DIE KLEINE PANNE

Eine Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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© 2002 by Thorsten Oberbossel

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P R O L O G

Julius Andrews reist nach dem tragischen Ende des trimagischen Turniers in Hogwarts über die französische Zaubererschule Beauxbatons nach Millemerveilles, wo er die Sommerferien verbringen und bei Professeur Faucon Nachhilfe in Verteidigung gegen die dunklen Künste erhalten soll. Er wohnt im Haus der Familie Dusoleil. Madame Dusoleil, die für die Gärten in Millemerveilles zuständig ist, ihr Mann Florymont, der als Zauberkunsthandwerker arbeitet, sowie die Töchter Jeanne und Claire, heißen Julius willkommen. Er fühlt sich von diesen vollkommen umsorgt.

Am ersten Ferientag, an dem noch keine Nachhilfestunden angesetzt sind, drängen Jeanne, ihre Haus- und Schulkameradin Barbara Lumière und Bruno, der Mannschaftsführer der Jungen-Quidditchmannschaft in Millemerveilles den Gast dazu, an ihrem Training teilzunehmen. Julius schafft es, sich wieder gut, ja hervorragend in das schnelle Zaubererspiel einzufinden, wofür er von den Jungen anerkannt und von den Mädchen angespornt wird. Allerdings überschätzt er seine Kondition und erschöpft sich so sehr, daß er im Haus seiner Gasteltern einen Aufpäppeltrank einnehmen muß. Jeanne und Claire zanken sich darum, wer Schuld hat, daß er sich derartig überanstrengt hat.

Am Nachmittag besucht Julius mit Monsieur Dusoleils Schwester eine Zauberschneiderei, um sich neue Schlafanzüge und Badesachen zu besorgen und spielt gegen die Familienmitglieder, die Schach können, mehrere Partien. Als er abends zu Bett geht, ist er von den Erlebnissen des Tages vollkommen ermüdet und schläft sofort ein.

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"Kikerekiii!" Mit einem lauten Schrei verkündete ein Hahn den neuen Tag. Doch der Hahn war keiner aus Fleisch und Blut, der den Sonnenaufgang begrüßte und eine Schar gackernder Hühner um sich scharte, sondern ein magischer Wecker, getrieben von Zauberkraft und einem Mechanismus, der ihn zu einem verläßlichen Wecker machte. Sein naturgetreuer Weckruf klang laut und rein durch das große Wohnhaus, das im Zentrum einer liebevoll und ordentlich gepflegten Gartenanlage stand und verjagte den Schlaf seiner Bewohner. Claire Dusoleil, der der kleine künstliche Hahn gehörte, warf ihre dünne Bettdecke von sich und räkelte sich noch mal, bevor sie die Hand nach ihrem Wecker ausstreckte und den Kopf des Hahnes berührte, bevor dieser einen zweiten Weckruf ertönen lassen konnte. Dann schlüpfte sie aus ihrem Bett und griff sich den roten Morgenrock, den sie über ihren kurzen rubinroten Seidenpyjama streifte, bevor sie barfuß zu einem Stuhl ging, um sich ihre Sachen für den Tag unter einen Arm zu klemmen: Ein Paar Seidenstrümpfe, Unterwäsche, einen bordeauxroten Rock, sowie eine blütenweiße Baumwollbluse. Dann verließ sie ihr mit Puppen, Bildern und Büchern vollgestopftes Zimmer und schlüpfte noch vor ihrer großen Schwester in das Badezimmer.

Ein Stockwerk tiefer brach der Hahnenschrei gerade in eine Stadtrundfahrt durch Paris. Der laute Klang war so mächtig, daß der Eiffelturm, um den sich der doppelstöckige Reisebus gerade herumbewegte erzitterte und unvermittelt in schillernden Funken zerbröselte, ebenso wie der Bus, die Fahrgäste und die Straße. Nur einer blieb übrig, der von einem Augenblick zum anderen aus der Stadtmitte von Paris in ein Bett in Millemerveilles hinüberwechselte. Julius Andrews war wach.

Madame Dusoleil, seine derzeitige Gastmutter, hatte seine langen Schlafanzüge durch Verkürzungszauber zu kurzen Sommerpyjamas werden lassen. Es war echt ein Gewinn, fand Julius. Denn unter der dünnen Leinendecke, die eher ein Laken war, hatte er in dieser warmen südfranzösischen Sommernacht besser schlafen können, als die Nacht zuvor. Auch Julius reckte seine Glieder, um den Rest von Schlaf daraus zu vertreiben, gähnte laut und ungeniert, bevor er sich aufsetzte, das dünne Zudecklaken abstreifte und die Beine aus dem Bett streckte. Dann war er endgültig wach und stand auf, als hätte er nur auf dem Bett gesessen und nicht lang und tief geschlafen. Er nahm seine Unterkleidung, sowie einen mitternachtsblauen Alltagsumhang von einem Stuhl und verließ das mit einer bezauberten Waldlandschaftstapete ausgeschmückte Gästezimmer. Er schmunzelte, weil er daran denken mußte, daß er sich mit niemandem um das Badezimmer streiten mußte, da es nur für die Gäste war. So nahm sich der Hogwarts-Schüler Zeit, um sich gründlich zu waschen, anzukleiden und zu kämmen. Als er sich die Zähne putzte, sah er in den Badezimmerspiegel und streckte seinem Spiegelbild die Zunge heraus. Unvermittelt räusperte etwas blechern vom Spiegel her. Julius schrak kurz zusammen, erinnerte sich jedoch wieder daran, daß viele Spiegel in der Zaubererwelt ein gewisses Eigenleben hatten. Das brachte ihn wieder zum schmunzeln.

Der Junge aus England, der vor zwei Jahren nicht geglaubt hätte, daß er ein echter Zauberer war, sah auf seine Armbanduhr, die wie vieles, was er in den beiden vergangenen Schuljahren bekommen hatte, ein Wunderwerk magischer Handwerkskunst war. Sie zeigte genau fünfzehn Minuten nach sechs Uhr. Julius verließ das Badezimmer und ging in sein Zimmer. Im Haus hörte er Wasser rauschen und das Klappern einer Tür. Der Hahnenschrei hatte wohl alle geweckt.

"Eigentlich noch Zeit für einen Morgenlauf", dachte der Gast der Familie Dusoleil und legte noch mal den Umhang auf den Stuhl zurück und zog seinen Jogginganzug an. Er schlüpfte in seine Turnschuhe, die er in seinem Schulkoffer mitgenommen hatte und verließ das Gästezimmer. Unten auf der Etage, wo Küche, Wohn- und Esszimmer lagen, traf er Madame Dusoleil, die noch im Morgenrock aus moosgrüner Wolle mit gelben und roten Blumenmustern in der Küche stand und gerade ihren Zauberstab auf den Herd richtete.

"Guten Morgen, Madame Dusoleil!" Grüßte Julius seine Gastmutter. Diese grüßte ihn mit einem Lächeln zurück und besah sich seinen Sportanzug.

"Du möchtest wieder laufen? Streng dich aber nicht so an, wie gestern, ja!" Sprach sie. Julius nickte beiläufig und verließ das Wohnhaus durch die große Vordertür.

Leise eilte er durch die Gassen des Zaubererdorfes Millemerveilles, bis er den großen Teich im Zentrum erreicht hatte. Dort lief bereits Barbara Lumière in ihrem Sportanzug. Ohne Worte reihte sich Julius in den Lauf ein und umrundete den Teich einmal, bevor Barbara ihn grüßte.

"Na, Julius? Genießt du auch die kühle Morgenluft?"

"Joh, Mademoiselle", erwiderte Julius. Barbara lief neben ihm her und meinte:

"Ich bin schon seit vier Uhr auf. Meine Schwesterchen haben einen Lärm veranstaltet, daß da niemand schlafen konnte. Jacques hat sich darüber beschwert, daß Maman die Kinder nicht sofort beruhigt hat."

"Seit vier Uhr?! Das wäre mir aber zu früh zum aufstehen, Barbara. Da wirst du dich wohl heute nachmittag wohl hinhauen müssen, um das wieder reinzuholen", vermutete Julius Andrews.

Barbara lachte und antwortete: "Tja, das müssen wir wohl alle machen. Aber ich denke, ich werde heute mit Nadine und ein paar anderen Mädchen einen Ausflug in den Musikpark machen. Du bist ja heute zum ersten Mal bei Madame Faucon, richtig?"

"Im Moment weiß ich nicht so recht, welcher Teufel mich geritten hat, mich darauf einzulassen. Ich hätte ja auch in England bleiben und mit einigen Freunden schöne Ferien haben können. Kevin, du kennst ihn ja, hat mich eingeladen, ihn in Irland zu besuchen, wenn seine Eltern es erlauben. Ich hätte ja auch nach New Orleans reisen können, um Glorias Großmutter zu besuchen."

"Ich denke nicht, daß Madame Faucon sich das hätte bieten lassen, wenn du ihr Angebot abgelehnt hättest. Außerdem hättest du bestimmt Ärger mit Madame Delamontagne bekommen, wenn du nicht am Schachturnier teilgenommen hättest. Und Jeannes Schwesterchen Claire hätte dich bestimmt verflucht, wenn du sie versetzt hättest und sie den Sommerball mit Jacques oder Clement hätte tanzen müssen."

"Clement? Wer ist das noch mal?" Wollte Julius wissen.

"Das ist ein Junge aus dem gelben Saal, der mit Claires Klassenkameradin Jasmine befreundet ist. Der ist sehr schüchtern, habe ich mitbekommen. Na ja, vielleicht hat Jasmine ihn im zweiten Jahr ja etwas ermutigt."

"Toll, jetzt weiß ich alles", erwiderte Julius, dem das überhaupt nichts sagte. Genauso hätte er Barbara erzählen können, das Doris die Cousine seines früheren Schulfreundes Lester sei.

"Das ist ein semmelblonder Junge, gar nicht so schlecht aussehend. Caro hat sich kurz nach der Einschulung an ihn rangemacht und ihn heftig bedrängt. Die will schon heiraten, bevor sie in die dritte Klasse kommt", erwiderte Barbara gehässig, wie Julius fand. Offenbar machte sie sich über das brünette Mädchen lustig, weil es schon so erwachsen tat und vielleicht glaubte, auf biegen und brechen einen festen Freund haben zu müssen.

"Da weiß ich nichts von und interessiere mich auch nicht dafür", sagte er nur, um dieses für ihn unwichtige Thema zu beenden. Dann unterhielt er sich noch über das Quidditchspiel von gestern und fragte, wann das nächste Training laufen würde.

"Da Jeanne ja auch bei euch mitlernt, wieso auch immer, trainieren wir wohl an den Wochenenden. Oder wolltest du dich rausreden, daß du ja dann nicht mitmachen könntest?"

"Gute Idee! Wenn ich Verteidigung gegen die dunklen Künste lerne, kann ich kein Quidditch mehr trainieren", entgegnete Julius schlagfertig. Barbara lachte nur darüber.

"Glaub's mir. Ich hol dich persönlich zu Einzelübungen Jäger gegen Hüter, falls du dich aus dem Mannschaftstraining rauszureden schaffst. Das gestern hat mir sehr gefallen und Janine auch."

"Häh? Die habe ich doch voll ausmanövriert. Die hat sich doch tierisch aufgeregt, weil ich ihr den Schnatzfang zweimal vermasselt habe", wunderte sich Julius.

"Mir hat sie aber erzählt, daß du für dein junges Alter und für deine Muggelstämmigkeit sehr gut spielst. Außerdem werden wir bei den nächsten Übungen gemischte Mannschaften bilden. César kennt Jeannes und Seraphines Technik zu gut, um noch groß überrascht zu werden. Aber das sage Jeanne nicht so, ja!"

"Yep!" Antwortete Julius.

"Wie bitte?" Fragte Barbara.

"Das heißt "Ja, natürlich"", erklärte Julius.

Nach dem Lauf kehrte Julius leicht erschöpft aber hellwach ins Haus der Dusoleils zurück. Madame Dusoleil öffnete ihm die Haustür. Es duftete wieder nach frischem Brot, besser, nach frischen Croissants. Claire saß fertig angezogen und mit seidenweichem, glattgekämmtem schwarzen Haar in der Küche am Tisch und las in einer bunten Zeitschrift, wohl dem französischen Gegenstück zur Hexenwoche. Julius sah ein Bild Hecate Leviatas, der berühmten Musik-Hexe auf einer aufgeschlagenen Seite. Claire bemerkte, daß Julius ihr zusah und grüßte ihn freundlich lächelnd.

"Hallo, Julius! Maman hat mir schon erzählt, daß du wieder um den Teich läufst. Ist das nicht zu anstrengend, wenn du am Tag noch was vorhast?"

"Kommt darauf an, Mademoiselle, was ich am Tag noch vorhabe. Aber deine Maman hat mich mal zurechtgewiesen, daß ich nicht nachmittags in der Hitze laufen soll. Dann bleibt mir ja nur der Morgen."

"War Barbara auch wieder da?"

"Mmhmm", machte Julius. Dann setzte er nach: "Wir haben uns auch schon verabredet, gemeinsam für den Sommerball zu trainieren."

"Das ist doch nicht wahr! Das kann die doch nicht machen!" Lamentierte Claire. Ihre Mutter lachte nur und meinte:

"Der Junge kennt dich nur vom letzten Sommer und weiß schon, womit er dich gut ärgern kann, ma Chere. Barbara beansprucht Julius ja nicht für sich und hat ja auch schon Gustav eingeladen, hat Roseanne mir verraten."

Claire warf Julius einen bösen Blick zu, mußte dann aber wieder grinsen. "Sei froh, daß Barbara dich nicht für sich allein haben will. Gustav weiß manchmal nicht, was er zuerst machen soll, wenn sie ruft."

"Kein Kommentar", erwiderte Julius. Er hätte ja auch sagen können, daß viele Jungs, die er in Hogwarts gesehen hatte, wie die letzten Deppen hinter ihren Freundinnen herliefen und sofort sprangen, wenn sie riefen.

"Wenn Julius nicht aufpasst, bringt Barbara ihre Eltern noch dazu, Julius gegen Jacques einzutauschen, Claire. Ich hatte gestern den Eindruck, daß sie gerne seine große Schwester wäre", sagte Madame Dusoleil und schnippte mit einer Zauberstabbewegung Teigreste von der Anrichte in einen Abfallbehälter.

"Wer möchte wessen große Schwester sein?" Fragte Jeanne, die hinter Julius die Küche betrat.

"Schon um die Ecke, Jeanne! Guten Morgen", versetzte Julius schnell. Madame Dusoleil räusperte sich mißbilligend, und Claire grinste gemein.

"Ach, dann meintest du Barbara, Maman. Ja, das könnte hinkommen. Vor allem, wenn Julius ihrer Mutter sein Zeugnis vorlegt."

"Ich denke nicht, daß Madame Lumière mich einhandeln würde, nur wegen meiner Schulnoten. Da müßte ich ja in Zaubertränken und Geschichte besser dastehen", wandte Julius ein. Jeanne sah ihn bedauernd an und lachte dann.

"Binns ist wirklich kein Ansporn für gute Noten in Geschichte der Zauberei und Snape kann keine Schüler leiden, die nicht in seinem dubiosen Haus wohnen."

"Ihr tut ja alle so, als hätte Julius es nötig, in eine Familie hier in Millemerveilles aufgenommen zu werden", sagte Mademoiselle Dusoleil, die gerade hinter Jeanne die Küche betrat. Sie trug einen fliederfarbenen Umhang und hatte ihr pechschwarzes Haar zu einem Zopf geflochten.

"Sagen wir es mal so, Uranie: Nötig hat er es nicht, solange gesichert ist, daß der Junge seinen Talenten und Anlagen nach ausgebildet wird. Ich hörte mal von einem Jungen aus einer Muggelfamilie, der tatsächlich von seiner Familie getrennt werden mußte, weil diese ihm mit Mord gedroht hatten, wenn er das Zaubern nicht drangebe. Das Gedächtnis seiner Eltern mußte umständlich korrigiert werden, um ihn zu vergessen. Das haben die damals als Grandchapeau-Faucon-Intervention bezeichnet", erläuterte Madame Dusoleil, wobei sie Julius genau ansah. Julius erkannte, daß die Mutter Jeannes und Claires wohl nicht scherzte und fühlte sich etwas unwohl. Das bemerkte Madame Dusoleil wohl und lächelte beruhigend.

"Dir wird das nicht passieren, Julius. Immerhin hat deine Mutter bekräftigt, daß du in Hogwarts oder in welcher Zaubererschule auch immer lernen darfst, und dein Vater wird das auch noch verstehen. Immerhin hat er dir nichts angetan, als er die Gelegenheit dazu hatte."

"Wenn das jetzt beruhigend klingen sollte, ist das voll danebengegangen, Madame", erwiderte Julius beklommen. Dann sagte er:

"Paps wird es nur dann hinnehmen, daß ich Zauberei lerne, solange er nichts davon mitbekommt und ich nach der Schule noch einen für ihn normalen Beruf ergreife. Ich darf dann nur keine Hexe heiraten."

"Wen denn sonst?" Fragte Jeanne grinsend. "Eine Muggelfrau würde irgendwann rauskriegen, daß was mit dir nicht so ist, wie sie es für normal hält. Außerdem kennst du jetzt schon mehr Hexen als Muggelmädchen."

"Mädchen, Julius hat das nur hypothetisch gemeint", erwiderte Mademoiselle Dusoleil kalt. "Er denkt doch noch nicht daran, irgendwen zu heiraten."

"Oh ich habe vor fünf Jahren einer Cousine von mir gesagt, daß ich nur sie heiraten wolle, weil ich sie kenne und keine fremden Frauen heiraten wollte", vereitelte Julius den Tadel von Jeannes und Claires Tante.

"Um Himmels Willen!" Rief Claire. "Wenn ich Argon hätte heiraten wollen, wäre Tante Cassiopeia ja meine Schwiegermutter geworden. Danke verbindlichst!"

"Die Frau meines Bruders, Julius", erläuterte Madame Dusoleil, wen Claire meinte.

"Auf jeden Fall wirst du hier bessere Ferien verleben, als in England bei den Muggeln", stellte Claire Julius zugewandt fest. Dieser sagte nichts dazu.

Als Monsieur Dusoleil mit Denise die Küche betrat, bat die Hausherrin alle, sich hinzusetzen. Julius nahm zwischen Claire und Jeanne Platz. Denise setzte sich rechts von ihrer Mutter, während Monsieur Dusoleil wieder vor Kopf saß, Mademoiselle Dusoleil links von ihm.

Während des Frühstücks wurde wieder aus der Zeitung vorgelesen. Julius durfte einen Artikel über eine Zusammenkunft von Zaubertrankbraumeistern laut vorlesen und die neuesten Nachrichten aus der Quidditchliga Frankreichs. Dann fand er noch einen Artikel, der interessant war. Er las laut:

"Mysteriöses Verschwinden von Bartemius Crouch sorgt weiterhin für Aufruhr im Zaubereiministerium Großbritanniens!

Wie unsere Auslandskorrespondentin Iris Poirot in Erfahrung bringen konnte, vermissen die Abteilungen des englischen Zaubereiministeriums einen ihrer fähigsten und altgedientesten Mitarbeiter, Monsieur Bartemius Crouch. Der frühere Leiter der magischen Strafverfolgungsabteilung und bis zur zweiten Runde des trimagischen Turniers zu Hogwarts tätige Leiter der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit wurde seit den Ostertagen nicht mehr in der britischen Öffentlichkeit gesehen. Sein Mitarbeiter Percey Weasley, ein junger aufstrebender Hogwarts-Absolvent, wies Gerüchte über einen gewaltsamen Tod seines Chefs entschieden zurück. Er stellte klar, daß erst von einem Todesfall ausgegangen werden könne, wenn sterbliche Überreste gefunden oder Beweise für eine Gewalthandlung beigebracht wären. Es kann jedoch nicht geleugnet werden, daß sich der stets auf korrektes Aussehen und Verhalten bedachte Zauberer in seinem Leben eine Unzahl Feinde geschaffen hat, die im Zuge seiner Tätigkeit für die magische Strafverfolgungsbehörde viele Gründe erhalten haben, sich zu rächen. Im wesentlichen hat Bartemius Crouch mit dem Auror Alastor Moody, der im letzten Jahr das Unterrichtsfach Verteidigung gegen die dunklen Künste in Hogwarts lehrte, zu vielzähligen Verhaftungen skrupelloser Anhänger des unnennbaren geführt. Dabei schrak er auch nicht davor zurück, seinen eigenen Sohn, der denselben Vornamen trug, zur lebenslangen Haft in Askaban zu verurteilen, als dessen Mittäterschaft bei einer verwerflichen Folterung ans Tageslicht kam. Monsieur Crouches Sohn überstand die Haft nicht. Er starb in Askaban. Wenige Zeit darauf verstarb auch Monsieur Crouches Frau.

Ob Monsieur Crouch noch lebt, darf bezweifelt werden, da er, wie frühere Mitarbeiter von ihm aussagten, keine wichtige Arbeit ohne Aufsicht lassen würde. Seltsam ist, dies muß erwähnt werden, daß Monsieur Crouch ähnlich wie Igor Karkaroff und Rita Kimmkorn im Zeitraum zwischen der zweiten und dritten Runde des trimagischen Turniers von der Bildfläche verschwanden. Somit verdichten sich die Gerüchte, daß an einer behaupteten Rückkehr des Unnennbaren doch mehr dran sei, als vom englischen Ministerium für Zauberei eingeräumt wird."

"Bartemius Crouch war doch der Herr, der in diesem piekfeinen Muggelanzug bei der Weltmeisterschaft war und die erste Runde des Turniers als trimagischer Richter fungiert hat", erinnerte sich Jeanne. Julius nickte.

"Percey Weasley hat in meinem ersten Jahr Hogwarts zu Ende gemacht, Jeanne. Sieht ihm ähnlich, daß er alles zurückweist, was mit diesem Fall zu tun hat", sagte Julius. Doch dann fiel ihm ein, was ihm Professeur Faucon bei seiner Ankunft in Beauxbatons erzählt hatte. Moody, der in diesem Artikel erwähnte Lehrer mit der geschundenen Haut und dem magischen Auge, war eigentlich dieser Junge, Bartemius Crouch Junior, der es irgendwie geschafft hatte, aus Askaban zu entkommen. Julius dachte darüber nach, wie er Moodys Rolle hatte übernehmen können. Ihm fiel der Vielsaft-Trank ein, über den er selbst gestern noch gescherzt hatte. Wahrscheinlich hatte sich der falsche Moody damit vor aller Augen ständig in der Gestalt des früheren Aurors bewegen können. Aber das durfte er hier nicht sagen.

"Ist was, Julius?" Fragte Claire, die sah, wie ihr Sitznachbar nachdenklich dreinschaute.

"Ich erinnere mich nur daran, daß in Hogwarts Gerüchte umliefen, daß Crouch wohl schwer krank geworden sei, bevor die zweite Runde des Turniers ablief. Vielleicht dürfen die nicht zugeben, daß er nie wieder arbeiten kann, warum auch immer", log Julius, um seine wahren Gedanken zu verschleiern.

"Ja stimmt, Julius! Bei der letzten Runde war doch euer Zaubereiminister persönlich da, weil dieser Percey Weasley verdächtigt wurde, seinen Chef aus dem Amt gedrängt zu haben", fügte Jeanne hinzu.

"Den international abgestimmten Zauberergesetzen für Familie und Angehörige nach gilt jemand, der für einen Zeitraum von fünf Monaten verschwunden ist als unauffindbar und nach einem Jahr erlöschen die privaten Bürgerrechte des Vermißten. Das heißt, seine Kinder erben sein Vermögen, seine Frau wird als Witwe geführt und darf neu heiraten, selbst wenn der Vermißte selbst nicht tot aufgefunden wird. Das habe ich mal gelesen, als ich die Bestimmung von Zaubererfamilien nachgeschlagen habe und mich schlau las, wie meine Eltern in der Zaubererwelt gesehen werden."

"Wenn du in Kräuterkunde keinen Schnitt mehr machst, kannst du vielleicht Vermittler zwischen Zauberern und Muggeln werden", sagte Monsieur Dusoleil mit verschmitztem lächeln. "Minister Grandchapeau hat vor zwei Jahren Negotiatoren berufen, viele davon muggelstämmig, die berichten, welche Auswirkungen Beschlüsse der Muggel auf die Zaubererwelt haben und umgekehrt."

"Hmm, damit könnte sich mein Vater wohl auch nicht anfreunden", wandte Julius ein. Madame Dusoleil sagte dazu noch:

"Außerdem glaube ich nicht, daß Julius in Kräuterkunde nachlässig wird, Florymont. Dafür hat er schon zu viele Anregungen bekommen."

"Ich wußte doch, daß du jetzt sowas sagst, Schatz", entgegnete Monsieur Dusoleil grinsend.

"Außerdem hat Julius ein viel zu gutes Zaubertalent, um nur irgendwelche Berichte zu schreiben. Das wäre doch pure Verschwendung", mischte sich Jeanne ein, die ja wußte, wovon sie sprach, da sie mitbekommen hatte, was Julius alles an Sonderaufgaben erledigen mußte.

"Schade, daß wir in den Ferien nicht zaubern dürfen", bedauerte Claire. "Das hätte ich gerne gesehen, wie gut du in Verwandlung bist. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, hast du von Professeur Faucon ja unsere Zauberstabführungstechnik gelernt."

"Wenn deine Lieblingslehrerin nicht auf die Idee kommt, uns gegeneinander Übungskämpfe machen zu lassen, wirst du von meiner Zauberei ja auch nichts mitkriegen", wandte Julius ein.

"Hmm, Blanche hat uns nicht erzählt, wie sie euch unterrichten will", fiel es Monsieur Dusoleil ein. "Ich kann nur hoffen, daß sie euch nicht in Gefahr bringt."

"Dann bekommt sie Ärger mit mir, Florymont", stellte Madame Dusoleil mit ernstem Gesicht klar.

"Sie hat mir nach der letzten Stunde Verteidigung gegen die dunklen Künste erzählt, daß wir schon Übungen machen. Sie wird wohl jeden einzelnen auf seine oder ihre Stärken und schwächen prüfen. Ich kann mir sogar vorstellen, daß wir leichtere Duellübungen machen, wie wir es in Beauxbatons ja auch tun", sagte Claire.

"Duelle? Stark!" Brach es aus Julius heraus. Zwar hatte der Typ, der als Moody in Hogwarts herumgelaufen war, fast jede Stunde Fluchabwehr und Angriffszauber trainiert, aber nur auf der Grundlage, daß er angriff und sich die anderen wehren mußten.

"Hmm, ihr habt keinen Duellierclub?" Wunderte sich Mademoiselle Dusoleil. "Wie wollt ihr denn dann Angriffen fremder Zauberer begegnen?"

"Indem wir uns hinwerfen und uns tot stellen", erwiderte Julius frech.

"Hmm, dann wirst du wohl gegen Caro eingesetzt, Claire", vermutete Jeanne.

"Hmm, und mir werden sie wohl Elisas Tanzpartner, den jungen Monsieur Dimanche als Duellpartner geben", gab auch Julius eine Vermutung zum besten. Jeanne schüttelte den Kopf.

"Wenn wirklich stimmt, was an eurem Haustisch über dich erzählt wurde, und weil du einige unserer Schulbücher der höheren Klassen hast, wirst du wohl im Falle einer Duellübung entweder gegen Virginie, Seraphine oder gar mich antreten", vermutete Jeanne weiter. Julius schluckte. Zum einen fühlte er sich nicht so gut, daß er gegen Leute aus höheren Klassen Zaubererduelle führen wollte, zum anderen hatte er damals zusammen mit Lester und Malcolm, seinen alten Schulfreunden, beschlossen, niemals ein Mädchen, eine Frau oder ein kleines Kind zu schlagen oder zu verletzen. Auch wenn Malcolm und Lester im letzten Jahr irgendwie auf die schiefe Bahn geraten waren, weil sie Rauschgift verteilt haben sollten, aber für Julius galt der alte Schwur noch. Er sagte:

"Ich denke, daß Madame Faucon nicht zufällig sechs Mädchen und zwei Jungen in die Nachhilfegruppe genommen hat. Wenn es zu Duellen auf Probe kommt, werden die Jungen wohl gegeneinander antreten."

"Geschlechtliche Trennung wie bei den Muggelkampfsportarten gilt nicht im Duellierclub", wußte Mademoiselle Dusoleil und grinste ihren Bruder an. "Immerhin hat Florymont einmal gegen meine Schulfreundin Griselle antreten müssen, weil er besser war als ich und sie besser war als ich."

"Jaja, Uranie. Das war toll, wie Griselle mich mit dem Voxalta-Fluch behext hat. Meine Stimme hat ja gequiekt, wie eine Maus in der Falle", sagte Monsieur Dusoleil und errötete. Denise giggelte belustigt und fragte, wie sich das angehört hatte. Ihr Vater räusperte sich und sprach dann mit einer fast kleinkindhaften hohen Stimme.

"Ich weiß, daß du mit deinem Freund Kevin gerne gewettet hast", wandte sich Jeanne leise an Julius. "Wie wäre es, wenn du mir einen Schokofrosch gibst, wenn du gegen Seraphine, Virginie oder mich antreten mußt. Falls du gegen Elisa, Dorian oder gar Claire antreten mußt, bekommst du ein Kilo Fruchtschaumschnecken mit Schokoladenhäuschen von mir."

"Na toll, Jeanne. Dafür, daß ich deine Schwester im Duell fertigmachen soll willst du mich noch überfüttern. Was sind eigentlich Fruchtschaumschnecken?"

"Du kennst keine Fruchtschaumschnecken?" Fragten alle drei Töchter von Madame und Monsieur Dusoleil im Chor. Julius schüttelte verlegen den Kopf.

"Madame Faucon wird ihm keine gegeben haben, als er hier war. Sowas ißt nur, wer nicht satt wird", sagte Madame Dusoleil.

"Dann darf ich bei Ihnen auch keine essen", warf Julius seiner Gastmutter zugewandt ein und erntete ein belustigtes Grinsen von ihr.

"Stimmt, das könnte mich in den Verruf bringen, dir nicht genug zu essen zu geben", sprach sie Julius' Gedanken aus. Alle lachten.

Die düstere Stimmung, die nach dem Crouch-Artikel aufgekommen war, war nun völlig verflogen. Claire erkundigte sich bei Julius, welche Flüche und Abwehrzauber sie in der zweiten Klasse erlernt hatten. Julius sagte nur:

"Oh, ich weiß nicht, ob ich dir das sagen darf. Nachher hetzt Madame Faucon uns beide wirklich aufeinander, und dann falle ich mit Pauken und Trompeten durch, weil ich dir alles verraten habe." Dann erwähnte er noch, daß er eigentlich kein Mädchen angreifen durfte, weil er das einmal geschworen hatte.

"Dann denk einfach, daß eine böse Hexe aus einem Märchen der Muggel dir an den Kragen will", gab Claire unbedacht zurück.

"Claire!" Rief Madame Dusoleil und sah ihre Tochter erzürnt an. Claire schien unter dem Blick ihrer Mutter zusammenzuschrumpfen. Doch dann beruhigte sich Madame Dusoleil wieder.

"Das kam jetzt nicht so gut, Claire", flüsterte Julius seiner Brieffreundin zu. Diese nickte und lief tomatenrot an. Beide konnten sich noch gut daran erinnern, wie wütend Madame Dusoleil war, als sie nach Ostern ihre Posteule mit roter Farbe besudelt und mit einem sehr bösen Brief von Julius' Vater zurückbekommen hatte. Außerdem malte sich Julius aus, daß man über böse Hexen und Zauberer keinen Scherz machte, auch und gerade jetzt nicht, wo sicher war, daß der dunkle Lord Voldemort wieder aufgetaucht war.

Der Rest des Frühstücks verlief wieder in lockerer Stimmung. man redete von Quidditch und Schach, sowie Neuerungen in der grünen Gasse, den Zaubergärten von Millemerveilles.

"Wenn du nachmittags Zeit hast, Julius, kannst du jederzeit mit mir dorthin. Da du mein Hausgast bist, brauchst du kein Geld zu bezahlen", verkündete Madame Dusoleil. Julius kannte die Hexe schon so gut, daß er wußte, daß sie es so meinte, wie sie es sagte und sich nicht davon abbringen lassen würde. Deshalb sagte er auch nichts dagegen. Er wannte sich noch mal an Jeanne:

"Wenn du mir so eine hohe Wettquote anbietest, wäre es irrsinnig, darauf einzugehen. Ich habe mal mit Kevin etwas gewettet, wo ich mir sehr sicher war, daß ich gewinnen würde und ihm dafür auch eine hohe Quote geboten, wenn er recht hätte. Er nahm nicht an. Ich hätte sowieso gewonnen. Deshalb bin ich lieber feige und esse den einen Schokofrosch lieber selber."

"Ich kenne Madame Faucon doch schon einige Jahre, Julius. Sie wird Chancengleichheit herstellen wollen, wenn jeder von uns was lernen soll. Was bringt es einem besser ausgebildeten, gegen einen schlechter ausgebildeten anzutreten? Insofern stell dich darauf ein, daß du es mit einer der älteren Hexen aus unserer Gruppe zu tun bekommst, falls wirklich Übungsduelle angesetzt sind", antwortete Jeanne.

Nach dem Frühstück bereiteten sich Claire, Jeanne und Julius auf den Nachhilfeunterricht vor. Claire und Jeanne holten ihre Bücher, Zauberstäbe und Schreibsachen, während Julius zu diesen wichtigen Gebrauchsgegenständen noch sein Vielzeug und die fest verschlossene Phiole mit dem mit Phönixtränen verstärkten Goldblütenhonig, der gegen körperschädigende Flüche kleinerer Stufen schützen sollte einpackte. Er hatte diese Dinge von Professeur Faucon zum Geburtstag und zu Weihnachten geschenkt bekommen. Jetzt wollte er sie zumindest dabeihaben.

"Camille, Virginie und die Lagranges sind da!" Rief Monsieur Dusoleil vom Erdgeschoß her. Julius eilte die Treppen hinunter und traf auf Claire und Jeanne, die ihr schwarzes, leicht gewelltes Haar noch einmal glatt gekämmt hatten. Jeanne öffnete die Tür und begrüßte Seraphine, die in ein sonnengelbes Rüschenkleid gehüllt war. Julius sah dahinter Virginie Delamontagne, die ein mitternachtsblaues Kurzkleid mit weißem Spitzenbesatz trug. Seraphines jüngere Schwester Elisa trug einen weißen Rock mit blauen Querstreifen und eine himmelblaue Bluse. Dann trafen noch Caroline Renard und Dorian Dimanche ein. Dorian trug seinen Beauxbatons-Umhang, während Caro ein violettes Kostüm ausführte und ihr brünettes Haar mit einem Fülligkeits- und Glanzmittel behandelt hatte, wie Julius sofort feststellte. Gloria hatte ihm einige Tricks der Hexenkosmetik vorgeführt, die für Mädchen und Jungen brauchbare Selbstverschönerungsmittel boten. Julius fiel nur auf, daß die Mädchen keinen Schmuck trugen.

"Eigentlich hätte ich den neuen Anzug mitnehmen sollen", dachte Julius und erinnerte sich an den guten Anzug, den sein Vater ihm zu Weihnachten geschickt hatte. Er sollte ihn bei festlichen Veranstaltungen tragen. Doch weil der trimagische Weihnachtsball bereits vorbei und es in der Zaubererwelt sowieso nicht angesagt war, in Muggelanzügen aufzutreten, hatte Julius den Anzug das erste und wohl letzte Mal auf der Party von Dr. Sterling, seines Vaters Studienfreund, getragen, wo er wundersamerweise eine echte Hexe, ihre Tochter und ihren Enkel getroffen hatte.

Hallo, Julius", grüßten Seraphine und Virginie den Hausgast der Dusoleils. Dann trat noch Caro auf Julius zu und umarmte ihn flüchtig.

"Ich freue mich schon, zwischen Hogwarts und Beauxbatons zu vergleichen", hauchte sie Julius zu. Claire sah ihre Klassenkameradin mit einem merkwürdigen Blick von der Seite an.

"Wie kommen wir denn zu Madame Faucons Haus?" Fragte Julius, als er die Besen von Seraphine und Virginie sah.

"Wir können zu Fuß hin, was ungefähr zehn Minuten dauert oder mit dem Besen fliegen, was höchstens fünf Minuten dauert", antwortete Jeanne.

"Oh ja, Jeanne. Wir fliegen alle auf Besen", schlug Elisa Lagrange vor. Dorian meinte nur:

"Wo ich nicht so doll fliegen kann. Aber sei es. Ich kann ja laufen."

"Wenn wir fliegen, dann können doch die, die jemanden transportieren können, einen mit hinten drauf nehmen", meinte Caroline Renard. Julius schluckte einen tennisballgroßen Kloß hinunter. Ihm war klar, was Caro damit andeutete.

"Gut. Machen wir das so", bestimmte Virginie, die sich mit Jeanne durch kurze Blicke verständigt hatte. "Jeanne nimmt Caro auf ihrem Besen mit, ich nehme Dorian auf meinem Besen mit und Julius nimmt Claire mit. Die beiden sind ja schon gut eingespielt. Dann brauchen wir nur vier besen."

"Alles klar, Virginie", sagten Jeanne und Julius und holten ihre Besen. Caro sah ein wenig enttäuscht drein, weil sie mit Jeanne fliegen sollte. Doch sie wagte nicht, zu widersprechen. Claire hingegen strahlte über ihr braungetöntes Gesicht, als sie sich hinter Julius auf dessen Sauberwisch 10 schwang.

Der Flug verlief ohne großes Spektakel. Dorian hockte leicht verschüchtert hinter Virginie, als Julius an ihr vorbeizog und Claire kurz winkte, bevor sie sich wieder mit beiden Armen um Julius' Hüfte festhielt.

Als das Haus mit den vier Schornsteinen in Sicht kam, flogen alle noch eine große Bremskurve darum herum und landeten auf einer Wiese, die für Landungen vorgesehen war. Julius wurde aufgefordert, die Türglocke zu läuten, um Madame Faucon zu zeigen, daß sie alle angekommen waren.

Madame Faucon, gekleidet in einen mauvefarbenen Satinumhang, öffnete die Tür und sah Julius Andrews entschlossen an. Dann suchten ihre saphirblauen Augen den Blick jeder einzelnen Schülerin ihrer Nachhilfegruppe und verhielten bei Dorian, dem zweiten Jungen der Gruppe. Julius sah, wie jeder Beauxbatons-Schüler unvermittelt Haltung annahm. Als Madame Faucon ihn wieder ansah, richtete er sich ebenfalls zur vollen Größe auf und verharrte in gerader Haltung. Er staunte immer wieder, wie gut die Augen der Verwandlungs- und Fluchabwehrlehrerin noch waren, daß sie konzentriert und klar jeden mustern konnten. Er dachte an die erhabenen Lehrer McGonagall und Dumbledore, die bereits seit Jahren Brillenträger waren. Auch bei der Beauxbatons-Lehrerin Professeur Fixus hatte er bereits eine Brille gesehen.

"Einen recht guten Morgen, Mesdemoiselles und Messieurs", wünschte Madame Faucon. Wie im Chor erwiderten alle angetretenen mit "Guten Morgen, Madame Faucon!"

"Kommen Sie bitte alle erst einmal herein! Ich werde dann vorstellen, wie ich mir den gesamten Nachhilfeunterricht für Sie ausgemalt habe. Es ist Ihnen erlaubt, konstruktive Vorschläge zur Unterrichtsgestaltung einzubringen, die ich in die Planung der Stunden einbeziehen kann. Also bitte!"

Die Schülerinnen und Schüler betraten ohne Hast das Haus, in dem Julius in den letzten Sommerferien über vier Wochen zugebracht hatte. Wieder schien es ihm, als würden die anderen ihn vorschicken wollen. Sicher, er war kein Beauxbatons-Schüler, ein Exot. Vielleicht war es aber auch die Vermutung, daß er von der Lehrerin, die sich einen Ruf als strenge Erzieherin erworben hatte, ihn etwas milder anfassen würde oder an ihm das vollstrecken würde, was die anderen dann nicht abbekamen. Julius fühlte sich etwas unwohl, wenngleich alles in diesem Haus ihm ein Gefühl von Heimkehr vermittelte, wie bei einem Besuch im Haus der Oma.

Im Wohnzimmer, in dem mehr als zwanzig Leute gemütlich an einem Tisch sitzen konnten, wie Julius von seiner letzten Geburtstagsfeier wußte, nahmen die acht Schülerinnen und Schüler platz, wobei Dorian peilte, wohin sich Madame Faucon setzen würde und möglichst viel Abstand zu ihr hielt. Claire und Julius saßen der Lehrerin am nächsten, als diese sich niederließ und acht mal zwei Pergamentseiten auf dem Tisch verteilte. Julius wartete, bis sie aufgefordert wurden, die oberen Seiten zu lesen. Er sah den rot umrandeten Titel: CHARAKTERISTIKA VON FLÜCHEN Darunter waren Stichwörter aufgeführt, die sich ungefähr mit dem deckten, was Moody in Hogwarts unterrichtet hatte.

"Wie Sie alle sehen können, werden wir uns in den ersten Stunden schwerpunktmäßig mit der Art und Abwehr verschiedener Zauberflüche beschäftigen, da ich finde, daß Ihnen eher Gefahr von Ihresgleichen droht, als durch die dunklen Kreaturen, die natürlich existieren und auch einen Bestandteil unseres Ferienkurses bilden. Da dunkle Kreaturen jedoch an bestimmten Orten anzutreffen sind oder auf Befehl von dunklen Magiern in Aktion treten, ist der Schutz vor dunklen Zauberern und Hexen oberstes Gebot. Ich weiß, daß ich hier niemandem etwas erzähle, was ich nicht schon erzählt habe. Ich weiß auch, daß Monsieur Andrews, unser Gast aus England, in dieser Thematik im letzten Jahr sehr intensiv unterwiesen wurde. Aber Wiederholungen zu Beginn erleichtern den Einstieg in die Neuheiten, weiß ich. Noch mal zum Zeitrahmen:

Dieses Wochenende bildet die Ausnahme, da wir alle Zeit haben, uns mit bekannten Sachen zu beschäftigen. Ansonsten findet mein Nachhilfekurs unter der Woche zwischen neun und zwölf Uhr morgens statt. die Nachmittage sind zur freien Verfügung, die Wochenenden ebenso. Immerhin haben Sie alle, die Sie hier sind, sich Ihre Ferien verdient und werden daher von mir nicht unerträglichen Belastungen ausgesetzt. Jetzt gibt es natürlich einige, die finden, daß es doch unfair sei, eine kleine Gruppe freiwilliger Absolventen intensiv zu unterrichten, während der Großteil der Schüler, egal ob in Beauxbatons oder Hogwarts, dieses Angebot nicht erhält oder wahrnehmen will. Ich gebe diesen kostenlosen Ferienkurs in der Überzeugung, daß mein Wissen und meine Erfahrung gerade jetzt so früh wie möglich interessierten und daher leistungsbereiten Schülern vermittelt werden soll. Deshalb habe ich niemanden gezwungen, diesem Kurs beizuwohnen, obwohl es genug Kandidaten gibt, die es nötig haben. Ich stelle auch fest, daß Sie, die hier sind, zu den überdurchschnittlichen Schülern Ihrer Klassen gehören, also mit- und voneinander eher etwas lernen, als wenn überdurchschnittlich gute mit überdurchschnittlich schlechten Schülern zusammenlernen.

Zur Disziplin", verhaltenes Stöhnen und verlegenes Umherblicken der Beauxbatons-Schüler erfolgte bei diesem Satz. "Jeder, welcher hier lernt, hält sich an folgende einfache Grundregeln:

Erstens antwortet nur derjenige, den ich etwas frage.
Zweitens möchte sich jeder, der was zu sagen oder eine Frage zu stellen hat, durch Handzeichen bei mir melden, sofern damit nicht in ein laufendes Gespräch oder eine Aktion eingegriffen wird, die nicht unterbrochen werden darf.
Drittens werden alle von mir gegebenen Anweisungen konsequent erfült, will sagen, wenn ich Aufgaben verteile, werden diese ausgeführt, ohne wenn und aber.

Ich weiß, daß Sie alle diese Vorgaben mit Leichtigkeit beherzigen können. Somit können wir beginnen. Pausen von zehn Minuten sind übrigens nach den ersten anderthalb Stunden eingeplant."

Nachdem die Lehrerin ihre Ansprache beendet hatte, sah sie noch mal jeden an, als frage sie durch ihren Blick die Namen ab. Dann begann die erste Ferienstunde, die, wenn es nach Julius' Vater gegangen wäre, niemals hätte stattfinden dürfen.

"Mademoiselle Renard, erläutern Sie bitte aus dem Kopf die Ihnen bekannten Arten von Flüchen!" Forderte Madame Faucon von Caro und sah sie dabei erwartungsvoll an. Caro straffte ihren Körper, runzelte kurz die Stirn und antwortete dann:

"Es gibt vier Grundarten von Flüchen, die jede für sich noch mal in Unterarten gegliedert sind. Da sind die Körperschädigenden Flüche, die Ereignismanipulationen, die Außenkraftmanipulationen und die Geist- und Seelenangriffe. Zu ersterem gehören Flüche, die Schäden am Körper, wie gebrochene Glieder oder Verletzungen verursachen, sowie Krankheiten und Sinnesstörungen bewirken, aber auch Verunstaltungen und Bewegungsfähigkeiten bewirken. Die zweite Art kann an Gegenstände oder Räume gekoppelt werden und ändert die damit in Kontakt kommenden Personen derart, daß bestimmte Handlungsabläufe nicht mehr oder gegenteilig stattfinden. Da gab es mal den Fall des Tränenkessels, der jeden, der Wasser aus ihm trank, in eine tiefe Trauer und Schwermut versetzte. Es soll sogar möglich sein, verfluchte Gegenstände mit eigenem Willen zu schaffen. Die dritte Form bewirkt, daß Außenkräfte eine Person oder Personengruppe beeinträchtigen, sie fesseln, festhalten, von irgendwas abhalten oder durch Naturkräfte wie Wasser, Feuer Erde und Wind beeinträchtigen. Ein Beispiel für die dritte Form ist der Murattractus-Fluch, der Mauernheft-Fluch, der davon betroffene an die nächste Wand drückt und dort festhält wie angebacken. Die vierte Fluchform beinhaltet Einwirkungen auf die Gefühle oder Willensfähigkeit der betroffenen Person, wie der Panikfluch Horritimor oder der Trübsinnsfluch Depressissimus. Es soll noch einen sehr mächtigen Fluch geben, der die totale Gedankenkontrolle und Versklavung bewirkt, so mächtig und grausam, daß er verboten wurde. Mehr kann ich dazu jedoch nicht sagen."

"Das habe ich Ihnen aber erläutert, Mademoiselle Renard", wandte Madame Faucon ein, als Caro keine weiteren Angaben machte. Dann wandte sie sich an Julius. Er sah Jeanne und Seraphine an. Diese saßen da, als rechneten sie damit, im Moment nicht gefragt zu werden.

"Monsieur Andrews, nennen Sie bitte die drei verbotenen Flüche!"

Julius schluckte hörbar. Wieso sollte er diese Flüche erwähnen? Doch der zur Antwort fordernde Blick der älteren Hexe vertrieb seine Bedenken.

"Caro hat eben von Körperschädigenden gesprochen. Dazu gehören der Folterfluch Cruciatus, der seinem Opfer unbeschreibliche Schmerzen zufügt, die, wenn sie lange zugefügt werden, in unumkehrbaren Wahnsinn enden können. Der von ihr erwähnte Versklavungsfluch heißt Imperius und schafft in der Tat eine totale Kontrolle über den Willen eines damit belegten. Ich erfuhr, daß die Opfer dieses Fluches jedoch bei klarem Bewußtsein blieben und genau wüßten, was sie tun, sich aber nicht oder nur sehr schwer dagegen wehren können. Dann ist da der dritte, am meisten verachtete Fluch, der Todesfluch Avada Kedavra. Dieser Fluch muß wohl zur Körperschädigenden Form gezählt werden. Allerdings mußte ich im letzten Jahr feststellen, daß er keine äußeren Spuren auf einem Opfer hinterläßt und wohl auch keine inneren Verletzungen verursacht. Meiner Meinung nach entzieht er dem Lebewesen, das er trifft, seine gesamte Lebensenergie. Wenn einer dieser drei Flüche auch nur ansatzweise gegen einen Mitmenschen gewirkt wird, wird die Person, die den Fluch gewirkt hat zu einer lebenslänglichen Haft in Askaban verurteilt. Das heißt jedoch, die Person, die einen dieser Flüche oder alle drei wirkt, muß gefaßt und überführt werden, wie jeder andere Straftäter auch."

"Sehr gut", erwiderte Madame Faucon. Elisa hob die Hand und bat ums Wort.

"Darf ich fragen, wieso du dich so gut mit diesen drei Flüchen auskennst, Julius?"

Julius sah fragend Madame Faucon an, die nickte und ihm damit erlaubte, zu antworten.

"Ich habe mir die allgemeinen Zaubereigesetze durchgelesen. Außerdem habe ich aus bestimmten Gründen nachgelesen, wer mich wie angreifen kann. Dann hatten wir im letzten Jahr einen Lehrer, der uns ausschließlich in Fluchabwehr geprüft und uns auch die Theorie beigebracht hat. Ihr habt ja auch gehört, daß es bei der dritten Runde des trimagischen Turniers einen Todesfall gab. Wahrscheinlich wurde Cedric Diggory mit dem Todesfluch umgebracht."

"Soviel dazu", griff Madame Faucon schnell ein. Sie wollte keine Diskussion haben, die sich mit Voldemorts Rückkehr beschäftigte. Daß er wieder da war, wußten ja sowieso alle. Madame Maxime hatte es ihnen in Beauxbatons erzählt.

Jeanne sah die Lehrerin an und bat ums Wort. Als sie es bekam fragte sie Julius zugewandt: "Welcher Kategorie gehört denn dann der Auraveneris-Fluch an, der jemanden so behext, daß sich alle in die damit behexte person verlieben?"

Madame Faucon nickte Julius zu, er möge antworten.

"Obwohl der Fluch sowohl den Körper des betroffenen Lebewesens, sowie die Gefühls- und Gedankenbildung der Kontaktpersonen beeinflußt, ist es ein Fluch der zweiten Grundform, weil ein Kessel mit einem bestimmten Trank bezaubert wird, einen Nebel auszuströmen, der diesen Fluch verbreitet. Mit der Zerstörung des Kessels verschwindet auch der Fluch."

"Nennen Sie uns bitte die Grundformen der Gegenflüche, Mademoiselle Claire Dusoleil!" Wandte sich Madame Faucon an Claire, nachdem sie Julius' Antwort mit einem bestätigenden Nicken bedacht hatte. Elisa, Caro und Dorian glotzten Julius nur an, als wollten sie fragen, was er eigentlich hier wollte, wenn er doch schon das wußte, was eigentlich nur Jeanne und Seraphine wissen konnten.

"Hmm, direkte Gegenflüche zur Abschüttelung eines direkten Angriffszaubers, Schilde, Hemmzauber und Umkehrflüche, die die umgekehrte Wirkung haben und so auch als Gegenangriff benutzt werden können, wie der depetrificus-zauber, der Klammer- und Versteinerungsflüche umkehrt, aber auf Leute, die nicht vorher von einem solchen Fluch getroffen wurden, zu gummiartigen Geschöpfen verdammt, weil die Knochen ihre Härte verlieren."

"Mademoiselle Seraphine Lagrange, stellen Sie sich für eine kurze Demonstration der gerade beschriebenen Abwehrtechniken zur Verfügung!" Befahl Madame Faucon Seraphine. Diese stand auf und holte ihren Zauberstab hervor. Dann trat sie in die Mitte des Raumes, Madame Faucon genau gegenüber. Die Lehrerin zog ihren Zauberstab und stieß einen Zauberfluch aus, den Seraphine mit einem Gegenfluch abwehrte. Dann baute sie um sich herum einen golden schimmernden Zauberschild auf, der den nächsten Angriff der Lehrerin gerade noch abfing.

Julius sah, wie Seraphine durch leichte Zauberstabbewegungen ihr geltende Angriffe parierte oder sich durch einen schnellen Gegenfluch vor der Wirkung der Flüche bewahrte, die ihre Abwehr überwanden. Julius Andrews kannte durch Madame Faucons Buch über Schutzzauber und Moodys Unterricht verschiedene Abwehrzauber und konnte sie auch anwenden, was für einen gerade mit der zweiten Klasse fertigen Zauberschüler nicht alltäglich war.

Als Madame Faucon Seraphine mit einem ziemlich heftigen Fluch traf, von dem Julius sich sicher war, daß er schon an der Grenze des Verbotenen lag, sah der Hogwarts-Schüler, wie um Seraphine eine Aura aus grün flimmerndem Licht entstand und die Umrisse der fast erwachsenen Hexe verschwammen. Seraphine wurde durchsichtig wie Glas, nein, wie ein Nebelstreifen aus Wasserdampf. Julius hörte ein dumpfes Aufstöhnen. Dann krachte es, und Seraphine stand einen Meter von ihrem Standort entfernt da, total erschöpft. Alle Schüler und Schülerinnen sahen die Lehrerin an. Dorian sank auf seinem Stuhl zusammen.

"W-was war denn das?" Wagte Caro es, unaufgefordert zu sprechen. Madame Faucon sah Seraphine an und forderte sie auf, die Frage zu beantworten.

"Das war der Materieverdrängungsfluch, der alles, was er trifft auflöst und erst nach einer Stunde wieder zurückbringt. Man könnte ihn als Zeitsprung-Bann bezeichnen, weil ein Unkundiger für eine ganze Stunde untätig in einem außerräumlichen Zustand verharrt und sich erst wieder bewegen und denken kann, wenn er aus diesem Zustand in seine Normalform zurückkehrt. Der Fluch ist nicht tödlich, aber ungemein heftig, da in einer Stunde viel passieren kann, das dem Betroffenen bei seiner Rückkehr schaden kann. Es gibt einen Gegenfluch. Den habe ich gebracht. Aber er war nicht stark genug, mich unbeschadet zu lassen, zumindest habe ich es nicht so geschafft wie es im Buch steht", erklärte Seraphine und setzte sich auf ihren Platz.

"Um dies klarzustellen, Mesdemoiselles und Messieurs: Ich habe Mademoiselle Seraphine Lagrange nicht mit diesem Fluch angegriffen, um sie für eine Stunde aus unseren Reihen zu verbannen, sondern weil ich wußte, daß sie den Gegenfluch gelernt hat", stellte Madame Faucon fest. Dann fragte sie Jeanne und Julius, was sie in Hogwarts durchgenommen hatten. Jeanne berichtete von Moodys Unterricht und erwähnte auch, daß er die Schüler der sechsten Klasse, bei denen Sie im Unterricht mitgearbeitet hatte, probeweise dem Imperius-Fluch unterworfen hatte. Julius berichtete von den unzähligen Übungsstunden, in denen seine Klassenkameraden und er von Moody drangsaliert worden waren, bis sie sich gegen die meisten Flüche wehren konnten.

"Wie ist der Mann, der Mad-Eye Moody genannt wurde, auf Ihre hohe Grundkraft eingegangen, Monsieur Andrews?" Wollte Madame Faucon wissen. Julius errötete und zögerte mit einer Antwort. Als die Hexenlehrerin ihn jedoch sehr fordernd ansah, rang er sich doch einige Worte ab. Er sagte:

"Nun, ähm, ich weiß nicht, ob er es von den anderen Lehrern gesagt bekommen hat, Madame. Ich habe mich weitestgehend zurückgehalten, zumal Moody immer so knurrig war, immer auf der Hut vor irgendwelchen Angreifern. Na ja, seitdem ich weiß, daß ..."

"... Mad-Eye Moody ein Hochstapler war, erklärt sich sein Verfolgungswahn noch besser", schnitt Madame Faucon Julius das Wort ab. Julius errötete erneut. Er hätte ja fast verraten, daß er wußte, daß Moody nicht Moody war, sondern der angeblich in Askaban gestorbene Sohn von Bartemius Crouch, über dessen Verschwinden gerätselt wurde.

"Sie haben also nur die Körper verändernden und die objektgebundenen Flüche durchgenommen, Monsieur Andrews. Ich weiß jedoch aus zuverlässiger Quelle, daß Sie auch gut in Gegenflüchen ausgebildet wurden, die den Geist gegen Angriffe schützen", sagte Madame Faucon noch, um schnell von Julius' Beinaheverplapperer abzulenken.

"Moody hat uns einige Male mit Flüchen angegriffen, wie dem Panikfluch oder dem Depressissimus-Fluch. Ich habe dagegen den Auracalma-Gegenzauber benutzt. Dieser Zauber stammt aus einem Lehrbuch über Gegenflüche, Banne und Meldezauber."

"Wollte doch sagen, daß Sie sich das Wissen nutzbar machen, welches Ihnen zur Verfügung gestellt wird", erwiderte Madame Faucon. Dann gebot sie:

"Stellen Sie sich zu Paaren in die Mitte des Raumes, wenn ich Sie aufrufe. Sie werden dann gemäß den Duellregeln Ihre Angriffs- und Abwehrzauber miteinander messen. Ich werde jedoch zunächst nur einem Angriffe zubilligen, während der andere sich verteidigen muß. Wenn drei Angriffe ausgeführt und hoffentlich abgewehrt wurden, möchte ich, daß Sie sich nach Belieben angreifen, um Ihre Reaktionsstärke zu prüfen. Da ich davon ausgehe, daß Sie keine wirklich lebensgefährlichen Flüche anwenden werden, kann ich mit dem Finite-Incantatem-Zauber gescheiterte Abwehrversuche bereinigen, falls dies nötig wird. Es dürfen keine Elementar- Fernlenk- oder Verwandlungszauber angewandt werden. Bekomme ich mit, daß auch nur einer versucht, seinen Gegner zu verwandeln, findet er oder sie sich selbst in etwas unangenehmes verwandelt wieder. Das ist hoffentlich angekommen", sagte Madame Faucon und sah wie beiläufig Dorian und Caro an. Julius war froh, daß sie ihm nicht unterstellte, Verwandlungszauber zum Angriff benutzen zu wollen, obwohl ihm schon die Idee kam, sowas zu machen. Was die Fernlenkzauber anging, so dachte er daran, nicht den entsprechenden Gegner, sondern dessen Umgebung bezaubern zu können.

"Mademoiselle Jeanne Dusoleil und Mademoiselle Seraphine Lagrange bilden ein Paar! Mademoiselle Claire Dusoleil und Mademoiselle Renard bilden das zweite Paar. Monsieur Dimanche wird sich mit Mademoiselle Elisa Lagrange messen", legte die Lehrerin die Duellpaare fest. Dorian öffnete den Mund zu einem Protest. Madame Faucon sah ihn entschlossen an und zischte:

"Ihre gesellschaftliche Bindung mit Mademoiselle Elisa interessiert hier keinen, Monsieur Dimanche. Wenn Sie sich gut halten, geschieht Ihnen nichts, wie auch Mademoiselle Elisa Lagrange nicht."

Julius verstand. Dorian wolte nicht gegen seine Freundin antreten. Auch er, Julius, hätte sich lieber mit Caro, Dorian oder Claire messen können. Doch die Einteilung lag fest. Es hatte ihn und Virginie zusammengeführt. Er hätte die Wette gegen Jeanne verloren. ER fragte dennoch:

"Finden Sie nicht, daß Mademoiselle Delamontagne und ich zu unterschiedlich ausgebildet sind, um einen brauchbaren Vergleich zu kriegen?"

"Denke ich nicht, Monsieur Andrews. Ich denke auch nicht, daß Sie sich auf ein geringeres Niveau heruntersehnen, als ich Ihnen zugestehe."

"Wieso sollte ich nicht gegen Julius antreten?" Wollte Dorian wissen.

"Weil ich das so beschlossen habe, Monsieur Dimanche", gab Madame Faucon sehr unmißverständlich zur Antwort.

Da niemand mehr etwas zu bemängeln wagte, setzte Madame Faucon den Unterricht fort, wie geplant. Jeanne und Seraphine traten gegeneinander an und zeigten, wie gut sie Flüche und Gegenflüche anbringen konnten. Tatsächlich waren Jeanne und Seraphine gleich gut. Dagegen erwies sich Dorian gegen Elisa als leichte Beute. Einmal ließ Elisa ihrem aufgezwungenen Gegenspieler einen meterlangen Bart wachsen. Dann ließ sie ihn wie wild in der Gegend herumtanzen. Der letzte Fluch rief bei Dorian einen fast unstillbaren Weinkrampf hervor. Seine Angriffe verpufften immer wieder an Elisas Gegenzaubern, wobei sie keine Schildzauber verwendete, sondern direkte Abfangflüche gegen die ihr geltenden Angriffe. Claire und Caro lieferten sich ein ausgeglichenes Duell. Einmal schaffte es Claire, Caro über den Ganzen Körper Haare wachsen zu lassen. Einmal gelang es Caro, Claire einen Schluckauf aufzuhalsen. Jedesmal half Madame Faucon mit einem Gegenfluch aus, um den angerichteten Schaden zu beheben. Dann waren Virginie und Julius fällig.

Gemäß den Duellregeln verbeugten sich die beiden voreinander. Julius erinnerte sich dabei an seine Karatestunden. Sein japanischer Privatlehrer hatte ihm erklärt, daß dieses Ritual nicht nur Höflichkeit bedeutete, sondern vor allem den Respekt vor dem Gegner und das Eingeständnis der eigenen Grenzen bedeutete. Julius sah Virginie an. Sie lächelte zuversichtlich. Hieß das, daß sie keine Angst vor ihm hatte? Oder bedeutete ihr Lächeln, daß sie ihm schon nichts tun würde?

"Ich bitte mir aus, daß Sie sich nicht künstlich zurückhalten", wies Madame Faucon die beiden Halbwüchsigen an. "Monsieur Andrews, Sie werden sich zunächst verteidigen!" Befahl die Lehrerin.

"Expelliarmus!" Rief Virginie. Julius rief fast zeitgleich:

"Reflectato!"

Ein scharlachroter Blitz schlug aus Virginies Zauberstab zu Julius hinüber. Dieser hielt seinen Zauberstab gerade ausgestreckt nach vorn. Er hoffte, daß sein Abwehrzauber nicht zu schwach war. Tatsächlich federte Virginies Zauber einen knappen Meter vor Julius zurück und schlug ihr den Zauberstab aus der Hand. Die Wucht dabei hebelte ihr den Arm nach außen und warf sie aus dem Gleichgewicht. Gerade soeben noch verhinderte Virginie, daß sie stürzte.

"Heh, du solltest dich wehren, nicht zurückschlagen!" Rief Dorian, der nicht begriffen hatte, daß Julius den Entwaffnungszauber Virginies auf diese zurückgelenkt hatte.

"Monsieur Dimanche, Sie haben kein Recht, Kritik zu üben! Außerdem hat Monsieur Andrews sich nur verteidigt, und dies exzellent", fuhr Madame Faucon Dorian an.

"Rictusempra!" Rief Virginie. Julius konterte diesen Fluch mit einem unsichtbaren Schild, an dem der Fluch, der auf einem silbernen Strahl getragen wurde, in Schillernden Funken zerbarst. Ebenso verpuffte der Petrificus-Totalus-Zauber, der eigentlich einen Körper komplett zusammenklammern sollte.

"Drei Angriffe, drei erfolgreiche Verteidigungen", stellte Madame Faucon fest. Dann forderte sie Julius auf, anzugreifen. Julius dachte kurz nach. Er wollte Virginie nicht heftig treffen. Andererseits wußte er auch, daß Madame Faucon ihm keine Kleinigkeiten durchgehen lassen würde. Nachher würde sie persönlich gegen ihn antreten. Das wollte er dann doch nicht.

"Horritimor!" Murmelte Julius, wobei ihm ein wilder Wespenschwarm durch den Kopf ging. Augenblicklich fühlte er, wie die selbsterzeugte Angst, die der Gedanke an die stechenden Insekten ihm bereitete, durch seinen Zauberstab abfloß. Virginie schaffte es gerade noch, den Auracalma-Fluch zu wirken, um nicht von einer unbändigen Panik erfaßt zu werden, wie der Fluch sie eigentlich auslöste. Zwar wurde Virginie von einem kurzen Angstanfall geschüttelt, doch dann fing sie sich wieder. Sie sah Julius mit einer Mischung aus Bewunderung und Argwohn an.

"Ballinflato!" Dachte Julius sehr konzentriert, ohne die Lippen zu bewegen, bewegte dabei seinen Zauberstab vor Virginies Bauch gegen den Uhrzeigersinn. Virginie sah ihn verblüfft an und riß ihren Zauberstab hoch, weil sie glaubte, Julius würde erst noch etwas ausrufen. Doch ohne ein Wort von ihm gehört zu haben, sah sie einen rosaroten Blitz auf sich zuschießen. Als der Blitz ihren Bauch traf, hielt sie den Zauberstab schnell gegen ihren Körper und murmelte einen Körperschutzzauber. Für zwei Sekunden sah es so aus, als würde innerhalb von Virginies Bauch ein Luftballon aufgeblasen, dann bekam sie jedoch wieder ihre gewohnte Gestalt.

"Na warte, wenn wir frei zaubern können", zischte Virginie Julius zu. Julius blieb äußerlich ganz ruhig. Er rief kurz:

"Asinaures!"

Virginie hielt den Zauberstab hoch und erwiderte wieder eine Körperschutzformel. Der flirrende rote Lichtstrahl, der von Julius' Zauberstab ausging, zerfloß in der Höhe von Virginies Kopf. Virginie machte ein angestrengtes Gesicht, als müsse sie sich gegen einen starken Sturm stemmen.

"Mir stehen keine großen Ohren, Monsieur Andrews", zischte sie Julius wieder zu. Madame Faucon beendete diese Übung. Als alle wieder saßen, verteilte sie Leistungspunkte. Jede gelungene Abwehr brachte zwei, jeder gelungene Angriff einen Punkt ein. Julius bekam sieben Punkte, weil er alle drei Angriffe pariert und einen Angriff erfolgreich durchgeführt hatte. Damit bekam er die zweithöchste Wertung nach Elisa Lagrange.

"Wußten Sie, daß Julius ein Mentalinitiator ist?" Fragte Virginie Madame Faucon. Diese nickte.

"Das ist der Grund, weswegen ich Monsieur Andrews nicht gegen Mademoiselle Claire Dusoleil, Mademoiselle Renard oder Monsieur Dimanche antreten ließ", erwiderte die Lehrerin überzeugt. Dorian sah Julius an. Jeanne und Claire lächelten, als wären sie stolz auf Julius, wie auf einen Bruder.

"Die zweite Runde der Übungsduelle ist ein Wechselspiel in eigenem Ermessen. Jeder kann angreifen, muß aber auch auf Angriffe reagieren. Hier zeigen sich Wissen und Reaktionsgeschwindigkeit, die wichtigsten Voraussetzungen für echte Duelle, die wie ich hoffe, niemals anstehen werden. Aber leider muß man gerade auf das, was man am wenigsten erleben möchte, am besten vorbereitet sein", erklärte Madame Faucon. Wieder mußten die ältesten Schülerinnen zuerst antreten. Jeanne und Seraphine verbeugten sich kurz, dann ging es los.

In schnellem Schlagabtausch boten sie ihre Künste in der Abwehr von Flüchen. Jeanne griff mehrmals hintereinander an, scheiterte jedoch an den Schildzaubern Seraphines. Seraphines Angriffe durchdrangen zweimal die Abwehr Jeannes und ließen sie einmal in die Knie gehen und dann wie unter einem Schauer Polarluft zittern. Dabei verlor sie fast den Zauberstab aus der Hand. Madame Faucon konnte sie gerade noch mit einem Gegenfluch beruhigen, bevor Jeanne unkontrolliert durch die Gegend hüpfte.

Als Caro und Claire gegeneinander antraten, erwies es sich, daß Claire schneller war und somit alle Flüche ausglich, die Caro gegen sie schleuderte und einmal den Asinaures-Fluch, den Julius gegen Virginie versucht hatte, erfolgreich anbrachte. Caro wuchsen unvermittelt einen Meter lange Ohren, die wild vor- und zurückwedelten. Caro sah zu Madame Faucon. Diese ließ die Ohren wieder auf Normalmaß zurückschrumpfen. Erschöpft gestand Caro ein, daß Claire doch besser war als sie.

Als Julius gegen Virginie antreten mußte, prüfte er, ob die unzerbrechliche Phiole mit dem Goldblütenhonig sicher unter seinem Umhang ruhte. Doch Professeur Faucon bemerkte das wohl, obwohl sich Julius bemühte, keine auffälligen Bewegungen zu machen.

"Accio Phiole!" Rief die Lehrerin mit auf Julius deutendem Zauberstab. Wie ein Korken aus einer unter Druck stehenden Flasche flog die Phiole aus der Umhanginnentasche heraus direkt in die freie Hand der älteren Hexe. Julius sah, wie die Flüssigkeit bläulich flimmerte, bevor die Lehrerin die Phiole in der Hand hielt.

"Sie bekommen Sie nach dem Unterricht heute zurück, Monsieur Andrews", sagte Madame Faucon mit tiefgründigem Lächeln. Claire und Jeanne sahen die Phiole, deren Inhalt nun wieder durchsichtig golden schimmerte. Die Lehrerin barg das kleine Gefäß in einer Tasche ihres Umhangs.

Virginie sah Julius grinsend an und meinte: "Was auch immer das war, Monsieur, jetzt sind Sie auf Ihre eigene Kreativität angewiesen."

Die beiden Übungsduellanten verbeugten sich vorschriftsmäßig voreinander. Professeur Faucon gab die Übungsrunde frei. Julius hob den Zauberstab und murmelte leise:

"Rhinotrunko!"

Gleichzeitig rief Virginie: "Densaugeo!"

Krachend schlugen zwei Blitze aus den Zauberstäben gegeneinander und schlugen sich aus der vorgesehenen Bahn. Julius' Fluch fuhr knallend in die Wand, wo ein Stück Mauerwerk wie ein Tropfstein herauswuchs und dann zu Staub zerbröselte. Virginies Fluch krachte gegen die Wand hinter Julius und ließ ein Stück Mauerwerk dunkelrot anlaufen.

"Ihr seid ja gefährlich!" Rief Dorian erschrocken, weil er keinen Meter links von der Einschlagsstelle von Virginies Fluch stand. Madame Faucon sagte "Schschsch!"

"Furnunculus!" Zischte Julius. "Gravicorpus!" Rief Virginie. Julius spannte alle Muskeln an, um den Schwermacherfluch auszuhalten, mit dem Virginie ihn angriff. Dabei beugte er sich schnell nach vorn. Sirrend schoß der Fluch über ihn hinweg, prallte mit lautem Pong gegen die Wand und zerstob in einem Regen aus grünen und weißen Funken im Raum. Sein Fluch traf Virginie zwar voll im Gesicht. Doch sie ließ ihren Zauberstab zurückschnellen und rief eine Gegenformel, die ihr Gesicht in ein rosa Licht tauchte und die aufquellenden Geschwüre sofort verschwinden und ihre Haut unversehrt ließ.

"Versimundus", dachte Julius konzentriert und schlug mit dem Zauberstab von oben nach unten. Virginie rief zeitgleich "Murattractus!"

Die Flüche gingen genau zum selben Augenblick los, genau aufeinander zu, trafen sich auf halbem Weg. Doch diesmal warfen sie sich nicht aus der Bahn, sondern vermischten sich. Die Lichtstrahlen aus den Zauberstäben wurden zu einer gleißenden himmelblauen Lichtkugel, die sich innerhalb von einer Sekunde so stark aufblähte, daß sie Julius und Virginie berührte und in sich einschloß. Dann fiel die Kugel unvermittelt in sich zusammen, mit lautem Knall. Virginie und Julius waren verschwunden. Claire und Caro stießen einen Entsetzensschrei aus, während Dorian eine wüste Verwünschung ausrief und starr auf den Punkt starrte, an dem die blaue Leuchtkugel angeschwollen und wieder zusammengefallen war. Jeanne und Seraphine warfen sich fragende und sehr beklommene Blicke zu, während Elisa in stummem Entsetzen erstarrt dahockte.

"Mesdemoiselles und Monsieur, bewahren Sie Ruhe!" Rief Madame Faucon. Dann sah sie kritisch und leicht erregt auf die Stelle, an der die beiden Flüche sich getroffen und die magische Leuchtkugel geformt hatten.

"Die haben sich selbst weggeflucht!" Rief Dorian erregt. Madame Faucon sah ihn an und rief ihn zur Ordnung.

"Monsieur Dimanche, beherrschen Sie sich gefälligst! Wenn Sie die Nerven verlieren hilft das den beiden nicht."

Dorian zeterte wie ein aufgescheuchtes Huhn, daß das so nicht gewollt war und sie, die Lehrerin doch besser hätte vorsorgen sollen und sow weiter. Das war Madame Faucon zu viel. Sie zog ihren Zauberstab, richtete ihn ansatzlos auf Dorian und bellte "Taceto!" in den Raum. Unvermittelt erstarb das Zetern des Zwölfjährigen, der angsterfüllt und dann entspannt die Lehrerin ansah und ganz ruhig auf seinem Stuhl sitzenblieb.

"Ich werde Sie von diesem Bann befreien, wenn Sie sich wieder unter Kontrolle haben, Monsieur Dimanche. Im Moment erscheint mir das nicht so", erklärte Madame Faucon. Dann sah sie wieder auf den Punkt, an dem die magische Leuchtkugel in sich zusammengefallen war.

"Wie kann eine solche Nebenwirkung auftreten?" Wagte Caro, eine Frage zu stellen. Madame Faucon sah sie entschlossen an. Caro schien auf ihrem Stuhl in sich zusammenzusinken, weil sie mit einer harschen Zurechtweisung rechnete. Doch die Lehrerin fragte ihrerseits:

"Kann das jemand Ihrer Kameradin beantworten?"

"Wissen Sie es selbst nicht?" Begehrte Elisa auf, die immer noch entsetzt dreinschaute.

"Sicher weiß ich einen Grund dafür. Aber Sie sollen ja lernen und nicht ich", kam Madame Faucon mit einer typischen Lehrerantwort. Seraphine bat ums Wort und bekam es.

"Wahrscheinlich sind da zwei unterschiedliche Flüche von genau gleicher Stärke aufeinandergeprallt. Das sie unterschiedlich sind, vermute ich, weil sie sich nicht gegenseitig aus der Flugbahn geschleudert haben. Das sie die gleiche Stärke haben vermute ich, weil nicht einer den anderen zurückgedrängt hat. Offenbar ist Julius gleichstark wie Virginie und hat einen artfremden Fluch gleicher Ausgangsstärke benutzt. Virginie hat einen Grundkraftbezogenen Fluch gesprochen, den Murattractus, der sein Opfer an eine Wand drückt und dort festhält. Was Julius gemacht hat, habe ich nicht hören können, weil er wohl die Formel in Gedanken ausgesprochen hat. So wie er den Zauberstab geschwungen hat, hätte es ein Gravicorpus, ein Niederschlagfluch oder ein Sichtumkehrer sein können. Was genau es war, weiß ich nicht."

"Warum hat der den auch nicht laut ausgesprochen?" Fragte Claire ohne ums Wort gebeten zu haben.

"Weil er Virginie überraschen wollte, wie bei dem Kugelbauchfluch, Claire", erwiderte Jeanne.

"Was auch immer es war, es hat zu einer Kombination geführt, die wiederum eine Nebenwirkung ausgelöst hat, die als Drittweg-Phänomen beschrieben wurde", begann Madame Faucon zu erklären. "Dabei handelt es sich um eine Magie, die freigesetzt wird, wenn zwei verschiedene Angriffs- oder Abwehrflüche gleicher Stärke aus direkt gegenüberliegenden Quellen einander treffen, zum selben Augenblick. Es tritt dann nicht die Wirkung des einen oder des anderen Zaubers ein, sondern etwas völlig anderes. Welche Richtung der dritte Zauber einschlägt, hängt jedoch von den Komponenten der beiden anderen Zauber ab. Die Magietheoretikerin Latraviata Commotus hat dies vor fünfzig Jahren in fragwürdigen Versuchen erforscht und darüber geschrieben. Weil diese Art der Magieforschung nicht immer mit den Zaubereigesetzen einherging, wird ihr Werk nicht in Beauxbatons im Unterricht verwendet und liegt dort nur in der verbotenen Abteilung aus. Ich werde nun an Sie alle Bücher über Zaubereiunfälle verteilen und an Mademoiselle Jeanne Dusoleil und Mademoiselle Seraphine die besagten Bücher von Madame Commotus, weil sie die ältesten hier sind und wohl besser mit den darin aufgeführten Praktiken umgehen können, ohne Gefahr für den Charakter befürchten zu müssen. Ich hole eben die Bücher. Solange bleibt jeder und jede auf seinem oder ihrem Platz sitzen!"

"Glaubt irgendwer von euch, daß die beiden noch leben?" Fragte Elisa sehr leise, als Madame Faucon den Raum verlassen hatte. Jeanne sagte dazu nur:

"Das mit der Leuchtkugel ist schon gruselig, Elisa, wie? Ich denke aber schon, daß die beiden in irgendeiner Form irgendwo vorkommen und gerettet werden können. Vielleicht wollte Julius auch nur mit Virginie alleine sein."

"Jeanne!" Stieß Claire aus, mußte dann aber grinsen. Dann erwiderte sie: "Oder umgekehrt, Jeanne."

__________

Julius wußte nicht, wie ihm geschah. Die blaue Leuchtkugel quoll vor ihm auf und hüllte ihn in das gleißende Licht ein. Er erkannte noch, daß sie innen hohl war, bevor mörderische Kräfte ihn packten und wie in einem wilden Strudel fortrissen. Er spürte einen heftigen Druck auf seinen ganzen Körper einwirken, hörte ein unerträgliches Durcheinander von Klängen und Geräuschen und sah in einen sich drehenden Wirbel aus Farben und Formen. Er schien durch einen unendlichen Raum zu fliegen, heiße und kalte Schauer ergossen sich über ihn. Er wußte nicht, wielange es dauerte, Sekunden oder Stunden, bis er unsanft auf festem Boden aufschlug, der Länge nach aufs Gesicht. Was immer über ihn hereingebrochen war, es war nun vorbei.

Julius prüfte, ob er noch alle Glieder bewegen konnte, hob den Kopf und schaute sich um. Es schien, als läge er im Mittelpunkt eines dunstigblauen Doms, unter einer riesigen Halbkugel, die wie ein kleines Himmelszelt über ihm stand. Das Licht war wesentlich dunkler, als das der Leuchtkugel, jedoch von derselben Farbe, erkannte der Hogwarts-Schüler. Die Kuppel mochte einen Durchmesser von zwanzig Metern haben und schloß nahtlos mit dem Boden ab. Der Boden, das war innerhalb der Kuppel eine merkwürdige Felsenlandschaft mit Spalten und Kratern, wie auf dem Mond oder einem atmosphärelosen Planeten des Sonnensystems, dachte Julius. Die grauen und braunen Brocken, die lose auf dem Boden herumlagen, schienen keine bestimmte Form zu besitzen. Der kleinste war ein sechseckiger weißer Klumpen, faustgroß. Der größte Brocken war graubraun mit unzähligen Vertiefungen, ungefähr so groß, wie Julius selbst und erinnerte ihn merkwürdigerweise an einen Kekskrümel unter der Lupe. Dann sah er Virginie, die sich ungefähr fünf Meter von ihm entfernt aufrappelte und ihre Kleidung ordnete. Hinter ihr entdeckte er etwas unheimliches.

Julius dachte zunächst an einen Baumstamm. Doch das ungefähr zehn Meter lange Ding schien biegsam zu sein, weil es wie ein dicker Gummischlauch gebogen und verdreht war. Es besaß über seine ganze Länge große Schuppen, wie ein zur Monstergröße aufgequollener Tannenzapfen und schimmerte bräunlichgelb. Dann hörte Julius das leise Scharren in seiner Nähe und fuhr herum. In einer der Bodenritzen bewegte sich ein handgroßes Etwas, das entfernt an ein U-Boot erinnerte, langgezogen und schlank. Es war durchsichtig wie Glas, und Julius konnte innerhalb des Gebildes eine Flüssigkeit sehen, die mehrere andere Gebilde umschloß, wovon das augenfälligste ein großer runder Klumpen war. Und jetzt fielen Julius noch mehr solcher Gebilde auf, die in den Vertiefungen herumkrochen, beziehungsweise von einem sirrend schnell schlagenden langen Schwanz wie von einem Propeller vorangetrieben wurden. Julius spürte einen fußballgroßen Kloß in seinem Hals anschwellen.

"Julius! Geht es dir auch gut?" Rief Virginie. Ihre Stimme hallte wie Glockenklang von der Kuppel wider, als sei die Kuppel aus Stahl oder Bronze. Julius prüfte, ob er wirklich wach war, indem er sich kräftig in den linken Arm kniff und den entsprechenden Schmerz spürte. Dann sah er an sich herunter, stellte fest, daß er sich nicht verändert hatte und blickte auf seine Armbanduhr. Diese lief immer noch und zeigte gerade an, daß es nur noch fünf Sekunden bis Viertel vor zehn waren. Er fand seinen Zauberstab, der ihm beim Hinschlagen aus der Hand gerutscht war und stellte fest, daß der sich nicht verändert hatte.

"Julius, wie ... Uaarg!" Entfuhr es Virginie, als eines der durchsichtigen Gebilde mit wild wirbelndem Schwanz, der fast doppelt so lang war, wie das eigentliche Etwas, über den linken Fuß glitt. Sie sah mit blankem Entsetzen auf das Ding, offenbar ein fremdes Lebewesen, das auf einen kleinen grauen Brocken zuglitt, der links von ihr lag.

"Virginie, das glaubst du nicht, wenn ich dir sage, was mit uns passiert ist", sagte Julius, nachdem er den übergroßen Kloß in seinem Hals hinuntergeschluckt hatte und langsam wieder zur Ruhe kam. Zwar hatte ihn die dumpfe, ohnmächtige Furcht nicht losgelassen, die ihn packte, als er das erste der sich bewegenden durchsichtigen Dinger sah, aber sein Verstand kämpfte sich mehr und mehr durch, um sein Bewußtsein wieder unter seine Herrschaft zu bekommen.

"Wo sind wir?! Was ist das hier?" Fragte Virginie auf alles um sich herum deutend und schnell auf Julius zueilend. Sie drehte sich kurz um und sah das meterlange Ungetüm, daß reglos hinter ihr lag. Wieder entfuhr ihr ein entsetzter Aufschrei. Julius eilte auf sie zu, wobei er aus Versehen eines der sich bewegenden Gebilde mit dem Fuß zertrat. Er glaubte, in einen mit wasser gefüllten Luftballon oder einen besonders feuchten Hundehaufen getreten zu haben. Es gab einen leisen Knall und ein Geräusch davonspritzenden Wassers, und das Etwas war zerstört. Julius stand für eine Sekunde der Ekel im Gesicht geschrieben.

"Wie auch immer wir das hingekriegt haben, Virginie, wir haben uns wohl auf Mikrogröße runtergeschrumpft. Was die Kuppel über uns ist, weiß ich nicht. Aber das Monsterteil da hinter dir könnte eines deiner eigenen Haare sein, daß ausgefallen ist. Die Biester da am Boden sind gewöhnliche Bakterien oder einzellige Tiere. Die kann man eigentlich nur durch einen Vergrößerungsbetrachter, ein Mikroskop sehen, Virginie."

"Was?" Fragte Virginie erschrocken, weil ihr Julius' Erklärung überhaupt nichts sagte, sondern ihr noch mehr Angst machte.

"Irgendwie muß unsere Zauberei total schiefgelaufen sein", begann Julius, der um seine eigene Fassung kämpfte und schnell sprach, um sich nicht der Angst hinzugeben, die wieder stärker wurde. "Ich kenne diese Dinger da unten, weil mein Paps vor drei Jahren mit mir bei einem Mikrobiologen war. Das sind Leute, die so kleine Lebewesen erforschen, daß du sie mit bloßen Augen nicht sehen oder mit den Händen greifen kannst. Der hat mich durch verschiedene Mikroskope sehen lassen und mir erklärt, was da alles zu sehen war. Deshalb weiß ich, was hier um uns herum los ist. Gruselig."

"Willst du sagen, daß wir uns gegenseitig so klein gehext haben, daß wir diese Biester da sehen können? Aber wie?" Fragte Virginie, immer noch voller Entsetzen. Sie zitterte am ganzen Leib und wagte nicht, sich noch einmal umzusehen. Dann schien es, daß die in Beauxbatons eingebläute Haltung wieder um ihr Vorrecht kämpfte. Denn in ihre Gesichtszüge trat eine konzentrierte Spannung ein, und Virginie atmete tief ein und wieder aus, um dann den Angstanfall wie einen lästigen Staubmantel abzuschütteln.

"Also, du bist sicher, daß wir nicht träumen?" Fragte sie und kniff sich wie zuvor Julius in einen Arm, um festzustellen, ob das nicht doch nur ein merkwürdiger Alptraum war. Dann sah sie Julius entschlossen an.

"Schön wär es, wenn wir träumen, Virginie und ...", setzte Julius an, als die dunstig blaue Kuppel über ihnen erzitterte, wie unter einem Erdbeben. Julius vermeinte, einen lauten Schrei zu hören. Dann war es wieder vorbei.

"Was war denn das jetzt? Hörte sich an wie Elisa, aber von überall her", meinte Virginie. Wieder erzitterte die Kuppel, aber zu hören war nichts mehr.

"Hmm, interessant, um nicht zu sagen, Faszinierend", bemerkte Julius und zog den linken Fuß aus der Laufbahn eines der kleinen durchsichtigen Geschöpfe, das vom schnellen Schlag seines Schwanzes vorangetrieben wurde. Dann stieß er ein lautes "Ha!" aus. Keine zehntelsekunde später kam der Laut von der Kuppel zurück, von oben, vorne, hinten und den Seiten.

"Was sollte das denn jetzt?" Fragte Virginie. Offenbar gewann die Vernunft bei ihr schnell wieder an Boden, dachte Julius und zwang sich ebenfalls zur Beherrschung. Außerdem drängelte sich nun bei ihm noch die Faszination des unglaublichen, außergewöhnlichen ins Bewußtsein und vertrieb die ohnmächtige Furcht, die er am Anfang empfunden hatte. Das hier war wie der Besuch auf einem fremden Planeten, wie er ihn sich immer schon in seinen Träumen und Vorstellungen ausgemalt hatte. Auch fiel ihm das lange Gespräch mit Dr. Flemming, dem Mikrobiologen, ein, wie es sein würde, selbst auf Mikro-Größe eingeschrumpft zu sein, das, was in der normalgroßen Welt alltäglich war, aus der Sicht der Kleinstlebewesen zu erleben.

"Ich wolte nur wissen, ob die blaue Kuppel über uns tatsächlich fest ist. Offenbar wirft sie den Schall zurück. Vielleicht sperrt sie den Schall von außen aus, wenn er nicht stark genug ist, die Kuppel zum mitschwingen zu kriegen."

Virginie fragte ihn, was er da redete. Julius erläuterte kurz und einfach, daß Schall nichts anderes, als schnell in Schwingung versetzte Luftstöße sei, überhaupt nur durch schwingende Stoffe weitergeleitet würde. ER wunderte sich wieder einmal, daß solche einfachen Grunddinge der Natur den Zaubererkindern nicht beigebracht wurden, bevor sie über dreizehn Jahre alt waren. Dann sagte er noch, daß die Kuppel über ihnen eben fremde Schwingungen abhielt, ja die von Ihnen wie ein Steinbau zurückwarf, wie in einer Kirche. Er sprach etwas lauter, sodaß seine Worte erhaben widerhallten, wie die Worte eines Priesters in einer Kathedrale. Sehr undeutlich erinnerte er sich daran, wie er als Vier- oder Fünfjähriger mitbekommen hatte, wie im Fernsehen die Hochzeit eines englischen Prinzen mit einer rothaarigen Frau gezeigt wurde. Da hatte der Priester, wohl ein Bischof, auch so geklungen, wie seine Stimme in dieser Kuppel jetzt.

"Deine Uhr läuft noch?" Wunderte sich Virginie, als sie Julius' magische Armbanduhr sah. Dieser nickte. Dann meinte er:

"Zumindest hat sich nur räumlich was für uns geändert. Ist schon beruhigend, denke ich, daß wir nicht auch in einem anderen Zeitablauf festhängen."

"Du hast wohl keine Angst mehr, wie?" Fragte Virginie, die sich aber auch wieder in der Gewalt hatte.

"Angst schon, aber im Moment mehr Interesse, was mit uns passiert. Meine Mum hat mal erklärt, daß ein alter Römer namens Cicero geschrieben hat, daß es möglich ist, alles mit der Beantwortung von nur sechs Fragen zu klären: Wo? Wer? Wie? Was? Wann? Warum? Das sei die Grundlage der logischen Entschlüsselung, sagte Mum, die gerne Kriminalromane liest und sich mit Rätseln beschäftigt."

"Hmm, klingt sehr interessant. Könnte meine Maman interessieren, Julius. Du meinst also, daß wir mit diesen sechs Fragen rauskriegen können, wie wir in diese dumme Lage geraten sind?"

"Ja, Virginie. Die Frage nach dem wie ist ja schon eine davon. Ich glaube aber eher, daß das Warum wichtiger ist. Aber erst mal will ich mir diese Kuppel ansehen. Die erinnert mich an einen Energieschirm, etwas, daß in Zukunftsgeschichten der Muggel vorkommt, mit dem sich Gebäude oder Fahrzeuge gegen Angriffe absichern können. Das interessiert mich vor allem, jetzt wo ich weiß, was mit uns passiert ist."

"Ich komme mit", sagte Virginie. Sie folgte Julius, der mit gleichlangen Schritten voranging, darauf achtend, nicht noch eines der handgroßen durchsichtigen Geschöpfe am Boden zu zertreten. Er zählte genau dreißig Schritte, von denen jeder ungefähr einen Meter weit war. Virginie verstand, was Julius tat und nickte. Als sie direkt vor der bläulichen Kuppel standen, sah Julius, daß das blaue Licht flimmerte, wie Sonnenlicht, das unter Wasser zu sehen war. Die Kuppel war durchsichtig, und Virginie und Julius sahen mit Unbehagen, daß hinter der Kuppel eine unzählige Ansammlung der durchsichtigen Kleinlebewesen herumwuselte. Teilweise schwebten sie wenige Meter über dem Boden. Teilweise hüpften sie wie Frösche ohne Beine über den wie zerklüftete Felsen beschaffenen Boden. Zu hören war jedoch nichts. Einige dieser Wesen waren gerade dabei, sich einzuschnüren und unvermittelt in zwei getrennte Lebewesen auseinanderzufallen. Virginie schrak kurz zusammen. Julius sagte nur:

"Das ist normal. Die teilen sich, weil sie sich nicht anders vermehren können."

Julius vermeinte jedoch, keine Luft hinter dem Lichtdom zu sehen. Er kam sich vor, wie unter Wasser, in einem kristallklaren tiefen Becken. Wieder erschütterte etwas die Kuppel. Wieder war nichts zu hören.

"Hmm, interessant, daß die Bakterien fast alle draußen sind. Die paar, die hier drinnen herumkriechen sind ja mickrig wenig gegen die da draußen", bemerkte Julius.

"Die prallen gegen die Kuppel und fallen wieder runter", stellte Virginie fest, als eines der Wesen die Lichtkuppel berührte. Julius nickte. Er griff in seinen Umhang und zog sein magisches Vielzwecktaschenmesser hervor. Er klappte die Messerklinge aus, in dem er eine rote Markierung dafür berührte. Vorsichtig näherte er sich mit der Messerspitze der Lichtkuppel. Knisternd sprühten Funken vom Messer zur Abgrenzung und wieder zurück, und die Klinge zitterte.

Schnell nahm Julius das Taschenmesser wieder fort und fischte ein Taschentuch aus dem Umhang. Vorsichtig näherte er sich damit der Abgrenzung. Diesmal passierte nichts weiter, als daß das Taschentuch von der Lichtwand abglitt.

"Ich würde nicht versuchen, die Abgrenzung anzufassen. Ich denke, die hält alles nichtmagische draußen und drinnen zurück, aber reagiert auf magische Gegenstände oder Wesen. Sowas habe ich mir gedacht", sagte Julius und lächelte zufrieden.

"Die Kuppel hat einen Durchmesser von zwanzig bis dreißig Metern. Interessant. Mein Murattractus-Fluch reicht genauso weit. Bei der Gelegenheit: Was hast du mir eigentlich anhängen wollen?" Erwiderte Virginie.

"Hmm, den Versimundus-Fluch, auch als Kopfsteher-Fluch berüchtigt. Den haben wir bei Moody gelernt. Der wirkt so, daß du glaubst, auf den Kopf gestellt worden zu sein und daß die Decke der Fußboden ist."

"Ein körperlicher Fluch also. Soso", sagte Virginie zur Antwort.

Julius überlegte, wieso es außerhalb der Kuppel keine Luft gab. Sie waren doch nicht im Wasser gelandet. Er sah, wie große leblose Brocken durch die sirupartige durchsichtige Masse trudelten, beobachtete die Bakterien, die gegen die Lichtkuppel drängten und hörte dumpfe Laute von außerhalb der Kuppel, wie durch eine meterdicke Mauer gefiltert. Er vermeinte, seine Mitschüler bei Professeur Faucon und die Lehrerin selbst zu hören, jedoch zu verstehen war nichts. Dann kam ihm wie ein Stromstoß durch den Körper die Erkenntnis.

"Virginie, ich fürchte, wir haben noch ein Problem", sagte er und sah, wie ein an den Rändern abgefressenes, metergroßes Etwas aus hunderten von Metern herabsank, wie ein Sandkorn in Quecksilber. Es war porös und trug einige tausend Mikrowesen.

"Was für ein Problem soll das sein?" Fragte Virginie.

"Wir können die Luft da draußen nicht mehr atmen. Wir sind im Verhältnis zur Luft geschrumpft worden. Luft besteht wie alle Stoffe aus winzigen Teilchen. Weil wir nun höchstens zwanzigmal größer sind, als die Bakterien da draußen, sind diese winzigen Luftteilchen für uns zu groß, um eingeatmet zu werden. Wir würden darin ertrinken, wie in Sirup."

"Bitte?" Fragte Virginie. Julius sah sie entschlossen an und erklärte, wie groß diese Bakterien normalerweise waren, etwa den tausendsten Teil eines Millimeters. Er vermutete, daß Virginie und er wohl zwei Hundertstel eines Millimeters lang waren, also um einen Wert von fünfzigtausend verkleinert worden waren. Jedes Luftteilchen außerhalb der magischen Lichtkuppel war also fünfzigtausendmal größer, als ihre lungen verkrafteten.

"Dann können wir nur solange leben, wie die mitgeschrumpfte Luft in der Kuppel ausreicht?" Fragte Virginie, die verstand.

"Wahrscheinlich. Gut, daß die Kuppel so groß ist. Das gibt uns einige Stunden Zeit", sagte Julius.

"Die wir nicht brauchen werden", stellte Virginie sehr entschieden fest. Julius wunderte sich nicht schlecht. Dann fühlte er, wie ihm etwas schwindelig wurde.

"Oh, mir geht es irgendwie nicht so gut", sagte er und setzte sich auf den Boden. Virginie nickte und setzte sich auch.

"Wir müssen in das Zentrum der magischen Sphäre zurück. Wir waren da nicht zufällig, als wir zu uns kamen", sagte Virginie. Dann half sie Julius wieder auf und führte ihn in das Zentrum der Kuppel zurück.

"Was passiert mit uns?" Fragte Julius. Doch dann fand er die Antwort selbst. "Mist, unsere Verkleinerung zehrt uns langsam aus. Diese Kuppel wird immer noch von unseren beiden Flüchen hochgehalten, wie?"

"Ganz genau. Du und ich sind gleich stark. Das hat uns die Sache eingebrockt. Unsere Flüche wirken immer noch aufeinander ein. Sie halten sich die Waage. Das raubt uns langsam alle Kraft. Aber wir werden nicht lange brauchen, um uns zurückzuverwandeln. Denn jetzt weiß ich, was passiert ist. Machen wir doch das Spiel mit deinen sechs Fragen mal durch! Wo sind wir? Wir sind immer noch in Madame Faucons Unterrichtsraum. Wann sind wir? Wir sind immer noch im gleichen Zeitverhältnis, zum gleichen Zeitpunkt, wie alle anderen auch. Die Frage nach dem wer das gemacht hat erübrigt sich sowieso. Was ist passiert? Wir sind durch unbeabsichtigte Magie extrem eingeschrumpft worden. Wie ist das passiert? Ein körperverändernder und ein unbelebte Kräfte beeinflussender Fluch kollidierten mit gleicher Stärke. Daraus folgt auch die Antwort auf das warum. Wir haben uns körperlich und räumlich in eine magische Blase eingeschlossen, die den uns direkt umgebenden Raum und unsere Körper verändert hat. Ich habe eben gesagt, daß die Kuppel so groß ist, wie mein Fluch weit reicht. Der Versimundusfluch fliegt ebenfalls zwanzig Meter weit. Die magische Blase ist also deswegen so groß, im Verhältnis zu unserer Körpergröße gesehen. Deshalb sind auch diese biester - wie nanntest du sie? -, die Bakterien, fast alle draußen. Die Raumveränderung hat sie ausgesperrt, weil sie nicht mit unserem Fluch direkt zu tun hatten. Wir müssen jetzt nur herausfinden, wie wir die Wirkung unserer Zauber umkehren können, was wohl nicht schwer sein dürfte", sagte Virginie.

Julius nickte und überlegte. Er hatte von Zauberunfällen bei einfachen Verwandlungen oder Zauberkunststücken gehört. Das mit der Wirkung zweier aufeinanderprallender Flüche kannte er nicht. Doch Virginie war nun wohl sehr selbstsicher, was die Lösung anging. Hatte er sie in der Feststellung ihrer Lage überflügeln können, war sie nun am Zug, erkannte Julius.

__________

Madame Faucon kehrte nur eine Minute später wieder mit sechs Büchern zurück, die sie verteilte. Jeanne und Seraphine bekamen zwei dunkelblaue Bände aus Drachenhaut mit dünnen Pergamentseiten, die sich mit Versuchen und Forschungen zu magischen Nebenwirkungen befaßten. Elisa bekam ein Buch über fehlgeschlagene Gegenflüche, Claire eines über Körperveränderungen durch unkontrollierte Magie, Dorian, der immer noch unter dem ihm angehexten Schweigsamkeitszauber stand, bekam ein Buch über magische Energieformen und Caro eines über Flucharten und ihre Auswirkungen. Sie selbst setzte sich mit einem Buch über schwarzmagische Verwicklungen hin, um nachzuprüfen, ob es einen beschriebenen Fall gab, wo zwei Flüche einen dritten Weg beschritten hatten. So vergingen mehrere Minuten des Schweigens, bis Caro, die auf den Punkt gestarrt hatte, wo die blaue Leuchtkugel ihre Mitschüler verschlungen hatte, die Stirn runzelte und ums Wort bat.

"Ich kann mir das einbilden, Professeur Faucon. Aber ich sehe da, wo diese vermaledeite Kugel die beiden verschlungen und sich zusammengezogen hat, einen winzigen blauen Lichtpunkt."

"Wie bitte?" Fragte Madame Faucon. Caro zeigte ihr, wo sie das merkwürdige Lichtpünktchen sah. Claire beugte sich vor und sah auch etwas und deutete auf die Stelle. Dann fragte sie:

"Könnte es sein, daß die Kugel sich dort konzentriert, also nicht völlig zusammengebrochen ist?"

"Wenn dem so ist, muß da immer noch eine magische Kraftquelle in Gang sein, die sie zusammenhält und ...", setzte Madame Faucon an und verzog dann ungläubig, dann erkennend das Gesicht.

"Also ich kann diesen Lichtpunkt nicht sehen, Mädchen. Aber ich bin ja auch schon einige Jahrzehnte Älter als ihr", sagte sie, die förmliche Anrede vergessend, mit der sie den Unterricht bisher bestritten hatte. "Dann wäre im Zentrum der Kugel, die auf einen winzigen Punkt geschrumpft ist, noch eine magische Kraftquelle, also ein Gegenstand oder mindestens ein magisches Wesen, beziehungsweise ein Zauberer und eine Hexe, von deren Kraft dieses Leuchten erhalten wird. Dann wären die beiden ziemlich drastisch verkleinert worden."

Nicht einer der Schülerinnen und Schüler blieb bei dieser Darlegung ruhig. Alle starrten angsterfüllt auf die Lehrerin. Diese gebot mit einer Handbewegung Ruhe. Dann fragte sie Jeanne:

"Wenn ich richtig orientiert bin, hat dein Vater ein Supervergrößerungsglas gebaut, mit dem alles tausendmal größer gesehen werden kann, als es ist. Kannst du es eben holen?"

"Ich weiß von diesem Ding nichts, Madame Faucon. Weder Papa noch meine Schwester hat mir davon was geschrieben", sagte Jeanne und sah Claire vorwurfsvoll an.

"Das habe ich nur Julius geschrieben, weil er sich für sowas ja interessiert, Jeanne. Ich dachte, er hätte es dir erzählt", gab Claire zurück. Madame Faucon nickte und stand auf.

"Ich Rufe deinen Vater, er soll es mir herbringen", sagte Madame Faucon zu Claire und verließ den Raum. Jeanne sagte nur:

"Und das keiner dahintritt, wo der Lichtpunkt sein soll! Nachher zertreten wir die beiden noch aus Versehen."

Madame Faucon trat in ihr Arbeitszimmer, das mit Büchern und Pergamentrollen vollgestopft war. An der Decke hingen sieben Eulenkäfige, von denen vier leer waren. Sie entzündete den Kamin in der Ecke und vollführte einige Handlungen, mit denen sie es anstellen konnte, ihren Kopf ins Feuer zu stecken und gleichzeitig aus einem brennenden Kamin der Dusoleils herauszublicken. Sie sah Camille Dusoleil, die in der Küche stand und sich nicht schlecht wunderte, als Madame Faucon sie ansprach.

"Camille, hallo! Ich möchte mit Florymont sprechen."

"Ist was mit den Mädchen oder Julius?" Fragte Madame Dusoleil besorgt.

"Nichts, was nicht behoben werden könnte", erwiderte Madame Faucon kalt. Madame Dusoleil rümpfte die Nase und holte ihren Mann, der gerade in seiner Werkstatt arbeitete. Er trat in die Küche und fragte:

"Was kann ich für dich tun, Blanche?"

"Ich brauche dieses Vergrößerungsglas, daß du gebaut hast. Virginie und Julius haben sich aus Versehen mit zwei gleichstarken Flüchen zur selben Zeit in eine magische Blase eingeschlossen, in der sie zusammengeschrumpft wurden. Ich gehe davon aus, dieses Problem schnell korrigieren zu können, wenn ich sie genau lokalisieren kann. Caroline und Claire haben nämlich einen winzigen Lichtpunkt gesehen, der dort leuchtet, wo die beiden verschwunden sind."

"Blanche!" Entfuhr es Madame Dusoleil, die einen Schritt hinter ihrem Mann stand. Dieser legte die Stirn in Falten, sah einen Moment besorgt aus und erwiderte dann kalt:

"Ich will nicht hoffen, daß du mir im Punkte Zauberunfälle Konkurrenz machen willst, Blanche. Ich kann dir das Glas bringen. Da du aber einen Apparitionssperrzauber um dein Haus gelegt hast, muß ich per Flohpulver kommen, falls du deinen Kamin freimachst. In einer Minute bin ich da."

"Ich danke dir, Florymon", erwiderte Madame Faucon.

Die Lehrerin zog ihren Kopf wieder aus dem Feuer, löschte es mit einem Zauberstabwink und hantierte dann an einer Kaminkachel, wo mehrere Symbole eingraviert waren. Damit konnte nun jemand von außerhalb per Flohpulver ihr Haus aufsuchen. Es dauerte nicht einmal eine Minute, bis Monsieur Dusoleil aus einem Wirbel grüner Funken heraus im Kamin des Arbeitszimmers erschien. Er hielt in einem Futteral das magische Vergrößerungsglas.

"Ihr macht Sachen", sagte er, als er wohlbehalten aus dem Kamin geklettert war. Dann folgte er der Lehrerin in den Unterrichtsraum, wo alle stocksteif saßen, weil niemand wagte, sich zu rühren. Jeanne und Claire begrüßten ihren Vater freudestrahlend.

"Morgen, Kinder! Was ist passiert?" Begrüßte der Zauberkunsthandwerker die Ferienklasse von Madame Faucon. Jeanne durfte ihm kurz berichten, was und wie es passiert war. Dann nahm ihr Vater das Vergrößerungsglas aus dem Futteral und hielt es über die Stelle, die Claire ihm zeigte. Vorsichtig senkte er das Vergrößerungsglas. Eine leichte Berührung mit dem Zauberstab bewirkte, daß über der Linse eine räumliche Abbildung dessen entstand, was unter der Linse lag. Sofort sahen die Ferienschüler eine bläuliche Halbkugel, die, je größer sie wurde, immer dunstiger aussah. Monsieur Dusoleil hielt das Glas immer tiefer und vergrößerte damit das Abbild einer bläulichen Halbkugel, die nahtlos mit dem Boden verbunden war, wie ein winziges Himmelszelt mit dem Horizont. Als die Kuppel ungefähr zwei Meter groß gesehen wurde, deutete Claire auf zwei winzige Punkte genau unter ihrem Scheitelpunkt.

"Da sind sie!" Rief sie. Monsieur Dusoleil nickte erkennend und senkte das Glas noch mehr ab. Dann konnten alle die beiden Mitschüler erkennen, die ein Zwanzigstel so groß wie die Kuppel waren. Monsieur Dusoleil meinte dazu:

"Die Lichtkuppel ist genau so groß, wie die Reichweite der kleineren Zauberflüche beträgt. Weißt du, was die beiden sich aufhalsen wollten, Blanche?"

"Virginie hat es mit dem Murattractus-Fluch versucht. Julius hat kein Wort gesagt, aber einen anderen Fluch ausgelöst", erklärte Madame Faucon.

"Ach du meine Güte, ein Mentalinitiator. Jetzt weiß ich auch, weshalb Camille, du und Minister Grandchapeau so hinter ihm herseid", sagte der Zauberkunsthandwerker und grinste, weil ihm ein Gedanke kam, der ihn belustigte.

"Der fängt aber schon früh mit magischen Experimenten auf hoher Ebene an. Dieser Verkleinerungseffekt ist mir bislang nicht bekannt gewesen. Denkst du, das umkehren zu können, Blanche?"

"Ich hatte vor, den allgemeinen Fluchbeendigungszauber zu sprechen", sagte Madame Faucon. Monsieur Dusoleil schüttelte den Kopf. Dann sagte er:

"Jemand wie du hat mir in Beauxbatons eingeschärft, nur dann den Finite Incantatem zu bringen, wenn Flüche so wirken, wie sie von ihren Erzeugern beabsichtigt waren. Ich fürchte, ein Zauber reicht da nicht aus, um ... Achtung, zurücktreten!" Rief der Zauberkunsthandwerker, als er sah, wie die winzigen Halbwüchsigen unter der Lichtkuppel ihre Zauberstäbe aufeinander richteten und gleichzeitig etwas ausriefen.

__________

"Unsere beiden Flüche haben das bewirkt, wie nun feststeht", begann Virginie zu sprechen. Julius hörte ihr aufmerksam zu. Ein handgroßes Bakterienwesen glitt schnell an seinem rechten Fuß vorbei und eilte auf den braunen Klumpen zu, den Julius als Kekskrümel im Riesenformat vermutet hatte.

"Es ist eindeutig, daß wir beide gleichzeitig zaubern müssen, um uns wieder zu normalisieren", sprach Virginie weiter. "Die Frage ist nur, mit welchen Zaubern wir arbeiten müssen?"

"Spontan würde ich jetzt sagen, das wir uns die entsprechenden Gegenflüche zuschustern müssen", meinte Julius. "Es ist nur zu klären, wer wessen Fluch kontert."

"Richtig. Genau das ist die Frage. Du hast den Versimundusfluch gewirkt. Ich denke, daß du auch dessen Umkehrung kennst. Ich habe den Murattractus-Fluch gewirkt. Natürlich kenne ich dessen Umkehrung. Wenn ich also jetzt meinen Fluch von dir nehme, wäre ein Teil erledigt, wenn du gleichzeitig deinen Fluch von mir nimmst."

"Sieht so aus", meinte Julius dazu nur. Doch dann leuchtete es in seinen Augen. Er stand auf, wobei er immer noch leicht benommen war und sagte:

"Neh, Virginie. Jeder muß dem anderen den Gegenfluch des jeweils anderen zuschicken. Die reine Auflösung der Flüche brächte nur ein, daß sie sich neutralisieren, also die Kuppel über uns zusammenfällt, die mit uns geschrumpfte Luft entweicht und wir in der für uns unatembaren Suppe ertrinken, die normalerweise Luft ist. Ich meine, daß wir den Effekt komplett umkehren müssen, nicht nur auflösen. Das heißt, ich muß dich mit deinem Gegenfluch und du mich mit meinem bezaubern. Am besten stellen wir uns dabei auch so hin, als wenn wir nach erfolgreichem Angriff die Seiten gewechselt hätten. Ich habe gelernt wie diese Mikrolandschaft aussieht. Ich stelle mich so, daß du da stehst, wo ich vorher war."

Virginie überlegte. Dann nickte sie heftig.

"Wie konnte ich nur so kurz denken. Natürlich müssen wir uns mit dem jeweils anderen Gegenfluch bezaubern, um einen umgekehrten Effekt zu bewirken. Mit der räumlichen Stellung hat das vielleicht nichts zu tun. Aber wir machen das so. Wir brauchen eine totale umkehrung, natürlich. - Deine Mutter programmiert logische Maschinen, richtig?"

"Zumindest braucht man Logik, um sie zu irgendwas zu bringen", erwiderte Julius auf diese Frage. Dann stellten sie sich auf. Auf die Verbeugung verzichteten sie. Sie hoben die Zauberstäbe an, bewegten diese und sprachen so, wie die entsprechenden Gegenflüche gesprochen wurden. Julius tat so, als wolle er Virginie vom Murattractus-Fluch befreien, Virginie wandte die Gegenformel zum Versimundusfluch an, wobei sie den Zauberstab kurz von unten nach oben schnellen ließ. Beide sprachen gleichzeitig und zeigten zum selben Augenblick mit den Zauberstäben aufeinander. Als die beiden Gegenflüche losgingen, explodierte mitten zwischen den beiden eine violette Feuerkugel, die weder Hitze noch Wärme verströmte, blähte sich auf und verschlang die beiden. Unvermittelt schwanden Julius sämtliche Sinne und Kräfte.

__________

Monsieur Dusoleil zog das Glas schnell zurück. Die Abbildung der Kuppel verschwand sofort. Dafür sahen die Ferienschüler und ihre Lehrerin, wie es am Boden rot-weiß flimmerte, wie ein Funke aus rotem oder weißem Licht glomm. Unvermittelt wuchs am Boden eine Halbkugel aus tosendem rotem und weißem Licht, heulte wie Sturmwind und blähte sich so schnell auf, daß alle fürchteten, von ihr weggefegt zu werden. Sie wuchs an, wurde heller und heller, bis sie aus dem Boden aufstieg und eine Leuchtkugel formte, die fast drei Meter groß wurde, bevor sie mit dumpfem Knall zerplatzte, wie ein überfüllter Luftballon. Dumpf fielen zwei normalgroße Halbwüchsige aus einem Meter Höhe zu Boden, klapperten zwei Zauberstäbe seitlich von ihnen auf den glatten Boden. Virginies Blonder Zopf schlug neben ihrer rechten Wange auf den Boden, während Julius platt auf der Nase lag. Beide waren bewußtlos.

"Was ist mit den beiden?" Fragte Claire verängstigt. Madame Faucon besah sich die beiden und stellte fest.

"Sie sind nur erschöpft. Die heftige Zauberei hat sie entkräftet. Das wird wieder. Wir machen Pause, Mesdemoiselles und Monsieur!"

Monsieur Dusoleil half dabei, Virginie und Julius auf herbeigezauberte Liegen zu betten. Claire und Jeanne setzten sich neben die beiden Ohnmächtigen, wobei Claire sich zu Julius setzte, während Jeanne bei Virginie wachte. Madame Faucon holte zwei große Becher mit kochendem Inhalt aus der Küche. Dorian fragte, was das für ein Gebräu sei. Madame Faucon erklärte:

"Das ist klare Gemüse-Fleischbrühe. Ich habe noch einige Tropfen Zitronensaft hineingetan. Die beiden werden davon trinken, wenn Madame Matine sie wieder zu sich gebracht haben wird."

Wie aufs Stichwort betrat Madame Hera Matine, die Heilkundlerin, die eigentlich für Geburten und Säuglingsbetreuung zuständig war, den Unterrichtsraum und schubste Jeanne und Claire wortlos von den Liegen fort. Dann besah sie sich die beiden Patienten, fuchtelte kurz mit dem Zauberstab über ihren Körpern herum und tippte dann Julius an. Dieser zuckte zusammen, als würde er unter Starkstrom gesetzt. ER rollte auf den Rücken und schlug die Augen auf. Als er erkannte, wo er war, grinste er verhalten. Dann wollte er sich aufsetzen. Die Heilkundlerin, die in ihre rosa Schürze gekleidet war, drückte ihn unmißverständlich auf die Liege zurück.

"Du mußt dich erst wieder richtig berappeln, Junge. Du hast deinen Körper stärker ausgezehert, als nach zwei Stunden Wettlauf. Blanche muß mir noch erzählen, was ihr angestellt habt, damit ich euch richtig behandeln kann."

Virginie blieb ruhig liegen, als Madame Matine sie wieder zur Besinnung gebracht hatte. Dann ließ sich die Heilhexe erklären, was genau passiert war. Als Madame Faucon ihre Schilderung beendet hatte, wandte sie sich an die beiden Schüler. Julius berichtete grinsend:

"Ach, wir haben nur einen Ausflug in den Mikrokosmos gemacht. Irgendwie haben sich unsere beiden Zauber verknäuelt und uns eingeschrumpft. Wir waren wohl zwei Hundertstel Millimeter groß, wenn ich die Bakterien mit uns vergleiche, die wir gesehen haben."

"Soso", erwiderte Madame Matine. Dorian fragte, was Bakterien seien. Madame Matine wandte sich dem Beauxbatons-Schüler zu und sagte:

"Kleinstlebewesen, einige davon Krankheitserreger, die meisten jedoch für uns ungefährlich. Die kann keiner sehen, der nicht mit bestimmten Elixieren oder Vergrößerungsgläsern arbeitet. Monsieur Andrews muß über eine frühe naturkundliche Ausbildung verfügen, daß er diese Wesen als das erkannt hat, was sie sind."

"Na klar, bei den Muggeln gibt es ja nichts anderes", wandte Elisa Lagrange ein und rümpfte die Nase, weil sie von den Muggeln und ihrer angeblich so tollen Naturkundeausbildung nichts hielt.

"Yep, Mademoiselle", erwiderte Julius schlagfertig. Dann setzte er sich langsam auf.

"Das war auf jeden Fall sehr klug von euch, wie ihr auf die entsprechenden Gegenflüche gekommen seid", lobte Monsieur Dusoleil, der auch noch im Raum stand und dem Bericht von Virginie und Julius sehr aufmerksam zugehört hatte.

"Du kannst den beiden die Fleisch- und Gemüsebrühe geben, Blanche. Magisch muß da nichts mehr an den beiden vorgenommen werden. Ich würde dir und ihnen jedoch empfehlen, heute keine Zauberübungen mehr zu machen. Falls du Wert darauf legst, schreibe ich den beiden eine ordentliche Entschuldigung aus. Außerdem würde ich dir generell empfehlen, deine Übungen nicht zu übertreiben und ..."

"In Ordnung, Hera. Ich nehme deine Worte zur Kenntnis", erwiderte Madame Faucon leicht ungehalten. Madame Matine verzog zwar das Gesicht, doch dann nickte sie und verließ das Haus.

"Wenn wir nicht mehr zaubern dürfen, dürfen wir ja auch nicht mehr fliegen", warf Julius ein.

"Davon hat sie nichts gesagt", erwiderte Virginie grinsend.

Monsieur Dusoleil nahm sein Vergrößerungsglas wieder mit und verließ per Flohpulver das Haus mit den Worten: "Ich denke, daß Camille dich nicht noch mal zurechtweist, weil du unseren Gast derartig in die Bredullie gebracht hast, Blanche."

Der Rest der Übungsstunden verlief mit einer Nachbesprechung des Vorfalls, den Julius als "Kleine Panne" bezeichnete. Man unterhielt sich über Auswirkungen fehlgeleiteter Flüche und über wirksame Schutzmaßnahmen gegen Fernflüche. Bei dem Thema konnten Julius und Seraphine sehr viel beisteuern, weil Julius aus Professeur Faucons Schutzzauberbuch und den Berichten von Glorias Großmutter Jane schöpfen konnte und Seraphine in Verteidigung gegen die dunklen Künste Klassenbeste ihres Hauses war. Pünktlich um zwölf beendete Madame Faucon den Unterricht und gab als Hausaufgaben auf, sich das Kapitel über körperbeeinflussende Flüche durchzulesen. Sie wollte am nächsten Tag speziell darauf eingehen. Sie gab Julius die Phiole mit dem Goldblütenhonig zurück und sagte:

"Morgen werden wir prüfen, wie gut sie wirkt, Monsieur Andrews. Kommen Sie gut heim."

Julius flog mit Claire auf seinem Besen zum Haus der Dusoleils zurück. Claire erzählte ihm unterwegs, wie ihr Vater ihn durch das Vergrößerungsglas gesehen hatte. Julius, der seine Erlebnisse unter der ungewollten Lichtkuppel im Mikrozustand nun als tolles Abenteuer empfand, nachdem die Angst verflogen war, berichtete Claire, wie faszinierend fremdartig diese Welt war.

"Ich hätte gerne einen Fotoapparat oder eine Filmkamera dabeigehabt, um das aufzunehmen", sagte er Claire, nachdem er berichtet hatte, wie er die großen Staubbrocken und die Flut der Bakterien gesehen hatte.

"Ich hoffe, daß keinem von uns sowas noch mal passiert. nachher bekommt Professeur Faucon Unterrichtsverbot für die Ferien", sagte Claire besorgt.

"Ich hoffe, das hat kein Nachspiel für sie", erwiderte Julius ebenfalls besorgt. Er hatte nämlich nicht vergessen, daß Madame Faucon ihn ja nicht unterrichtete, weil sie mußte, sondern, weil sie ihm gerne viel mehr Wissen und Fähigkeiten mitgeben wollte, als seine Schulkameraden in Hogwarts es erwarten konnten. Er wußte zwar, daß Gloria und Pina, die zur Zeit in Amerika waren, von Glorias Großmutter Jane einiges an Grundwissen mitbekommen würden, aber keine praktischen Übungen machen durften. Glorias Großmutter arbeitete in einem nordamerikanischen Institut zur Abwehr dunkler Künste und hatte ihm in den letzten Sommerferien viel spannendes aber auch beängstigendes erzählt.

Madame Dusoleil ließ Julius beinahe gar nicht mehr aus der zärtlichen Umarmung frei, in die sie ihn bei der Begrüßung genommen hatte. Erst als ihr Mann schmunzelnd sagte, daß der Junge sich wünschen könnte, immer noch mit Virginie allein in der Mikro-Kuppel zu sein, wenn sie ihn derartig festklammerte, ließ sie von Julius ab und sah ihren Mann an. Julius machte, daß er ins Haus kam und seine Sachen fortpackte. Er wollte nicht hören, wenn sich die beiden Eheleute um ihn stritten, wo kein Grund mehr bestand. Er freute sich, seine Schleiereule Francis wiederzusehen, die in ihrem Käfig saß und schlief. Offenbar mußte der Postvogel, den Julius von Aurora Dawn zum zwölften Geburtstag bekommen hatte, an diesem Morgen angekommen sein. Er hatte ihn ja nach Millemerveilles vorgeschickt, weil er nicht wußte, wie er dort hingelangen würde. So konnte Julius einen Brief an Catherine Brickston schreiben, daß er gut angekommen war. Er schrieb auch seiner Mutter:

Hallo, Mum!

Ich habe deinen Brief bekommen und darf dir von Madame Dusoleil die besten Grüße übermitteln, hat sie gesagt. Sie freut sich sehr, von dir zu hören, wenn du die Möglichkeit hast, zu schreiben. Ich würde dich gerne bitten, Paps zu sagen, daß ich ihn immer noch liebe und ihn immer noch hoch achte, aber ich kann dafür nicht auf meine Ausbildung verzichten. Daß du das verstehst, beruhigt mich sehr.

Ich nehme hier mit einigen anderen zusammen Nachhilfestunden in Verteidigung. Das ist sehr spannend und wichtig, weil es in unserer Welt sehr viele Arten gibt, jemandem Schaden anzutun. Heute hatten wir den ersten Unterrichtstag. Unsere Lehrerin hat mich mit einer drei Jahre älteren Schülerin in eine Arbeitsgruppe gesteckt, weil sie findet, daß ich besser bin, als Leute meines Alters. Es hat soweit auch so geklappt, wie sie sich das vorgestellt hat.

Wir spielen auch wieder Quidditch. Jeanne, die älteste Tochter von Madame Dusoleil und ihre Schulfreunde haben mich eingeladen, bei Ihnen mitzuspielen. Dabei hättes mich gestern nach dem Spiel fast umgehauen, weil ich mich so reingehängt habe. Aber mittlerweile geht es mir wieder gut genug, daß ich denke, daß mir das beim nächsten Mal nicht mehr passiert.

Ich wünsche dir noch schöne Tage in Paris!

Julius

Julius steckte den Brief in einen Umschlag und adressierte ihn korrekt an Catherine und Joe Brickston in Paris. Er wollte Francis am Abend losschicken, um den Brief einzuwerfen. Da Francis Catherines Haus kannte, konnte er das erledigen, ohne selbst ins Haus zu müssen.

Mittags mußte Julius von jedem Gang zwei Portionen essen. Madame Dusoleil hielt ihn ohne Worte an, von der köstlichen Fischsuppe, den gerösteten Kartoffeln und dem zarten Hühnerfleisch zu essen und gab ihm jedesmal unaufgefordert zu trinken, wenn sein Glas leer war. Monsieur Dusoleil ließ sich noch mal in allen Einzelheiten schildern, wie die Mikrolandschaft aussah. Doch Madame Dusoleil sah Julius immer warnend an, wenn er auf die kleinen Tierchen zu sprechen kommen wollte, die ihm begegnet waren. Julius verstand, daß sie nicht wollte, daß Denise verschreckt würde.

"Es wäre schon eine interessante Erfindung, in dieses Universum, diesen - wie nanntest du es, Julius? - Mikrokosmos, einzutauchen. Da liegen bestimmt noch sehr viele Rätsel und deren Lösungen."

"Ja, Florymont. Du wolltest auch schon eine Weltraumflugmaschine bauen, weil du dir Steine vom Mond holen wolltest, weil Julius erzählt hat, daß amerikanische Muggel welche von dort geholt haben", warf Mademoiselle Dusoleil ein. "Ich denke mal, daß wir in unserer Welt zwischen den Sternen und den Grundbausteinen der Materie gut leben können, vielleicht sogar besser, wenn wir nicht alles zu durchdringen versuchen. Die Muggel stehen doch kurz vor einer großen Krise, weil ihre Neugier und der Erfindungsreichtum sie vergiftet und sie die Rohstoffe der Erde fast vollständig geplündert haben."

"Paps hat mal gesagt, daß die Wissenschaften manchmal Krankheit und Medizin zusammen herstellen. Er glaubt jedoch daran, daß nur die Naturwissenschaften der Menschheit helfen, ihre Probleme zu lösen."

"Der kann ja auch nichts anderes sagen", gab Jeanne gehässig zurück. "Der verdient sein Geld damit, hat nichts anderes gelernt und kann nichts anderes als seine kalten Formeln ohne Leben."

"Jeanne!" Versetzte Madame Dusoleil tadelnd, wenngleich sie ihrer Tochter insgeheim zustimmte. Doch sie wollte Julius' nicht verletzen, indem sie zuließ, daß abfällig von seinen Eltern gesprochen wurde. Dann sagte sie noch:

"Julius' Maman hat sich dir gegenüber doch als aufgeschlossen gezeigt, Jeanne. Die macht doch auch nichts, was Zauberei als Möglichkeit zuläßt."

"Das ist richtig, Maman", gestand Jeanne ihrer Mutter zu und lief leicht rosa an. Claire fragte Julius, ob er nach dem Essen mit ihr, Elisa und Dorian noch ein wenig durch den Musikpark wandeln wolle. Julius nickte zustimmend. Frische Luft war genau das, was er brauchte, um sich ordentlich zu entspannen, nach dem Vorfall des Morgens.

So kam es dann, daß Julius mit den drei Beauxbatons-Schülern zwei Stunden im von Madame Dusoleil eingerichteten Musikpark umherging, bis eine Eule anflog, die Post für Julius hatte. Julius las laut vor:

"Ich erwarte Sie zum Kaffee in meiner Residenz, Monsieur Andrews. Ich habe Ihrer Gastmutter bereits mitgeteilt, daß ich Sie sprechen möchte. Eleonore Delamontagne."

"Ach du großes Drachenei, die will dich jetzt wohl noch aushorchen, ob du ihre Tochter nicht mit Absicht eingeschrumpft hast, um was unanständiges mit ihr zu machen", kommentierte Dorian Dimanche.

"Ja, natürlich. Es ist auch sehr prickelnd, von handgroßen glibberigen Bakterien umkreist zu werden und vielleicht nur noch zwei Stunden Luft zum leben zu haben", gab Julius sofort zurück. Elisa fragte, was die beiden Jungen meinten. Claire sagte nur:

"Dein Dorian will Julius mit Virginie verkuppeln, Lis. Er hat merkwürdige Träume."

"Hmm, vielleicht war es aber auch Virginie, die nur mit mir allein sein wollte", erwiderte Julius. Dorian lachte bösartig. Elisa kniff ihm dafür in die Nase, während Claire Julius kräftig am Ohr zog.

"Sowas sagt man nicht, Julius", fauchte sie wie eine gereizte Katze.

"Du nicht, aber ich", gab Julius unbeeindruckt zurück.

So fügte es sich, daß Julius auf dem Rückweg bei Madame Delamontagne zurückblieb und mit ihr über die Vorkommnisse vom Morgen sprach. Virginie war gerade nicht zu Hause. So konnte die füllige Dorfrätin Julius mitteilen:

"Virginie ist sehr glücklich, daß du herausgefunden hast, was mit euch passiert ist. Sie fand es sehr beachtlich, daß ein fast Dreizehnjähriger so schnell seine Selbstbeherrschung wiederfindet. Dorian Dimanche ist da noch zu leicht aus der Bahn zu werfen. Auf jeden Fall ist es sehr aufschlußreich, daß Virginie und du gleichstarke Zauberkräfte besitzt, wobei sie kein Mentalinitiator ist."

"Nun, dafür kann ich ja nichts, Madame. Wenn Virginie nicht gewußt hätte, daß wir uns durch die Gegenflüche hätten befreien können, wären wir unter dieser magischen Energiekuppel erstickt oder hätten uns unrettbar selbst vernichtet. Ich hoffe nur, daß mir Virginie nicht eine Heldenverehrung entgegenbringt. Das möchte ich nämlich nicht. Auch will ich nicht eines Tages von ihrem Freund, den sie wohl hat, eine reingehauen kriegen, weil ich Virginie in Gefahr gebracht habe."

"Da besteht wohl keine Gefahr, zumal Aron ja in der Jungenmannschaft mitspielt und dich sicherlich nicht beschädigen möchte, wenn er weiterhin auf der Gewinnerseite stehen will."

Eigentlich wolte Julius nicht wissen, ob Virginie einen festen Freund hatte und wer das war. Aber er nickte zustimmend und lächelte.

"Ich habe Blanche empfohlen, euch aus den höheren Stufen zukünftig einzeln zu prüfen und zu unterweisen. Die Möglichkeit, daß ihr euch ohne genaue Anleitung schlimmerem aussetzt, als Virginie und du heute morgen, ist nicht von der Hand zu weisen. Aber ich gehe davon aus, daß sie schon einschätzen kann, was sie euch abverlangen kann."

"Dann dürften die Schulräte von Beauxbatons sie nicht mehr als Lehrerin dulden", erwiderte Julius.

"Will ich meinen. Immerhin sind Madame Lagrange, Madame Grandchapeau und ich Mitglieder des Elternbeirates von Beauxbatons und beobachten schon sehr genau, wer was unseren Kindern beibringt und wie", gab Madame Delamontagne mit einem Lächeln zurück.

Gigie, die Hauselfe der Delamontagnes, brachte noch eine Kanne Kaffee und Kakao auf den Tisch und servierte leckere Waffeln. Julius berichtete noch ein wenig vom trimagischen Turnier und seinen Eindrücke von Beauxbatons, wenngleich er nicht wußte, wie Madame Delamontagne es hinnehmen würde, daß er sich dort irgendwie eingesperrt gefühlt hatte, umgeben von einer kalten Umwelt.

"Da du eine sehr beachtliche Selbstbeherrschung gezeigt hast, vermute ich, daß du irgendwann im Leben auf vernünftige Weise Selbstdisziplin gelernt hast. Das zeigt sich ja auch in deinen gesellschaftlichen Fähigkeiten, die ich bereits ergründen durfte. Die Kälte, die du sicherlich verspürt hast, ist lediglich der Anreiz, seine eigenen Stärken und schwächen auszuloten, um sich nicht willkürlich treiben zu lassen. Das dies in Hogwarts nur zum Teil funktioniert, sodaß Kreaturen wie der dunkle Lord daraus entstehen konnten, ist bedauerlich. Beauxbatons ist eine strenge Mutter, die nährt und tadelt, aber ihre Kinder kräftig und sicher in die Welt entläßt. Empfindest du beispielsweise Virginies oder Claires Wesen als eingeschränkt oder gar unterkühlt?"

"Öhm, nein, eigentlich nicht", erwiderte Julius errötend.

"Dann besteht in dieser Richtung keine Gefahr in Beauxbatons. Außerdem kann jemand nach nur einem Tag nicht konkret abschätzen, was ihm oder ihr besonders behagt. Das meine ich jetzt nicht, weil ich deine Meinung geringschätzen will, sondern um dir Mut zu machen, dich nicht einschüchtern zu lassen, ohne jedoch zu übertriebener Aufsessigkeit und Unvernunft zu neigen."

"Mir ist es nur peinlich, daß ich mich immer über meine Eltern auslassen muß, weil die es nicht sofort verstehen konnten, daß ich Zauberei lernen muß, um nicht eines Tages alles um mich herum zur Hölle zu schicken. Hinzu kamen die Auftritte meines Vaters in Hogwarts und per Post. Das ist ein dummes Gefühl."

"Ich weiß, daß du in einigen Wochen Geburtstag hast. Jetzt, wo wir es wissen, hast du bestimmt keine Bedenken mehr, ihn zu feiern, wenn Madame Dusoleil es dir erlaubt, wovon ich sehr stark ausgehe. Finden deine Eltern es nicht bedauerlich, nicht dabei zu sein?"

"Paps hat mich vor einem Jahr fortgeschickt und nur gesagt, daß er mich wohl anrufen wird. Was Mum gedacht hat, weiß ich nicht. Offenbar finden sich beide damit ab, daß ich nur noch dann Geburtstag mit ihnen feiere, wenn ich keine Zauberer um mich herum habe, und natürlich keine Hexen um mich herum habe."

"Das hieße, wenn wir jetzt beschlössen, dich über deinen Geburtstag nach Hause zu schicken, würden deine Eltern mit dir feiern wollen?" Fragte Madame Delamontagne. Julius verstand nicht, was das sollte. Wollte die Hexe wissen, ob er lieber mit seinen Eltern alleine feiern wollte anstatt mit seinen Freunden aus Hogwarts und Beauxbatons? Dann war die Antwort eindeutig.

"Wenn Sie allen Hexen und Zauberern verbieten, uns dabei zu stören, hätten die nichts dagegen. Aber dann könnte ich meine Freunde nicht einladen. Ich habe seit Hogwarts keine Nichtzauberer mehr als Freunde. Die drei, die von meiner Grundschulzeit übrig waren, haben sich in alle Richtungen Englands verteilt."

"Das heißt also, daß du lieber hier oder in Cambridge oder bei deiner Schulfreundin Gloria feiern würdest?"

"Wenn Sie das als meinen Geburtstagswunsch auffassen, Madame, dann sage ich ja, ich möchte lieber hier feiern, falls nicht anders möglich ohne meine Eltern."

Madame Delamontagne nickte zustimmend.

Nach dem Kaffeetrinken kehrte Julius zu Fuß in das Haus der Dusoleils zurück und erledigte Hausaufgaben für Hogwarts. Jeanne half ihm einmal bei einer Frage zu Zaubertränken, wenngleich Julius sich sicher war, das richtige Buch zum Nachlesen mitgenommen zu haben. Er erzählte Madame Dusoleil auch, was ihm Professor Sprout aufgegeben hatte und erhielt die Zusage, daß sie mit ihm am Wochenende einen ruhigen aber lehrreichen Rundgang durch ihr Reich, die grüne Gasse, machen würde, um ihm alles zu erklären und vorzuführen.

"... fehlte mir noch, daß Professor Sprout mir noch unterstellt, dich nicht bei deiner Ausbildung unterstützen zu wollen. Sie hat mir heute geschrieben, daß die Regenbogensträucher nun voll ausgewachsen seien und sie hofft, daß ihr euch im nächsten Schuljahr auch wieder darum kümmert, wenn ihr Zeit und Lust habt."

Nach dem mehrgängigen Abendessen spielten Julius und Mademoiselle Dusoleil noch zwei Partien Schach. Anschließend nahm Julius ein Bad im gemütlichen Gästebadezimmer, bevor er sich erschöpft aber zufrieden ins Bett legte, nachdem er Francis mit dem Brief für seine Mutter zum Fenster hinausgelassen hatte.

ENDE

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