vor sieben Jahren als letzter Mensch versucht, in das Waldhaus hineinzugelangen. Auch ihm wollten Tür und Fensterläden nicht weichen, obwohl er mit Einbruchswerkzeug und genügend Kraft und Geschicklichkeit den Zugang zu erzwingen gesucht hatte. Er stellte nach dem Verbiegen eines Brecheisens und dem Abbrechen mehrerer Dietriche fest, daß durch die lange Einsamkeit die Tür- und Fensterrahmen offenbar zu sehr verzogen seien. Er dachte nicht einmal daran, schwere Baugeräte zu bemühen, um die Läden mit unwiderstehlicher Gewalt aus ihren Verankerungen zu brechen oder das alte dicke Holz der Tür zu zertrümmern. Irgendwie so schien es, verlor er das Interesse an diesem Haus, sobald es sich für reine Körperkraft als unzugänglich erwiesen hatte. So vergaß der Förster das Waldhaus, zumal ihm nichts darüber zu Ohren oder zu den Akten kam, was seinen Eigentümer, seinen Daseinszweck oder den Grund für seine Abgeschiedenheit betraf. Einige Bewohner der kleinen Orte, die um Sussex herum verteilt waren, behaupteten, daß dereinst eine alte Frau darin gelebt haben soll, der man hinter vorgehaltener Hand und im Flüsterton unterstellte, Hexerei betrieben und mit dem Teufel einen Packt geschlossen zu haben. Doch weil niemand so nahe an diesem Haus lebte, daß er oder sie durch dessen Nähe bewogen wurde, sich darum zu sorgen, ob dort böse Werke geschehen waren oder noch geschahen, und weil Touristen und Wanderer nicht in jenes Waldstück vordrangen, wurde über das Waldhaus nie ein Wort verloren, wenn nicht ein Außenstehender in einem der seltenen Fälle das Gespräch darauf brachte.

Im Moment stand das Haus ruhig da, so still und unbeeindruckend wie eh und je. Das von dichtem Blattwerk gefilterte Sonnenlicht zauberte Lichtflecken auf den Boden, die sich bewegten, wenn warme Brisen durch die Baumkronen fuhren. Über dem längst wieder überwucherten Pfad, der zu ihm führte, lag die natürliche Ruhe eines ungenutzten Waldes mit seinen Tiergeräuschen und Düften. So wirkte das unvermittelte, von einem leisen Plopp begleitete Auftauchen einer Gestalt in weißer, den Körper vom Kopf bis zu den Waden umhüllenden Kleidung wie ein aufblitzendes Licht in tiefster Dunkelheit. Die Gestalt betrachtete durch Sehschlitze in der Kapuze ihres Umhangs das Haus und nickte dann mit dem Kopf. Vorsichtig, abgebrochene Äste übersteigend, um möglichst keine Trittfährten zu hinterlassen, näherte sie sich dem Gemäuer. Keine vier Schritt vor der Tür verharrte sie und griff in eine Tasche des wallenden Umhanges, um daraus einen etwa sieben Zoll langen Holzstab hervorzuholen, den sie auf das Haus richtete.

"Videtur Maledictum!" Flüsterte eine Stimme so leise, daß nicht zu hören war, ob sie einem Mann oder einer Frau gehörte. Aus dem Stab trat ein dunkelviolettes Licht aus, das auf das Haus fiel, welches sich darauf in tiefste Schwärze einhüllte. Unverzüglich senkte die Gestalt in Weiß den Stab wieder. Die Schwärze verschwand sogleich. Dann verschwand die weiße Gestalt so übergangslos wie sie aufgetaucht war, als habe sie sich in Luft aufgelöst. Das Waldhaus blieb zurück als stummer und einziger Zeuge dieser Erscheinung.

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Alwin Redwood saß im Büro des Innenministers von Großbritannien. Er trug einen niegelnagelneuen Anzug aus taubenblauem Tweet und eine dezente dunkelblaue Seidenkrawatte. Seine rotbraunen Haare hatte er ordentlich gescheitelt und vor ihm auf dem breiten Mahagonischreibtisch lag aufgeklappt die nachtschwarze Aktentasche, welche er zu dieser Verabredung mitgebracht hatte. An der Garderobe im Vorzimmer hing noch ein schwarzer Hut mit schmaler Krempe. Niemand hätte angenommen, daß Alwin Reedwood kein gewöhnlicher Gast des britischen Innenministers war.

Dr. Conrad Gordon, der zweite Stellvertreter des britischen Innenministers, betrat in seinem korrekten Anzug den Besprechungsraum und grüßte den Gast, der höflich vom bequemen Besucherstuhl aufgestanden und ihm entgegengegangen war.

"Ich freue mich, Sie endlich einmal persönlich anzutreffen, Mr. Redwood", sagte Conrad Gordon, nachdem sie beide sich hingesetzt hatten. Nancy Shoemaker, die Sekretärin Gordons, servierte Tee und Gebäck und zog sich unaufgefordert und diskret aus dem Besprechungszimmer zurück und schloß die Tür.

"Ich habe Ms. Shoemaker angewiesen, uns in den nächsten beiden Stunden unnötige Besucher und Gesuche vom Hals zu halten", informierte Gordon seinen Gast. Dieser nickte zustimmend und wartete, daß sein Gastgeber auf das Thema zu sprechen kam, das der Anlaß für seinen Besuch war.

"Der Premierminister hat mit meinem Vorgesetzten abgeklärt, daß ich in Ihrer Angelegenheit mit Ihnen zusammenarbeiten soll, Mr. Redwood. Premier Major wollte zwar nicht damit herausrücken, welcher wichtigen Organisation Sie angehören, nannte es jedoch eine Sache von höchster Wichtigkeit, daß wir mit Ihnen zusammenarbeiten."

"Wenn der Premierminister und Ihr direkter Vorgesetzter nicht darauf eingehen wollten, welche Aufgaben die Organisation ausübt, welcher ich angehöre, so obliegt es mir nicht, meinerseits darüber zu sprechen, Dr. Gordon", sagte Redwood ruhig und warf einen Blick durch den Raum. Er sah die hübschen Wandbilder von Schiffen, Flußlandschaften und einer gemalten Abbildung des Glockenturms Big Ben neben einem Porträt der englischen Königin. Innerlich bedauerte er seinen Gastgeber und dessen Kollegen, daß sie nicht über sich selbst bewegende Gemälde verfügen konnten, wie sie in seinem Büro zu finden waren. Doch da er Gordon dort nicht empfangen durfte, mußte er auch nicht erwähnen, daß er andere Gemälde bei sich hängen hatte wie der akademisch betitelte Beamte.

"Nun soviel ich erfahren konnte, erfahren durfte, trachten Sie und Ihre Mitarbeiter und Vorgesetzten danach, die innere Sicherheit vor außergewöhnlichen Kriminellen zu bewahren, welche sowohl skrupellos als auch gerissen und schier unerkennbar operieren. Premier Major erwähnte oberflächlich, daß außer ihm und Ihrer Majestät niemand von Ihnen Kenntnis habe. Mein Vorgesetzter führte aus, daß Sie prüfen müssen, ob für unsere Zivilbevölkerung eine Gefahr besteht, durch böswillige Gruppierungen, die sich die Polizeiapparate zu Nutze machen könnten und ähnliches."

"Nun, das trifft es in gewisser Weise. Wir suchen nach Mitgliedern und Anführern von Verbrecherbanden, die weltweit in staatliche und wirtschaftliche Institutionen eindringen, durch Einbrüche, Morde und Raubzüge, aber vor allem durch geschickte Manipulationen von wichtigen Persönlichkeiten Einfluß zu gewinnen trachten. Nichts für ungut, Dr. Gordon, daß ich Ihnen nicht den Namen und die Adresse unserer Organisation verrate, aber Premier Major hat Ihnen sicher mitgeteilt, daß wir legitim und vertrauenswürdig sind. Deshalb komme ich auch sofort auf den Punkt. ..."

Redwood erläuterte Gordon, daß es gesicherte Hinweise auf die Aktivitäten einer weltweiten Verbrecherorganisation gäbe, die darauf abzielte, Kontrolle über Politik und Wirtschaft zu erringen und erzählte, unterstützt von Akten und Fotos, die er mitgebracht hatte, welche Fakten bereits ermittelt worden seien. Hierbei bewegte er sich auf sehr dünnem Eis, da er zum einen den wenigen bekannten Fakten sorgsam konstruierte Geschichten hinzufügte, um die Legende von der weltweiten Verbrecherorganisation zu untermauern und zum anderen ohne Kenntnis seines eigenen Vorgesetzten tätig war. Denn Cornelius Fudge, sein oberster Chef, hielt jede Untersuchung und jede Maßnahme in der Richtung für unnötig, ja schädlich für die Gesellschaft, mit deren Belangen er betraut worden war. Doch Arthur Weasley, ein Kollege aus einer anderen Abteilung, sowie seine Kollegin June Priestley, hatten ihn davon überzeugen können, daß gehandelt werden müsse. Das Verschwinden einer Person, von der Fudge nichts erzählen wollte sowie der Tod eines früher im Ruch böser Tätigkeiten stehenden Mitgliedes seiner Gesellschaft, hatten ihn überzeugt, weiterzumachen. So kam es, daß Alwin Redwood nun einem Menschen berichtete, worauf dieser zu achten hatte, der durch seine Ausbildung jeden Glauben an eine magische Welt verleugnete und daher mit anderen Argumenten abgespeist werden mußte, um zu tun, was anlag, nämlich heimliche Suchaktionen anzuleiern, möglichst ohne zu zentral suchen zu lassen, da die Gefahr einer Einflußnahme auf die wichtigsten Betrauten größer wurde, je zentraler die Angelegenheit verwaltet wurde. Als Redwood nach ungefähr zwei Stunden das Besprechungszimmer mit seiner Aktentasche wieder verließ, verabschiedete sich Gordon mit den Worten, daß er überzeugt sei, den besagten personen beikommen zu können. Als Redwood dann durch die Vorzimmertür hinaus und auf den Flur in Richtung Fahrstuhl ging, flüsterte Gordon seiner Sekretärin zu:

"Die Schattentruppe kann losmarschieren, Nancy. Ich möchte wissen, ob dieser Mensch das ist, was er mir aufgetischt hat."

Nancy griff zum Telefonhörer, wählte einen Anschluß im Hausnetz und gab die Anweisung Gordons weiter. Doch fünf Minuten später kam bereits ein Rückruf:

"Zielperson bestieg blauen Austin Montega und verschwand um die nächste Biegung links. Die Verfolgung gelang nicht, da das Auto offenbar bei der nächsten sich bietenden Einfahrt von der Straße verschwand. Die diskrete Suche läuft."

"Wie, hat der die abgehängt?" Fragte Gordon. Als dann nach weiteren fünf Minuten ein weiterer Anruf kam, bekam er die Antwort. Ja, man hatte es nicht geschafft, Alwin Redwood zu verfolgen. Selbst der Peilfunksender, den die Schattentruppe bei der Ankunft Redwoods an dessen Auto hatte anheften können, da dieses Fahrzeug keinen Chauffeur zur Bewachung besaß, konnte nicht mehr angepeilt werden. Redwood hatte seine Verfolger ausgetrickst.

"Werden Sie tun, was er mit Ihnen besprochen hat?" Fragte Nancy Shoemaker. Gordon nickte.

"Zumindest hat er mich nun neugierig gemacht, weshalb diese Leute für ihn so wichtig sind rauszukriegen."

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Alwin Redwood konnte Ministeriumsautos auch ohne angestellten Fahrer benutzen. Seine Befugnisse als Untersuchungsbetrauter für die politischen und technischen Aktivitäten der Muggelwelt berechtigten ihn dazu, allein zu arbeiten. Als er hinter dem Steuer des Montegas saß, war ihm bereits der Gedanke gekommen, daß er wohl verfolgt werden sollte. Deshalb fuhr er nicht wie geplant durch London, sondern fuhr mit dem Wagen in die nächste freie Einfahrt, wo er ihn einfach mit einem nützlichen Transitionsturbo von der Straße verschwinden und auf dem gut gegen Muggelelektronik gesicherten Parkplatz der Zaubereiministeriumsautos wieder auftauchen ließ. Ein Hauself, gekleidet in ein grobes Geschirrtuch mit dem Wappen des Zaubereiministeriums, watschelte herbei und untersuchte das Auto. Keine Minute verging, da hielt das kleine Geschöpf einen fremden Gegenstand in Händen, den Redwood lächelnd als Funksender erkannte.

"Sie mögen uns unterlegen sein, aber sie sind auch sehr beharrlich, wenn sie etwas wissen wollen", sagte er und nahm den Funksender entgegen.

"Die haben es tatsächlich ausprobiert", grinste Alwin Redwood. Dann kehrte er unauffällig in sein Büro zurück. Dabei kam er am Büro von Arthur Weasley vorbei. Er bedauerte, daß dessen Job nicht richtig beachtet, ja größtenteils verachtet wurde. Wer die Zauberei geheimhalten wollte, so die Überzeugung Alwin Redwoods, mußte verhindern, daß Geräte der Muggelwelt verflucht oder anderweitig bezaubert in den Umlauf der Muggelwelt gelangten. Er hörte im Büro Arthur Weasley mit einer Hexe sprechen, die Alwin als June Priestley erkannte. Er verhielt vor der Tür und lauschte einige Sekunden.

"... Es geht mir nicht um Meuterei oder groben Ungehorsam, June", sagte Arthur Weasley gerade. June Priestley erwiderte:

"Mir auch nicht, Arthur. Ich verstehe nicht, wie dieser Kimmkorn-Artikel von vor der dritten Turnierrunde Fudge mehr überzeugt als Dumbledores, Snapes und McGonagalls Aussagen. Immerhin wurde Barty Crouch Junior doch in Hogwarts enttarnt. Der hätte sich doch überall verstecken können. Also hat er dort was angestellt. Und die Sache mit dem Feuerkelch kann auch kein Vierzehnjähriger Zauberer bewerkstelligen, nicht einmal jemand, der gerade meiner Aufsicht unterstellt ist."

"Das Wissen Sie, das weiß ich, und das weiß auch Dumbledore, June. Doch wir können keinen Mißtrauensantrag gegen Minister Fudge durchsetzen, wenn wir außer Harrys Aussage und Cedric Diggorys Leiche keinen Hinweis darauf haben, daß er wirklich wieder da ist."

"Und Barty Crouch Junior", warf June Priestley ein. "Seltsam, daß dieser nach der dritten Runde verschwunden ist."

"Wie, verschwunden. Hat man ihn nicht nach Askaban zurückgebracht?" Fragte Arthur Weasley. Alwin Redwood hörte ein gehässiges Lachen, daß so gar nicht zu der sonst so sachlichen June Priestley passen mochte.

"Arthur, wenn der nach Askaban zurückgebracht worden wäre, hätte die gesamte Zaubererwelt gewußt, daß er nicht dort gestorben ist und es geschafft hat, von dort zu entfliehen, lange vor Sirius Black und absolut unbemerkt. Minister Fudge kann sich einen derartigen Skandal nicht leisten. Wahrscheinlich hat man ihn versteckt, weil selbst ein von Dementoren geküßter Zauberer nicht einfach getötet werden darf, wie es im Gesetz ..."

"... welches mir auch bekannt ist, June", schnitt Arthur Weasley seiner Gesprächspartnerin das Wort ab. Dann grummelte er: "Sie haben natürlich recht. Man hätte Fragen gestellt. Aber was heißt, er ist verschwunden?"

"Das er nicht mehr in diesem Geheimversteck ist, Arthur. Ein Kollege aus der Strafverfolgungsabteilung hat es unfreiwillig ausgeplaudert. Offenbar wurde er entführt oder getötet und in irgendwas anderes verwandelt."

"Und Sie glauben, daß Minister Fudge damit zu tun hat?" Fragte Weasley.

"Bestimmt nicht, Arthur. Dem Minister kann es absolut nicht daran liegen, diesen Gefangenen zu verlieren, wenngleich dieser keine Gefahr mehr bedeutet, wenn er sich selbst überlassen bleibt."

"Dennoch würde ich mit einem Mißtrauensantrag nach Verwaltungsvorschrift 22 noch warten, bis wir eindeutige Beweise haben, daß Minister Fudge wider besseres Wissen oder gar in voller Absicht alles unterläßt, was einer neuerlichen Machtergreifung von Du-weißt-schon-wem zuvorkommt."

Alwin Redwood hatte genug gehört. Leise ging er in sein Büro zurück und schrieb auf, was bei seinem Gespräch mit dem Stellvertreter des britischen Innenministers besprochen worden war.

Nach einem sonst ereignislos verlaufenen Arbeitstag disapparierte Alwin Redwood und kehrte in das kleine gemütliche Haus in der Nähe von Wocester zurück, in dem er mit seiner Familie wohnte. Die Sorgen um seinen Sohn Chuck trieben ihn ebenso um, wie die Gedanken an die Rückkehr des dunklen Lords. Während der letzten Sommerferien hatte dieser niemanden besucht oder zu Besuch gehabt. Und auch in diesen Sommerferien würde er keinen Besuch bekommen.

Das war damals, als Chuck in Hogwarts eingeschult wurde, ein höllischer Schock gewesen, als der seinen Eltern geschrieben hatte:

"Hallo, Mum und Dad!

Ich weiß nicht wieso, aber der sprechende Hut von Hogwarts hat mich zu den Slytherins gesteckt. Ich wohne mit vier Typen zusammen in einem Schlafsaal, die den Eindruck machen, im nächsten Augenblick alles und jeden in Stücke zu sprengen. Und die Mädchen sind überhebliche Schnäpfen, noch dazu einige häßliche Vogelscheuchen. Am Tisch sind Leute, die mit Du-weißt-schon-wem halten, auch wenn sie das nicht laut sagen. Aber alle hetzen über Dumbledore und verachten die Muggel und jene, die sich für sie interessieren.

Ich hoffe, ich laß mich von denen nicht in was reinziehen. Aber ich fürchte, ich werde hier keine Freunde finden."

Irgendwann im Verlauf des Schuljahres kamen dann Briefe, daß er mit einer halbblütigen Klassenkameradin, Lea Drake, eine vorsichtige Freundschaft geschlossen hatte, die nicht besser in Slytherin angeschrieben war als er. Ihn, so Chuck, wolle man ja noch von der "richtigen Sache" überzeugen, während sie als "glatte Fehlbesetzung" behandelt würde. Dann kamen noch Briefe von Severus Snape, dem Hauslehrer der Slytherins, der anfragte, wieso jemand aus einer so berühmten Zaubererfamilie wie den Redwoods derartig unfähig sei, aus seiner Herkunft was zu machen. Redwood hatte nur zurückgeschrieben, daß sein Sohn eben wohl nach Slytherin gekommen sei, weil er schon wisse, für wen und mit wem er sich einsetzen solle. Da Snape am Jahresende schrieb, das Chuck in allen Fächern gute Noten erzielt habe, war für Alwin Redwood kein Anlaß mehr, sich mit Snape auseinanderzusetzen. Seine Frau Miranda hatte sogar gesagt:

"Besser ist es, wenn wir mit Snape und den anderen Slytherin-Eltern nichts am Hut haben. Sollen die doch denken was sie wollen."

"Wenn die ein Kennenlernen der Eltern haben wollen, müssen wir mitspielen", hatte Alwin gesagt. Doch dann sofort seine Meinung geändert. Muggelforscher waren bei den Slytherins nicht gut angeschrieben. Sollte er sich von Leuten wie den Malfoys oder den Panes anhören, wie verächtlich die Muggel seien? Aber die Panes waren eh nicht mehr in der Lage, eine Party zu besuchen oder zu veranstalten, weil rauskam, daß sie ihrem Sohn Brutus unverzeihliche Flüche beigebracht hatten und der so dumm war, dieses unvollkommene Wissen an einem Mitschüler auszuprobieren und dafür der Schule verwiesen wurde. So hielten sich die Redwoods mit Chuck aus allem heraus, was andere Slytherins wohl anstellten. Lediglich mit Lea Drake hielt Chuck wohl noch Kontakt. Als Alwin erfuhr, wer Leas Mutter war, kam der zweite höllische Schock:

"Miranda, weißt du, wer die Hexe ist, die die Mutter von Chucks einziger Schulfreundin ist?" Hatte er aufgeregt seine Frau angesprochen, nachdem Chuck es ihm wie beiläufig erzählt hatte.

"Nein, weiß ich nicht. Und es interessiert mich auch nicht, solange die nicht meint, Chuck solle ihre Tochter heiraten."

"Mach keine derben Scherze Mimi! Lea Drakes Mutter ist Proserpina Drake, früher Nightfall. Nightfall, Mimi!"

"Du meinst doch nicht etwa eine Nachfahrin von Corva Nightfall, die mit deiner ..., früher diesem dunklen Hexenorden angehört hat?" Erschrak Miranda Redwood. Ihr Mann hatte darauf nur ein sehr heftiges Kopfnicken zur Antwort gegeben.

"Du weißt, daß deren Töchter allesamt dieser verruchten Hexenbande beitraten und es wohl immer noch tun. Heftiger kann es wohl nicht mehr kommen."

"Die haben genauso was gegen Muggel, wie die Bande von Du-weißt-schon-wem, Alwin", erwiderte Miranda Redwood. Alwin sagte nur:

"Bestimmt nicht immer. Die brauchen frisches Blut in ihren Linien und suchen sich zwischendurch Muggel aus, die ihre Kinder zeugen sollen. Hauptsache, die Töchter können zaubern und werden gut in der Schule. Erst einen Sohn bei den Slytherins, weshalb ich mich vor meinen Freunden schämen muß, und dann noch eine Freundin, die mit tödlicher Sicherheit einmal eine dunkle Hexe werden wird. Und ich dachte schon, wir Redwoods hätten uns von den alten Schatten freigemacht."

"Willst du Chuck jetzt verbieten, dieses Mädchen weiter zu mögen und dann irgendwann feststellen, daß sie ihm beigebracht hat, uns zu hassen? Denke ich nicht, Alwin."

"Eben. Ich kann da nichts machen. Wir sind absolut ohnmächtig in dieser Sache. Eltern, die zusehen müssen, wie ihr einziges Kind auf einen Abgrund zurennt und es nicht zurückhalten können, weil der Abgrund zu verlockend ist."

Alwin Redwood hatte sich immer gefragt, wieso ausgerechnet Chuck wieder in Slytherin gelandet war. Von den Redwoods war vor bald zweihundert Jahren die letzte Ahnin in jenem übel beleumundeten Schulhaus von Hogwarts gewesen und dies, so stand es in den Annalen der Zaubereigeschichte, völlig zu recht. War etwas von diesem alten Familienerbe über die Generationen auf Chuck übergegangen? Alwin hoffte, daß er dies nie würde herausfinden müssen.

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Zwei Wochen waren seit jener Einberufungsversammlung vergangen, wo Anthelia, Nichte Sardonias vom Bitterwald, die nach Jahrhunderten unfreiwilligen Schlummers im Seelenmedaillon des dunklen Druiden Dairon einen neuen Körper gefunden und mit Hilfe ihr gewogener Hexen eine neue Schwesternschaft gegründet hatte, die den Zweck verfolgte, allen Hexen der Welt die Vorherrschaft über die Welt der Zauberer und die der nichtmagischen Menschen, die Anthelia als unfähige bezeichnete, zu erschließen und zwar ohne Rücksicht auf Leben und Bedürfnisse einzelner Menschen. Im alten Herrenhaus des Plantagenbesitzers Stanley Daggers hatte Anthelia ihr neues Hauptquartier eingerichtet. Im alten Weinkeller, der durch magische Gewalten verschüttet und nur durch Apparition zu erreichen war, bewahrte sie die ersten Aufzeichnungen ihres neuen Wirkens auf. Doch nun, wo sie ihre neuen Getreuen auf sich eingeschworen hatte, mußte sie noch etwas wichtiges erledigen, was ihr nur gelingen sollte, wenn sie sicher sein konnte, daß über ihre Rückkehr niemand frühzeitig bescheid bekam.

Anthelia apparierte unentdeckt vor einem verwitterten Steinkreis, der in Mitten eines dichten Laubwaldes lag. Hier hatte einst Dairon seine Magie ausgeübt, Menschen geknechtet und aus reiner Bosheit hingeschlachtet, um den alten Druidengöttern der Dunkelheit zu opfern und sich deren Beistand zu sichern. Hier, so wußte Anthelia es so, als sei es erst gestern gewesen, lag das Höhlenversteck, wo Dairon seine mächtigsten zaubergerätschaften gelagert hatte. Hier hatte Anthelia vor mehreren Jahrhunderten, als sie in ihrem angeborenen Körper gelebt hatte, das mächtige Seelenmedaillon gefunden, welches die körperlosen Ichs lebender Menschen aufsaugen und einkerkern konnte. Anthelias wichtigste Waffe im Kampf um die Herrschaft über die Welt, war damals von ihr selbst behext und zu ihrer Lebenserhaltung benutzt worden. Doch das Medaillon war nicht die einzige machtvolle Hinterlassenschaft.

Durch leises Summen und bläuliches Glühen zeigte das Medaillon an, daß es ganz in der Nähe des Machtzentrums seines Schöpfers war. Anthelia berührte das aus fünf Metallsegmenten zusammengefügte Kleinod mit der linken Hand und dachte konzentriert an die alte Höhle, die unter einem besonderen Schutzzauber lag, den sie damals nur schwer hatte brechen können und der sich nach ihrem ersten Ableben wieder erneuert hatte. Mit der rechten Hand holte sie den zauberstab des dunklen Wächters, das Vermächtnis eines japanischen Dunkelmagiers, aus ihrem blütenweißen Umhang und deutete damit auf einen ihr bekannten Punkt.

Mit keltischen Zauberformeln beschwor sie eine Magie, die derjenigen entgegenwirkte, welche Dairon selbst aufgebaut hatte. Sie spürte, wie die Winde der Angst und Panik, welche aufkamen, wenn der Verbergefluch berührt wurde, warm und unheilvoll um sie herumwehten. Doch sie widerstand den von dem Wind getragenen grauenhaften Bildern von abstoßend entstellten Menschen, gefährlichen Bestien wie Schlangen, Riesenspinnen und geflügelten Schuppenwesen, Feuerstürmen und Wirbelstürmen. Schmerzen kamen über Anthelia, doch diesmal nicht so heftig wie beim ersten Zugriff auf Dairons Versteck. Das Medaillon und der Zauberstab waren wirksame Mittel, die dunkle Gegenwehr des alten Druiden zurückzuschlagen, bis Anthelia die letzten Worte sprach, wobei sie von einer mörderischen Kraft gepackt und in einen dunklen Abgrund hineingezerrt wurde. Anthelia blieb jedoch ruhig, weil sie wußte, daß dies alles nur magisch eingepflanzte Trugbilder waren. In Wirklichkeit glitt sie nur durch die unsichtbare Barriere, die den Höhleneingang verdeckte. Unvermittelt stand sie in einer geräumigen Granithalle, in deren Mitte ein Altar aus verrußtem Felsgestein stand. Auf dem Altar stand eine bröckelige Kerze, die aus dem Körperfett getöteter Menschen und dem Blut zu Tode gefolterter Kinder geschaffen worden war. Neben dem Altar befand sich eine große Steinplatte im Boden, unter der weitere Gerätschaften verborgen waren, die Anthelia zur ersten Lebzeit nicht benutzt hatte. Doch nun, wo sie das Seelenmedaillon und den Stab des Dunklen Wächters besaß, konnte sie es wagen, die übrigen, allesamt verfluchten Gegenstände zu bergen. Sie kniete sich nieder, berührte mit dem Stab und dem Medaillon die Steinplatte, die darauf rot aufglühte, sich in ihrer Fassung drehte und dann aufstieg. Anthelia dirigierte mit Bewegungen des Zauberstabes die Steinplatte auf den Altar neben die Kerze. Diese flammte sogleich auf. Das hatte sie schon einmal erlebt, als sie mit großer Mühe die Steinplatte zum ersten Mal gehoben hatte. Sie stieg in den kleinen Raum hinunter, der unter der Steinplatte lag und griff bedenkenlos nach einem geschmeidigen Gürtel, einem faustgroßen Kristallkörper in der Form eines Auges, der an einer goldenen Kette hing und zwei vergoldeten Ringen, die man jemanden um den Hals legen konnte. Dann stieg sie wieder hinauf in die Höhle und beschwor mit einem einzigen Wort die Steinplatte an ihren alten Platz. Die Kerze erlosch. Anthelia klemmte sich die geborgenen Sachen unter den linken Arm und hob den Zauberstab.

"Frei bin ich. Die Macht ist mein. Ich kehr zurück zum Sonnenschein!" Rief Anthelia auf Keltisch, wobei sie genau den richtigen Sprechrhythmus und die wirkungsvollste Betonung traf. Sofort griff eine unsichtbare Gewalt nach Anthelia und trug sie hinaus ins freie, zurück in den verwitterten Steinkreis. Niemand konnte sehen, wo sie herkam.

Außerhalb des Steinkreises disapparierte Anthelia mit dem Ziel, in den alten Weinkeller der Daggers-Villa zurückzukehren.

Tausende von Kilometern entfernt tauchte sie im großen Raum hinter dem Weinkeller auf, dort, wo sie vor wenigen Wochen zwanzig Bundesschwestern auf sich eingeschworen hatte. Sie trat an den großen Marmortisch heran und legte die mitgebrachten Gegenstände aus. Sofort erschienen mit schmerzverzerrten Gesichtern zwei schwebende Geister, die in Armeeuniformen steckten und über den ganzen Körper offene Wunden trugen.

"Nimm dieses Ding fort, Meisterin", flehte einer der Geister. Anthelia lächelte nur gemein.

"Was tut ihr hier?" Fragte sie. Der eine Geist, der offenbar starke Schmerzen fühlte, obgleich er keinen lebenden Körper mehr besaß, brachte hervor:

"Wir harren aus, um deine Anweisungen zu befolgen, Herrin. Wir wachen in allen Räumen des Hauses. Stanley Daggers hält sich in seinem Schlafzimmer auf."

"In meinem Schlafgemach, verdammte Seele", erwiderte Anthelia ohne gefühlsmäßige Betonung in der Stimme. Dann griff sie nach dem augenförmigen Kristall und sagte:

"Harret aus in der Empfangshalle! Ich habe hier zu tun und will weder von Mensch noch Spuk behelligt werden."

Die Geister verbeugten sich sogleich und stiegen wie aufkochende Dampfschwaden zur Decke auf und verschwanden durch diese nach oben. Erst als Anthelia sich noch einmal umgesehen hatte, ob noch ein Gespenst in diesem Raum weilte, verbarg sie den Kristall. Sie lächelte, als sie mit dem Zauberstab einen Sperrzauber über den Raum legte, der für eine Stunde jeden Zutritt, sowohl für Menschen als auch für Geister verwehrte. Dann griff sie nach dem Gürtel.

Es war ein geschmeidiger Gürtel aus der Haut eines walisischen Grünlings, eines in Britannien heimischen Drachens. Mit einer schweren goldenen Schnalle ließ er sich um den Leib eines Menschen legen und sichern. Anthelia strich mit ihren Fingern über die kleinen Einbuchtungen im Gürtel und zählte sie im Geist durch. Als sie 24 solcher Einbuchtungen ertastet hatte, lächelte sie wieder. Die Legende um diesen Gürtel stimmte also. Sie besah sich das Kleidungsstück genau und prüfte mit einem Flucherkennungszauber, ob er wirklich mit jener Magie angereichert war, die sie sich nutzbar machen wollte. Sie holte ein kleines Messer hervor und schnitt sich damit die linke Hand auf. Dann legte sie den Gürtel mit der Innenseite nach oben der Länge nach auf den Tisch und berührte mit der Wunde die erste der 24 Einbuchtungen. Sie murmelte ein altes Zauberwort und spürte, wie ein gewisser Sog vom Gürtel Blut aus ihrer Handwunde zog. Dann berührte sie mit der verwundeten Hand die zweite Einbuchtung, sprach ein weiteres Mal das Zauberwort und wartete, bis auch hier eine unbekannte Kraft Blut in den Gürtel eingesogen hatte. Diesen Vorgang wiederholte sie nun sooft, bis alle 24 Einbuchtungen Blut von ihr empfangen hatten. Dann streifte sie mit der unverletzten Hand den Umhang ab, entblöste ihren Leib und legte den Gürtel um. Sie zog ihn so eng wie ihr neuer Körper dies zuließ und schloß die goldene Schließe. Dann legte sie die verwundete Hand auf die Schließe und sagte laut:

"Anhorikotarhan! Gürtel der 24 Leben, sei mir alleine Untertan!"

Was nun über Anthelia hereinbrach, waren Minuten der totalen Qual. Schmerzen, nie gekannte Schmerzen, übermannten die wiedergekehrte Hexenlady. Sie fühlte, wie sie von glühenden Klingen zerschnitten wurde, während sie gleichzeitig um Luft ringen mußte, aus großer Höhe fiel und von mörderischen Gewalten zusammengequetscht wurde. Sie sah Menschen, die erschlagen, erschossen, bei lebendigem Leib verbrannt, am Galgen aufgehängt oder ertränkt wurden, von wilden Tieren getötet und noch lebendig gefressen wurden, hörte die Todesschreie der Opfer aus allen Richtungen und schrie mit ihnen im Chor des geteilten Leids. Als die Schreckenspein verflog, lag Anthelia halbnackt mit umgeschnalltem Gürtel auf dem Boden und weinte. Die Schrecken des Todes, der in unterschiedlicher Gestalt an sie herangetreten war, hatten selbst ihren starken Willen an den Rand des Zusammenbruchs getrieben. Doch nun, wo der Horror vorbei war, mußte sie lächeln. Der Gürtel hatte sie als seine neue Herrin angenommen. Sie war nicht im Strudel der Todesqualen ertrunken, wie es Warnungen aus Dairons Zeiten verheißen hatten, sondern hatte sich seiner als würdig erwiesen. Nun konnte sie, solange sie alle sechzehn Stunden für acht Stunden tief und unweckbar schlief, 22 Arten des gewaltsamen Todes überleben, darunter den allgemein für unabwendbar gehaltenen Todesfluch Avada Kedavra. Denn in den Einbuchtungen des Gürtels waren die Überreste von 24 Menschen geborgen, die gewaltsam zu Tode gekommen waren, und zwar auf eben 22 unterschiedliche Arten, die sie im Taumel der Todesqualen alle hatte verspüren und beobachten müssen. Auf diese 22 Weisen konnte sie von nun an nicht mehr sterben, solange sie den Gürtel auf nackter Haut trug und alle sechzehn Stunden für acht Stunden tief schlief. Anthelia lächelte, weil sie nun Trägerin eines mächtigen Schutzes war, den zu schaffen nur die skrupellosesten Magier wagten und erringen konnten. Wortlos triumphierte sie über Voldemort, der sich dieses Artefakt nicht verschafft hatte und verachtete diesen Hexer, der meinte, der mächtigste Magier zu sein, der je gelebt hatte. Mit Verachtung in den Gedanken bedankte sie sich noch mal bei diesem halbblütigen Emporkömmling, daß er ihr diesen gesunden, kraftvollen Körper verschafft hatte, der einstmals seinem Getreuen Bartemius Crouch Junior gehört hatte und nun, nach der Entseelung durch einen Dementor und der Bezauberung mit dem Geschlechtswandelfluch Contrarigenus ihr neuer Körper war.

Eine Stunde später - Antehlia hatte ihre Handverletzung mit einem einfachen Heilzauber verschwinden lassen und den Umhang wieder ordentlich über dem fest geschlossenen Gürtel gestreift - apparierte sie in der großen Empfangshalle der Daggers-Villa. Dort wartete Dana Moore, eine Bundesschwester aus England, welche als Kundschafterin in der Nachtfraktion der schweigsamen Schwestern für Anthelia tätig war, aber durch ihre Anstellung im Zaubereiministerium in London auch eine wertvolle Spionin war.

Dana verbeugte sich. Anthelia winkte ab.

"Das Geplänkel, was Voldemort mit seinen Marionetten treibt, ist hier nicht nötig, Schwester. Ich weiß, daß du mir ergeben bist oder nicht, ob du dich verbeugst oder nicht. Berichte!"

"Ihr Haus ist selbst für uns nicht zu betreten, höchste Schwester. Ein besonderer Fluch umhüllt es wie ein Mantel aus meterdickem Erz. Ich fürchte, sie hat die Uniheres-Magie aufgerufen, bevor sie starb. Wahrscheinlich hat einer ihrer Getreuen gar ihren Leib dort untergebracht, um die Wirkung des Zaubers zu bewahren."

"Ich kenne den Uniheres-Zauber und seine dunkle Abwandlung. Wer nicht von ihrem Blut ist, verbrennt und verraucht sofort, wenn er oder sie sich Zutritt erzwingt. selbst meiner großartigen Tante Sardonia versagten manche Feinde auf diese Weise Zugriff auf ihre Hinterlassenschaften. Es wird an uns sein, wichtige Gelasse zu finden und Nachkommen jener Zauberer zu verdingen, für uns dort hineinzugehen", sagte Anthelia."

"Sie hat nur noch zwei lebende Abkömmlinge, höchste Schwester", sagte Dana. "Einer von Ihnen arbeitet im Ministerium für Magie in London, der andere, sein erstgeborener Sohn, ist Schüler von Hogwarts. Auch nur einen von ihnen uns zu unterwerfen wird nicht ohne Aufsehen bleiben."

"Dennoch werden wir einen von ihnen brauchen, um ihr Haus betreten zu können", sagte Anthelia kühl. Dana verzog das Gesicht. Sie wollte ihrer neuen Meisterin bloß keinen Ärger machen. Deshalb sagte sie:

"Es sind gerade Sommerferien. Der Sohn wäre also außerhalb des Schutzes von Dumbledore."

"Dann sei er es, dessen wir habhaft werden", bestimmte Anthelia unverzüglich.

"Du weißt, Höchste Schwester, daß er nur freiwillig in dieses Haus gehen kann. Jeder Zwang durch Zauberkraft würde ihn zurückdrängen."

"Ich weiß wie wir erreichen, daß der Junge tut, was wir wollen, auch ohne Imperius-Fluch oder dergleichen anwenden zu müssen. Wir werden es so machen, daß außer dem Jungen keiner erfährt, was passiert. Ich hoffe nur, daß uns der Emporkömmling mit seinen Marionetten nicht in den Weg springt. Denn auch ihm wird die Gier nach dem alten Wissen kommen und ihn treiben, es sich zu holen."

"Benötigst du mich dazu, höchste Schwester?"

"Nein, ich benötige nur Schwester Patricia und ein winziges Stück vom Körper des Jungen, ein Haar reicht aus."

"Wie du befiehlst, höchste Schwester", sagte Dana. Anthelia schickte sie in eines der Gästezimmer des Hauses, das von den hier in ewiger Gefangenschaft befindlichen Geistern bereitet worden war. Dann zog sie sich in den Hausherrenschlafraum zurück, wo sie das Kristallauge wieder hervorholte. Unvermittelt erschien der Geist eines muskulösen, jedoch mit dickem Bauch gesegneten Mannes, der schmerzvoll aufschrie, kaum daß der Kristallkörper frei zu sehen war.

"Seit wann brauchst du ein Schlafzimmer, degenerierter Sklavenhalter?" Fragte Anthelia, als das offenbar unter Qualen leidende Gespenst sich einigermaßen beruhigt hatte. Der Geist strich sich über den silbriggrauen, durchsichtigen Vollbart und stöhnte:

"Meisterin, ich wollte das Zimmer nur bewachen. Bitte, peinige mich nicht mit dem Kristall."

"Solange du schön sichtbar bleibst widerfährt dir von diesem kein Ungemach, Stanley Daggers. Trolle dich und wache in den Kelleräumen, wie jene, die dich damals aus deinem Haus holen wollten!"

"Sehr wohl, Gebieterin!" Sagte der Geist und verbeugte sich. Dann verließ er durch den Fußboden sinkend das Schlafzimmer. Anthelia setzte sich auf das Bett und nahm das Seelenmedaillon in die rechte Hand. Sie konzentrierte sich, schloß die Augen und lauschte in die Stille, die mehr und mehr von fernen Stimmen durchdrungen wurde. Vor dem geistigen Auge der Hexe tauchten halbwüchsige Jungen und Mädchen in der Freizeitkleidung der nichtmagischen Welt auf. Sie lauschte auf Worte und Gedanken, die ein von ihr nicht zu sehender Junge offenbarte. Wenn sie Zeit fand, sich in Ruhe zurückzuziehen, lauschte sie gerne in die Wahrnehmungswelt Benjamin Calders hinein, jenes Jungen, der ihre Rückverkörperung von draußen mitbekommen hatte und von ihr und der jungen Hexe Patricia Straton in ihre Gewalt gebracht worden war. Mit dem Seelenmedaillon hatte sie sich mit dem Jungen verbunden, konnte dessen Sinne wahrnehmen, seine Gedanken erfassen und gegebenenfalls lenkend auf ihn einwirken, um ihn Dinge tun zu lassen, die in ihrem Sinne waren. Doch im Moment interessierte und faszinierte sie nur seine Umgebung, seine Mitmenschen und die technischen Geräte, die die von ihr als unfähig bezeichneten Menschen geschaffen hatten, wenn sie auch verurteilte, daß diese Geräte ihre Energie durch große Feuer in fernen Anlagen bekamen, deren Rauchausstoß die Natur vergiftete.

Sie hielt sich von Ben Calder unbemerkt für zwei Stunden in dessen Sinneswelt auf, bevor sie sich daraus zurückzog und den Plan in Angriff nahm, der ihr das Vermächtnis einer einst mächtigen Hexe sichern sollte.

__________

Chuck Redwood war trotz des zweiten Jahres als Außenseiter in Slytherin ein ruhiger, nicht so leicht zu verärgernder Junge geblieben, der seine Interessen hatte und sie gerne auslebte. Er wußte, daß es seinen Eltern peinlich war, mit ihm über Slytherin zu sprechen. Sie brachten das Wort auch nie über die Lippen, wenn er im Raum war. Bekannte seines Vaters hatten ihn zwar mehrmals bedauernd, auch einmal mißtrauisch angesehen, doch er hatte es über sich ergehen lassen. Was konnte er schon dafür, daß ihn dieser verdreckte ramponierte Hut von Hogwarts nach Slytherin gesteckt hatte? Er hatte den Hut mehrfach angefleht, ihn lieber zu den Hufflepuffs zu schicken als nach Slytherin, hatte im Geiste mit ihm gestritten und gedroht, ihn zu zerstören, wenn er ihn, Chuck, nicht in ein anderes Haus schickte.

"Nun, deine Beharrlichkeit und Willenskraft ist vortrefflich für Slytherin. Dein Ehrgeiz, deinen Willen durchzusetzen, wie auch deine Wut, nicht zu kriegen, was du willst, gehören eindeutig in dieses Haus. Was willst du mit Hufflepuff? Dort wärest du verloren, weil nichts dich richtig fördert", hatte dieser verwünschte Hut ihm damals ins Ohr geflüstert.

"Ich will da nicht hin!" Hatte Chuck so heftig gedacht, daß er fast laut gerufen hätte. Doch der Hut hatte nur gelacht.

"Das sagst du jetzt, junger Sir. Doch in einem oder zwei Jahren wirst du dich freuen, von mir so vortrefflich zugewiesen worden zu sein."

"Dann schick mich zu den Ravenclaws oder Gryffindors, du verfilzte Eistüte!" Hatte Chuck wieder gedacht.

"Ravenclaw verlangt Übersicht und Beharrlichkeit. Das habe ich doch laut genug gesungen", hatte der Hut zurückgewispert. "Auch wenn du viel Kraft in deinem Herzen trägst, bist du für Gryffindor nicht zu gewinnen. In dir schlummert zu viel, das gegen Gryffindors Geist handelt. Du weißt es noch nicht. Aber ich kann in deine tiefsten Schichten hineinsehen und hören, was noch ungedacht ist." Dann zischelte es irgendwie rechts neben seinem Ohr. Er hörte und verstand:

"Einst habe ich nachgegeben, weil das, was auch dein ist, jemandem innewohnt, aber nicht zu seinem ererbten inneren gehörte. Auch er lehnte Slytherin ab, und ich ließ ihn gewähren. Doch weil du dies verstehst, ohne es von außen erworben zu haben, sei es nun ... Slytherin!" Das letzte Wort war in menschlicher Sprache und die Halle ausfüllend gerufen worden. Chuck erschauerte und lief tomatenrot an. Er griff nach dem Hut, um ihn im ersten Anfall ohnmächtiger Wut zu zerfetzen, doch da wisperte es neben seinem Ohr: "Hüte dich, ich bin belegt mit einem starken Fluch, der jedem, der mich schädigen will, in alle Gebeine fährt, Bursche. Und nun betrete den Weg deines Schicksals, den ich dir gewiesen habe!"

Chuck hatte darauf den Hut abgenommen und die Wut und die Enttäuschung so gut wie möglich niedergehalten. Er war aufgestanden und langsam, aber nicht verhalten, zu den Slytherins hinübergegangen, die laut klatschten, ihn willkommen hießen. Von da an hatte er eine harte Zeit der Verstellung durchmachen müssen, sich das prahlerische Geschwätz von Schülern wie Draco Malfoy oder Pensy Parkinson angehört und immer so getan, als würde er ihnen schon glauben, nur noch nicht zeigen wollen, daß sie recht hatten. Mit seinen Klassenkameraden hatte er sich auf der Ebene arrangiert, daß er nie etwas gegen sie sagte oder tat, um nicht dumm aufzufallen. Doch die mühsame Maske der Verstellung war im Laufe der Zeit durchscheinend geworden, wie ein dichter Vorhang, durch den langsam ein Riß geht, der den Vorhang mehr und mehr zu teilen droht. Mit der Halbblütigen Lea Drake hatte er sich vorsichtig angefreundet. Sie, die von Malfoy und Genossen immer dumm angeredet wurde, daß sie ja nur in Slytherin war, weil ihre Mutter wohl mächtig sei und wohl dereinst auch in Slytherin gewohnt hatte.

"Wie kann eine Hexe wie Proserpina Nightfall einen dreckigen Muggel an sich ranlassen und sowas wie dich ausbrüten?" Hatte Malfoy mit seiner überheblichen, schleppenden Sprechweise einmal gefragt. Alle hatten gelacht. Lea hatte wohl geschluckt, dann jedoch laut und sicher geantwortet:

"Draco, wenn deine Eltern dir nicht erzählt haben, wie ein Kind auf die Welt kommt, mach das nicht mir zum Vorwurf, daß du so eine Frage stellen mußt."

Alle Slytherins hatten sie darauf sehr bedröppelt angeglotzt, ihre Kiefer bewegt, als müßten sie das, was sie dem Angeber vom Dienst entgegengeschleudert hatte, regelrecht durchkauen, um es hinunterschlucken zu können. Pensy Parkinson hatte das Erstklässlermädchen angeblickt und hämisch grinsend gesagt:

"Draco wollte nicht wissen, wie du Kröte ausgebrütet wurdest, sondern warum?"

"Inzuchtvermeidung, Pensy", hatte Lea darauf erwidert und sie bedauernd angesehen, ihr Mopsgesicht und den etwas eckigen Körperbau. Draco Malfoy wollte aufspringen und der Neuen eine reinhauen. Doch die Vertrauensschülerin Muscarina Cobb, hatte den Viertklässler zurechtgewiesen.

"Draco, die ist eine von uns. Der Hut hat sich Zeit mit ihr gelassen. Willst du bezweifeln, daß sie hier hingehört? Dann zweifel daran, daß du hier richtig bist!"

Malfoy wollte zwar was sagen, wurde jedoch von Hector, einem Jungen mit Vertrauensschülerabzeichen angestarrt und schluckte was auch immer hinunter.

So ähnlich ging es weiter. Doch Lea wußte auf jede Gehässigkeit eine ruhige, aber gleichwertige Antwort zu geben. Auch der Versuch, sie zu verprügeln, bekam denen nicht, die es ausprobierten. Denn Lea hatte eine waffenlose Kampfkunst erlernt, mit der sie selbst einen Brocken wie Gregory Goyle einmal auf den Boden im Slytherin-Kerker geschickt hatte. Auch Flüche brachten nichts. Sie konnte offenbar von ihrer Mutter her einen passablen Abwehrzauber, der einen Fluch auf dessen Auslöser zurückwarf, was einem Drittklässler, der sie mit dem Furnunculus-Fluch belegen wollte, wuchernde und bestimmt auch schmerzvolle Geschwüre ins Gesicht getrieben hatte.

Im zweiten Jahr, wo die Durmstrang-Schüler wegen des trimagischen Turniers mit am Slytherin-Tisch gesessen hatten, hatte sich Lea gut mit einer rothaarigen Schülerin von denen verstanden, Ilona Andropova, deren Mutter wohl Leas Mutter gut kannte, was für Chuck, der von den Verwandten üble Geschichten über die Eltern der Slytherins gehört hatte, nicht gerade eine Empfehlung war. Die Freundschaft mit Lea war noch stärker geworden, wenngleich sie um alles vermieden, damit im eigenen Haus aufzufallen. Peeves, der Poltergeist, hatte die beiden zwar immer heimgesucht, um die Slytherins gegen sie aufzubringen, doch mit Gründung der Peeves-Patrouille, einer Schülergruppe aus allen Häusern, die heimlich die Streiche des Unruhegeistes heimzahlen wollte, hatten sich Lea und Chuck gut arrangiert. Lichtblicke im zweiten Jahr war die Soziusflugprüfung sowie die Bekanntschaft mit einem Durmstrangjungen, der offenbar dasselbe Problem hatte wie Chuck, nämlich nicht am richtigen Ort zu sein. Mit diesem Burschen, Wladimir Manulesku, hatte er manche interessante Unterhaltung in der Bibliothek geführt, über alte Zaubererbräuche in Rumänien, wo Wladimir herkam. Auch hatte er viel über alte Magier gelernt, die sich gut mit den dunklen Künsten und ihrer Abwehr befassen konnten. Unheimlich waren ihm der narbengesichtige Lehrer Moody, der ihn immer wieder entsetzte, weil er ihm Bilder der Angst vor üblen zauberern machte, die jeden umbrachten, der ihnen nicht gehorchte, sowie die Enthüllung über jene Gabe, durch die der sprechende Hut endgültig entschieden hatte, daß er, Chuck Redwood, zu den Slytherins zu gehen hatte. Denn am Tage der dritten Runde des trimagischen Turniers hatte Rita Kimmkorn geschrieben, daß Harry Potter, der sehr berühmte Jungzauberer, der den sonst unabwendbaren Todesfluch Voldemorts überlebt hatte, ein Parselmund sei, mit Schlangen sprechen könne. Von da an war Chuck mit erschreckender Deutlichkeit klar, daß auch er diese verwünschte Gabe besaß. Doch er war doch kein Erbe von Slytherin persönlich! In seiner Ahnenlinie gab es keinen, der hier einmal hingekommen war. - Nein! Eine gab es doch. Es war eine Hexe, über die sein Vater kein Wort mehr als nötig verlor. Er sprach immer von "ihr" und hatte oft geseufzt: "Hoffentlich muß keiner von uns ihren Weg gehen." "Hoffentlich hat sie keinem ihre dunklen Eigenschaften vererbt."

Chuck wußte nicht, wer "sie" war und welche dunklen Eigenschaften er wohl von "ihr" geerbt hatte. Doch er wußte, daß mehr Blut aus anderen Ahnenlinien in ihm fließen mußte, das ihm Gryffindor- und Hufflepuff-Eigenschaften geben mußte. Sicher, dieser steinalte Hut hatte sich nicht beknien lassen, Chuck anderswo unterzubringen. Doch hieß das zwangsläufig, daß er ein böser Zauberer werden mußte, weil er ein verwünschtes Erbe in sich trug, dessen Saat aufgegangen war? Ja, und die dritte Runde im Turnier hatte sie alle zu tiefst getroffen. Er kannte Cedric Diggory nicht so gut, hatte nur einen dieser von Malfoy & Co. gebastelten Anstecker getragen, wo "Ich bin für Cedric Diggory" draufgestanden hatte, doch sein Tod, vor allem, wie er im Tode aussah, hatte auch ihn heftig erschreckt und in tiefe Trauer gestürzt. Als Dumbledore dann noch verkündete, dies sei das Werk von Lord Voldemort gewesen, der wiedergekehrt sei, hatte er für Lea und sich keine friedliche Zukunft mehr gesehen. Denn daß Lea nun erst recht von den anderen Slytherins bepöbelt wurde, war offenbar ein Gesetz, daß durch die Anwesenheit des dunklen Lords auf der Welt geschaffen und ausgeführt wurde. Einmal hatte ihr Malfoy, wo Chuck dabeigestanden hatte vorgehalten:

"Ich denke nicht, daß er einen großen Unterschied macht, daß du hier in Slytherin bist. Er wird dich sogar schnell abmurksen, weil Schlammblüter hier nichts verloren haben."

"Hat dir das dein Vater erzählt, Draco? Weiß er oder weißt du, ob ich die erste Schlammblüterin hier in Slytherin bin? - Nein? Dann überleg dir gut, mit wem du dich anlegst!"

Draco schluckte. Offenbar hatte Lea etwas in ihm angerührt, was den sonst so überlegen tuenden Kronprinzen Malfoys aus der Fassung brachte. Das Lea von irgendwoher einen makaberen Lebensendzeitkalender zugespielt bekommen hatte, nahm sie offenbar auch gelassen hin oder konnte sich besser verstellen als Chuck.

An all das dachte Chuck, während er von einer wilden Besenflugübung in das Haus seiner Eltern am Rande von Wocester zurückkehrte. In der Ferne sah er die wogenden Weizenfelder, die verschlafenen Dörfchen, die um die kleine Stadt gruppiert waren und die himmelwärts gerichteten Kirchturmspitzen mit ihren in der Sonne glitzernden Helmen, unter denen kleine und große Glocken hingen.

Er dachte daran, daß er froh war, mehrere Monate von den Slytherins getrennt zu sein. Lea, die einzige von denen, die er in den Ferien hätte sehen wollen, war mit ihrer Mutter in den schottischen Hochländern unterwegs, wohl bei Verwandten, mit denen seine Eltern bloß nichts zu schaffen haben wollten. Er dachte an die schönen Wochen, wo er mit seinem Vater und einigen Zaubererjungs aus anderen Häusern von Hogwarts auf einem von Muggeln seltenst besuchten Platz Quidditch gespielt hatte. Zwar hatten ihn die Jungen manchmal merkwürdig angesehen, als müssen sie aufpassen, daß er sie nicht verfluchte, wenn sie gewannen, doch hatte er dies hingenommen. Er wußte, daß Slytherin den Ruf verdient hatte, den es in Hogwarts genoß. Er dachte daran, daß er in genau einundzwanzig Tagen wieder nach Hogwarts zurückkehren mußte, daß es dort weit aus düsterer zugehen würde als in den Jahren zuvor und er immer mehr gedrängt werden würde, sich zu einem gewöhnlichen Slytherin zu entwickeln. Er ging bereits zum Landeanflug über, als er unvermittelt eine warme seinen Verstand ausfüllende Frauenstimme hörte:

"Chuck, sohn vieler Nachfahren meines Geschlechtes! Wie du mich hörst lausche mir aufmerksam! Ich will dir kein Übel. Begib dich an einen ungesehenen Ort und lausche meiner Stimme wohl, da sie dir wichtige Dinge künden will!"

"Verdammt ich spinne doch nicht", schnaubte Chuck und wäre fast abgestürzt. Doch irgendwie schaffte er es, den Besen über das Haus hinwegzusteuern und zu beschleunigen. Er wußte nicht, wieso er beschleunigte, aber er tat es. Dann kehrte er um, landete vernünftig und ging in sein Elternhaus. Sein Vater war wohl noch in London bei der Arbeit. Seine Mutter saß im Wohnzimmer und stickte an etwas, daß er für einen bunten Rock hielt. Er sagte nur:

"Puh, ich bin fix und fertig, Ma. Ich wasche mich und hau mich ein wenig auf das Bett. Wenn Pa wieder da ist, sag mir bitte bescheid!"

"Gut, Junge!" Sagte Miranda Redwood nur. Chuck stieg zum großen Badezimmer hinauf, wo er sich unter einen kühlenden Wasserstrahl stellte und duschte. Dann zog er sich muggelähnliche Hosen und ein kurzärmeliges Hemd an, daß seine Eltern für die Fahrt zum Bahnhof Kings Cross gekauft hatten und warf sich ohne sich zuzudecken auf sein Bett. Sofort erklang wieder die wie aus den innersten Tiefen des Weltraums kommende und in seinem Geist hallende Stimme. Sie flüsterte:

"Gut, daß du allein bist, Sohn meiner Nachfahren. Ich freue mich, endlich, nach all den Jahren erzwungenen Schweigens einen würdigen Erben zu haben, dem ich mein Geheimnis offenbaren kann. Doch wisse, du wirst große Last zu schultern haben."

"Wer zum Teufel bist du?" dachte Chuck, der ahnte, daß diese Stimme seine Gedanken durchdrang und wohl hören konnte, was er nicht laut aussprach.

"Ich bin deine Urururgroßmutter, Chuck. Ich bin diejenige, die den Keim für unsere große Familie empfangen und zur Blüte gebracht habe. Leider haben sich meine Nachfahren durch Vermischung mit schwachem Blut der Größe beraubt, die ich ihnen mitgeben wollte. Doch du, Chuck Redwood, bist das Samenkorn, das nach Jahrhunderten in einer Wüstenei der Verweigerung und Ablehnung neue Blüten tragen wird. Natürlich wirst du tun, was ich, deine Ahnmutter, dir befehle. Du wirst es aus freiem Willen tun, da dein Erbe sich nicht länger verbergen lassen will."

"Du bist "sie"?" Dachte Chuck zurück, der den Namen jener unheimlichen Vorfahrin nie zuvor gehört hatte.

"Hat es dein Vater, der eigentlich mein Erbe sein sollte nicht gewagt, meinen Namen, deinen Ursprung, preiszugeben?" Kam die nur in Chucks Kopf hörbare Frage zurück. Chuck wollte nicht daran denken, doch die Stimme mußte es wohl irgendwie rausgefunden haben. Denn sie gab mit einem Hauch von Ärger die Antwort auf die eigene Frage: "Also nicht. So wisse, Sohn meiner Nachfahren, daß ich Sarah Redwood, Trägerin der mächtigen Robe von Viciosa vom Orden der Feuerfrauen, hüterin der großen Natter vom schwarzen Fels, deine Ahnmutter bin und weiß, was in deinem Innersten vorgeht. Ich kenne die aufgezwungenen Kämpfe, die deine Seele mit deinem anerzogenen Gemüt ausfechtet und weiß, daß du nimmer Ruhe finden wirst, wenn du dich gegen deine Natur sträubst. So folge dem Ruf deines Blutes! Entweiche dem Heim deiner Eltern bei Anbruch der Nacht! Nimm deinen Zauberstab mit dir und reite auf eigenem Besen einen Weg entlang, den ich dir weisen werde! Mich zu verneinen, mir zu widerstehen, wird dir nichts gutes eintragen. Du bist mein Nachfahre, auserkoren, mein Werk zu vollenden."

"Nein, ich will kein dunkler Magier werden. Wenn du wirklich dieses vermaledeite Hexenweib bist, daß vor mir in Slytherin war, lass mich gefälligst in Ruhe!" Schrie Chuck in Gedanken auf. Doch die Stimme ließ ihn nicht.

"Das du mich hörst, Chuck, mich verstehst, so wie die sich schlängelnden Reptilien, verdingt dich, mir zu folgen. Folgst du nicht, wird dich der Drang von innen verzehren, deine Natur anzunehmen, je stärker du ihn niederzuhalten trachtest. Folge mir freiwillig und erkenne dich selbst! Erklimme die hohe Stufe, auf der ich einst stand und von wo aus du deinen wahren Auftrag ausführen wirst. Du kannst dich nicht wehren. Denn mein Erbe rinnt durch deine Adern, durchtränkt jede Faser deines Körpers, füllt jeden Funken deiner Seele mit Kraft und Licht. Denn Dunkelheit, wie du sie nanntest, weilt nur am Orte derer, die ihre wahre Natur verachten. Oder willst du dich und mein Erbe diesem Emporkömmling anheimfallen lassen, der sich da nennt Lord Voldemort?"

"Das war ein Versehen, mich nach Slytherin zu stecken", flüsterte Chuck nun auch hörbar. Laut zu sprechen wagte er jedoch nicht.

"Das war es nie, wenn jemand dort einkehrte, Bursche!" Empörte sich die unhörbare Stimme über Chuck. Sie klang so stark in seinem Bewußtsein, daß er meinte, sie mit den Ohren zu hören.

"Ich wollte nicht nach Slytherin. Ich gehöre da nicht hin", protestierte Chuck wie vor zwei Jahren, als er den sprechenden Hut aufgehabt hatte.

"Was du willst, ist doch nur ein aus Angst der anderen vor deinem wahren Daseinszweck aufgeladenes Bündel Unrat, dessen du dich entledigen mußt, um nicht im Sog von Widerstreit und Wahn zu enden. So wirf denn all von außen aufgepropftes Denken ab und sei folgsam! Entweiche ungesehen dem Heim deiner Eltern auf eigenem Besen! Nimm mit dir den eigenen Zauberstab, weil du ihn sicher brauchen wirst! Versuchst du, deinen Eltern von meiner Botschaft etwas kundzutun, werden sie dich entweder für irrsinnig ansehen oder aus lauter Angst vor der Größe meines Erbes Gewalt wider dich wenden und dich vielleicht ums Leben bringen. Also schweige und gehorche mir, der Stimme deiner wahren Vorbestimmung!"

Chuck wußte nicht, was er tun sollte. Diese Stimme, die sich einer merkwürdigen Ausdrucksweise bediente, hatte recht. Was sollte er seinem Vater sagen? Sollte er ihm sagen, daß Sarah Redwood zu ihm gesprochen hatte. Er würde ihn entweder auslachen, wenn dieser Name nicht stimmte oder erschrecken, weil Chuck ihn wirklich erfahren hatte. Außerdem wollte er wissen, ob er tatsächlich in Slytherin wohnte, weil er dort hingehörte. In seinen Verstand sickerten Vorstellungen von nie geahnter Macht ein, von Geheimnissen, die er besser ergründen sollte, wollte er nicht eines Tages gezwungen sein, sich dem Anhang des dunklen Lords unterzuordnen. So entschloß er sich, mit seinem Besen aus dem Haus zu verschwinden, wenn seine Eltern im Bett lagen.

Beim Abendessen lenkte er sich von der Gedankenstimme ab, indem er mit seinen Eltern über den Ausflug in die Winkelgasse sprach. Die Furcht, dort auf größenwahnsinnige Anhänger des Unnennbaren zu treffen, betäubte die Angst und Aufregung, die er empfand, wenn er an den auf unheimliche Weise erteilten Auftrag dachte. Sicher, es war eine Frauenstimme gewesen, die er erkannt zu haben meinte. Doch er wagte es nicht, bei Tisch von Sarah Redwood zu sprechen. Er vermied jede Erwähnung von Slytherin oder der Zeit dort. Seine Eltern erzählten ihm, daß sie am nächsten Tag zu Verwandten nach Blackpool reisen würden, die ein Fest feiern wollten. Chuck fragte, ob ein Fest in den Zeiten, wo der Unnennbare wieder da war, gut sei. Seine Mutter meinte mit bestürztem Blick:

"Sollen wir uns von diesem Mörder und seiner Bande diktieren lassen, wie unser Leben weiterzugehen hat? Nein, Chuck. Es reicht die Angst, daß er wohl wieder da ist. Da will ich mir nicht Onkel Fidibus' und Tante Enchantras Silberhochzeitsfeier verderben lassen."

"Hast recht, Ma", gab Chuck mit beschwichtigendem Blick auf seine Mutter zur Antwort.

Stunden später.

Chuck hörte noch, wie seine Eltern sich zu Bett begaben und lauschte, wann seines Vaters lautes Schnarchen zu hören war. Dann, als das Schnarchen tatsächlich rasselnd und schnarrend erklang, holte er leise seinen Flugbesen und seinen Zauberstab aus dem Schulkoffer für Hogwarts, prüfte, ob sein schwarzer Schulumhang nicht zu laut raschelte und kletterte aus dem Fenster seines Zimmers. Seine braune Eule Vergil flog gerade um eine alte Eiche herum in die Nacht. Schnell stieß sich Chuck seitwärts vom Fenster ab, landete auf dem ausgestreckten Besen und stürzte einige Meter, bevor er den Flugbesen in der Gewalt hatte und mit einem sanften Bogen über das Haus hinwegflog, erst langsam, um keine überdeutlichen Fluggeräusche zu machen. Er stieg auf in die Nacht, die wolkenverhangen war und daher so dunkel, wie eine Nacht sein konnte. Als er die gebieterische Gedankenstimme wieder vernahm, folgte er fast wie ein Automat ihren Anweisungen, beschleunigte und jagte durch die kühle Sommernacht davon.

__________

Die Nacht vom neunten zum zehnten August senkte sich wie ein dunkles Tuch über den alten, mit verwitterten Grabsteinen und unkrautüberwucherten Beeten übersäten Friedhof in der Nähe von Little Hangleton. Wie der Inbegriff der bösen Kraft, eine fleischgewordene Erscheinung von tödlicher Macht und grenzenloser Verachtung andersartigen Lebens, stand er, Lord Voldemort, der mächtigste Dunkelmagier des Jahrhunderts, nach seiner Aufffassung auch der mächtigste Zauberer aller Zeiten und Länder, auf dem mit Efeuranken überzogenen Grabstein von Tom Riddle, der hier beerdigt worden war, als er und seine Eltern vor mehr als fünfzig Jahren von einer unheimlichen Kraft dahingerafft worden war. Er, Lord Voldemort, der sich darin suhlte, daß ihn andere Zauberer nie beim Namen zu nennen wagten, hatte seinen kleinen dicklichen Getreuen Peter Pettigrew bei sich. Dieser sah mit der ihm beinahe für alle Zeiten ins Gesicht gemeißelten Maske von Abscheu und grenzenloser Furcht zu seinem Herrn und Meister auf, der in seinem langen schwarzen Umhang unter dem durch eine geschlossene Wolkendecke seines Sternenglanzes beraubten Himmel als dämonischer Schatten aus düsteren Gefilden wirkte. Nur ein Kreis von gelblich flackernden Fackeln, schuf um Voldemort und die vom Licht erfaßten Gräber einen kreisförmigen roten Lichthof, wie ein Fenster in die Unterwelt. Der schwarze Lord gönnte seinem unterwürfigen Gehilfen einen abschätzigen Blick. Dann deutete er auf einen Grabstein im Westen des Friedhofes.

"Er kommt zur angewiesenen Zeit, Wurmschwanz", zischte Voldemort erfreut seinem Diener zu. Tatsächlich stapfte ein ebenfalls in schwarze Leinen gehüllter Mensch, ein hochgewachsener Mann mit einer Kapuze und einer Gesichtsmaske vermummt, auf den vom Fackelring erleuchteten Grabstein Tom Riddles zu. Voldemort sog laut Luft durch seine breiten, fast im Gesicht verschwindenden Nasenschlitze und grinste, sodaß sein grauenhaftes bleiches Gesicht noch teuflischer wirkte als ehedem.

"Nero, teuerer Gefährte, immer bemüht, mich über gute Gelegenheiten zu informieren. Bringst du mir den Schlüssel zu ihrem Schatz, wie ich dich angewiesen habe?" Fragte Voldemort mit seiner kalten, unmenschlich hohen Stimme, die nicht den Hauch von Gutmütigkeit zu vermitteln vermochte. Nero, der Ankömmling, verbeugte sich tief vor Voldemort, fiel auf Hände und Knie und näherte sich dem Grabstein. Dabei legte er sich flach auf den Bauch und erreichte kriechend den Fuß des hohen Steines. Der dunkle Lord ließ sich von seinem angereisten Gehilfen die Füße küssen, bevor er ihm erlaubte, sich vor ihn hinzustellen.

"Verzeih, oh Herr, daß ich dir nicht bringen kann, wonach du verlangt hast. Doch das Haus ... es ist für mich und andere versperrt. Es wehrt jeden Zutritt durch einen mächtigen Fluch, der jeden Zauber, mit dem er zu brechen versucht wird schmerzhaft auf den Zauberer zurückwirft. Ich ergründete, daß es mit dem Uniheres-Fluch und den ihm untergeordneten Bannen belegt ist, eure Lordschaft."

Nero sah Voldemort durch die Augenschlitze seiner Kapuze an und zitterte vor aufsteigender Angst. Wie oft war es ihm und anderen Getreuen widerfahren, daß sie für nicht erbrachte Dienste gefoltert worden waren. Doch der Herr der dunklen Zauberer nickte ihm zu, zwar verhalten, weil er es nicht richtig wollte. Aber er sah Nero ruhig aus seinen rot glühenden Augen an und antwortete:

"Das war zu befürchten. Sie war schließlich nicht irgendeine große Hexe, sondern die mächtigste Hexenmeisterin ihrer Zeit, fast so mächtig wie Sardonia vor Jahrhunderten oder ihre Anverwandten. Nimmer hätte sie ihr Haus, ihr Vermächtnis, jedem dahergelaufenen Zauberer in die Hände fallen lassen, nur weil dieser neugierig ist. Du sagst, der Uniheres-Fluch beschirmt ihr Haus? Dann werde ich sehen, ob nicht ich, Lord Voldemort, ihn niederkämpfen kann, wie ich schon andere mächtige Bannzauber niedergerungen und in alle Winde zerstreut habe. Hat sich in letzter Zeit ein mickriger Muggel in der Nähe dieses Hauses aufgehalten?"

"Nein, oh Herr!" Rief Nero, sichtlich erleichtert, daß ihm heute keine Strafe bevorstand. Voldemort lächelte bösartig. Dann verschwand er mit leisem Plopp, nachdem er Nero und Peter strickte Anweisungen erteilt hatte, hier auf ihn zu warten.

In einem verlassenen, von der Nacht in tiefe Schwärze getauchten Waldstück, erschien der dunkle Lord. Im Dunkeln waren gerade noch seine roten Augen wie glimmende Kohlenstücke zu sehen. Er hob seinen Zauberstab und machte damit Licht. Der helle dünne Lichtstrahl fiel auf ein altes Haus, strich wie ein nichtstofflicher Finger über den grünen absplitternden Lack auf fest verrammelten Fensterläden und beschien ausschnittweise die Tür, die sich in eine obere und eine untere Hälfte teilen ließ. Mit einem großen Schritt trat Lord Voldemort auf das Haus zu und streckte vorsichtig die langen dürren Finger seiner linken Hand aus. Kaum berührte er das Holz der Tür, versetzte etwas ihm einen solchen Stoß rückwärts und brannte durch alle Fasern seines Körpers wie Feuer, das das Fleisch verzehrt. Voldemort stieß einen tierischen Schmerzensschrei aus und rang um sein Bewußtsein. Die Wucht des ihn zurückweisenden Stoßes hatte ihn drei Schritt vom Haus fortgeschleudert. Besorgt betrachtete der schwarze Hexenmeister seine linke Hand. Die Fingernägel waren kohlrabenschwarz und stanken nach verbranntem Horn. Doch sonst hatte er sich keine Verletzung zugezogen.

"In der Tat, der gute alte Uniheres-Fluch, der nur die wahren Erben einläßt", bemerkte der vor kurzem erst wiedererstandene Schreckenszauberer mit ungewollter Anerkennung in seiner hohen kalten Stimme. Dann hob er erneut den Zauberstab, deutete auf das Türschloß und rief in einer alten Sprache, die vor ihm nur wenigen Zauberern vertraut war:

"Wehr des Falschen, Schutz des Wahren, mögest du von Hinnen fahren! Voldemort der wahre Meister, befiehlt dir: Weiche! Wehe fort! Sofort!"

Unvermittelt schien das Haus in gleißenden weißgelben Flammen zu stehen, die ganze Fluten gleißender Funken versprühten, jedoch weder Hitze noch Brandgeruch zu Voldemort trugen. Dieser wich zurück, als einer der Funken ihn berührte und ihm ansatzlos einen Schauer eisiger Kälte durch alle Glieder jagte. Der alte Fluch, aufgerufen und gefestigt von einer mächtigen Hexe, wehrte sich.

"Fahre hin, verweh im Wind!" Beschwor Voldemort mit lauter Stimme und richtete alle Gedanken auf diesen Befehl, auf dessen Ausführung. Doch die weißen Flammenzungen wuchsen, erhellten sich zur Kraft von mehreren Sonnen, sodaß Voldemort seinen Umhang hochschlagen und seine Augen darin verbergen mußte, um nicht geblendet zu werden. Doch diese Handlung brach die magische Front, die sein Zauber und der Fluch bildeten. Krachend explodierte ein Schwarm bunter Blitze kugelförmig vom Haus fort und hieb auf Voldemort ein, der um seine Unversehrtheit bangte, als es ihn durchrüttelte und gegen einen der alten Bäume warf. Die Blitze schlugen gegen die Bäume, ließen diese jedoch unversehrt. Dann stand das alte Haus wieder ruhig da, als sei nichts geschehen.

Erneut beschwor Voldemort in der vergessenen, vielleicht sogar verbotenen Sprache, der Fluch möge weichen und führte eine schnelle Abfolge magischer Figuren in der Luft aus. Doch erneut schlugen nur weiße Flammen wie unzählige Krakenarme aus dem Feuer der Sonne nach Voldemort aus, obwohl dieser mit geschlossenen Augen versuchte, weitere Zauber gegen die unstoffliche Barriere zu schleudern. Doch auch dieser magische Angriff auf die Wehr des Hauses schlug fehl. Voldemort fühlte sich unvermittelt von eisigen Armen umschlungen, gewahrte durch die vorsorglich halb geschlossenen Augen, daß einige Flammenzungen wie Schlangen auf ihn zugeschnellt waren und sich um seinen Leib geschlungen hatten. Dann hob ihn die Macht, die er niederwerfen wollte, mit der Kraft von zehn starken Männern auf und schleuderte ihn auf halber Höhe der uralten Baumstämme vom Haus zurück. Voldemort konnte den Zauberstab nicht richtig auf das Haus richten. Die Kraft, mit der er vorgeprescht war, verflog sogleich. Aus etwa zehn Metern fallend schaffte es der Dunkelmagier, sich durch einen Fallbremszauber vor einem gefährlichen Aufprall zu schützen. Dann schnaubte er:

"Ich habe die alten Worte der Macht, die größten Flüche der Verdrängung und die Anrufung der Urgewalt versucht. Doch dieser Fluch ist gegen all das fest und wehrhaft geblieben." Voldemort sah auf das Haus, das nun wieder ruhig und scheinbar völlig harmlos dastand, etliche Dutzend Schritt entfernt. Voldemort wußte als Kenner der dunkelsten Lehren, daß es reiner Selbstmord für jeden Zauberer war, in ein vom Uniheres-Fluch durchdrungenes Gebäude hineinzuapparieren. Sein Leib würde dort verbrennen, bevor er sich versah. Uniheres war einer der mächtigsten, wenngleich auf besondere Grundlagen fußende Abwehrbann der schwarzen Magie, von dem Kundige wie Voldemort Kenntnis hatten. Wenn dieser Bann sich nicht durch starke Gegenzauber brechen ließ, so half nur die körperliche Anwesenheit eines Erben dessen, der den Fluch einst aufgerufen hatte. Der Hexenmeister knirschte wütend mit den Zähnen. Den wahren Erben dieser vermaledeiten Hexe zu finden und in dieses Haus zu bringen, war eine Sache, die Aufsehen erregen mußte. Außerdem durfte dieser Erbe nicht unter dem Bann eines anderen Zauberers das Haus berühren. Imperius und willensändernde Tränke würden den Fluch dazu bringen, den Zutrittsuchenden wie jeden anderen zurückzuweisen. Voldemort wußte, daß er jedoch keine andere Wahl hatte, wenn er sich in den Besitz wertvoller Zaubergeheimnisse bringen wollte. Mit diesen würde es ihm auch möglich sein, Schutzbanne wie Sanctuafugium zu brechen, um in bis dahin für ihn unerreichbare Gebiete zu gelangen, um beispielsweise seinen halbwüchsigen Todfeind Harry Potter zu vernichten, ja vielleicht sogar seinen obersten Erzfeind, Albus Dumbledore, tödlich zu treffen und endlich Herr von Hogwarts zu werden, der letzten Bastion sogenannter großer Magier. Mit seinen Helfern wollte er dort wie in Durmstrang einen Hort der dunklen Lehre und Macht begründen, wo nur seine bevorzugten Zauberkinder lernen und die anderen gnadenlos ausgelöscht werden sollten. Doch um diesen Wunschtraum zu verwirklichen, mußte er sich in den Besitz dieser alten Geheimnisse bringen. Mit einem letzten zornerfüllten Blick auf das Haus, das ihn, Lord Voldemort, erfolgreich ferngehalten hatte, kehrte er im unmeßbarer Zeit zu seinem Stützpunkt zurück. Dort befahl er seine Getreuen zu sich, indem er das eingebrannte Mal des dunklen Ordens an Neros Arm berührte. Als alle treuen Todesser zum ersten Mal seit Voldemorts Wiederkehr vollzählig versammelt waren, erzählte der dunkle Lord, was er vorhatte und befahl:

"Bringt mir morgen nacht einen der Erben von Sarah Redwood! Ich weiß, daß es welche geben muß."

"Herr, es gibt sogar zwei", meldete sich ein Todesser mit schleppender Stimme zu wort und trat vor.

"So, Lucius, mein ausgefuchster Gefolgsmann! Wer ist es denn?" Fragte Voldemort, die roten Augen sehr bedrohlich auf den Todesser heftend. Dieser verbeugte sich schnell, verharrte für fünf Sekunden in dieser Haltung und richtete sich wieder auf. Dann sprach er schnell, als habe er nicht viel Zeit: "Mein Sohn hat mir oft erzählt, daß einer der jüngeren Schüler in Hogwarts Redwood heiße und offenbar Scham für diesen Namen empfinde. Sein Vater muß, so mein Sohn, Oh Lord, ein direkter Nachfahre Sarahs sein. Doch keiner von der alten Linie war seit ihr in Slytherin."

"So, war keiner? Wie geschickt von ihr, Nachkommen hervorzubringen, die sich in den anderen Häusern aufhielten, sodaß sie irgendwann der törichten Ansicht nachhingen, ihr wahres Erbe nicht mehr fürchten zu müssen", erwiderte Voldemort mit gehässigem Unterton. "Und hat dein hoffnungsvoller Sohn dir auch erzählt, wo dieser Junge Namens Redwood mit seinem Vater lebt?"

"Nein, oh Herr. Offenbar wurde dieser Bursche zur Ablehnung seiner Erbanlagen gezwungen und weigert sich, mit seinen Schulkameraden vertraut zu werden."

"Pech für dich, Lucius! Dann wirst du deine herlichen Verbindungen bemühen müssen, die du dir geschaffen hast, obwohl du besser nach mir gesucht hättest. Zeige mir, daß mein Warten nicht gänzlich vergebens war!"

"Ja, Herr! Ich werde tun, was du befiehlst, Herr!" Rief Lucius mit für ihn ungewohnt unterwürfiger Stimme. Dann entließ Voldemort seine Getreuen.

Am nächsten Tag erfuhr er von seinem Diener Lucius, daß die Familie Redwood in der Nähe der Stadt Wocester in Mittelengland zu finden war. Voldemort beschloß, fünf Todesser auszuschicken, die Vater und Sohn fangen und herbringen sollten.

"Sucht das Haus auf! Tötet jeden Überflüssigen in ihm und holt mir Alwin und Chuck Redwood! Durchsucht das Haus nach Zeichen ihrer alten Erbschaft und bringt mit, was ihr findet!"

So kam es, daß fünf vermummte Gestalten, angeführt von Lucius Malfoy, der seiner Frau und seinem Sohn erzählt hatte, daß er wichtige Geschäfte zu erledigen hatte, auf das große Haus der Redwoods zumarschierte, als die Nacht vom elften auf den zwölften August ihr Mittel erreicht hatte.

__________

Chuck flog mit einer hohen, wenn auch gleichmäßigen Geschwindigkeit von 140 Stundenkilometern in einer Höhe von 120 Metern über dem Boden. Er hatte keine Augen für die unter ihm ausgebreitete Landschaft. Wie sollte er sich auch im Dunkeln an den Hügeln, Dörfern und Wäldern erfreuen? Warum sollte er sich Gedanken über einen in der Dunkelheit pechschwarzen Fluß machen, der unter ihm floß, dessen Lauf er eine halbe Meile Strom aufwärts folgte, um ihn dann nach rechts zu überqueren, hinter sich zurückließ? Hätte es ihm etwas gebracht, wenn er gewußt hätte, daß er sich der englischen Stadt Sussex auf wenige Meilen näherte, wo er sie eh nicht direkt anfliegen sollte? Denn die geheimnisvolle Stimme in seinen Gedanken, die sich als jene von Sarah Redwood ausgegeben hatte, lenkte jede seiner Bewegungen, als wisse sie genau, wo er gerade steckte. Vielleicht war das auch so, dachte Chuck. Vielleicht beobachtete sie ihn auf irgendeine Weise, sodaß er stets die richtigen Flugbewegungen machte, um nicht gegen einen Kirchturm, einen Sendemast für Handies oder den rötlich schimmernden Schornstein einer Fabrik zu prallen. Irgendwann ließ er Sussex hinter sich, ohne es überhaupt bemerkt zu haben. Unter ihm breitete sich ein großer dichter Wald aus. Er gehörte einst zum alleinigen Besitz des Adels in dieser Gegend und zählte heute zu einem zusammenhängenden Waldgebiet, in dem Forstwirtschaft und Naturschutz gleichberechtigt nebeneinander betrieben wurden. Irgendwann hörte er die Gedankenstimme "Verlangsame und lande!" sagen. Fast auf dem Punkt bremste er seinen Nimbus 2000, den seine Eltern ihm an für sich für das zweite Jahr in Hogwarts vorgekauft hatten, ihn ihm aber nur für die Ferien überlassen hatten und fuhr in einer sich verengenden Bremskurve hinunter auf einen winzigen Durchlaß im sonst sehr dichten Blätterdach der alten Eichen, Buchen, Ulmen und Ahornbäume. Als ausgezeichneter Flieger schlüpfte er ohne einen Blattrand zu streifen genau durch die Lücke im grünen Überdach und landete auf weichem, leicht moderig riechenden Waldboden. Um sich herum lag Stille und Dunkelheit. Nicht einmal die Geräusche bei Nacht wacher Tiere drangen an seine Ohren, die sich vom Flugwind und dem lauten Rauschen, sich im Reisigwerk des Besens brechender Luftströme auf diese vollkommene Stille schmerzhaft umstellten, wie Augen, die von gleißender Helle schlagartig in tiefste Dunkelheit blicken mußten. Als er nach einer halben Minute nichts außer seinem eigenen Atem und Herzschlag hörte, fragte er in Gedanken:

"So, und wo soll ich jetzt hingehen, sogenannte Ahnmutter?"

"Mehr Respekt steht dir an, Sohn meines Geschlechts!" Kam die prompte Antwort der unheimlichen Geistesstimme zurück. "Schreite voran! In der Richtung deiner Nase steht mein altes Haus, meine Heimstatt, der Hort meines Wissens, Aufbewahrungsstätte meiner Habe. Schreite voran, ohne dich zu fürchten! Berühre die Tür und tritt ein, wenn sie dir den Weg freigibt. Tritt ein und suche mich auf! Ich warte auf dich."

"Und wenn ich nicht will?" Fragte Chuck.

"Du wirst kommen. Du wirst deinen Heimweg nimmer finden, wenn du mich nicht aufsuchst", erwiderte die Gedankenstimme. Unvermittelt rührte sich der Flugbesen, den Chuck einstweilen auf den Boden hatte sinken lassen, schnellte neben ihm hoch und schwirrte unaufgefordert davon.

"Heh, halt!" Schrie Chuck und wollte seinem teuren Besen nachrennen. Doch dieser schoß gerade wie ein Wurfspeer zwischen zwei eng beieinander stehenden Bäumen hindurch und verschwand in der dichten Dunkelheit.

"Mist!" Fluchte Chuck laut und fühlte, wie ihm Tränen über die Wange kullerten. Offenbar hatte jemand den Besen verhext, daß er von selbst losflog und irgendwo hinbrauste, wo er nicht an ihn herankam. Er erinnerte sich, daß Harry Potter seinen Superbesen beim Trimagischen Turnier mit einem Zauber gerufen hatte. Doch diesen Zauber konnte Chuck nicht. Er war nun gestrandet in einem finsteren Wald. Das einzige, was ihm geblieben war, war sein Zauberstab und der schwarze Schulumhang, den er trug. Den Zauberstab holte er hervor und machte damit Licht. Der helle dünne Lichtstrahl fiel erst auf seine Schuhe, dann auf den Waldboden vor ihm. Er sah, als er den Lichtstrahl weiter von sich fortrichtete, daß wohl vor kurzem schon jemand hiergewesen sein mußte. Denn einige vom Wind abgebrochene Zweige waren zerbrochen, von einem Tier oder Menschen wohl. Dann sah er Fußabdrücke im leicht bröckeligen waldboden und konnte die Fußabdrücke bis zu einem alten Haus mit grünen Fensterläden verfolgen, das er im engen Bereich des Lichtkegels seines Zauberstabes Stück für Stück abtastete, bis er eine teilbare Tür fand. Das mußte wohl jene Tür sein, durch die er gehen sollte.

Vorsichtig schritt Chuck neben den Fußabdrücken her, die jemand wohl vor wenigen Tagen oder Stunden hinterlassen haben mußte. Ihm wäre Angst und Bange geworden, hätte er gewußt, das dieser Jemand kein geringerer als Lord Voldemort persönlich gewesen war. So dachte er nur an einen Muggel, der das Haus angeschaut und wohl für uninteressant gehalten hatte. Er ging zur Tür, hob die Linke Hand, während er mit dem Licht aus dem Zauberstab den Türrahmen auf versteckte Fallen untersuchte, Giftstachel, die beim Rütteln abgeschossen wurden oder ähnliches. Er wußte ja nicht, daß derlei Vorkehrungen absolut unnötig waren. Zoll für Zoll streckte er die unbewaffnete Hand nach vorne, bis sie den eisernen Türklopfer in Form eines Drachenkopfes berührte. Unvermittelt durchlief ihn ein Kribbeln, wohlig und wundersam zugleich, das ihn beinahe vergessen machte, einen Körper zu besitzen, weil es ihn fast in einen Rausch versetzte. Dann verflog es. Chuck zog mechanisch an dem massiven Klopfer und ließ ihn dumpf dröhnend gegen die Tür zurückschlagen.

Beide Teile der Tür glitten leise knarrend nach innen auf. ein mannshoher, rechteckiger Schlund gähnte ihm entgegen. Chuck roch den Duft alten Holzes, verwitterten Steins und trockenen Strohs. Er hob den rechten Fuß und setzte ihn über die etwa fünf Zoll hohe Türschwelle hinüber ins Innere des Hauses. Wieder durchwogte ihn ein sanftes Kribbeln, wie auf der Haut wimmelnde Ameisen und verursachte ein leises Singen in seinem Kopf, wie das gedämpfte Sommernachtkonzert eines Grillenorchesters. Dann hob er seinen linken Fuß und setzte auch diesen über die Türschwelle. Kaum stand er im Inneren des Hauses, verflog das Kribbeln. Er tat drei Schritte vorwärts, sodaß er an der nach innen geöffneten Tür vorbeikam. Kaum hatte er die Tür passiert, klappte diese mit einem lauten Quietscher zurück und schlug nach dieser Zeit der undurchdringlichen Stille ohrenbetäubend laut zurück in den Rahmen, wo sie sogleich verriegelt wurde. Chuck war nun endgültig ein Gefangener.

Schnell wirbelte der Hogwarts-Schüler herum, richtete seinen immer noch leuchtenden Zauberstab auf die Tür und rief: "Alohomora!" Eigentlich sollte dieser Zauber jede Tür oder jedes verschlossene Fenster aufsperren. Doch außer einer Entladung grüner Funken, die vom türschloß in den Flur explodierte, geschah nichts. Die Tür war zu und würde es wohl auch bleiben.

"Verdammt, du Hexe hast mich in eine Falle gelockt!" Fluchte Chuck laut. Doch wundersamer Weise erfolgte keine Antwort der sonst so allgegenwärtigen Gedankenstimme, die ihn von zu Hause fortgelockt und hier hingeführt hatte. Offenbar hatte die sogenannte Ahnmutter erreicht, was sie wollte, ihren Erben, vielleicht auch nur einen Jungzauberer, in dieses verwunschene Haus zu holen. Denn daß über diesem Haus ein Zauber lag, war Chuck klar, als er die Tür hatte aufschwingen sehen können. Dieses Kribbeln bedeutete wohl, daß etwas mächtiges prüfte, ob er willkommen war. Wahrscheinlich, so vermutete Chuck in Unkenntnis höherer Zauberei, wies die das Haus umgebende Magie alles und jeden zurück, der es zu betreten versuchte. Also war er willkommen. Aber als was war er willkommen? Als Maus in der Falle, Fisch am Haken oder Schwein auf der Schlachtbank? Doch alles half ihm nichts. Er war nun hier. Er wußte auch, daß ein Hilferuf niemanden erreichen würde. Dieser Wald war vielleicht selbst ein verwunschener Ort, wie der Zauberwald Klingsors, des Erzfeindes Merlins. Doch er war nicht Merlin, der berühmteste, mächtigste und weiseste Zauberer Britanniens. Er war nur ein Zauberschüler im zweiten Jahr, der noch längst nicht das wichtigste konnte, um in einem verwunschenen Haus zu bestehen. Sicher, Moody hatte ihm und den anderen viele Flüche und Gegenflüche gezeigt. Doch diese Flüche und Gegenflüche halfen nur im direkten Duell mit bösen Zauberern was. Gegen stationierte Zauber, die an einem Ort fest verankert wurden, halfen nur Selbstschutzzauber, um ihre Kraft zu ertragen. Dennoch faßte Chuck neuen Mut. Er ging davon aus, daß jemand, der als willkommener Besucher erkannt wurde, keiner Gefahr mehr begegnen würde. Doch der Hinweis der unheimlichen Gedankenstimme, Chuck solle seinen Zauberstab mitnehmen, drängte sich in diese hoffnungsvolle Stimmung. Immerhin hatte er seinen Zauberstab gebraucht, um seinen Weg zu erleuchten. Vielleicht gab es im Haus noch Türen, die er mit Alohomora aufsperren konnte.

Als sein Licht auf eine Wand fiel, sah er eine Horde Spinnen, die in wilder Panik wie es schien nach oben ranten und durch winzige Risse im Holz der Fensterrahmen verschwanden. Chuck kam eine dumpfe Ahnung, als er diese winzigen achtbeinigen Geschöpfe sah, wie sie an selbstgesponnenen Fäden hinaufwetzten und flohen. Doch etwas anderes lenkte seine Aufmerksamkeit ab. Denn unvermittelt flammten mehrere Kerzen auf. Das plötzliche Licht tat Chuck in den Augen weh. Er kniff sie zu und öffnete sie langsam und sah schließlich, daß er nicht in einem langen Flur stand, sondern in einem Wohnzimmer, einer Wohnstube eines altehrwürdigen Fachwerkhauses, wie es in den Dörfern früherer Zeiten üblich war. Ein breiter grob geschreinerter Tisch stand mit vier großen Kerzenleuchtern mit jeh zwölf Kerzen voll. Auf dem Tisch stand noch eine große Schüssel, die leer zu sein schien. Sie war aus Ton geformt und trug magische Zeichen, die miteinander verschlungen waren, sodaß sie eine zum Grund hinablaufende Spirale bildeten. Er sah drei Stühle um den Tisch herumstehen, auf denen dicke weiche Kissen ruhten. Dann hörte er etwas, daß ihn schlagartig die Knochen zu Eis erstarren ließ und eine Gänsehaut über seinen Körper ausbreitete:

"Wer da? Komm zu mir! Komm zu mir!"

"Verdammt! Ich bin nicht allein", schoß es Chuck durch den Kopf, als er diese tonlose, bedrohlich zischelnde Stimme hörte. Natürlich war er nicht allein. Immerhin sollte er hier ja Sarah Redwood finden, fiel es ihm ein. Doch diese unheilträchtige Stimme gehörte nicht zu dieser sanften, aber kraftvollen Stimme, die er in seinen Gedanken gehört hatte.

"Nox!" Flüsterte Chuck und löschte das Licht an der Spitze seines Zauberstabes. Dann murmelte er: "Vivideo!" Lea Drake hatte ihm diesen nützlichen Zauber beigebracht. Sie hatte ihn von ihrer Mutter. Damit, so sagte sie, konnte man lebende Wesen sehen, die sich in Dunkelheit, hinter Wänden oder Türen oder unter einem Tarnumhang versteckten. Er richtete den Stab auf den Tisch, auf die Haustür, fand jedoch nichts besonderes vor. Dann deutete er auf eine halb geöffnete Tür in die andere Richtung und sah einen grünlichen Schimmer, wie das Licht von hundert Glühwürmchen, die irgendwo in der dunkelheit des hinter der Wohnstube liegenden Raumes einen Teppich in der Luft gebildet hatten. Chuck wußte, daß dieses Licht die durch den Vivideo-Zauber angeregte Lebensenergie eines lebenden Wesens war. Er wußte auch, daß es sich um ein Tier handeln mußte, weil dieses grüne Licht pulsierte. Bei Pflanzen würde ein dunkleres Grün unbeweglich zu sehen sein, selbst wenn er eines der sich schnell bewegenden Zauberkräuter betrachtete. Doch wenn es ein Tierisches Lebewesen war, mußte es enorm groß sein. Und da wurde die vorhin so dunkle Ahnung zur überdeutlichen Erkenntnis, formte gesehenes und gehörtes zu einem klaren Bild und bildete ein Wort: "Basilisk!"

Natürlich hatte auch Chuck Redwood von den Ereignissen um die Kammer des Schreckens gehört, die ein Jahr vor seiner Einschulung ein zweites Mal nach ihrem Erbauer Salazar Slytherin geöffnet worden war. Auch die Slytherins hatten mitbekommen, daß jenes Grauen, welches die Kammer bewohnt und dort über Jahrhunderte gelauert hatte, ein mächtiges und todbringendes Monster gewesen war, ein Basilisk. Eine über fünfzehn Meter lange Schlange, deren Augen einen tödlichen Blick ausüben konnten, der jedes Lebewesen, das er traf, auf der Stelle umbrachte. Er hatte auch gehört, daß dieses Monster nur deshalb niemanden ernsthaft geschadet hatte, weil jeder es als Spiegelbild oder durch lichtbrechende Dinge gesehen hatte. Draco Malfoy hatte mit einer Mischung aus Bedauern aber auch leichtem Unbehagen getönt, daß leider niemand umgekommen war, weil die Muggelkinder, auf die diese Bestie losgelassen werden sollte, es nie direkt angesehen hatten und "nur" versteinerten, was durch einen Rückverwandlungstrank behoben werden konnte. Als Carol Ridges den Prahlhans gefragt hatte, wer denn die Kammer geöffnet habe, wurde Draco ungewöhnlich ruhig und antwortete nur, daß dies ja geklärt sei. Potter, den Namen betonte er immer voller Abscheu und Verachtung, habe mit seinem "verkommenen Freund" Ron Weasley und dem "Idioten" Gilderoy Lockhart die Kammer betreten und das Monster besiegt, weil Potter die Schlangensprache konnte, was ihm nach Dracos Meinung nicht zustand.

"Ich kann diese vermaledeite Parselsprache auch", entsann sich Chuck. "Deshalb verstehe ich dieses Monster auch. Ich sehe, das es in diesem Flur da hinten lauert. Aber vielleicht wartet es auch unten auf mich, unter dem Fußboden. Die Spinnen fliehen den Basilisken, heißt es im Buch über dunkle Geschöpfe und in dem von Lurch Skamander. Offenbar ist die Kreatur jetzt erst erwacht, sonst wären die nicht so zahlreich hier zurückgeblieben. Wenn diese Sarah recht hat, ist es praktisch, wenn sie sich solch ein langlebiges Ungeheuer als Wachposten hält. Es kann wohl nur von Parselmündern zurückgehalten werden. Aber wie kann ich sicher sein, nicht dem Viech direkt vor die Killeraugen zu laufen? Aber ich muß da hin. Oder ich versuche, die Tür einzurennen, um wieder rauszukommen."

Chuck warf sich herum und rannte mit großem Schwung auf die Haustür zu. Wupp! Irgendwas federndes, unsichtbares prällte ihn keinen Zoll von der Tür entfernt zurück, sodaß er auf einem der Stühle am Tisch landete.

"Komm zu mir!" Zischte es aus der Richtung, in der Chuck das grüne Lebenslicht des Monsters gesehen hatte. Die grauenhafte Stimme klang noch genauso weit entfernt wie zuvor, wie durch dicke Kellerwände gefiltert.

"Mist, die Tür ist magisch gepolstert. Da komme ich nicht mehr raus, solange ich diese Sarah nicht gefunden habe. Aber vielleicht geht's durchs Fenster", dachte Chuck und probierte, eines der Fenster zu öffnen. Doch die Fenster waren wie Teile der Wand fest und unverrückbar. Das Haus hielt ihn gefangen. Wenn er nicht verhungern und verdursten wollte, mußte er in die Höhle des Monsters hinabsteigen.

"Lumos!" Flüsterte Chuck erneut. Knisternd sprühte ein silberner Funken vom Zauberstab, bevor der gewohnte dünne Lichtstrahl wieder erstrahlte. Chuck schnaubte, weil er vergessen hatte, daß er den Vivideo-Zauber erst hätte aufheben müssen. Doch womöglich mußte er ohnehin mit geschlossenen Augen voranschreiten, weil er einem Basilisken nie in die Augen sehen durfte. Wie hatte Harry Potter so ein Monster bloß besiegen können? Hatte ihm jemand besondere Waffen gegeben?

Er verließ die Wohnstube, deren Kerzen unmittelbar erloschen, als er in den langen Flur hinüberwechselte, von dem außer der Wohnstubentür noch drei weitere Türen abzweigten. Er öffnete vorsichtig die linke Tür und fand eine Küche vor, wo auf einem großen Herd ein Kupferkessel ohne Inhalt stand. Gerätschaften zum Kochen und essen hingen und lagen an den Wänden und auf den Regalen herum. Sonst gab es hier nichts, was eine weitere Untersuchung wert sein mochte. Chuck schloß die Tür wieder und öffnete die rechte Tür von der Wohnstube aus gesehen. Dahinter lag ein Schlafzimmer mit einem großen Braunbärenfellbettvorleger, zwei Nachttischen neben einem breiten Himmelbett mit feuerrotem Baldachin, sowie einem großen Nachttopf aus Chinaporzellan mit kunstvoll verziertem Deckel. Alles schien Jahrhunderte hier bereitgelegen zu haben, aber von keinem Hauch Staub berührt, völlig blank und gebrauchsfertig. Wie konnte es angehen, daß dieses Haus diesen Eindruck auf Chuck machte? Gab es vielleicht Zauber, mit denen die Zeit stillstehen oder zumindest sehr viel langsamer verrinnen mochte. Jedenfalls paßte in dieses Schlafzimmer kein Basilisk hinein, was Chuck auch nicht erwartet hatte, da der Vivideo-Zauber ihm das Monster unter dem Boden angezeigt hatte.

Die letzte Tür, die noch zur Verfügung stand, führte in einen großen Vorratsraum hinüber. Als Chuck den Lichtstrahl auf die linke Wand richtete, erschrak er. Es war nicht das todbringende Ungeheuer, dessen Schlangenstimme er gehört hatte, sondern ein über zwei Meter großes Geschöpf, das aus stumpfem grauen Stein gehauen schien. Es bewegte sich sogleich, als der Zauberlichtstrahl auf seinen Körper fiel. Langsam hob es den rechten massigen Fuß und setzte ihn krachend mehr als einen Meter vor sich auf den Boden. Chuck ließ schnell den Lichtstrahl den ganzen Körper hinaufgleiten, bis er das Ungetüm gänzlich gesehen hatte, sein klobiger Leib, die unförmigen Arme, an deren Enden große Hände mit kantigen Fingern saßen, sowie das rechteckig wirkende Gesicht mit dem spitz vorspringenden Unterkiefer und der breiten entenschnabelförmigen Nase und den starr wie aus Glas auf ihn herunterglotzenden Augen, groß wie Äpfel. Dumpf hallte jeder der langsam getanen Schritte des Kolosses durch den Raum, ließ den Holzbohlenboden erzittern.

"Verflucht, eine lebende Statue, offenbar da, um den Raum zu bewachen", schoß es Chuck durch den Sinn. Er richtete den Zauberstab auf das steinerne Ungetüm und rief: "Petrificus Totalus!" Krachend prallte der unsichtbare Zauber gegen das Geschöpf und zersprühte in einer Folge blauer Blitze. Mehr tat sich nicht.

"Verdammt! Wie kann ich ein eigentlich totes Geschöpf stoppen?" Fragte sich Chuck und probierte weitere Flüche aus. Doch sie prallten ab, zerbarsten oder flossen wie Wasser am Leib des grauen Steinwesens herunter. Chuck hatte noch die Möglichkeit, den Raum durch die Tür zu verlassen, durch die er hereingekommen war. Diese Chance nutzte er. Er schnellte aus dem Vorratsraum und warf die Tür zu. Die dumpfen Schritte des steinernen Kolosses verstummten. Offenbar hatte er seinen Zweck erfüllt, den Eindringling zu vertreiben. Dieser würde auch so schnell nicht mehr in diesen Raum vorstoßen. Doch wo ging es zum Keller mit dem schlimmsten, was er in diesem Haus wähnte? Es mußte wohl eine Falltür geben. Chuck bückte sich und erinnerte sich an einen weiteren nützlichen Zauber von Leas Mutter, mit dem man nicht durch Extrazauber verborgene Türen oder Durchgänge auffinden konnte. Er deutete mit dem immer noch leuchtenden Zauberstab auf den Boden und murmelte: "Spectabiliporta!".

Er sah ein blaues Licht, das das Zauberlicht überstrahlte und sich kegelförmig von seinem Zauberstab ausbreitete. Chuck ließ den Lichtkegel vorsichtig vor und zurückwandern. Beim zurückziehen glühte ein Teil des Bodens auf einmal weiß auf. Es war ein Quadrat aus weißem Licht. Knack! Kaum hatte Chuck dieses weiße Licht gesehen, erlosch es mit einem leisen hohen Knacklaut, wie ein brechender Zweig unter einem Fuß. Sofort prüfte Chuck, ob sein Zauberstab noch funktionierte, indem er eine Reihe verschiedener Funken ausschickte. Er freute sich, daß der Stab noch zu gebrauchen war, wunderte sich jedoch, wieso der Türfinder verflogen war, kaum daß der Hogwarts-Schüler das weiße Quadrat, das nun natürlich nicht mehr zu sehen war, entdeckt hatte. Offenbar lag ein schwacher Verbergezauber über der Falltür oder Luke, der wirksam wurde, als der Türfindezauber ihn berührte. Nun, wenn das dazu diente, ihm die Falltür oder Luke zu zeigen, hatte diese eine Sekunde ja gereicht. Chuck entzündete das Zauberlicht, daß mit dem Erlöschen des Türfinders gleich mit ausgegangen war und untersuchte die Stelle, wo die verborgene Tür war. Mit bloßen Augen konnte er nichts erkennen. Er klopfte auf den Boden, bis er es hohl widerhallen hörte. Dann tastete er mit den Fingern den Abschnitt des Fußbodens ab, bis er eine sehr feine aber gleichmäßig verlaufende Fuge fand und folgte dieser Fuge bis er etwas unter den Fingern hatte, das sich spiralförmig anfühlte. Er betrachtete das, was er da erfühlt hatte und erkannte, daß es sich um die in kunstvoller Feinarbeit eingeschnitzte Abbildung einer zusammengerollten Schlange handelte. Wieder etwas, mit dem wohl nur Leute wie Slytherin oder Sarah Redwood etwas anfangen konnten. Er beugte sich über die kaum einen Zentimeter durchmessende Abbildung, betrachtete die winzigen Einbuchtungen der Augen und wisperte etwas: "Gib die Tür frei! Tu dich auf!" Erst klangen seine Worte normal. Doch als er sich zu den Worten vorstellte, wie sich diese Schlange in echt ausmachen mußte, entwich seinem Mund eine Mischung aus Zisch- und Fauchlauten. Unverzüglich erfolgte eine Reaktion.

Die winzige Schlange entrollte sich, streckte sich zur ganzen Länge aus und berührte mit dem Schwanzende die feine Fuge und mit dem Kopf eine Querfuge, die jetzt, wo Chuck mit den Augen fast den Boden berührte, gut genug zu erkennen war. Schnell warf er sich zur Seite. Keine Sekunde zu früh. Denn ohne große Vorwarnung klappte der Teil des Bodens, wo sich Chuck gerade noch befunden hatte, nach unten Weg. Feuchtwarme Luft waberte von unten nach oben, trug den leichten Geruch von nassem Leder oder einer lebendigen Eidechse, die sich mit feuchter Erde besprenkelt hatte, zu ihm herauf.

"Ja, komm zu mir! Ich warte schon auf dich!"

"Du frißt mich bestimmt nicht", schnaubte Chuck entschieden. Dann fragte er sich, wie er sicherstellen konnte, daß der Basilisk nicht zu ihm hochkommen und ihn mit seinen mörderischen Augen ansehen würde. Er stellte sich die große Schlange vor, wie sie im Buch über die Geschöpfe der Düsternis erwähnt wurde und stieß mit lautem Fauchen und Zischen aus:

"Weiche zurück! Lass mich in Ruhe! Sieh mich nicht an! Sieh mich nicht an!"

"Nein", schnaubte es von unten hoch. Chuck vermeinte, bodenlose Enttäuschung in diesem in Parsel gerufenen Wort zu hören. Offenbar war der Basilisk auf ein lange fälliges Abendessen ausgegangen, daß ihm gerade in seiner Sprache gesagt hatte, es in Ruhe zu lassen. Chuck wiederholte die Befehle an die Bestie und hangelte sich mit geschlossenen Augen über den Rand der Falltür, bis seine Beine in den Schacht hinunterbaumelten. Hektisch tasteten die Füße nach Sprossen oder Trittsteinen für einen sicheren Halt. Doch da war nichts. Da lösten sich die Finger des Jungen vom Rand der Falltür, als hätten Greifhaken sie umschlossen und hochgerissen. Mit einem leisen Aufschrei fiel Chuck in die gähnende Dunkelheit hinab. Er hörte noch, wie sich die Falltür über ihm wieder schloß.

__________

Alwin Redwood wußte nicht, was ihn geweckt hatte. Es mochte ein Windstoß gewesen sein, der mit einem nicht ganz geschlossenen Fenster gespielt hatte oder das Knarren des erloschenen und nun langsam zusammenfallenden Restes des Kaminfeuers. Jedenfalls war er von einem Moment zum anderen total wach, als habe ihm jemand einen mit eiskaltem Wasser getränkten Schwamm ins Gesicht gedrückt. Wie ein aufgestöbertes Tier lauschte er in die Dunkelheit seines Schlafzimmers. Doch er vernahm nur die regelmäßigen Atemzüge seiner Frau Miranda. Er wollte sich wieder umdrehen und weiterschlafen, als er aus dem über seinem Zimmer liegenden Kinderzimmer leise Schritte hörte. Chuck war wach? Wieso war der Junge auf? Normalerweise kam es nicht vor, daß Chuck in der Nacht noch mal aufstand. Alwin Redwood beschloß, nach dem Rechten zu sehen und schlüpfte vorsichtig aus dem mit irischen Leinen bezogenen Ehebett. Barfuß ging er zur Tür, öffnete sie lautlos und schlüpfte hindurch. Leise, ganz leise, schritt er im stockdunkeln zu einer Kommode, deren oberste Schublade er behutsam aufzog. In der Schublade lagen sein und Mirandas Zauberstab. Irgendwie hatte er es nie so toll gefunden, Zauberstäbe mit ins Schlafzimmer zu nehmen. Da er auch in der Dunkelheit seinen von Mirandas Zauberstab unterscheiden konnte, fand er den vor dreißig Jahren bei Ollivander gekauften Mahagonistab mit Einhornschweifhaar und schob die Schublade wieder zu.

"Lumos!" Flüsterte er und entzündete den Lichtstrahl am Ende des Zauberstabes. Nun wanderte er zur Holztreppe und ging sie vorsichtig hinauf. Er wußte, wo er knarrende Stufen befürchten mußte und vermied es, auf sie zu treten. So gelangte er auf den Flur eine Etage höher, wo das Kinderzimmer und ein Gästezimmer lagen. Mit gesenktem Kopf unterschritt er die schräg abfallende Decke, die dem Verlauf des direkt darüber errichteten Daches folgte. Er fand Chucks Zimmertür und klopfte leise an. Chuck antwortete: "Bist du es, Pa?"

"Ja, ich bin's Junge", sagte Alwin und öffnete die Tür. Chuck saß auf seinem Bett in seinem Schlafanzug. Die rotbraunen Haare waren zerzaust vom Liegen. Er hielt sich den Magen. Offenbar war ihm unwohl.

"Geht es dir nicht gut, Chuck!" Fragte sein Vater.

"Ich habe mich wohl beim Abendessen übernommen, Pa. Ich bin ein wenig herumgelaufen, habe das Fenster kurz geöffnet und jetzt wieder geschlossen. Vielleicht trinke ich noch was", sagte der Junge im Schlafanzug. Alwin Redwood lächelte mild und sagte: "Ist gut, mein Sohn. Ich hörte dich nur, wie du offenbar das Fenster zugemacht hast."

"Entschuldigung, Pa. Dabei wollte ich eigentlich leise sein", sagte Chuck und gähnte.

"Dann mach's mal gut, Junge. - Was hast du?" Wunderte sich Alwin, als Chuck sich plötzlich über irgendwas erschrak. Ohne Antwort deutete der Junge auf das Fenster. Alwin Redwood fühlte augenblicklich das Würgen einer ungreifbaren Angst, die sich ihm in den Nacken gesetzt hatte. Er sprang zum Fenster und sah hinaus. Was mochte Chuck dermaßen erschreckt haben, daß er ...

Er sah den Bereich vor der Haustür. Dunkle Schatten bewegten sich über den Landerasen für Besenflieger auf die Tür zu, fünf Stück, vermummt in schwarze Kapuzenumhänge mit Masken.

"Um Himmels Willen, Chuck! Die Todesser! Du-weißt-schon-wer kommt zu uns!" Rief Alwin Redwood laut. Dann packte er den Jungen und zerrte ihn hinter sich her. Eine von Kindesbeinen an verinnerlichte Panik hatte von Alwin Redwood Besitz ergriffen und trieb ihn voran. Chuck packte gerade noch ein großes Kissen, das auf dem Bett gelegen hatte und klemmte es sich unter den Arm, bevor der erwachsene Zauberer den Jungen hinauszerrte, die Treppe hinunterbugsierte und noch eine Treppe hinuntertrieb in einen Kellerraum, der mit einer großen schweren Eisentür gesichert war. Ein wink mit dem Zauberstab ließ die Eisentür aufschwingen. Dahinter lag ein Vorratsraum mit Kisten und Kästen.

"Versteck dich gut, Junge. Ich hoffe, wir können uns wiedersehen. Aber wenn der Unnennbare uns überfällt, ist die Hoffnung nicht so groß", keuchte Alwin redwood und schubste den verstört dreinschauenden Jungen in den Kellerraum. Schnell schloß er die Tür, drehte einen Schlüssel mehrmals herum. Der Junge, der nun im Keller saß, wußte, daß dieser schwere Schlüssel mit dem Schloß unter dem Clavunicus-Zauber gestellt worden war, einem mittelschweren Zauber, mit dem Schlösser nur für auf sie abgestimmten Schlüsseln geöffnet werden konnte. Wenn das Schloß geschlossen war, konnte Alohomora die Tür nicht mehr entsperren.

"Dieser mischblütige Gernegroß schickt seine Stiefellecker jetzt schon her", dachte der Junge und machte sich an dem Kissen zu schaffen, das er noch hatte mitnehmen können. Er knöpfte es auf und wühlte in der weichen Wollfüllung, bis er zwei Dinge ergriff, eine verkorkte Trinkflasche und einen sieben Zoll langen Mahagonistab mit Drachenherzfaserkern.

__________

Lucius Malfoy war hundert Meter vor dem Haus der Redwoods appariert. Seine vier Mitstreiter tauchten keine halbe Minute später neben ihm auf. Es war zur Sicherheitsmaßnahme der zaubererweltweit gefürchteten Todesser geworden, nie direkt in ein anzugreifendes Haus zu apparieren. Denn wo sie sich nicht auskannten, konnten sie sofort in eine Falle geraten oder gar voll in eine Apparitionsmauer hineingeraten, die sie unverzüglich zurückwarf und vielleicht an einem noch unangenehmeren Ort absetzte. Zwar hatte ihr aller Herr und Gebieter es schon mehrfach probiert, in ein Haus direkt hineinzuapparieren, doch das hatte ihm nur dann Vorteile eingebracht, wenn er direkt dort ankam, wo seine auserwählten Opfer sich aufhielten. Sonst konnten diese fliehen und durch einen Feuerzauber das Haus anzünden, darauf hoffend, den Unerbittlichen zu erledigen. Also marschierte die Truppe der Todesser aus hundert Metern Entfernung auf das Haus zu. Bei Malfoy war noch Nero Roots, der einst ein berühmter Quidditchspieler für die Wimbledon Woodchucks gewesen war, Nimrod Caligari, der als Erfinder teuflischer Zaubergerätschaften und Totenbeschwörungszauber berüchtigt war, Phosphorus Antonori, der offiziell in der Abteilung für die Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe arbeitete und Ares Melanodactylos, ein vor dreißig Jahren aus Griechenland verbannter Schwarzmagier, der eine sehr feige Natur besaß und sich wie Pettigrew allzu gerne einem höheren Hexer unterordnete. Er hatte nach Voldemorts Machtverlust sofort erkannt, daß er sich verstecken mußte und hatte sich selbst in einen Zauberschlaf versenkt, der damit endete, wenn das dunkle Mal an seinem Arm wieder brannte, was die Rückkehr des Herrn und Meisters bedeutete.

"Zwei von uns brechen durch die Vordertür ein. Zwei andre dringen durch die Hintertür ein. Ich selbst werde durch das Fenster im ersten Stock ins Haus eindringen", teilte Lucius Malfoy seine Angriffstruppe ein. "Und vergesst nicht: Seine Lordschaft will den Vater und den Jungen lebendig haben!"

"Was passiert mit der Mutter?" Fragte Nero Roots.

"Du Unrat mit dem Gedächtnis eines Siebs! Seine Lordschaft will, daß wir jeden überflüssigen töten. Töten, Nero! Ich weiß, was dir vorschwebt, aber das hat er streng verboten", zischte Malfoy seinen Leuten zu. Ihm schlug das Herz bis zum Hals. Angst und Anspannung hatten ihn derartig erregt, daß er Mühe hatte, einen klaren Kopf zu behalten. Das erste Mal würde er offen für Voldemort in einen Kampf ziehen. Würde er diesen Kampf nicht gewinnen, konnte er sterben. Würde er einen Zeugen zurücklassen, der ihn wiedererkannte, würde selbst dieser Einfaltspinsel Cornelius Fudge keine Mühe haben, ihn festsetzen zu lassen. Askaban würde zwar keine Bedrohung mehr sein, aber vielleicht griff das Ministerium zu harten Mitteln, um seine schwindende Macht zu retten.

Wie Malfoy angewiesen hatte, verteilten sich die fünf Todesser vor dem Haus. Roots und Melanodactylos brachen durch die Vordertür ein, indem sie beide gleichzeitig den Reductozauber verwendeten. Im selben Moment barst auch die Hintertür unter einer Doppelsalve von Reducto-Flüchen. Lucius Malfoy raffte seinen schwarzen Umhang so, daß seine Beine sich frei bewegen konnten und turnte an der Ziegelsteinfassade hoch bis zu einem mit schweren Läden verschlossenen Fenster. Er hielt sich mit den Beinen und einer Hand an die Wand gedrückt, zog seinen Zauberstab und öffnete Läden und Fenster mit dem Alohomora-Zauber. Doch als Malfoy mit für sein Alter erstaunlicher Geschmeidigkeit in den hinter dem Fenster liegenden Raum einstieg, schlug ihm ein süßlich-scharfer Geruch entgegen. Redwood hatte dieses Fenster mit einem Abwehrzauber versehen, der eine Wolke betäubenden Dampfes auslöste. Bevor Malfoy's sich versah, drehte sich die Welt vor seinen Augen, rückten alle Geräusche in den Hintergrund, und die Erdanziehung zog ihn unerbittlich zu Boden.

"Ich hätte damit rechnen sollen, daß dieser Lump Wehrzauber kennt", dachte Draco Malfoys Vater noch, bevor sein Bewußtsein schwand..

Unterdes stürmten Nero und Ares das Haus durch die Vordertür, um sofort einen Hagel auf sie zufliegender Holzscheite über sich hereinbrechen zu sehen. Ares wehrte mit seinem Zauberstab die ihm geltenden Prügel und Latten ab, während Nero sich auf Arme und Beine fallen ließ und unter den herumschwirrenden Holzgeschossen hindurchkrabbelte, auf eine Tür zu, die verschlossen war.

"Alwin und Chuck Redwood! Rief Nero. "Kommt freiwillig heraus und folgt uns! Der Herr will euch lebendig!"

"Euer Herr ist nicht meiner!" Rief es magisch verstärkt, so das die Stimme Alwin Redwoods nicht zu orten war.

"Verdammt, wie konnte der kerl wissen, daß wir ...? Autsch!" Schimpfte Ares, weil er einen anfliegenden Holzknüppel zu spät gesehen hatte und einen deftigen Hieb auf die Nase bekam. Winselnd wie ein getretener Hund taumelte der Griechische Schwarzmagier zurück und versuchte, die restlichen Holzscheite, die noch anflogen, so schnell wie möglich abzulenken. Als endlich das Bombardement vorbei war, eilte Melanodactylos mit schmerzverzerrtem Gesicht und rot-blau anschwellender Nase an Nero Vorbei, der sich an der Tür zu schaffen machte. Die Tür ging auf .... und spie einen orangeroten Feuerball aus, dem Nero noch soeben ausweichen konnte. Die Feuerkugel löste sich sofort in Luft auf, als sie ihr Ziel verfehlt hatte.

"Hättest du gern gehabt, aber nicht mit einem Quidditch-Profi", schnaubte Nero gehässig und stürmte den Raum, der außer dem Feuerball wohl nichts und niemanden enthielt, für den es sich gelohnt hätte, einen gleich mit Zauberfeuer zu bewerfen.

"Verdammt, wo sind die denn?" Schnaubte Ares, der eine Tür erreicht hatte. Bevor Nero sah, wo der Kamerad war, ging die Tür schon auf .... und Ares wurde in einen Mantel aus Eis eingeschlossen.

"Also seine Elementarzauber hat dieser Redwood schon gelernt", mußte Nero anerkennen, bevor er mit einem Dehibernitus-Zauber den Eismantel verdampfen ließ. Ares bibberte.

"Pass auf, wenn du 'ne Tür aufreißt, Kamerad! Der Hausherr hat kleine Freundlichkeiten dahinter angebracht. Frage mich nur, wie der die so schnell klarmachen konnte?"

"D-d-dan-k-k-ke, N-n-n..., K-k-kam-m-m-merad", schlotterte Ares, den der Schockgefrierzauber wohl ziemlich heftig unterkühlt hatte. Nero dachte sogar, daß die Zauber töten sollten, wenn sie trafen. Das war an und für sich verboten, aber daß er mit seinen Leuten hier war, war ja auch verboten.

"Du suchst das Erdgeschoß ab. Unser heutiger Führer wird wohl die Etage absuchen, wo er reingegangen ist. Ich nehme mir den Keller vor. Ich komme gegen elementare Zauberfallen besser klar. geh du mit den anderen beiden, wenn die nicht ..."

"Aaaaarg!" Kam ein lauter Schmerzensschrei aus dem hinteren Bereich des Erdgeschosses. Offenbar hatte eine der überraschend häufigen Zauberfallen ein neues Opfer gefunden. Nero rannte los und sah Nimrod Caligari, der soeben in einer dicken Tonschale zu verschwinden drohte, als wäre er ein Standbild.

"Nette Tricks hat der drauf, was Nimrod?" Fragte Nero Schadenfroh. Knirschend schloß sich die Verschalung um Nimrod, der noch nicht einmal seinen Zauberstab hatte ziehen können. "Reliberatus!" Rief nero. Aus seinem Zauberstab schossen grüne Nebelschwaden und hüllten den eingeschlossenen Kameraden ein. Knisternd und knirschend zerbröselte die Tonschale um den Todesser. Dieser erschrak, als die grünen Nebelschwaden um sein Gesicht zirkulierten und jedes Bißchen Stein verzehrten.

"Der Zauber ist für Lebewesen völlig Harmlos", lachte Nero und ließ den grünen Nebel über Nimrod wabern, bis dieser wieder frei war.

"Mann, das wäre fast schiefgelaufen", prustete Caligari. "Dieser Erdklumpen flog mir voll vor die Beine und umschloß mich dann, wobei er sofort aushärtete. Den habe ich nie gelernt."

"Weil du dumme Nuß nur mit Flüchen herumlaboriert hast und nicht mit Elementarmagie wie unser Gastgeber", versetzte Nero sarkastisch und stürzte mit weit ausgreifenden Schritten die Kellertreppe hinunter.

"Kameraden, ich habe ....!" Hörte er Phosphorus Antonori rufen, doch ein Knall ließ ihn verstummen. Nero achtete nicht darauf. Er hatte es satt, seine Kameraden aus den Elementarfallen zu erretten. Er ging davon aus, daß sich die Familie im Keller versteckt hatte.

Antonori öffnete die Tür zum Schlafzimmer. Dort schlug ihm erst ein gleißender Blitz entgegen, der eine Duftschleppe von Ozon hinterließ, was der Todesser jedoch nicht kannte und daher nur als merkwürdigen Geruch ansah. Dann sah er Mr. Redwood, der auf dem Bett saß, den zauberstab in der Hand.

"Die Party ist vorbei, du Held! Der Herr will dich sehen. Komm mit uns!" Rief Antonori. Dann rief er laut, daß er den Vater hatte. Doch er konnte den Ruf nicht vollenden.

"Stupor!" Schnaubte Mr. Redwood. Ein roter Blitz aus dem Zauberstab schockte Phosphorus Antonori.

Ares Melanodactylos und Nimrod Caligari waren nun auf der Hut. So entgingen sie einem Betäubungsdampfangriff aus der Küche, einem weiteren Feuerball aus dem Wohnzimmer und einem Rückschleuderfluch aus dem Arbeitszimmer. Sie stiegen die Treppe hinauf, auch dort mit kleinen Nickligkeiten rechnend. Als sie das Gästezimmer erreichten, daß durch einen Vereisungszauber geschützt war, dem Ares zum Opfer fiel, konnte Nimrod Miranda Redwood unter dem Bett liegen sehen, die ihren Zauberstab ausstreckte, um den Todesser anzugreifen.

"Stupor!" Rief Miranda Redwood laut. "Avada Kedavra!" Rief Caligari gleichzeitig. Der gleißend grüne Todesblitz sirrte durch die Luft, während der rote Schocker knapp unter der Flugbahn des grünen Strahls auf Caligaris Bein zuschnellte. Miranda spürte den sie ereilenden Tod nicht körperlich. für sie hörte einfach alles auf, zu sein. Caligari jedoch bekam den Schocker noch gegen das Schienbein. Das reichte aus, um ihn außer Gefecht zu setzen. Doch das erste Ziel war erreicht. Chuck Redwoods Mutter, eine fürsorgliche, liebenswürdige und immer hilfsbereite Hexe, war dem Zerstörungswillen Voldemorts zum Opfer gefallen. Sie würde nie wieder lachen, nie wieder mit ihrem Sohn singen oder über alte Schulzeiten plaudern, nie wieder ihre Arbeitskollegen freundlich begrüßen, selbst wenn es draußen regnete. Ihr Leben war einfach so ausgelöscht worden, nur weil ein brutaler und von abgrundtiefem Haß berauschter Hexenmeister es beschlossen hatte, der diese Frau nie gekannt hatte und dies wohl auch nie als Vorwand für Gnade gegen sie benutzt hätte, wenn er sie gekannt hätte. Caligari, der Mörder für Voldemort, fiel hinten über und lag neben der eingefrorenen Statue seines Kameraden.

Lucius Malfoy kam nach fünf Minuten wieder zu sich. Offenbar war er schnell genug auf den Boden gesunken, um nicht die volle Ladung des hinterhältigen Betäubungsgases einzuatmen. So robbte er durch das Zimmer, in das er eingestiegen war und öffnete vorsichtig die Tür. Fauchend schwirrte ein Feuerball über ihn hinweg und verpuffte in der Luft, bevor er etwas in Brand stecken konnte.

"Dieser unselige Kerl hat das Haus wirklich gut gesichert. Aber ich kriege ihn noch", schwor sich Malfoy und erhob sich, da er im Flur keine magischen Fallen erwartete. Er lauschte, ob er Kampfgeräusche vernehmen konnte. Doch er hörte nichts. Das irritierte ihn. Sollte denn alles schon vorüber sein? Dann mußte er sehen, daß er wegkam.

Er prüfte alle Türen, löste weitere Fallenzauber aus, die ihn jedoch nicht erwischten, bis er Caligari und Melanodactylos fand. Caligari lag bewußtlos am Boden. Unter dem Bett lag die mit weit aufgerissenen Augen starrende Leiche einer Frau, deren rechter Arm einen Zauberstab ausgestreckt auf Caligari richtete. Der grieche stand total in einen dicken Eispanzer eingeschlossen da. Malfoy löste den Frostpanzer, doch damit schmolz auch Melanodactylos wie ein tauender Schneemann dahin. Der Vereisungszauber hatte ihn zu lange durchdrungen und zu einem echten Eisblock gefroren. Malfoy wandte seinen Blick angeekelt ab, als das Tropfen und Plätschern fleishchfarbener Brühe lauter wurde. Schnell weckte er mit dem Enervate-Zauber seinen Kameraden und zog ihn aus dem Zimmer heraus.

"Was ist mit diesem Griechen?" Fragte Caligari.

"Der Gefrierzauber hat seinen Körper bereits so sehr mit Frost durchsetzt, daß er sich nicht mehr retten ließ", sagte Lucius Malfoy und würgte, weil ein heftiger Brechreiz in ihm aufstieg. Gerade soeben schaffte er es noch, die Übelkeit niederzuringen und mit Nimrod den Flur zu erreichen.

"Phosphorus hat den alten Redwood wohl erwischt", sagte Nimrod zu seinem Anführer.

"Dann müssen wir ihn uns holen. Nero wird den Jungen wohl alleine in seine Gewalt bringen können", stellte Malfoy fest und eilte mit Nimrod die Treppe hinunter, zum Elternschlafzimmer, aus dem gerade Mr. Redwood kam.

"Gib auf, Alwin Redwood, du Muggelfreund! Der Herr will dich lebendig haben. Also komm mit, oder wir werden dich zwingen", sagte Malfoy.

"Aha, der saubere und spendable Herr Malfoy", erkannte Alwin Redwood den Anführer der Bande an der Stimme. "Du willst mich also fangen. Dann versuch es!"

"Du bist einer, wir sind zu viert. Deine Frau ist bereits tot. Es geht nur um dich und deinen Bengel", erwiderte Malfoy mit sich überschlagender Stimme. Wenn er den Kerl nicht fangen konnte, mußten sie ihn töten. Denn sonst könnte Malfoy ernste Probleme bekommen, von denen die mit dem Ministerium die geringsten wären. Voldemort würde ihn als unbrauchbar fallenlassen.

"Miranda!" Rief Alwin, während Malfoy seinen Zauberstab hob.

"Wo ist dein Sohn?" Fragte Malfoy. "Sage es mir, bevor ich dir weh tun muß!"

"Ich habe ihn aus dem Haus gebracht, als ich euch Dreckskerle anrücken sah. Ein magisches Tor hat ihn an einen Ort gebracht, den nur ich erreichen kann. pech für euch", sagte Redwood mit irrsinnigem Tonfall und starrte die beiden Todesser überlegen an.

"Das glaube ich nicht. Du kannst den Jungen nicht so schnell fortgeschafft haben. Du lügst! Crucio!" Rief Malfoy. Doch als er den verbotenen Zauber aufrief, krümmte sich Redwood nicht unter unerträglichen Schmerzen, wie es dieser Fluch sonst bewirkte, sondern stand ruhig da, sah immer noch überlegen aus.

"Das kann es nicht geben! Wie kann er das aushalten, ohne eine Miene zu verziehen?" Wunderte sich Caligari.

"Indem er sich vorbereitet hat, ihr Mörder", erwiderte Redwood. "Ich habe Meganalgeticum-Trank geschluckt, als ich meinen Sohn fortgeschafft habe. Der macht mich gegen diesen Fluch unempfindlich. Ja, wer weiß, wann jemand einen mit diesem Fluch angreifen wird, kann sich so davor schützen. Euer Herr und Vernichter wußte das wohl nicht. Er ist also nicht allwissend und allmächtig."

"Das werden wir erleben, Alwin", meinte Malfoy. "Imperio!" Alwin hörte das Zauberwort und schien schnell etwas zu zerbeißen. Dann zuckte er zusammen. Malfoy spürte wegen der magischen Verbindung, die er zu erzwingen versuchte, wie Wellen des sich zerstreuenden Geistes auch ihn zu übermannen versuchten. Dann kippte Redwood einfach über. "Den Jungen kriegt ihr nicht. Und mich kriegt ihr auch nicht lebendig. Das war dein Fehler, daß du mir das verraten hast, Malfoy!" Röchelte Alwin Redwood. Dann raunte er noch: "Miranda, Chuck, drüben sehen wir uns wieder."

"Ich hasse diese vermaledeiten Helden!" Schrie Malfoy im ersten Wutanfall, als er feststellte, daß Redwood für seinen Herren wertlos geworden war. Tot und bleich lag der Vater von Chuck auf dem Boden. Aus seinem für die letzten Worte halb geöffneten Mund quoll dicker giftiggrüner Nebel.

"Khalikraut", stellte Caligari fest. "Ein sofort wirkendes, durch nur drei Gegengifte zu neutralisierendes Giftkraut aus den Sümpfen Indiens. Normalerweise brennt der Körper wie Feuer, wenn jemand dieses Kraut zerkaut und schluckt. Aber weil dieser Bastard den Schmerzverdrängungstrank geschluckt hat, hat er natürlich nichts gespürt. Der wußte doch, daß wir ihn fangen wollten."

"Halt's Maul!" Schnaubte Malfoy. "Wir müssen den Jungen suchen, sonst droht uns schlimmeres als der Tod dieses Mistkerls."

Nero stand vor der eisernen Kellertür. Er probierte den Alohomora-Zauber. Doch dieser verpuffte wirkungslos. Dann probierte er es mit dem Reducto-Fluch. Dieser prallte laut scheppernd von der Tür ab und schlug krachend ein Loch in die Treppe.

"Der Redwood ist wirklich ein Genie", mußte Nero anerkennen. "Eisen und Edelmetalle sind die einzig wirksamen Hindernisse gegen Flüche oder Träger von Magie. Wenn man es schafft, die mit ihrer elementaren Natur verbundenen Zauber zu wirken, kann eine Eisentür hundertmal stärker halten als gewöhnlich. Aber ich komme da schon rein, auch ohne zu apparieren." Denn genau das wollte er nicht riskieren, voll in eine Zauberfalle hineinzugeraten. Was Redwood bislang aufgeboten hatte, war beachtlich und gefährlich genug gewesen, um es nicht zu ignorieren.

"Reducto!" Rief Nero, zielte aber nicht auf die Tür, sondern auf das Stück Mauerwerk neben der Tür. Tatsächlich barst dieses unter dem heftigen Fluch. Noch mal rief Nero Roots das Zauberwort. Wieder barst ein Stück Mauerwerk. Dann wankte die Tür. Ein drittes Mal rief Nero Roots den Zauberfluch auf und jagte den Reducto-Fluch gegen das Mauerwerk. Nun fiel die Tür um. Auf eine Falle gefaßt warf sich Nero zur Seite. Tatsächlich schossen Blitze, Feuerbälle und Steingeschosse vereint aus dem Kellerraum heraus, drohten, den Todesser zu treffen. Dieser machte sich so flach wie es nur ging, bis der Zauberspuk vorbei war. Sofort sprang Nero in den Kellerraum, der überquoll mit Kisten und Kästen.

"Reparo Portam!" Rief es von irgendwo her. Sogleich flogen alle Splitter und Brocken Mauerstein an ihren Platz und die Tür paßte sich fugenlos wieder ein.

"Chuck Redwood! Komm raus und ergib dich. Ich will dich nicht töten."

"Du meinst, du darfst mich nicht umbringen", kam von allen Seiten eine Antwort. Nero stutzte. Konnte ein Zweitklässler, auch ein Slytherin, diesen nützlichen Zauber beherrschen, der die eigene Stimme so veränderte, daß sie aus allen Richtungen des Raumes erklang, ohne ihren Ursprungsort zu verraten?

"Das kann doch wohl nicht ...", setzte Nero an. Dann hatte er die Lösung. "Vivideo!" Rief er überlegen lächelnd in den Raum und deutete mit dem Zauberstab auf die Kisten. Auf der linken Seite regte sich nichts. Doch als er den Stab nach rechts schwingen ließ, tauchte, eingehüllt in eine grün pulsierende Aura aus hellem Licht, ein Junge auf, dessen rotbraunes Haar leicht zerzaust wirkte.

"Ich werde die Tür gleich wieder aufhaben, Bursche. Zunächst wirst du aber sichergestellt", sagte Nero und deutete mit dem Zauberstab auf den Jungen. Dieser grinste ihn spitzbübisch an. "Dazu mußt du aber erst den Lebensquellanzeiger löschen, sonst könnte es deinen Zauberstab zerfetzen, wenn du mir einen unverzeihlichen Fluch anhängen willst", sagte Chuck Redwood mit überheblichem Tonfall.

"Verdammt, woher weißt du denn ...?"

"Slytherins wissen doch alles über Flüche, Todesser", gab der Junge zur Antwort. Nero nahm diese Antwort einstweilen als ausreichend hin. Er löschte den Lebensquellenanzeiger und richtete den Stab auf Chuck. Er schwankte, ob er ihm den Cruciatus- oder den Imperius-Fluch aufhalsen sollte und entschied sich für letzteren, da dieser den Jungen gefügig machen würde.

"Imperio!" Rief Nero inbrünstig. Der Junge im Nachthemd sah ihn konzentriert an. Jeden Moment rechnete Nero damit, daß sich der Blick trüben, glasig werden würde. Doch wie ein Blitz aus heiterem Himmel fühlte er, wie etwas wie mit einem Gummihammer gegen seine Stirn schlug, darin eindrang und sich bohrend in sein Gehirn fraß, wo es in einer Woge aus großer Erleichterung explodierte, die alle schlechten Gedanken fortfegte. Er sah nur noch die Augen des Jungen, während er in vollkommener Gedankenlosigkeit dahintrieb. Dann hörte er eine Stimme, die eine Mischung aus seiner und der einer fremden Quelle war.

"Füge dich, Nero! Du kannst dich nicht wehren. Du gehörst nun mir. Folge meinen Anweisungen!"

Nero versuchte, sich wieder zu besinnen, doch je heftiger er dies versuchte, desto mehr versank er in der nebelhaften glückseligen Gedankenlosigkeit. Die Stimme, die zu ihm sprach, wurde lauter und zwingender.

"Füge dich, Nero Roots! du bist in meiner Gewalt."

Ohne den Blick von dem Todesser abzuwenden, ließ der Junge, der wohl Chuck Redwood sein mochte, per Zauberstab einige Kisten vor die wieder eingesetzte Tür fliegen, sich dort stapeln. Mit schnellen Bewegungen des Zauberstabes, über die Nero nicht nachdachte, weil ihn Augen und Stimme des Jungen in Bann hielten, wurden die Kisten zu einer Barriere aus Stein, die sich vom Boden bis zur Decke erstreckte.

"Nimm dies und schreibe auf, was ich dir diktiere!" Befahl die unheimliche Stimme im von allen störenden Gedanken leergeräumten Hirn von Nero Roots. Dieser gehorchte und nahm die in Tinte getränkte Feder und den Pergamentzettel. Dann schrieb er automatisch aber in klarer Handschrift, seiner eigenen Handschrift, etwas nieder, reichte wie ein Roboter den Zettel an den Jungen zurück, der ihn auf eine andere Kiste warf, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen. Offenbar kannte der Bursche sich in diesem Keller gut aus. Er holte von der Kiste, hinter der er aufgetaucht war eine verkorkte Flasche, entkorkte diese und gab sie Nero, dem der einfache Befehl "Trink dies!" ins behexte Hirn drang. Nero konnte nicht darüber nachdenken, warum er dieses Zeug hinunterschlucken sollte. Er tat es einfach. Chuck Redwood vor ihm lächelte, hielt jedoch den Blick auf den Todesser gerichtet. Er wartete, bis die Wirkung des verabreichten Gebräus sich eingestellt hatte, nahm die Flasche an sich, verkorkte sie erneut und sagte dann:

"Es ist schade, daß ich dich nicht mitnehmen kann. Meine kleine Base wünscht sich doch so dringend ein Schaukelpferdchen. Aber du wirst hier nötiger gebraucht, um deinen mischblütigen, mordlüsternen Herrn und meister zu unterhalten."

Nero, der durch den auf ihn gerichteten Blick und dessen Wirkung nichts von dem mitbekam, was mit ihm passierte, stand ruhig da. Dann löste sein eigentliches Opfer seinen magischen Blick von ihm und lächelte noch mal überlegen, während es den Zauberstab hob.

Eine Woge von Gedanken füllte die Leere im Gehirn des Todessers. Was war ihm passiert? Wie konnte der Imperius-Fluch auf ihn zurückfallen? Was hatte er getan? Wer war ...?

"Avada Kedavra!" Stieß der Junge mit den rotbraunen Haaren eiskalt lächelnd aus. Alle Fragen, alle wiedergekehrten Gedanken Nero Roots' wurden mit einem gleißend grünen, unheilverheißend durch die Luft sirrenden Blitz ein für alle Mal fortgewischt.

"Ich hasse diese vermaledeiten Helden!" Keifte von oben einer der Todesser. Der Junge, der gerade einen Todesser getötet hatte, grinste schadenfroh. Offenbar hatte sich der alte Redwood lieber getötet als dem Emporkömmling in die Hände zu fallen. Dachte es und verschwand mit einem leisen Plopp.

"... den Keller!" Trieb Malfoy seine verbliebenen Leute an. Sie hatten Antonori geschockt im Schlafzimmer der Redwoods gefunden. Nun standen sie vor der eisernen Kellertür. Lucius Malfoy lächelte kalt, als er den Zauberfinder aufrief und feststellte, daß die ganze Tür in einem hellen goldton schimmerte, als der rot-blaue Lichtkegel aus seinem Zauberstab sie berührte.

"Er hat den Ferrifortissimus-Zauber benutzt, schätze ich. Mit dem Reducto-Fluch können wir die Tür nicht sprengen. Sicherlich wird sie auch dem Alohomora-Zauber widerstehen. Dieser verwünschte Bastard hat bisher gute Sicherungszauber benutzt, die einem von uns zum Verhängnis wurden."

"Wir können es ja mal mit Avada Kedavra probieren", schlug Caligari vor.

"Du Tor. Dieser Fluch würde nicht nur die Tür, sondern den ganzen dahinterliegenden Raum zerfetzen, wenn er wirkt. Aber wer weiß. Vielleicht hält unser dahingegangener Gastgeber ja den Schlüssel in seinem Besitz", erwiderte Malfoy mit seiner schnarrenden schleppenden Stimme und wandte sich nach oben. Phosphorus Antonori und Nimrod Caligari riefen derweil nach ihrem Kameraden Nero Roots.

Tatsächlich fand Lucius Malfoy einen schweren Eisenschlüssel im linken Hosenbein des durch Freitod gestorbenen Hausherren. Damit kehrte er zur Tür zurück und schloß das Schloß auf. Die Tür ging nach Außen auf, nur um eine geschlossene Mauer freizugeben, die wie große Blöcke Granit vor der Türöffnung stand.

"Verflixt, dieser Elementarzirkus geht mir aber langsam auf die Nerven", fluchte Malfoy und testete, ob die Mauer vielleicht Trugwerk war, greifbare Magie, kein echtes Gestein. Doch sie bestand augenscheinlich und auch unter dem Zauberfinder aus festem Gestein und war wohl auch nicht weiter mit Magie angereichert.

"Alle auf drei den Reducto-Fluch!" Kommandierte Lucius Malfoy. "Eins! - Zwei! - Drei! Reducto!"

Drei Reducto-Flüche krachten in die Granitbarriere und brachten sie sogleich zum Einsturz. Staub wehte den Todessern entgegen, die ihre Münder und Nasen mit ihren Umhängen abdeckten, um nichts davon einzuatmen. Als sich der Steinstaub langsam legte, schickte Malfoy Caligari vor. Offenbar gab es keine Zauberfalle in diesem Keller mehr. Das machte Dracos Vater stutzig. Irgendwas paßte hier nicht. Dann mußte ja schon jemand dort drin gewesen sein und die Falle ausgelöst und somit für nachfolgende Leute entschärft haben.

"Kameraden, hier liegt der Junge! Er ist tot! Wahrscheinlich war es Avada Kedavra!" Rief Nimrod Caligari von drinnen. Sofort stürmte Malfoy in den Kellerraum und sah die Vorratskisten und Kästen. Dann fiel sein Blick auf einen Jungen im Schlafanzug. Seine Augen waren nicht so voller Entsetzen, eher total überrascht geöffnet.

"Wo ist Nero?" Fragte Lucius Malfoy, nachdem alle die Jungenleiche begafft hatten, sich fragend, was sie nun ihrem Herrn erzählen sollten.

"Er ist nicht mehr hier", stellte Phosphorus Antonori fest. Dann machte er eine Entdeckung.

"Sieh hier, Lucius! Da liegt ein Pergament."

Lucius nahm das Pergament und überflog, was darauf stand. Sein Gesicht wurde erst noch bleicher als es ohnehin schon war und lief dann puterrot vor unbändiger Wut an. Der erste Anfall, das Pergament zu zerreißen, konnte noch durch einen Gedanken niedergerungen werden. Doch die Wut kochte immer höher.

"Nimm das, Nimrod! Nimm's bevor ich das Ding in meiner Wut zerfetze!" Schnaubte Malfoy durch fast zusammengebissene Zähne. Dann brüllte er wie irrsinnig los: "Dieser hinterhältige, verräterische Drachenmisthaufen!!!!"

"Was sagen wir seiner Lordschaft?" Wagte Phosphorus Antonori eine bange Frage.

"Das der Vater seinen Jungen umgebracht hat und sich dann selbst, weil er wußte, was wir wollten", entschied Malfoy schnell. Im Erfinden von Ausreden und Begründungen, wieso er für Sachen nichts konnte, die er nachweislich getan hatte und damit immer wieder durchkam, war er ein Experte. Doch würde dieses Wissen, diese Erfahrung ihm bei Lord Voldemort helfen? Es war fraglich.

"Was hat der Herr gesagt? Sollen wir unser Zeichen hinterlassen?" Wollte Nimrod wissen, der mit seinem Zauberstab spielte.

"Nein!" Stieß Malfoy aus. "Er hat ausdrücklich verlangt, daß wir uns ohne unser Zeichen zu hinterlassen aus diesem Haus zurückziehen. Sollen die vom Ministerium doch sehen, wie sie damit fertig werden."

"Darf ich vorschlagen, daß wir Vater und Mutter zu dem Jungen in den Keller legen und den dann von innen abschließen, bevor wir disapparieren?" Wandte sich Antonori an Malfoy. Dieser nickte zustimmend. So schafften sie die Leichen von Alwin und Miranda Redwood in den Kellerraum, schlossen von innen die schwere Eisentür und disapparierten. Keine Apparitionsmauer hielt sie zurück. Doch was kommen sollte, graute denen, die sonst zu gerne das Grauen verbreiteten.

__________

Chuck fiel in die Tiefe. Er wußte nicht, wie tief dieser Schacht wirklich war. Doch irgendwann bremste etwas seinen Fall, bis er in der Luft hing. Er dachte zunächst an ein unsichtbares Netz oder dergleichen. Dann begann er sich langsam, um sich selbst zu drehen. Die Drehbewegung verlief nach links herum und wurde immer schneller. Langsam nahm die Anzahl der Eigenumdrehungen zu, erst eine, dann zwei, dann drei Umdrehungen in der Sekunde. Chuck wußte nun mit erschreckender Gewissheit, daß er im Bann eines Drehfeldzaubers hing, einer magischen Falle, die jeden, der in sie geriet immer schneller um die eigene Längsachse wirbeln ließ, bis der Körper von der immer höheren Fliehkraft auseinandergerissen wurde und alle Teile davongeschleudert wurden. Diesem entsetzlichen Schicksal mußte Chuck schnell entrinnen. Zu seinem Glück wußte er auch, wie es ging. Er verkrampfte seine Hand um den Zauberstab und rief mit immer größerer Anstrengung: "Desrotatus! Desrotatus!"

Aus dem Zauberstab schoss eine rote Lichtspirale heraus, die sich um Chuck ausbreitete und merklich die Dreherei abbremste, bis sie vollkommen zum Stillstand kam. Da sackte Chuck noch zwei Meter in die Tiefe und landete auf den Füßen, die nachgaben und ihn nach vorne überfallen ließen. Chuck schlug sich die Oberlippe und die Nase Blutig, als er hinschlug. Doch er beachtete es nicht. Er hatte das mörderische Drehfeld überlebt und noch alle Glieder am Leib und alle Organe unversehrt im Leib.

"Wenn ich wieder nach Hause komme, schreibe ich Lea, daß ihre Tips mir das Leben gerettet haben. Aber nur, wenn ich wieder nach Hause komme."

"Komm zu mir!" Zischelte eine fordernde Stimme aus einem Gang unmittelbar hinter Chuck. Er erschrak. Offenbar hatte es sich das Ungeheuer anders überlegt und wollte doch mal nachsehen, ob es sein Futter nicht doch kriegen konnte, wenn es nicht vom Drehfeld zu Frikassee verarbeitet worden war. Mit Geschlossenen Augen drehte sich Chuck um, stellte sich die gigantische Schlange vor, als die er einen Basilisken beschrieben gefunden hatte und zischte ohne groß nachzudenken eine Antwort, die außer der Mörderschlange nur er in diesem Raum verstand.

"Lass mich in Ruhe! Sieh mich nicht an! Kehre zurück in deinen RuheRaum! Bleib mir vom Leib!"

"Jaaaa!" Schnaubte das Monster unmittelbar vor Chuck. Er atmete tief durch. Offenbar wollte ihm das Biest genau in die Augen sehen, was nicht gelang. Er hatte nun schon zum dritten Mal Glück gehabt. Erst hatte er noch rechtzeitig vor der lebenden Statue den Rückzug geschafft, dann war er dem tückischen Drehfeldzauber entgangen, um dann um Haaresbreite dem Todesblick des Basilisken zu entgehen, der sicherlich großen Hunger hatte und wohl gerne einen jungen Zauberer gefressen hätte. Mit weiteren in Parsel gesprochenen Anweisungen trieb Chuck das Monster vor sich her, bis es in einer weitläufigen Halle ankam, wo es in eine lange Röhre hineinkroch und darin verschwand. Chuck sah zwei große Pfropfen aus mit schmalen Luftschlitzen durchsetztem Granit. Er ahnte, wozu sie dienten und ließ sie mit dem Schwebezauber ansteigen, was nicht so einfach war. Doch irgendwie schaffte er es, die beiden Rohrenden zu verstopfen, ohne dem Basilisken vor die Augen zu kommen. Nun war das Monster einstweilen eingesperrt und konnte ihm nicht unerwartet in den Rücken fallen. Doch statt des Basilisken tauchten nun weitere dieser Steinungetüme auf. Sie bewegten sich etwas gewandter als der Steinerne oben. Chuck glaubte schon, sein letztes Stündchen habe geschlagen, als die über zwei Meter großen Kreaturen auf ihn zustampften, die klobigen Hände mit den kantigen Fingern drohend nach ihm ausgestreckt. Offenbar hatte er durch das Verstopfen der Basiliskenröhre einen magischen Auslöser betätigt, der die Kolosse geweckt hatte. Warum er es tat, wußte Chuck nicht. Vielleicht lag es daran, daß er gerade mit dieser Art zu reden warm geworden war. Er rief in Parsel:

"Ich bin der Erbe der Redwoods. Sarah suche ich, meine Ahnmutter! Ich bin Chuck Redwood, der Erbe von Sarah Redwood.

Die Steinkolosse verharrten zitternd. Dann deutete einer auf eine etwa zwanzig Schritt entfernte Nische im Raum. Chuck überlegte nicht lange, eilte um einen der Steinernen herum und rannte zu der Nische. Auf einmal schossen an die zwanzig Geister aus den Wänden in den Raum hinein, alles Ritter auf Pferden, alle mit ihren Köpfen unter den linken Armen, mit eingelegten Lanzen unter den rechten Armen.

"Bube, versage es dir, was du dort tust!" Rief der Kopf eines Ritters in ziemlich zerfetzter Rüstung. Chuck wandte sich den Geistern zu.

"Wer seid ihr?"

"Wir sind die Schwadron von Sir Hubertus of Dragontooth Castle, dem mächtigsten Widersacher der schwarzen Orden in England. Wir starben bei einer Schlacht gegen einen Drachen des dreizehnten Nachfahren Klingsors des Wütenden. Unser Treueid band uns jedoch über den Tod hinaus, und so wachen wir über alles, was die dunkle Seite an alten oder neuen Streitern hervorbringt. Wir konnten die Ankunft des grauenhaften Voldemort nicht verhindern. Aber wir werden nicht zulassen, daß Sarah, die finstere Fürstin von Redwood erneut in diese Welt tritt. Ergebe er sich und geleite er uns hinaus zum Aufstieg durch die Falltür! Wir werden die steinernen Wächter der Unheilbringerin fernhalten", sagte der abgetrennte Kopf unter dem Arm seines Besitzers. Chuck lachte nur.

"Wenn ihr Voldemort nicht aufhalten konntet, dann werdet ihr es auch bei mir nicht schaffen." Er griff in die linke Innentasche seines Hogwarts-Umhanges. Dort hatte er seit ihrem letzten Einsatz etwas verborgen, das er von einem kauzigen Zaubertrödler in der Winkelgasse gekauft hatte. Eine für Menschenohren unhörbare Trillerpfeife, mit der man Spukwesen wie Geister oder Todesfeen anlocken oder auf Abstand halten konnte, je nachdem, wie man in dieses Instrument hineinblies. Seitdem er damit einmal den blutigen Baron herbeigepfiffen und sich das Gejammere des Geistermädchens Myrte angehört hatte, war ihm die Freude an der Geisterpfeife einstweilen vergangen, weil sie gegen Poltergeister wie Peeves nur so wirkte, daß sie ankamen aber dann auch ihren Schabernack trieben und blieben. Doch hier, wo eine ganze Reiterei von Gespenstern ihn bedrohte, konnte er noch mal auf dieser Pfeife spielen. Er nahm die silberne, kleine Pfeife, setzte sie an und stieß einen kurzen aber heftigen Atemzug in das Mundstück. Er hörte nichts. Doch die ihn bedrängenden Reiter schraken unvermittelt zurück. Einer der Ritter ließ seinen abgehauenen Kopf fallen. Der Ritterhelm fiel herunter und trudelte durch die Luft und die nächste Wand davon.

"Wage er sich dies tun noch einmal und ....Aaauuuurrg!" Schimpfte der verlorengegangene Geisterkopf. Doch Chuck stieß Pfeifton um Pfeifton aus, unhörbar für ihn, doch den Gewesenen auf ihren nicht minder empfindlichen Pferden eine wahre Qual. Die Gespensterpferde wieherten in Panik, stiegen hoch und überschlugen sich dabei mehrfach. Weitere Reiter verloren wortwörtlich ihre Köpfe und galoppierten blindlings durch die Halle, durch die Wände davon. Abgetrennte Köpfe schrien in Qualen, als sie schwerelos schwebend schwankend entschwanden. Noch zehn Mal bließ Chuck in die Geisterpfeife, bis er sich sicher war, daß er jeden Spuk verscheucht hatte.

"Und sonst soll's ein Exorzismus tun", grinste Chuck. Dann trat er an die Nische heran, in der er einen uralt aussehenden Steinsarg, einen Sarkophag, entdeckte. Dieses mächtige und erhabene Gefäß stand wie ein Bett in der Nische, vor der kein Vorhang befestigt war. Doch als Chuck sich dem Steinsarg näherte, wuchs hinter ihm ein Halbkreis aus Stein auf. Er sah, daß in diesen Stein Zeichen eingraviert waren, die er Leas Angaben nach als Geistersperren erkannte. Gespenster konnten durch kein festes Hindernis, das mit solchen Runen beschrieben und den entsprechenden Zaubern belegt worden war. Die Mauer wuchs mit jedem weiteren Schritt nach oben und schloß nahtlos mit der Decke. Nun stand Chuck in der dritten Falle nach dem Haus selbst und dem Raum unter der Falltür. Offenbar war er jedoch am Ziel.

"Tja, und was kommt jetzt?" Fragte er laut und betastete den Sarkophag. Dabei fühlte er, wie das dunkle Gestein, Vulkanfelsen offenbar, warm und sanft unter den Fingern pulsierte, als streichele er ein schlafendes Tier. Dann fand er die Bilder auf dem Deckel. Er beugte sich vor und betrachtete die Bilder.

Er sah eine Frau mit nacktem Oberkörper. Unterleib und Beine waren von einer großen grünen Schlange umwickelt. Rechts neben der Frau stand eine Männergestalt mit einem langen Stab, auf dessen Spitze ein goldenes Sonnenrad gesteckt war. Links von der Frau mit der Schlange stand eine weitere Frauengestalt mit Pausbacken und großen Augen, wohl ein kleines Mädchen. Sie hielt ebenfalls einen Stab in die Höhe, an dessen Ende eine silberne Mondsichel befestigt war. Was sollte diese Darstellung?

"Hmm, Sonne und Mond. Dazwischen eine Frau in der Umschlingung einer Schlange, vielleicht auch eines Basilisken. Das könnte ein magischer Schlüssel sein. Vielleicht gehorcht mir diese Schlange da auch, wie der Schlüssel der Falltür oder die Steinernen, die mit dem Basilisken Wache halten. Aber was ist der richtige Befehl. Soll die Schlange sich nur lang ausstrecken? Oder muß ich Kopf und Schwanzende dieser Schlange einem Symbol, Sonne oder Mond zuführen? Sonne und Mond sind niemals miteinander verbunden. Sie kommen meistens getrennt vor, außer bei einer Sonnenfinsternis. Vielleicht muß ich auf Parsel befehlen, daß die Schlange den Mondstab über den Sonnenstab bringt. Aber nein, das könnte schwierig werden, wenn nur die Schlange sich bewegen kann. Dann muß ich der Schlange einen Befehl geben, der einr Sonnenfinsternis ähnelt. Hmm, probieren wir's aus! Raus komme ich hier eh nicht mehr."

Chuck sah sich das Bild von der Frau mit der Schlange an. Es konnte tatsächlich die Darstellung der Erde zwischen Sonne und Mond sein. Er wußte aus Geschichten seiner Eltern, daß in vielen Ländern ein Gott als Träger der Sonne und eine Göttin als Hüterin des Mondes verehrt wurden. Natürlich! Das junge Mädchen und die ganz schmale Mondsichel. Das Mädchen war die neue Mondgöttin, also der Neumond. Sonnenfinsternisse konnte es nur bei Neumond geben. Und jetzt wußte er, welchen Parselbefehl er der Schlange erteilen mußte.

"Schlange, höre mich!" Wandte er sich in der zischenden und fauchenden Parselsprache an die Schlange um den unteren Körper der Frau. Das Reptil zuckte mit dem Kopf und wandte diesen fast so langsam, daß Chuck glaubte, er müsse noch eine Stunde warten. Doch dann blickten ihn zwei große schwarze Augen an.

"Lege deinen Schwanz so über die silberne Mondsichel, daß sie verschwindet!" Parselte Chuck den nächsten Befehl an die Schlange.

Das Tier streckte seinen Schwanz aus und schob ihn soweit nach oben, daß Füße und Waden der Frauenabbildung deutlich zu sehen waren. Endlich berührte der Schlangenschwanz den Mond und überdeckte ihn. Ein leises Zittern lief durch den Sarkophag. Also stimmte die Überlegung, freute sich Chuck.

"Nun friss die Sonne!" Befahl der Hogwarts-Schüler in Parsel. Die schlange entrollte ihren Körper gänzlich, sodaß Chuck den ganzen, tatsächlich unbekleideten Frauenleib sehen konnte. Er wunderte sich über diese Feinarbeit. Nichts war weggelassen oder überdeckt worden. Doch seine Aufmerksamkeit galt der Schlange, die nun ihr Maul öffnete und die große Sonnenscheibe darin verschwinden ließ, ohne ihr Schwanzende von der Mondsichel zu nehmen. Unvermittelt rumpelte es im Sarkophag. Die nackte Frau räkelte sich wie gerade aufgewacht, verbeugte sich und richtete sich wieder auf. Kaum war sie in ihre Ausgangsstellung zurückgekehrt, knirschte es im Steinsarg. Dann stieg der Deckel auf, senkrecht nach oben, er schwebte hoch und höher, fast bis zur Decke, um dann, nachdem er über Chucks Kopf hinweggeglitten war, langsam eine Seitwärtsrolle zu machen und mit der Deckeloberseite nach unten wie eine Feder sacht herabgleitend zu landen.

Chuck ließ das Licht seines Zauberstabes ins Innere fallen. Er wußte nicht, ob er mit etwas ähnlichem gerechnet hatte, aber der Anblick der großen, offenbar zierlichen Frau mit dem langen weißen Haar, der runzligen Haut und den silbergrauen Augen, die unter einer offenbar leicht gefütterten Leinendecke lag, überraschte ihn nicht. Er war sich nun sicher, alle Hürden richtig gemeistert zu haben. Doch nun fragte er sich, zu welchem Preis er dies getan hatte. Sein Flugbesen war irgendwo, er hatte einen Basilisken in eine enge Röhre eingespert, obwohl er diesem an und für sich als Abendessen dienen sollte und sich mit einer Armee von berittenen Gespenstern verkracht, die ihm bestimmt bei der nächsten Gelegenheit den eigenen Kopf tragefertig abhauen mochten. Tja, und dann war da noch die durch den Weg hierher verdrängte furcht, einer schwarzen Hexe, möglicherweise einer dem dunklen Lord ebenbürtigen Dunkelmagierin den Rückweg ins Leben ermöglicht zu haben. Doch hatte nicht diese ihn mit ihrer Stimme gesteuert? Wollte sie es nicht von ihm? Hatte sie ihm nicht sogar gedroht, er würde qualvoll enden, wenn er sie nicht aufsuchte?

"Guten Morgen, junger Sir. Ich habe nicht gewußt, daß mein Wahrer Erbe männlichen Geschlechts ist", sprach die im Sarkophag liegende Frau mit großmütterlicher Wärme in der Stimme. Chuck sah, daß sie wohl noch sämtliche Zähne im Mund hatte, als sie lächelte, ein für eine so alte Frau schönes, strahlendweißes Lächeln. Schüchtern wandte er den Blick von ihr ab und stammelte: "E-es i-ist d-doch noch mitten in der Nacht, Mylady." Er wußte nicht, ob "Mylady" Wirklich die korrekte Anrede war. Doch dachte er sich, daß er die Fremde so ansprechen sollte.

"Oh, respektvoll ist er auch, mein Nachfahre. Mylady hat mich lange keiner und keine mehr genannt. Aber diese Situation ist doch etwas ungemütlich für dich und mich. Hilfst du mir mal bitte aus dem Sarkophag?"

Chuck war so perplex, daß er ohne groß zu überlegen in die Knie ging und seinen rechten Arm reichte. Den Zauberstab hatte er einstweilen fortgelegt. Er leuchtete ja auch bis zu einer Stunde weiter, wenn ihn kein Zauberer in der Hand hielt, bevor das Licht ausging. Die Bewohnerin des Sarkophags griff sanft aber dann fest nach dem ihr gebotenen Arm, wuchtete sich leise stöhnend aus dem Leinentuch. Chuck schlug seine Augen nieder, als der von hohem Alter gezeichnete nackte Körper der Hexe entblößt wurde.

"Ich muß schon sagen, daß du sehr sittsam erzogen wurdest, daß du einer Dame, selbst deiner eigenen Vorfahrin, nicht auf die unbedeckten Blößen starren willst. Naja, vielleicht biete ich dir auch nicht die Versuchung, die ein hundert Jahre jüngeres Frauenzimmer zu bieten vermag", sagte die weißhaarige Hexe und lachte wohlwollend. Dann stand sie auf und zog Chuck neben sich hoch. Ihn schauderte es, als für einen winzigen Moment sein Körper und ihr Körper sich großflächig berührten. Doch er schluckte dieses Gefühl von unerwünschter Nähe hinunter und sah nicht die Hexe an.

"Leider wirkt der Schlaf der langen Zeiten nur, wenn außer der damit bezauberten Gerätschaften nichts deinen Leib umhüllt, junger Mann. Wie heißt du eigentlich!"

"Wie bitte?!" Fragte Chuck, der bis jetzt gemeint hatte, diese Frau da hätte ihn letzten Nachmittag angelockt und hier in dieses Haus befohlen.

"Moment, ich bin Chuck Redwood, Mylady. Angeblich seid ihr meine Urururgroßmutter."

"Wann bist du geboren, junger Mann?" Fragte die Fremde und bedeckte mit der Decke die gröbsten Blößen ihres Körpers. Chuck verriet ihr perplex, daß er im Jahr 1982 als Sohn von Alwin Redwood geboren worden war, der ein direkter Nachfahre dieser Hexe sein sollte. Der Gedanke, es mit einer finsteren Zaubermeisterin zu tun zu haben, mischte sich mit der Verwunderung, wieso sie, die ihn ja herbefohlen hatte, jetzt nichts mehr von ihm wissen wollte.

"Nun, das mit der Ururgroßmutter stimmt dann wohl. Als ich mein erstes Kind bekam, war ich dreißig, und das letzte bekam ich mit neunzig Jahren. Aus einer dieser Linien wirst du wohl abstammen. Dein Vater heißt Alwin Redwood, sagst du?"

"Genau, Mylady", erwiderte Chuck. Ihm gefiel nicht, was er fühlte, diese Mischung aus Vertrautheit und Unbehagen. Irgendwie stimmte da was nicht.

"Dann werde ich seine Mutter oder seinen Vater noch als kleines Kind in meinen Armen gewiegt haben, bevor ich es für ratsam hielt mich zur Ruhe zu setzen."

"Ihr habt mich hergerufen, Mylady", bemerkte Chuck Redwood schüchtern.

"So, habe ich das? Vielleicht hat dein altes Erbe dich hergeführt. Aber wo ist dein Vater. Ihn hätte das ja auch herführen müssen."

"Ihr habt mich gerufen", sagte Chuck. Dann dachte er schnell nach. Konnte eine Gedankenstimme aus der Ferne eine andere Stimme haben? Wenn nicht, dann konnte diese Hexe ihn nicht herbeigelockt haben, denn ihre Stimme war noch tiefer und schnurrend wie die einer Katze, während die Stimme aus der Ferne sich zwar tief, aber nicht so tief angehört hatte und eher wie das Säuseln eines ruhigen Baches geklungen hatte.

"Ich will nicht sagen, daß ich nicht froh bin, daß du mich endlich geweckt hast. Ich meine, ich hätte noch Jahrhunderte in diesem Schlaf zubringen können und könnte es immer noch. Aber ich werde wohl gebraucht. Erzähl mir von der Zaubererwelt. Was passiert da zurzeit?"

"Ein dunkler Lord, Vol..., öhm, ein ganz böser Zauberer, hat vor zwanzig Jahren nach der Macht gegriffen, war elf Jahre dran und wurde dann bei dem Versuch, einen kleinen Jungen zu töten der Macht beraubt. Doch er ist jetzt wieder da."

"Warum sagst du mir nicht seinen Namen, Ururenkel?"

"Er nennt sich ... Vol-de-mort", quetschte Chuck sehr mühsam heraus. Sarah Redwood lächelte.

"Das ist doch kein wahrer Name. Das ist ein Künstlername, ein Kampfname. Weißt du nicht, wie dieser achso böse Zauberer in Wirklichkeit heißt?" Fragte die Hexe, von der Chuck nicht wußte, ob sie nicht genauso böse wie der Unnennbare war. Der merkwürdig klare Blick ihrer silbergrauen Augen hielt seinen Blick fest.

"Niemand außer den Leuten, die mit ihm durch die Welt ziehen weiß, ob er wirklich Vol..., diesen Namen hat oder sich nur so nennt", gab Chuck beklommen zur Antwort.

"Der muß schon sehr mächtig sein, wenn allein die Nennung seines Namens dir solche Angst macht", stellte Sarah mit breitem Grinsen fest. Chuck errötete und versuchte, sein Gesicht abzuwenden. Doch die Hexe schüttelte den Kopf. "Du wirst mich weiterhin ansehen, solange du mit mir sprichst, Chuck!" Stellte sie mit nun strengerer Stimme fest. So erzählte Chuck ihr weitere Sachen aus der Zaubererwelt, beantwortete die Fragen, die er beantworten konnte und fragte zum Schluß:

"Und Ihr habt mich wirklich nicht hergerufen?"

"Bis der Deckel des magischen Schlafraums angehoben wurde, schlief ich so tief, daß ich nicht einmal weiß, ob ich etwas geträumt habe. Ich fühle mich jedoch sehr munter. Aber wenn du sagst, dich hätte eine magische Gedankenstimme hergeholt, die sich für mich ausgegeben hat, dann glaube ich dir das, Junge. Wer würde sonst auf die Idee kommen, mich aufzusuchen, wenn er oder sie nicht meint, ich wäre von Nöten. Wahrscheinlich hast du die üblen Gerüchte gehört, die man sich über mich erzählt, daß ich eine gemeingefährliche Bestie sei und gerne Leute, die mir nicht behagen ermorde."

"Ich weiß von euch überhaupt nichts, außer daß Ihr wohl Parsel könnt und einmal nach der Macht in der Zaubererwelt gegriffen haben wollt", brachte Chuck leise heraus, als müßte er darauf gefaßt sein, von Sarah Redwood geschlagen zu werden, wenn er etwas unerfreuliches sagte.

"Schön ausgedrückt, Chuck. Ich habe nach der Macht gegriffen", grinste Sarah und schüttelte wieder den Kopf, weil Chuck sein Gesicht abwenden wollte. "Ich habe lediglich versucht, das Unvermögen der Zaubererschaft zu beseitigen und mit Gleichgesinnten eine feste Ordnung zu schaffen, in der wir alle gewußt hätten, wer wo und wozu seinen Platz hat. Das viele Zeitgenossen das als böse ansehen wundert mich nicht, weil viele Angst vor festen Regeln haben und nicht auf ihre Geringfügigkeit angesprochen werden wollen. Freiheit! Ein Schlagwort ohne Substanz. Was für eine Freiheit ist gemeint, wenn sie erlaubt, daß Hexen und Zauberer gezwungen werden sollen, auf die Entfaltung ihrer Macht zu verzichten? Welche Freiheit herrscht vor, wo die Geheimhaltung unserer Welt vor der der Muggel wichtiger ist als die Ausübung unserer Talente. Früher wurden Hexen und Zauberer von Muggeln gejagt, weil ihre Fähigkeiten nicht in das Glaubensbild der Herrschenden paßte. Sie haben unschuldige Leute gefoltert, dabei selbstverständlich Geständnisse erhalten und dann verbrannt oder ertränkt. Deshalb haben einfältige Bürokraten beschlossen, daß wir nicht mehr überall zaubern und hexen dürfen sollen. Was tun die Muggel heute?"

"Die haben Maschinen gebaut, mit denen sie zum Mond fliegen können oder Geräte, die Computer heißen und in einem Kasten mehrere tausend Bücher an Wissen speichern können. Eine Schulfreundin von mir sagte, daß die Muggel aber dafür Kraft brauchen, die durch Dampf in großen Öfen erzeugt wird, wo große Feuer brennen."

"... und unsere Luft verpesten. Also hat sich daran nichts geändert. Offenbar muß ich wirklich wieder hinausgehen, um die Ordnung zu schaffen, die ich für richtig halte."

"Welche Ordnung soll das sein?" Fragte Chuck verhalten

"Eine, die eine feste Größe hat, die alles überwacht, wo nicht mehr karrierewütige Minister oder solche, die es werden wollen, nur einen persönlichen Vorteil suchen, sondern wo eine Gruppe umsichtiger Hexen die Geschicke lenkt."

"Und was passiert mit denen, die sowas nicht wollen?" Fragte Chuck nun aufgeregt, weil ihm jetzt wieder der Gedanke kam, hier jemanden sehr gefährlichen aufgeweckt zu haben und zwischen Angst und Wut schwankte, daß er vielleicht eine dem dunklen Lord gleichwertige Feindin der Zaubererwelt geweckt hatte.

"Das richtige setzt sich immer durch, Ururenkel", sagte die Hexe und warf die Leinendecke wieder von sich. Chuck schrak zurück, als müsse er erblinden, wenn er den nackten Körper der alten Meisterin ansah. Diese ging barfuß vom Sarkophag fort zum linken Ende der steinernen Mauer, die sich um die Nische herum gebildet hatte. Sie hockte sich hin, von Chuck mit voller Absicht nicht beobachtet. Er dachte über die Worte nach, die er gehört hatte. Wenn Sarah ihn nicht selbst gerufen hatte, dann mußte jemand sich für sie ausgegeben haben. Wozu? Was steckte dahinter? Wieso konnte nur ein wahrer Erbe von ihr hier hingelangen? Dann fiel ihm ein, daß diese Frau eine Weltherrschaft anstrebte. Sie mißachtete die Freiheit der Zauberer. Soviel meinte er, verstanden zu haben. Wenn sie dann auch die Geheimhaltung vor den Muggeln ablehnte, hieß dies, daß sie wie Voldemort auch diese unter ihre Herrschaft zwingen wollte. Sie mochte zwar besser reden können, aber sie war nicht anders. Er mußte sie aufhalten. Er griff seinen Zauberstab, der noch leuchtete. Er richtete ihn auf Sarah und zwang sich, nicht wieder die Augen niederzuschlagen. Die ältere Frau vor ihm war kein unschuldiger Mensch, der zerbrechlich und kraftlos war.

"Du wirst mir doch wohl nichts antun, Chuck!" Rief Sarah laut, daß ihre Stimme hohl von dem bis zur Decke reichenden Mauerbogen widerhallte. "Das verbiete ich dir, mich anzugreifen!"

"Sie wollen keine bessere Welt haben, Mrs. Redwood! Sie wollen nur die Herrschaft über alle Menschen! Petrificus Totalus!" Rief Chuck. Er wußte nicht, woher die Hexe auf einmal den Zauberstab hatte, doch als sie eine kurze Gegenformel sprach, sprühte ein Funkenregen um sie herum.

"Diesen Lord Voldemort kann nur aufhalten, wer seine Waffen benutzt, Jungchen. Schade, ich hätte dich sehr gerne mitgenommen, um dich zu überzeugen, daß ich die Zaubererwelt übersichtlicher und damit auch friedlicher machen werde. Aber so wie du dich anstellst, muß ich zunächst einmal alleine hinaus! Stupor!"

Chuck sprang zur Seite. Der Schocker zischte an ihm vorbei und krachte gegen den Mauerbogen. "Expelliarmus!" Rief er. Ein scharlachroter Blitz schnellte aus dem Zauberstab des Jungen und fauchte auf Sarah zu. Diese hielt ihren Zauberstab ausgestreckt und rief wohl eine kurze Gegenformel. Denn als der Entwaffnungszauber bei ihr ankam, prallte er ab und schlug auf Chuck zurück, wie er es bei Lea schon gesehen hatte, als sie einen ihr geltenden Furnunculus-Fluch abgewehrt hatte. Sein Zauberstab wurde ihm mit unbändiger Kraft entrissen, und er verlor die Balance.

"Maneto!" Rief Sarah. Chuck versuchte, sich zu bewegen. Doch etwas hielt ihn fest, sodaß er nicht einmal einen Finger rühren konnte.

"Deine Verwandtschaft mit mir verbietet es mir, dir eine gebührende Strafe zu erteilen, Chuck. Aber du wirst einsehen, daß ich nun, wo du mich wieder in die Welt zurückgeholt hast, nicht wieder von dir an meinem Weg gehindert werden will. Wie gesagt. Ich hätte dich gerne mitgenommen und dir meine Denk- und Sichtweise nähergebracht. Aber du bist zu sehr in den Zwängen deiner Zeitgenossen gefangen, als das ich dir so schnell das wesentliche beibringen kann. Einen Gefallen, den wirst du mir jedoch erweisen müssen, und dann kannst du in Frieden Schlafen."

Chuck schaffte es nicht, sich zu bewegen. Doch er hörte alles klar und deutlich, sah die Hexenlady in ihrer natürlichsten Erscheinungsform vor sich stehen, so um die drei Schritt entfernt. Sie wandte sich um und klopfte mit ihrem Zauberstab an die Mauer. Rums! In weniger als einer Sekunde versank die Mauer wieder im Boden. Sofort schwirrten die berittenen Gespenster heran und gingen auf Sarah los.

"Ihr habt mich damals nicht bezwungen, ihr hirnlosen Gesellen. ihr werdet es auch diesmal nicht schaffen!" Rief die Hexe und deutete mit dem Zauberstab auf sich. Eine Aura aus dichtem roten Licht hüllte sie so gründlich ein, daß jeder Finger und jeder Zeh von diesem roten Schimmer umschlossen war. Eine durchsichtige Geisterlanze schwirrte auf Sarah zu und zerplatzte in einem grellen Blitz an der roten Aura. Ein Gespenst stürmte auf seinem Pferd vor und griff an. Doch unter einem qualvollen Schmerzensschrei glühte der Geist von innen her sonnengelb und genauso hell auf und verschwand. Zwei weiteren Geistern widerfuhr dasselbe Schicksal, bevor sich die Geisterreiter zurückzogen, getrieben von Worten, die weder Parsel noch Englisch gesprochen wurden. Im Schimmer der alles vollständig umschließenden Aura aus rotem Licht ging Sarah aus der Halle hinaus, vorbei an den Steinernen, die starr wie gewöhnliche Statuen dastanden, vorbei an der Röhre mit dem eingesperrten Basilisken, der flehend zischte:

"Gib mich frei, Herrin!"

"Du kommst erst dort heraus, wenn ich dieses Haus verlasse!" parselte Sarah zur Antwort. Dann verließ sie die Halle. Chuck lag auf dem Boden. Er dachte, die Gespenster würden nun zurückkehren und sich an ihm rächen. Doch kein Spukritter tauchte auf. Offenbar hatte die wiedererweckte Hexe einen mächtigen Bann ausgerufen, der diese Halle von Gewesenen freihielt.

"Ich Riesendepp habe mich von einer alten Bundesschwester dieser Hexe herlocken lassen, damit die sich mit dem Unnennbaren um die Macht streiten kann. Mein Vater wird außer sich, wenn er das erfährt", dachte Chuck und mußte unvermittelt weinen, weil er sein Elend erkannte. Er hatte sich als Werkzeug böser Hexen gebrauchen lassen, die ihn nicht mehr freilassen würden. "friedlich schlafen". Was war damit gemeint? Würde Sarah ihn töten?

"Geschähe mir recht, wenn die mich umbringt. Vielleicht können mich diese Geister in ihren Club aufnehmen. Was ist wohl mit den dreien passiert, die in dieses rote Leuchten reingerannt sind?"

"Hunger!" Schnaubte der Basilisk in seinem Gefängnis. "Muß essen!"

"Das könnte ihr auch einfallen", erkannte Chuck mit Entsetzen.

Es vergingen zehn Minuten, bis Sarah, nun gehüllt in einen mitternachtsblauen Umhang mit silbernen Schließen, zurückkehrte. Das Schlangenmonster rief nach Futter. Doch Sarah hieb kurz mit dem Zauberstab in Richtung Steinröhre. Ein wohl schmerzhaftes Brüllen erschütterte die Halle.

"Du kannst fressen, was du willst, nur nicht meinen Ururenkel oder mich", fauchte sie auf Parsel.

"Wie gesagt", fuhr sie in menschlicher Sprache fort, "einen Gefallen mußt du mir noch erweisen, bevor ich dich schlafen lassen kann." Sie stellte eine Schale neben Chucks rechten Arm ab. Er konnte nicht genau sehen, wie sie aussah, doch fühlte er, wie sie genau unter seinem Unterarm bereitgestellt wurde. Dann sah er Sarah mit einem silbernen Dolch in der rechten Hand neben ihn niederknien. Er hätte schreien können. Die wie alles an seinem Körper konnte er weder Stimme noch Zunge regen. Er atmete nur ein und aus. Er fühlte, wie der Ärmel des Umhangs aufgeschlitzt wurde, regelrecht abgetrennt. Der schwarze Stoff wurde fortgeschleudert. Dann fühlte Chuck den brennenden Schmerz eines Schnittes in den Arm. Sarah hielt den Arm über die Schale. Chuck mußte nicht sehen, was passierte. Der Schrecken, sich genau auszumalen, was geschah, reichte ihm aus. Er hörte, wie etwas in die Schale tropfte, in eine andere Flüssigkeit hinein, die langsam zu blubbern und brodeln begann. Er roch etwas wie eine Mischung aus verdorrtem Gras und fauligem Atem, wie den eines Raubtiers. Tropfen für Tropfen fiel in die Schale, lauter und heftiger brodelte das, was darin war.

"Es ist bedauerlich, daß du kein Mädchen bist, Chuck", sagte Sarah mit der großmütterlichen Betonung, die sie bei ihrer Erweckung benutzt hatte. "Dann müßte ich dich nicht so heftig zur Ader lassen. Aber was sein muß, das muß sein. Du wirst mir zugestehen, daß ich in diesem zerbrechlichen Körper nicht gegen einen Mordbuben wie diesen Voldemort kämpfen kann. Ah, gleich stimmt die Mischung." Die letzten Worte hatte sie mit steigender Vorfreude gesprochen. Chuck konnte sich nicht bewegen und mußte sich gefallen lassen, was Sarah Redwood mit ihm anstellte. Dann hörte er, wie das Blubbern und Brodeln in der Schale zu einem köchelnden Gurgeln und Brutzeln wurde. Sarah hob Chucks Arm von der Schale weg, hielt ihren Zauberstab daran und murmelte: "Injuriclausa!" Schlagartig verschwand der brennende Schmerz des Schnitts. Chuck fühlte, wie die unbestimmbar lange Schnittverletzung in Sekunden verheilte. Dann ließ Sarah den Arm des Jungen los, sodaß er auf den Boden sank und liegenblieb. Sie ergriff die Schale. Sie erhob sich vorsichtig. Chuck konnte nun sehen, das es wohl dieselbe Schale war, die auf dem Tisch in der Wohnstube gestanden hatte. Er konnte nur die magischen Zeichen im Inneren nicht sehen, weil dort eine gelblich-grüne Flüssigkeit schimmerte, die gerade aufhörte, zu brodeln. Sarah Redwood setzte die Schale wie einen Trinkkelch an die Lippen und sog gierig den Inhalt in ihren Mund, schluckte und schluckte, bis sie die Schale völlig geleert hatte. Chuck graute es, daß in diesem Elixier etwas von seinem Blut vermischt gewesen sein mußte. Das war barbarisch und zählte bestimmt nicht zu den menschenwürdigen Zaubern.

"Ich danke dir für dein Opfer, Chuck. Du wirst eines Tages erfahren, daß du der Welt damit einen großen Dienst erwiesen hast."

"Die Frau ist irre", schoß es Chuck durch den Kopf, als er die wohlwollend klingende Stimme hörte.

"Nein, ich bin nicht irre, Chuck. Ich weiß genau, was ich tu und warum", erwiderte Sarah, beugte sich zu Chuck hinunter und lächelte ihn an. Chuck erschrak.

"Du mußt dich nicht erschrecken, weil ich mit deinem Lebenssaft auch eine Verbindung zu deinem Bewußtsein zu mir genommen habe. Sieh mich an! Sieh, warum ich dies getan habe!"

Chuck konnte ja nicht anders. Sarah stand so, daß er sie sehen mußte, das lange weiße Haar, die faltige ausgetrocknete Haut, die silbergrauen augen. Doch was war das? Täuschte er sich oder wurden die Haare der alten Hexe immer dunkler, bekam ihre Haut mehr Glanz und wurde glatter? Die Augen der Hexe sahen ihn an, klar wie zuvor. Doch die Falten um die Augen verschwanden, und die Haut bekam einen frischen, rosigen Farbton. Die Haare wurden erst silbernweiß, dann grau, um langsam dunkelbraun zu werden. Überhaupt schien es, daß die alte Hexe in Minutenschnelle jünger wurde. Mit jedem Atemzug fiel wohl ein Jahrzehnt von ihrem Körper ab. Sie schein dabei keinen Schmerz zu empfinden, dachte Chuck.

"Weil ich von deinem Blut genommen habe, Chuck. Deshalb verläuft die Rückverjüngung schmerzlos. Da du aber ein anderes Geschlecht besitzt, dauert es ein wenig länger als üblich. - Nein, du wirst dafür nicht älter. Diese Frühform des Lebensopfers ist schon seit einhundert Jahren überwunden. Der Jugend gehört die Zukunft. Wer wird sich schon die Möglichkeit verbauen, jugendliche Helfer zu vergeuden?"

"Du bist irre, Sarah Redwood!" Rief Chuck in Gedanken, als er die sich immer mehr verjüngende Hexe ansah. Diese lachte.

"Ich weiß genau, was ich mit wem und warum tue, Chuck. Nur weil deine Lehrer der Ansicht sind, immer das Leben eines Menschen über wichtige Entscheidungen und Taten stellen zu müssen, muß das nicht heißen, daß wir, die wir unsere Macht konstruktiv nutzen, grausame und geisteskranke Bestien sind. Nun, dieser Voldemort hat da wohl das falsche Beispiel abgeliefert."

Eine Minute später war von der alten zerbrechlichen Hexe nichts mehr übrig. An ihre Stelle war eine Frau, etwas jünger als Chucks Mutter getreten, die dichtes rotbraunes Haar, volle Lippen, glatte Haut und pralle Brüste besaß, wie Chuck auch durch den Umhang erkennen konnte.

"Was hast du nun vor?" Fragte Chuck in Gedanken. Sarah schüttelte den Kopf.

"Ich habe doch nicht etwa deine Höflichkeit und deinen Respekt verdorben. Nun, ich nehme diesen hinderlichen Zauber von dir. Denk nicht einmal daran, mich anzugreifen. Ich habe lange waffenlose Kampfkunst gelernt. Achso, den Umhang kannst du jetzt eh nicht mehr gebrauchen. Diffindo!"

Mit häßlichem Ratsch riß Chucks Umhang der Länge nach auf, als Sarah ihren Zauberstab über den bewegungsgebannten Erben führte. Der Umhang flog von Zauberkraft fortgerissen von Chucks Körper fort. Dann folgte das Unterzeug des Jungen.

"Removete!" Rief Sarah. Chuck fühlte, wie die merkwürdige Bewegungslosigkeit von ihm wich. Er schnellte hoch, wobei er seine Schuhe und Strümpfe verlor, die wohl mit diesem Zerreißzauber belegt worden waren. Splitternackt stand nun er, Chuck, vor Sarah. Er sprang vor und landete in eine festen Umarmung der Hexe, die seine Arme fest an seinen Körper drückte.

"Ich habe dir doch gesagt, daß ich dir überlegen bin", sprach die nun wieder junge Hexe mit einer tiefen aber glatten Stimme. Chuck versuchte, sie zu beißen, was zwar gegen die Kampfregeln sich prügelnder Jungen war, aber hier nicht mehr beachtet zu werden brauchte. Sarah Redwood stießseinen Kopf mit einer schnellen Armbewegung fort. "Du wirst doch nicht wie ein wildes Tier um dich beißen, Ururenkel?" lachte sie. Dann sichelte sie das rechte Bein von Chuck weg, sodaß Chuck nach hinten überzufallen drohte. Doch Sarah hielt ihn. Chuck versuchte, mit seinem linken Knie in ihren Bauch zu stoßen.

"Du wirst doch einer Frau nicht in den Leib treten wollen?" Empörte sich die Hexe, die diesen Angriff vorhergesehen hatte. "Ich weiß alles, was du versuchen willst. Es ist zwecklos. Du zögerst es nur hinaus, aber nicht lange genug, um dich als Sieger fühlen zu können. Soll ich dich meinem Wächter zum Fraß vorwerfen, weil du so aufsässig bist?"

"Ja, gib ihn mir!" Schnaubte der in der Steinröhre gefangene Basilisk auf parsel. Wieso konnte dieses Biest menschliche Worte verstehen? Doch das war für Chuck unwichtig geworden. Er hatte gegen die offenbar durch das Verjüngungselixier wesentlich stärkere Hexe keine Chance. Er mußte an seinen Zauberstab gelangen. Mit Entsetzen sah er, wie einer der steinernen Kolosse sich danach bückte, ihn aufhob und mit häßlichem Knacken in Stücke zerbrach, als wenn es ein vertrockneter Grashalm wäre.

"Aus!" Dachte Chuck. Seine allerallerletzte Chance zerbröselte in den übermenschlich starken grauen Händen der lebenden Statue. Auch Parsel würde ihm nichts nützen. Denn die Hexe hatte diese Monster geschaffen und unter ihre Kontrolle gezwungen. Aber wollte er sich töten lassen?

"Ich will dich nicht töten, Chuck. Wäre das meine Absicht hätte ich dich im Zustand des Bewegungsbanns töten können oder schon, als ich meinen Zauberstab hervorgeholt habe. Du wirst dich hier in meinen Schlafraum legen und solange schlafen, bis ich oder meine Nachfahren dich wieder aufwecken. Vielleicht komme ich sogar zu dir, wenn ich mein Werk vollendet habe. Vielleicht werbe ich dich auch für meine Schwesternschaft. Die werden sich wundern, daß es mich noch gibt, nach all den dreißig Jahren."

"Schwesternschaft? Das wird wohl nicht gehen, Lady. da habe ich den unpassenden Körper für", entgegnete Chuck.

"Ja, stimmt, diese Nachlässigkeit bei der Entstehung deines Körpers. Aber die kann behoben werden, relativ schmerzlos und angenehm für dich. Aber im Moment bist du für mich noch nicht bereit, deshalb verschieben wir das auf spätere Zeiten", erwiderte Sarah eiskalt lächelnd. Chuck mußte anerkennen, daß die Hexe in ihrer jüngeren Erscheinungsform sehr schön war, mit den langen rotbraunen Haaren, die ihr auf den Rücken herabreichten und dem rosigem Gesicht mit der schmalen Nase.

"Gefalle ich dir? Nun ich denke, wenn ich dich einige Jahre wachsen ließe und dich dann zu uns hole, würdest du genauso aussehen, wenngleich du dann wohl eher auf deine Mutter herauskommen dürftest. Aber nicht heute. Geh zu dem Behälter für den Schlaf der langen Zeiten!"

"Du willst mich nicht umbringen? Wirst du wohl müssen, wenn du mich loswerden willst. Ich lege mich doch nicht in ..."

"Bedauerlicherweise kann ich dir keinen magischen Bann auferlegen, um dir zu befehlen, dich dort hineinzulegen. Aber Wenn du es nicht anders willst", sagte Sarah und winkte mit ihrem Zauberstab. Einer der Steinkolosse stampfte heran, mit weit ausgreifenden Schritten. Er ging auf Chuck zu, packte ihn fest bei den Armen und drehte sie ihm auf den Rücken. Dann schob das steinerne Ungetüm Chuck vorwärts, auf den Sarkophag zu. Der Hogwarts-Schüler hatte keine Möglichkeit, sich dem stahlharten Griff des Steinmenschen zu entreißen. Er wurde an den Rand des Steinsargs gestellt. Die lebende Statue ließ die Arme des Jungen los, nur um ihn locker um die nackten Hüften zu packen, wie einen kleinen Sack Federn anzuheben und ihn mit dem Gesicht nach unten in den weich ausgepolsterten Steinsarg zu werfen. Ein weiterer eiserner Griff des steinernen Wächters drehte Chuck auf den Rücken. Sarah hob die Decke auf, mit der sie zugedeckt gewesen war. Chuck riß den linken Arm hoch, an dessen Handgelenk noch seine Armbanduhr befestigt war. Sarah sah diese und winkte dem Steinernen. Dieser riß ihm die Armbanduhr grob vom Handgelenk und zerquetschte sie laut knirschend in einer Hand. Dann war Sarah Redwood über ihm und legte ihm die weiche Leinendecke über den Leib, vom Kinn bis zu den Zehenspitzen. "Verschließe und berge sicher, was lange schlafen soll!" Rief sie in der Schlangensprache. Der Steinkoloss trat vom Sarkophag zurück, während der vorhin magisch abgehobene Deckel vom Boden aufstieg. Chuck wollte sich wehren, dem Steinbehälter entspringen. Doch die Decke und die Polsterung in diesem Sarg aus Stein hatten sich fest um ihn geschlossen, wohl miteinander verbunden. Der Deckel flog heran, stülpte sich um und legte sich polternd auf den großen steinernen Behälter. Knirschend verband sich Stein mit Stein, erzitterte der Sarkophag kurz. Dann war es still und dunkel um Chuck. Er wollte noch was rufen, den Zauber wieder aufheben. Doch irgendwoher strömte bleierne Müdigkeit in seinen Körper ein, benebelte seine Sinne mehr und mehr. Dann versank er in eine behagliche, lautlose Dunkelheit.

__________

Anthelia hockte auf einem hohen Eichenbaum. Sie trug nicht den weißen Umhang ihrer Schwesternschaft, sondern einen dunkelgrünen Umhang, der sie vortrefflich mit dem dunkelgrünen Blattwerk verschmelzen ließ. Gerade hatte sie Chuck Redwoods Nimbus 2000 mit dem Aufrufezauber zu sich fliegen lassen und beobachtete telepathisch, wie Chuck auf das alte Haus der Sarah Redwood zuging. Sie war es, die ihn am Nachmittag mit einer Gedankenbotschaft angeregt hatte, hierher zu kommen. Sie hatte seinen Flug durch gedankliche Anweisungen gesteuert, den unwilligen Jungen ohne magischen Zwang dazu angehalten, nun in das Haus zu gehen. Sie zog sich aus den Gedanken und Wahrnehmungen Chucks zurück. Denn wenn er in den Bereich des Uniheres-Fluches geriet, würde jede magische Fernbeobachtung für den Beobachter schmerzhaft unmöglich werden. Sie wartete, bis sie in hundert Metern Ferne ein lautes Schlagen von Holz auf Holz hören konnte. Die Tür hatte sich wohl hinter Chuck geschlossen, wie der Uniheres-Fluch es vorsah. Hinter dem Zutrittsberechtigten fiel die Tür sofort wieder zu, wußte Anthelia, die sich mit mächtigen Flüchen auskannte. Nun hieß es warten, bis entweder Chuck herauskam, oder bis der Uniheres-Fluch durch irgendwas aufgehoben würde. Um dies zu überwachen, apparierte Anthelia mit dem Nimbus 2000 des Hogwarts-Schülers einige dutzend Meter vor dem Haus, dort wo ihre Schwester Dana vor einigen Wochen geprüft hatte, ob das Haus zu betreten war. Sie ging auf das Haus zu, holte das Seelenmedaillon Dairons hervor und legte eines der drei Haare, die Patricia Straton vor einigen Tagen in Abwesenheit der Redwoods vom Kamm Chucks mitgebracht hatte, auf den Blutrubin im Zentrum. Sie murmelte ein Zauberwort, wobei sie das Medaillon auf das Haus richtete. Wie eine aufleuchtende Glühbirne leuchtete der Rubin auf, wie ein glutrotes Feuerauge. Anthelia schritt vorwärts, pendelte mit dem Medaillon kurz vor der Tür herum, bis um den Rubin ein orangeroter Lichthof entstand. Sie zog sich wieder vom Haus zurück. Das Medaillon glühte weiter. Sie hatte mit dem Haar Chucks eine magische Verbindung mit dem Fluch um das alte Redwood-Haus hergestellt. Das Medaillon würde nun solange glühen, bis der Besitzer des Haares wieder herauskam oder der Fluch erlosch. So brauchte sie nicht an diesem Ort zu bleiben, denn Magie dieser Größe wirkte über alle räumlichen Entfernungen hinweg. Sie disapparierte hundert Meter vom Redwood-Haus entfernt und traf in einer Zeit, kürzer als ein Lidschlag in ihrem Stützpunkt in Amerika ein. Hier war es noch heller Nachmittag. Die Sommersonne erwärmte die Landschaft um die Daggers-Villa und fiel durch die Fenster des protzigen Wohnzimmers. Dort saß Pandora Straton, Patricia Stratons Mutter, auf einem Sofa und strickte an etwas, das wohl eine Wolldecke werden sollte. Ihr dunkelbraunes Haar hatte sie ordentlich hochgesteckt, und ihre dunkelgrünen Augen richteten sich auf die Anführerin, die gerade zur Wohnzimmertür hereinkam.

"Hast du es geschafft, höchste Schwester?" Fragte Pandora.

"Ja, habe ich, Schwester Pandora. Deine Tochter hat sehr gute Arbeit geleistet. Der Fernruftrank, den ich mit einem der drei Haare brauen konnte, wirkte sehr zuverlässig mit meinen Gaben zusammen. Der Junge wollte zwar nicht so recht, aber er ist noch ein Kind und läßt sich durch die Bedrohung ungewisser Strafen gut im Zaum halten."

"Wann wirst du wissen, ob wir alle in dieses Haus reingehen können?" Fragte Pandora neugierig.

"Wenn die Glut des Medaillons erlischt. Entweder ist Chuck Redwood dann aus dem Haus heraus oder der Fluch verflogen. Ich habe vor der Ankunft des Jungen gesehen, daß schon jemand vor uns versucht hat, in das alte Redwood-Haus zu gelangen. Ich gehe nicht fehl, wenn ich mutmaße, daß der Emporkömmling selbst gewagt hat, gegen den Zauber zu kämpfen."

"Voldemort? Besteht die Möglichkeit, daß der sich Zugang zum Redwood-Haus verschafft hat?" Fragte Pandora etwas erregt.

"Nein, Schwester Pandora. Er mag zwar gewaltige Kräfte sein eigen nennen und bestimmt auch einen großen Vorrat an Lehren und Methoden zusammengerafft haben. Aber gegen den Uniheres-Fluch kann nur bestehen, wer sich eines lebendigen Erben der Person bemächtigt, welche die Magie aufrief. Vielleicht sucht sein Abschaum bereits nach Mitteln, an die Geheimnisse Sarah Redwoods zu gelangen."

"Dies gilt es zu verhindern, höchste Schwester. Denn wenn der Emporkömmling die Arbeit einer heldenhaften Hexe in seine Fänge bekommt, werden alle unsere Ziele unerreichbar, und die wahnsinnige Barbaraei seiner Handlanger bekäme einen unvorstellbaren Auftrieb."

"Er wird nicht in den Besitz eines Erben kommen. Wenn wir wissen, daß wir in das Haus können, wird Alwin Redwood sterben. Mit Chuck werden wir anders verfahren. Es wäre schön, einen Getreuen in Hogwarts zu haben, wie der Spender meines neuen Körpers es war. Es dürfte nicht zu schwer sein, ihn gefügig zu machen, wie es mir auch mit dem Unfähigen Ben Calder gelang."

"Wenn jedoch in Sarah Redwoods altem Haus tödliche Gefahren lauern könnte Chuck sterben, bevor er etwas schafft, das den Fluch aufhebt", wandte Pandora vorsichtig sprechend ein.

"Eben deshalb muß Alwin Redwood solange am Leben bleiben, bis wir die Gewißheit haben, ob wir Sarah Redwoods Haus betreten können oder nicht", stellte Anthelia klar.

"Izanami hat mir, als du abgereist warst, eine Liste mit neuen Bundesschwestern überbracht, die in den nächsten Tagen von dir geprüft werden möchten", benachrichtigte Pandora ihre Anführerin. Diese lächelte.

"Sie leistet viel im alten Kaiserreich, welches schon Jahrtausende währt. Ich werde mich ihr irgendwie erkenntlich zeigen müssen", sagte Anthelia.

"Sie begehrt doch nach einem Gefährten, um endlich Mutter zu werden", wußte Pandora. Anthelia nickte.

"Diese ihre Wünsche sind mir vertraut, Schwester Pandora. Es wäre ein angemessenes Geschenk, ihrer Natur zu erlauben, neues Leben zu schaffen. Ich selber habe ja nie eigene Kinder gehabt, pandora. Dennoch weiß ich, daß ich auch einmal an die Verlängerung meiner Blutlinie denken muß. Tante Sardonia hat ja gerne neue Kinder empfangen, geboren und aufgezogen. Ich wundere mich, daß von denen nie wieder eines das alte Erbrecht einzufordern ausging."

"Sardonias Kinder wurden nach ihrem Tod gejagt und getötet. Die Angst vor ihrem Erbe war größer als die Skrupel, unschuldige Hexen und Zauberer zu töten", wußte Pandora. Als wenn sie einen Befehl bekommen hätte, zog sie ihren Zauberstab unter ihrem Umhang hervor und richtete ihn auf die Wohnzimmertür. "Accio Dokumentenmappe!" Rief sie. Keine Sekunde später schwirrte eine mit zwei riemen zugebundene Ledermappe durch die Tür. Pandora fing sie mit der freien Hand aus der Luft und legte sie vor Anthelia auf den Tisch.

"Ich war mir sicher, daß du diese Dinge selber nachlesen möchtest. Bevor ich mit dir in Verbindung trat, höchste Schwester, sammelte ich Dokumente über die größten Hexen der Zaubereigeschichte und ihre Nachfahren. Natürlich mußte ich dies heimlich tun, um nicht den Verdacht übereifriger Ministeriumszauberer zu erregen. Ich überlasse dir diese Sammlung, Höchste Schwester."

"Ich danke dir, Schwester Pandora", sagte Anthelia wohlwollend lächelnd.

Die nächsten Minuten verbrachten die beiden dunklen Schwestern schweigend. pandora strickte an ihrer Wolldecke, Anthelia las die alten Pergamente. Irgendwann öffnete sich die Wohnzimmertür und ein Junge in einem viel zu großen weißen Kapuzenumhang betrat das Zimmer. Es war Chuck Redwood. Er schien sichtlich aufgeregt zu sein, die beiden Hexen zu treffen. Doch dann flog ein bösartiges Grinsen über die Gesichtszüge des Hogwarts-Schülers.

"Wieso bist du wieder hier? Ich dachte, du solltest die Abwesenheit dieses Jungen verbergen und auf unsere Nachricht warten", herrschte Pandora den Jungen an. Dieser sah in die dunkelgrünen Augen der amerikanischen Dunkelhexe und erwiderte:

"Der Emporkömmling hat fünf Wasserträger ausgeschickt, sich Alwin Redwood und den Jungen zu holen. Dieser arrogante Schnösel Lucius Malfoy führte die Räuberbande an, die in das Haus einbrach. Zum Glück war der alte Redwood erwacht, als ich das Fenster geschlossen habe und konnte von mir gewarnt werden. Er hat den Zauber Armata Mansio aufgerufen, den er wohl für diesen Fall vorbereitet hatte. Es war amüsant, mit welcher Kreativität der Muggelkundler jeden Raum mit elementaren Zauberfallen .... Auuu, die Stunde ist uuum!"

Irgendwie mußte dem Jungen mit dem rotbraunen Haar etwas die Eingeweide durchwalgen, so sah es für eine Sekunde aus. Dann begann sich das Gesicht des Hogwarts-Schülers zu verändern. Die Wangenknochen glitten langsam nach oben, die hellgrünen Augen bekamen einen immer dunkleren Farbton und einen leichten Graustich, und der rote Anteil im Haar verdunkelte sich zu einem Braunton, wie ihn auch Pandora ihr eigen nannte. Das Haar wuchs von kurz bis hüftlang an. Ebenso wuchs der Körper. Die Beine wurden länger, die Arme zierlicher, aber auch länger, und unter dem Umhang wölbten sich zwei Brüste. Das schmale Becken wurde von unsichtbarer Kraft in die Breite gezogen, was für die Person, die diese Veränderung erfuhr, offenbar schmerzhaft war. Nach dreißig Sekunden saß auf dem Stuhl, auf dem ein Junge wie Chuck Redwood aus dem Gesicht geschnitten gesessen hatte, eine junge Frau, die sehr große Ähnlichkeit mit Pandora Straton hatte, nur eben einige Jahre jünger war und einen leichten Grauton in der dunkelgrünen Augenfarbe besaß. Es war Patricia Straton, der Stolz Pandoras, Tochter und Bundesschwester der dunklen Hexe. Keuchend rang sie um Atem, offenbar um eine Welle unangenehmer Schmerzen zu verarbeiten. Dann sagte sie mit ihrer natürlichen, wohlklingenden Stimme:

"Oh, wie erniedrigend ist es doch, wenn sich eine erwachsene Hexe in einen halbwüchsigen Jungen verwandeln muß. Wenn ich nicht wüßte, wie wichtig dies für unsere Sache war, würde ich es als Demütigung betrachten, höchste Schwester. Aber ich wollte meiner Mutter und Schwester weiterberichten. Also dieser Schnösel Malfoy brach mit seinen Spießgesellen in Redwoods Haus ein. Der Alte sperrte mich in einen magisch gesicherten Keller ein. Er dachte nicht daran, daß ich nicht sein Sohn sei. Dann wollte er seine Frau verstecken. Doch dazu war keine Zeit. Gut, daß ich noch meinen Zauberstab und den angerührten Vorrat des Tranks mitgenommen hatte. Ich verfolgte mit Ohren und Telepathie, wie die sogenannten Todesser mit den elementaren Zauberfallen kämpften. Einige hätte es fast dabei aus der Welt gefegt." Patricia lächelte kalt und abschätzig. "Nun, einen hat es dann auch wirkich erwischt. Der Vereisungsfluch hat ihn getroffen und zu einem vollständigen Eisblock gefroren. Einer von Voldemorts Erfüllungsgehilfen tötete Miranda Redwood, wurde dabei aber wohl von ihrem letzten Zauber, dem Schocker, getroffen. Der ehemalige Hüter der Wimbledon Woodchucks, einer wohl nicht unbedeutenden Quidditchmannschaft, der wohl zu den mittleren Handlangern des Emporkömmlings zählt, stöberte mich in dieser erniedrigenden Gestalt in dem Kellerraum auf. Er umging den Ferrifortissimus-Zauber, mit dem die eiserne Tür verstärkt worden war, indem er einfach die Mauer daneben wegsprengte. Er kam zu mir und befahl mir, mit ihm mitzugehen, weil "der Herr" mich und meinen Vater sehen wollte. Ich hatte mich versteckt gehalten, bis er mich durch einen Vivideo-Zauber sowieso gefunden hätte. Dann meinte er, mich unter den Imperius nehmen zu können und erlebte die größte und letzte Überraschung seines verschwendeten Lebens." Patricia machte eine Pause, um die Vorstellung wirken zu lassen. pandora lächelte ebenfalls überlegen und zwinkerte ihrer Tochter zu. Anthelia sah ebenfalls schadenfroh aus. Beide Hexen waren außer Patricia die einzigen, die von der Fortideflektor-Gabe wußten, mit der Patricia einen ihr geltenden Imperius-Fluch auf dessen urheber zurückwerfen und diesen dann ihrem Willen unterwerfen konnte.

"Was hast du dem Schwein befohlen?" Fragte Pandora immer noch bösartig lächelnd.

"Was schon, Mutter und Schwester? Ich habe ihm den Rest des Tranks verabreicht, weil ich den sowieso nicht mehr brauchte, nachdem klar war, daß Alwin Redwood sterben mußte. Dann habe ich ihn mit dem Todesfluch in dieser erniedrigenden Gestalt aus der Welt geschafft. Alwin Redwood wollte nicht mit Malfoy und den anderen Kerlen mitkommen und hat sich das Khalikraut verabreicht, von dem mir Blossom Verdant doch berichtet hat, daß es in Thorntails unter Verschluß im Gewächshaus 0 kultiviert wird."

"Alwin Redwood ist tot? Dann hängt jetzt alles von dem Jungen ab, der dir ohne es zu wissen seinen Körper geliehen hat", sagte Pandora.

"Ich werde mich mal bei ihm revanchieren, wenn meine Natur wieder ihren Tribut fordert, Mutter und Schwester", erwiderte Patricia schnippisch. Beide Hexen schienen die Anwesenheit ihrer höchsten Bundesschwester nicht mehr zu bemerken. Diese ließ sie gewähren. Dann, als beide Straton-Hexen schwiegen, sagte Anthelia:

"Ich hoffe ernsthaft, daß der Junge uns den Weg zu Sarah Redwoods altem Wissen freiräumen kann. Scheitert er, werde ich diesem irren Schlagetot Voldemort das Inferno auf Erden bereiten." Als sie dies Sagte, sah sie sehr zornig drein. "Sicher, wenn Chuck erfolgreich ist, wäre Alwin Redwood eh gestorben. Aber so hat dieser zerstörungswütige Berserker uns vielleicht einen schweren Schlag versetzt, ohne es überhaupt zu wissen. Doch planen wir für den Fall, daß wir auch ohne das Wissen der ehemaligen Führerin der Nachtfraktionärinnen auskommen werden! Um den Emporkömmling können wir uns kümmern, wenn er im Rausch seiner Vernichtungswut versäumt, besser auf sich acht zu geben."

Die nächste Zeit im Wohnzimmer der alten Daggers-Villa verging damit, daß sie sich über die weiteren Pläne beratschlagten, wie das Netz der schwarzen Spinne, ihr Orden dunkler Hexen, vervollständigt werden sollte. Das Seelenmedaillon glühte derweil im Zentrum rot und darum orange. Doch nach einer geraumen Weile, Pandora wußte nicht wann, erlosch die Glut des Medaillons.

"Er ist wieder heraus oder der Fluch erloschen!" Rief Anthelia begeistert. Sie winkte Pandora und Patricia, ihr nach England zu folgen. Keine zehn Sekunden später disapparierten sie.

_________

Lucius Malfoy, der Mann, der sich über allen Dingen zu thronen wähnte, hatte Angst, mordsmäßige Angst. Er hatte den Auftrag seines Herrn und Meisters nicht erfüllen können. Ihm war weder Alwin, noch Chuck Redwood lebendig in die Hände gefallen. Der Uniheres-Fluch konnte jedoch nicht getäuscht werden. Körper und Geist des wahren Erben mußten eine Einheit bilden und durch die Barriere gehen. Ein Verwandlungstrick reichte da nicht hin. Außerdem war Nero Roots verschwunden. Was hatte diesen alten Draufgänger dazu getrieben, offen gegen den Lord, den größten Zauberer der Welt, aufzubegehren. Das würde ihm das Leben kosten, denn Lord Voldemort strafte seine Feinde hart und gnadenlos. Doch er, Lucius Malfoy, war der Führer des Ergreifungskommandos gewesen. Er trug die Verantwortung für dieses Mißgeschick. Immerhin hatte er Nero wegen seiner Kenntnisse der elementaren Zauberei mitgenommen. Auch die zwei anderen, die mit ihm das Redwood-Familienhaus verlassen hatten, wußten um die Gefahr, ihrem Kameraden Ares Melanodactylos in den Tod nachzufolgen, wenn der dunkle Lord einen unbezähmbaren Wutanfall haben sollte.

Auf dem alten Friedhof apparierten drei leicht schlotternde Todesser. Sie waren alleine. Kein anderer ihres schwarzen Ordens war hier, bis auf ihn, dem grausamen Hexenmeister selbst, der wie ein König auf einem Thron auf dem Grabstein Tom Riddles saß. Malfoy war sich sicher, daß dies vielleicht die letzten Minuten seines Lebens sein mochten. Er fragte sich, ob es nicht doch ein Fehler gewesen war, sich Voldemort anzuschließen, zumal der doch auch kein reinblütiger Zauberer war. Doch vielleicht funktionierte seine Ausrede ja doch, die er sich bereitgelegt hatte.

"Lucius. Ihr seid nur zu dritt zurückgekehrt. Wo sind Alwin Redwood oder sein Sohn?"

"Oh Herr, es ist etwas schreckliches passiert. Der alte Redwood wußte davon, daß wir kommen wollten und hat Vorkehrungen getroffen, um sich zu verteidigen. Dabei starb Ares Melanodactylos in einem Vereisungsfluch. Wir kämpften uns bis zum Keller durch. Dort fanden wir den Vater, die Mutter und den Jungen. Die Mutter töteten wir. Der Junge war bereits tot, versteckt vom eigenen Vater. Offenbar hat er geahnt, daß wir ihn wegen seiner Herkunft wegen mitnehmen wollten. Er kaute das Khalikraut, als wir ihn fanden. Wir konnten ihn nicht retten."

"Wieso habt ihr Idioten nicht den Schockzauber gegen ihn verwendet, bevor er dieses Giftkraut schlucken konnte", herrschte Voldemort Lucius und die beiden anderen an. Dann hob er den Zauberstab. "Wo ist Nero Roots? Ist er auch in diesen Zauberfallen gestorben, von denen du faselst, Lucius?"

"Er ist einfach verschwunden. Vielleicht hat er den Jungen auch getötet, nicht der Vater", spielte Malfoy einen Trumpf aus. Sicher konnte sich niemand vorstellen, daß ein Vater seinen eigenen Sohn töten würde, nur um ihn zu retten. Eher würde dieser sich selbst opfern.

"wie kommst du darauf, Lucius?" Fragte Voldemort mit lauerndem Unterton und fixierte den bleichgesichtigen Zauberer mit dem silberblonden Haar so, als könne er in ihn hineinsehen.

"Wir haben das hier gefunden", sagte Malfoy und zog vorsichtig einen Pergamentzettel aus seinem Umhang. Er ging mit gesenktem Kopf und trippelnden Schritten zum Grabstein Tom Riddles hinüber und übergab dem schwarzen Lord den Zettel. Als er sich zurückziehen wollte, gebot ihm der Hexenmeister der Dunkelheit, bloß stehen zu bleiben. Dann las er mit kalter hoher Stimme laut vor, was auf dem Pergamentzettel stand:

"An euch, meine sogenannten Kameraden. Ich habe den Jungen bei mir. Aber ich werde ihn nicht an euch ausliefern. Was der Lord will, ist zu grausam. Ich bringe den Jungen um, um ihm Qualen zu ersparen. Auf nimmer wiedersehen! Nero Roots."

Im Verlauf des Vorlesens steigerte sich Voldemorts Wut zu einem unberechenbaren Haß. Die Stimme wurde rauh und schneidend. Dann hielt Voldemort den Zettel vor seinen Zauberstab und bellte: "Scriptorvista!" in die Nacht. Ein flimmerndes blaues Licht durchdrang das Pergament und breitete sich dahinter zu einer Kugel aus, die heller und größer wurde, bis sie sich zur räumlichen, jedoch nichtstofflichen Abbildung von Nero Roots veränderte, die für zehn Sekunden erhalten blieb, bis der Zauber verflog.

"Er hat dies tatsächlich geschrieben!" Heulte Voldemort wutschäumend. "Der Kerl hat mir den Jungen vor der Nase weggeflucht? Das will ich sehen. Und wehe, ihr habt mich belogen! Bleibt hier, bis ich wiederkomme!"

Mit einem kaum vernehmbaren Plopp disapparierte der schwarze Hexenmeister. Keine zehn Minuten Später tauchte er wieder auf, wütend dreinschauend.

"Sie sind tatsächlich alle tot. Nero Roots ist verschwunden. Aber ich werde ihn kriegen. Niemand betrügt und verhöhnt Lord Voldemort und überlebt das!" Der dunkle Lord trat zu Lucius Malfoy und legte seinen langen weißen Finger auf das auf Malfoys linkem Unterarm eingebrannte dunkle Mal, das sofort pechschwarz anlief. Malfoy schrie kurz auf, als Voldemort das Brandzeichen berührte und rief: "Nero Roots! Wo du auch bist, erscheine sofort vor mir!"

Das ganze dauerte eine Minute. Doch Nero Roots kam nicht wie befohlen. Lucius linker Arm war krebsrot angeschwollen, so sehr hatte die Berührung des dunklen Mals ihn gepeinigt.

"Das gibt es nicht. Er kann sich dem Ruf nicht entziehen, ohne höllische Qualen zu erleiden. Das kann nicht sein!" Stieß Voldemort immer wieder aus. Seine roten Augen flackerten irrsinnig. "Wo ist dieser verfluchte degenerierte Feigling? Ich werde ihn kriegen und dann in der Luft zerreißen!" Schrie der wütende Dunkelmagier und tobte über den Friedhof. Zwischendurch schleuderte er Flüche gegen die drei Todesser. Malfoy, dem Anführer und damit Hauptverantwortlichen, versetzte der dunkle Lord den Cruciatus-Fluch. Eine volle Minute schrie Malfoy vor unvorstellbaren Schmerzen, bis ihn der Lord wieder freigab. Nimrod Caligari verpaßte er einen Hexenschuß, der ihn qualvoll zusammenkrümmte. Phosphorus Antonori fing sich einen Schneckenspeifluch ein, sodaß er jedesmal, wenn er den Mund auftat, große, schleimige Schnecken auswürgen mußte.

"Ich werde ihn jagen und erlegen! Erlegen werde ich ihn!!" Kreischte Voldemort seine unstillbare Wut heraus. Mit einem Reducto-Fluch fegte er einen Marmorengel von einem Grab herunter, hexte einem Busch einen Verwelkungsfluch an, sodaß dieser innerhalb von Sekunden sämtliche Blätter abwarf und fällte einen Baum fünfzig Meter von sich fort mit Avada Kedavra, dem tödlichen Fluch. Als er endlich merkte, daß seine Tobsucht ihm nicht weiterhalf, keuchte er: "Ab morgen suchen alle treuen Todesser diesen Bastard. Wenn ihr ihn habt, schockt ihn! Laßt ihm nicht den Ausweg, sich selbst zu töten. Ich will ihn hier und lebendig haben, um an ihm allen, die meinen, meinen Willen mißachten zu dürfen, ein unvergessliches Exempel zu statuieren."

"Er kann in der ganzen Welt sein, eure Lordschaft!" winselte Malfoy.

"Dann sucht ihr ihn in der ganzen Welt", schnaubte Voldemort verächtlich. "Ihr werdet ihn finden, bevor eine Woche verstrichen ist. Wenn nicht, werde ich euch alle bestrafen", stellte der Meister der bösen Zauberer unmißverständlich klar.

__________

In England war es noch immer dunkle Nacht. Immer noch verdeckten dichte Wolken den Himmel und verbargen Mond und Sterne. Anthelia, Pandora und Patricia apparierten keine hundert Meter vom alten Redwood-Haus entfernt. Die Führerin der dunklen Schwesternschaft der Spinne hob ihren silbriggrauen Zauberstab, der ihr eine große Macht verlieh und murmelte einen altkeltischen Fluchenthüller. Sofort glühte um das Haus eine silbernweiße Lichtwolke, wie über das Haus vergossenes Mondlicht. Sie schüttelte kurz den Kopf, weil sie nicht begriff, wieso dieses Licht erschien. Sie hob den Fluchenthüller auf und wandte sich an ihre beiden Bundesschwestern.

"Der Uniheres-Fluch ist immer noch wirksam. Also kann nur Chuck Redwood wieder aus dem Haus gekommen sein. Doch ich spüre ihn nicht auf. Kannst du ihn vielleicht wahrnehmen, Schwester Patricia?"

"Ich vernehme auch keinen Gedanken außer denen von uns, höchste Schwester", wisperte Patricia Straton. Pandora, die nicht wie ihre beiden Ordensschwestern die seltene, angeborene Gabe der Telepathie besaß, stand nur dabei und überlegte. Dann wandte sie sich an Anthelia.

"Wenden wir doch den Vivideo-Zauber so an, daß wir nur Tiere und Menschen damit finden", flüsterte sie. Anthelia stimme zu und murmelte befehlsartig: "Unifaunus Vivideo!" Mit diesem Zusatz des üblichen Lebensquellanzeigers konnten ausschließlich Tiere und Menschen sichtbar gemacht werden. Es kostete jedoch etwas Konzentration, ihn zu wirken, weil man sich dabei bei jeder Silbe ein Tier vorstellen mußte, jedesmal ein anderes. Anthelia schwang den Zauberstab, an dem unmerklich ein grünes Licht flimmerte, fast im Dunkeln verschwindend, umher. Dabei sahen die drei Hexen schlafende Vögel auf Bäumen, Kaninchen in Erdlöchern und sogar einen wilden Eber, der sich einen Schlafplatz im Unterholz gesucht hatte. Doch menschliche Wesen konnten sie nicht sehen.

"Der Zauber, den ich auf das Medaillon gewirkt habe, ist fehlerfrei aufgerufen worden, weil sonst nicht das Licht erglüht wäre", stellte Anthelia klar, daß das Erlöschen des roten und orangenen Glühens nicht ihr Fehler war. Dann stockte ihr der Atem.

Aus dem Haus trat eine Gestalt, eingehüllt in einen dunklen Umhang. Sie hielt einen leuchtenden Zauberstab in der rechten Hand. Schnell löschte Anthelia das Suchlicht für tierische Lebensformen und gebot durch kurze Handzeichen, daß sich die drei versteckten. Keine von ihnen hatte einen Tarnumhang dabei.

Als die Gestalt sich den drei Hexen näherte, erkannten Anthelia und Patricia, daß es eine Hexe sein mußte. Sie konnten jedoch keinen Gedanken von ihr erhaschen. Offenbar hatte sie sich sorgfältig gegen solche Art Belauschung abgesichert. Das hieß für Anthelia, daß die Fremde darauf gefaßt war, mit telepathiekundigen Hexen und Zauberern zusammenzutreffen. Das wiederum bedeutete, daß sie wohl gewarnt oder hingewiesen worden war, daß sie es mit solchen Leuten zu tun bekäme. Im Schutzbann des Uniheres-Fluches konnte keine magische Fernbeobachtung und kein außersinnlicher Kontakt stattfinden. Aber die Fremde mußte ja aus dem Schutz des Fluches heraus. Dann mußte es sich um eine Zutrittsberechtigte handeln, kombinierte die wiedergekehrte Nichte Sardonias. Als sie die Unbekannte genauer ansah, fielen ihr die langen dunklen Haare auf. Wahrscheinlich waren sie bei Tageslicht rotbraun gefärbt, wie die von Chuck Redwood.

"Höchste Schwester", schnappte Anthelia einen direkt an sie gerichteten Gedanken Pandora Stratons auf. "Das ist Sarah Redwood. Allerdings ist sie jetzt viel jünger als ich sie von ihrem letzten Bild her in Erinnerung habe."

Das erklärte für Anthelia das Erlöschen der roten und orangen Glut ihres Seelenmedaillons. Wenn Sarah Redwood, die Eigentümerin des Hauses tatsächlich irgendwie überlebt hatte, vielleicht in einem Zauberschlaf, überlagerte ihre Präsenz die Chucks und brach die zwischen ihm und dem Fluch bestehende Verbindung und damit auch den Kontakt mit dem Medaillon Dairons. Offenbar, so folgerte Anthelia weiter, mußte sich Sarah einem Selbstverjüngungszauber unterworfen haben. Ihr waren mehrere Arten der Verjüngung bekannt, die jedoch ihre Tücken hatten. So verursachte der Juvenin-Trank nicht nur eine körperliche, sondern auch geistig-seelische Verjüngung, was bei Überdosierung fatale Auswirkungen mit sich brachte. Sie überlegte, was Sarah genau angewendet hatte und kam auf die naheliegende Lösung, daß sie sich Chucks jugendliches Blut für einen Verjüngungstrank genommen hatte. Blut von wesentlich jüngeren Verwandten half skrupellosen Hexen oder Zauberern, sich befristet am Leben zu halten, jedoch nur so, daß sie sich auf ein bestimmtes Alter verjüngen konnten, dann aber keine weitere Verjüngung mehr betreiben konnten, ohne zu sterben. Nach ihrem Wissen mußte ein Blutspender die körperliche Lebenszeit dessen übernehmen, die der Anwender loswerden wollte. Aber vielleicht hatte die Magie in den letzten Jahrhunderten Fortschritte auf diesem Gebiet gemacht.

Sarah Redwood sah sich um, ließ von sich aus den Lebensquellfinder wirken. So kam es, daß sie die drei Hexen in ihrem Versteck schnell aufstöberte. Anthelia nickte ihren beiden Hexenschwestern zu und trat vor.

"Habe ich es mir doch gedacht, daß welche von meinen alten Schwestern meine Wiederkehr wollen", sagte Sarah Redwood an Stelle eines Grußes. "Ich kenne dich zwar nicht, Schwester, aber ich grüße dich. ich bin Sarah Redwood, Trägerin der mächtigen Robe der Feuerfrauen von Viciosa, Hüterin der großen Natter vom schwarzen Fels. Wer bist du?"

"Wisse, Sarah Redwood, ich bin Anthelia, Tochter der Nigrasta, Nichte der großen Sardonia vom Bitterwald, der einstigen Herrin der europäischen Hexenheit."

"Wer bist du?" Lachte Sarah eine Frage. "Du kannst nicht die Anthelia sein. Diese starb vor über zweihundert Jahren, schon lange, bevor ich geboren wurde."

"Nun, ich wähne mich sicher, daß ihr selbst genügend Methoden kennt, Zeiten zu überdauern, Sarah Redwood. So sollte es euch kein unmögliches Unterfangen bedeuten, euch meine Gegenwart und Genuinität vorzustellen."

"Du redest zwar wie eine Frau aus älteren Zeiten, Schwester, kannst mir jedoch nicht vorgaukeln, die berühmte Anthelia zu sein, die die Nachtfraktion der schweigsamen Schwestern maßgeblich mächtig gemacht hat. Du siehst nicht aus, wie die alten Bilder Anthelia zeigen. Ich erkenne dich als Bundesschwester an, jedoch verbitte ich mir derartige Hochstapelei. Schon schlimm genug, daß in der Zeit meiner Abwesenheit ein offenkundig wahnwitziger Zauberer sich zum Herren der dunklen Kräfte emporgekämpft hat und nun unsere Welt drangsaliert."

"Ich erkenne an, Schwester Sarah, daß meine Anwesenheit dich mißtrauisch stimmt. Jedoch spreche ich die lautere Wahrheit, was du dir als hohe Auszeichnung anrechnen darfst."

"Anthelia, die Nichte der großen Sardonia, war klein, schmächtig und dunkelhaarig. Ihr gesicht war anders als deines, Schwester. Oder lebst du ihre Träume nach, sodaß du im Laufe der Zeiten verinnerlicht hast, sie zu sein?"

Anthelia verzerrte das Gesicht. Sicher, der durch den Geschlechtswandelfluch veränderte Körper von Bartemius Crouch Junior sah anders aus als ihr erster, angeborener Körper. Dennoch wollte sie der wesentlich jüngeren Hexe nicht gestatten, nicht an ihre Echtheit zu glauben.

"Ich bin Anthelia. Glaube es mir, Sarah Redwood. Ich vermag, dir eine Probe meines Wissens zu bieten, daß nur Kundige der alten Kräfte erworben haben." Darauf sprach Anthelia in der Sprache der Druiden aus alten Zeiten. Sarah lauschte aufmerksam. Offenbar beherrschte sie diese Sprache auch. Sie antwortete in derselben Sprache:

"Ja, deine Sprachkenntnisse sind gut entwickelt. Doch die wahre Anthelia vermochte mehr. Sie konnte ohne Zauberstab ..."

Unvermittelt hob etwas Sarah Redwood vom Boden auf und schleuderte sie durch die Luft. Ein kurzer erschreckter Aufschrei der verjüngten Hexenmeisterin, dann landete diese wieder auf ihren Beinen.

"Diese Gabe ist eines der Zeichen für Anthelias Macht. Doch es gibt noch andere Zeichen. Sie konnte Gedanken lesen und beeinflussen."

"Diese Gabe steht mir auch jetzt noch zu Gebote, Sarah Redwood. Allerdings hast du dich auf diesen Umstand trefflich vorbereitet. Also warst du auf der Hut vor solchen Zaubergaben."

"Oh, du hast also gemerkt, daß ich mich gegen außersinnliche Belauschung gewappnet habe. Dann mußt du in der Tat ihre Gaben haben. Dann schildere mir kurz, was du ein Jahr vor deinem offiziellen Tod getan hast. Denn dieses Wissen kann nur Anthelia haben, weil es in keinem Buch steht und mir, die ich das Leben großer Hexen erforscht habe, auf verschlungenen Pfaden zukam."

Anthelia erzählte kurz von Ereignissen, mit denen Sarah Redwood vielleicht etwas anfangen konnte. Tatsächlich nickte die Hexe aus dem alten Haus. Irgendwann sagte sie:

"Ich muß es anerkennen, Schwester. Offenbar bist du die Wiedergeburt Anthelias, wenngleich sich mir die Magie entzieht, durch die dies möglich wurde. Dann frage ich dich, was du damit bezweckt hast, meinen Ururenkel zu mir zu schicken, auf daß er mich erwecke?"

"Es ging mir nicht darum, dich zu erwecken, Sarah Redwood. Ich ging auf Dinge aus, die du bei deinem Tod zurückgelassen hast. Nur ein wahrer Erbe deines Geschlechtes konnte mir diese Dinge bringen."

"Und das erzählst du mir frei heraus?" Wunderte sich Sarah über diese unerwartete Offenheit. Sie hatte damit gerechnet, daß die Hexe, die sich Anthelia nannte, ihr mit großen Unterwürfigkeitsgesten vortragen würde, wie nötig die dunklen Schwestern die alte Meisterin hätten, jetzt, wo Voldemort sich in der Welt breitmachte. Doch nichts dergleichen tat Anthelia. Sie erzählte, daß es ihr nur um Sarahs hinterlassene Bücher und Zaubergegenstände ging. Solche Unverfrorenheit gehörte bestraft.

"Du wolltest mich also bestehlen. Gehört sich das für eine Schwester des großen Ordens?" Fragte Sarah lauernd.

"Die Gesetze dienen den Mächtigen. Wer mächtig genug ist, steht über den Gesetzen der weniger mächtigen, Sarah Redwood. So hält es auch der fehlgesteuerte Emporkömmling Voldemort. Jedoch schlägt er keinen schöpferischen Nutzen daraus, sondern frönt der grenzenlosen Gier nach Alleinherrschaft, Zerstörung und einer unbändigen Mordlust. Ich wähnte mich sicher, das du nicht mehr leben würdest. Zwar gab ich deinem Nachfahren ein, er solle dich aufsuchen, doch dies nur, um ihn zu lenken, ihn voranzutreiben. Daß ich dich damit in diese Welt zurückgeholt habe, ist ein unbeabsichtigter Ausgang meines Wirkens, jedoch nichts, weswegen ich in übertriebener Ehrfurcht vor dir erstarren muß. Wir sind Schwestern im Geiste der rechtmäßigen Vorherrschaft der Hexenheit über alles nichtmagische und magische Leben auf diesem Planeten."

"So, du hältst dich also für bedeutender als ich es bin, Schwester? Offenkundig mußt du erst lernen, in dieser Welt zu bestehen, bevor du Anthelias altes Erbe zur neuen Blüte bringen kannst. Ich bin auf jeden Fall nicht aus einem langen Schlaf aufgewacht, um mich einer Hexe zu unterwerfen, die sich nur wegen einiger Anzeichen der Macht einer früheren Großmeisterin als Streiterin und Herrin für die Hexenheit erklärt. Stelle dich an meine Seite, und wir können die gemeinsamen Ziele verfolgen. Trachtest du jedoch danach, mich zu überflügeln, rechne mit schwerer Bestrafung."

"Du drohst mir?" Fragte Anthelia und sah die Hexe im dunklen Umhang lauernd an.

"Nenne es so und erinnere dich daran, bevor du dich mir noch mal so überheblich zeigst, Anthelia."

"Ich habe gedacht, Sarah Redwood sei sehr klug und erkenne die Dinge um sie herum richtig. Ich hege nicht die Absicht, dich zu schädigen, Schwester. Aber ich werde nicht ermüden, meine Ziele mit der dafür notwendigen Beharrlichkeit zu verfolgen. Wenn sie den deinen entsprechen um so besser. Aber Drohungen nehme ich von dir nicht hin."

"Wer sind eigentlich die beiden anderen, die dich vorgeschickt haben?" Fragte Sarah und deutete auf Pandora und Patricia.

"Schwestern meines Ordens, Sarah. Sie geben mir Geleit, wie es meiner hohen Stellung geziemt."

"Das heißt, du bist schwach, wenn du allein bist, Anthelia? Verzeih, daß ich dich derartig herablässig anspreche. Aber eine Hexe, die offen zugibt, mich bestehlen zu wollen, genießt nicht gerade meine Wertschätzung."

"Schwester, ich handele im guten Sinn, die von männlichen Zauberern und blindwütig die Welt verwüstenden Unfähigen, die wohl auch zu deiner Zeit schon Muggel genannt wurden, zu beenden und diese Welt zu einem Ort sicherer Verhältnisse zu machen. Ich entsinne mich, daß dies auch dein hohes Ziel ist."

"Welches ich auch verfolgen werde. Aber Hexen, die mir respektlos gegenübertreten, sollten meine Warnungen ernstnehmen."

"Ist es wirklich nötig, daß wir uns gegenseitig bedrohen? Gilt unser gemeinsames Ziel nicht als dringlich, sodaß wir beiden es gemeinsam verfolgen können?"

"Ich habe einen hart erarbeiteten Ruf zu verlieren, Schwester. Ich denke auch, daß unser Orden mich wieder akzeptieren muß, wenn ich seine Mitglieder ausfindig gemacht habe. Ich werde meine Zeit nicht mit dir vertun, Anthelia. Stell dich mir nicht in den Weg, und du wirst keine Schwierigkeiten zu befürchten haben."

"Nun, du möchtest also diesen Hexen von der Nachtfraktion der schweigsamen Schwestern deine Führung aufzwingen? Ich fürchte, dazu bist du zu klein, Sarah."

Das reichte Sarah. Sie wollte der Fremden zeigen, daß sie dazu nicht zu klein war und hob ihren Zauberstab. Anthelia hob auch ihren Zauberstab. Ohne Vorwarnung schickte Sarah den Ganzkörperklammerfluch gegen Anthelia. Diese parierte den Angriff mit einem Gegenfluch, sodaß eine Entladung von Lichtblitzen zwischen den beiden Hexen aufleuchtete.

"Warum streiten wir uns?" Fragte Anthelia, die wohl nicht darauf ausging, Sarah in einem Kampf zu besiegen. "Wir haben beide den gleichen Wunsch, den selben Traum. Vergeuden wir unsere Kräfte nicht in einem sinnlosen Schlacht?"

"Hochstaplerin! Du bildest dir doch nicht ein, ich, Sarah Redwood, würde einer Usurpatorin meinen Rang überlassen."

"Moment, Sarah! Niemand hat davon gesprochen, daß ich dir deine Position streitig mache. Wäre dem so, hätte ich dich sofort getötet, als du aus dem Haus kamst", erwiderte Anthelia. Zur Antwort schlug ihr von Sarah ein violetter Blitz entgegen, den sie durch eine schnelle Zauberstabbewegung zu einem blaßblauen Funkenregen um sich herum zerstreute. Sarah staunte.

"Das ist ja heftig, wie schnell du dich verteidigen kannst", erkannte sie mit mißbilligendem Blick an. Anthelia antwortete:

"Ich bin Anthelia. Die Anthelia, von der du weißt, wie stark sie war und nun immer noch ist. Begraben wir diesen wertlosen Konflikt und trennen uns friedlich."

"Nein!" Rief Sarah. "Crucio!"

Anthelia wußte, daß gegen diesen Fluch kein direkter Gegenzauber existierte. Sie warf sich zur Seite, sodaß der ihr geltende Fluch krachend in einer Eiche landete, die heftig erzitterte, als würde die Woge unerträglicher Schmerzen auch auf einen gewöhnlichen Baum wirken. Nun wehrte sich Anthelia, indem sie den Entwaffnungszauber probierte. Doch Sarah lenkte den roten Blitz aus dem silbergrauen Zauberstab zurück, sodaß dieser fast Anthelia entwaffnet hätte, wenn sie nicht auf der Hut war und einen Aufhebungszauber gemurmelt hätte. So zerstob der Entwaffnungszauber in scharlachroten Funken vor Anthelias Zauberstab. Sarah schickte einen orangen Feuerball los, der von Anthelia mühelos zurückgeschlagen wurde und mit lautem Knall kurz vor dem alten Redwood-Haus explodierte. Da der Uniheres-Fluch auch magische Angriffe abwehrte, richtete die Feuerkugel keinen Schaden an. Anthelia schickte einen Schwall weißen Nebels aus ihrem Zauberstab, hinter dem sie in Deckung gehen konnte. Sarah, die diesen Fluch auch kannte, sandte einen giftgrünen Lichtstrahl in die Wolke, die sofort rot erglühte und sich innerhalb einer Sekunde in Luft auflöste.

"Volantapes!" Rief Sarah, nachdem der weiße Nebel, ein Körper und Bewußtsein schwächender Brodem, aufgelöst war. Mit schnell aufeinanderfolgenden Knacklauten schossen aus dem sich an der Spitze wie ein Pistolenlauf öffnendem Zauberstab stechlustige Bienen heraus. Doch Anthelia lachte nur.

"Dissolventur Artiviva!" Rief sie, bevor auch nur eines der heraufbeschworenen Insekten sie erreichte. Alle bereits herumschwirrenden Bienen vergingen sogleich zu weißem Staub und auch die aus dem Zauberstab Sarahs entweichenden Kerbtiere zerfielen unmittelbar nach ihrem Erscheinen in der Luft zu Staub.

Anthelia werhte drei weitere direkte Flüche ab, einer davon wurde auf einen Baum abgelenkt, der knarrend und knisternd vertrocknete und zerfiel.

"Es reicht mir langsam!" Rief Anthelia verärgert. "Ich will dir nichts antun. Hör also auf!"

"Damit du morgen schon versuchst, mich aus meinem Rang zu verstoßen, Hochstaplerin? Fahr zur Hölle! Avada Kedavra!"

Patricia und Pandora stockte der Atem. Der tödliche Fluch war die mächtigste und unabwendbarste Waffe eines dunklen Magiers. Wenn Sarah diesen Fluch losließ, meinte sie es bitter ernst. Sie sahen Anthelia schon ihres Lebens beraubt niederfallen, als sirrend der gleißend grüne Blitz aus Sarahs Zauberstab schnellte und auf Anthelia überschlug. Doch diese stand ruhig da, erwartete diesen Angriff mit merkwürdiger Gelassenheit. Und da passierte das unglaublichste, was Pandora und Patricia je gesehen hatten. Der Fluch traf Anthelia, hüllte sie für einen winzigen Sekundenbruchteil in grelles grünes Licht ein und schlug dann laut brausend auf seine Urheberin zurück. Sarah riß vor Entsetzen die Augen weit auf, als der grüne Todesblitz zu ihr zurückprallte. Das war dann auch die allerletzte Regung, die sie in ihrem so langen, über dreißig Jahre unterbrochenem und so kurz wieder angetretenen Leben vollendete. Ohne Ausdruck von Schmerz oder Verletzung sackte sie hinten über und fiel zu boden. Der gegen Anthelia gerichtete Fluch hatte sie selbst getötet. Anthelia, völlig unbeeindruckt von dieser Wendung, steckte blitzschnell die linke Hand unter den Umhang und zog das Seelenmedaillon heraus, während sie mit dem Zauberstab auf die Leiche der wiederverjüngten Sarah Redwood deutete. Ein Wort von ihr brachte den Zauberstab zum leuchten. Das Licht traf den Körper, über dem gerade eine schemenhafte Erscheinung schwebte, fast wie ein Nebelhauch. Ein weiteres Wort Anthelias ließ das Medaillon ungewöhnlich hell aufleuchten, zu einem rotgoldenen Feuerrad werden, in dessen Mittelpunkt es rötlich pulsierte. Dann rief Anthelia den Namen Sarah Redwoods. Die Erscheinung wurde zu einer durchsichtigen, leicht flimmernden Abbildung Sarahs, wie sie wohl vor einigen Stunden noch ausgesehen hatte, groß mit runzliger Haut und langem weißen Haar. Schmerzverzerrt starrte das Gesicht der gespenstischen Erscheinung auf das gleißende Medaillon. Nur Pandora, die die alten Sprachen der Druiden beherrschte, verstand, was Anthelia nun sagte.

"Stoff aus dem Leben, Werk der Gedanken,
banne ich dich in ewige Schranken!
Sarah Redwood, vergangen dein Sein,
dein Wissen und Können auf ewig sei mein!
Die Kraft deines Geistes, sowie deine Macht,
geh auf mich über, dann ist es vollbracht!
Sarah Redwood, verstrichen dein Tun.
Werde mein ewiger Untertan nun!
Sarah Redwood, dreimal rief ich dich!
Drum willenlos geh nun ganz über auf mich!"

Sarah Redwoods Geistererscheinung schrie in einer unvorstellbaren Qual auf, starrte voller Todesangst in das Medaillon, aus dem nun fünf helle Strahlen zuckten, ein roter, ein sonnengelber, ein mondlichtfarbener, ein weißer und stahlblauer. Der weiße Strahl borhte sich in die Mitte der Erscheinung, der gelbe traf den Kopf, der rote und der blaue verbanden sich mit den Armen und der mondlichtfarbene schlängelte sich wie eine Peitschenschnur um die Beine und zog daran. Wie von einem gewaltigen Sog angezogen bewegte sich die Geistererscheinung auf das immer heller glühende Medaillon zu. Sie versuchte zu schreien, doch der gelbe Lichtstrahl umschloß bei jedem Zoll des Weges mehr von ihrem Kopf. Ebenso breiteten sich die anderen vier Lichtstrahlen immer weiter über die Körperbereiche aus, die sie getroffen hatten. Zoll für Zoll, Schrittlänge für Schrittlänge flog die Erscheinung mit wachsender Beschleunigung auf das Medaillon zu. Jede Gegenwehr brach mit jedem weiterem Meter näher an jenem unheimlichen schwarzmagischen Artefakt zusammen. Dann schwirrte die Geistererscheinung zielgenau in das Medaillon. Pandora und Patricia hörten noch einen erstickten Schrei, der im Wald widerhallte und dann immer leiser wurde, während sich die Strahlen in das Medaillon zurückzogen und Das, was wohl Sarahs Geist war, unweigerlich hineinsogen. Anthelia sah bei diesem magischen Vorgang sehr konzentriert aus, als müsse sie darauf achten, nicht den Halt zu verlieren. Dann war die Erscheinung vollständig in jenem aus fünf Metallen zusammengefügten Schmuckstück verschwunden. Der Blutrubin pulsierte noch einmal feuerrot, dann erstarb die Glut, schrumpfte zusammen, bis das Medaillon schwach leuchtete. Anthelia sagte noch zwei Worte, wobei sie einmal das Medaillon gegen den Uhrzeigersinn bewegte und beim zweiten Wort den Zauberstab auf den toten Körper der verjüngten Hexe richtete. Aus dem Zauberstab fuhr ein silberner Lichtstrahl, der Sarahs Körper einhüllte, kurz verharrte und dann erlosch, während Anthelia das Medaillon fest in der linken Hand hielt. Dann erlosch auch die restliche Glut des Medaillons.

"Sie hat ihren Geist in dieses Medaillon gebannt", sagte Patricia mit Unbehagen und Erstaunen in der Stimme. "Aber wie konnte sie Avada Kedavra überleben?"

"Anthelia hat uns bestimmt nicht alles erzählt, was sie tut, Kind", sagte Pandora, die übliche Anrede "Schwester und Tochter" weglassend.

"Shahagorian!" Rief Anthelia noch. Patricia spürte telepathisch, wie ein bis dahin widerstrebender Wille verflog und in Anthelias Bewußtsein eine neue, starke Kraft einströmte. Doch Anthelia schirmte ihren Geist gegen die Belauschung durch die Bundesschwester ab. Sie verharrte eine volle Minute in einer starren, hochkonzentrierten Körperhaltung. Dann atmete sie auf und sah entspannt ihre Bundesschwestern an.

"Ich hatte nicht vor, sie zu töten, Schwestern. Doch offenbar hegte sie einen unstillbaren Drang, die Hexenheit alleine zu führen. An und für sich eine Beleidigung, mich als Hochstaplerin und Machträuberin zu benennen. Aber dafür hätte ich sie nicht getötet. Ihr wundert euch, daß ich diesen angeblich so unabwendbaren Todesfluch Avada Kedavra überleben, ja sogar unverletzt überstehen konnte? Vorkehrungen, die ein großer Magier vor mir traf und die ich mir nun nutzbar gemacht habe. Mehr müßt ihr nicht wissen. Schwester Patricia, es wird dir auch nicht gelingen, dies aus meinen Gedanken zu ergründen. Denn ich habe dieses Wissen mit dem Divitiae-Mentis-Zauber in meinem Geist versiegelt. Jedenfalls hat mir diese egoistische, wenngleich auch sehr starke person mit ihrem Tod mehr gegeben als ich eigentlich zu hoffen wagte. Denn nun, wo ich alles Wissen und Können von ihr in meinem Medaillon verschlossen habe, kann und kenne ich alles, was sie, Sarah Redwood, kannte und konnte. Nun verfüge ich über drei angesammelte Erinnerungsvermögen, neben meinem über das meines neuen Körpers, sowie das aus der seelischen Essenz Sarah Redwoods schöpfbare und von ihr nicht mehr zu verheimlichende Wissen und Können. Damit bin ich wohl gut gewappnet, den gerechtfertigten Feldzug wider die Toren der magischen und nichtmagischen Welt zu ziehen. Chuck Redwood befindet sich übrigens im Keller des alten Hauses in einem Sarkophag des langen tiefen Schlafes. Ich werde ihn einstweilen dort belassen, bis wir befinden was wir mit ihm machen. Ich kann nun auch durch den Fluch hindurch. Allerdings muß ich dazu allein sein. Zieht euch zurück in unsere Versammlungshalle! Ich will hier niemanden von euch sehen oder spüren, oder ich töte diejenige, die mich belästigt sofort."

Pandora und Patricia Straton wagten nicht, gegen Anthelia aufzubegehren. Sie disapparierten sofort. Wieder im Weinkeller Stanley Daggers' fragte Patricia:

"Glaubst du nicht, wir züchten uns eine größere Bedrohung heran als den Emporkömmling Voldemort?"

"Sie mag nun mächtiger sein als wir alle zusammen, Tochter. Aber ich denke nicht, daß sie dem Größenwahn verfällt, solange wir zuviele Gegner in der Welt haben. Ihre Ziele wird sie nur erreichen, wenn sie sich nicht für unfehlbar hält und auf der Hut ist, was sie tut. Ich habe mit ihr einige Jahre in geistiger Verbundenheit zugebracht, Tochter. Ich bin überzeugt, daß sie die einzige Hoffnung für die Welt ist, um das Chaos zu beseitigen, in dem der Emporkömmling und seine Leute sie untergehen lassen wollen."

"Ich hoffe, Mutter, daß wir niemals mehr zweifeln müssen", sagte Patricia leise. Sie wußten ja nicht, ob einer von den Geistern der Nordstaatler noch in diesem Keller weilte.

__________

Anthelia ließ das neue Wissen langsam in ihr Bewußtsein einströmen. Sarahs Geist war stark gewesen. Sie mußte ihn durch einen starken Zusatzzauber fesseln, um sie nicht zum Widerstand kommen zu lassen. Nun, wo Anthelia alles wußte, was Sarah wußte, wollte sie in das Haus eindringen und die verborgenen Bücher und Artefakte besichtigen, die in einer anderen Halle des Kellers lagerten. Sie ging zum Leichnam der ehemaligen Schwester der Nacht und schnitt ihr mit deren mitgeführten Silberdolch die rechte Hand ab. Dann legte sie die blutige Hand Sarahs an das Medaillon und murmelte einige starke Zauberformeln. Dabei ging sie auf das Haus zu, ruhig und gelassen. Sie öffnete ihren Geist für die Erinnerungen und Gedanken Sarahs, die nun, wo ihre Seele gebannt war, nur noch Erinnerungen waren. Dann legte sie die abgetrennte Hand der getöteten Rivalin auf die Tür und wartete. Tatsächlich schwang die Tür vor ihr auf. Anthelia schlüpfte schnell hindurch, wobei sie wie zuvor Chuck Redwood ein leichtes Kribbeln spürte. Doch die Magie, die sie mit Sarahs Seele und einem Teil ihres Körpers verband, schützte sie vor dem Uniheres-Fluch. Sie ging durch das Haus, öffnete ohne Probleme die Falltür in den Keller, weil sie nun auch Sarahs Parselbegabung besaß und ließ sich fallen. Bevor sie der tückische Drehfeldzauber erwischte, hob sie diesen auf, ein für alle Mal. Krachend explodierte unter Anthelias Zauberstab eine Lichtentladung aus grünen und blauen Blitzen. Sie federte ihren Fall magisch ab und ging auf die Halle zu, wo der magische Steinsarg stand. Sie hörte das wütende Schnauben des immer noch eingesperrten Basilisken und beschloß, dieses Monster freizulassen, wenn sie aus dem Haus disapparierte. Doch vorher mußte sie garantieren, daß sie nicht immer ein Stück von Sarah Redwoods Körper benötigte, um auf direktem Weg hier hineinzugelangen. Sie betrat die Halle, parselte den drei Wächtern aus belebtem Stein einen Befehl zu, sie nicht anzurühren, wobei sie ihre von Sarah gewählten Namen benutzte. Durch einen mit den Augen nicht sichtbaren Geheimgang zwischen der einen Halle und einer anderen, wechselte sie in die geheimen Vorratsräume Sarah Redwoods hinüber, wo sie die Bücher, Gerätschaften und Zaubertrankzutaten fand. Mit ihrem Zauberstab machte sie unter einem großen Eisenzuber ein Feuer, das sie jedoch auf kleiner Flamme hielt und goß aus einem Wasserspeier soviel klares Wasser hinein, bis der Zuber halb voll war. Dann holte sie diverse Zaubertrankzutaten, die sie unter beschwörenden Formeln in das Wasser mischte und umrührte. schließlich drückte sie die abgetrennte Hand Sarahs in das Gebräu hinein und sprach weitere Zauberformeln, wobei sie mit dem Zauberstab kreisförmige Bewegungen über dem Zuber vollführte. Irgendwann brodelte die ganze Mischung wild und schäumte rötlich-weiß. Anthelia ließ dies einige Minuten so geschehen. Dann löschte sie das Zauberfeuer unter dem Zuber, legte ihre Kleidung ab, behielt nur das Medaillon um und rief ein Zauberwort, um sich selbst gegen Schmerzen abzustumpfen. Sie sprang in den Bottich hinein und tauchte für wenige Sekunden komplett unter. Dann entstieg sie dem Gebräu, das ihre Haut rot gefärbt hatte. Sie wartete einige Momente, bis sie zu frieren begann. Dann nahm sie ihren Zauberstab und vollführte eine Bewegung vom Kopf bis zu den Füßen, wobei sie eine alte Formel aus Sardonias Tagen wiederholte. Dieses ganze Getue diente nur einem Zweck. Anthelia wollte sich die körperliche Ausstrahlung Sarah Redwoods aneignen. Einen dünnen Film des Zaubertranks auf ihrer Haut, imprägnierte sie ihre Körperoberfläche mit der körpereigenen Aura Sarah Redwoods. Nun war sie zwar äußerlich und innerlich immer noch dieselbe, hatte jedoch ihre ureigene unsichtbare Ausstrahlung so verändert, daß sie von dem Uniheres-Fluch nicht mehr abgewiesen werden konnte. Sie legte den Gürtel der 24 Leben wieder an, der trotz der Behandlung gegen den Uniheres-Fluch seine Trägerin allein beschützte, wie sie aus Erzählungen Dairons wußte. Sie zog ihre Kleider wieder an, griff nach dem Zauberstab und kippte auf magische Weise den Inhalt des Zubers mit samt der immer noch darin treibenden Hand Sarah Redwoods in einen tiefen Schacht, der in einer Sickergrube endete. Dann verließ sie die geheime Halle, kehrte in jene Halle zurück, die auch schon Chuck Redwood betreten hatte und zog einen der Steinkorken aus der gewaltigen Röhre, in der der Basilisk gefangen war. Sie parselte ihm einen Befehl zu, sich nur in den Kellerräumen aufzuhalten. Dann disapparierte sie unangefochten aus Sarah Redwoods Haus. Den Sarkophag mit dem in magischem Tiefschlaf ruhenden Chuck Redwood beachtete sie nicht. Sie wußte ja, daß er dort war und wie er zu öffnen war. Wohlbehalten kam sie im Weinkeller der Daggers-Villa an und erzählte Pandora und Patricia nur, daß es vollbracht sei. Die beiden wagten nicht, sie zu fragen, was.

"Ein weiterer Schritt auf dem Weg zu unserem Ziel ist getan, Schwestern. Wenn das Netz der Spinne sich dicht und unzerreißbar gefügt hat, werden wir den Emporkömmling und seine Nachläufer in ihre Schranken weisen und auch die Nachtfraktionärinnen der schweigsamen Schwestern auf unsere Seite holen. Doch vieles muß noch getan werden", kündigte Anthelia an. Pandora und Patricia nickten und bekundeten ihre Zustimmung.

__________

Am nächsten Morgen in England entdeckte ein Milchmann, der die Redwoods belieferte, daß offenbar in das Haus eingebrochen worden war und rief die Polizei. Weil in der Nähe von Zaubererfamilien immer ein unter den Polizisten arbeitender Mitarbeiter der magischen Strafverfolgungsabteilung war, konnte der Fund der drei getöteten Redwoods noch rechtzeitig verheimlicht werden, zumindest für die Presse der Muggel. Um eine falsche Spur zu legen, wurde das Haus der Redwoods niedergebrannt, nachdem alle Spuren gesichert waren, die sich noch finden ließen. Die Polizisten, die herbeigerufen worden waren, sowie der Milchmann, wurden durch Gedächtniszauber dazu gebracht, das Haus bereits niedergebrannt vorgefunden zu haben. Der Tod der Redwoods wurde zur Geheimsache erklärt. Dennoch bekamen einige Leute aus dem Zaubereiministerium Wind davon. So zum Beispiel June Priestley und Proserpina Drake, die gute Freundinnen in der Strafverfolgungsabteilung hatte. Erst am 15. August erschien im Tagespropheten eine Meldung, daß wohl durch ein fahrlässig brennen gelassenes Zaubererfeuer eine Aschwinderin in das Haus der Redwoods eingedrungen war und dort ihre glutheißen Eier abgelegt hatte, die dann das ganze Haus hatten niederbrennen lassen. Alle Redwoods seien im Schlaf vom Rauch erstickt worden. Cornelius Fudge sprach im Tagespropheten sein tiefstes Bedauern aus, daß mit den Redwoods eine hochanständige und arbeitssame Zaubererfamilie ausgelöscht worden sei und verkündete, den Redwoods ein offizielles Begräbnis auf dem Ehrenfriedhof hinter dem Zaubereiministerium auszurichten. Folgeartikel behandelten die Gefahr durch vergessene Flohpulver-Feuer oder ähnliche magische Feuerquellen, die zur Entstehung von Aschwindern führten, magischen Schlangen mit kurzer Lebensdauer, die aus solchen Feuern entstanden und dann rotglühende Eier an dunklen Orten ablegten, deren Glut zu verheerenden Bränden führte. Ein Tierwesenexperte aus der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe äußerte sich im Tagespropheten, daß solche Unfälle in den letzten fünfzig Jahren zurückgegangen seien und relativ unwahrscheinlich geworden wären, da durch das verbesserte Flohpulver damit behandelte Feuer nie länger als eine Minute brannten. Er mutmaßte, daß Alwin Redwood mit einer magischen Substanz herumexperimentiert hatte, die zu diesem Unfall geführt hatte. So wurde in aller Öffentlichkeit der Tod der drei Redwoods ausdiskutiert, ohne daß auch nur der leiseste Verdacht auf einen Angriff böser Zauberer fiel.

ENDE

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