DIE KUH UND DER KIRSCHBAUM

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Dumbledores gewaltsamer Tod erschüttert die Zaubererwelt, nicht nur in England. Doch Julius findet in den ersten Tagen der früher begonnenen Sommerferien genug Ablenkung von diesem traurigen Thema. Er besucht mit seiner Mutter das Euro Disneyland in der Nähe von Paris, nutzt die durch die magischen Herzanhänger geschaffene Verbindung zu seiner Freundin Mildrid für längere Gedankengespräche und ist beunruhigt über die Eltern von Joe Brickston, die darauf beharren wollen, daß ihre beiden Enkeltöchter sich endlich einer christlichen Taufe unterziehen sollen. Da Babettes und Claudines Patentante Madeleine dem absolut nicht zustimmt, da die meisten christlichen Kirchen Magie und Magier als sündhaft und abartig ablehnen, kommt es zum Krach zwischen Mrs. Jennifer Brickston und Babettes und Claudines Großtante. Dabei kommt heraus, daß Catherine und ihre leiblichen Verwandten echte Hexen sind. Diese Enthüllung wird als "Fall Rumpelstilzchen" bezeichnet. Catherine geht davon aus, daß ihre Schwiegereltern gedächtnismodifiziert werden sollen, was Joe dazu veranlaßt, Catherine die Trennung anzudrohen, was seine Tochter Babette erschreckt und sehr traurig macht. Doch es wird ein Weg gefunden, die Eltern Joes einzuweihen, ohne weitere Auswirkungen auf die nichtmagische Welt zu befürchten. Jennifer und James Brickston werden einem Lebensrückschauzauber unterzogen, der ihnen die wichtigsten Erlebnisse und damit verbundenen Gefühle der magischen Hausbewohner zeigt. Dies bringt beide dazu, daß echte Liebe auch von echten Hexen gefühlt und weitergegeben werden kann, womit die religiösen Vorbehalte gegen Catherines Verwandtschaft beseitigt werden können. Außerdem unterzieht sich Catherines Mutter dem Fidelius-Zauber, um zu verbergen, daß Jennifer und James Brickston Joes Eltern sind und damit mit echten Hexen und Zauberern verwandt sind.

Julius freut sich auf den 24. Juni, denn da sind seine Mutter und er auf dem magischen Bauernhof der Latierre-Familie eingeladen.

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Julius betrat den geräumigen Salon, den er zu Ostern besucht hatte. Irgendwie war er sicher, daß sie hier waren. Die Stimmen, die er von draußen gehört hatte klangen hoch und irgendwie gedämpft, als würden die, denen sie gehörten hinter einer sich ständig bewegenden Wand stehen.

"Ich soll erst am Sechsundzwanzigsten rauskommen", hörte er eine eindeutig jungenhafte Stimme. "Kannst du dir nicht noch etwas Zeit lassen?"

"Nein, kann ich nicht", hörte er eine eindeutig weiblich klingende Stimme antworten. Er suchte die Quelle und entdeckte in einem Arbeitszimmer zwei Frauen, die er kannte: Barbara van Heldern, und die Besitzerin dieses Hauses, Jeanne Dusoleil. Sie saßen einander gegenüber und dirigierten Schachmenschen auf einem Brett, das auf einem Tisch mit hohen Beinen lag, so das die Platte zwischen Bauchraum und Brustkorb der beiden lag. Sie sagten was zueinander. Doch Julius konnte sie nicht sprechen hören. Stattdessen hörte er das langsame, laute Wummern zweier Herzen und zwei Herzen, kleiner und schneller schlagend. Dann ortete er die Stimme des Jungen und erkannte, daß sie aus Barbaras Unterleib drang wie durch einen im Wasser schwingenden Schlauch klingend.

"Du kannst nicht jetzt schon da raus. Meine Mutter hat gesagt, ich soll dann ankommen, wenn du ankommst."

"Diese Hera, die andauernd mit ihren großen Händen über mich weggeht sagt aber, ich sollte schon hier rausklettern", ertönte die Mädchenstimme, die irgendwie aus Jeannes gerundetem Unterleib zu kommen schien. "Sie sagt, ich hätte schon keinen Platz mehr hier, und das ist auch wahr. Mir wird's hier zu eng. Außerdem ist es mir hier zu dunkel und zu laut."

"Du hältst eben nix aus", versetzte der nicht sichtbare Junge verächtlich. "Ich könnte noch lange hierbleiben. Ist schön warm hier. Ich kann mich strecken, ohne daß ich andauernd ausgeschimpft werde und werde gerne gestreichelt. Außerdem sagen die, daß wenn ich irgendwann hier rauskrieche für mein Essen rumschreien muß. Außerdem will der Typ, der Gustav heißt, daß ich erst da meine Wohnung verlasse, wo er selbst ist, und da sind wir nicht, sagt die, zu der ich Maman sagen soll, wenn ich raushabe wie das geht."

"Ja, aber ich kann nicht mehr warten. Außerdem soll das draußen richtig viel geben, was lustig oder spannend ist. Ich glaube, ich mach mich jetzt auf den Weg."

"Ey, mach das nicht!" Rief der unsichtbare Junge. "Wenn meine Maman hört, daß du rauskommst drückt sie mich auch raus. Also bitte noch nicht."

"Ich habe genug von deinem Gerede", tönte die Mädchenstimme schmollend. "Wenn deine Maman dich erst in zwei Wach- und Schlafzeiten haben will, kann sie ja warten. Losgeht's!"

Julius sah, wie Jeannes Gesicht sich verzog, als fühle sie einen heftigen Schmerz. Zu hören war von ihr aber nichts.

"Nein, Bitte bleib da noch!" Flehte der Junge. "Das ist gemein von dir!"

"Ist mir doch egal", knurrte die Mädchenstimme. "Ey, mach schon, Maman oder Jeanne, oder wie ich zu dir sagen soll!"

"Das ist fies von dir. Lass mir doch noch die Zeit!"

"Sag das deiner Maman!" Entgegnete die Mädchenstimme. "Arg, sie will mich nicht rauslassen."

"Dann bleib da noch!" Erwiderte die Jungenstimme verächtlich.

"Nichts gibt's", knurrte die Mädchenstimme. Wieder verzog sich Jeannes Gesicht. Barbara sprach zu ihr. Doch Julius hörte sie nicht. Dann stand Jeanne auf und verließ das Zimmer. Das Schachspiel blieb auf dem Brett versammelt. die Dame der weißen Schachmenschen, die von Barbara geführt wurden, reckte entrüstet die Hände und stieß etwas aus, was Julius nicht verstand. Er hörte die Mädchenstimme aus einiger Entfernung lamentieren, daß sie endlich rauskommen wollte. Der Junge hingegen lachte nur. Dann klang er erschreckt und zeterte: "nein nein nein, die ist noch nicht soweit. Du kannst mich ruhig noch hier drin lassen. Gustav oder Papa wird sonst sauer, wenn ich nicht da ankomme, wo er wohnt."

"Wir sehen uns bald. eh, wie wollen die dich nennen?" Erwiderte die Mädchenstimme, leicht angestrengt klingend.

"Charles Antoine. Aber soweit ist das noch nicht und ... Och neh! Lass das!" Barbaras Gesicht verzog sich sacht aber doch unmißverständlich. Julius wollte auf sie zugehen, da löste sich die Umgebung auf. Barbaras Herzschlag wurde leiser und ging in seinen eigenen Herzschlag über. Er fand sich ohne wilden Übergang in seinem Bett in der Rue de Liberation 13 wieder.

"Also langsam bin ich ein Fall für Sigmund Freud und den Klüngel. Was für abgedrehte Träume ich so haben kann", dachte Julius Andrews über das, was er gerade im Traum erlebt hatte. Das war ja schon mehr als seltsam, daß er träumte, daß sich Barbaras und Jeannes ungeborenes Kind darum stritten, wer von ihnen wann zur Welt kommen sollte. Offenbar fühlte sich Barbaras Kind noch zu wohl da wo es noch friedlich heranwuchs, während Jeannes Tochter es ziemlich eilig hatte. Das rang ihm ein Schmunzeln ab. Die Hexen aus der Dusoleil-Familie waren immer sehr spontan, direkt und neugierig und verloren keine unnötige Zeit, wenn sie was wollten. Er wußte das besser als viele andere. Aber warum hatte er jetzt von den beiden kurz vor der Niederkunft stehenden Hexenmüttern geträumt? Die Frage ließ sich auf Träume immer sehr schwer anwenden, wußte er. Seine Uhr verriet ihm, daß es erst drei Uhr Nachts war. Also wollte er noch ein wenig schlafen. Womöglich träumte er dann was, womit er besser zurechtkommen konnte.

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"Juhu, Monju! Werd wach, Süßer!" Trällerte Millies Stimme von allen Seiten zu ihm hin. Er schwebte in einem weiten, dunklen Raum. Dann zog sich der Raum um ihn zusammen, und das Gefühl, auf einer relativ weichen Unterlage zu liegen drang zu ihm durch. Dann hörte er Millies Stimme wieder, genau zwischen Seinen Ohren, hinter seiner Stirn, unterhalb seiner Schädeldecke. "Ah, du bist wach, Monju. Maman sagt, wir holen euch in einer Stunde ab, ihr braucht nicht zu frühstücken."

"Bißchen zu munter, Mamille. Eine Stunde ist ja nicht gerade genug Zeit, um in Ruhe in die Klamotten zu kommen", grummelte Julius in Gedanken. Dann sah er auf seine Weltzeituhr. Der rote Standortstundenzeiger deutete gerade auf die acht, während der Minutenzeiger die Drei schon hinter sich gelassen hatte. "Öhm, schon viertel nach acht!" Entfuhr es Julius mit körperlicher Stimme. Dann konzentrierte er sich wieder auf Mildrid und dachte:

"Also um viertel nach neun kommt ihr an."

"Genau. Immer noch Zeit genug, um in die Klamotten zu kommen, Monju. Oder soll ich dir helfen?"

"Da hätten deine Eltern und meine Mutter wohl was gegen", erwiderte Julius schalkhaft grinsend.

"Aha, aber dir würde es schon gefallen", säuselte Millies Gedankenstimme.

"Von dir angezogen zu werden? Hmm."

"Wäre doch mal was neues, nicht wahr?" Klang Millies amüsierte Gedankenstimme.

"Für uns, aber nicht für viele andere", erwiderte Julius.

"Na und? Wir haben ja noch genug, was wir entdecken können", schnurrte Mildrid in seinem Kopf.

"Ja, aber nicht in den nächsten Minuten, Mamille", wehrte Julius ab.

"Die drei Minuten, die du jetzt dafür übrig hast sind mir auch zu unromantisch schnell vorbei", erwiderte Millies Melo-Stimme. Dann sagte diese noch: "Ach, Pattie und Mayette sind gerade unten bei uns. Ich lass unser gemeinsames Herz jetzt besser unterm Oberteil, Monju. Also in ungefähr einer Stunde!"

"Bis dann!" Melote Julius zurück und stieß sich mit Schwung vom Bett ab. Da es ja kein Himmelbett war wie in Beauxbatons konnte er so richtig davon wegspringen, wie er es dann gerne machte, wenn er heftig verschlafen hatte. Das war ja wohl der Fall, wenn er erst um viertel nach acht wach wurde und noch dazu von seiner einige Kilometer weit entfernten Freundin geweckt werden mußte, die bestimmt schon unverschämt munter war. Was hatte ihn denn so heftig müde gemacht, daß er nicht von alleine wach wurde? In Beauxbatons wachte er auch ohne Weckdienst meistens um halb sechs auf. Ihm fiel dieser Traum wieder ein, den er diese Nacht gehabt hatte. Aber das konnte es doch nicht sein, was ihn so heftig hatte verschlafen lassen.

"Mum, bist du schon auf?!" Rief Julius. Aus dem nebenan liegenden Arbeits- und Schlafzimmer kam ein verschlafenes Grummeln zurück. Er öffnete seine Zimmertür und überlegte, wie er seiner Mutter beibringen konnte, daß Millies Eltern sie um viertel nach neun abholen würden. Das mit der Melo-Verbindung wollte er ihr ja nicht auf die Nase binden. So fragte er:

"Weißt du, wann die Latierres uns abholen wollten?"

"Höh? - Au weia, zwischen neun und zehn. Julius, wieso hast du mich nicht früher geweckt?"

"Weil ich dachte du hättest 'n Wecker", erwiderte Julius vorlaut.

"Den habe ich doch eingestellt auf sieben", knurrte Julius' Mutter hinter ihrer Tür. Dann schnaubte sie verärgert: "Nur sollte man den dann auch auf Wecken stellen."

"Kann passieren, Mum. Ich bin selbst ziemlich erschrocken, daß ich jetzt erst wach wurde", erwiderte Julius. "Dann gehe ich schon mal ins Bad. Baden ist zwar nicht, aber 'ne Sportlerdusche geht noch. zwei Minuten duschen und eine Minute Abtrocknen."

"Mach, Julius!" Hörte er die Stimme seiner Mutter aus dem Schlafzimmer.

Er schaffte es tatsächlich in einer Viertelstunde wieder aus dem Bad rauszusein, wobei das Rasieren ein Drittel der Zeit beansprucht hatte, auch wenn Florymont Dusoleils magischer Rasierer superschnell und trotzdem gründlich war. Seine Mutter ließ sich mehr Zeit im Bad.

Julius wußte, daß er kein Frühstück machen mußte. Aber eine Tasse tee wollten sie bestimmt noch trinken. Er setzte den Kessel mit Wasser auf den Herd und gestattete per Knopfdruck, daß das allwerktägliche Moderatorenduo ihm von Musik unterbrochen die Tageslaune erfrischte, wenn die beiden über die Innenpolitik, die Prominenz und das Weltgeschehen scherzten. Kurz bevor das Teewasser kochte hörte er ein lautes: "Hallo ist jemand zu Hause?!" Aus dem Wohnzimmer rufen. Es war Camille Dusoleils Stimme. Sie klang sehr glücklich.

"Öhm, ich bin in der Küche, Camille! Moment bitte!" Julius stellte den Herd auf die kleinste Stufe, um den Kessel langsamer anzuheizen. Dann eilte er ins Wohnzimmer und sah Camille Dusoleils Kopf im Kamin, in dem im Moment kein Feuer brannte.

"Guten Morgen, Camille. Meine Mutter ist im Bad. Wir haben tierisch verschlafen."

"Dann hast du für mich und Jeanne mitgeschlafen, Julius."

Julius sah sie verdutzt an. Dann wagte er es zu fragen:

"Darf man jetzt Oma Camille zu dir sagen?"

"Ui, das war ja ein Glückstreffer", grinste Camille. Julius fragte sich, ob er vielleicht doch hellseherische Fähigkeiten hatte. "Zumindest darf Viviane Aurélie das jetzt zu mir sagen, wenn sie sprechen lernt. Aber 'ne kräftige Stimme hat sie schon." Sie lächelte stolz, als wäre sie selbst noch einmal Mutter geworden.

"Dann möchte ich Jeanne gerne gratulieren. Öhm, aber Barbara van Heldern ist nicht zufällig bei euch?"

"Tja, die wollte heute Morgen wieder nach Brüssel zurück. Aber es ist echt lustig. Als Viviane schon ihren Kopf in die Welt hinausgestreckt hat, haben bei Barbara die Wehen eingesetzt. Sie wollte zwar noch mit der Reisesphäre über Paris nach Brüssel, weil Gustavs Kind dem Bodenrecht nach Belgier werden soll, aber Hera hat's ihr verboten und sie quasi auf dem Gebärstuhl angekettet. Allerdings ist bei ihr noch kein Wasser abgegangen. Ist so, als weigere sich ihr Kind, das schützende Gefäß zu verlassen."

"Oha", erwiderte Julius. Dann fragte er, wie lange es bei Jeanne gedauert hatte.

"Um drei Uhr hatte sie die ersten Wehen. Ich war bei ihr, weil Bruno mit seiner Mannschaft gerade auf Werbetour für die Weltmeisterschaft im nächsten Jahr ist. Tja, Barbara war auch da, weil Jeanne sie am Abend noch zu einer Schachpartie eingeladen hat. Aber sie schlief noch, als es bei Jeanne losging, und wir haben einen Klangkerker aufgebaut, um sie schlafen zu lassen. Aber trotzdem wachte sie wohl so um sechs Uhr auf und suchte uns, weil es bei ihr auch losgegangen war. Da war Viviane schon halb an der frischen Luft. Tja, und jetzt sitzt sie auf dem zweiten Stuhl, den Hera für den Fall der Fälle bereitgestellt hat."

"Bist du noch bei Jeanne?" Fragte Julius.

"Ja, bin ich noch."

"Soll ich die anmentiloquieren?"

"Na, bei sowas gratuliert man körperlich wahrnehmbar, Julius. Nachdem Viviane jetzt glücklich aus ihrem Bauch rausgesprungen ist muß sie deine Stimme nicht sofort im Kopf hören."

"Dann muß ich den Kamin benutzen", sagte Julius. "Wie geht's denn Florymont?"

"Den habe ich noch nicht geweckt. Er soll sich langsam daran gewöhnen, daß er jetzt 'ne Oma neben sich im Bett liegen hat", erwiderte Camille mädchenhaft grinsend.

"Wenn du es mit dem Opa aushältst wird er sich schon dran gewöhnen", trieb Julius den Scherz weiter. Camille lachte.

"Flirtest du wieder mit irgendwelchen Hexen, Julius?" Fragte Martha aus dem Badezimmer.

"Nur mit 'ner Oma aus Millemerveilles!" Rief Julius zurück.

"Wenn die Oma immer in grünen Sachen rumläuft bestell ihr bitte auch von mir einen herzlichen Glückwunsch, Julius!" Rief Martha Andrews.

"Joh, mach ich!" Bestätigte Julius und gab den Glückwunsch weiter.

"Ihr seid nachher bei der anderen Oma, die vor kurzem viele neue Enkel bekommen hat, nicht wahr?" Erkundigte sich Camille.

"Nicht ganz, bei einer ihrer gesegneten Töchter, der anderen Barbara, die ich jetzt kenne."

"Wie kommt ihr da hin, Reisesphäre zu uns und dann eine der Kühe?"

"Von den Kühen sind wohl zwei gerade mit kleinen Kälbern belegt worden. Monsieur Albericus Latierre holt uns mit seinem kleinen Bus ab."

"Kleine Jungs, kleines Spielzeug. Große Jungs, großes Spielzeug", feixte Camille. "Vielleicht sollte ich meinen großen Jungen jetzt doch langsam aufwecken. Dann ist der Kamin frei. Jeanne kommt gerade wieder rein."

"Okay, Grandmaman Camille, dann mach bitte mal platz!" Sagte Julius, der sich richtig toll fühlte, wie ein frecher Junge zu reden. Camilles Kopf mit dem langen, seidenweichen, schwarzen Haar, das in sanften Wellen herabfiel, verschwand mit leisem Plopp. Julius holte ein kleines Holzscheit und eine alte Zeitung, die er genüßlich zerriss und alles auf den Rost legte und dann die Papierschnipsel anzündete, bis das Holzscheit selbst aufloderte. Er nahm von dem Flohpulver, von dem nicht mehr viel übrig war und warf eine kleine Prise davon in das kleine Feuer, das laut tosend zu einer smaragdgrünen Flammenwand anwuchs. Julius kniete sich nieder, steckte seinen Kopf in die sich für ihn wie eine warme, leicht prickelnde Brise anfühlenden Flammen und rief "Maison du Soleil!" aus. Als sein Kopf nach einer wilden Wirbelei zur Ruhe kam sah er Jeanne, die erschöpft aber überglücklich mit einem in rosarote Tücher eingewickelten Neugeborenen im Kaminzimmer saß und ihn anstrahlte.

"Meine Mutter und ich wünschen den jungen Eltern und ihrer taufrischen Tochter alles gute und ein langes, gesundes, glückliches Leben! Alles gute zum Geburtstag, Viviane Aurélie!"

"Sie weiß zwar noch nicht, warum sie sich darüber freuen soll, daß sie jetzt nicht mehr gut verpackt ist, Julius. Aber ich bedanke mich sehr gerne für euren Glückwunsch." Jeanne sah wie ihre Mutter Camille aus, jetzt durch die gerade erst überstandene Schwangerschaft noch etwas fülliger als diese. Ihre schwarzen Haare umwehten ihren Oberkörper, der nur mit einer rosaroten Bluse bedeckt war. Ihren vorhin wohl noch arg gebeutelten Unterleib umspielte ein weißer Rock mit gelben Sonnensymbolen.

"Barbara war gestern abend noch bei dir?" Fragte Julius.

"Die ist doch noch hier", meinte Jeanne. Eben habe ich sie noch laut stöhnen gehört. Offenbar will sie jetzt auch schon ihren Sohn in den Armen liegen haben. Dabei haben Maman und Madame Matine unser Schlafzimmer mit einem Klangkerker abgesichert. Trotzdem ist das bei Barbara ..." Julius hörte einen heftigen Aufschrei und Madame Matines gestrenge Anweisung, tief durchzuatmen. "Du hörst es ja", bemerkte Jeanne dazu.

"Ihr habt euch nicht abgesprochen, oder?" Fragte Julius.

"Ich wollte Vivi schon gestern in die Augen sehen, Julius. Aber sie hat sich noch etwas Zeit genommen. Barbaras Sohn sollte erst übermorgen ankommen. Kann mir vorstellen, daß Barbara das irgendwie gefühlt hat, daß es bei mir losgeht, echtes Bauchgefühl sozusagen."

"Tja, sieht so aus, als hätten eure Beiden Wonneproppen das miteinander ausgehandelt", scherzte Julius, der hier und jetzt nicht von seinem merkwürdigen Traum sprechen wollte.

"Sähe Barbara ähnlich, dem Kleinen die unhörbare Anweisung zu geben, jetzt schon zum Ausgang hinzukrabbeln."

"läster ruhig über mich, Jeanne", hörte Julius Barbaras leicht gequälte Stimme sagen. "Wenn ich nicht wüßte, daß du es gerade erst hinter dich gebracht hast würde ich sagen ... auu ... daß du es erstmal zu spüren kriegen sollst. Aber so sehr der sich weigert, seinen Lumière'schen Dickschädel nach draußen zu zwengen ...ahauu .. kann das noch dauern."

"Das hältst du aus, Barbara!" Rief Jeanne locker. "Ich hab's ja auch ausgehalten."

"Wann ist die Kleine jetzt genau geboren worden, also ich meine, wann war sie von dir losgemacht?"

"Fünf minuten nach sechs uhr, Julius. Die ist kurz vor sechs mit dem Kopf durchgekommen, und dann hat die sich echt von mir abgestoßen. Da habe ich schon ganze Galaxien voller Sterne gesehen. Gut das Madame Matine vorgesorgt hat, das es mich nicht regelrecht zerrissen hat."

"Ui, die hatte wohl genug von dem Geglucker und geschnaufe von dir, wie?"

"Lümmel. Kannst ja gerne rüberkommen und dir von Madame Matine die Mütze aufsetzen lassen und Barbara hautnah mitverfolgen."

"Danke, ich habe heute noch was vor", erwiderte Julius leicht erschrocken.

"Soweit kommt's noch, Jeanne. Das würde er nicht durchstehen. Außerdem soll das mir allein gehören, wie heftig das auch immer .... aaaahauuuua!!!"

"Okay, ich zieh den Kopf wieder ein, Mädels!" Rief Julius.

"Du bist heute bei den Latierres auf dem Hof? Hat Maman mir gesagt. Grüß Martine mal schön und sage ihr, sie dürfte dich übermorgen mitbringen, wenn Bruno wieder da ist und Vivi Pipi machen lassen möchte. Bis dahin hat Barbara ihren Kleinen auch in der Wiege.""

"Apropos Wiege", flüsterte Julius. "Wollte deine Mutter da nicht irgendwas mit machen?"

"Schon passiert, Julius. Als ich restlos fertig mit der Geburt war hat Maman Viviane in die Wiege gelegt und diese mit dem Stern berührt und den Spruch gesagt", wisperte Jeanne. Wieder klang Barbaras langgezogener Schmerzensschrei. Dann hörte er Hera Matine frohlocken: "Jetzt geht Wasser ab, Barbara. Bald hast du deinen Sohn!"

"Dann ist sie zumindest noch in der Wiege gut beschützt", flüsterte Julius. Jeanne nickte und wünschte ihm einen angenehmen Ausflug.

"Wir übernachten da. Ich muß noch meine Tasche packen", erwiderte Julius.

"Zieh dich nicht zu aufreizend an, sonst zerpflücken dich Millies Schwester und deren Cousinen!" Frotzelte ihn Jeanne.

"Neh, ich ziehe den ältesten und längsten Umhang an."

"Dann jagt dich ihre Oma Ursuline, bis sie dich hat", Hielt Jeanne dem entgegen. Julius lachte und verabschiedete sich laut genug, daß Barbara es auch hören konnte, der er bei dieser Gelegenheit noch viel Erfolg wünschte. Dann zog er den Kopf ein.

Der Teekessel pfiff fröhlich vor sich hin. Julius schaltete den Herd ganz aus und ließ den Kessel darauf stehen, um heiß genug zu bleiben. Er eilte in sein Zimmer und packte ein paar Umhänge und zwei Garnituren Unterwäsche in die Reisetasche. Das Schachspiel ließ er auch darin. Er überlegte sich, ob er den Ganymed 10 mitnehmen sollte. Doch da sie dort nur einen Tag bleiben wollten, hielt er die kleine aber aufnahmefähige Reisetasche für ausreichend. Er fragte seine Mutter, die gerade mit ihren Angelegenheiten fertig geworden war, ob sie ihre Sachen auch bei ihm in die Tasche packen wollte. Sie schüttelte den Kopf.

"Ich habe meine Sachen in der kleinen Tasche untergebracht, die ich für Zwei-Tages-Reisen benutze. Julius. Jedem das seine, Julius!"

"Kein Problem, Mum", erwiderte Julius.

"Jeanne hat ihre Tochter bekommen. War Barbara van Heldern nicht auch bald fällig?"

"Die ist gerade dabei, ihr Kind heute noch auszuliefern, Mum. Ich habe gerade rechtzeitig zum Blasensprung meinen Kopf in Jeannes Kamin gehabt."

"Apropos, den mache ich besser ganz zu, solange wir weg sind."

"Solange es noch keinen Flohnetz-Anrufbeantworter gibt", meinte Julius dazu.

"Könnte Florymont Dusoleil mal erfinden", erwiderte seine Mutter darauf. Beide grinsten.

Trotz des späten Aufstehens fanden die Andrews' noch die Zeit, gemütlich zwei Tassen Tee zu trinken und je eine Scheibe Toast mit Marmelade zu essen. Als dann die Türglocke verkündete, daß dort unten jemand um Einlaß bat, würgte Julius das muntere Geplauder der Morgenmannschaft von "Bonjour Paris 90,8 FM" ab.

"Seid ihr fertig, oder sollen wir noch raufkommen?" Fragte Hippolyte Latierre.

"Wir sind soweit", sagte Martha Andrews über die Sprechanlage. Julius öffnete schon die Wohnungstür und trug die beiden Reisetaschen hinunter. Catherine trat aus der Wohnung und trug eine leicht vergrößerte Handtasche und ihre Tochter Claudine in einem Tragetuch. Babette trippelte hinter ihr aus der Wohnung.

"So, wir können dann auch", sagte sie. Joe machte den Abschluß, jedoch ohne etwas in der Hand zu tragen.

"Huch, keine Reisetasche?" Fragte Martha Catherine.

"Ich habe alles eingepackt", sagte Catherine. "Claudine hat eine frische Reisewindel anbekommen, damit sie die zwei Tage keine Probleme kriegt, und ihr Essen habe ich sicher und warm verstaut. Die Kleidung habe ich bequem in der neuen Practicus-Handtasche untergebracht. Meine Tante fand, ich hätte mir sowas längst schon zulegen sollen und mir eine zur Geburt von Claudine geschenkt."

"Das erklärt alles", meinte Julius seiner Mutter zugewandt. Die rauminhaltsvergrößerten Taschen von der Firma Prazap und ihren Lizenznehmern konnten hundertmal mehr aufnehmen als ihnen von außen anzusehen war.

"Ich habe auch das Zelt eingepackt, daß ich Babette und mir damals zur Quidditch-Weltmeisterschaft besorgt habe", sagte Catherine. Julius durfte sich nicht anmerken lassen, daß er sich erinnerte. Denn daß er schon vor seiner ersten Reise nach Millemerveilles gewußt hatte, daß Catherine eine Hexe war hatte er seiner Mutter gegenüber bis heute verschwiegen. Dazu gehörte auch, daß er mit ihr zusammen in der Rue de Camouflage eingekauft und dabei seinen ersten Festumhang und ihr Zwei-Personen-Zelt besorgt hatte.

"Zelt? Wer will denn hier zelten?" Fragte Hippolyte, die an der Haustür stand.

"Ich meinte nur, wenn auf dem Hof deiner Schwester nicht genug Übernachtungsbetten zu finden sind. Immerhin will sie ja in ihren Geburtstag reinfeiern, wenn ich das richtig verstanden habe."

"Babs hatte zu Ostern zwanzig Kinder bei sich wohnen, Catherine. Das Haupthaus und das Gästehaus sind groß genug", erwiderte Hippolyte.

Im Bus warteten schon ein Ehepaar und drei erwachsene Töchter. Julius erkannte die älteste der Hexen, es war Artemis Orchaud. Ihr Mann Hubert war ein drahtiger Zauberer mit dunkelbraunem Haar und jadegrünen, hellwach umherblickenden Augen und einem dunkelbraunen Schnurrbart. Die Töchter erkannte Julius jetzt auch, obwohl er sie damals im silberweißen Mondlichtersatz von Artemis' Café nicht gleich hätte zuordnen können. Es waren dort arbeitende Kellnerinnen, Lyre, Chloe und Selene, die den Latierre'schen rotblonden Haarton besaßen, allerdings keine rehbraunen Augen, sondern jadegrüne. Lyre, die älteste der drei, wurde von einem jungen Zauberer in lindgrünem Umhang begleitet, dessen schwarzes Haar in seidenweichen Wellen bis über die Schultern herabwallte. Julius stutzte, weil er zunächst an Camille Dusoleil dachte. Doch der ebenso schwarze Backenbart und das Nichtvorhandensein weiblicher Körperformen ließen Julius schnell davon abkommen. Außerdem hatte der Zauberer eine rosige Hautfarbe und wasserblaue Augen. Er wurde ihm als Lyres Verlobter Damian Vendredi vorgestellt. Julius wunderte sich nicht, daß alle zusammen in den Bus passten. Er und die größeren Töchter Hippolyte Latierres setzten sich zu Artemis Orchaud und ihren Mann auf die erste Bank hinter dem Fahrersitz, in dem der winzige Albericus Latierre fast verschwand. Seine Frau und Catherine Brickston saßen ebenfalls in der vorderen Reihe, zwischen sich ein gut befestigter Zwillingskorb für Säuglinge.

"Also, nichts gegen deine Schwester, Hippolyte", sagte Joe, als sie mit dem VW-Bus durch Paris fuhren, "aber mir ist ein richtiges Auto doch wesentlich geheuerer als diese geflügelten Riesenkühe."

"Nun, es wird sich wohl nicht vermeiden lassen, daß du mindestens zehn Stück auf einmal zu sehen kriegen könntest, Joe", erwiderte Hippolyte.

"Wollte Pattie nicht noch haben, daß wir ihren Schulfreund abholen?" Fragte Millie ihren Vater.

"Marc kann nicht. Seine Eltern sind mit ihm ohne daß er das vorher wußte auf Reisen gegangen. Zumindest hat das mit dem Telofonn nicht geklappt."

"Woher wißt ihr das dann, daß sie verreist sind?" Fragte Julius neugierig.

"Marc hat an die Adresse, wo Muggelpost in die Zaubererwelt geschickt werden kann eine Nachricht geschickt", sagte Monsieur Latierre.

"Mußten Sie heute zumachen, um zum Latierre-Hof zu fahren?" Fragte Julius Artemis Orchaud, wobei er sich an Millies Schultern vorbeibeugte.

"Habe ich für drei Tage. Die meisten Stammkunden kommen heute eh zum Latierre-Hof hin, auch die Rochers", antwortete Artemis. "Wird mir mal gefallen, von anderen bedient zu werden. Wenngleich Babs wohl noch nicht ganz von den beiden Rackern erholt ist. Die letzten zwei Wochen müssen für sie ja die Hölle auf Erden gewesen sein."

"Wenn du schon mit der Cousine meiner Mutter plaudern möchtest, wo ich dabei bin sollte ich mich so weit wie möglich zurücklehnen, daß du dich nicht so verbiegen mußt", meinte Millie und drückte Julius sacht zur Seite, um sich dann genüßlich zurückzulehnen und sich auszustrecken, wobei ihre Füße problemlos unter der vorderen Sitzbank verschwanden, so daß sie jetzt mehr lag als saß.

"Neh, Schwesterchen, so rekelst du dich nicht und läßt den über dich wegplaudern", zischte Martine, langte an Julius vorbei und zog Millie wieder in aufrechte Haltung. "Ihr könnt ruhig den Platz tauschen", zischte sie noch. "Wie sieht denn das für die Brickstons aus."

"Du bist eine widerliche Nörgeltante, große Schwester", maulte Mildrid und stand auf, damit Julius auf ihren Platz rutschen konnte. Als ihr Freund schon neben Artemis Orchaud saß und sie vor ihm stand und ihm die Seite zuwandte hüpfte der Bus unvermittelt nach vorne. Millie fiel nach hinten und landete punktgenau auf Julius' Schoß.

"Hier ist es schön warm und bequem, hier bleibe ich", schnurrte sie, nachdem sie ihren Schrecken überwunden hatte. Julius setzte schon an, sie zu umarmen, als Martine ihre zweitjüngste Schwester gekonnt mit dem Arm umfing und von Julius Beinen herunterpflückte und zwischen ihn und sich hinbugsierte.

"Oh, passiert dir das häufig, daß dir ein rassiges Hexenmädchen auf den Schoß fällt?" Lachte Madame Orchaud.

"Nicht so häufig", erwiderte Julius lässig. Martine schien Millie leise zu maßregeln, was diese sich offenbar nicht gefallen ließ. Ihn wunderte es nur, daß die beiden Schwestern dabei im Flüsterton blieben.

"Es war natürlich ein Tagesthema, daß du und Mildrid zueinandergefunden habt", sprach Artemis leise in Julius linkes Ohr. "Hipp wollte es zwar nicht offen rumgehen lassen, aber mir hat sie das mit der Mondfestung erzählt, weil ich sie und euch ja darauf angespitzt habe."

"Dann wissen Sie ja alles wesentliche", erwiderte Julius halblaut, während Millie und martine sich unruhig bewegten, als schubsten sie einander oder zerrten aneinander.

"Ja, so heißt das wohl", grinste Madame Orchaud. Der Bus war laut genug, daß es wohl vorne keiner gehört hatte und hinten, wo Joe Brickston rechts von der zweiundzwanzigjährigen Selene Orchaud saß wohl auch nicht.

"Ich hörte auch, daß du meine Latierre-Kuh ausprobiert hast. Noch ziemlich verspielt die junge Temmie."

"Gibt das nicht Probleme, wenn die Kuh Ihren Kosenamen hat?" Fragte Julius nun unverfänglich laut sprechend.

"Solange mein Mann weiß, wen er rufen muß kein Problem. Ich wollte die heute mit vier-Personen-Aufsatz fliegen. Noch mal Lust auf ihre Wildheit?"

"Hmm, das müßte ich dann wohl eher von Madame Barbara Latierre wissen, ob die das so gut findet. Beim letzten Übungsflug habe ich nicht so toll ausgesehen", erwiderte Julius.

"Da habe ich aber was anderes gehört, Julius. Du hast die vierbeinige Artemis sehr gut unter Kontrolle bekommen und hast sie dann ohne Holpern auf den Boden gebracht. Das ist mir bei der noch nicht gelungen, obwohl die schon vier Jahre Transporttraining hat."

"Na ja, Anfängerglück, Madame. Sowas passiert mir immer dann, wenn ich denke, alles geht daneben", sagte Julius.

"Ist nichts verkehrtes, wenn ein Anfänger viel Glück hat, anstatt bei einem Versuch umzukommen", erwiderte Temmie Orchaud. Julius fühlte, wie sich millie an ihn kuschelte und legte seinen rechten Arm um ihre Schulter. Doch Martines linke Hand drückte ihn einfach nach hinten und zur Seite weg.

"Hier nicht!" Mentiloquierte Martine an Julius und zog ihre Schwester etwas von ihm weg.

"Könnte es sein, daß Martine Eifersüchtig ist?" Fragte Madame Orchaud amüsiert.

"Auf mich?" Fragte Julius leise zurück. Madame Orchaud grinste. dann stand sie auf und deutete auf ihren Platz. Julius rückte weiter durch, so daß Artemis Orchaud rechts von ihm zum sitzen kam. Jetzt gab Millie Ruhe, und Martine war zufrieden.

Die ungefähr eine Stunde dauernde Fahrt lang unterhielt sich Julius mit den Orchauds über die Latierre-Kühe und über Quidditch, über das Mondscheincafé und über Beauxbatons. Auch das für Julius betrübliche Thema, was nach Dumbledores Tod nun in der britischen Zaubererwelt passieren mochte wurde nicht ausgespart. Julius konnte dazu nur sagen, daß er sich Sorgen um seine früheren Kameraden in Hogwarts machte und vor allem angst wegen der Muggelstämmigen hatte.

"Ich hörte von Callie, daß deine frühere Schulkameradin Gloria trotzdem wieder nach Hogwarts zurückgehen möchte. War ihr das zu trocken und streng in Beaux?"

"Öhm, interessant, ich kann mich nicht entsinnen, wo Callie das herhat", erwiderte Julius und blickte an Madame Orchaud vorbei zu Millie. Doch Artemis Orchaud schüttelte den Kopf.

"Sie hat's von einer aus dem weißen Saal, mit der sie in der Handarbeitsgruppe ist. Die hat das so gesagt, daß die Mademoiselle Porter nicht sonderlich begeistert von der strickten Freizeitplanung in Beauxbatons war. Lernen könnte sie da sehr viel, aber in den Freistunden noch irgendwo eingeplant zu sein war nicht so ihr Ding, hörte ich. Stimmt das?"

"Gloria vermißt ihre Klassenkameraden in Hogwarts und möchte da wieder hin, wegen der vertrauten Umgebung", erwiderte Julius. Er wollte nicht sagen, daß er Gloria gefragt hatte, ob sie nicht doch in Beauxbatons bleiben wolle, wenn sich die Lage in England noch schlimmer entwickelte als sie jetzt schon war. Madame Orchaud fühlte das wohl und sah dieses Thema als beendet an.

"So, noch einen Hüpfer, dann sind wir bei Babs auf dem Hof", flötete Albericus Latierre und betätigte einen gut verborgenen Mechanismus, um den Transitionsturbo des VW-Busses auszulösen. Julius fragte sich mal wieder wieso dieses bereits gut verbeulte Vehikel mit diversen Zaubern ausgestattet werden durfte, wo es in England als behextes Muggelartefakt sofort eingezogen worden wäre.

"Tauschen wir wieder die Plätze, bevor jemand meint, ich sei meinem Gatten untreu geworden", sagte Artemis Orchaud. In fünf Sekunden saß er wieder neben Martine, weil Millie die Gunst der Stunde nutzte und ebenfalls aufstand, so daß Julius mit sattem Schwung zu ihr durchgerückt war. Dann ging es um eine Kurve, und da lag er vor ihnen, der weitläufige, mehrere hundert Hektar umfassende Latierre-Hof. Eine sieben Meter hohe Hecke bildete die äußere Begrenzung. Durch einen schmalen Durchlass, den die Zweige der angrenzenden Bepflanzung durch wie erschreckt wirkendes zurückschnellen verbreiterten, schlüpfte der veilchenblaue VW-Bus Monsieur Latierres und glitt mit abgestelltem Motor noch einhundert Meter weit über einen hellgrau plattierten Weg, bis er vor einem niedrigen, haselnußbraunen Holzschuppen stehenblieb.

"Lass die Lärmtröte in Ruhe!" Zischte Hippolyte Latierre, als ihr Mann mit seinen winzigen Fingern nach einem roten Knopf tastete. Da apparierte rechts vom Bus eine noch gut untersetzte Frau mit rotblonden Haaren in derber, hellblauer Kleidung.Das war Barbara Latierre, die Herrin über diesen Hof.

"Schön, daß ihr kommen konntet!" Begrüßte sie die Fahrgäste. "Mein Mann holt gerade noch wen aus Paris ab. Sie wollten jetzt erst ankommen", sagte Barbara Latierre.

Wie ferngesteuert öffnete sich die Schiebetür des Busses, und die Fahrgäste kletterten hinaus.

"Warum hast du eigentlich deinen Besen nicht mitgenommen?" Fragte Millie Julius. Dieser sagte:

"Wir bleiben ja nur heute und morgen hier, Millie. Da wollte ich den Besen nicht mitnehmen."

"auf meinem ist noch genug Platz für einen netten Jungzauberer", sagte Millie und deutete auf die wohl noch einige Hundert Meter entfernten Wohn- und Stallgebäude.

Von Barbara Latierre geleitet erreichten die Gäste nach vier Minuten Fußmarsch das Hauptgebäude. Julius trug seine Tasche und die seiner Mutter. Andere hatten sogar Besen an ihren Taschen befestigt. Am Hauptgebäude wurden sie von Calypso und Penthisilea Latierre, Barbaras ersten Zwillingen, begrüßt.

"Wollt ihr euer Zeug erst auf die Zimmer bringen und dann zum Frühstücken kommen?" Bemerkte Millies Cousine Callie.

"Wenn es jetzt noch Frühstück gibt, wann gibt's dann Mittagessen?" Fragte Monsieur Orchaud.

"Das gibts dann um zwei, bevor die große Willkommensfeier losgeht. Vorher wollen die Amerikaner ihren Denksprecher an unseren Kühen austesten. Dazu müssen die aber erst wen finden, der die Dinger auf Französisch einstimmt", sagte Pennie Latierre. Julius horchte auf: "Amerikaner", "Denksprecher", das waren Begriffe, die bei ihm etwas laut zum Klingeln brachten.

"Wir wollen unsere Sachen erst unterstellen, Callie und Pennie", beantwortete Albericus Latierre die Frage seiner Nichten. Die beiden fast dreizehnjährigen Zwillingsschwestern teilten mit ihrer Mutter drei Gruppen ein, wobei Millies Familie zusammen mit den Andrews' und Brickstons eine Gruppe hinter Barbara Latierre bildete. Julius flüsterte seiner Mutter zu, daß mit den amerikanischen Besuchern die Dexter-Geschwister gemeint sein könnten. Sie nickte. Denn auch sie wußte, was mit einem Denksprecher gemeint sein mochte. Sie hatten sich ja in den Osterferien schon drüber unterhalten, ob man ein solches magisches Gerät nicht auch für Latierre-Kühe bauen könnte. Offenbar hatten die hier wohnenden Latierres das auch überlegt und in die Tat umgesetzt.

"Oh, in einer Mansarde habe ich aber lange nicht mehr gewohnt", meinte Joe Brickston, als sie ganz bis unter das Dach des insgesamt vierstöckigen Haupthauses geklettert waren. Wände und Boden bestanden aus hellem Holz. Auf dem Boden lagen weiße Wollteppiche, möglicherweise aus der Schur von Latierre-Kühen. An den Wänden reihten sich Landschaftsbilder mit sich bewegenden Vögeln und gewöhnlichen Tieren. Einmal sah Julius eine hochgewachsene Frau mit rotblondem Schopf, die Ähnlichkeit mit Ursuline Latierre hatte, nur daß sie nicht füllig sondern kräftig gebaut war und hellbraune Lederkleidung trug. Julius vermutete, daß es Barbara Latierres Großmutter Mütterlicherseits sein mochte. Die gemalte Hexe beobachtete die ankommenden Gäste, die nun auf drei Türen verteilt wurden. Julius folgte seiner Mutter in den angeblich kleinsten Raum. Doch als sie in den von zwei Dachschrägen überspannten ländlichen Raum traten meinten sie, einen großen Wohnraum zu betreten. ein doppeltes Himmelbett mit mitternachtsblauem Baldachin wetteiferte mit einem hellbeigen Bauernschrank mit Baum- und Blumeneinlegearbeiten um den Rang des größten Möbelstücks in diesem Raum. Dann stand da noch ein mit weißer Leinendecke überzogener runder Tisch, der auf einem schwarzen Eichenholzfuß ruhte, der sich nach unten auf ein Drittel des Tischdurchmessers verbreiterte. Auf dem Tisch stand eine große Bronzevase mit Blütenmustergravuren und präsentierte einen frischen Strauß Sommerblumen. Die fünf hochlehnigen Holzstühle waren mit dicken, kirschroten Polstern versehen, die wie eingearbeitete Daunenkissen wirkten.

"Fünf Stühle?" Fragte Martha, als sie den vierarmigen Deckenleuchter und die beiden auf kleinen, der Schrankfarbe angepaßten Nachtschränkchen stehenden Öllampen betrachtet und die zwei halb geöffneten Dachfenster gewürdigt hatte.

"Zu viele?" Fragte Barbara Latierre unbekümmert. Martha Andrews erwiderte darauf:

"Nun, ich denke, das ist nur ein Schlafzimmer."

"So ist es. Normalerweise stellen wir für Familien mit Kindern noch ein dreistöckiges Etagenbett hier rein", sagte Barbara Latierre und deutete auf eine Niedrige Truhe, die in der Ecke der beiden nach oben hin abgeschräckten Wände stand.

"Öhm, da paßt doch kein Dreistockbett hin", meinte Julius. Madame Latierre grinste breit und deutete auf den Schrank und dann auf die Truhe. Dann zog sie ihren Zauberstab hervor und machte eine schnelle Abfolge von drei Einzelbewegungen und sprach: "Totus Mobiliarius preparo!" Daraufhin Schrumpften der Schrank und die Truhe zusammen, flogen aneinander vorbei, tauschten innerhalb einer Sekunde ihre Plätze. Dann baute sich der Schrank paßgenau mit den Deckenschrägen verlaufend zu seiner majestätischen Größe auf, während die Truhe sich in nur zwei Sekunden in ein stabiles, dreistöckiges Etagenbett mit eingebauter Messingleiter am Fußende verwandelte.

"Ich sollte es doch langsam wissen", bemerkte Julius dazu. Barbara nickte ihm sehr entschieden zu. Dann vollführte sie erneut drei Zauberstabgesten hintereinander und sagte: "Mobiliarium necessarium positum!" Daraufhin schrumpfte das Doppelbett zusammen, die beiden Nachtschränkchen wuchsen zu einem zusammen und nahmen die anderthalbfache Ausgangsgröße an. Schrank und Dreierbett blieben aber wo und wie sie waren.

"Ups, das hätte ich bedenken müssen", meinte Barbara Latierre mit leicht geröteten Ohren, weil Julius grinste und seine Mutter verdutzt dreinschaute. "Es können maximal bis zu fünf Leute in diesem Zimmer wohnen. Aber da ich erst den Alle-Möbel-Zauber und dann den Nur-was-Gebraucht-Wird-Zauber aufgerufen habe, wechselwirkten die in dem Raum eingearbeiteten Zauber mit uns dreien und bauten das Doppelbett ab", erklärte Barbara, warum das gerade eben passiert war. Martha nickte verstehend und verließ ohne Anweisung den Raum.

"Okay, mach das noch mal, Barbara!" Munterte Julius die Gastgeberin auf.

"Das amüsiert dich natürlich", erwiderte Barbara, aber nicht verärgert, sondern nun selbst erheitert. "Mobiliarium necessarium positum!" Beschwor sie dann mit den drei Zauberstabgesten von eben. Darauf wurde aus dem Dreierbett wieder eine Truhe, die mit dem Bauernschrank zusammenschrumpfte. Nach dem die beiden Möbelstücke die Plätze getauscht hatten flogen das klitzekleine Himmelbett und die Nachtschränkchen aus einem unteren Geheimfach des Schrankes heraus und landeten so, daß sie bei der raschen Rückvergrößerung wieder so standen wie beim Betreten des Zimmers.

"Kannst wieder reinkommen, Mum!" Rief Julius nach draußen. Seine Mutter kehrte nun wieder zurück.

"Diese Möbelumbauzauberei geht natürlich nur bei Tag und wenn in den Nachtschränken und den Betten nichts aufbewahrt wird."

"Darf ich wissen, von wem ihr euch das Haus habt einrichten lassen?" Fragte Julius nun sehr neugierig.

"Das hat mein Großvater mütterlicherseits gemacht, als meine Oma, von der ich den Vornamen habe, das Château Tournesol verlassen hat und sich mit der Züchtung der Latierre-Kühe befaßte. Opa Sergio war ein begnadeter Zauberschmied und Baumagier." Den letzten Satz sprach sie leicht betrübt aus. Martha und Julius sahen sich gegenseitig an, ob einer von ihnen die Frage stellen sollte, seit wann Sergio Latierre tot sein mochte. Doch Barbara sagte es von sich aus. "Sergio gehörte zu den letzten Opfern von Gellert Grindelwald, als dieser noch in Europa sein Unwesen trieb. Meine Mutter und meine Tanten Amélie, Cynthia und Diane mußten meiner Großmutter sehr lange beistehen, um sie nach dem Schlag wieder aufzurichten. Meine Onkel Robert und Charles waren damals gerade erst fünf und drei Jahre alt. "

"Oh, dann sollten wir das Thema wohl nicht erwähnen, wenn deine Mutter hier ist", vermutete Martha.

"Maman ist da am leichtesten mit fertig geworden. Die einzigen, die das bis heute nicht verkraftet haben sind meine Onkel. Deshalb wollen die mit unserem Klüngel auch nichts mehr zu tun haben und sind nach Übersee ausgewandert. Aus Respekt vor ihrer Entscheidung darf ich euch nur nicht sagen, wohin. Jedenfalls haben sie seit ihrem Auszug aus Frankreich den Latierre-Hof nicht mehr betreten. Zu viele Erinnerungen, und mit Maman haben sie sich auch zu sehr verkracht."

"Wir hätten vielleicht nicht fragen sollen", seufzte Martha und sah Julius leicht vorwurfsvoll an, der jedoch unschuldsvoll zurückblickte. Barbara Latierre schüttelte den Kopf und sagte:

"Nein, es ist schon in Ordnung, wenn dein Sohn sich dafür interessiert, wer die besonderen Zauber in diesem Haus gewirkt und verknüpft hat. Immerhin wirken die ja schon seit sechzig Jahren und werden hoffentlich noch weitere sechzig Jahre wirken." Martha Andrews nickte ihr aufmunternd zu. "So, ihr seid nicht nur zum Rumstehen hier. Tut eure Sachen in den Schrank und die Nachtschränkchen! In zehn minuten gibt's Frühstück. Hippolyte zeigt euch, wo unser Esszimmer ist. Julius, du warst da in den Osterferien ja schon."

"Geht klar, barbara", erwiderte Martha Andrews.

"Hast du von diesem Gellert Grindelwald gehört, Julius?" Fragte Martha, nachdem Barbara das Dachzimmer verlassen hatte.

"Sogesehen war das wohl der Vorgänger des Irren, der sich Lord Voldemort nennt, Mum. Das war ein machtgieriger Schwarzmagier, der Anfang des Jahrhunderts halb Europa in Angst und Schrecken versetzt hat. So viel weiß ich über ihn auch nicht. Nur daß Professor Dumbledore sich mit ihm 1945 ein heftiges Duell geliefert hat und ihn dabei besiegt hat. Da ich nicht glaube, daß Dumbledore ihn gezielt umgebracht hat könnte der in Askaban oder einem anderen Zauberergefängnis gelandet sein. Aber vielleicht hat Catherine die Komplettinformation über diesen Grindelwald parat."

"Hmm, ist jetzt wohl auch nicht mehr so wichtig. Nur zu wissen, daß wir diesen Finsterling dann besser nicht erwähnen sollen, wenn Ursulines Schwestern und Nichten und Neffen hier sind ist wohl sehr wichtig."

"Ich kenne dieses blöde Gefühl, Mum. In unserem Geburtsland laufen so viele rum, die Angehörige an diesen sogenannten dunklen Lord verloren haben und jetzt wieder Angst haben, welche zu verlieren."

"Ja, ich weiß. Catherine hat ja auch ihren Vater verloren", erinnerte sich Julius' Mutter.

"Das stimmt leider", bestätigte ihr Sohn. Dann packten sie rasch die beiden Reisetaschen aus. Martha holte einen goldenen Stift aus einem Seitenfach der Reisetasche und schraubte die Spitze ab. Dann hielt sie die darunterliegende Öffnung an den Docht der linken Öllampe. Julius sah, wie ein weißes Flämmchen aus der Öffnung züngelte und den Docht entzündete. Martha blickte auf die Lampe, die nun gleichmäßig leuchtete. Dann drehte sie den Stift um. Julius konnte eine tropfenförmige Ausbuchtung am Ende erkennen. Als Martha damit die Lampe berührte, erlosch ihr Licht.

"Florymont hat befunden, daß ich in der Zaubererwelt nicht mit Streichhölzern oder Feuerzeugen "Muggelmäßig" herumwerkeln soll", sagte Julius' Mutter und schraubte die Spitze wieder auf den goldenen Stift. "Deshalb hat er mir einen praktischen Zünd- und Löschgegenstand gemacht, wenn ich nur mit Kerzen und Öllampen zu tun kriege und kein Zündwort benutzen kann."

"Solange ich nicht zaubern darf wäre so'n Teil für mich auch nicht unpraktisch", sagte Julius. "Beim Kontaktfeuern bräuchte ich dann nicht so umständlich mit Zeitungspapier und Holzscheiten rumzukokeln."

"Zu Hause haben wir ja doch anständiges elektrisches Licht", stellte Martha Andrews gelassen fest. "Außerdem kann ich mit dem nützlichen Stift hier nur Kerzen oder Lampendochte anzünden oder ausmachen. Für größere Feuer ist das hier nicht geeignet."

"Achso. Aber wie verträgt sich das dann mit den Geheimhaltungsregeln?" Fragte Julius.

"Das hat Florymont die meiste Arbeit gemacht, das Ding hier nur in der Zaubererwelt zu benutzen. Er hat den Stift so bezaubert, daß Stromleitungen oder Elektrogeräte in weniger als hundert Meter Umkreis die beiden Zauber blockieren, damit kein sogenannter Muggel die Magie darin entdecken kann. Deshalb geht der auch nur hier oder anderswo wo keine künstliche Elektrizität in der Nähe ist."

"Dann müßte das ding bei einem Stromausfall doch wieder gehen", meinte Julius.

"Interessant, das könnte sein. Aber wie gesagt, dann dürften im Umkreis von hundert Metern keine funktionierenden Elektrogeräte sein, und fest angeschlossene Telefone sind ja immer noch Elektrogeräte, ebenso wie Armbanduhren oder batteriebetriebene Radios oder Taschenlampen, sowie vorbeifahrende Autos, die über Motor und Lichtmaschine ihre Batterien nachladen."

"Tja, kannst du mal sehen, wo wir heutzutage überall Strom für verwenden", meinte Julius, keinen Fehler mehr in dem goldenen Stift finden zu können.

"Stimmt schon, Julius. Aber jetzt wollen wir los, runter zum Frühstück. Ich habe jetzt doch wieder einen gewissen Hunger."

Vor der Zimmertür wartete Hippolyte zusammen mit ihren drei Töchtern.

"Wenn ihr Probleme beim Licht kriegt, könnt ihr Albericus, Martine oder mir Bescheid sagen", bot Hippolyte an.

"Nein, geht schon, Hippolyte", erwiderte Martha. "Ich bin auf sowas vorbereitet und habe was zum Anzünden mitgenommen."

"Sicher", erwiderte Hippolyte lächelnd, während Miriam, die in einer bequemen Babytragetasche über ihrer Schulter geborgen lag leise gluckste. "Catherine, Joe, Babette!" Rief sie dann noch.

"Kommen schon!" Rief Babette und verließ das Zimmer, daß sie sich mit ihren Eltern und ihrem Schwesterchen teilte.

Es ging nun hinter Hippolyte her hinunter zur großen Wohnstube, die Julius schon einmal besucht hatte. Zwei wuchtige Eichenschränke standen an zwei Wänden, und ein Ttrapezförmiger Tisch, dessen Breitseite ihnen beim Betreten des Raumes entgegenwies. Durch eine weitere Tür etwa zehn Meter weiter links kamen gerade die Orchauds mit Callie Latierre hereinspaziert. Martha Andrews und Joe Brickston blickten zu der leise tickenden Wanduhr hinauf, die kein übliches Zifferblatt besaß. Es sah wie eine goldene Sonnenscheibe aus, und an Stelle der Ziffern waren gemalte Figuren zu sehen, wie ein rotgoldener Hahn da, wo auf einer gewöhnlichen Zeigeruhr die Fünf zu finden war, eine nachgemalte Latierre-Kuh an Stelle der Sechs und dieser genau gegenüber da wo sonst die Zwölf war drei Kugelrunde Menschen, Mann, Frau und Kind, mit Messer, Schöpfkelle und Gabel versehen. Da wo sonst die Zehn zu finden war befand sich ein grunzendes Schwein und an der Elferposition war ein Topf über einem Feuer zu sehen.

"Interessant. Wie liest man denn diese Uhr: Hahn nach Schwein?" Fragte Joe etwas belustigt.

"Neh, Kuh Kochtopf oder zwei Minuten nach halb Ente", trieb Julius den Scherz weiter und deutete auf die gelbe Ente mit rotem Schnabel, die an der Sieben-Uhr-Position aufgemalt war.

"Genau, Julius", meinte Millie, während ihre Cousine laut lachte.

"So, dann warten wir noch auf die anderen", sagte Barbara Latierre. Dann kamen noch die Montferres, von denen die Mutter und die Zwillingstöchter flammendrote Haare besaßen. Raphaelle Montferre trug zwei in blaue Tragetaschen liegende Babys auf ihrem Rücken.

"Mußt du die gleich noch füttern, Raphaelle?" Fragte Barbara Latierre.

"In den nächsten zwei Stunden wohl nicht mehr, Babs. Wußte nur nicht wo ich sie lassen soll."

"Nebenan könnt ihr eure Kinder hinlegen. Ich habe Boreas und Notus schon dahingepackt. Catherine, du kannst Claudine auch dort ablegen. Ich habe mir von Maman sämtliche Wiegen hinstellen lassen, die sie im Lauf ihrer Familienerweiterung bekommen hat. Die habe ich alle mit Namensschildern versehen."

"Schon praktisch", sagte Catherine. "Aber Claudine könnte in den nächsten Minuten was wollen", sagte Catherine dazu.

"Ich lege Nestor und Norbert dann mal ab", sagte Raphaelle Montferre zu ihrem Mann und ihren Töchtern und verschwand durch die andere Tür. Offenbar wußte sie, welchen Raum Barbara gemeint hatte. Sabine und Sandra Montferre grüßten wortlos zu den Andrews' und Brickstons hinüber. Dann kamen noch vier Frauen herein, die eindeutig Schwestern waren. Eine davon war die füllige Ursuline Latierre. Sie strahlte unbändige Freude aus, als sie die bereits anwesenden Gäste sah. Die drei anderen Hexen hielten sich etwas zurück, als besuchten sie nicht einen Bauernhof, sondern ein Museum oder eine Kirche und dürften sich nicht zu ausgelassen benehmen. Artemis Orchaud sah die eine Hexe in jägergrünem Samt an und lächelte. Dann traten die zu den vier Hexen gehörenden Ehemänner ein, angezogen in luftige helle Umhänge.

"Sag mal, kuck ich nicht mehr richtig oder hat sich dieser Tisch da gerade vergrößert?" Fragte Joe Brickston Julius. Dieser nickte.

"Der Tisch paßt sich der Zahl der im Wohnzimmer stehenden Leute an, Joe."

"Langsam sollte ich es wissen", grummelte Joe. Da kam Ursuline Latierre immer noch freudestrahlend auf ihn zu und begrüßte ihn landesüblich. "Ist ja schön, daß ihr das einrichten konntet, alle zusammen herzukommen, Joseph. Ich hatte schon befürchtet, dein Vorgesetzter hätte dich wieder für irgendwas unaufschiebbares herangezogen", sagte sie ehrlich erfreut. Dann begrüßte Sie Catherine mit einer einfachen Umarmung, danach Martha Andrews. Dann langte sie bei Julius an, den sie regelrecht an sich drückte.

"Das freut mich, daß du herkommen konntest, Julius. Ich hatte schon befürchtet, du wärest von den unerfreulichen Sachen in deiner alten Heimat total betrübt."

"Das kann noch kommen, Ursuline", sagte Julius. "Aber im Moment geht's wohl noch."

"Ich hoffe, daß dieser Vorfall die letzten Entschlossenen jetzt wachgerüttelt hat und sie erkennen, daß sie sich nicht von diesem Verbrecher unterbuttern lassen dürfen", flüsterte Ursuline Latierre. Dann gab sie Julius aus der Umarmung frei und begrüßte ihre Enkelkinder.

Weitere Gäste trafen ein. Nur der Tisch wuchs an. Alles andere blieb wie es vorher schon war. Denn der Wohnraum war so groß, daß locker fünfzig Personen darin Platz finden mochten. Wie aus dem Nichts erschienen für jeden Neuankömmling Stühle am Tisch, so daß sich alle bequem hinsetzen konnten.

"Jean ist gleich da", sagte Barbara Latierre, als sie alle erwarteten Gäste in den Wohn- und Essraum geführt hatte. "Ich habe euch allen ja erzählt oder geschrieben, daß wir Besuch aus den Staaten kriegen. Wir wollen ausprobieren, ob das stimmt, was die Zauberkunstexperten Dexter behauptet haben. Ah, Jean ist gerade an der Hofgrenze eingetroffen."

"Dexter? Samantah und Ruben Dexter?< Wollte Damian Vendredi wissen und wirkte so erwartungsvoll wie ein Junge, der auf den Weihnachtsmorgen wartet.

"Eben die, Damian", bestätigte Barbara Latierre.

"Haben die nicht an den amerikanischen Besen mit herumgewerkelt?" Fragte Damian noch.

"Das wohl auch", erwiderte Barbara Latierre.

"Babs, du willst dieses überteuerte Ding kaufen, das angeblich intelligente Zaubertiere sprechen läßt", warf eine der drei Schwestern Ursulines ein.

"Ich will erst mal sehen, ob's überhaupt funktioniert, Tante Cynthia", entgegnete Barbara. "Nach meiner Auffassung brauche ich das selbst nicht, weil ich auch so mit meinen Prachtstücken klarkomme. Aber die Dexters haben ja behauptet, halbwegs intelligente Tierwesen und verhexte Menschen könnten mit diesem Cogison-Ding ihre Gedanken als gesprochene Worte hören lassen."

"Schon genial, wenn sowas geht", meinte Damian Vendredi, und seine Verlobte Lyre Orchaud nickte. "Dann könnten wir ja sowas anschaffen, um schon vor der Geburt mit unseren Kindern zu reden."

"'tschuldigung, Monsieur Vendredi", setzte Julius an. "Aber ich habe in den Osterferien einen Artikel über das Cogison gelesen. Das geht nur bei Wesen, die genug Erfahrungen mit Lautsprache haben. Ein Baby muß ja erst mal lernen, gesprochene Sachen zuzuordnen."

"Damian, Julius, soweit hängen wir ja altersmäßig doch nicht auseinander", sagte der schwarzhaarige Zauberer mit den wasserblauen Augen. "Vielleicht geht das irgendwann doch. Aber stimmt schon, was will so'n kleiner Wurm schon erzählen können."

"Jetzt geht's erst mal um unsere propperen Kühe", wandte Barbara ein. "Da werden wir ja sehen, ob die beiden nicht doch zu viel erhoffen."

"Könnte noch ein spannender Vormittag werden", dachte Julius bei sich.

Als dann Jean Latierre mit einer in limonengrün gekleideten Hexe und einem himmelblau gekleideten Zauberer eintrat wurden sie alle ganz still.

"Hallo, zusammen, ich möchte euch Monsieur Ruben Dexter und seine Schwester, Mademoiselle Samantha Dexter vorstellen", sagte Jean Latierre. "Die beiden Herrschaften sind aus dem Süden der amerikanischen Staaten herübergekommen, um sich unsere Latierre-Kühe anzusehen und zu prüfen, ob eine von ihnen gemachte Erfindung an ihnen benutzt werden kann oder nicht. Leider kann nur Mademoiselle unsere Sprache sprechen, und da sie beide heute abend schon wieder abreisen möchten und nur zehn Stunden bei uns zubringen möchten lohnt sich kein Wechselzungentrank."

"Bonndschur, lej tjuut", sagte Samantha Dexter, was richtig ausgesprochen wohl "Guten Tag zusammen" heißen sollte. Einige der jüngeren Gäste grinsten belustigt. Julius beherrschte sich. Barbara übernahm nun die Begrüßung der beiden und stellte sie kurz ihrer weitläufigen Verwandtschaft vor und dann noch den Gästen aus Paris. Mr. Dexter sah Julius wiedererkennend an und strahlte.

"Ach, der junge Mr. Andrews ist auch hier. Öhm, du hast aber noch kein neues Kind zu verkünden, oder?"

"Im Moment nicht. Beauxbatons möchte sowas nicht", sagte Julius cool. Dann begrüßte er auch Samantha genannt Sam Dexter.

"Hoh, diese Sprache ist mir doch ziemlich schnell und hat so komische Betonungen", seufzte sie. "Ich war so blöd und habe behauptet, ich könnte die gut genug. Wie sollen wir da unsere Paradeerfindung korrekt kalibrieren?"

"Sie wollen Cogisonversuche mit den Latierre-Kühen machen?" Preschte Julius vor.

"Stimmt, wir wurden von Madame Lätirr eingeladen, an ihren hochinteressanten Zaubertieren nachzuprüfen, ob sie wirklich genug lautsprachliches Denkvermögen entwickeln können, um ein auf ihre Größe zugeschnittenes Cogison ansprechen zu lassen, und das wortwörtlich. Ich hoffe nur, daß wir keinen Ärger mit den Damen und Herren hier kriegen, wenn unsere Erfindung nicht funktioniert, weil ihre Kühe vielleicht doch nicht genug worthafte Verknüpfungen erzeugen können, um das Cogison auszulösen."

"Vielleicht, wenn das kein Betriebsgeheimnis ist, können Sie mir ja erzählen, wie sie diese Geräte abstimmen können", sagte Julius.

"Nun, wie das zaubertechnisch geht ist ein Betriebsgeheimnis. Praktisch gesehen passiert nur so viel, daß wir zuerst die gewünschte Landessprache in das Cogison einbringen müssen. Dann soll das körperlich zugeschnittene Endprodukt mit dieser Kalibrierung versehen werden und dann auf die Denkprozesse des Zielgeschöpfes eingependelt werden. Dabei gilt vor allem, Verbindungsworte auszufiltern. Vielleicht haben Sie schon mal davon gehört, daß jedes worthafte Gedanken erzeugendes Gehirn neben den Vordergrundworten auch damit zusammenfallende Begriffe denkt, die wie Obertöne bei einem Musikinstrument oder anderem Klangkörper mitschwingen. Zum Beispiel wenn Sie "Baum" denken, schwingen Wörter wie "Wald", "Ast", "Wurzeln", "Stamm" und "blätter im Hintergrund mit, oder Sie verbinden mit "Baum" bestimmte Ereignisse, deren Schlüsselwörter mitschwingen", sagte Ruben Dexter. Julius nickte. Seine Mutter, die dem Gespräch interessiert lauschte nickte ebenfalls. Sie sagte dann:

"Also muß, damit nur die auszusprechenden Worte wirklich ausgesprochen werden diese Menge an Verknüpfungswörtern und Begriffen vom auszusprechenden Wort unterschieden werden, damit dieses über Ihre Erfindung in hörbare Wörter umgewandelt wird."

"Ja, so ist es. Wie genau das geht ist wie gesagt ein Betriebsgeheimnis. Das heißt, wer immer sich für die Sprachkalibrierung zur Verfügung stellt bekommt nicht mit, was wir genau machen. Ich hoffe nur, daß die Übertragung und Endabstimmung auf das Cogison für eine der Latierre-Kühe dann funktioniert. Zehn Stunden sind nicht lange, und Ihre Gastgeber bestehen darauf, daß sie dabei sind, wenn wir mit ihren Tieren arbeiten", sagte Sam Dexter.

"Wenn Sie die erst einmal gesehen haben wissen sie auch warum", wandte Julius ein, der locker zwischen Englisch und Französisch umschalten konnte.

Zunächst wurde Gefrühstückt, was eine ganze Stunde in Anspruch nahm. Dann schlug Callie vor, daß die Kinder und Jugendlichen draußen spielen gehen konnten. Hippolyte und Raphaelle erklärten sich einverstanden, die Aufsicht zu führen. Catherine versorgte Claudine im Nebenraum. Joe interessierte sich wie Martha für die Arbeit der Dexters, da er hier mitbekommen konnte, wie Zauberer Kommunikationsgeräte ohne Elektronik und Software benutzen wollten. Doch Jean Latierre interessierte sich für Joe Brickston, weil er sich mit ihm über das Leben unverhofft wieder Vater gewordener Männer im Vergleich zwischen Muggel- und Zaubererwelt unterhalten wollte. Da Joe im letzten Sommer gelernt hatte, daß es wesentlich einfacher war, locker und unverkrampft mit den Latierres umzugehen, willigte er ein, mit ihm, Michel Montferre und anderen jungen Vätern eine Männerrunde zu bilden. Julius fragte Barbara, ob er dabeisein durfte, wenn die Dexters mit einer der Kühe arbeiteten. Sie meinte:

"Kann mir vorstellen, daß dich das jetzt sehr neugierig gemacht hat", antwortete sie amüsiert grinsend. "Dann komm ruhig mit. Temmie, das interessiert dich und Hubert vielleicht auch."

"Du wolltest uns doch heute die junge Artemis vorführen, Babs. Das hattest du zumindest gesagt."

"Das machen wir auch, Temmie. Wenn Monsieur und Mademoiselle Dexter mit der Vorbereitung und der Feinabstimmung weit genug vorangeschritten sind, erproben wir ihre Erfindung an verschiedenen Kühen, darunter auch die, die so wie du heißt."

"Kann ich mir denn schon mal die Weiden ansehen, Babs?" Fragte Artemis Orchaud.

"Aber sicher doch", willigte Barbara Latierre ein.

"Will jemand Quidditch mitspielen?" fragte Sabine. Mildrid stimmte sofort zu. Julius erklärte, daß er zum einen keinen Besen mitgenommen habe und zum zweiten gerne mitbekommen würde, wie das praktisch aussah, wenn die Dexters ihr magisches Wundergerät ausprobierten.

"Du hättest deinen Besen mitnehmen sollen, Julius", knurrte Mildrid. "Dann hättest du uns diesen Doppelachser zeigen können."

"Der hat gegen euch doch nicht viel gebracht", wandte Julius ein. Alle die das torreiche Spiel der Roten gegen die Grünen gesehen oder dabei mitgespielt hatten lachten laut. Callie meinte dazu:

"Wenn Virginie dich nicht so blöd auf Warten hätte spielen lassen hättet ihr bestimmt ein paar Tore mehr gemacht."

"Oder auch nicht", widersprach Millie.

"Darf ich mir das mit dem Cogison auch ansehen?" Fragte Martha Andrews vorsichtig. "Ich arbeite mit Verständigungsprozeduren und würde gerne mitbekommen, ob es geht, daß Gedanken in Wörter umgewandelt werden."

"Wie gesagt, das Verfahren ist unser Betriebsgeheimnis, Mrs. Andrews", erwiderte Ruben Dexter. "Allerdings überlegen wir auch schon, europäische Lizenznehmer zu werben, um es vor der 20-Jahre-Frist schon auf dem Weltmarkt anbieten zu können. Aber Sie können es sich ruhig einmal ansehen und anhören, wie es an einem Menschen benutzt werden kann, der gegebenenfalls nicht mehr auf natürliche Weise sprechen kann."

"Wir sollten aber die Zahl der Anwesenden klein genug halten, um die Streuung so gering wie möglich zu halten", wandte Sam Dexter ein. Martha fragte welche Streuung gemeint sei. Julius vermutete, daß jeder Mensch, der sich nicht entsprechend absicherte, seine Gedankenenergie in den Raum streute und ein unabgestimmtes Gerät dadurch schwer einzustellen war.

"Natürlich", erwiderte Martha Andrews. So beschlossen die Dexters, Barbara Latierre, die Andrews und Martine Latierre bei dem Versuch zuschauen zu lassen, während Millie, die Montferre-Schwestern und ihre Cousinen Callie und Pennie, sowie ihre Tante Patricia Quidditch trainieren wollten. Catherine wollte sich mit den dann noch verbleibenden jungen Müttern unterhalten, wie der erste Monat mit den neuen Kindern verlaufen war.

"In Ordnung. Da wir weit genug fort von vielen denkenden Wesen sein wollen begeben wir uns zur nördlichen Begrenzungshecke. Sie liegt ungefähr einen Kilometer von hier fort", sagte Barbara Latierre.

"Das heißt laufen", meinte Martha Andrews.

"Ungefähr zehn Minuten", sagte Jean Latierre dazu.

"Oh, können Sie nicht apparieren?" Fragte Sam Dexter Martha Andrews verwundert.

"Habe ich nicht hinbekommen, das zu tun", erwiderte Martha Andrews schlagfertig.

"Oh, dann können wir sie vielleicht mitnehmen", bot Ruben Dexter an.

"Sie kennen sich hier aus?" Fragte Barbara den Erfinder. Dieser schüttelte den Kopf. "Dann laufen wir lieber", sagte sie entschieden.

"Die Dexters wissen nicht, daß deine Mutter eine Muggelfrau ist?" Mentiloquierte Barbara an Julius.

"Nein, wissen die nicht", schickte er eine unhörbare Antwort zurück.

"Gut, dann belassen wir sie im Glauben", erwiderte Barbara.

So liefen die Dexters, Mutter und Sohn Andrews, Barbara und ihre Nichte Martine Latierre an den für Menschen und Menschensachen gedachten Gebäuden vorbei, worunter auch ein Vorratslager und ein Öl- und Kerzenlager waren. Martine hielt sich in Julius' Nähe, der sich mit Mr. Dexter über die bisherigen Erfolge des Cogisons unterhielt.

"Nun, wir verwenden es wegen seiner schwierigen Herstellung bisher nur in den magischen Heilzentren, wo Patienten mit fluchbedingter Sprachunfähigkeit liegen. Wir haben aber auch schon zwei Kniesel mit dem Cogison ausstatten können und gewisse Rückmeldungen für die Arbeit mit magischen Tierwesen erhalten. Das Projekt mit Latierre-Kühen ist sozusagen ein echter Großversuch, weil wir dann eindeutig bestimmen können, für welche Größenklassen wir Cogisons bauen können, Mr. Andrews."

"Nun, wenn jemand dem Infanticorpore-Fluch unterworfen wird kann er oder sie ja erst einmal nicht artikuliert sprechen", erwähnte Julius etwas, was ihm seit dem Artikel in der Stimme des Westwinds nach Ostern immer durch den Kopf gegangen war.

"Das ist eine der Anwendungsrichtungen für unsere Erfindung", sagte Ruben Dexter. "Allerdings müssen wir auch aufpassen, daß unsere Erfindung nicht zu schädlichen Zwecken mißbraucht werden kann, beispielsweise um Gefangene dazu zu bringen, an wichtige Informationen zu denken. Wir hören ja nicht gerade viel gutes aus Ihrem Geburtsland."

"Jede Erfindung birgt die Gefahr mißbraucht zu werden in sich", wußte Martha Andrews. "Dann dürfte es eigentlich keine neuen Sachen mehr geben."

"Nun, aber wenn wir, die wir das Cogison entwickelt haben bestimmen können, wie es eingesetzt wird, werden meine Schwester und ich darauf achten, daß es nicht zu menschenverachtenden Zwecken eingesetzt wird", sagte Ruben Dexter. "Denn überlegen Sie bitte, daß auch in niedere Lebensformen verwandelte Menschen worthafte Mitteilungen machen können und so die Möglichkeit besteht, Mitmenschen in niederer Lebensform gefangenzuhalten und auszuhorchen, bis bestimmte Informationen verfügbar sind. Stellen Sie sich die grausame Folter vor, als eine Schnecke oder ein Regenwurm festgehalten zu werden, bis jemand aus Ihnen all die Dinge herausgeholt hat, die er oder sie wissen will."

"Aber das gibt's doch schon längst", sagte Julius. "Die Legilimentik."

"Eben, weil diese brutale Verfahrensweise schon lange bekannt ist gibt es dagegen ja auch schon längst eine Abwehr. Etwas ähnliches für das Cogison müssen wir noch entwickeln, um es als Verhörinstrument unbrauchbar zu machen. Im Moment schützt nur die uns bekannte und von uns sehr sorgfältig verborgene Herstellungsweise vor Mißbrauch, weil im Moment nur wir wissen, wie ein Cogison hergestellt und angepaßt werden kann und niemand uns gegen unseren Willen dazu bringen kann, dieses Geheimnis weiterzugeben, auch nicht dieser Massenmörder, dessen Namen besser nicht unbefangen genannt werden darf", sagte Sam Dexter.

"Nun, das verstehe ich sehr gut", erwiderte Martha Andrews. "Ich habe da ja auch gewisse Erfahrungen, wie schnell eine segensreiche Erfindung zu einem Fluch für die gesamte Menschheit werden kann."

"Ja, sehen Sie zum Beispiel die Muggel. Irgendwann vor einigen Jahrzehnten bekamen sie raus, wie man Atome von besonderen Stoffen spalten kann. Was haben sie daraus gemacht? Sprengwaffen, von denen eine reicht, um eine ganze Stadt zu zerstören", sagte Ruben. "Sie haben herausbekommen, Licht, daß sonst auf eine Fläche von mehreren Dutzend Metern auftrifft in einen sehr stark gebündelten Strahl zu komprimieren. Was machen die damit? Sie wollen den Strahl weil er da, wo er auftrifft große Hitze erzeugen kann als Lichtverstärkungsstrahlkanone benutzen."

"Ja, aber soweit mir bekannt ist ist dieses Lichtbündelungsverfahren doch auch für die Heiler in der Muggelwelt sehr nützlich und sie haben Maschinen gebaut, die mit sehr schwach eingestellten Strahlen gespeicherte Musik abrufen und abspielen können", sagte Julius darauf. "Also hat meine Mutter recht, daß es dann nichts neues mehr geben dürfte. Woher wissen Sie das eigentlich mit dem gebündelten Licht und den Atomwaffen?"

"Kongresse, die uns zeigen sollten, welche Innovationen im Vergleich zur Muggelwelt eingeführt werden", sagte Ruben Dexter. Dann blickte er nach oben, wo gerade eine geflügelte Kuh federleicht dahinglitt.

"Das ist Demeter, eine unserer erfahrensten Transportkühe", stellte Barbara die von unten aus gerade mausgroß wirkende Kuh vor. Julius übersetzte für Mr. Dexter, was Barbara sagte und dessen Antwort darauf. Dann fragte er sie:

""Wie machst du das, wenn die so weit weg sind?"

"Flugrhythmus und Kopfhaltung, Julius", sagte Barbara. "Ich habe gelernt, die erwachsenen Tiere an diesen Merkmalen auch aus großer Entfernung auseinanderzuhalten."

"Schon praktisch", befand Julius. Barbara verkündete dann noch:

"Demeter wird Ihnen dann zur Verfügung stehen, wenn Sie ihr Instrument auf unsere Landessprache eingestimmt haben. Falls sie darauf anspricht, beziehungsweise, Ihr Instrument auf Demeter, werden wir es an einigen anderen Vertretern unserer Herden erproben, um sicherzugehen, ob es grundsätzlich auf Latierre-Kühe anwendbar ist."

"Das ist uns sehr recht", stimmte Ruben Dexter zu.

"Da ist auch Artemis, eine Tochter von Demeter", stellte Barbara eine weitere Flügelkuh vor, die gerade wie ein Mäusebussard über ihnen Kreiste. "Wir sind froh, daß wir sie jetzt so weit haben, daß sie an ihre zukünftige Besitzerin herangeführt werden kann. Sie ist noch recht verspielt für ihr Alter von acht Jahren."

"Von wievielen möglichen?" Fragte Sam Dexter.

"Über sechzig sind normal", sagte Barbara.

"Oh, dann darf sie noch verspielt sein", grinste Sam Dexter mädchenhaft.

"Nun, ihre Mutter war drei Jahre früher gut eingestellt, wenn mal davon abgesehen wird, daß sie sehr jung ihr erstes Kalb geworfen hat." Wieder übersetzte Julius es und fügte hinzu, daß Demeter, auch Demie genannt, bereits mit fünf drei Viertel Jahren zum ersten Mal trächtig wurde.

"Das wäre ja, als wenn eine Zwölfjährige von einem erwachsenen Mann ein Baby bekäme", bemerkte Ms. Dexter dazu leicht verstört.

"Nun, Diese Tiere unterliegen trotz der hoffentlich bald hörbar zu machenden Intelligenz immer noch dem Naturgesetzt: "Wenn du Nachwuchs haben kannst, pflanze dich fort!" Das heißt, wenn sie geschlechtsreif sind und vermögen es, einen Partner für sich zu begeistern, pflanzen sie sich eben fort. Im Grunde sind wir froh, daß Demeter sich als ein so zuverlässiges und gutmütiges Weibchen erwiesen hat und denken, daß ihre Tochter Artemis diese Zuverlässigkeit geerbt hat", erwiderte Barbara mit Julius als Übersetzungshilfe.

"Trotzdem schon eine merkwürdige Vorstellung, ein Lebewesen als intelligent zu betrachten und es doch als Instinktgesteuert sehen zu müssen", wandte Ruben Dexter ein.

"Im Grunde sind wir Menschen dies auch noch", schaltete sich nun Martha Andrews ein. "Wir folgen unseren Trieben auch noch. Wenn wir Hunger haben, beschaffen wir uns Nahrung. Wie wir dies tun, befinden wir auf Grund unserer gesellschaftlichen Prägung und Intelligenz, ob wir dafür arbeiten oder stehlen, rauben oder morden, ob wir anderen dafür etwas geben, daß er uns mit Nahrungsmitteln versorgt oder selbst auf die Jagd nach essbaren Tieren gehen oder uns nur von Pflanzen ernähren. Genauso stark wie der Ernährungstrieb ist bei uns auch noch der Herdentrieb, der uns Hierarchien und Besitzstände austesten läßt, aber auch eine gewisse Unterwerfungsbereitschaft erhält, auch wenn wir rein intellektuell erkennen, daß bestimmte Vorgehensweisen unnötig oder lächerlich sind. Und damit wären wir dann auch schon bei unserem Fortpflanzungsverhalten. Wollen Sie das immer als intelligent bezeichnen?"

"Ganz bestimmt nicht", knurrte Sam Dexter. "Ich verstehe bis heute nicht, wie erwachsene Männer freiwillig zu rauflustigen oder albernen Jungen degenerieren, nur um einer Frau zu imponieren."

"Sammy, nicht so bösartig, nur weil du noch nicht raus hast, daß sowas auch Spaß machen kann", zischte Ruben seiner Schwester zu, die schlagartig errötete und um ihre Fassung rang. Um sie sich wieder beruhigen zu lassen sagte niemand etwas weiteres dazu. Julius konnte sich aber denken, daß die Dexters sich vielleicht gerade ein wildes Melo-Gefecht lieferten, weil Ruben seine Schwester gerade als vergrätzte Jungfer offenbart hatte. Odr konnten die beiden kein Melo? Das würde erklären, warum Ruben Dexter seiner Schwester das nicht zumentiloquiert hatte, um ihr diese Verlegenheit zu ersparen. Auch wenn Blutsverwandte grundsetzlich die am besten geeigneten Mentiloquismuspartner sein konnten hieß das ja nicht, daß sie das dann auch praktisch waren.

Vor ihnen tauchte nach einigen schweigsamen Minuten Fußmarsch ein dunkelgrüner Strich in der Landschaft auf. Der Hof, der sich durch ein weites Tal zog, das von sanft ansteigenden Bergen umgrenzt wurde, endete dort, wo dieser grüne Strich zu einer immer deutlicheren Abgrenzung wurde, die immer höher und undurchdringlicher wurde. Dann standen sie am Rande des Schattens, den eine mehrere hundert Meter lange, sieben Meter hohe Begrenzungshecke auf den grasbedeckten Boden warf. Hier sollte die Kalibrierung des magischen Instrumentes stattfinden, das worthafte Gedanken in hörbare Worte umwandelte.

"Nun wird meine Schwester mit einem von Ihnen beiden, Mrs. oder Mr. Andrews, die Sprachabstimmung vornehmen", sagte Ruben Dexter. "Wer möchte sich dafür zur Verfügung stellen?"

"Ich mach das", ging Julius sofort darauf ein, während seine Mutter wohl noch überlegte, ob sie als Muggelfrau überhaupt dieses Gerät zum Sprechen bringen konnte.

"Gut, dann kommen Sie mal mit mir ein paar Schritte. Ruben, wir machen das Alltags- oder Sonderprogramm?"

"Das Alltagsprogramm natürlich, Sam", legte Ms. Dexters Bruder fest. Sie nickte und führte Julius einige Meter weit. Martine fragte, ob sie nicht mithören konnte. Doch da ja zwei Ausgabeartefakte verwendet würden, konnte sie ruhig bei Mr. Dexter stehenbleiben.

"Wir benötigen für die Sprachabstimmung jemanden, der Englisch als Muttersprache oder als sehr gute Fremdsprache kann, damit er das zu produzierende Wort auf Englisch und dann in der entsprechenden Fremdsprache denken kann", sagte Sam Dexter, ehe sie eine Art Lederhalsband mit silbernen Verzierungen und einem rosafarbenen Anhängsel wie ein Handteller großer Blasebalg daran aus ihrer mitgebrachten Wandelraumtasche hervorholte. Julius war es etwas merkwürdig, dieses ihm bisher unvertraute Ding um den Hals zu binden. Er tat es jedoch, weil seine Neugier und Experimentierlaune ihm zusetzten, jetzt auch B zu sagen, wenn er schon dabeisein wollte, wie es kalibriert wurde. Dann holte sie noch einen Pergamentzettel und eine dünne Lesebrille aus der Tasche, prüfte die Brille und das Pergament und sagte:

"Sie können nicht lesen, was auf dem Pergament steht, weil wir es nach dem Beschreiben mit einem nur auf diese Brille abgestimmten Verbergezauber belegt haben. Das gibt uns die Möglichkeit, sie unbefangen mit den zu reproduzierenden Begriffen zu konfrontieren", erklärte die amerikanische Expertin für magische Gerätschaften. "Ich aktiviere das von Ihnen nun getragene Kalibrierungscogison, sobald mein Bruder bestätigt hat, daß er das Gegenstück bereithält."

"Kein Problem", sagte Julius und entspannte sich. Wenn sie ihn mit diesem so eng es ohne ihn einzuschnüren um seinem Hals liegenden Ding was antun wollte konnte er immer noch mentiloquieren. Er hielt den rechten Arm an den Hals. Das Pflegehelferarmband an seinem Handgelenk reagierte nicht. Also war in diesem Halsschmuck keine Magie erwacht oder die erwachte Magie war gutartig. Mit dieser beruhigenden Vorstellung sah er zu, wie Sam ihren Zauberstab hob und eine Fontäne grüner Funken in den Himmel feuerte. Dann wandte sie sich zu ihrem etwa dreißig Meter entfernt bei Martha Andrews, Barbara und Martine Latierre stehenden Bruder um. Dieser brauchte wohl noch etwas Zeit. Julius konnte sich vorstellen, daß er seiner Mutter erst einmal die Angst nehmen mußte, daß ihm, Julius, etwas zu Leide getan würde. Dann, so eine Minute nach Sams grünem Funkenzauber, flogen auch bei Ruben Dexter hellgrüne Funken in den Himmel und blieben dort für etwa zehn Sekunden sichtbar, bevor sie sich wieder zerstreuten.

"So, es geht los", sagte Sam und berührte eine der silbernen Verzierungen an Julius umgelegtem Cogison. Er fühlte ein kurzes Zittern und dann ein schwaches Vibrieren, das durch seinen Hals in seinen Kopf stieg und dort wie das leise Brummen eines kleinen Transformators erklang, allerdings nicht auf der ihm bekannten Tonhöhe für die Wechselstromfrequenz. Er fürchtete nur, daß seine Ohren dadurch etwas gedämpft würden. Doch als sam ihm sagte, daß sie gleich beginnen würden hörte er sie unverfälscht. Dann sah er, wie sie den Zauberstab vorstieß und schrak zurück: "Silencio!" Hörte er sie halblaut sagen.

"Das hätte ich vorhin erwähnen sollen, daß sichergestellt wird, daß Sie die Wörter nicht aus Versehen mit dem Mund ausstoßen." Julius nickte. Das war ja irgendwie zu erwarten gewesen. Aber mentiloquieren könnte er dann immer noch.

"Denken Sie jetzt bitte so konzentriert wie möglich das Wort "Mensch" auf Englisch!" Wies ihn Sam Dexter an. Er konzentrierte sich und dachte "Mensch". Er erschrak, als der Blasebalg an seinem Hals unvermittelt zu quäken und zu fauchen begann. Dennoch dachte er das zu übertragende Wort immer wieder, bis aus dem Blasebalg erst undeutlich, wie von einem zahnlosen Mund gesprochen und dann immer deutlicher ein Schwall von Lauten drang:

"MenschMannFrauKindgehtaufrechtsprichtsingtMusikKampfJagdHöhleHausSchwertBombeRadFeuerComputerZaubererHexeMuggelgutböseLiebeHaßFreundschaftKriegFrieden ..."

"Okay, noch mal", sagte Sam, als sie den Lautschwall mit einem kurzen Griff an das blasebalgähnliche Anhängsel abgewürgt hatte. "Noch mal bitte: Mensch!"

Julius dachte das Wort, und unvermittelt quoll ein neuer Strom von Lauten aus dem runden Anhängsel des Cogisons: "MenschMannFrauKindJungeMädchenHexeZauberFreundFreundingehtaufrechtKämpftLiebeHaßkeinTier ..."

"Noch einmal, bitte!"

"menschMannFrauKindHexeZaubererMuggel geht aufrecht kämpft Liebe Haß Freund Freundin ..." Die letzten nun klar voneinander trennbaren Worte wurden immer leiser. Als Julius den ersten Begriff nun noch viermal dachte, wurde das Stichwort selbst am lautesten widergegeben und es folgten nur noch drei weitere Worte, die schlagartig leiser wurden wie ein sonderbares Echo des Grundwortes. Dann waren es nur noch zwei Worte und schließlich nur noch das künstlich klingende aber vollkommen klar und korrekt ausgesprochene Wort: "Mensch" und das dann fünfmal hintereinander. Sam feuerte wieder grüne Funken ab, die jedoch nur vier Sekunden verharrten. Ihr Bruder gab die entsprechende Antwort.

"Gut, jetzt das Wort "Mann", bitte!"

"MannmännlichstarkgroßBartKörperhaareGliedVaterBruderGroßvaterFreundkämpftdenkt ..."

Julius mußte das Wort noch viermal denken, bis nur noch "Mann" aus dem Cogison klang.

"Ich kann mir nicht helfen, aber sie verfügen offenbar über eine starke magische Grundbegabung, die sich über Ihren Geist sehr stark auf das Cogison auswirkt", stellte Sam fest. Julius hätte sie jetzt gerne gefragt, warum sie das fand. Doch sie sprühte die grünen Funken in den Himmel, wartete, bis ihr Bruder dasselbe getan hatte und fuhr dann fort: "Frau ist das nächste Wort! Denken sie "Frau", bitte!"

"FrauweiblichMutterMädchenSchwesterMildrid ..." Sprudelte es aus dem Cogison, wobei die letzten Laute schon stark abebbten. Julius mußte es nun noch dreimal denken, bis nur noch "Frau weiblich Mutter" als klar getrennte Worte zu hören waren, und nach dem vierten Mal nur noch "Frau weiblich" und dann nur noch "Frau" aus dem Cogison klang.

"Also wenn mein Bruder meint, die Dinger wären nicht empfindlich genug irrt er sich", knurrte Sam Dexter. Offenbar dauerte ihr das zu lange oder zeigte nicht die gewohnten Ergebnisse. Julius mußte leicht grinsen. Dann kamen etwas andere Begriffe wie Stuhl, Tisch, Baum, Haus, Sonne, Mond, Straße, Besen, Zauberstab, Hexe, Zauberer, Muggel und weitere im Alltag häufig vorkommende Wörter. Erst nach dem zwölften Wort war das Cogison offenbar so auf Julius Geist eingestellt, daß es nur noch das zu denkende Wort aussprach. Als dann hundert Wörter durchgegangen waren sagte Samantha Dexter: "So, jetzt denken Sie bitte jedes von mir angewiesene Wort auf Französisch. Wollen nur hoffen, daß die Verknüpfungswörter jetzt wirklich ausgefiltert bleiben."

"Geduld hat die wohl nicht gerade", dachte Julius, und zu seinem Unwillen klang dieser Satz aus dem Cogison.

"Was heißt hier "Die", Mr. Andrews? Nein, ich habe schon viel Geduld. Aber bei diesen Abstimmungssachen hat das noch nie solange gedauert wie bei Ihnen. Aber Sie hören, daß das Cogison jetzt optimal auf Ihre Gedanken abgestimmt ist."

"Das haben wir auch gehört, was du da gerade gedacht hast", hörte er Martines Gedankenstimme im Kopf, während aus dem Cogison ein krächzen und quieken erklang.

"Oh, Moment, da scheint was nicht mehr zu stimmen", sagte Sam und machte Anstalten, Julius das magische Halsband mit dem sprechenden Blasebalg-Anhängsel wieder abzunehmen. Doch Julius dachte schnell:

"Das Gerät ist nicht kaputt, ich habe nur was nichtworthaftes zu stark gedacht." Das wurde vom Cogison einwandfrei widergegeben. Aus einigen Dutzend Metern Entfernung hörte Julius Martines amüsiertes Lachen herüberwehen.

"Nun denn, versuchen wir es. "Baum" auf Französisch bitte!"

"Balbrle", war die erste Lautäußerung des Cogisons, als Julius "Arbre" durch seinen Kopf jagte, auf das es durch den Blasebalg an seinem Hals zu hören war. "Rablre", war der zweite kränkliche Auswurf des Denksprechers. "Barbarbre", der dritte. "Aarrb", der vierte und dann unverhofft "Arbre". Julius nickte und wiederholte den Gedanken immer wieder und nickte dann noch einmal. Sam nickte und feuerte grüne Funken in den Himmel.

So zog es sich durch die bisher genommenen Wörter, bis nach dem dreißigsten Wort beim ersten konzentrierten Denken schon die richtige Aussprache aus dem Cogison ertönte. Julius nickte jede korrekt verstandene Lautäußerung ab. Dann hatten sie die hundert Wörter in einer nur Sam bekannten Reihenfolge wieder abgearbeitet. Sie atmete erleichtert auf und feuerte drei kurze Salven grüner Funken in die Luft. Ihr Bruder feuerte den grünen Schriftzug: "Bin auch fertig" in den Himmel.

"Danke, das war's! War doch eine etwas schwere Geburt", sagte sie und nahm Julius das Halsband mit dem Anhängsel ab. Das Summen unter seiner Schädeldecke hörte übergangslos auf. Dann hob sie noch den Schweigezauber wieder auf. Julius fragte, wie sie darauf komme, daß er eine besonders hohe Grundbegabung hätte.

"Normalerweise sind die Verknüpfungswortschwalle nach den ersten vier Versuchen mit dem ersten Wort ausgefiltert und bleiben nach dem vfünften oder sechsten Begriff von vorne herein aus. Da es bei Ihnen jedoch sehr viel länger dauerte, die ganzen Nebenwörter auszufiltern und nur noch den zu denkenden Begriff hervorzubringen muß ich eine besonders hohe magische Grundbegabung konstatieren. Sind Sie Mentalinitiator oder gar ein Ruster-... Ich Idiotin! Das hat doch ... Ich betrachte meine Vermutung als bestätigt", knurrte sie. Julius war auch zum Knurren. Offenbar hatten die Dexters doch Linos Bericht über die Sache mit Bokanowski gelesen, wo ja zwischen den Zeilen stand, daß Julius und Colonades wegen ihrer besonderen Abstammung entführt worden waren. So blieb ihm nur zu nicken.

"Sie können sicher verstehen, daß ich nicht damit angeben will, allein schon nicht, um meine Mutter vor dummen Reden zu schützen, Ms. Dexter", sagte er etwas ungehalten.

"Nun, nachdem, was Ihnen passiert ist schon verständlich. Und daß Ihre Mutter in der Zaubererwelt von Verachtung bis Überbehütung alles abkriegen würde, wenn sie jedem auf die Nase binden würde, daß sie nicht zaubern kann ist auch einzusehen. Ich werde es nicht weiter erwähnen, junger Sir."

"Das ist sehr nett von Ihnen, Ms. Dexter."

"Gut, mit der Sprachenkalibrierung sind wir nun fertig. Ab jetzt können wir uns Madame Latierres fliegende Rinderzucht vornehmen."

Julius blickte nach oben, wo eine geflügelte Kuh ihre Kreise zog und dabei immer mal wieder so tief herabsank, daß sie auf die Größe eines Schäferhundes anwuchs. War das Temmie?

"So, wir sind also doch noch durch den üblichen Ablauf gekommen", stellte Mr. Dexter fest. "Hast du die Empfindlichkeit nachgestellt, Sammy?"

"Nein, habe ich nicht, Ruby", antwortete Sam Dexter kalt wie ein Eisberg.

"Ich mein ja bloß, weil das so lange gedauert hat, bis der Kalibrator sich berappelt hat", erwiderte Ruben Dexter abbittend dreinschauend.

"Nun, immerhin haben wir die erste Hürde genommen. Hast du die Sprachschablone jetzt fertig, Ruby?"

"Fertig und bereit für jedes hier zu verkaufende Cogison."

"Huch, kann man eine Übersetzungsmatrix erstellen?" Fragte Martha Andrews interessiert.

"Matrix?" Fragte Ruben Dexter. Dann fiel ihm ein, daß er über die Funktionsweise des Cogisons doch nichts verraten wollte und er stieß schnell aus: "Das braucht Sie nicht zu betreffen. Das ist eines der Fertigungsgeheimnisse, über die ich mich nicht im Detail verbreiten will."

"Akzeptiert", sagte Martha Andrews ruhig.

"Jetzt ist es gleich zwei Uhr. Wir haben jetzt bald drei Stunden gebraucht, um diesen Abstimmungsdurchlauf zu machen. Ist das die übliche Länge bei Menschen?" Fragte Barbara Latierre, was Julius übersetzte und die Antwort der Dexters zurückübersetzte:

"Offenbar hat Ihr Gast eine besonders starke magische Grundkraft, die über seine Gedanken weitervermittelt wird. Deshalb dauerte es die fünffache Durchschnittszeit, die wir bei unseren bisherigen Testpersonen ermittelten. Bei Tierwesen dauert es hingegen die vierfache Durchschnittszeit wie bei einem Menschen. Das heißt, daß wir jetzt von zwei Stunden und vierundzwanzig Minuten ausgehen müssen, was natürlich nur die Durchschnittszeit ist."

"Will sagen, daß es auch wesentlich länger dauern kann", vermutete Barbara Latierre.

"Öh, Ja", bestätigte Mr. Dexter halbherzig nickend.

"Nun, dann begeben wir uns erst einmal zum essen", sagte Barbara. Julius sah auf seine Uhr und stellte fest, daß sie nur noch zwei Minuten bis zwei Uhr hatten. Zwar legten die Latierres nicht so drastisch Wert auf Pünktlichkeit wie Madame Faucon und Madame Delamontagne es taten, aber jetzt noch zehn Minuten zu laufen und dann leicht abgehetzt anzukommen war auch nicht doll.

"Wir aparieren", stellte Barbara Latierre fest, ergriff Marthas Hand und drehte sich mit nach oben weisendem Zauberstab auf der Stelle. Mit einem scharfen Knall verschwanden die beiden. Sam Dexter sah Julius an, Martine blickte leicht verstört nach oben, als sei sie sich nicht sicher, ob da nicht gleich etwas oder jemand herabstoßen und sie alle niederwerfen könnte. Dann sagte Julius:

"Nun, offenbar möchte unsere Gastgeberin nicht mit dem Essen warten. Kennen Sie die Tür zum Haupthaus?"

"Ja, die haben wir gut genug angesehen", sagte Sam Dexter. Dann winkte sie ihrem Bruder zu, der sich an ihr festhielt und mit einem scharfen Knall mit ihr verschwand.

"Hoffentlich wissen die beiden nicht, daß deine Mutter eine Muggelfrau ist, sonst gibt das noch Ärger für Tante Babs", raunte Martine.

"Ich laufe hin und sag's ihr", sagte Julius.

"Hast du Angst, ich könnte dich nicht ordentlich mitnehmen?"

"Ich? Nöh!" Entgegnete Julius darauf. Dann hielt er sich an Martines linkem Arm fest und hörte wie sie anzählte: "Eins! Zwei! Drei! Hopp!" Er stieß sich locker ab, wurde von ihr herumgezogen und dann durch einen nicht ganz so unerträglich zusammenquetschenden, aber immer noch stockdunklen Gummischlauch gezwengt. Als er wieder Boden unter den Füßen fühlte und frei atmen konnte sagte Martine:

"Na, noch alles wichtige an dir?"

Julius prüfte sicherheitshalber, ob alle Körperanhängsel mitgekommen waren und auch sonst nichts aus ihm herausgerissen worden war. Als er bestätigte, daß er alles, was ihm gehörte mitgebracht hatte sagte Martine:

"Ich werde es meiner Tante sagen. Immerhin ist das mein Beruf geworden, wie du weißt." Dann überließ sie ihn sich selbst und ging ins Haus.

Im zugewiesenen Gästezimmer hatte sich nun noch ein Waschkessel eingefunden, der vorher nicht zu sehen gewesen war.

"Der wurde uns von Ursuline hingestellt", sagte Martha. "Das Wasser darin füllt sich von irgendwoher nach und wird warm, wenn wir "Calidus" sagen. Dieses Apparieren hat mich aber anders beeindruckt als ihr das erzählt habt. Ich dachte, mit Barbara durch einen bunten Farbenwirbel zu stürzen, als hätte ich eine Überdosis LSD eingenommen und wäre im Vollrausch von einer hohen Brücke gesprungen."

"Auf Nichtmagier wirkt das wohl so", sagte Julius. "Da werden die Sinne anders beeinflußt. Hat was mit magischem Raum-Zeit-Widerstand zu tun, habe ich mittlerweile nachlesen können."

"Achso, und weil ich null Magie habe setze ich Raum und Zeit keinen Widerstand entgegen, wenn ich transportiert werde."

"Öhm, so ist das wohl richtig", erwiderte Julius.

"Hoffentlich kriegt Barbara keinen Ärger, weil Muggel nicht transportiert werden dürfen."

"Hat Martine auch schon geunkt, weil die ja in der entsprechenden Abteilung schafft, Mum."

"Dann ist Barbara es ja selbst schuld, wenn sie Ärger kriegt. Ich meine, ich habe nicht danach verlangt, von ihr durch den Hyperraum oder wie das sich immer nennen mag gezogen zu werden."

"Gut, daß du dich nicht losgerissen hast. Du wärest glatt verhungert, Mum. In der fünften Dimension gib'ts nämlich nichts zu essen."

"Frechdachs, deine Muggl-Mutter noch so auf die Rolle zu nehmen", knurrte Martha. Doch dann mußte sie lachen. "Komm, bevor dir noch weitere Perlen der Weisheit entschlüpfen, mein Sohn!"

Die Dexters unterhielten sich mit Martine und Barbara, während Millie die Gunst der Stunde nutzte und sich zu Julius hinsetzte, während seine Mutter bei Catherine und Raphaelle Montferre saß.

"tine ist eben noch zu sehr auf Linie, Monju. Aber ich denke, die hat das schon bald klar, daß Tante Babs nix passiert, weil sie deine Maman mal eben appariert hat. Das muß nämlich eindeutig angezeigt oder von einer Überwachungsstelle ganz klar erfaßt werden. Und da meine Urgroßeltern sichergestellt haben, daß keine Spürzauber von außen sowas feststellen können ..."

"War schon 'ne interessante Kiste mit dem Cogison", lenkte Julius ab. Millie fragte ihn dann aus, wie es abgelaufen war. Nebenbei führten sie sich die drei Gänge bestehend aus Spargelcremesuppe, Brathuhn mit selbstgemachten Pommes Frites und gemischtem Salat und einem tropischen Obstsalat zu. Wenn Barbara nicht darauf achtete, daß sie auch genug aßen und nicht nur schwatzten, Millies Mutter tat es schon. Denn sie legte ihrer Familie und den Andrews' vor.

"Und ihr wollt dann nachher Demie oder Temmie mit diesem Gedankenquatscher behängen?" Fragte Millie, als sie vom Hauptgang die dritte Portion genoss.

"Ob die mich dabeihaben wollen weiß ich nicht. Vielleicht mache ich aber auch Lauftraining. Ich habe den Schwermacher mit."

"Du willst mir doch jetzt nicht erzählen, daß du drei geschlagene Stunden damit zugebracht hast, aus einem bezauberten rosa Blasebalg an deinem Hals anständige Worte rauskommen zu lassen und dann nicht wissen willst, ob das ganze was taugt oder nicht, Julius Andrews. Dafür hast du doch zu viele grüne Anteile in dir, auch wenn wir daran arbeiten, die zu Bedeutungslosigkeit abzubauen. Aber mich interessiert das jetzt auch. Ich will wissen, ob Tante Babs' dralle Mädels oder auch die Jungs verständliche Worte denken können."

"Ansprachen wie von Madame Maxime oder Professeur Faucon wirst du von denen hoffentlich nicht erwarten."

"Immerhin hast du oft genug rausgelassen, daß deine Goldi mit dir in ganzen Sätzen spricht."

"Ja, weil mein Hirn das von ihr so übersetzt, daß ich meine, sie spräche mit menschlicher Stimme zu mir", wehrte Julius ab. "Das ist die Interfidelis-Verbindung, Millie. Das muß bei einem toten Ding wie dem Cogison noch lange nicht so laufen."

"Und genau deshalb denke ich nicht, daß du jetzt einfach so irgendwo anders sein willst als da, wo dieses Ding seine Musik spielt, Monju", stellte Millie unerschüttert fest. "Und ich will das eben auch wissen."

"Hast recht, Mamille", lenkte Julius ein.

Nach dem Mittagessen gingen einige Mitglieder der zusammengekommenen Latierre-Familie daran, für den Abend auf der dem Haus am nächsten gelegenen Wiese zu dekorieren. Barbara Latierre wollte unter freiem Himmel feiern, wenn erst ein Willkommensfest für die neugeborenen Kinder stattfand und dann, Schlag zwölf Uhr Mitternacht, auf ihren Geburtstag angestoßen wurde.

"Martine hat mir gerade erzählt, daß dieses Ding bei dem Wort Frau aus dir raussprudeln ließ, daß du mich schon für eine solche hältst", begrüßte Millie ihren Freund, als sie sich vor den Zimmern trafen. Julius wandte ein, daß aus dem Silbenschwalll aber auch das Wort "Girl" also "Mädchen" herauszuhören gewesen war.

"Ja, aber daß mein Name im Zusammenhang mit dem Wort für Frau mitgeschwungen ist zeigt, daß du mich schon für eine hältst. Nett von dir! Aber sicher, körperlich und von der ganzen Bildung her bist du ja auch kein kleiner Junge mehr."

"Millie, Männer bleiben auch Jungs", sagte Martine durch die geöffnete Zimmertür.

"Such dir erst mal einen, den du dir kuschelig warm halten kannst!" Feuerte Millie an die Adresse ihrer Schwester ab. Dafür schoss ein daumendicker Wasserstrahl aus dem Zimmer und traf Millie voll am Kopf, benetzte Ihre rotblonde Mähne und kühlte ihr Gesicht schlagartig ab, rann in kleinen Wasserfällen von ihren Ohren und ihrer Nasenspitze herunter und tränkte ihre Bluse.

"Iiii, Tine! Lass das!!" Zeterte Millie.

"Das passiert überhitzten Hexenmädchen, die ihr Mundwerk nicht bändigen können", trällerte Martine überlegen.

"Du weißt daß ich mir das mitschreibe, womit du mir alles kommst, Tine. In zwei Jahren mach ich dich genauso naß", quängelte Millie und begann vor Nässe und Kälte zu zittern.

"Martine, wenn sie sich wegen dir eine Erkältung einfängt kriegst du Ärger mit Madame Rossignol."

"Ich bin keine Pflegehelferin mehr, Julius", flötete Martine. Dann kam sie aus dem Zimmer und vollführte dreimal den Trocknungszauber an ihrer Schwester, bis ihr Haar wieder seidenweich über ihre Schultern fiel und ihre Bluse trocken und knitterfrei war.

"Beim nächsten Mal benutze besser den Brandlöschzauber, Martine. Der macht nicht naß", schlug Julius vor.

"Dann kriegte ich wohl Ärger mit meiner Mutter, weil sie keine unterkühlte Frostbeule sondern eine heißblütige Hexentochter haben wollte", sagte Martine hinterhältig grinsend.

"Lebst du gern gefährlich, Monju?" Knurrte Millie verärgert und kniff Julius in die Nase. "Das stellen wir aber ab, Monju, bevor du aus lauter Gefahrensucht totgehst."

"Abstennen? Ich habe nkeinen Schanter, nwo nmann ndas abstennen nkann", näselte Julius, weil zwei kräftige Hexenfinger seine Nase weiterhin zusammendrückten.

"Da ganz bestimmt nicht", feixte Martine und stieß ihm ihren linken Zeigefinger genau in den Bauchnabel. Julius zuckte zusammen, gab ein komisches Gebrumm von sich und stieß dann täuschend echt den Schrei eines Babys aus, womit er ohne es eigentlich zu wollen alle hier im Haus befindlichen Neugeborenen zum Schreien anregte.

"Hups, was soll denn das jetzt?" Fragte Martine verwundert, während Millie die Nase ihres Freundes endlich losließ. Julius guckte sich etwas verschüchtert um.

"Oh, die Reaktion hatte ich bestimmt nicht geplant. Ich wollte so tun, als hättest du meinen Resetschalter erwischt. Das ist die Taste am Computer ..."

"Die ihn egal, was er gerade macht auf Neustart zurücksetzt", sagte Martine. "Ich habe die Mitschrift von Jeanne gekriegt, wo du die Grundeigenschaften erklärt hast und mir deinen Apparat gut gemerkt", sagte Martine. Währenddessen eilten wohlkonditionierte junge Mütter zu ihren schreienden Kindern hinunter.

"Julius, mach das bitte nicht noch mal!" Mentiloquierte Catherine. "Sonst weiß ich nicht, ob Claudine das macht, weil sie was hat oder nur meint, gegen einen Konkurrenten anbrüllen zu müssen."

"Häh, was soll ich gemacht haben?" Fragte Julius gedankensprachlich zurück.

"Du weißt das genau. Ich kann natürlich auch dafür sorgen, daß du dich die nächsten neun bis zehn Monate nur noch so artikulieren kannst, Bürschchen."

"Kein Kommentar", schickte Julius zurück.

"Na, ist Claudines Maman sauer, weil du ihre kleine Prinzessin zum schreien gebracht hast?" Fragte Millie. Julius erkannte, daß er offenbar nicht auf seine Gesichtszüge geachtet hatte. So nickte er nur.

"Ihr macht euch jetzt raus zur Südweide, wo Demie gerade wohnt!" Sagte Martine, während ihre Mutter mit Miriam auf dem Arm zurückkam.

"Das ist das erste Mal, daß ein Junge einen Babyschrei so perfekt imitiert hat, daß alle echten Babys darauf angesprungen sind", sagte sie grinsend. "Babs hatte ja schon Sorgenfalten, was mit ihren Kleinen ist und Raphaelle hat schon das Oberteil hochgekrempelt, weil sie dachte, ihre beiden neuen hätten Hunger."

"Mist, und ich stand hier oben rum", erwiderte Julius, nun ganz auf halbwüchsiger Junge eingepeilt.

"Wie, du möchtest lieber bei Raphaelle dranliegen als mein und Bab's fünfgängiges Abendessen mit eigenen Zähnen kauen, Julius? Könnte ich einrichten. Ich kann den Infanticorpore auch machen."

"Öhm, dann hätte ich wohl nicht mehr viel von ... öhm, naja, lassen wir das besser", erwiderte Julius, wobei er jedoch noch etwas grinsen mußte. Aber sich darauf einzulassen, daß irgendwer diesen Fluch an ihm anbrachte war doch etwas heikel. Denn in seinem jetzigen körperlichen Zustand konnte Infanticorpore nicht mehr aufgehoben werden. Millie meinte dann noch:

"Die Dosis macht das Gift, Julius. Zu viel ist immer ungesund, egal wovon."

"Du sei mal ganz still, Mildrid Ursuline Latierre. Immerhin hast du meines Wissens nach sehr häufig und reichlich davon gehabt", sagte Hippolyte und deutete kurz auf ihren durch die Mutterschaft noch üppiger ausgeformten Oberkörper. Martine grinste. "Das gilt auch für dich, Martine Barbara Latierre", stieß Hippolyte noch aus. Das war das erste Mal, daß Julius mitbekam, daß auch Martine einen zweiten Vornamen hatte. Irgendwie kam er sich komisch vor, weil er nur Julius hieß und keinen netten Zweitnamen, den man ihm bei einem Tadel um die Ohren hauen konnte. Bei manchen Zauberern und Hexen waren sogar noch weitere Vornamen drin, wie bei Dumbledore zum Beispiel oder bei Fleur, von der er jetzt auch wußte, daß sie mit zweitem Vornamen Isabelle hieß.

"Babs wollte übrigens schon zur Südweide hin. Temmie ist da schon mit Hubert. Lyre strolcht mit ihrem Damian über den Hof, und die anderen sind draußen auf der Wiese beim Aufbauen. Wolltet ihr das mitkriegen, wie die Amerikaner ihren Plapperbalg an den Kühen ausprobieren?"

"Öhm, ja", sagte Julius.Milie nickte und fügte dem noch ein "Ja, bitte", hinzu. Martine erbot sich, die beiden dann hinzuapparieren.

"Muß ich noch trainieren, mit zwei zugleich seitanseit", sagte sie und wollte sie schon hinausführen als Hippolyte fragte, ob sie sich nicht besser reißfestere Kleidung anzögen. Julius verstand und wollte in sein Zimmer, um den blaßblauen Arbeitsumhang aus dem Schrank zu holen. Doch Hippolyte Latierre nahm ihm das ab, indem sie ihn kurzerhand mit dem Schnellumkleidezauber in einen lindgrünen Arbeitsumhang hineinzauberte. An seinen Füßen hatte er nun wasserdichte Stiefel.

"Ups, das habe ich doch gar nicht mitgebracht", sagte er.

"Das ist doch nicht nötig, was mitzubringen, Julius. Mit dem Zauber kann dich jemand mit genug Vorstellungskraft in jede Art von Kleidung praktizieren", meinte Hippolyte Latierre. "Ist nur einfacher, bereits bekannte Sachen anzuhexen." Millie stand keine Fünf Sekunden später in einem ähnlich gefärbtem Umhang und Stiefeln da. Dann durfte Martine sie hinuntergeleiten und vor dem Haus per Apparition zur Südweide hinüberbringen.

Ruben Dexter blickte leicht verunsichert zu dem riesenhaften Kopf hinauf, der keine fünf Meter vor ihm, aber mindestens vier Meter über ihm mit goldbraunen Augen so groß und rund wie Melonen herabblickte. Ein die Luft erschütterndes Schnaufen entrang sich dem mit faustgroßen Mahlzähnen gespicktem Maul, und die leicht gebogenen Hörner, die zwischen den großen Ohren entsprangen ragten einen guten Meter nach vorne. Die Stämmigen Beine, die unten in breiten, paarhufigen Füßen endeten, waren so dick wie die Stämme junger Bäume und wirkten trotz ihrer stämmigkeit nicht so, als könnten sie den tonnenschweren, mit strahlendweißer Wolle bewachsenen Leib tragen.

"Zahlen sind doch nicht alles", bemerkte Ruben Dexter, während seine Schwester eine mitgebrachte Truhe öffnete, leise, sehr behutsam, um das vor ihnen stehende Ungetüm bloß nicht zu erschrecken.

Martine führte ihre Schwester und Julius die zwanzig Meter bis zu den Dexters heran. Sam sah Martine tadelnd an und schnarrte leise:

"Mußten Sie unbedingt apparieren? Dieses Tier ist fast auf Ruben losgegangen."

"Was hat sie gesagt?" Tat Martine so, als könne sie kein Englisch. Julius tat so, als habe ihm die Frage nicht gegolten. Darum wieder holte Ms. Dexter sie auf Französisch, wobei sie einen ziemlich gewöhnungsbedürftigen Akzent sprach. Martine antwortete halb so schnell wie üblich sprechend:

"Ich kenne diese Tiere gut genug, um zu wissen, wie nahe ich bei denen wie wuchtig apparieren darf, Mademoiselle Dexter. Demie ist eine sehr ruhige und unerschütterliche Vertreterin ihrer Art."

Sam Dexter funkelte Julius an, weil der offenbar nicht übersetzen wollte und erklärte ihrem Bruder gerade laut genug, daß es nicht unhöflich rüberkommen mochte, was Martine ihr gesagt hatte. Demie senkte behutsam den Kopf, um die für sie winzigen Figuren da vor sich etwas genauer zu mustern. In ihren goldbraunen Augen vermeinte Julius eine gewisse Neugier zu sehen. Dann schnaufte sie erneut wie ein großes Dampfventil. Barbara Latierre stand auf der rechten Seite der Latierre-Kuh und begutachtete sie etwas. Dann gab sie mit ruhiger aber lauter Stimme das Kommando: "Demiiiie, hinlegenn!"

Julius staunte, als er nun aus nächster Nähe sah, wie die kolossale Kuh, die jeden afrikanischen Elefanten klein aussehen ließ leicht keuchen die Vorder- und hinterbeine ausstreckte und sich mit lautem Rascheln ins kniehohe Gras sinken ließ. Julius fühlte dabei eine sachte Bodenerschütterung. Dann lag das ziemlich große Zaubertier auf dem Bauch. Aus der Ferne war erregtes Gebrüll zu hören. Es klang mindestens eine Oktave unter der üblichen Tonhöhe Julius' bekannter Milchkühe.

"Ich mußte Ares mit drei Halteketten und einem Nasenring festmachen", bemerkte Barbara, als sie über die im Moment nicht so üppige Wolle der nun leise atmenden Riesenkuh streichelte. "Offenbar hat er sie erfolgreich geschwängert und möchte natürlich nun aufpassen, daß seinem Nachwuchs nichts passiert."

"Öhm, wieso kann die sich dann noch so platt hinlegen?" Fragte Ruben Dexter, während seine Schwester mit beiden Händen einen mindestens dreißig Zentimeter breiten und mehr als drei Meter langen Gurt mit unterteller großen Silberbeschlägen aus der Truhe zog, an dem ein menschenkopfgroßer runder Sack aus rosa Material hing. Millie blickte auf den langen Gurt. Julius erklärte ihr, daß damit das Cogison um den Hals geschnallt wurde. Martine sah ebenfalls interessiert zu. Samantha Dexter sah Madame Latierre an, die ihr zunickte. "Ich kenne dieses Tier nicht so gut wie Sie, Madame. Würden Sie ihm bitte den Verbindungsgurt um den Hals legen und straff genug ziehen, daß er Demeter nicht zu eng anliegt aber auch nicht von ihr abgeschüttelt werden kann?"

"Kein Problem", sagte Barbara Latierre. Martine überlegte offenbar, ob sie hierbleiben oder sich zurückziehen sollte. Barbara nickte ihr und den beiden Beauxbatons-Schülern einladend zu, daß sie noch etwas näher herantreten konnten. Der intensive Kuhgeruch, den Demie um sich verbreitete schreckte die drei nicht ab, der Einladung zu folgen und bis knapp vor die Spitzen der Hörner an Demie heranzutreten, auf die Barbara gerade sanft aber fordernd einsprach, sie solle den Kopf heben. Die Dexters wahrten respektvollen Abstand von der Kuh und ihrer Hüterin.

"Schon etwas schwer das Ding", feixte Julius, als Barbara sich mit dem bestimmt an die zehn Kilo wiegenden Gurt abmühte.

"Ich habe bis vor viereinhalb Wochen neun Kilo Extragepäck mit mir herumgetragen, Julius. Das Ding hier ist nicht zu schwer. Nur sperrig, weil ich nicht weiß, ob ich mit Verschließezaubern oder sowas hantieren darf."

"Na, jetzt hast du'n ja drum, Tante Babs", bemerkte Millie keck. "Habe gedacht, der sei zu lang. Aber der liegt jetzt gerade richtig um Demies dicken Nacken."

"Durchmesser und Umfang, Millie. Der Umfang ist ein winziges mehr als dreimal so groß wie der Durchmesser von was", bemerkte Julius.

"Sieh mal an! Ein Rechenkünstler", meinte Ruben auf Englisch, als seine Schwester es ihm übersetzt hatte.

"Wußte ich nicht", knurrte Millie etwas verstimmt. Martine sah Julius an und mentiloquierte:

"Wenn du's dir mit ihr verscherzen willst jongliere mit Zahlen! Mit dem Rechnen hat meine Schwester es nicht sonderlich. Aber wehe du verscherzt es dir echt mit ihr!"

"Huch, den Eindruck hatte ich bei Walpurgis nicht", gedankensprach Julius zurück. Da hörte er Ruben Dexter auf Englisch fragen:

"Wissen Sie das genaue verhältnis, junger Sir?"

"Ganz genau kann ich das nicht sagen, weil die Verhältniszahl des Kreisumfangs zum doppelten Halbmesser oder einfachen Durchmesser ziemlich krumm ist. Aber sie lautet jedenfalls: 3,1415926535. Aber das sind nur die ersten zehn von irgendwie unendlich vielen Stellen."

"Kuck mal, Ruby, der ist genauso auf Rechensachen aboniert wie unser Vater", feixte Sam ihrem Bruder zugewandt. Jetzt hatte Julius die Bestätigung, daß die beiden nicht mentiloquieren konnten. Denn sowas hätte er bestimmt nicht mit körperlicher Stimme weitergetratscht, wo jemand, auf den es bezogen war mithören konnte. Millie, die im Moment so tun wollte, als könne sie kein Englisch, warf Julius einen sehr fragenden Blick zu. Er übersetzte schnell, daß Mr. Dexter wissen wollte, ob er ihm diese Umrechnungszahl sagen könnte.

"Denk mal, sie hat dich schon verstanden", melote Martine, und in ihrer Gedankenbotschaft schwang eine gewisse Schadenfreude mit, fand Julius.

"So, Mademoiselle und Monsieur Dexter. Ich habe das Instrument nach Ihren Vorgaben ordentlich an Demeters Hals befestigt. Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?"

"Wir haben heute Morgen ja mit der Hilfe dieses jungen Gentleman hier", wobei Ruben auf Julius deutete, "die Sprachabstimmung durchgeführt. Meine Schwester und ich haben das für Ihre Latierre-Kühe angefertigte Cogison damit adjustiert. Wenn sie wirklich worthafte Gedanken produzieren kann, kann das Cogison nun diese Gedanken in Worte Ihrer Sprache umwandeln. Allerdings müssen wir bei der Feinabstimmung wesentlich mehr Zeit aufwenden, da wir nicht wie bei einem humanoiden Probanden das gezielte Denken von Wörtern erbitten können." Seine Schwester sah Julius an, er möge ihr die Übersetzungsarbeit abnehmen. Er nickte und übersetzte es für Barbara. Warum konnte die eigentlich kein Englisch, wo Hippolyte es konnte und ihrer beider Mutter sowieso? Dann fiel ihm noch was ein, was er besser jetzt loswerden sollte als wenn Demie davon unruhig wurde und einfach aufsprang.

"Ich hatte, als das Cogison bei mir aktiviert wurde so ein leichtes Vibrieren im Kopf gefühlt. Ist das immer so oder war das nur wegen der Eichung?" Wollte er von Ruben Dexter wissen.

"Das Vibrieren ist immer da, Mr. Andrews. Allerdings ist es bei unserem Kalibrator stärker ausgeprägt, weil dieser mit dem entsprechenden Gegenstück verbunden sein mußte. Für Normalanwendung ist es nur im Moment der Aktivierung und Deaktivierung vom Normalgefühl zu unterscheiden." Julius übersetzte es. Barbara sah Ruben Dexter leicht vorwurfsvoll an, weil er ihr diese womöglich wichtige Information nicht gegeben hatte. Sam Dexter meinte deshalb:

"Wir haben schon mit diversen humanoiden Zauberwesen und magischen Tierwesen gearbeitet, Madame. Wenn eine derart heftige Beeinträchtigung der Sinneswahrnehmung aufträte wären wir nicht an Sie herangetreten."

"Nun, daß Kniesel Magie erspüren können wissen Sie ja bestimmt", warf Julius ein, der noch zu gut wußte, wie verstört Goldschweif auf die Anbringung eines magischen Halsbandes reagiert hatte.

"Öhm, ja", erwiderte Sam Dexter. "Das ist ja auch der Grund, warum wir erst vor einem halben Jahr die Öffentlichkeit über unsere Erfindung unterrichtet haben, weil wir Anfangsprobleme mit irritierten Knieseln hatten, bis wir die magische Streuung kanalisieren konnten."

"Gut zu wissen, daß Demeter vielleicht erschrecken könnte", sagte Barbara Latierre. "Setzen Sie das Cogison nun bitte in Gang!" Sam Dexter nickte und nahm ihren Zauberstab. Sie trat an die auf dem Boden liegende Riesenkuh heran und suchte mit behutsamen Bewegungen die Verbindung zwischen rosa Anhängsel und Halsgurt. Sie sah Barbara auf der anderen Seite der geflügelten Riesenkuh an und berührte die bestimmte Stelle mit dem Zauberstab. Barbara sprach mit einer ungewöhnlich tiefen, die Bauchdecke massierenden Stimme:

"Gaaanz ruuuuhig, Deeeeeemiiiie! Gaaaanz ruuuuhig!"

Ein leises Blub erklang aus dem Wortbalg, wie Julius dieses Anhängsel jetzt bei sich nannte, dann sprudelte ein Schwall von französischen Grundlauten aus dem sackartigen Gebilde, das leicht vibrierte. Die Laute klangen erst sehr dumpf, wie aus einem verschlossenen Kleiderschrank, dann hohl wie in einen großen Kochtopf hineingesprochen und dann schnarrend wie gegen einen mit Papier überzogenen Kamm geblasen. Dann, etwa fünf Sekunden nach Inbetriebnahme des Cogisons klangen die Laute mit einer tiefen Stimme klar verständlich, waren jedoch ohne Pause, ohne erkennbare Wortteile, ohne Betonungsunterschied und ohne einen nachvollziehbaren Sinn. Sam tippte vorsichtig an das Verbindungsstück, worauf der Strom der Grundlaute etwas leiser wurde. Barbara sprach wieder mit ihrer ganz tiefen Stimmlage auf Demie ein.

"Das ist immer so bei Tierwesen. Da sie nicht von sich aus unsere Lautsprache benutzen können produziert das Cogison unzusammenhängende Lautfragmente. Es wird etwas dauern, bis wir bestimmte begriffsbezogene Verknüpfungen erkennen können. Ruben!" Ruben Dexter hantierte mit einem anderen Gerät herum, daß wie ein silberner Kessel auf einem Würfel aussah. Da er mit Zauberstabbewegungen und Anstupsen arbeitete, ohne was zu sagen, konnte niemand nachvollziehen, was genau er da tat. Julius vermutete nur, daß dieses silberne Artefakt dem angelegten Cogison eine Rückmeldung gab, wann es was sinnvolles ausgeplaudert hatte, womöglich nach der Methode "Versuch und Irrtum". Barbara sprach ruhig auf Demie ein. Martine, Millie und Julius zogen sich etwas zurück, um die drei ungestört arbeiten zu lassen und gegebenenfalls sofort das Heil in der Flucht suchen zu können, wenn der Brabbelzauber an ihrem Hals ihr doch auf die Nerven ging und sie dann in gerechtfertigtem Zorn aufspringen und lospreschen mochte.

"Zwei Stunden brauchen die bei Tierwesen?" Fragte Martine Julius noch einmal. Er nickte. Millie sah die Dexters und ihre Tante an und wiegte den Kopf.

"Wenn dieses Ding da schon jetzt irgendwelche Laute absondert heißt das doch, daß Demie mit unserer Lautsprache vertraut ist, oder nicht, Julius?"

"Ich weiß nicht, ob das normal ist, Millie. Das sie gesprochene Kommandos versteht wußten wir ja längst. Jetzt ist nur die Frage, ob sie diese Kommandos nur befolgt, weil sie bei bestimmten Lauten bestimmte Sachen abbekommen hat, beispielsweise Futter, wenn sie ein Kommando richtig befolgt hat oder Schmerzen, wenn sie nicht gespurt hat. ... Ich will jetzt nicht unterstellen, daß eure Tante so arbeitet, Millie. Ich wollte nur sagen, daß es nicht heißt, eine Sprache zu verstehen, nur weil bestimmte Befehle befolgt werden können."

"Du hörst doch unsere Tante. Sie hat es hinbekommen, so mit Demie zu sprechen, daß sie ganz ruhig bleibt", sagte Millie. "Sie hat es von Uroma Barbara und Oma Line gelernt."

"Hmm, daraus ergibt sich doch die Möglichkeit, Demie zu bestimmten Wortgedanken zu bringen", vermutete Julius.

"Vielleicht. Aber wie du sagtest wissen wir ja nicht, ob und wenn ja wie Demie denkt, daß das Cogison das in für uns verständliche Begriffe übersetzen kann", sagte Martine.

"Wenn das jetzt mehr als zwei Stunden dauert ist eure Tante jetzt hier gut beschäftigt. Wer kümmert sich denn da um Boreas und Notus?" Fragte Julius.

"Das hat Tante Babs mit den anderen Müttern aus dem Club abgesprochen. Hauptsache die beiden hungern nicht", sagte Martine ruhig. Julius nickte. Die Frage war ja auch wirklich etwas dämlich und noch dazu ziemlich persönlich.

"Wäre nicht das erste Mal, daß mehrere Mütter sich um verschiedene Kinder kümmern, mit allen Schikanen", meinte Mildrid dazu. "Temmie, also Madame Orchaud, hat sich mit einer Schulfreundin mal die Versorgung der Kinder geteilt, weil die Freundin zwischendurch auswärts zu tun hatte und Temmie ja trotz Kind ihr Café nicht alleinelassen konnte."

Es ploppte, und ein leise kicherndes Pärchen apparierte hand in Hand. Es waren Lyre Orchaud und Damian Vendredi. Martine, wohl immer noch nicht ganz aus der Saalsprecherinnenrolle raus, eilte zu ihnen hin und wies sie halblaut an, nicht so ungestüm zu sein, weil bei Demie gerade der Cogison-Versuch lief.

"Ui, das wollte Maman doch auch sehen, ob's geht", meinte Lyre grinsend. "Warum habt ihr der nichts gesagt?"

"Weil deine Maman nachher noch auf ihrer Namensvetterin durch die Gegend fliegen will. Falls das Cogison bei Latierre-Kühen was taugt, probieren sie es vielleicht auch an Demies Tochter Artemis aus, ich meine ... Warum mußte Tante Babs dem Tier denselben Namen geben?"

"Ist doch cool. Sollte ich mal "Artemis, diese blöde Kuh" sagen, kann ich mich immer noch drauf berufen, daß ...." erwiderte Damian und brüllte unvermittelt: " Aua! Mensch, das hat wehgetan!" Zwanzig Meter weiter vorne riss Demie ihren gigantischen Kopf hoch und warf ihn herum, wobei das Cogison an ihrem Hals wie eine angeschlagene Glocke pendelte. Julius hatte nicht gesehen, wie Lyre ihrem Verlobten zugesetzt hatte. doch als Martine sie anfauchte, hier nicht rumzualbern wurde sie rot wie eine reife Tomate.

"In welcher Klasse von Beauxbatons sind die noch mal?" Fragte Julius Millie, die ganz ruhig neben ihm stand und nun, wo ein anderes Pärchen aufgetaucht war und ihre Schwester gerade abgelenkt war ihren linken Arm um ihn legte und an sich zog.

"Könnten dieses Jahr die ZAGs machen", nahm Millie den Scherz auf und kuschelte sich an Julius, was er ohne zu zögern erwiderte und sie sicher im rechten Arm hielt. Er meinte, die Sache mit der Zahl Pi von eben ausbügeln zu müssen und flüsterte ihr zu: "Tut mir leid, wenn das mit dem Kreisumfang eben bei dir wie Angeberei oder Überheblichkeit rüberkam. Manchmal denke ich nicht dran, daß jemand das entweder schon weiß oder nicht wissen will, wenn ich den Eindruck habe, daß ich ihm oder ihr was erklären kann."

"So, hat meine große Schwester dir zugemelot, daß ich mit diesem Zahlenzeug so meine Probleme habe?" Fragte Millie etwas ungehalten. Julius erkannte, daß er hier wohl einen kleinen Fehler gemacht hatte. Er setzte schon an, sich zu entschuldigen, als Millie ruhig weitersprach: "Sieht ihr ähnlich. Aber ich bin dir nicht böse, auch wenn ich mir bei sowas wie eben manchmal etwas blöd vorkomme. Aber ich weiß, daß du das natürlich heftig gelernt hast, weil deine Eltern wollten, daß du ihren Wissenskrempel können mußt. Das ist nichts schlimmes, wenn du das dann auch rausläßt, wenn jemand dich darauf anspitzt. Außerdem konnten wir beide ja an Walpurgis dieses Galleonending ausknobeln, weil du da mehr drauf hast als ich. Aber ich finde schon, daß es Sachen gibt, die wichtiger und schöner sind als irgendwelche Rechenaufgaben zu lösen."

"Das habe ich von dir gelernt", brachte Julius ein Kompliment an, um wieder schönes Wetter zu machen. Millie lächelte ihn warm an und drückte ihn an sich, daß er ihr Herz durch ihren und seinen Brustkorb schlagen fühlte und die beiden Herzanhänger, die sie trugen sich sehr wohltuend in den Rhythmus ihrer beider lebenden Herzen einfügten. Julius wurde es sehr warm und er fühlte sich geborgen. Er hauchte Millie zu: "Ich versuche, nicht zu viel über Mathematik und Rechnerei rauszulassen."

"Fang jetzt bloß nicht an, dich mir zu Liebe zu verdrehen und zu verbeulen, Monju! Ich will dich so haben wie du bist, weil ich denke, du willst mich auch nicht anders als ich bin."

"Nur wegen deiner Schwester, Mamille. Das war auch nur, weil sie nicht will, daß wir beide wegen sowas heftigen Krach kriegen."

"Findet sie, Julius. Dann sollte sie nicht andauernd um uns herumstreifen wie eine scharfgemachte Wachhündin. Sie weiß doch schon, wie weit wir beide gekommen sind und jetzt raushaben, wie wir wo was zusammen anstellen können und nicht."

"Hast recht, Millie. Aber ich kann mir deiner Schwester gegenüber nichts rausnehmen."

"Die dich ja fast gekriegt hätte, Monju. Vergiss das bitte nicht, daß sie ja vor mir mit dir über die Brücke gehen sollte!"

"Du meinst, sie könnte eifersüchtig sein, so wie du eifersüchtig auf sie warst?" Entfuhr es Julius, bevor er daran dachte, ob das jetzt so klug war.

"Nun, vielleicht ist sie froh, daß sie sich nicht um dich kümmern muß. Denn das hätte sie bestimmt getan, wenn du mit ihr in die Festung reingelassen worden wärest. Meine Schwester hat alles, was sie angefangen hat mit mehr Ernst gemacht als nötig war. Aber das weißt du ja aus der Pflegehelfertruppe. Wenn du sie dort besucht hättest, wo du mich besucht hast hätte die Catherine garantiert den magischen Fürsorgeauftrag abgeluchst, egal ob sie vorher mit ihr Mordsärger bekommen hätte oder nicht. Also mach dir bloß nicht immer einen Kopf darum, warum wer was denkt oder tut, Monju! Bei mir kriegst du immer sofort klar, wie das bei mir ankommt."

"Das weiß ich", schnurrte Julius.

"Ist euch beiden kalt?" Fragte Martine, die gerade wieder zu ihnen kam, nachdem die beiden Turteltauben Lyre und Damian disappariert waren.

"Jetzt, wo du uns so komisch anquatschst, Tine", versetzte Millie. Julius zwang sich, nicht loszugrinsen. Doch ein gewisses Lächeln konnte er nicht unterdrücken.

"Ich weiß, Millie, ihr habteuch gefunden, und damit deinen Wunschtraum wahrgemacht", knurrte Martine. "Aber ein wenig mehr Zurückhaltung vor fremden Leuten sollte euch beiden nicht schwerfallen. Oder meint ihr, weil die beiden da eben so albern waren hätte das noch Zeit?"

"Genau", entgegnete Mildrid frech, und Julius mußte nun doch grinsen.

"Findest du das etwa auch, Julius Andrews?" Fragte Martine herausfordernd und fixierte Julius mit ihrem Blick, so daß dieser sofort seinen Geist gegen Zugriff von außen versperrte.

"Man hat mir viele Jahre lang nur Anstand und Korrektheit beigebracht. Jetzt wo Ferien sind möchte ich gerne auch lernen, lockerer draufzusein, ob mir sowas steht oder nicht."

"Aha, der junge Herr möchte wissen, wie weit er gehen kann, ohne Ärger zu kriegen. Na gut, gehört auch zum Leben dazu", schnarrte Martine. Doch ihre Mundwinkel umspielte ein Lächeln, daß nicht kalt war, sondern kindliches Vergnügen verriet. Womöglich sprach das kleine Mädchen in ihr zu ihr und beruhigte sie, daß Julius und Millie doch auch ein Recht auf Spaß hatten. Sie wandte sich wieder Demeter zu. Julius lauschte auf die Laute, die aus dem Cogison drangen. Er meinte jetzt, unvollständige Wörter herauszuhören. Zumindest klangen einige Laute etwas leiser und teilten den Schwall der Silben und Grundlaute damit in mehrere unterschiedlich große Portionen auf.

"Irgendwas läuft da", meinte Julius interessiert lauschend.

"Ob die dieses Ding wirklich so hinkriegen, daß Demie irgendwelche klaren Worte damit rüberbringt?" Fragte Millie. Ihr Freund wußte darauf keine Antwort.

"Blbarblbarbarademe..er..mie...mie...rarbraDemeterBodenEssenWasserliegenruhigliegenrbarbarbrara...suline", quollen weitere Laute aus dem Cogison.

"Oh, das dauert keine zwei Stunden mehr", mutmaßte Julius. "Das ist merkwürdig, daß sie den Vornamen deiner Tante und ihren Namen denkt oder was."

"Du kannst doch Logik", feixte Millie. "Womit würdest du dieses Ding denn einrenken, wenn du es wem ganz unbekannten dranmachst?" Fragte Millie. Ihre Schwester sah sie leicht vorwurfsvoll an, mußte dann aber nicken.

"Natürlich, die beiden versuchen rauszukriegen, ob das Cogison den Namen der dicken Madame herauskitzeln kann. Da sie jedoch mehrere Namen im Unterbewußtsein drin hat, kommen natürlich auch mehrere dabei raus", erwiderte Julius.

"Richtig, und wenn sie Demies Namen klar rauskitzeln können können die nach andren Sachen suchen", meinte Mildrid. Julius sah ein, daß das passen mußte, weil bei einem Tier ja nicht nach gezielten Begriffen gefragt werden konnte.

Nach fünf weiteren Minuten waren Demies Name und der von Barbara und Ursuline Latierre klar vom restlichen Silbenstrom zu unterscheiden.

"Im Grunde können die ja nichts anderes machen, als das Ding auf Grundbegriffe voreinstellen und hoffen, daß Demie daran denkt", meinte Julius dazu noch. Er fragte sich, ob das nicht ein interessantes Betätigungsfeld wäre, die Verständigung zwischen nichtmenschlichen Lebewesen zu erforschen. Im Grunde taten die Leute vom Projekt SETI ja auch nichts anderes, wenn sie mit Radioteleskopen ins All hinauslauschten, um nach künstlichen Signalen, die von Außerirdischen stammen mochten zu suchen. Denn dann galt ja, eine gemeinsame Verständigungsbasis zu finden. Auf eindeutig als tierwesen eingestufte magische Geschöpfe angewendet hieß das, die allen tierischen Lebewesen gemeinsamen Grundlagen auszuloten, Bedürfnisse, Ängste, Freuden. Allerdings fragte er sich jetzt, wie weit die beiden Erfinder das Cogison voreinstellten und wie stark es dann auf Demies momentan sinnloses Gedankenwirrwar ansprach. Wurden hier tatsächlich Versuchsergebnisse durch Ausprobieren erzielt oder durch Voraussetzungen? Doch weil die Dexters ihm nicht verraten würden, wie sie ihr neues Wunderding bedienten, würde er die Frage nicht beantwortet kriegen. So blieb ihm wie allen anderen hier auch nur das warten auf das Endergebnis.

"DemeterDemieDemeter Demie Demie Demeter", klang es nun klar und problemlos aus dem Cogison. Die Töchter Hippolytes und Julius traten nun wieder näher heran.

"Aha, das Gerät sagt, wie sie heißt", stellte Julius knochentrocken fest, während weitere Laute, aber fast geflüstert aus dem rosaroten runden Sack am Cogisongurt quollen.

"Wir müssen immer nach bestimmten Verknüpfungen forschen, die ausschließlich auf gehörte Wörter bezogen sind", sagte Sam Dexter. "Aber dies ist nur der erste Schritt", fügte sie hinzu. Dann hantierte sie wieder mit dem Zauberstab am Cogison. Demie blieb ganz ruhig auf dem Boden liegen.

"Was ist, wenn sie einschläft?" Fragte Mildrid auf Demie deutend.

"Dann würde das Cogison erst gar nichts von sich geben und in den Traumphasen nur heillose Kakophonie, also vollständigen Mißklang", sagte Sam Dexter. "Selbst bei einem Tierwesen kann zwischen Wach- und Traumzustand unterschieden werden, und bei intelligenten Tierwesen sogar von einem Bewußtsein ausgegangen werden, wenngleich dieses womöglich nicht über das Niveau eines zweijährigen Menschenkindes hinausreicht. Also komplexe Gedankengänge sind nicht zu erwarten."

"Bei Goldi schon", dachte Julius bei sich. Zwar konnte die Knieselin nicht über Einsteins Relativitätstheorie diskutieren oder Golpallots drittes Gesetz zur bestimmung von Gegengiften bei einem aus mehreren Giften zusammengemischten Trank verstehen. Aber er selbst hatte den Eindruck gewonnen, daß sie von der Intelligenz her einem sechsjährigen Kind ähnelte, auch wenn ein Sechsjähriger sich noch nicht mit der eigenen Fortpflanzung befaßte und diese als alles überragendes Thema ansah.

"Wenn euch langweilig werden sollte könnt ihr Artemis sagen, sie könne um halb sechs bei der Nordweide ankommen. Unabhängig davon, wie gut das Cogison an eine Latierre-Kuh angepaßt werden kann werden wir dann Demies verspielte Tochter Artemis vorführen", sagte Barbara Latierre. Julius sah das Cogison an und beteuerte, daß ihm nicht langweilig sei. Im Gegenteil, jetzt würde es für ihn erst richtig spannend.

"Das aufspüren und übermitteln von worthaften Gedanken ist eine Sache. Um eine echte Verständigung zu erzielen muß das Cogison so eingerichtet werden, daß es nur die Gedanken ausspricht, die unmittelbar mit einer bestimmten Situation oder Anweisung zusammenfallen. Die Nuance zwischen beiläufigen und gezielten Denkprozessen zu ergründen ist das eigentliche Kernstück des Cogisons, wenn man mal davon absieht, daß bei menschlichen Probanden stärkere Grundkräfte vorhanden sein können", sagte Sam Dexter, während sie weiter an ihrem Wunderapparat werkelte. Julius nickte.

"Am besten setzen wir uns hin", sagte Martine. Ihre Tante nickte ihr zu und zeichnete vier hochlehnige Stühle in die Luft, die sich schemenhaft und dann aus einem schnellen Wirbel heraus zu brauchbaren Möbeln verstofflichten.

Demeter blieb weiterhin ruhig liegen. Die Dexters arbeiteten an ihrer Erfindung, um der geflügelten Riesenkuh sinnvolle Gedanken zu entlocken. Nach zehn weiteren Minuten hatten sie die Begriffe "Licht", "Dunkelheit", "Warm" und "Boden" hervorgekitzelt. Nach darauf folgenden zwanzig Minuten nickte Ruben sehr heftig, weil sie "Will Wasser Trinken" und "Durst" hervorgebracht hatten. Barbara nickte und beauftragte Martine, den eingeschrumpften Wassertrog vom Stallgebäude zu holen. Diese nickte und eilte leise davon, um in dreißig Metern Entfernung für menschliche Ohren unhörbar zu disapparieren. Keine zehn Sekunden später reapparierte sie punktgenau an derselben Stelle, wobei sie einen fünfzig Zentimeter großen länglichen Holzkasten unter dem linken Arm trug. Sie stellte den Behälter drei Meter vor Demeters Kopf auf den Boden. Barbara ging zu ihr und ließ die Holzkiste zu einem mehr als fünf Meter breiten, drei Meter tiefen Trog werden. Dann tippte sie diesen mit dem Zauberstab an, murmelte "Aguamenti", und mit lautem Platschen füllte sich der Trog innerhalb von nur drei Sekunden randvoll mit frischem Wasser.

"Ui, das muß ich noch üben", dachte Julius, als er durchrechnete, wie viel Wasser in diesen Trog passen mochte. Demie blickte den vollen Trog sehnsüchtig an.

"Koooomm, Demie. Wasser!!" Rief Barbara. Demie stand auf. Gleichzeitig plapperte das Cogison: "Wasser Durst trinken Wasser durst trinken"

"Als Demie mit lautem Schlürfen den Trog halb leer soff drangen "Gut Wasser gut trinken gut" aus dem Cogison.

"Immerhin kein Silbensalat mehr", bemerkte Julius aufmunternd zu den Dexters. Ruben sah ihn vergnügt an.

"Das ist erst Schritt Nummer drei von insgesamt zwanzig", sagte Sam kühl. "Wir haben gerade erst angefangen."

Doch Ruben Dexter sah seine Schwester zuversichtlich an und erwiderte: "Sammy, wir sind jetzt schon weiter als sonst. Könnte sein, daß die letzten Schritte wesentlich schneller gehen."

"Wird sich zeigen", sagte Samantha.

Als Demie ihren Durst gestillt hatte und sich behaglich schnaufend wieder hinlegte klang "gut Wasser im Bauch gut" aus dem Cogison. Die Dexters sahen einander an, als sei ihnen mitten im Sommer der Weihnachtsmann auf seinem Rentierschlitten erschienen und habe ihnen ein großes Paket überreicht. Offenbar war das Gerät doch schon besser auf Demies Gedankenströme eingestellt als sie gedacht hatten. Dieser Teilerfolg spornte sie nun an, weiterzumachen.

"Also daß Demie eine gewisse Intelligenz besitzt ist nun wohl doch sicher", sagte Barbara sehr stolz. Dann ließ sie sich auf einem der gezauberten Stühle niedersinken. In vierzig Metern entfernung apparierten Artemis Orchaud und ihr Mann. Artemis kam zehn Schritte näher und verharrte dann. Barbara winkte ihr und Hubert zu. Erst als beide keine fünf Schritte mehr von Demies Kopf entfernt standen gebot Barbara ihrer Cousine Einhalt.

"Klappt das?" Sprach Hubert und deutete auf das Cogison.

"Menschweibchen Frau Menschmännchen Mann", quollen gerade neue Worte aus dem Cogison.

"Ruby, kneif mich mal!" Zischte Sam ihrem Bruder zu, der ihr ansatzlos in die rechte Wange kniff, bis sie zusammenzuckte. "Ich dachte schon, ich träume", sagte sie dann und wandte sich Julius und Artemis zu, von der sie Mittags erfahren hatte, daß sie auch Englisch konnte.

"Wie es sich gerade darstellt, Mädämm Orscho und Mr. Andrews, könnten wir in der Hälfte der üblichen Durchschnittszeit die Versuche erfolgreich abschließen. Allerdings sollten wir uns nicht unpassender Euphorie hingeben. Vom Auffangen eindeutiger Umwelteindrücke als Worte bis zu einer brauchbaren Wortverständigung ist es doch noch ein langer Weg."

"Wobei die Geschwindigkeit die Zeit bestimmt, um einen Weg zurückzulegen", dachte Julius bei sich. Offenbar kam Demie mit dem ihr angehängten Wortbalg schneller zusammen als die beiden Erfinder gedacht hatten. Artemis Orchaud sah Barbara an und übersetzte ihr, was Ruben gesagt hatte.

"Machen Sie bitte weiter wie Sie es gewohnt sind!" Bat Barbara die Dexter-Geschwister. Dies taten sie dann auch. Sie forschten nach anderen Umweltbeziehungsgedanken, bis das Cogison "Sageding um Hals Demeter" von sich gab und "Demeter liegt auf kurzem Essen." Millie und Julius mußten hinter vorgehaltenen Händen lachen. Zwar kannte Julius es von Goldschweif, daß sie für bestimmte Begriffe andere Wörter benutzte, beziehungsweise er andere Wörter von ihr verstand, aber es klang schon lustig, daß Demeter auf ihrem Essen lag.

"Das Artefakt kann nicht zwischen Ich und er sie es unterscheiden?" Fragte Julius.

"Bei Tieren ist das schwierig. Aber wenn sie eine bestimmte Lage von Gegenständen oder ihrem Körper in Bezug zu ihrem Namen setzen ist das schon beeindruckend nahe an einem Ich-Bewußtsein", sagte Sam Dexter darauf. Julius wandte sich an Barbara und fragte sie leise, ob sie mal ausprobiert hätte, ob Demeter sich selbst in einem Spiegel erkennen könnte. Immerhin würden die meisten Menschenkinder damit auf ihre Selbsterkenntnis geprüft, und seine Mutter hatte ihm von Versuchen bei Affen und meeressäugetieren erzählt, die nicht einfach andere Artgenossen, sondern sich selbst in einem Spiegel wiedererkennen konnten.

"Nur wenn sie jünger als zwei Jahre waren und ich gerade noch Größe und Höhe der Jungtiere mit einem Spiegel abdecken konnte. Das war mir zu riskant, einen Spiegel so groß zu machen, daß Demie oder andere hineinblicken können, selbst wenn ich den unzerbrechlich hexen würde", sagte Barbara.

"Der muß ja nicht massiv sein", meinte Mildrid. "Professeur Bellart erzählte uns von einem Spiegelnebel, der das Bild einer davor stehenden Person scharf konturiert zurückwerfen konnte."

"Denkt dran, daß Demeter sehr groß ist. Um wirklich sich sehen zu können müßte dieser Nebel mindestens so breit und hoch sein wie sie lang und hoch ist."

"Moment mal", fiel es Julius ein. "Da steht doch ein brauchbarer Spiegel." Er deutete auf den halbvollen Wassertrog. "Der natürlichste Spiegel der Welt, ohne Magie und ohne Glas."

"Natürlich", grummelte Barbara. "Das hätte ich eigentlich schon längst ausprobieren können. Dann können wir das Experiment hier doch mal machen. Julius, wie geht dieser Selbsterkennungsversuch bei den Muggeln?" Fragte sie leise.

"Hmm, das Kind oder das Versuchstier bekommt einen roten Punkt auf die Stirn gemalt und wird dann vor dem Spiegel hingestellt. Wenn es irgendwie nach dem Punkt tastet oder sich verrenkt, um ihn anders zu sehen soll das der eindeutige Hinweis auf Selbsterkennung sein", flüsterte Julius. Barbara nickte. Dann wandte sie sich an die Dexters, die gerade "Warmes helles Licht oben Sonne" aus dem Cogison herausgekitzelt hatten, weil Demie einmal nach oben geblickt hatte, wo der ewige Feuerball im Zentrum des Sonnensystems in seiner ganzen sommerlichen Pracht vom wolkenlosen Himmel herableuchtete.

"Das Tier ist wirklich sehr begabt", staunte Samantha Dexter.

"Ich möchte, da Sie offenbar schon weiter gediehen sind als Sie selbst erwartet haben, die gezielte Suche nach gedachten Worten für einen kurzen Versuch anderer Art unterbrechen. Ich wurde gerade eben auf etwas gebracht, daß wir, also meine Großmutter mütterlicherseits, meine Mutter und ich bisher nie ausprobiert haben, um die Frage nach dem eigenen Selbstempfinden bei Latierre-Kühen zu klären. Jetzt, wo Ihr doch sehr vielversprechendes Artefakt die Frage nach der Selbsterkennung und Zuordnung anhand der eigenen Lage und Bedürfnisse halbwegs beantwortet hat, möchte ich einen Versuch machen, der von anderen Tierforschern und Heilern, die mit kleinen Kindern arbeiten schon längst als Standarduntersuchung verwendet wird."

"Ist jetzt, wo wir einen sehr ergiebigen Durchlauf haben nicht gerade praktisch, eine Pause einzulegen. Manche Ergebnisse können nur durch ununterbrochene Versuche erzielt werden", sagte Sam Dexter, bevor sie ihrem Bruder übersetzte, was Barbara wollte. Doch dieser nickte Barbara zu und sagte dann Julius zugewandt:

"Das wäre ein geniales Experiment, um die Frage nach der Selbstbeschreibung von Tierwesen für die Abstimmung der Cogisons zu klären. Bisher wurde hauptsächlich über den nur als Wort verinnerlichten Namen die Beziehung zum eigenen Zustand definiert. Womöglich können wir das ein für allemal klären, ob nicht doch sowas wie "Ich", "Mein" und "Mir" widergegeben werden kann." Julius übersetzte es, während Millie ihm den Rücken tätschelte wie einem Hund, der was tolles gemacht oder gefunden hat.

"Wie geht dieser Test?" Fragte Ruben, nachdem Julius vollständig übersetzt hatte und ihm zunickte. Julius beschrieb es. Da die Dexters ja nun wußten, daß Julius von echten Muggeln abstammte, brauchte er nicht groß zu erklären, in welcher Welt welche Forscher diesen Spiegelversuch machten. Dann deutete er auf das Wasser im Trog. Ruben nickte. Barbara stand auf und beschwor ein kleines Glas vor sich auf den Boden.

"Kirschmarmelade", sagte sie, als sie den Deckel abschraubte und mit einem kleinen Löffel eine Portion davon herausschöpfte. Sie ging zu Demeter, wobei das Cogison "Barbara vor Demeter" von sich gab, sprach beruhigend auf sie ein, während sie die Portion Kirschmarmelade zwischen Demeters Hörner zu einem großen roten Fleck verteilte. Dann schickte sie mit dem zeitlosen Versetzungszauber das Marmeladenglas wieder fort.

"Okay, Sam, bau den Spiegel auf!" Spornte Ruben seine Schwester an. "Du bist in Elementarzaubern unschlagbar."

"Wie du möchtest, Ruby", sagte Samantha und trat an den Wassertrog heran. Julius spitzte die Ohren und fixierte die Hexe und den Trog, um sich bloß nichts entgehen zu lassen. "Errecto!" Hörte er sie sagen. Mit einem vernehmlichen Rauschen erhob sich das Wasser im Trog und richtete sich zu einer glitzernden Wand auf, die über den Rand hinwegging und sich bis zum Boden spannte. Sam hielt den Zauberstab fest, als könne die kleinste Böe ihn ihr aus der Hand schlagen. "Liquimurus!" Sprach Samantha Dexter. Die errichtete Wasserwand wurde ruhig und starr. Julius meinte, auf die glatte Oberfläche eines Gartenteiches zu sehen, eher durch eine spiegelnde Glaswand. Die Wassertropfen bildeten der irdischen Schwerkraft zum Trotz eine stabile, in sich ruhige Wand.

"Wo hat die den Zauber denn gelernt. Ich glaube, ich schreibe Professeur Bellart an, warum wir den nicht gelernt haben", knurrte Martine.

"Faszinierend", bemerkte Julius und zog dabei seine rechte Augenbraue hoch.

"Ist ja voll stark", sagte Millie. "Das probieren wir in der Zauberkunst-Ag mal aus."

"Wenn der nicht besonders starke zauberkraft voraussetzt. Vielleicht bleibt die Wand nur eine Minute stabil", meinte Julius.

"So, Sie können Ihre Kuh nun prüfen, Madame Latierre", wandte sich Sam Dexter an Barbara. Julius fragte sie, wielange die von ihr gezauberte Wasserwand stehenbleiben konnte.

"Die bleibt mindestens einen ganzen Tag so stehen, wenn keiner versucht, sie mit der Hand oder mehr zu durchstoßen. Dann erst erlischt der Zauber, der die Wassermassen stabil gegen die Schwerkraft ausbalanciert und derjenige wird klatschnaß."

"Kann dieser Liquimurus nicht sofort gewirkt werden?" Fragte Julius.

"Sehr neugierig", lachte Ruben Dexter.

"Neh, ich will nur alles wissen, Sir", konterte Julius. Die beiden Geschwister aus New Orleans lachten erheitert, während Barbara Demie aufmunterte, sich hinzustellen und ein paar Schritte vorwärts zu gehen. Dann sah sie ihr Spiegelbild in der wie mit einem Hauch Silber überzogenen durchsichtigen Wand, blickte neugierig, dann verwundert. Dann legte sie ihren Kopf etwas nach links, wobei Julius genau sah, daß ihre goldbraunen Augen dem roten Fleck folgten, der zwischen den Hörnern des Spigelbildes zu erkennen war.

"Demeter in stehendem Wasser", sprach das Cogison, als Demie ihren Kopf zur anderen Seite drehte, ihn hob, senkte und einen Schritt weiter vor- und dann wieder zurücktrat.

"Quod erat demonstrandum spricht der Wissenschaftler, wenn er was beweisen will und das auch geschafft hat", sagte Julius zu Martine. Artemis Orchaud grinste mädchenhaft. Ihr Mann sah fasziniert auf Demeter, die nun langsam wieder zurückging, wobei das Cogison immer noch "Demiein stehendem Wasser" von sich gab, bis das Gerät auf eine kurze Manipulation mit dem silbernen Zusatzartefakt leise brummte und dann "Ich im stehenden Wasser" aussprach.

"Vielen Dank für diesen außerordentlich hilfreichen Versuch, Ladies and Gentlemen", sagte Ruben Dexter freudestrahlend wie ein Junge, der sein Lieblingsgeschenk bekommen oder im Sport alle überflügelt hatte. "Sam, mach die Wand wieder weg, bevor da noch was durchknallt!"

"Kein Problem", sagte Sam Dexter und deutete mit dem Zauberstab auf die aufrechtstehende Wasserfläche. "Disincanto addo repositum!" Hörte er sie sagen. Zunächst sah es so aus, als stürze die Wand aus Wasser in sich zusammen, bevor das ganze Wasser dann mit lautem Platsch im Trog landete. Ringsherum waren zwar kleine Pfützen zu erkennen, doch diese beseitigte Sam Dexter mit ungesagten Austrocknungszaubern.

"Da muß ich doch noch heftig ranklotzen", sagte Julius, der diese meisterhafte Wassermanipulation bewunderte.

"Wir haben jetzt tatsächlich das Cogison auf die Unterscheidung von selbstbezogenen Gedanken und äußeren Eindrücken umstellen können", sagte Ruben Dexter und wartete auf die Übersetzung. "Somit haben wir jetzt eine breitere Basis für die Einrichtung einer gewissen Verständigung mit Ihren Kühen, nicht nur mit Demeter."

"Würde mich sehr freuen", erwiderte Barbara darauf. Ihre Cousine strahlte Demie, dann Barbara und dann Julius an.

"Wir setzen unsere Abstimmungsreihe nun fort", sagte Sam Dexter auf Französisch und ging mit ihrem Bruder wieder daran, die bisher durchgeführten Abstimmungsversuche weiterzuführen.

Nach zehn Minuten erschien Ursuline Latierre in vierzig Metern Abstand und kam ohne auf eine Einladung zu warten heran, sagte jedoch kein Wort, bis Demies Cogison "Ursuline vor mir" von sich gab.

"Ja, dickes Mädchen. Ursuline ist da", sprach Millies Großmutter sehr glücklich und kam heran.

"Oh, ich fürchte, wir sind jetzt langsam zu viele", sagte Sam Dexter. Ursuline Latierre nickte ihr zu und sagte Barbara nur, daß mit ihren Zwillingen alles in Ordnung sei. Dann ging sie beschwingt wieder davon und verschwand vierzig Meter entfernt in leerer Luft.

"Hast du ihr mentiloquiert, was ihr gemacht habt?" Mentiloquierte Julius an Barbara.

"Was wir gemacht haben, Julius", berichtigte Barbara ihn für die anderen absolut unhörbar. "Ja, habe ich", bestätigte sie dann noch. Sie säuberte gerade Demies Stirn von dem Kirschmarmeladenfleck, um nicht Wespen oder andere Leckermäuler anzulocken.

Die Dexters werkelten noch zwanzig Minuten, wobei wie bei Julius am Morgen zwischendurch zusammenhängende Begriffe in Silbenströmen heraussprudelten. Artemis Orchaud und Julius halfen aus, um zu sagen, ob etwas nun ohne Verknüpfungen ausgesprochen wurde, bis nur noch Grundbegriffe wie "Hunger" "Sonne" und "Himmel", "Wind" und "Flügel" herausklangen. Dann durfte Barbara Latierre Demie gezielte Wörter zurufen, die dann nach einigen Sekunden aus dem Cogison echoten. Von da an ging es nun relativ schnell. Erst wurden gefühlsbetonte Begriffe als Wortgedanken ausgesprochen, dann gezielte Gegenstandsbegriffe, Körperteile, wobei Barbara sie an ihr zugänglichen Körperstellen berührte, sogar einmal auf einer heraufbeschworenen Leiter zu ihren Hörnern und Ohren hinaufkletterte. Julius fragte sich, ob Demies Gemütsruhe nicht ihre Grenzen hatte. Doch offenbar schien das Tierwesen die ganzen Versuche um und mit sich mit einem gewissen Interesse zu betrachten. Als Sam Dexter Julius kurz zu sich winkte und ihn fragte, ob er Demie kenne sagte sie ihm noch:

"Ich habe den Eindruck, daß dieses Tierwesen selbst sehr neugierig ist. Sowas habe ich bisher nur bei einem Kniesel in Viento del Sol erlebt."

"Sternenstaub?" Fragte Julius. Sam Dexter nickte. Dann bat sie Julius zu Barbara hinzugehen, die wieder von der Leiter herunterkletterte und sich etwas erschöpft den Schweiß von der Stirn tupfte.

"Ich habe immer noch zu viel auf den Hüften", stöhnte sie. "Aber sei es drum! Demie, kuck mal, wer da ist!" Julius stellte sich so vor Demie, daß sie sich nicht von ihm bedroht fühlte.

"Julius ist vor mir", klang es aus dem Cogison. Julius lächelte.

"Wunderbar. Das geht besser als erwartet. Dann dürfte die Anpassung an andere Exemplare keine zwei Minuten dauern", sagte Ruben Dexter.

"Mein Bauch brummt. Wasser in meinem Bauch drückt. Bauchwasser geht aus mir raus."

"Oh, die muß mal", sagte Julius und ging schnell zur Seite, bevor Demie sich erhob und dann leise schnaubend einen breiten gelben Wasserstrahl unter sich ließ. Der strenge Uringeruch übertönte den Kuhgeruch, an den sich die hier anwesenden Nasen schon längst gewöhnt hatten. Alle traten zurück. Ruben und Sam Dexter eilten mit dem silbernen Abstimmungsartefakt einige Meter zurück, manipulierten mit dem Zauberstab daran und kehrten zurück. Das Cogison schien sich zu räuspern. Sam sagte:

"Ab jetzt gibt es "Muß Wasser lassen" wider, wenn Ihre Kuh ein gewisses Drängen fühlt."

"Und bei größeren Geschäften?" Fragte Artemis Orchaud vorwitzig.

"Sagt das Cogison dann "Muß Kot lassen", Madame", antwortete Sam Dexter. "Diese Interpretation haben wir für im Haus zu haltende Tierwesen und für bewegungs- und sprachunfähige Hexen und Zauberer eingebaut."

"Führen wir Demie ein paar Meter von ihrer Hinterlassenschaft weg", schlug Barbara vor und Dirigierte die geflügelte Riesenkuh so, daß sie einige Dutzend Meter weiterlief und sich dann wieder hinlegte, wobei sie anfing, das hier wachsende Gras auszurupfen.

"Gibt sie noch Milch, oder laßt ihr sie jetzt, wo sie vielleicht trächtig ist?" Fragte Julius Barbara auf unhörbarem Weg.

"Solange wir die Trächtigkeit nicht eindeutig bestätigen können wir sie noch melken. Du weißt ja, sie tragen bis zu zwei Jahre."

"Vielleicht weiß sie's schon, ob sie was kleines kriegt", mentiloquierte Julius vorwitzig.

"Das können wir gleich überprüfen", antwortete sie in seinem Kopf.

"So, wir haben jetzt alle Verknüpfungsansätze und Umweltbeziehungen abgesteckt", sagte Ruben Dexter nach einer weiteren Viertelstunde, wo Barbara Demie gewünschte Worte zurief. Julius erfuhr dabei, ohne das die Dexters es ihm verraten mußten, daß auch die Verknüpfungsworte, die offenbar nicht ausgesprochen wurden, bei der Abstimmung halfen, als Vergleichslösungen und Ausweichmöglichkeiten sozusagen. Dann fragte Barbara:

"Demie wie geht es dir?"

"Ich fühle gut. Fühle Hunger, Fühle Milch in Euter drücken, fühle mich Mutter.""

"Wo ist dein Kind?" Fragte Barbara.

"In meinem Bauch. Noch Kann es nicht hören. Fühle das es da ist", sagte das Cogison, womit es Demies Gedanken widergab.

"Damit dürften sich unsere Bemühungen mehr als gelohnt haben", sagte Ruben Dexter.

"Demie ist in der Hinsicht ja auch schon sehr erfahren", sagte Barbara. "Das wäre dann Kalb Nummer sieben von ihr", erwiderte Barbara stolz, als bekäme sie das Kind. Dabei hatte sie gerade erst zwei zur Welt gebracht.

"Sie sehen, daß unser Artefakt sein Geld wert ist", pries Sam Dexter das Cogison. "Aber das liegt auch an dem Exemplar. Gut, daß Sie uns mit diesem sehr ruhigen Tier haben arbeiten lassen. Aber Sie wollten ja wissen, ob Sie das Cogison auch anderen Exemplaren anvertrauen können. Da wir besser in der Zeit liegen als gedacht können wir weitere Versuche damit machen."

"Nun, Temmie, dann kucken wir uns dein neues Transporttier an!" Sagte Barbara. Artemis Orchaud nickte. Hubert Orchaud fragte Ruben Dexter noch einmal nach dem Preis. Dieser sagte dann:

"Darüber möchte ich gerne ausschließlich mit den Herrschaften verhandeln, die unsere Erfindung zu erwerben wünschen."

"Wenn das Ding auch bei der vierbeinigen Artemis taugt kommen wir sicher zusammen, Monsieur", sagte Monsieur Orchaud.

"Wenn du dich da mal nicht verhebst", dachte Julius, der sich vorstellen konnte, daß eine Jumboversion eines exzellent funktionierenden Cogisons tausend Galleonen kosten könnte.

"So, gut, Demie. Warst ein ganz braves Mädchen", sprach Barbara auf Demeter ein, während sie auf Ruben Dexters Anleitung hin das Cogison wieder losband. Demie muhte. Dann tätschelte Barbara die linke Vorderflanke der geflügelten Kuh und winkte dann die Gäste und die geladenen Zauberkunstexperten zu sich.

"Martine, du bringst deine Schwester zur Nordweide! Ich bringe Julius mit."

"Geht klar, Tante Babs", sagte Martine.

"Dann wollen wir mal", sagte Barbara.

"Kann ich das Latierre-Kuh-Cogison mal in die Hand nehmen, um zu fühlen, wie schwer es ist?" Fragte Julius. Sam Dexter gab es ihm. Es hatte wirklich ein gutes Gewicht, fand Julius.

Barbara sagte Demie, sie könne schon zum Milchhaus. Die geflügelte Kuh machte keine Geste, mit der sie zeigte, ob sie verstanden hatte. Sie trottete einfach los, galoppierte dann an und hob ab. Barbara ließ die gezeichneten Stühle verschwinden. Den Trog füllte sie noch einmal ganz mit Wasser auf. Dann nahm sie Julius bei der Hand und disapparierte mit ihm.

Die Orchauds nahmen die Dexters mit auf die Apparition auf die Nordweide, die ungefähr zwei Kilometer weit entfernt war.

"Spart doch 'ne Menge Zeit", sagte Julius, als sie alle auf der kniehohen Wiese standen. Barbara nickte und sah sich um. Aber da kam die geflügelte Kuh Artemis schon angesegelt. Barbara rief sie mit der merkwürdig tiefen Stimme an und brachte sie zur Landung. Sie tänzelte auf sie zu. Doch hinlegen wollte sie sich nicht.

"Sie ist wirklich noch sehr verspielt", stellte die zweibeinige Artemis fest. Dann sah die noch junge Latierre-Kuh, wer noch alles da war und blickte Julius und Millie an.

"Ja, Mädel, die sind auch schon mal mit dir geflogen", sagte Barbara sanft klingend. "Komm, Temmie! Hinlegen! Teeemmiiiiie, Hiiiinleeegen!" Die geflügelte Kuh sah nur Millie und Julius an. Martine winkte ihrer Schwester, zu ihr zu kommen. Als Millie hinüberging wandte sich die Flügelkuh Temmie alleine Julius zu, der ohne zu wissen warum einen Schritt auf sie zumachte. Sie ging auf ihn zu, den Kopf erhoben. Dann stand sie vor ihm.

"Beweg dich mal nicht, wenn sie dich beschnuppern will", mentiloquierte Barbara. Julius blieb stehen und sah Temmie in die großen, tiefbraunen Augen.

"Bist du ein großes Mädchen", sagte er leise und mit tiefer Stimme. Temmie senkte ihren Kopf. Dann streckte sie ihre Beine langsam von sich und kam zum liegen.

"Hast du ihr das Kommando gegeben, Julius?" Fragte Barbara etwas ungehalten.

"Nein, habe ich nicht", erwiderte Julius, während die junge Flügelkuh genüßlich schnaufte und Julius sich die Nase zuhielt, um die Ausdünstung aus dem großen Leib der Kuh nicht einatmen zu müssen. Er ging einen Meter weit zurück. Barbara kam nicht zu schnell aber auch nicht gerade gemütlich zu ihm herüber und turnte auf das wuchtige rechte Vorderbein der liegenden Temmie hinauf. Artemis Orchaud beobachtete sie und Julius, während Barbara das Cogison ordentlich umlegte. Sam Dexter gesellte sich zu Barbara und berührte, als sie auf Höhe des Cogisons war die Verbindungsstelle. Kaum war das passiert klangen die Worte: "Bin Temmie! Liege auf Gras. Der in mir war ist vor mir."

"Ui, schon ziemlich gut. Aber irgendwas stimmt da noch nicht so ganz", sagte Sam Dexter. Sie turnte von Temmies Bein herunter und suchte das silberne Abstimmungsartefakt. Julius sah die geflügelte Kuh verdutzt an. Hatte dieses Wesen etwa mitbekommen, wie er in wilder Panik ohne zu wissen wie ihren Körper übernommen und sie einige Sekunden lang wie seinen eigenen Körper bewegt hatte? Dann würde das Cogison das richtige sagen.

"Sam, die Abstimmung ist bereits perfekt. Das Artefakt hat sich unverzüglich auf das neue Exemplar derselben Species eingestimmt", sagte Ruben.

"Ja, aber du wirst doch nicht glauben, daß der Junge da in diesem Tier ... richtig drin war."

"Das war bestimmt eine Überlagerung von Zustandssachen. "Auf mir" hat sie wohl gemeint", sagte Julius schnell. Natürlich erschien ihm das logisch. "Ich bin schon mit Mildrid hier auf ihr geritten. Vielleicht kann das Cogison nicht sofort unterscheiden, wo wer ihren Körper berührt hat, wenn das schon einige Zeit her ist."

"Ja, stimmt, wir waren in den Osterferien hier", bestätigte Millie.

"Schon interessant, daß diese Exemplare auch zwischen Vergangenheit und Gegenwart unterscheiden können", bemerkte Hubert Orchaud.

"Exemplare, Hubi? Die da wird unsere", erwiderte Artemis Orchaud.

"Nun, das läßt sich ja prüfen", sagte Sam Dexter und bat Barbara, die auf dem Boden liegende Latierre-Kuh zu fragen, wen sie sähe.

"Da vor mir ist der junge Mensch, der in mir war", erklang es aus dem Cogison. Barbara winkte Millie zu Julius hin. "Die da war mit ihm bei mir", ertönte das Cogison.

"Mädel, du wirst doch wohl nicht behaupten, daß ich auch in dir drin war", sagte Millie verschmitzt grinsend.

"Platz genug wäre ja gewesen", flüsterte Julius ihr zu.

"Probieren wir was anderes", sagte Sam Dexter. "Offenbar haben wir es hier mit kleinen Fehlern zu tun, die unbedeutend sein können. Geht bitte aus dem Blickfeld der Kuh!"

"Geht klar", sagte Julius und zog sich mit Millie erst nach hinten zurück und dann zur Seite. Doch Artemis folgte ihnen mit ihrem Blick und stand dann auf.

"Oha, das geht schief", dachte Julius und winkte Martine. Diese kam herüber, während die Kuh Artemis auf sie zustampfte.

"Bring uns ins Haupthaus!" Mentiloquierte Julius Martine, während die Latierre-Kuh nun wieder vor ihm stand und ihn treuherzig, ja mit einer Spur Ergebenheit von oben herab anblickte. Er hielt sich an Martines Arm fest. Millie sah ihn erst an. Martine zog Millie zu sich heran. Die junge Latierre-Kuh gab ein behagliches Schnaufen von sich. Aus dem Cogison klangen die Worte: "Komm zu mir! Sei bei mir!"

"Entschuldigung, was hat der Junge ..." Den rest von Ruben Dexters Frage hörte Julius nicht, weil Martine ihn und Mildrid mit sich durch den engen Verbindungstunnel durch Raum und Zeit zog. Als der Weg zum Hauptwohnhaus um sie herum Gestalt gewann meinte Millie:

"Also das fehlte noch, daß eine von Demies Töchtern dich mir wegnehmen will. Nicht für die dreißig Sekunden, Monju."

"Was hast du mit der geflügelten Artemis denn für neckische Spiele getrieben, nachdem du dich mit meiner Schwester ausgetobt hast?" Fragte Martine leise. Julius bat sie, ihn und Millie irgendwohin zu begleiten, wo sie keiner hören konnte. Sie nickte.

Als sie im Wohnhaus ankamen war es dort total still. Julius wollte den Umhang loswerden und am Besten noch eine Dusche oder ein Bad nehmen. Mildrid meinte zu Martine:

"Ich habe dir doch die Sache erzählt, wo wir auf Temmie, also der mit den Flügeln und den Hörnern, geritten sind. Das war an dem Tag, wo die Sauerei mit der falschen Belle gelaufen ist."

"Ach, wo Julius den Körper dieser Kuh übernommen hat, um sie von ihren Cousinen wegzutreiben?" Fragte Martine leise. "Stimmt, das muß nicht unbedingt jeder wissen. Aber daß Temmie sich das gemerkt hat."

"Das war wohl das heftigste, was der bisher passiert ist", meinte Julius verstimmt. Millie meinte:

"Kannst du mal sehen, der hat das auch gefallen, mit dir richtig innig zu sein."

"Ja, aber nicht so wie es üblich ist", stieß Julius aus.

"Oma Line wird das amüsieren, daß eine von Demies Töchtern sich in dich verknallt hat."

"Ha, Lustig, Tine", knurrte Millie.

"Na, du wirst doch nicht auf Demies zweitjüngste Tochter eifersüchtig sein. Da hättest du aber schlechte Karten, wenn die um ihn kämpfen wollte", feixte Martine, um dann ohne Übergang in den gestrengen Große-Schwester-Modus zurückzuschalten. "Wie gesagt, das geht außer denen, die für die Tiere zuständig sind keinen was an. An deiner Stelle würde ich mich nicht darauf einlassen, mit Temmie zu fliegen, Julius. Vielleicht erinnert sie sich ja, was damals dieses einprägsame Erlebnis hervorgerufen hat."

"Oha, das muß ich echt nicht noch mal haben", sagte Julius.

"Ja, und nachher passiert dir das echt noch einmal, und die läßt dich dann nicht mehr du selbst sein", sagte Millie.

"Das Thema hatten wir doch schon", seufzte Julius, der sich an dieses Ereignis genausogut erinnern konnte wie das was danach noch gekommen war und was er auch nicht noch einmal erleben wollte.

"Ich melo Tante Babs an, daß ihr besser im Haus bleibt. Nachher meint die geflügelte Temmie noch, dich wegen ihm anzustupsen, Millie", sagte Martine. Millie nickte.

"Ich fürchte, ihr dürft mich heute nicht aus dem Haus lassen", sagte Julius. "Nachher sucht die mich noch."

"Soll ich dich zu Miriam in die Wiege legen und dir "Kleines kind, was bist du müd'" vorsingen, Monju?" Fragte Mildrid leicht ungehalten. "Wir sind alle hier, um die Ankunft meiner Schwester, deiner jungen Nachbarin Claudine und der vielen anderen Babys zu feiern. Und ich will mit dir in Tante Babs' Geburtstag reintanzen. Aber schon fies, daß ich jetzt nach Belisama mit einer von Tante Babs' dicken Mädels konkurrieren soll."

"Tante Babs hat gerade gemelot, ich soll dich, Julius, wieder zu ihr bringen, weil Temmie sich jetzt komplett verweigert. Du müßtest ja nicht noch mal ihren Körper überstreifen."

"Wie komisch, Tine", knurrte Millie.

"Nur kein Neid, Mildrid, weil du keine vier Tonnen schwer bist und keine weiche Wolle an dir hast."

"Und keine Hörner, Martine. Aber ich kann dir gerne einen großen Fladen vor die Füße fallen lassen, wenn du so weitermachst", knurrte Millie. Martine lachte nur, fing Julius mit dem linken Arm ein und verschwand mit ihm, bevor Millie sich an ihr festhalten konnte.

"In Ordnung, Julius. Der schnelle Rückzug war schon in Ordnung", sagte Barbara. "Aber um die junge Wilde davon abzubringen, nur noch nach dir zu suchen, werden wir beide und die Orchauds jetzt den geplanten Ausritt mit ihr durchführen." Dann sah sie Martine an und grinste mädchenhaft. "Ist deine Schwester eifersüchtig auf Artemis?"

"So viel kann sie nicht essen, um Temmies Kampfgewicht zu erreichen", sagte Martine schadenfroh.

"Verstehe", lachte Barbara. Dann sahen sie, wie Temmie immer noch mit dem Cogison um den Hals angeflogen kam und landete.

"Die hat doch nicht echt nach mir gesucht, oder?" Wollte Julius wissen.

"Sie ist losgeflogen und dann einige hundert Meter nach oben gestiegen. Zum Glück habe ich um das Wohnhaus ja den Einflugabwehrbann, daß die Mädels und Jungs nicht bei uns ins Wohnzimmer hineinkrachen können."

"Wir lassen sie und Goldschweif gegeneinander antreten", schlug Martine vor.

"Du, ein kleines Raubtier kann einen großen Pflanzenfresser fertigmachen", wandte Julius ein, als die geflügelte Artemis landete. Die Dexters baten Barbara darum, das Cogison wieder abzunehmen, solange sie nicht eindeutig gesagt hatte, daß sie es kaufen wolle. Barbara nickte und brachte die geflügelte Kuh dazu, sich wieder hinzulegen. Schnell aber nicht übereilt entfernte Barbara das Cogison und gab es den Dexters zurück. Diese fragten, ob sie noch ein etwas berechenbareres Exemplar hätte. Barbara nickte. Dann stand sie einen Moment lang stumm da, als müsse sie sich auf irgendwen oder irgendwas konzentrieren. Es dauerte zwanzig Sekunden. Dann erschien ihre Schwester Hippolyte.

"Huch, warum du?" Fragte Barbara.

"Ich kann auch mit deinen Lieblingen fliegen, Schwester. Maman ist gerade sehr beschäftigt."

"Natürlich", knurrte Barbara. "In Ordnung, dann zeigst du unserer Cousine, wie die, die so heißt wie sie zu steuern ist und nimmst ihn hier bitte mit!"

"Mach ich, kleine Schwester", sagte Hippolyte Latierre und begrüßte dann die Dexters, die im Moment nicht recht wußten, ob sie noch gebraucht wurden. Mit einem Apportierzauber holte Hippolyte einen sattelähnlichen Aufsatz für vier Personen aus dem Nichts. Zumindest war sich Julius sicher, daß es ein Apportierzauber sein mußte, weil so große Gegenstände selbst für geübte Zauberer und Hexen nicht mal eben so aus dem Nichts erschaffen werden konnten und daher von ainem bekannten Ort zeitlos und von festen Mauern und geschlossenen Türen unbeeindruckt herbeigeholt werden mußten. Barbara half ihrer Schwester noch, den Aufsatz mit den vier hochlehnigen Schalensitzen auf Temmies Rücken zu befestigen. Dann winkte sie den Dexters und lotste sie hinter sich her.

"Soll ich deiner zweiten Tochter sagen, daß du ihn mit ihrer Rivalin zusammen ausführst, Maman?" Fragte Martine.

"Das kann sie sich denken. Aber sag es ihr."

"Gut, mach ich", erwiderte Martine und disapparierte.

Die geflügelte Kuh wartete, wobei sie Julius genau beobachtete, bis die Orchauds, Hippolyte und Julius über eine kleine Holztreppe nach obengeklettert waren. Dann ketteten sich alle an. Keine Sekunde zu Früh. Temmie trabte an.

"Hallo, wirst du wohl warten!" Rief Hippolyte sehr erbost und zog an den Lenkketten. Temmie schnaubte ungehalten und verfiel in Schritt.

"Also, die junge Wilde ist noch nicht ganz allgemeintauglich", sagte Hippolyte zu ihrer Cousine.

"Merk ich gerade", lachte Artemis Orchaud. Dann durfte sie die Führketten übernehmen und die bereits gelernten Kommandos anbringen. Temmie lief an und hob ab. Fünf Minuten lang flogen sie ruhig dahin. Dann befand die junge Flügelkuh, daß sie toben wollte und flog wilde Manöver. Die vier Reiter hielten sich nur dank der dünnen Körperketten auf dem fliegenden Ungetüm, das sich von Artemis' Kommandos und wilden Zugbewegungen an den Führketten nicht groß beeindrucken ließ.

"Neh, komm, lass das mit diesem Biest!" Rief Hubert leicht verängstigt. Julius ahnte, daß Temmie austesten wollte, ob sie dieses für sie offenbar nicht unangenehme Erlebnis wiederholen konnte. Doch damals hatte sie sich mit zwei Cousinen von ihr ein wildes Kunstflugballett geliefert. Die beiden andren Jungkühe waren aber zum Glück nicht zu sehen.

"Ich übernehme, Temmie", gebot Hippolyte und griff nach den Führketten. "Temmie, ruuuhig! Gaaanz ruuuuhig!" Kommandierte sie. Die geflügelte Kuh wurde etwas ruhiger, wohl weil Hippolyte wesentlich energischer an den Führketten zog oder einen bestimmten Zugwinkel einhielt, der die Trense in Temmies Maul unangenehm zog oder drückte.

"Also, ich kriege mit Babs heute noch einmal richtig Ärger", knurrte Hippolyte, als die geflügelte Kuh sich über die Hilfen hinwegzusetzen versuchte.

"Irgendwas ist aus diesem Cogison gekommen, daß Julius in der hier dringewesen sein soll", meinte Madame Orchaud etwas beklommen klingend.

"Das war ein magischer Sonderfall, Madame", sagte Julius. "Die hat mit ihren Cousinen Fangen gespielt, und bei mir hat das eine gewisse Angst ausgelöst. Da muß ich irgendwie vollständige Körperkontrolle über sie bekommen haben und konnte sie von ihren verspielten Basen wegbringen. Wie genau das ging weiß ich nicht, und will es auch nicht wiederholen. Weil Mildrid mir in den Arm gekniffen hat ist die Verbindung wieder getrennt worden."

"Offenbar hast du dich damit zum Alphamännchen gemacht, zumindest was sie angeht", sagte Hippolyte. Hubert Orchaud sah sie perplex an. Als die geflügelte Temmie nun ansatzlos fast im 90-Grad-Winkel nach oben stieg und in den immer noch wolkenlosen Himmel hineinstieß, schrien alle erst einmal. Julius mußte sich beherrschen, nicht zu viel Angst zu bekommen. Wenn dieses zusammengekreuzte Monsterkalb ihn wieder dazu trieb, daß sein Geist wieder in ihren Körper fuhr und ihr das wirklich gefallen hatte oder es für sie ein Zeichen von Überlegenheit war, wußte niemand, ob ihm das Tier dann nicht auch nachlief wie Goldschweif. Wäre zwar 'ne tolle Schau, auf diesem wilden Rodeorind nach Beauxbatons zu reiten, aber nicht gerade das, was seine Mutter und er sich unter guten Ferien vorgestellt hatten. Denn dann würde Barbara Latierre ihn nicht von ihrem Hof herunterlassen. Andererseits wurden die Latierre-Kühe durch Rückhaltezauber daran gehindert, auf und davon zu fliegen. Wenn ihn Martine oder jemand anderes aus dem Wirkungsbereich der Sperre brachte konnte Temmie lange nach ihm suchen.

Mindestens einen Kilometer ging es nach oben, bevor die geflügelte Kuh sich nach vorne warf und in wilden Kurven dem Erdboden zusteuerte.

"Julius, nimm die Ketten!" Rief Hippolyte. Julius nahm die Ketten von ihr in die Hände und kommandierte Temmie, die unvermittelt ruhiger wurde. Er flog sie nun eine Weile über die Weiden herum. Wenn sie landen wollte, hielt er sie mit kräftigen Zugbewegungen oben, zog ihr quasi die Hörner in den Nacken. Sie ließ es sich gefallen, machte keine weiteren Fachsen.

"Ich übergebe sie gleich an Sie, Madame Orchaud", sagte Julius, als er Temmie einige Male weite Figuren hatte ausfliegen lassen. "Hörst du, Temmie? Brav sein, wenn Artemis dich hat!" Sagte er. Doch Temmie schnaubte nur ungehalten. Julius befand, sie noch einmal richtig jagen zu müssen. Er erinnerte sich daran, wie seine Grundschulkameradin Moira, die damals von Pferden und Reiterhöfen geschwärmt hatte, was erzählt hatte, daß wilde Pferde ordentlich angetrieben werden mußten, bis sie von sich aus folgsam die Zügel- und Schenkelsignale des Reiters befolgten.

"Ich treibe die jetzt noch einmal richtig wild an", flüsterte er Monsieur Orchaud zu, der sichtlich bleich um die Nase war und seiner Frau immer wieder vorwurfsvolle Blicke zuwarf. Dann begann das Luftrodeo.

Julius stieß die Wu-Wu-Wu-Laute aus, mit denen Ursuline einmal Demie zum superschnellen Flug angetrieben hatte. Temmie reagierte auch auf dieses Kommando, schien sich sogar zu freuen, daß Julius endlich mit ihr richtig spielte. Zwanzig Minuten lang ließ Julius sie mal frei, dann unter energischen Lenkbewegungen durch die Luft preschen, sich rollen, hochsteigen, durchsinken, im Zickzack und in wilden Loopings fliegen. Monsieur Orchaud protestierte immer wieder, doch seine Frau empfand diese Maßnahme sehr lehrreich.

"Du willst sie müde machen, Julius?" Fragte Hippolyte.

"Müde? Ich mach das Mädel jetzt sowas von fertig, daß die mir aus dem Weg geht", erwiderte Julius entschlossen und trieb Temmie zu weiteren wilden Manövern, ließ sie beschleunigen, abbremsen, sich herumwerfen, daß ihre Flügel sich fast ineinander verkeilten. Temmie schnaufte und ächzte wie eine bergauf fahrende Dampflokomotive. Julius fühlte jedoch schon, daß ihm die Arme schwer wurden. Womöglich war es das wilde Mädchen, daß ihn sowas von fertigmachen würde, wenn er sie irgendwann nicht mehr führen konnte. Doch er gab nicht auf.

"Ich denke, Junge, du hast dich gewaltig verhoben", sagte Hubert Orchaud.

"Erst wenn ich meine Arme nicht mehr bewegen kann", knurrte Julius kampfeslustig. Temmie versuchte derweil, auf den Boden hinunterzusinken. Doch er riss sie zurück und trieb sie weiter an.

"Julius, die spielt mit dir. Die tut jetzt so, als wolle sie landen, damit du sie losläßt", sagte Hippolyte. "Die drallen Mädel von Babs können mehrere Stunden am Stück fliegen, wie du weißt."

"Ja, aber nur, wenn sie ihren Gleichklang haben und nicht immer voll in die Bremsen steigen oder sich wild überschlagen müssen", knurrte Julius. Temmie versuchte derweil wieder, zu Boden zu sinken. Julius ließ sie einige hundert Meter sinken und zerrte wieder an den Führketten. Seine Finger wurden von der Anstrengung schon taub. Er kam sich vor, als habe er schlechtkonstruierte Bionikprothesen, die immer schwerfälliger auf seine Gedankenbefehle ansprachen. Als er bei dem zehnten Landeversuch keine Kraft mehr aufbringen konnte, ließ er Temmie durchsinken und wild keuchend und aus dem Bauch heraus brummend und grummelnd landen.

"So, Leute, die und ich sind fertig", sagte Julius und übergab die Führketten an Artemis Orchaud.

"Ich nehme lieber einen Besen", bemerkte Monsieur Orchaud. "Das vergessen wir besser, dieses Ungetüm zu kaufen, Temmie!"

"Wir sind ja noch vier Tage hier, Hubert. Babs hat sie extra für mich reserviert. Außerdem wollte ich die nicht kaufen, sondern mieten", widersprach Madame Orchaud.

Was auch Geld kostet", sagte Monsieur Orchaud. Die geflügelte Kuh setzte auf, ohne einzuknicken. Doch ihre Flügel sackten zu den Seiten und hingen schlaff herunter.

"So, Mädel, mir rennst du nicht mehr so schnell nach", triumphierte Julius, der jedoch seine überschweren Arme nicht mehr heben konnte.

"Ich probiere das in zehn Minuten aus", sagte Artemis Orchaud. "Womöglich kann ich sie dann besser lenken. War auf jeden Fall eine sehr eindrucksvolle Vorführung, was die alles kann."

Die geflügelte Kuh legte sich hin. Sie keuchte und schnaufte.

"Dann steigen wir besser ab", sagte Hippolyte. Sie ließ die Holztreppe soweit hinunter wie nötig war. Dann löste sie die Halteketten um ihren und Julius Körper. Auch die Orchauds lösten ihre Ketten und verließen zuerst Temmies nun vor Schweiß glitzernden Rücken.

"Oha, die müssen wir vorsichtig abkühlen", befand Julius, als sie wieder auf festem Boden standen. Fester Boden: Irgendwie meinte Julius, auf einem großen, schaukelnden Schiff zu stehen. Sein Gleichgewichtssinn hatte offenbar arg unter dem Luftrodeo gelitten.

"Ich hoffe, Babs revanchiert sich dafür, daß ich ihre Kleinen an mir sattgehalten habe", seufzte Hippolyte. "Ich muß erst mal selbst wieder munter werden, bevor ich Miriam wieder anlegen kann."

"Wie pflegt man diese Tiere ordentlich, wenn die so einer wie ich fast zu Schanden geritten hat?" Fragte Julius.

"Wenn sie so in Schweiß geraten sind abreiben und zudecken", sagte Hippolyte Latierre und vollführte Trocknungs- und Kämmzauber, um die Wolle der geflügelten Kuh wieder auf Vordermann zu bringen. Barbara Latierre traf einige Minuten später ein und besah sich was passiert war.

"Das hatte sie offenbar mal nötig", sagte die Besitzerin dieser Flügelkuh schmunzelnd. "Aber ich werde sie in einer Viertelstunde wieder nehmen und mit Artemis Orchaud die Flugübungen machen. So erschöpft wie sie jetzt ist wird sie sich nicht mehr groß verweigern und dir wohl im Moment auch nicht mehr hinterherlaufen, Julius." Sie sah Julius aufmunternd an. Dann bemerkte sie, daß er seine Arme nicht mehr richtig bewegen konnte. "Bist wohl heute an deine Leistungsgrenzen gekommen, junger Mann, wie? Aber das Schwermachertraining zahlt sich wohl doch aus."

"Hätte ich mit rechnen müssen, daß mir das in die Arme geht", meinte Julius ruhig.

"Trice gibt dir gleich entweder den Myoregenium-Trank oder legt dich übers Knie, weil du ihre Heilkunst so schamlos beanspruchst", sagte Hippolyte.

"Vielleicht geht's auch ohne den Trank", sagte Julius, der sich nicht unterkriegen lassen wollte.

"Du willst doch nicht mit lahmen Armen beim Tanzen mitmachen, Julius. Das würden meine beiden schon laufenden Töchter dir nicht durchgehen lassen, geschweige denn meine Mutter und Babs' Grazien."

"Die Freuen sich schon drauf", sagte Barbara kategorisch. "Abgesehen von Raphaelle und ihren Töchtern, die bestimmt auch nicht mit einem erschöpften Jungzauberer auf die Tanzfläche gehen wollen. Wer sagt's Trice?"

"Das muß dann wohl ich machen, weil ich den Drachenmist verzapft habe", sagte Julius.

"Ich habe sie schon anmentiloquiert", sagte Hippolyte. "Sie waartet vor dem Gästezimmer, in dem deine Mutter und du übernachten sollt auf dich, Julius."

"Ich hoffe, sie berechnet mir nicht all zu viel", sagte Julius.

"Das mußt du mit ihr klären", lachte Hippolyte Latierre, umfaßte Julius Hüfte mit dem linken Arm und disapparierte mit ihm.

Zurück im Wohnhaus wartete Béatrice wirklich auf ihn.

"Deine und meine Mutter haben sich mal wieder ihrer großen Leidenschaft hingegeben, Julius. Was hast du heute angestellt?" Julius sagte, er habe mit der geflügelten Artemis flotte Tänze in der Luft vollführt.

"Ach, die, die dich Millie ausspannen will? - Guck mich nicht wieder so komisch an, als dürfte ich was nicht wissen, Julius!" Lachte Béatrice Latierre und gab Julius den Muskelerholungstrank. Er meinte, ein zentnerschweres Faß mit einer Hand anheben zu müssen, als er das Glas hob und dann vorsichtig den prickelnden Inhalt bis zur Neige in sich hineinschüttete.

"Ich dachte, meine Mutter wollte heute abend auch bei der Babybegrüßungsfeier dabeisein", wunderte sich Julius laut genug, daß seine Mutter im Zimmer dies wohl hören mußte.

"Sind wir auch!" Rief Martha Andrews. "Aber ich kann mir diese dreiste Herausforderung von Ursuline nicht bieten lassen."

"Ich wollte deine Erfahrung und Kenntnis nicht mit so durchschaubaren Zügen beleidigen, Martha", erwiderte Ursuline Latierre.

"Wo kann ich denn hier duschen und meine Sachen wechseln?" Fragte Julius. Béatrice bot ihm an, ihn zu einem freien Badezimmer zu führen. Er holte sich rasch Unterzeug und seine Festbekleidung, wobei er den weinroten Festumhang auswählte.

Nach einer entspannenden Viertelstunde in einem komfortablen Badezimmer mit separater Badewanne und Dusche kam Julius bereits festlich bekleidet in das Esszimmer. Er verglich seine Weltzeituhr mit der Uhr von Barbara und Jean Latierre. Jean meinte verschmitzt grinsend zu ihm:

"Meine Babs wird ihre Nichte Miriam wohl noch einmal trinken lassen. Ich glaube nicht, daß Miriam schon alt genug für Schlagsahne ist."

"Wie kommst du darauf, Jean?" Fragte Julius, hier das familiäre Du verwendend, daß ihm die Latierres zu Weihnachten angeboten hatten.

"Sie hat mir erzählt, du hättest mit Temmie Orchauds anvisierter Neuerwerbung die wildesten Manöver ausgeflogen und sie sich nicht sicher sei, ob sie im Moment flüssige Milch vorrätig hätte", feixte Jean Latierre.

"Damit kenne ich mich nicht aus. Ich weiß nur, wie die kleinen Kinder zusammengebaut werden. Mit der Erstveröffentlichung und der regelmäßigen Wartung habe ich dann nicht viel zu schaffen", erwiderte Julius frech.

"Hast du eine Ahnung, junger Mann", lachte Jean. "Wenn nicht wie heute der Luxus von Reisewindeln gestattet wird darf ich mich mit Babs abwechseln. Aber für das andre ist sie allein verantwortlich."

"Lästerst du über mich, Jean?" Fragte Hippolyte, die gerade mit ihrer Tochter in den Armen hereinkam. Julius sah sie an und meinte, er hätte es vielleicht nicht so übertreiben sollen.

"Hast Glück gehabt, Julius. Miriam hat sich nicht beschwert. Babs hat mit zweien doch genug."

"Och, du hättest sie auch Raphaelle geben können. Die könnte vier auf einmal großkriegen", spottete Jean.

"Nur kein Neid, weil Michel sie dir damals weggeschnappt hat. Immerhin hast du mit meiner Schwester Babs jetzt auch von jeder Sorte zwei hinbekommen."

"Das wird noch lustig, wenn die beiden Burschen mir in den Ohren liegen, weil ihre großen Schwestern ihnen zu stark werden. Babs behauptet ja, die Latierre-Kuhmilch stärkt nur Hexenmädchen."

"Dann habt ihr jetzt die Gelegenheit, das zu beweisen oder zu widerlegen", meinte Hippolyte und setzte sich an den Tisch, den im Moment nur drei Stühle umstanden. Julius ließ sich nach kurzer wortloser Rückfrage neben Hippolyte nieder.

"Und, hat Trice dir eine Rechnung geschrieben?"

"Sie meinte, ich sollte mindestens drei Tänze für sie reservieren und mich in Zukunft von allen Mädchen und Frauen fernhalten, die mehr als vier Zentner wiegen."

"Oh, das wird Belle-Maman Ursuline aber nicht gerade freuen, daß sie dir jetzt verboten ist", feixte Jean.

"Öhm, sie wiegt nur drei Zentner, du Spottdrossel. Meine kleinen Schwestern haben ihr über fünfzig Kilogramm wieder aus dem Körper gesaugt."

"Echt?!" Tat Jean verwundert.

"Abgesehen davon fragt sie immer noch häufig, ob du noch an die zehn ihr zugesagten Schachpartien denkst."

"Die spielt doch schon wieder gegen ihm seine Mutter hier", sagte Jean. Julius nickte.

"Kann nur hoffen, daß ich dieses Jahr in Millemerveilles nicht schon im Eröffnungsspiel gegen sie antreten muß. Sonst kriege ich Ärger mit Madame Faucon und Madame Delamontagne."

"Hast du mal gegen sie gewonnen?" Fragte Jean. Julius schüttelte den Kopf.

So plauderten sie noch einige Zeit über Schach, Quidditch und die Latierre-Kühe, bis Barbara Latierre mit den Dexters hereinkam, die sich verabschieden wollten. Ruben sagte zu Julius:

"Es war uns eine sehr große Hilfe, daß Sie uns bei der Einstimmung des Cogisons geholfen haben. Und falls Sie doch noch US-amerikanische Lizenznehmer für Ihre Zauberlaterne suchen, haben Sie ja unsere Adresse."

"Ich hoffe, der Nachmittag war für Sie in jeder Hinsicht ein Erfolg, Sir", sagte Julius.

"In der Tat, in jeder Hinsicht", bestätigte Mr. Dexter. Dann verabschiedete sich seine Schwester noch von Julius. Jean Latierre nickte den beiden zu. Er würde sie wieder zum Ausgangskreis nach Paris bringen, von wo aus sie direkt per Reisesphäre in den Weißrosenweg von New Orleans zurückkehren konnten.

Als sich alle, die den Nachmittag draußen zugebracht hatten zum Fest umgezogen hatten und Martha Andrews und Ursuline Latierre die angefangene Schachpartie schweren Herzens unterbrochen hatten, führte Martha Andrews ihren Sohn zur Festwiese. Dort begann die große Feier mit einer Verlesung aller Namen der neugeborenen Kinder:

"Boreas und Notus", verkündete Ursuline und deutete auf Barbaras Kinder. "Nestor und Norbert", wobei sie auf Raphaelle Montferre mit ihren beiden Zwillingssöhnen deutete, "Pierre und Pericles", wobei sie auf die Zwillingssöhne von Otto und Josianne Latierre deutete. Ottos Frau war immer noch kugelrund von der überstandenen Schwangerschaft, währen Barbara und Hippolyte nicht zuviel zugenommen hatten. "Dann haben wir noch Miriam Latierre", wobei Ursuline lächelnd auf Hippolyte deutete, die ihre Tochter wie eine Trophäe präsentierte. "Ja, und diejenige, die den Reigen neuer Kindlein eröffnet hat, Claudine Brickston." Catherine strahlte mit der Sonne um die Wette, als sie mit ihrer jüngsten Tochter die Anwesenden besah. Nun klatschten alle, die freie Hände hatten Applaus für die Neuankömmlinge, die das offenbar nicht so recht zu schätzen wußten. Denn Miriam begann zu weinen, worauf die Zwillinge von Otto und Josianne richtig losschrien. Alle lachten und versuchten, die aufgebrachten Säuglinge mit albernen Grimassen und Worten aus der Babysprache zu erheitern.

"Julius, ich habe mich durchgesetzt", erklang in Julius' Kopf die Stimme von Barbara van Heldern. "Charles hat protestiert, sich mit Gewalt in meinem Leib verkeilt und mich um jeden Zentimeter kämpfen lassen, bis sein Kopf endlich draußen war. Ich habe echt geglaubt, er wehrt sich dagegen, mit seinen Tanten Été und Lunette den gleichen Geburtstag zu haben. Aber ich habe mich durchgesetzt. Jetzt feiert er mit Viviane denselben Geburtstag. Basta! Bist du noch bei meiner Namensvetterin bei den fliegenden Kühen?"

"Ja, bin ich noch. Herzlichen Glückwunsch, Barbara", schickte Julius zurück, nachdem er sich Barbara van Helderns Gesicht und Stimme gut genug vorstellen konnte.

"Gut, dann bestell dem Kaninchenstall schöne Grüße, ich hätte jetzt auch mein Kind. So wie der mich fast zerrissen hat meint der wohl, ich wollte kein zweites mehr haben. Aber wenn mein Körper sich von dieser Tortur erholt hat und Charles erkennt, daß ich von außen doch besser aussehe und er mit mir um sich rum kein Quidditch spielen kann schaff ich mir wohl noch mal wen an."

"Das mußt du wissen", schickte Julius zurück. "Jedenfalls auch dir meinen herzlichen Glückwunsch, auch im Namen meiner Mutter. Erhol dich jetzt gut."

"Das kannst du glauben, Julius", bekam er noch eine Antwort. Dann war er mit seinen Gedanken wieder für sich.

"Ist was, Julius?" Wollte seine Mutter wissen.

"Madame Barbara van Heldern hat mir gerade mitgeteilt, daß sie gerade ihr erstes Kind, einen Sohn, zur Welt gebracht hat. Diese Hexe ist zäh wie Leder, mir dann noch über die Entfernung eine Melo-Nachricht zu schicken."

"Oh, haben ihre Schwestern nicht am selben Tag geburtstag?" Fragte Martha Andrews.

"Am gleichen, Mum. Denselben Geburtstag hat der Kleine jetzt mit Jeannes Tochter."

Julius mußte bei der Erwähnung von Été und Lunette daran denken, daß sie vor zwei Jahren zur Welt kamen, genau an dem Abend, als Cedric Diggory in der dritten Runde des trimagischen Turnieres getötet wurde und Harry Potter die Schreckensnachricht überbracht hatte, daß der sogenannte dunkle Lord wieder auferstanden sei. Erinnerte sich Jeanne an diesen Tag? Besser, hatte sie vielleicht unbewußt darauf hingearbeitet, ihre Tochter an diesem Tag zu bekommen? Ihm fiel sein Traum von letzter Nacht wieder ein, wo die beiden Ungeborenen sich darum gestritten hatten, wer wann zur Welt kommen sollte.

Wie Barbara van Heldern ihm übermittelt hatte teilte Julius die freudige Nachricht allen anderen hier mit. Wieder wurde applaudiert.

"Dann hat die jetzt auch so'n Schreihals am Hals", meinte Martine Latierre mit einem Ist-nicht-so-gemeint-Lächeln.

Nach der feierlichen Begrüßung der neuen Kinder, die von jedem Gast noch einmal einzeln willkommengeheißen wurden, wurde zu Abend gegessen. Das fünfgängige Menü bot die unterschiedlichsten Köstlichkeiten der französischen Küche auf, wobei jedoch statt der Froschschenkel oder Schnecken ein reiner Gemüsegang eingeschoben wurde. Vor dem Nachtisch gab es eine Platte mit verschiedenen Käsesorten, und danach eine Eisbombe mit so vielen brennenden Wunderkerzen darin, wie die Latierres und Brickstons an neuen Kindern zu begrüßen hatten. Danach spielten sechs von Ursuline Latierre engagierte Musiker zum Tanz auf, erst zu Walzern, um das Essen zu verdauen. Die Neugeborenen wurden abwechselnd von einer der jungen Mütter hier betreut. Auch Martha Andrews beteiligte sich an der Babywache, als Catherine Julius zum Tanz bat.

"Wir hatten selten das Vergnügen", meinte Catherine zu Julius.

"Nur im Sonnenblumenschloß, vor und während du Claudine getragen hast", sagte Julius.

"Dann wollen wir mal hoffen, daß ich das Tanzen nicht verlernt habe", sagte Catherine lächelnd.

Julius fühlte sich im Laufe des Abends wie ein Wanderpokal. Keinen Tanz konnte er auslassen. Alle Damen über einem Lebensmonat wollten mit ihm tanzen. Als er dann irgendwann mit Ursuline Latierre tanzte meinte diese zu ihm:

"Das war ein anstrengender Tag für dich, nicht wahr. Erst die Sache mit dem Cogison heute morgen, dann die Geschichte mit Temmie und dann noch uns tanzverrücktes Hexenpack."

"Das ist Ausgleich für das Armtraining von heute Nachmittag", meinte Julius, der schon merkte, daß seine Beine nicht mehr so geschmeidig waren wie zu Beginn des Abends.

"Ich denke, der morgige Tag bringt dir die nötige Erholung. Aber erst einmal wollen wir in Babs' Geburtstag hineinfeiern. Ist irgendwie so'n komisches Gefühl. Aber wenn eines meiner Kinder geburtstag feiert, meine ich, sie immer noch in meinem geräumigen Bauch zu tragen. Aber ich bin ja auch die Mutter der Nation."

"Öh, das war damals wohl nicht böse gemeint, was Laurentine gesagt hat", erwiderte Julius dazu.

"Das habe ich keinen Moment lang gedacht, Julius. Ist das früher so trotzköpfige Mädchen jetzt wieder bei seinen Eltern?"

"Soweit ich weiß ja, weil sie sich in diesem Jahr doch gut rangehalten hat. Mademoiselle Delamontagne hat nur einmal gemeint, es wäre vielleicht doch nicht verkehrt, sie wieder nach Millemerveilles zu holen."

"Die Mademoiselle, die demnächst eine Madame sein wird, Julius?"

"Genau die", erwiderte Julius.

"Dann darfst du vielleicht wieder eine Hochzeit besuchen, oder?"

"Ich habe noch keine Einladung bekommen. Ist ja doch früher als ursprünglich geplant."

"Die Ferien meinst du. Ja, ist schon wahr, daß diese Feier nur deshalb mit euch allen stattfinden kann, weil ein mordlustiger Tothexer ein ganzes Land tyrannisieren muß, nur um seine seelische Armut zu verstecken."

"Seelische Armut? Der Typ ist ein gemeingefährlicher Irrer", entschlüpfte es Julius. "Schlimm nur, daß der auch noch ein superstarker Zauberer ist und mit seinem Gerede von reinblütigen Hexen und Zauberern ... Reden wir nicht mehr davon, bitte. Ich möchte mich noch etwas erholen, bevor ich mir wieder Sorgen um meine Freunde in England machen muß."

"Heute ist der Tag, wo vor zwei Jahren ... Aber du hast recht. Wir sollten ihn nicht dadurch stärker als ohnehin schon werden lassen, indem wir uns seinetwegen vom Feiern abhalten lassen, solange wir nicht meinen, uns dumm und dämlich feiern zu müssen, um nicht an unsere Mitmenschen denken zu müssen."

Julius tanzte kurz vor zwölf mit Raphaelle Montferre, wobei er versuchte, nicht zu zudringlich zu wirken, wenn er sehr eng mit ihr tanzte.

"Das ist nichts unanständiges, mit einer Frau zu tanzen, die von Mutter Natur gut ausgestattet wurde, Julius", sagte Raphaelle, als Julius versuchte, einen Meter Abstand von ihr einzuhalten. "Nur wer damit gegen den Willen der betreffenden Damen Geschäfte macht ist unanständig."

"Nun, meine Freundin sieht uns zu, und einige Herren hier könnten meinen, ich legte es förmlich darauf an, dir so nahe wie möglich zu sein", sagte Julius.

"Tust du das nicht?" Fragte sie überlegen lächelnd.

"Wenn ich sagen würde: "Nein, tue ich nicht" würde ich wohl lügen. Aber wenn ich ja sagen würde wäre ich kein Herr."

"Ich bevorzuge auch lieber Männer als Herren", sagte Raphaelle Montferre. "Man kann über Ursuline und meine Verwandtschaft mit den Latierres sagen was man will, Julius. Unerhlichkeit wirst du bei Ihnen sehr sehr selten finden, wenn überhaupt. Da llassen sich auch manche Gesetze der Höflichkeit leichter umgehen, wenn dafür jemand ehrlich ist. Aber dafür hast du jetzt die richtige Partnerin, um das zu lernen, was wirklich wichtig im Umgang mit anderen ist. Du kannst die ganzen Anstandsregeln mit Mildrids unbeirrter Direktheit vergleichen und das für dich praktischste dabei herausholen. Ebenso kann Mildrid lernen, was von ihrer Art bei anderen wie ankommt. In Beauxbatons ist ja doch viel zu viel künstlich aufgezwungen."

"Das mag sein, aber weil die sich nicht von der ganzen Bagage auf der Nase herumtanzen lassen wollen."

"Zum Teil mag die Befürchtung stimmen, Julius. Aber sei es. Mildrid wird bestimmt nicht auf mich eifersüchtig sein. Dann müßte sie jetzt schon vier Kinder haben wollen, und ich denke, mit meinen beiden Großen hat sie sich im letzten Jahr gut arrangiert."

"Ich denke, wenn die nicht die UTZs vermasselt haben werden wir die beiden sehr vermissen, im Zauberkunst-Kurs, in Verwandlung für Fortgeschrittene, und wenn ich überlege, daß wir im nächsten Schuljahr gegen Callie und Pennie spielen könnten, waren die als Quidditchgegnerinnen das kleinere Übel."

"Das hast du den Beiden hoffentlich schon gesagt", erwiderte Raphaelle Montferre. Julius nickte.

"So, Monsieur Andrews, um Mitternacht tanzen wir beide", legte Mildrid fest. "Vor lauter tanzwütigen Hexen bin ich mit dir heute fast gar nicht auf der Tanzfläche gewesen."

"Es wird mir ein Vergnügen sein", sagte Julius.

Um Punkt Zwölf Uhr spielten die Musiker einen Tusch, und sie alle beglückwünschten Barbara Latierre zu ihrem siebenunddreißigsten Geburtstag. Dann stießen alle über zwölf mit Sekt an und wünschten einander ein langes Leben. Babette Brickston, die zwischenzeitlich eingeschlafen war, saß bei ihrem Vater auf dem Schoß, als wenn sie erst vier Jahre alt wäre, während Julius mit Millie tanzte.

Erst um zwei Uhr waren alle müde und alkoholberauscht genug, daß die Feier beendet wurde. Julius geleitete Millie noch bis vor ihr Zimmer. Dort trat Hippolyte zu ihnen und sagte:

"Morgen Nachmittag geht es noch einmal weiter. Am besten schlafen wir auf Vorrat."

"Kunststück, wo Papa in einer Nacht einen ganzen Wald absägt", maulte Millie.

"Ich baue für Tine und dich einen schalldichten Paravent auf", sagte Madame Latierre zu ihrer Tochter. "Alleine schon wegen Miriam."

"Das ist nett, Maman", sagte Millie.

Als Julius seine Festbekleidung ausgezogen und über einen der Stühle gelegt hatte meinte seine Mutter noch:

"die wollen morgen erst um zehn Uhr frühstücken. Hier kriegen wir zumindest keine Telefonanrufe oder Kontaktfeueranrufe."

Als Julius dann neben seiner Mutter in dem doppelten Himmelbett lag, fragte er sich, ob es wirklich ein gutes oder schlechtes Omen sein mochte, daß Jeanne Dusoleil und Barbara van Heldern genau am 24. Juni ihre ersten Kinder geboren hatten. Doch was hatte Ursuline gesagt? Sie sollten sich nicht von der Freude am Leben abhalten lassen.

___________

Julius war nicht daran gewöhnt, so dicht neben jemandem anderem zu liegen. Noch dazu knarrte das Bett bei jeder Bewegung, die er oder seine Mutter machten. Dennoch fühlte er sich am nächsten Morgen, als die Sonne schon durch die blauen Bettvorhänge hereinblinzelte ausgeruht wie nach acht Stunden unbeschwerten Schlafes. Seine Mutter atmete leise im Tiefschlaf. Er sah auf seine Uhr und las ab, daß es gerade erst sechs Uhr war. Von unten hörte er ein langgezogenes Muhen. Diesem folgten ganz leise Schritte, die nur deshalb zu hören waren, weil einige Bodendielen verräterisch knarrten. Julius überlegte, ob er jetzt schon aufstehen sollte, wo alle anderen erst um zehn Uhr frühstücken wollten. Lesen konnte er im Bett nicht, weil das seine Mutter gestört hätte. So schloß er noch mal die Augen und versuchte, eine weitere Stunde oder zwei zu schlafen. Doch seine Gedanken und Erinnerungen hielten ihn wach. Verschiedene Ereignisse der letzten Monate kreisten durch seinen Verstand, wie der Segen der Himmelsschwester und die sich daran anschließende Liebesnacht mit Mildrid, der Ausflug auf der geflügelten Kuh Artemis, weswegen diese ihm gestern so heftig nachgelaufen war, sowie die am selben Tag erfolgte Entführung durch ein Ebenbild Belle Grandchapeaus in die Monsterbrutfabrik von Igor Bokanowski, dessen Klone und Ungeheuer, wobei ihm die grünlichen Seesternwesen, die gallertartig in großen Nährlösungstanks schwammen am meisten angewidert hatten, die zweite Begegnung mit jener undurchsichtigen Hexe, die er jetzt ziemlich sicher als Wiederverkörperung von Anthelia vom Bitterwald vermutete, sowie Dumbledores Beerdigung spukten durch seinen Geist. Immer wieder hatte er sich die Frage gestellt, wieso Dumbledore nicht vorhergesehen hatte, daß jemand ihn töten wollte, ja daß womöglich der arrogante Reinblutprinz Draco Malfoy den altehrwürdigen Schulleiter von Hogwarts ermorden sollte, es aber nicht übers Herz gebracht hatte. Hatte sich Dumbledore bei Snape so gründlich verschätzt wie die Mitarbeiter des Laveau-Institutes bei Ardentia Truelane? Oder mochte es sein, daß der Hogwarts-Schulleiter wirklich sehenden Auges in seinen Tod ging, ja es lieber hinnahm, daß jemand ihn ermordete, um Draco nicht als Versager dastehen zu lassen? Ja, mochte es vielleicht sogar sein, daß Dumbledore wegen dieser heftigen Handverletzung, die auf einen heimtückischen Fluch zurückgehen sollte, seine Lebenszeit für zu kurz angesehen hatte, um noch um sein Leben zu kämpfen? Dann könnte es, wenngleich ihn dieser Gedanke schon erschreckte, möglich gewesen sein, daß Dumbledore Snape den Auftrag erteilt hatte, ihn zu töten, wenn dadurch eine für andere gefährliche Situation behoben werden konnte. Vielleicht fürchtete Dumbledore sogar, daß die Todesser in Hogwarts ein riesiges Blutbad anrichteten, wenn er sich ihnen widersetzte. Dann kam die Frage auf, warum Snape Dumbledore auf dessen Befehl hin hätte töten sollen und befand, daß Snape schon den Befehl hatte, Dumbledore zu töten, aber eben von Lord Voldemort, seinem wahren Herrn und Meister.

"Nein!" Schrie seine Mutter unvermittelt auf und schlug um sich. Julius erschrak darüber sehr Heftig und konnte eine Sekunde lang nichts tun. Dann beruhigte sich Martha Andrews wieder und wachte auf.

"Hast du schlecht geträumt?" Fragte Julius leise.

"Kann man sagen. Ich war wieder mit diesem Laroche und seinem Frankenstein-Transvestiten in diesem Horror-Labor. Aber sie haben es nicht geschafft, mich in diese Höllenmaschine ... Naja, ist ja schon lange vorbei", sprach sie leise genug, daß es draußen wohl keiner hören konnte.

"Okay, versuch dich noch einmal in diese ganz geborgene Stimmung zurückzuversetzen, die Antoinette und Ursuline dir verschafft haben!" Sprach Julius sanft klingend auf sie ein. Martha Andrews erwiderte nichts darauf. Sie drehte sich von ihm weg und lag nun fast am Rand des anderen Bettes. Julius selbst blieb liegen wo er lag. Als er selbst noch mal einschlief träumte er davon, mit eigenen Flügeln über eine der Weiden zu fliegen und dachte daran, wie wild er gestern gespielt hatte. Zwar taten ihm alle Zähne im Mund weh, weil sein Spielkamerad dieses fiese Beißeisen wild herumgezerrt hatte, aber dafür hatten sie beide herrliche Sprünge und Kurvenflüge gemacht. Vielleicht würde er heute noch einmal dieses Spiel spielen. Da sah er zwei weiße Punkte auf sich zukommen, die zu geflügelten Kühen anwuchsen, die jedoch nicht größer als er selbst waren.

"He Tantetochter Temmie! Lust auf Fangen!" Fragte eine mit der Mädchenstimme einer Dreizehnjährigen. Die andere Kuh sagte:

"Ja, Spielen! Komm!" Da hörte er sich selbst mit einer ähnlichen Stimme sagen:

"Oja, ihr beiden! Ich habe gestern sehr tolle Sachen beim Fliegen gemacht. Kriegt mich!" Als er sich dann in eine wilde Kurve warf verlor er den Halt, fiel einige Meter ... und wachte auf.

"Ui, das hat mir wohl doch zugesetzt", dachte er. Er las seine Uhr ab und stellte fest, daß es jetzt halb neun war. "Dann geh ich jetzt ins Bad, bevor die holde Hexenschar alle Bäder blockiert", beschloß er für sich und stand so leise wie das Bett es ihm erlaubte auf.

"Julius, ist schon neun?" Grummelte seine Mutter im Halbschlaf.

"Halb neun, Mum", gab Julius ihr Auskunft. Dann verließ er mit einem Bademantel bekleidet das gemeinsame Gästezimmer.

Als er aus dem Badezimmer kam stand Patricia Latierre vor der Tür.

"Konntest du auch nicht mehr schlafen, Julius?" Fragte sie und versuchte, ihr rotblondes Haar zu glätten.

"Schlafen konnte ich schon, aber jetzt bin ich zu wach, um noch länger im Bett zu bleiben."

"Dann geh ich jetzt da rein", teilte Pattie Latierre mit und schlüpfte unbefangen an Julius vorbei.

"Hallo, Julius, auch schon auf?" Fragte ihn Hippolyte Latierre, die ihm entgegenkam, als er ihr Zimmer passierte.

"Liegt wohl an dem Weihnachtsgeschenk, daß deine Mutter mir gemacht hat", sprach Julius leise.

"Albericus zersägt noch den Rest vom Eichenwald. Meine drei Prinzessinnen sind schon wach. "Ist wer gerade im Bad auf unserer Etage?"

"Deine kleine Schwester Patricia", sagte Julius, der den Gedanken lustig fand, daß eine Frau, die selbst drei Kinder bekommen hatte eine gerademal zwölf Jahre alte Schwester hatte. Vor allem wenn er bedachte, daß das nur die viertjüngste Schwester war.

"Dann such ich mir ein anderes Badezimmer. Gibt ja vier stück hier", sagte Hippolyte und zupfte ihren mit Gänseblümchenmotiven verzierten, grasgrünen Morgenrock zurecht.

"Schon alle unterwegs?" Fragte Martha Andrews, die ebenfalls einen Morgenrock übergezogen hatte, allerdings einen schlichten violetten.

"Zwei Töchter Ursulines. Sonst habe ich noch keinen getroffen. Ach, da steht die Partie", sagte Julius und betrachtete das Schachspiel auf dem runden Tisch. Die Schachmenschen lagen auf den von ihnen besetzten Feldern herum als wenn sie schliefen. die Springer waren von ihren Pferden abgestiegen, hatten ihre Helme und Rüstungen neben sich gelegt und sich zusammengerollt wie ein schlafender Hund oder Kniesel, während ihre Pferde stillstanden, aber mit geschlossenen Augen. Nur die Ohren bewegten sich wachsam. Die Könige lagen mit ausgestreckten Beinen auf dem Rücken, die Köpfe auf den Armen ruhend, während ihre Königinnen unter die ganzen Körper verhüllenden Schleiern lagen und nur ihre Kronen neben sich hingelegt hatten. Läufer und Bauern, soweit sie noch nicht geschlagen waren, lagen auf der Seite, während die Türme kaum hörbar schnarchend auf der Stelle standen.

"Oha, nicht gerade klar zu sehen, wer das gewinnt, Mum", sagte Julius, als er die Stellungen studiert hatte. "Wer von euch hat denn Weiß?"

"Ich, warum?" Wollte seine Mutter wissen.

"Dann sieht mir das so aus, als wolltest du einen taktischen Rückzug spielen um Ursulines Flanken auf deine Seite zu locken, um einen der Bauern auf ihre Grundlinie zu schmuggeln, sofern sie deine Dame schlägt. Aber pass auf die zwei Türme und den Springer auf C5 auf! Aber das muß ich dir ja nicht sagen."

"Sie meint, sie hätte mich, Julius. Aber wenn wir beide heute weitermachen könnte sie ihr blaues Wunder erleben", sagte Martha Andrews sehr selbstbewußt. "Was machst du jetzt?"

"Ich habe gerade wieder von der geflügelten Temmie geträumt. Irgendwie hat mir das gestern wohl heftiger zugesetzt. Deshalb werde ich kucken, im Umland der Wohn- und Vorratshäuser zu bleiben."

"Du hast doch erzählt, du hättest sie total erschöpft. Dann wird die dich wohl heute doch in Ruhe lassen."

"Wollen wir mal hoffen. Noch mal mach ich dieses Rodeo nicht."

"Verlangt ja auch keiner von dir", sagte seine Mutter kühl. Julius legte den Bademantel in die Reisetasche und verabschiedete sich, um bis zehn ein wenig zu laufen.

"Vor der Haustür empfing ihn ein herrlicher Sommermorgen. Er roch frisches Gras, Bäume und verbranntes Kaminholz. Dann war da noch der leichte Dunst von Kuhstall. Er hörte Vögel irgendwo in den zum Hof gehörenden Obstgärten und den von hier aus gerade als grüne Striche am Horizont erkennbaren Begrenzungshecken. Er suchte den Himmel ab und erkannte sieben weiße Punkte, die gemächlich wie es schien dahintrieben und zu konzentriert für Wolken waren. Er suchte sich eine Laufstrecke aus, die zwischen den Wohn- und Vorratsgebäuden hindurchführte. Er spurtete los, passierte das Werkzeuglager, dann das Brennholzlager und bog nach links ab, auf die Begrenzungshecke zuhaltend. Nach ungefähr zwei Minuten erreichte er die sieben Meter hohe Hecke und trank den erfrischenden Duft der magisch hochgezogenen Anpflanzung. Ein kleiner, brauner Vogel blickte ihn aus schwarzen Augen an und zwitscherte munter.

"na du! Pass ja auf die fliegenden Kühe auf, damit die dich nicht vom Himmel fegen!" Sagte Julius zu dem Vögelchen, das auf seinem Posten etwa zwei Meter über ihm sitzenblieb und sein Lied sang. Julius kannte sich nicht mit Singvögeln aus. Zumindest aber war es kein Spatz. Dann sah er noch einen schwarzen Vogel mit weißem Bauch. Zumindest den konnte er erkennen, eine Elster. Diesen Vögeln wurde nachgesagt, sie würden glitzernde Gegenstände stehlen. Unbewußt verbarg Julius seine Armbanduhr unter dem Ärmel des Trainingsanzuges, während die Elster ein lautes Ratschen von sich gab.

"Komisch, normalerweise fligen Vögel doch weg, wenn Menschen denen so nahe kommen", dachte er. Lag das vielleicht daran, daß sie hier nicht behelligt wurden oder weil eine friedliche Magie diesem Ort innewohnte?

"Julius, wo genau bist du jetzt?" Hörte er Catherines Gedankenstimme in seinem Kopf.

"Bei der Grenzhecke, da wo wir gestern auf dem Hof angekommen sind", schickte Julius ihr zurück, nachdem er die Umgebung aus seinem Geist ausgeblendet und alle fünf Mentiloquismusstufen durchgearbeitet hatte, um sich auf Catherine einzustimmen.

"Wollte nur wissen, daß du nicht zu weit vom Haus weg bist."

"Ich komm gleich wieder", mentiloquierte Julius. Dann machte er kehrt und lief los, zurück zum Haupthaus. Unterwegs traf er die Montferre-Schwestern.

"Wolltest du schon aufhören, Julius? Ist doch erst viertel nach neun", begrüßte ihn Sandra.

"Ich wollte noch ein wenig um die Häuser laufen, um eine gewisse Laufübung zu haben."

"Geht klar", sagte Sabine. "Dann laufen wir zusammen, damit du nicht meinst, unter deinem Niveau bleiben zu müssen."

Julius fühlte sich nach der folgenden dreiviertelstunde fast so erschöpft wie er gestern die Flügelkuh Temmie auf der Wiese hatte landen lassen. Die beiden jungen Hexen hatten ihn ordentlich auf Trab gehalten und ihn immer wieder angefeuert, mit ihren Übungen mitzuhalten.

"Ihr sollt den nicht kaputtmachen", tadelte Madame Barbara Latierre, die am Eingang zum Wohnhaus wartete und Julius ansah. "Aber mit der Städtermischung kriegst du die abgestrampelten Kräfte wieder rein", sagte sie dann noch zu Julius.

"Warst du das heute morgen, der oder die rausgegangen ist?" Fragte Julius.

"Um sechs Uhr? Maman, Temmie Orchaud und ich", sagte Barbara. "Meine Cousine wollte wissen, wie die magische Melkvorrichtung bedient wird. Irgendwie hat sie ihren Hubert wohl ganz lieb gefragt, ob sie deine Verehrerin von gestern nicht doch haben darf."

"Hör bloß auf, Barbara! Nicht daß die mir jetzt nachläuft wie Goldschweif."

"Neh, das macht sie wohl nicht. Dafür ist der Herdentrieb doch größer als ihre Anhänglichkeit."

"können wir draußen frühstücken, Barbara? im Esszimmer ist's doch jetzt etwas langweilig", meinte Sabine.

"Wenn du den Tisch auf die Wiese von gestern bringst kein Problem", sagte die Herrin des Latierre-Hofes. Sabine lächelte überlegen und ging zur Wiese hin. Dort angekommen sah sie Julius an.

"Schade, daß du in den Ferien nicht zaubern darfst", sagte sie. "Sonst hättest du deiner zukünftigen Schwiegertante mal zeigen können, daß du das zeitlose apportieren gut drauf hast. naja, muß ich wohl ran." Sie vollführte zwei schnell ineinander übergehende Zauberstabbewegungen, und mit einem scharfen Knall materialisierte sich der trapezförmige Tisch. Darauf stand bereits Frühstücksgeschirr und auf einem Teller lag ein bereits angebissenes Stück Baguette mit Kirschmarmelade.

Aus dem einige Dutzend Meter entfernten Haus ertönte ein verärgerter Ausruf: "Ey, wer hat mir den Tisch und mein Brot geklaut?! Verdammter Trolldreck!"

"Ups, dachte nicht, daß schon wer an dem Tisch gesessen hätte", sagte Sabine, während ihre Schwester und Julius amüsiert grinsten.

"Immerhin hast du den Tisch ohne was runterfallen zu lassen herbekommen", stellte Barbara fest, die ein amüsiertes Grinsen zu unterdrücken versuchte und dann doch laut loslachen mußte.

"Du solltest den Tisch mit einem Anti-Apportierzauber belegen, sobald jemand sich daransetzt", feixte Sandra.

"Klar, und mir hättest du dann unter die Nase gerieben, daß ich schon alles vergessen habe, was Königin Blanche uns beigebracht hat oder was, San?" Fühlte sich Sabine herausgefordert.

"Ihr seid echt gut", sagte Barbara. "Wann wißt ihr eure UTZs?"

"Trotz der frühen Ferien wollen die uns die Ergebnisse erst Mitte Juli schicken", sagte Sandra immer noch amüsiert grinsend.

"Wer hat mein Frühstück geklaut!" Rief Jean Latierre vom Haus her und kam mit wehendem blauen Umhang angejagt.

"Woher wußtest du denn, wo der Tisch landen würde?" Fragte Barbara unschuldsvoll.

"Weil ich durchs Fenster gesehen habe und irgendwas auf der Wiese hier sehen konnte, daß wie der Tisch aussieht. Babs, was soll das?"

"Ich habe beschlossen, daß wir hier draußen frühstücken", sagte Barbara und zauberte zwei Vasen mit frischen Blumen auf den Tisch. Dann tippte sie sich mit dem Zauberstab an den Kehlkopf und murmelte "Sonorus!" "Hallo, zusammen! Erst einmal einen guten Morgen! Dann wollte ich mitteilen, daß wir auf der Wiese von gestern abend frühstücken. Unsere ganz kleinen Kinder können wir auch wieder hier hintun", sprach sie nun mit weit hallender Stimme. Dann berührte sie wieder ihren Kehlkopf und murmelte "Quietus!"

Einige Minuten später trudelten alle Gäste mit ihren kleinen Kindern ein. Ursuline brachte Barbaras Zwillinge mit, während Julius' Mutter zusammen mit den Brickstons ankam.

Das Frühstück verlief wie am Vortag sehr ausgiebig. Es gab wieder Pfannkuchen mit verschiedenen Füllungen, weißes und dunkles Brot, Käse, Honig und drei verschiedene Marmeladensorten. Julius langte heftig zu und verspeiste drei verschiedene Pfannkuchen, ein Honigbrot, wobei er erfuhr, daß der Honig aus eigener Produktion stammte, ebenso wie der Käse und die Orangen-, Erdbeer- und Kirschmarmelade. Er trank eine große Tasse Milchkaffee, wobei die für Stadtbewohner verträgliche Verdünnung der Latierre-Kuhmilch verwendet wurde. Sie unterhielten sich über den gestrigen Tag, über Muggelverkehrsmittel und über Julius' Sorgen, die vierbeinige Artemis könnte sich nun zu ihm hingezogen fühlen wie Goldschweif.

"Spätestens wenn die das erste Kalb austrägt kennt die den Unterschied zwischen kurz ferngesteuert und echter Wonne", sagte Ursuline Latierre.

"Will ich doch meinen, daß das was anderes ist", bemerkte Millie dazu. Ihr Vater sah sie dafür zwar etwas vorwurfsvoll von unten her an, sagte jedoch nichts, weil alle erwachsenen Hexen und Zauberer belustigt grinsten.

"Ich würde gerne noch einmal dieses Fußballspiel Ausprobieren", sagte Jean Latierre. "Wir haben hier genug Übungsbälle."

"Und dafür möchtest du Julius natürlich in der Mannschaft haben, Onkel Jean", wandte Millie ein.

"Wo du's sagst, Mildrid", erwiderte Jean Latierre triumphierend dreinschauend.

"Willst du das, Julius?" Fragte Mildrid. Für ihn klang es so, als wolle sie ein Nein von ihm hören. Dennoch sagte er zu und nickte Jean zu.

"Dabei wollten wir heute ein wenig Tandemfliegen üben", sagte Sabine Montferre. "Millie hat sich drauf gefreut, mit ihrem Freund zusammen zu fliegen."

"Stimmt", knurrte Millie.

"Wir essen erst wieder um zwei", sagte Barbara. und lassen meinen Geburtstag noch etwas ausklingen. Also amüsiert euch wie ihr wollt, solange ihr dabei keinen Unfug treibt."

"Was ist Unfug?" Fragte Callie ihre Mutter herausfordernd.

"Alles was dir oder anderen Ärger einbringen kann oder mit Zauberei nicht mehr wegzumachen ist", sagte Barbara Latierre. Dabei sah sie Lyre und Damian genauer an. Die beiden starrten sie verdutzt an. "Ich bin ja sehr tolerant, aber möchte schon betonen, daß auf dem Hof hier nur Zucht und keine Unzucht getrieben wird, die Dame und der Herr."

"Was du nicht sagst", warf Lyre Orchaud frech ein. Ihr Vater sah sie nun sehr vorwurfsvoll an, worauf Lyre Barbara sehr verärgert ansah und Damian so tat, als wisse er von nichts. Julius fühlte, wie die warme Atmosphäre sich schlagartig abkühlte. Da er mit dem Frühstück fertig war blickte er Barbara fragend an. Als habe er ein unhörbares Komando gegeben, erhoben sich alle jugendlichen und gerade erst erwachsenen Tischgäste halb und blickten Hausherrn und Hausherrin an. Beide nickten einverstanden.

"Ich habe nicht mitbekommen, daß Lyre sich mit ihrem Verlobten zusammengetan hat", meinte Julius zu Millie, als sie auf ein ganz kurz geschnittenes Wiesenstück liefen, auf dem sie Fußball spielen konnten.

"Ich auch nicht. Aber das muß ja nicht so laut sein, daß es alle mitkriegen", erwiderte Millie verrucht und zwinkerte ihrem Freund vielsagend zu. Dieser grinste und nickte. Dann fragte er:

"Könnte es sein, daß deine Tante Babs nicht so locker drauf ist wie deine Mutter oder deine beiden Omas?"

"Nun, warum Maman das zugelassen hat, daß wir beide zusammen sind liegt ja teilweise an Madame Rossignol und ihrem Bettpfannenregal, und was Tante Babs angeht ist sie immer schon eher eine Kindergärtnerin und Aushilfsamme gewesen. Angeblich hat sie mich auch mal zur Brust genommen, als ich das nötig hatte. Aber vor allem ist Onkel Jean eine Spaßbremse. Vielleicht hast du das heute morgen mitbekommen, daß jemand ihm den Frühstückstisch vor der Nase weggezaubert hat. War der sauer."

"Ich hab's gesehen, wer das gemacht hat", grinste Julius. "Hat sich wohl nur zurückgehalten, weil seine Frau mal eben aus dem Bauch raus beschlossen hat, daß wir draußen gemütlicher frühstücken können und die ganzen Sachen ja auch apportiert werden können."

"Ja, das denke ich mir. Manchmal färbt diese Spielverderbernatur auf Tante Babs ab, wenn sie viele vor allem junge Gäste hat. Deshalb hat die uns ja auch keine reinen Kinder- und Jugendzimmer gelassen, weil sie sicherstellen wollte, daß du nicht mit ihrer Schwester Patricia oder ich nicht mit Lyres Damian anbandeln kann. Pattie schmachtet ja förmlich, weil ihr Freund von seinen Eltern ins Unbekannte entführt wurde."

"Vielleicht wollten die nur nicht, daß der auf den Geschmack kommt, seine Ferien in der Zaubererwelt zu verbringen. Könnte sein, daß die Hellersdorfs ihnen Schauergeschichten erzählt haben", vermutete Julius.

"Jedenfalls ist Tante Babs etwas strenger als Oma Line. Wenn wir beide nicht in der Pflegehelfertruppe wären, hätte Maman das mit uns auch nicht so einfach zugelassen."

"Das weiß ich. Aber Bines und Sans Mutter ist ja locker drauf."

"Sie weiß, was sie hat und daß Leute darüber reden. Also redet sie mit, damit die anderen nicht zu viel über sie herziehen. Nur das was Catherines Mann damals im Château gefragt hat muß ihr wohl nicht gepaßt haben."

"Ich erinnere mich, die Sache mit dem Nachhelfen bei prallen Dingern", sagte Julius leise genug, daß nur Millie es hörte.

"Ja, das hat sie wohl schon als Beleidigung aufgefaßt, vor allem, weil Monsieur Brickston nicht Französisch gesprochen hat."

Michel Montferre und seine Frau apparierten vor ihnen.

"Huch, wollt ihr auch mitspielen?" Fragte Julius.

"Michel will spielen, und ich zugucken", sagte Raphaelle Montferre.

"Das ist doch abgesehen von der langsamen herumlauferei am Boden und nur einem ziemlich unbeweglichen Ball ein interessantes Spiel", sagte Michel Montferre. "Kann man das denn auch in gemischten Mannschaften spielen?"

"Auf Profi-Ebene nicht, Michel. Aber so zum Spaß können Jungs und Mädchen problemlos zusammen spielen", teilte Julius mit.

Weitere Interessenten trafen ein, teils zu Fuß, teils apparierend. Catherine sezte sich zu Raphaelle Montferre auf eine heraufbeschworene Bank, zusammen mit Artemis Orchaud und ihren Töchtern bis auf Lyre. Barbaras Zwillingstöchter wollten mitspielen, ebenso wie Joe, Hubert und Damian, wie auch Hippolyte Latierre und Martine. So spielte Millie auch mit, als sie zwei gleichgroße Mannschaften formierten und mit einem blauen Übungsball spielten. Albericus, der in Julius Mannschaft mitspielte, schaffte es immer wieder, wieselflink mit dem Ball um die aus Joe und Michel gebildete Abwehr herumzuzirkeln. Doch an seiner Frau, die im gegnerischen Tor stand, kam er doch nicht vorbei. Einmal spielte Joe einen Kopfball so hoch, daß Albericus den unmöglich zu erwischen schien. Doch dieser stieß sich locker vom Boden ab, schraubte sich hoch und erwischte den hoch fliegenden Ball, bevor Martine, die auf Julius Seite mitspielte ihn erspringen konnte. Der Ball segelte über Joe hinweg und schlug unhaltbar für Hippolyte im nach Julius' und Joes Angaben materialisierten Fußballtor ein.

"Das glaube ich jetzt nicht", schimpfte Joe. "Ein winziges Kopfballungeheuer."

"Ich bin noch sehr gelenkig und stark", trällerte Albericus und paßte zu seiner Tochter Martine, die aus der Distanz schoss. Julius, der mit Mildrid die Hintermannschaft bildete, mußte einmal ziemlich schnell antreten, um den Ball vor Damian Vendredi zu erwischen. Dann wechselte er beim Drippeln von links auf rechts, bediente Albericus, der Joe austrickste aber wieder an seiner eigenen Frau scheiterte.

"Also, dieses Spiel ist eine gute Ausgleichsübung fürs Besenfliegen", meinte Callie, die bei Julius im Mittelfeld spielte, während ihre Schwester in der anderen Mannschaft ihre direkte Gegnerin war.

Nach gut einer Stunde stand es zwei zu zwei unendschieden, womit alle sehr zufrieden waren. Millie überredete Julius, nun mit ihr Tandemflugtraining zu machen. Sabine und Sandra schlossen sich an. Als Callie und Pennie auch auf einem Besen sitzen wollten schritt ihr Vater energisch ein und untersagte es ihnen, weil sie noch keine Soziusflugerlaubnis hatten. Alles Quängeln und maulen half nichts. Im Gegenteil. Dafür mußten die beiden zu ihrer Mutter auf die Nordweide, wo sie mit den Eheleuten Orchaud mit der geflügelten Artemis weiterarbeiten wollte, die im Moment, so hörte es Julius, ein Cogison trug. Also hatten die Latierres es den Dexters abgekauft.

"So, ich steuere zuerst", sagte Mildrid. Immerhin gehörte ihr der Ganymed 10.

"Dann los!"

Es war wie bei Walpurgis, fand Julius. Dieses Gefühl, wohlgepolstert und sicher geborgen auf dem Besen zu sitzen, Millie in einer festen Umarmung, ihr rotblondes Haar, nun von der immer höher am Himmel stehenden Sonne in fließendes, glühendes Gold verwandelt. Sie flogen erst einen Sprint über zwei Kilometer, wobei sie fünf fliegende Kühe überholten. Artemis' Cousinen fanden, hinter dem fliegenden Ast herjagen zu müssen, wo ihre sonst so quirlige Base gerade sehr straff geführt wurde.

"Die hängen wir ab, Monju!" Rief Mildrid und machte Tempo. die beiden Jungkühe muhten, wohl eher begeistert als verärgert und setzten ihr nach. Doch nach drei schnellen Wenden, die die nicht mit dem Innerttralisatus-Zauber versehenen Zaubertiere nicht mithalten konnten, hatten sie sie abgeschüttelt. Nun klang verärgertes Gebrüll von den beiden verspielten Schwestern zu ihnen herüber.

"Sind das eigentlich Zwillinge?" Fragte Julius Millie.

"Weil's Cousinen von deiner Verehrerin sind? Neh, die sind von Ostara und Auberge, einer anderen Schwester von Demie, aber ziemlich zeitgleich geworfen. Hui, daa vorn kommt Poseidon!"

Einer der Latierre-Bullen hatte die in sein Revier eingedrungenen Besenflieger ausgemacht und ging auf Abfangkurs. Millie zog den Besen nach links weg, ließ ihn zwanzig Meter durchsacken und machte eine enge Wende, um sich von dem bestimmt etwas verärgerten Flügelstier abzusetzen, der bedrohlich hinter ihnen herbrüllte.

"Das war der welcher Demie als erster zur Mutter gemacht hat", erinnerte sich Julius.

"Stimmt, hat Tante Babs erzählt. Ui, Bine und San ärgern den. Da kommen auch wieder die beiden rauflustigen Cousinen von Temmie."

"Wir sollten uns von den Weiden wieder absetzen, Millie. Nachher bringen wir die ganze Herde durcheinander", sagte Julius.

"Wir tun denen doch nichts und die können uns bei der Wendigkeit auch nichts tun", sagte Millie. Sabine und Sandra ließen sich derweil von Poseidon jagen, ließen den Bullen herankommen und setzten sich dann ab, bevor er sie auf die Hörner nehmen konnte.

"Am Boden wären wir dem turmhoch unterlegen", stellte Julius fest.

"Das mag wohl sein. Oh, dahinten ist deine ganz ganz große Freundin auch. Da sollten wir uns besser fernhalten, wenn wir beide keinen Krach mit Tante Babs kriegen wollen."

"Dann mach mal!" Forderte Julius. Millie zog den Besen herum und flog nach westen davon. Demies Tochter verfolgte sie nicht. Offenbar waren sie noch zu weit weg.

In der Nähe des Haupthauses trafen sie Martine, die Babette vor sich auf dem Besen sitzen hatte.

"Na, ihr beiden!" Rief Martine, und Babette nahm eine Hand vom Besen und winkte.

"Hat Catherine dich gefragt, ob du sie mitnehmen kannst?" Fragte Julius Martine.

"Sie wäre gerne selbst geflogen. Aber ihre Kleine wollte da gerade was!" Rief Martine zurück und tadelte dann Babette, weil sie beide Hände vom Besen nahm.

"Wir haben ein wenig über den Weiden herumgezirkelt, Martine. Lust auf ein wenig Walpurgisnacht?"

"Mitten am Tag und ohne Kostüme, Millie?" Lachte Martine. "Aber wenn du denkst, ich hätte das verlernt, dann sei es. Aber ich muß Babette dafür hinter mich setzen und sichern, damit sie nicht runterfällt."

"Ich fall schon nich' runter", maulte Babette.

"Stell dich nicht bockig an, Babette, sonst lass ich dich sofort auf dem Boden", drohte Martine. Das wirkte offenbar. Eine Minute später saß Babette hinter Martine, durch einen strammen Gurt an ihr und dem Besen festgemacht. Dann ging's los! Sie umflogen sich, jagten einander und versuchten sich in sehr wilden Flugfiguren. Babette quiekte vor Vergnügen, während Millie und Julius juhuuten und Martine scheinbar locker ausmanövrieren konnten. Doch immer wenn Millie auf einen geradlinigen Kurs einschwänkte war Martine immer noch gleich weit hinter ihnen.

"Ich kann auch schnell fliegen, Millie!" Rief Martine. Julius bewunderte das. Sicher, sie flog auch den Ganymed 10 wie Mildrid. Aber er hatte gedacht, daß Martine wegen Babette besonders vorsichtig fliegen würde. Aber da diese ja gut angebunden war war das natürlich nicht nötig. Als sich dann noch Damian und Lyre dazugesellten, die auf einem Cyrano-Express flogen, wurde ein munteres Jagdspiel daraus. So ging das eine halbe Stunde, in der auch die Montferre-Schwestern bei dem Spaß mitmachten. Dann befand Martine, daß Babette genug hatte und brachte sie zurück.

"Die hat jetzt erst einmal genug", sagte Sabine, als Lyre und Damian sich auch von der Gruppe abgesetzt hatten. "Wollt ihr noch ein bißchen?"

"Ich wollte jetzt mal hinten sitzen", sagte Millie. Julius stimmte ihr zu.

Nach einer weiteren halben Stunde, wo Julius vorne saß und steuerte, rief Sabine Montferre: "Den Besen hast du gut im Griff! Warum hast du deinen eigenen nicht mitgebracht?!"

"Paßte nicht in die Reisetasche!" Rief Julius zurück.

"Schade, sonst hätten wir dich für das nächste Turnier in Form halten können!" Rief Sandra Montferre.

"Damit der Pokal schön grün bleibt. Wie nett von euch!" Rief Julius zurück.

"Der bleibt nicht grün, Julius. Der wird nächstes Schuljahr rot, wenn meine Cousinen mitspielen, glaub's mir."

"Wir werden sehen", sagte Julius nur dazu.

"Wir müssen mal rüber zur Wiese. Raphaelle wollte haben, daß wir für Babs noch eine nette Dekoration zurechtzaubern, als Dankeschön für die Gastfreundschaft", sagte Sabine.

"Dann wissen wir ja, bei wem wir uns beschweren müssen, wenn was nicht gut genug aussieht", kommentierte Millie. Julius lachte.

"Wir legen da einen Fluch drauf, daß jeder, der motzt einen halben Tag lang nichts mehr sagen kann", konterte Sandra und lachte. Julius lachte auch. Millie fragte sich wohl, ob ihre Tante sowas durchgehen lassen würde. Die Montferre-Schwestern winkten noch einmal und flogen dann davon.

"So, jetzt haben wir endlich Zeit für uns, Julius", sagte Millie.

"Wofür?" Fragte Julius zwischen Unbehagen aber auch einer gewissen Hoffnung, wie er insgeheim zugeben mußte.

"Nicht für das Zweierspiel, Julius. Ich fürchte, Tante Babs und Onkel Jean haben hier versteckte Meldezauber angebracht, die sowas verpetzen. Eigentlich ganz gegen die Familientradition. Ich meinte auch, daß wir uns im Obstgarten hinsetzen und ein wenig über die nächsten Tage plaudern können. Die Anhänger sind zwar sehr schön, aber bringen uns nicht weiter, wenn wir mal zusammen was unternehmen wollen. Oder liegt dir nichts daran, Monju?"

"Öhm, Doch, natürlich", stimmte Julius sehr schnell zu. So gab Milie ihm die Richtung an, in der er den Obstgarten erreichte.

"Das ist ja ein richtiger Wald", stellte Julius fest, als er zwischen den in genügendgroßen Abständen gepflanzten Bäumen hindurchflog, den Ganymed präzise über der Mittellinie haltend. Da standen mehrere Reihen Apfelbäume, Birnbäume, Pflaumenbäume und Orangenbäume. Hier wuchsen Erdbeeren, Brombeeren und Himbeeren an ordentlich zurechtgestutzten Sträuchern, und mehrere Dutzend hochgewachsene Kirschbäume lockten mit reifen Früchten.

"Das sind zusammen wohl zweihundert Bäume, Julius. Neben der Milch der latierre-Kühe und dem Honig verdienen Tante Babs und Onkel Jean ihr Geld mit Obstanbau und Gemüse", sagte Millie leise und erhaben, als flögen sie nicht durch einen Wald von Obstbäumen, sondern schritten durch eine Kirche oder ein Museum. Dann stand er vor ihnen, ein besonders prachtvoller Kirschbaum, mindestens zwanzig Meter hoch, mit weit ausladenden Ästen, die zum großen Teil noch voller roter Früchte hingen. Er beherrschte eine kreisrunde Lichtung, die von je drei Bäumen der hier gepflanzten Obstsorten abgesteckt wurde.

"Ui, der ist aber stattlich. Wie alt ist der?" Fragte Julius Millie nun auch leise sprechend, um das muntere Zwitschern der Vögel in den Bäumen nicht zu stören.

"als ich vor dreizehn Jahren, wo ich mich gerade so noch dran erinnern kann, hier war, stand der Baum da schon."

"Da können wir uns mal hinsetzen. Das Gras unter dem Baum ist schön hoch, und wenn wir uns nicht zu blöd anstellen machen wir uns nicht zu schmutzig", schlug Julius vor.

"Kein Problem", flüsterte Millie. Julius lenkte den Besen in die Mitte der etwa einhundert Meter durchmessenden Lichtung und flog einmal sanft um den Baum herum, bevor er landete.

"Hallo, ihr beiden. Habt ihr Hunger?" Wisperte jemand. Julius blickte sich verdutzt um. Er hatte die Stimme leise flüstern hören, aber irgendwie nicht orten können.

"Huch, wer war denn das jetzt?" Fragte er Millie. Diese sah ihn perplex an und fragte hastig:

"Wen meinst du, Julius?"

"Hm, da hat doch eben eine Stimme geflüstert, ob wir beiden Hunger hätten", teilte Julius das gehörte mit. Millie sah ihn erst sehr verdutzt und dann sehr erregt an, nicht verärgert, sondern so, als sei etwas passiert, womit sie nicht gerechnet hatte und das irgendwie aufregend war.

"Du hast sie gehört?" Fragte sie nun etwas lauter als gerade eben noch.

"Wen?" Fragte Julius. Dann sah er sich um. Es war keiner da außer ihnen, zumindest kein Lebewesen das sprechen konnte. "Wer hat uns da gefragt, ob wir Hunger haben, Millie?"

"Oh, du kannst mich auch hören?" Fragte die flüsternde Stimme zurück. Jetzt klang sie etwas lauter und hörte sich für Julius wie die einer älteren Frau an. Er blickte sich um und vermeinte, einige Zweige in der Krone des Kirschbaums ohne sichtbaren Auslöser auf und ab schwingen zu sehen. Er antwortete:

"Öhm, ja, ich kann Sie oder dich hören. Wer sind Sie oder bist du?"

"Ich kann dich auch sehr gut hören, Julius Andrews. Ich bin die Hüterin dieses Obstgartens. Zumindest die meiste Zeit."

"Eine Dryade", entfuhr es Julius nun aufgeregt. Er hatte von diesen Zauberwesen gehört, die als Menschen oder Pflanzen in Erscheinung treten konnten. Vor allem in Griechenland gab es ganze Wälder, wo Baumdryaden zwischen gewöhnlichen Bäumen wuchsen. Der Baum schüttelte sich leicht, und Julius hörte ein erheitertes Lachen, das sowohl vom Baum selbst kam aber irgendwie auch in ihm selbst erklang, als mentiloquiere das Wesen seine Worte im selben Moment, in dem es sie sprach. Mildrid zog Julius an sich und flüsterte ihm zu:

"Das ist keine Dryade, Julius. Zumindest ist es keine geborene Dryade. Die sind trotz der Menschengestalt immer noch Pflanzen. Aber wenn ich dir erzähle, wer das ist, hältst du mich oder dich noch für verrückt."

"Solange es nicht Sardonia ist", zischte Julius. Der Kirschbaum schüttelte sich wild raschelnd.

"Ihr braucht nicht zu flüstern. Ich verstehe jedes eurer Worte, wenn es in euren Köpfen gestalt annimmt. Mildrid ist von meinem Fleisch und Blut. Aber du, Julius, daß du mich verstehen kannst ist merkwürdig."

"So, wer bist du denn?" Fragte Julius leise, als wolle er nicht belauscht werden.

"Barbara Hippolyte Latierre, die Tochter von Pyroglossa Montferre und Priapus Latierre." Julius wußte nicht, womit er jetzt hätte rechnen sollen, aber damit hatte er echt nicht gerechnet. Er stutzte. Dann kam ihm wie auf Knopfdruck eine Erinnerung, die wie das meiste andere jenen düsteren Tag in den Osterferien ausgefüllt hatten, der mit einer Reise auf den Latierre-Hof angefangen und im Büro des russischen Zaubereiministers geendet hatte. Barbara Latierre, die Tochter von Ursuline Latierre, hatte ihm und den Kindern, die bei ihr Ferien auf dem Bauernhof machten erzählt, ihre Großmutter käme ab und an vorbei und würde sie wegen nachlässigkeit bei der Vermehrung der Latierre-Kühe tadeln. So sagte er rasch:

"Aber ich dachte, Ursuline Latierres Mutter lebe irgendwo im Verborgenen und käme zwischendurch zu Besuch, nachdem sie den Hof ihrer gleichnamigen Enkeltochter überlassen hätte."

"Hat das meine Enkeltochter erzählt?" Fragte die aus dem Baum herabschwebende und in seinem Kopf nachhallende Frauenstimme amüsiert. "Natürlich muß sie sowas erzählen, um denen, die es nichts angeht zu sagen, daß ich immer noch auf den Hof aufpasse."

"Oh, dann hätte ich ja ein sehr wichtiges Familiengeheimnis der Latierres angekratzt", erwiderte Julius leise. Millie sah ihn und den Baum an und wußte nicht, ob sie sich freuen oder verunsichert fühlen sollte.

"Das erzählt meine Enkelin eben nur denen, die nicht zu unserer Familie gehören", sprach die befremdliche und zugleich freundliche Frauenstimme. "Da du mich jedoch verstehen kannst, Julius Andrews, und ich deine gedachten Worte genauso deutlich verstehen kann, geht es dich offenbar was an. Also steckt in dir etwas von meiner Lebenskraft, die mich mit allen meinen direkten Nachkommen mütterlicher Abfolge verbindet."

"Das Ritual, das Oma Line mit dir abgezogen hat", wisperte Millie. "Das hätten wir schon Ostern rauskriegen können."

"Welches Ritual?" Fragte die fremde Stimme. Dann lachte sie, wobei der Baum sich wieder raschelnd schüttelte. Eine Elster flog aufgescheucht davon. "Vita Mea Vita tua? Offenbar hast du dir das verdient, etwas mehr belebende Kraft von meiner Tochter eingeflößt zu bekommen." Julius versuchte, sich durch Occlumentie abzuschotten. "Das wirkt bei mir nicht, Julius. Du bist durch meinen Lebensfunken mit mir verbunden", sagte die Stimme nun eher in seinem Kopf. "Aber ich will dir keine Angst machen. Ich merke, daß du es nicht richtig fassen kannst und doch sehr neugierig bist, warum ich hier stehe und nur mit dir, Mildrid und allen, deren Mütter sich einst aus meinem Leib herausgezwengt haben sprechen kann, zumindest meine worthaften Gedanken mitteilen kann."

"Sagen wir's so, mir gehen da einige Gründe durch den Kopf, warum ich das glauben soll und einige warum nicht", erwiderte Julius. Millie blickte derweil zu den ganz unten hängenden Kirschen hoch. Der verzauberte Kirschbaum schien das zu fühlen oder aus ihrem Geist geschöpft zu haben. Denn er senkte den betreffenden Ast so weit, daß Millie locker hochspringen und mehrere rote Kirschen mit der Hand ergreifen und abpflücken konnte. Julius dachte in diesem Moment komischerweise an ein Weihnachtslied, in dem es darum ging, daß Maria und Joseph hungrig vor einem Kirschbaum standen und das ungeborene Christkind dem Baum befahl, seiner Mutter einen Ast herabzusenken, damit sie Kirschen Pflücken konnte.

"Ja, ich kenne dieses englische Weihnachtslied auch", sprach die geheimnisvolle Stimme aus dem Kirschbaum, als Millie ein Bündel Kirschen gepflückt hatte. Julius fragte schüchtern dreinschauend, ob das denn wehtue, wenn Kirschen abgepflückt würden.

"Nur, wenn ich sie nicht hergeben will zwickt das ein wenig. Sonst kitzelt es angenehm", antwortete die Stimme aus dem Baum, die sich Julius als Ursulines Mutter Barbara vorgestellt hatte. Er überwand seine Scheu und sprang nach oben und pflückte behände fünf Kirschen mit Stiel ab, was dem Baum ein amüsiertes Kichern zu entlocken schien.

"Oh, die schmecken wie die Kirschmarmelade, die ich heute morgen ... Die sind doch nicht von Ihnen, oder?"

"Ich bin nicht die einzige, die hier voller Kirschen hängt. Aber es könnten durchaus welche von mir dabeigewesen sein."

"Ursuline, hörst du mich?" Mentiloquierte Julius, als er ein paar weitere Kirschen entstielt und in den Mund geschoben hatte.

"Oh, schön, daß du an mich denkst", erwiderte Ursuline Latierres Gedankenstimme. "Deine Mutter wollte mich doch glatt hinters Licht führen, hat so getan, als müsse sie die hinteren Reihen schützen, um dann einen Bauern vorzuschicken, um mir ihre Dame anzubieten. Tja, Pech nur, daß ich diese Art von Rückzugsfalle schon fünfmal erlebt habe. Treibt dich was bestimmtes, oder wolltest du nur wissen, ob deine Mutter mich als Schachhexe entzaubert hat?"

"Ich stehe hier gerade neben einem sehr großen Kirschbaum, schätze eine Vogelkirsche, der mir gerade ziemlich heftige Sachen erzählt."

"So? Was denn?" Wollte Ursuline wissen.

"Das heftigste ist, daß dieser Baum sagt, er sei deine Mutter."

"Und das hast du von dem Baum, der Königin der Kirschbäume in Babs' Obstgarten, wie mit eigenen Ohren gehört? - Dann stimmt das, Julius."

"Öhm, wie kommt denn das?" Fragte Julius Ursuline.

"Mentiloquieren nach einer Schachpartie läßt meinen Kopf leicht schwer werden, Julius. Lass dir das von Maman erzählen. Da du sie verstehst, was ganz sicher von unserer gemeinsamen Verbindung zu meinen ganz kleinen Töchtern kommt, wird sie dir alles erzählen. Öhm, und iss ruhig von den Kirschen! Habe mir gestern auch welche von ihr geholt. Die sind richtig lecker." Damit endete der Kontakt mit Ursuline Latierre.

Julius sah den Baum an, der ganz ruhig dastand, während eine amüsierte Stimme sagte:

"Hast du meine Tochter bei ihrem Lieblingsspiel gestört, Julius. Nun, ich kann dir beweisen, daß ich die bin, als die ich mich dir offenbart habe."

Julius blickte den Baum an, der seine Zweige schüttelte, worauf zwei weitere Vögel und drei Wespen aufgescheucht davonflogen. Dann, ohne Vorankündigung, schrumpfte der über zwanzig Meter hohe Baum zusammen, wobei die Krone sich nach unten hin auseinanderzog, während die Zweige mit den Kirschen in den dickeren Ästen verschwanden. Es knarrte leise, als die Rinde sich in den Stamm zurückzog, der immer kürzer wurde. Dann wühlte etwas den Boden auf, und Julius sah die Wurzeln des Baumes, die sich herauszogen, während die Pflanze immer kleiner wurde und dabei immer rascher menschliche Formen annahm. Die Äste wurden zu Armen mit Händen, aus dem oberen Stamm formte sich ein Kopf, aus dessen noch holziger Haut rotblonder Flaum spross, bevor die Metamorphose nach ungefähr fünf Sekunden vollendet war. Da wo eben noch ein majestätischer Kirschbaum gestanden hatte stand nun eine Frau mit langen, rotblonden haaren, die ihr bis zu den Hüften wallten. Sie wirkte leicht untersetzt, aber doch eher stämmig, war mindestens so groß wie Ursuline Latierre und besaß auch bis auf wenige Ausnahmen ihre Gesichtszüge. Die aus dem Baum hervorgegangene Frau stand Barfuß in einer Mulde, in der vorhin noch die Wurzeln des Kirschbaums sicher verankert gewesen waren. Überhaupt trug sie keinen Faden Stoff am Leibe. Nur ihr langes Haar, das fließend wie hauchdünne Seide war, umkleidete sie. Julius sah eine Sekunde auf diese Erscheinung, bevor er sich abwandte.

"Öhm, Sie sind ja nackt", war das einzige, was ihm einfiel. Millie lachte. Auch die Frau, die vorhin noch ein Baum gewesen war lachte.

"Nicht so schüchtern, junger Mann. Der Leib eines Weibes ist dir doch nicht mehr fremd, wie ich weiß. Außerdem, hast du jemals davon gehört, daß ein Baum bekleidet gewesen sei?" Fragte die Frau nun mit der Stimme, die Julius die ganze Zeit wie ein in seinen Kopf hineinhallendes Wispern gehört hatte.

"Normalerweise nicht", erwiderte Julius nun etwas gefaßter. Er sah die Hexe wieder an, die bestimmt über neunzig Jahre alt sein mochte. Dennoch sah sie nicht wirklich steinalt aus.

"Sie sind bestimmt keine Dryade?" Fragte Julius.

"Nein", sagte millies unverhoft vor ihm stehende Urgroßmutter. Dann streckte sie ihre rechte Hand aus und ergriff die von Julius. Sie fühlte sich warm und weich an. Dann führte sie seine Hand, bevor er sich dessen klar wurde, knapp unter die linke Brust. Er fühlte ein Herz schlagen, bevor er sich so schnell aber nicht zu hastig aus dem Griff befreite. "Dryaden können keine eigene Körperwärme ausstrahlen und haben kein schlagendes Herz in der Brust. Sie sind und bleiben Pflanzenwesen, ob in menschlicher Erscheinungsform oder in ihrer Pflanzengestalt", sagte Barbara Hippolyte Latierre. Julius verstand.

"Sie haben sich freiwillig in einen Baum verwandelt?" Fragte er.

"Nun, sonst hätte ich mich wohl kaum in eine Frau aus Fleisch und Blut verwandeln können", sagte sie amüsiert.

"Öhm, dann haben Sie doch irgendwo noch Ihren Zauberstab. Oder brauchen sie den nicht mehr?"

"Nein, für diese Art Verwandlung brauchte ich meinen Zauberstab nicht, beziehungsweise, ich konnte ihn unter meinen Füßen vergraben, um die magische Wechselwirkung mit ihm für meine Verwandlung zu nutzen. Es war ein Stab aus Kirschbaumholz und der Faser aus dem Herzen eines bretonischen Blauen. als der Zeitpunkt kam, wo ich meine neue Daseinsform annahm, löste er sich auf und wandelte mich in den Kirschbaum, als der ich nun seit vierzig Jahren hier stehe. Aber jetzt wird mir etwas kalt so ohne Kleidung. Ich kehre wieder in meine gewünschte Daseinsform zurück, wenn du gestattest. Dann kannst du mich auch wieder ohne falsche Scham betrachten. Aber ich verstehe, daß meine urenkelin eine wesentlich ansehnlichere Erscheinung ist als eine hundertzweijährige Hexe."

Etwas krachte. Julius wandte sich um. Da stand Ursuline Latierre und grinste.

"Hast du meine Mutter dazu genötigt, in ihrer Menschengestalt vor dir zu stehen?" Fragte die Großmutter Mildrids amüsiert.

"Hallo, meine Tochter. Hast du deine ebenbürtige Opponentin im Stich gelassen, um zu sehen wie du im Vergleich zu mir aussiehst?" Fragte Barbara Hippolyte Latierre leicht spöttisch klingend.

"Wenn du wieder eine Hexe sein möchtest, Maman, solltest du dir doch etwas anziehen. Julius könnte sich von dir versucht fühlen."

"Das ist ein nettes Kompliment, daß du mir da machst, den Knaben, der die Nähe deiner Enkeltochter genießen darf für mich empfänglich zu sehen, Line. Aber ich war gerade dabei, mich wieder in meiner ganzen Erhabenheit zu präsentieren. Ich bin stark genug, auch dich zu tragen, wie ich dich in mir und später auf meinen Armen und Schultern getragen habe, Line. Oder hast du der Mutter dieses Jünglings hier eine Revanche angeboten, auf daß ihr eure weißen und schwarzen Streiter gegeneinander antreten laßt?"

"Ich habe sie bei ihrer Nachbarin Catherine gelassen, weil wir beide bis zum Mittagessen wohl kaum eine weitere Partie zu Ende bringen können. Aber die haben bei sich einen schön breiten Kamin. Da werde ich in den nächsten Tagen häufiger hereinfauchen."

"Nun dann", sagte Barbara Hippolyte Latierre. Dann stellte sie sich in die Mitte der Mulde, murmelte fast lautlos einige Julius unbekannte worte und begann zu wachsen, sich erst in die Länge, dann in die Breite zu ziehen. Starke Wurzeln drangen in den Boden ein, schlossen ihn über sich und schoben damit die Verwandlung merklich an. Innerhalb von nur fünf Sekunden stand der majestätische Kirschbaum wieder da. Millie sah ihre Oma an, die amüsiert zurückgrinste.

"Ich wollte an und für sich mit Julius nur hier sitzen und Plaudern. Jetzt versteht er sie und will natürlich alles wissen", quängelte sie. Zu ihrer Bestätigung fragte Julius nach oben blickend:

"Ist das nicht langweilig, so da herumzustehen?"

"Du meinst, weil Vegetieren von Vegetation kommt müßte ich mich in dieser Gestalt wie eine Gefangene meiner eigenen Wünsche fühlen? Nein, das tue ich nicht. Meine Tochter sagte es schon: Ich bin die Königin der Kirschbäume hier und habe einen vollständigen Überblick über alles, was hier auf dem Hof geschieht", wisperte ihre Stimme jetzt wieder. Vier Vögel kamen angeflogen und landeten in der weit ausladenden Krone. "Ah, ich erfahre gerade, daß du dir den Hals verränkst, um mich zu sehen, Julius. Das ist nicht nötig. Wenn du möchtest, kannst du zu mir hinaufsteigen. Das gilt auch für euch beide, Line und Millie."

"Monju, ich habe dich mit ihr zusammengebracht, sehe ich ein. Dann reden wir eben nachher über die nächsten Tage", grummelte Millie, lächelte dann aber warm. Sie saß auf ihrem Besen auf und ließ Julius hinter sich aufsteigen. Dann stieg sie waagerecht nach oben, passierte einen der dicken Äste und wedelte dann leicht in das dichte Blätterwerk hinein. Julius hoffte, nicht mit Wespen oder Hornissen in Berührung zu kommen, als er Millies Aufforderung folgte und sich vom Besen in die Krone des Baumes hinüberschwang, wo er auf einem der dicksten Äste wie auf einem federnden aber stabilen Balken zu sitzen kam. Millie fragte ihre Oma, ob sie da unten bleiben wolle. Diese schüttelte den Kopf. Millie wollte schon mit dem Besen hinunterfliegen, um sie heraufzuholen, als Ursuline Latierre ihren Zauberstab zückte und damit ihre Handflächen berührte. Dann stieß sie sich ab, brachte ihre Füße an den Stamm und drückte ihre Hände an die Rinde. Julius staunte, als die füllige Hexe behände wie ein Eichhörnchen und mit einer offenbar gerade heraufbeschworenen Ansaugfähigkeit in Händen und Füßen sicheren Halt findend nach oben turnte, bis sie auf seiner Höhe ankam und sich vorsichtig nahe beim Zentrum der Krone auf einen anderen sehr dicken Ast setzte, der etwas federte und dann ruhig nach außen ragte. Millie schwang sich von ihrem leicht zitternden Besen und landete geschmeidig neben Julius. Der Ast bog sich erst ein wenig nach unten, hob sich aber wieder an.

"Öhm, sind wir Ihnen nicht zu schwer?" Fragte Julius. Doch es kam keine Antwort. Ursuline grinste amüsiert, während Millie ihn in eine halbe Umarmung nahm, um sich und ihm zusätzlichen Halt zu geben. "Öhm, sind wir dir nicht zu schwer?" Fragte Julius nun.

"Dann hätte ich euch nicht zu mir eingeladen. Ich weiß, das Line sich für die vielen Enkelkinder, die sie mir vorgestellt hat immer mehr als ausreichend ernährt. Und ihr beiden seid mir nicht zu schwer."

"Das interessiert mich jetzt doch, wann, wie und warum du ein Kirschbaum geworden bist, öhm, Barbara", sagte Julius leise, während sich Ursuline ein paar Kirschen abpflückte und zu essen begann.

"Nun, vielleicht haben meine Kinder und Enkel dir erzählt, daß mein Mann Sergio vor vierundfünfzig Jahren von dem dunklen Magier Grindelwald getötet wurde, als er sich von ihm nicht dazu zwingen lassen wollte, sein ohnehin schon berüchtigtes Gefängnis mit noch mehr Bosheiten auszurüsten, auf das keinem von Grindelwalds Feinden die Flucht von dort gelänge. Grindelwald wollte die absolute Herrschaft der Zaubererschaft über die nichtmagischen Menschen, ähnlich wie es Sardonia vor dreihundert Jahren angestrebt hat und es dieser Größenwahnsinnige, sich selbst an Leib und Seele verstümmelnde Totflucher, der sich Lord Voldemort nennt in dieser Zeit versucht. Jedenfalls weigerte sich Sergio, Grindelwald bei seiner Tyrannei zu helfen und wurde von ihm ermordet. Das war für mich ein schwerer Schlag, mit Ursuline, die gerade erst dreizehn geworden war und den anderen vier Kindern auf dem großen Hof zu leben, zwar mit einigen Verliesen bei den Kobolden, aber doch allein mit den Kindern. Ich hatte Sergio versprochen, nicht um ihn zu trauern. doch auch wenn Line und die anderen mir eine Aufgabe gaben, die ich bewältigen konnte, so konnten sie mir nicht den geliebten Mann an meiner Seite ersetzen. Sie trösteten mich zwar, daß etwas von ihm weiterlebte. Doch irgendwann würden sie gehen und ihre eigenen Wege beschreiten. Ursuline war in Beauxbatons und deshalb auch mehrere Monate nicht zu Hause. Dann ging Cynthia in die Schule, und dann Diana. Mit jedem meiner Kinder, daß in die erhabene Akademie eingeschult wurde, wuchs die Einsamkeit wieder. Ich merkte, daß ich meine beiden Söhne entweder zu streng anfaßte oder zu sehr vergötterte. Das entfremdete sie mir bereits vor Beauxbatons. Sie wollten nicht als Ebenbilder ihres Vaters aufwachsen, nicht in seine Fußstapfen treten. Ich merkte, wie sie sich immer mehr von der Familie losrissen. Mir gelang es nicht, meine Fehler wieder gut zu machen, weil sie sich mir zusehens verschlossen. Nur die Töchter hielten zu mir. Dann, als Line mir das erste Enkelkind zeigte - deine Mutter, Mildrid - begriff ich, daß ich als ewige trauernde Witwe keine brauchbare Großmutter sein würde und las in der Bibliothek des Château Tournesol, das ich nach dem Tod meines Vaters neben dem Hof zu führen hatte, ob es eine Magie gäbe, über verlorene Liebe hinwegzukommen. Natürlich gibt es keinen solchen Zauber, wenn nicht das Gedächtnis als solches verändert werden soll. Doch ich las von einem großen Naturmagier, der vor dreitausend Jahren in Griechenland gelebt hat. Philemon Philophyton, auch als Vertrauter allen Grüns bekannt. Er hatte große Angst, vor seiner geliebten Frau zu sterben und fürchtete die Einsamkeit nach ihrem Tod genauso stark. Er vertraute sich, so die überlieferungen, den Dryaden an und erfuhr von ihnen, wie er sein menschliches Dasein aufgeben könne, wenn er es nicht mehr aushielte, ohne gleich den Freitod zu wählen. Auf dieses Wissen hin erfand er einen Trank aus Pflanzen aller Art, wirkte sogar magisches Tierblut hinein und zerstoßene Samen diverser Früchte. Er stimmte den Trank auf sich und seine Frau ab. Sie beide führten ein Ritual durch, daß sie beide, wenn den ersten von ihnen der Tod entgegentrete, die menschliche Daseinsform verließen und in der Gestalt ihrer Lieblingsbäume weiterleben konnten und so noch Jahrhunderte zu überdauern. Sie tranken den Trank, und vollendeten das Ritual. Als seine Frau dann im hohen Alter eine schwere Krankheit bekam und daran zu sterben drohte, brachte er sie zu einer Waldlichtung und stellte sich neben sie. Als sie fast nicht mehr atmete, vollzog sich die Verwandlung. Sie überdauerten noch sieben Jahrhunderte und schufen jeweilige Nachkommen von sich. Durch den Trank wurden sie befähigt, die Sinne aller niederen Lebewesen warhzunehmen, die von den von ihnen ausgebildeten Früchten aßen, bis sie die Kerne auf frische Erde fallen ließen. So wurden sie zu einem Königspaar, daß einen großen Wald friedlich beherrschte.

Die Geschichte hat mich ziemlich stark angerührt, muß ich zugeben. Zunächst habe ich nicht so recht geglaubt, daß ich mir sowas antun würde. Doch als mir Line ihre Tochter Barbara vorstellte, nachdem sie ein paar Söhne zur Welt gebracht hatte und ich sah, wie sehr sie mir ähnelte, nahm ich sie beiseite und erklärte ihr, daß es nun Zeit sei, mein trauriges Witwendasein zu beenden."

"Ja, und ich dachte zuerst, meine Mutter wolle wieder heiraten. Dummerweise gefiel diese Idee meinen beiden Schwestern Amélie und Cynthia nicht", grummelte Ursuline. Der ast, auf dem sie saß ruckelte etwas, als wolle die Königin der Kirschbäume ihre menschgebliebene Tochter durchschütteln.

"Läßt du mich wohl meine Geschichte aus meiner Sicht zu Ende erzählen, vorlautes Mädchen! - Nun, ich erkannte, daß ich in der Familie nur noch die Rolle einer bemitleidenswerten Mutter spielen würde und bereitete heimlich den Trank zu. Als ich mir sicher war, daß er nach den alten Vorgaben gebraut war suchte ich mir hier auf meinem Hof eine unbewachsene Stelle, zog mich aus, ließ meine Kleidung verschwinden und vergrub meinen Zauberstab so, daß dessen Spitze mir in den Fuß stechen Würde. Ich stellte mich auf ihn, benetzte ihn mit meinem Blut und trank den Trank Philemons und seiner Frau Bauces mit Andacht. Dann trat die Wirkung ein, und aus mir wurde das, was euch gerade erhaben trägt und nährt. Nimm dir ruhig noch ein paar Kirschen, Julius! Es tut mir wirklich nicht weh, welche abzugeben." Julius zögerte erst. Doch weil Millie sich auch welche griff nahm er auch noch welche und aß sie. Sie schmeckten süß und trotzdem auch erfrischend. Er überlegte schon, ob er die Kerne ausspucken sollte. Doch dann schluckte er sie einfach hinunter. Sie würden ihn auf natürlichem Weg wieder verlassen. Außerdem war er ja kein niederes Lebewesen. Die Königin der Kirschbäume sprach nun weiter: "Da ich nicht mit einem Partner den Trank getrunken und das Gemeinschaftsritual durchgeführt hatte, würde ich, so Philemons Beschreibung jeden Mond für insgesamt eine Stunde lang, solange Sonnenlicht auf mich falle meine ursprüngliche Gestalt wiederbekommen, wenn ich diese wollte und entweder nach Ablauf dieser Stunde dort wo ich dann stand neue Wurzeln schlagen oder vor Ablauf der Zeit an meinen Standplatz zurückkehren und mich auf direktes Verlangen hin zurückverwandeln. Hinzu kam noch, was seine Frau Bauces bemerkte, daß ihre Tochter, als sie die Eltern suchte und nur noch die Bäume fand, von ihr und nur ihr angesprochen werden konnte, sowie ich euch ansprechen konnte. Überlegungen und Erfahrungen zeigten, daß nur die aus ihr geborenen Nachkommen und die von ihren Töchtern geborenen Kindeskinder sie weiterhin verstehen konnten. Deshalb machte ich mir auch keine Sorgen, daß ich meinen Kindern eine Fremde in fremder Gestalt sein würde."

"Ja, dann erzähl auch bitte, daß ich mich schon sehr erschreckt habe, als du hier gestanden hast und mich angesprochen hast, wo ich den ganzen Hof nach dir abgesucht habe, weil ich dachte, du hättest Selbstmord begangen!" Schnarrte Ursuline Latierre.

"Das hast du ja jetzt erledigt", erwiderte der Kirschbaum Barbara Hippolyte amüsiert und schwang den Ast mit Ursuline sachte. "Nun, aber ich möchte die Geschichte meines drastischen Lebenswandels anständig zu Ende bringen, weil ich deine Neugier und deine Auffassungsgabe schätze, Julius Andrews. Ich vegetiere nicht dahin, wie du befürchtet hast, Julius. Alle Vögel und Insekten, die von meinen Früchten essen oder den Nekktar und die Pollen meiner Blüten als Nahrung nutzen sind meine Augen, Ohren, meine Hände und meine Finger. Ich kann jedes Wesen, das von mir etwas nachwachsendes ißt, aber besonders dann wenn es die Früchte sind, überwachen und auf seiner instinktiven Ebene lenken. Die einzige Nebenwirkung des Zaubertranks ist die, daß ich eben nur bei hellem Tag und insgesamt nur eine Stunde im Monat als Menschenfrau herumlaufen kann."

"Daa gibt's doch so viele Krankheiten wie Borkenkäfer und Pilze und dergleichen. Abgesehen davon könnte der Blitz dich treffen oder ein Sturm dich umwerfen", warf Julius ein.

"Achso, ich vergaß, daß der Wonneproppen hier, der dich mit seiner und damit meiner Lebenskraft aufgefüllt hat mich als Königin der Kirschbäume bezeichnet hat. Alle um mich herumstehenden Bäume, nicht nur die Kirschen, sind durch den Trank Philemons meine Leibwache geworden. Stehe ich als Baum zwischen ihnen, ziehen sie alle sie anrührenden Parasiten und alles Unwetter auf sich. Das mag egoistisch und lebensverachtend klingen, mich der Natur selbst so gemein zu entziehen, Julius. Aber vergiss dabei bitte nicht, wie oft Menschen für andere Menschen ihr Leben gaben, um sie zu schützen, sei es aus geschworener Treue, aus Angst vor dem eigenen Versagen, oder, was der wirkungsvollste Grund ist, aus Liebe zu ihnen anvertrauten und sie liebenden Menschen. Außerdem wurden die Bäume hier viel stärker, als ich mich zu ihnen gesellte."

"Ich habe gelernt, was der Samen des Hexenkelches kann. Können Sie auch mit Pflanzen sprechen, sie irgendwie beeinflussen?"

"Die Frage mußte kommen", erwiderte die Königin nicht nur der Kirschbäume. "Ja, in gewisser Weise, wenngleich es keine lautsprache ist, sondern eine Fühlsprache, daß ich eine Pflanze näher bei mir wünsche oder größer. Dadurch kann ich ihre Bewegungen, die trotz aller Magie immer noch sehr langsam verlaufen, etwas steuern, aber nicht so, daß ich eine Barriere aus wehrhaften Büschen aufbieten oder Bäume ein regenundurchlässiges Dach formen lassen kann."

"Dann frage ich doch jetzt mal ernsthaft, warum wir Menschen nicht alle sowas machen sollen?" Wollte Julius wissen, und sowohl Millie als auch ihre Oma nickten ihm sehr heftig zu.

"Es ist nicht für jeden Menschen geeignet, Julius. Nur für die, die von der Liebe zu einem verlorenen Menschen aufgefressen zu werden drohen und Angst vor einem Neuanfang haben. Und da der Trank längst nicht jedem bekannt ist wird auch längst nicht jeder in Versuchung geführt, ihn anzuwenden. Ich habe mich dieser Versuchung hingegeben, um einen neuen Daseinszweck zu suchen. Ich habe ihn darin gefunden, Heim und Nahrungsquelle für Waldtiere zu sein und denen aus meiner Familie, die Hunger haben etwas nahrhaftes zu geben, wie meine Latierre-Kühe, deren Zucht mich etliche Jahre von meiner Einsamkeit ablenken konnte. Dann, als ich mir sicher war, daß Ursuline meine Arbeit mit ihnen fortsetzen konnte, holte sie mich wieder ein, diese dunkle, kalte Frage, für wen oder was ich mein Leben verbringe. Sicher werdet ihr zwei Beiden da", wobei sie Ursulines Ast schüttelte und millie mit einem Zweig über den Rücken strich "sagen, daß ich für euch und eure Kinder und Kindeskinder als erfahrene Hexe und Vorbild hätte weiterleben sollen. Aber wenn dich das Gift der Traurigkeit und der Angst vor dem Alleinsein so stark angegriffen hat, daß es kein Gegengift mehr gibt, suchst du nach allem, um dich davon zu befreien, Julius. Ich für meine Person wollte niemandem zur Last fallen. Ich war nach außen die Starke, die unerschütterliche, die zielstrebige Hexe, eine Institution auf dem Gebiet magischer Tierwesen. Doch je stärker ich nach außen wirkte, desto leerer wurde es in mir selbst."

"Warum hast du es nicht doch noch einmal mit einem neuen Partner versucht?" Fragte Julius. Dabei dachte er an Claire, die ihm gebeten hatte, sich nicht an ihrem Fortsein festzuklammern, weshalb er in letzter Folge auf einem magischen Baum saß, der sich für ein paar Minuten in eine nackte Frau verwandelt hatte.

"Ich weiß, daß du diese schwere Last tragen mußtest, Julius und weiß auch, wie und warum du sie sicher ablegen konntest, weil deine Gedanken für mich sobald sie davor stehen, Worte zu werden erkennbar sind. Doch die Hilfe die du hattest hatte ich nicht. Und niemand konnte mir zureden, jemanden neues zu finden. Da ich, wie ich es gerade erzählt habe nach außen hin immer stark und unerschütterlich auftrat, wollte auch kein Zauberer was mit einer derartig dominanten Hexe zu schaffen haben. So mauerte ich mich zu allem Überfluß selbst noch in mein Elend ein. Tja, aber immerhin kann ich jungen Burschen wie dir noch sensationelles bieten, dir vielleicht als das warnende Beispiel dienen, dich nicht von Verlustangst und betrauerter Liebe einschnüren und auffressen zu lassen wie von einer Teufelsschlinge. Sogesehen hat mein Dasein seinen Zweck, zu helfen, daß andere nicht wie ich in ihrer Trauer und Einsamkeit zu ertrinken drohen, sondern sich umsehen, für wen sie dasein und vom wem sie sich helfen lassen mögen. Ich bin froh, Line, daß wir eine so lebendige Nachfahrin in die Welt gebracht haben, die diesem jungen Mann hier helfen wird, das Menschsein als Segen und nicht als Fluch zu empfinden."

"Du hast mir auch schon geholfen, Maman, weil ich durch dich gelernt habe, mein Leben nicht mit dem von Roland enden zu lassen, sondern für meine Kinder dazusein und noch weitere Kinder zu bekommen", sagte Ursuline. "Das Wunder des Lebens, Julius, ist ein Geschenk, kein Fluch. Auch wenn dir Leute wie Blanche Faucon einzureden versuchen, sich nicht nur den Sinnenfreuden und der körperlichen Natur hinzugeben. Glaube mir, auch sie weiß es besser. Doch wie vieles will sie das nicht wahrhaben. Lernen ist wichtig, um alle Türen des Lebens öffnen zu können. Aber du mußt auch wissen, was du hinter den von dir geöffneten Türen tun willst oder ob du zu feige bist, auch nur eine Tür aufzumachen, weil dahinter was liegen könnte was du nicht gelernt hast", sagte Ursuline und verlagerte ihr Gesäß, weil der dicke Ast eben nicht gepolstert war.

"Ich fange erst an, das zu begreifen, Ursuline", sagte Julius bescheiden und umarmte Millie, die sich an ihn kuschelte.

"Du mußt nicht alles begreifen können, Monju, solange du dich wohlfühlst, ohne das sich andere unwohl fühlen müssen", schnurrte sie. Dann fiel ihm noch was ein, wo er zwei ausgewiesene Expertinnen zur Verfügung hatte:

"Es ist schon eine traurige Geschichte, warum du die Königin der Kirschbäume hier geworden bist, Barbara. Ich hoffe, ich komme nicht in die Versuchung, zwischen Tod und irgendeinem Fremddasein zu wählen und nichts anderes mehr zuzulassen. Aber was ich jetzt, wo ich dich, die du die Latierre-Kühe gezüchtet hast fragen kann fragen möchte: Wieso ist die Kuh Artemis, eine Tochter von Demeter, so verrückt nach mir? Ich meine, ich war mal dreißig Sekunden so mit ihr verbunden, daß ich ihren Körper wie meinen eigenen gefühlt und bewegt habe. Aber was macht die jetzt so wild auf mich, und wie kann ich das abstellen, ohne sie verletzen zu müssen? Ich habe bereits ein magisches Tierwesen, das um mich herumläuft."

"Du sprichst manchmal zu umständlich", erwiderte die Königin der Kirschbäume leicht mitleidsvoll. "Aber ich kann dir deine Frage beantworten und bin froh, daß du den Mut hattest, sie mir oder Line zu stellen. Die Latierre-Kühe sind Herdentiere. Das kommt von den in sie eingekreuzten Tieren Schaf, Elefant und Milchkuh. Darüber hinaus sind sie aber auch Individuen mit großer Zielstrebigkeit, was an dem eingekreuzten Anteil des Adlers liegt. Beides zusammen zeigt, daß sie sich nur denen unterwerfen, die ihnen gegenüber die stärkste Durchsetzungskraft aufbieten können. Und da du Artemis' Körper übernommen und ihren Willen damit zurückgedrängt hast, hast du dich als der mit der stärksten Durchsetzungskraft erwiesen. Will sagen, sie hat sich dir unterworfen, allerdings soweit, daß sie dich auch begleiten und beschützen möchte, auch wenn sie noch relativ verspielt ist. Sei froh, daß du nicht Demie auf diese Weise beeindruckt hast. Sie würde auf Grund aller bisherigen Erfahrungen, auch mit Geschlechtspartnern, deine geistige Kraft als oberstes Maß nehmen. Artemis könnte durch die erste Paarung und die hoffentlich folgende Trächtigkeit und Mutterschaft lernen, daß es Wesen gibt, die ihr mehr imponieren und mehr auf sie angewiesen sein können. Aber solange das nicht passiert ist bist du für Artemis der Herdenführer, der der ihr zeigt, wo es lang geht, dem sie hinterherfliegt und ihn beschützt. Es ist nicht sicher, daß das bei der ersten Trächtigkeit wirklich verschwindet. Es könnte nur solange weg sein, wie sie ein Kalb hat. Da wir aber die Kälber nicht dauerhaft bei den Müttern lassen könnte das wiederkommen, wenn sie sich wieder neu ausrichtet. Finde dich am besten damit ab, daß Temmie jetzt dir gehört!"

"Ich habe schon einen Kniesel", maulte Julius.

"Besser, sie hat dich", feixte Millie.

"Nun, das ist nicht so schlimm, wenn du hier auf dem Hof eine dir folgsame Latierre-Kuh hast", versuchte Barbara Hippolyte ihn aufzumuntern. "Du weißt doch welche Vorzüge sie haben. Dann sagen zu können, daß du so ein Prachtmädel ohne großen Aufwand führen kannst ist doch was feines."

"Kann ich die nicht auch anderen übergeben, sagen: "Temmie, bleib bei dem oder der!"?" Wollte Julius wissen.

"Wie gesagt, sie sind Herdentiere, die den stärkeren Anführer akzeptieren und haben einen eigenen Sinn, sich von dem imponieren zu lassen, der sich ihnen gegenüber am wirksamsten durchgesetzt hat. Aber komm jetzt nicht auf die Idee, körperliche Gewalt oder magisch erzeugte Schmerzen anzuwenden! Sie haben eine hohe Magieresistenz. Ich habe selbst einmal einen wütenden Bullen niederkämpfen müssen. Es waren vier Schocker zugleich nötig, um ihn niederzuwerfen. Aber das merken die sich wie die Elefanten, von denen sie die Größe und das Gedächtnis haben. jeder, der dann mit einem Zauberstab in der Hand auf sie zugeht wird von ihnen als Bedrohung gesehen und angegriffen. Spätestens dann ist es aus. Denn körperlich werden sie uns Menschen immer überlegen sein. Leg es also bloß nicht darauf an, einer Latierre-Kuh mit körperlicher Züchtigung zu imponieren! Die merken sich das, probieren irgendwann aus, wie stark sie im Vergleich zu dir sind und gewinnen. In der Nichtmagischen Welt gibt es Dressurveranstaltungen mit immer wild bleibenden Raubtieren. Wenn die herausbekommen, daß sie ihren Vorführer angreifen und verletzen, ja auch töten können, ist die Herrschaft des Menschen über diese Exemplare erledigt."

"Also kann ich im Moment nur warten, bis Temmie was kleines kriegt?" Fragte Julius resignierend.

"Oder du akzeptierst Temmie und bringst ihr den Respekt entgegen, den Mitglieder einer Gruppe füreinander empfinden. Dann hast du keine Probleme damit, mit Temmie zurechtzukommen", sprach die Stimme aus dem Baum, die jetzt, wo Julius in der Krone saß um ihn und in ihm hallte.

"Der kann sich nicht einfach mit dem Satz abfinden: "Nimm's hin und freu dich dran, Uroma Barbara", entgegnete Millie. "Aber wenn er es einmal hingenommen hat freut er sich um so mehr", schnurrte sie dann noch, während Julius sie kräftig in die Seite knuffte.

"Er hat gesagt, daß er langsam beginnt zu begreifen, was das Leben an sich zu bieten hat, Mildrid", beschwichtigte die Königin der Kirschbäume.

"Du hast die Eauvive-Familie und uns. Mit allem kannst du fertig werden, weil immer jemand in Rufweite ist, der oder die dir helfen oder dir was erklären kann, aber auch von dir Hilfe annehmen kann", sagte Ursuline Latierre und streckte symbolisch und tatsächlich ihre Hand aus. Julius reichte ihr seine Hand und drückte sie erst sacht, und als die Hexe auf dem ihm gegenüberliegenden Ast ordentlich zupackte hielt er solange gegen, bis er sich arg anstrengen mußte, nicht schmerzverzerrt dreinzuschauen.

"Ich fürchte, du mußt doch noch sehr viel mehr essen und deine Kräfte üben, Jungchen. Wie willst du denn sonst einer werdenden Mutter helfen, deren Kind sich querlegt oder die verschiedenen Techniken der Wonne anwenden, wenn du mal was neues ausprobieren willst", sagte Ursuline und hielt Julius Hand in einem schraubstockartigen Griff. Doch er rang sich ein Lächeln ab und drückte noch mal kräftig zu. Doch das imponierte der zwölffachen Mutter nicht. Der Baum, in dessen Krone sie hockten, schüttelte sich bedächtig.

"Du bist offenbar kein Gänseblümchen", stellte Julius fest.

"Bitte was?" Fragte Ursuline lachend.

"Jemand, der bei der Liebe nur die sanfte Tour haben will", sagte Julius.

"Weiß ich nicht. Bist du so drauf? Nein, das darf ich nicht wissen. Das gehört dir und deiner Partnerin und sonst keinem. Ich war mal wieder ein böses Mädchen", lachte Ursuline und ließ Julius los, der vorsichtig seine Finger bewegte, um sie zu entspannen.

"Du warst, du bist und wirst es wohl bis zu deinem Lebensende sein, ein böses Mädchen, Line", gab Barbara Hippolyte ihren Kommentar dazu ab. "Aber genau dafür liebe ich dich, seit dem Moment, wo du mir das erste Mal in den Bauch getreten hast, Ursuline."

"Ich weiß, Maman. Und deshalb verstehe ich es bis heute nicht, warum du dich in einen Baum verwandeln mußtest", seufzte Ursuline, jetzt nicht mehr die lockere direkte Hexe, sondern eine leicht betrübte Tochter, die nicht begreifen kann, warum ihre Mutter zu solch drastischen Maßnahmen gegriffen hatte.

Sie saßen einige Minuten schweigend in der Krone des magischen Kirschbaums und aßen von den hier noch hängenden Früchten. Als Julius befand, daß er nicht zu viel essen durfte, um von der anderen Barbara nicht ausgeschimpft zu werden, wenn er nicht genug aß meinte Ursuline Latierre:

"Wird auch langsam Zeit, Maman. Wir sind um zwei uhr beim Mittagessen verabredet."

"Es hat mich sehr gefreut, daß du mir zuhören konntest, Julius Andrews. Lebe deinLeben gewissenhaft und aufrichtig und erhalte dir Liebe und Freundschaft! Ich weiß, daß du mit Mildrid glücklich werden und sie auch glücklich machen kannst und das nicht nur im Bett. Aber ihr werdet ganz bestimmt gemeinsame Kinder haben."

"Woher willst du das wissen?" Fragte Julius.

"Weil dir sonst meine Kirschen nicht so gut schmecken würden, daß du dich davon erfrischt fühlst. Nur wer mit unserer Sippschaft gut auskommt, kann meine Kirschen so genießen. Lebe also wohl und mit aller Liebe, die du empfangen und erwidern kannst!"

"Langes Leben und Frieden, Barbara Hippolyte Latierre, Tochter der Pyroglossa Montferre und des Priapus Latierre!" Wünschte Julius und tätschelte ein paar Blätter des stolzen Kirschbaums.

"Ich turn zuerst runter", sagte Ursuline, nun wieder locker und fröhlich klingend.

"Wie geht der Zauber, mit dem du dich mit den Händen und Füßen irgendwo anheften kannst? Das sah ja aus wie bei Spiderman", wollte Julius wissen.

"Spiderman? Ein englischer Spinnenmensch?" Fragte Ursuline. Julius nickte.

"Nein, keine Spinne, sondern das Gegenteil, eine Fliege, Julius. Der Zauberspruch heißt Muscapedes und du mußt dabei an eine die Wand hochkletternde Fliege denken. Dann kannst du deine Handflächen und Fußsohlen fünf Minuten lang durch Gedankenkraft anheften oder loslösen, egal wie glatt eine Fläche ist. Du könntest dich damit womöglich sogar an der Decke festhalten. Ich bin dafür schon etwas zu schwer, denke ich", sagte Ursuline lächelnd. Dann wendete sie den Zauber ungesagt an und turnte griffsicher und gelenkig den Baum wieder hinunter.

"Wir fliegen mit dem Besen", stellte Millie klar, zog ihren Besen aus mehreren Zweigen frei, die ihn solange sicher gehalten hatten und saß auf, Julius schwang sich sofort hinter ihr auf den Stiel und stieß sich ab. Der Notlandezauber griff sofort und verhinderte den Absturz. Millie ließ den Besen einige Meter durchsacken und zog ihn dann nach oben und beschleunigte.

Als sie wieder beim Haupthaus ankamen diskutierten die Orchauds hitzig mit Barbara Latierre.

"Und es bleibt dabei, ich gebe keinen Knut für dieses bockige Stück Vieh aus", polterte Hubert. Seine Frau versuchte, ihm zuzureden, das "Stück Vieh" doch noch zu kaufen oder zumindest zu mieten. Doch mehr bekam Julius für's erste nicht mit.

Beim Mittagessen, wo sie alle ihre Festumhänge und -kleider trugen, saß Julius neben Millie und fragte sie, ob er das mit dem Kirschbaum besser für sich behielt.

"Da wir sie nur verstehen können, weil wir direkt oder indirekt von ihr abstammen und du was von ihr in dir hast, würde dich selbst ein Zauberer für verrückt halten, wenn du ihm das erzählst", flüsterte Millie.

"Wollen die Orchauds Demies Tochter nicht haben?" Fragte Ursuline Latierre ihre Tochter Barbara. Diese schüttelte den Kopf und deutete auf Hubert.

"Artemis hat das verspielte Mädel eine Weile gut geführt. Dann befand die fliegende Temmie, daß sie lieber spielen wolle, weil ihre Cousinen ankamen. Da hat Hubert die Ketten genommen und wie wild daran herumgerissen, wie Julius gestern. Ergebnis: Null!"

"Oh, schade", sagte Ursuline laut genug, daß Hubert und seine Frau es hörten. "Naja, bleibt das Mädel eben so bei uns. wenn die so einen Dickschädel hat, können wir mit der bestimmt gute Nachzuchten kriegen."

"Bestimmt, Maman", sagte Babs.

Julius sprach nach dem Mittagessen im freien mit seiner Mutter, die außer Schach noch Säuglingspflege für Hexen und Großfamilienkoordination erlebt hatte über das Fußballspiel und den Tandemflug. Sie meinte, daß sie sich hier bisher nicht gelangweilt habe. Allerdings, so setzte sie leise an:

"Irgendwie komme ich mir hier seltsam vor. Überall Babygeschrei, junge Mütter und stolze Väter. Für eine Frau in meinem Alter schon eine sehr befremdliche Situation, als wenn ich hier nichts zu suchen hätte, obwohl mich alle freundlich anlächeln und in die Sachen einbeziehen, von denen ich Ahnung habe und für ihre Welt auch was nützliches weiß."

"Mum, du hast doch nicht etwa einen Kein-Baby-Blues?" Fragte Julius frech.

"Du meinst ich wäre traurig, weil ich im letzten Jahr nicht schwanger geworden bin und dann auch sowas lautes und quängeliges wie die Montferre-Söhnchen oder Claudine habe. Neh, für ein Baby muß ich erst wieder den passenden Vater finden, bevor ich es mir zulege und nicht erst, wenn ich es schon unterm Herzen trage, Julius. Mach dir also keine Sorgen, ich müßte jetzt auf Biegen und Brechen ein Brüderchen oder Schwesterchen für dich beschaffen, Frechdachs!"

"Hätte ja sein können. Manche Frauen sollen ja neidisch auf werdende oder junge Mütter sein, wenn sie selbst keinen Mann haben, mit dem sie was kleines auf die Welt loslassen können."

"Ich sag's ja, Frechdachs", tadelte sie laut. Dann sagte sie leise: "Wo im letzten Jahr nicht mehr viel gefehlt hat und ich fast als Baby neu zur Welt gekommen wäre oder ewig in einer Pseudogebärmutter dahinvegetiert hätte, Julius. Da bin ich doch froh, wenn ich zwischen mir und dem Baby im Haus im Moment zwei Türen zumachen kann."

"Das habe ich auch zu Millie gesagt", sagte Julius und deutete auf Millie. Diese hörte ihren Namen und sah, daß Julius auf sie wies und beugte sich herüber. Er widerholte, was er über sie und Miriam und ihn und Claudine gesagt hatte.

"Ich spiel echt mit dem Gedanken, mir in den Ferien mal den Nutrilactus-Trank zu geben um Miriam was zu bieten. Immerhin dürfen ältere Schwestern auch als Amme einspringen, hat uns Madame Rossignol erzählt."

"Weil zuerst die körpereigenen Abwehrkräfte gebildet werden, die von außen zugeführt werden", dozierte Julius.

"Na ja, ob du dich soweit aufopfern mußt, Millie. Nachher sagt das Kleine noch Maman zu dir", konterte Martha mit einer von ihr unerwarteten Derbheit.

"Neh, die Kinder die das tun sollen müssen erst mal da unten rein und dann ackern, um wieder rauszukommen", sagte Millie und deutete flüchtig auf ihren Unterleib.

"Na gut, aber das muß ja jetzt noch nicht sein", wandte Martha Andrews ein. "Ich kann noch gut damit leben, nicht als "gran" oder "Oma" bezeichnet zu werden."

"Danke, Martha, daß ich deine Enkelkinder bekommen darf", erwiderte Millie schlagfertig. Julius' Mutter blieb zwar für einen Moment das Gesicht stehen. Doch dann nickte sie anerkennend für diese gelungene Erwiderung.

"Ich bin voll", stöhnte Babette, als sie das viergängige Mittagessen im Bauch hatte. "maman, kann man Babys wie Schnupfen kriegen?" Fragte sie dann noch.

"Als wenn du vorlautes Balg das nicht wüßtest", knurrte Joe Brickston. Doch weil ihn die scheinbar so unbekümmerte Frage doch irgendwie amüsierte, mußte er trotz aller nötigen väterlichen Autorität lächeln.

Der Nachmittag stand bis fünf Uhr zur freien Verfügung. Julius schlenderte über die Wiese und sprach mal mit dem einen oder der anderen. Dann stand Barbara Latierre neben ihm.

"Gib mir bitte deine Hand!" Sagte sie.

"Wo soll's hingehen?" Fragte Julius.

"Interessant, daß du gleich denkst, es ginge irgendwo hin, wenn eine erwachsene Hexe dich bittet, ihr die Hand zu geben", lächelte Barbara. Doch sie nickte ihm bestätigend zu. Er Hoffte, nicht noch einmal in eine Falle hineinzugeraten wie zu Ostern. Doch als er mit Barbara auf einer Weide stand schwante ihm, was jetzt abgehen sollte.

"Also, schade, daß meine Cousine ihre Namensvetterin nicht einmal mieten darf. Aber Hubert hält die Hand über das Familiengeld. Nur bei dem Café darf er nicht reinreden. Ich habe von Maman erfahren, daß du meine Namensgeberin gesprochen hast. Muß ein ziemlicher Hammer für dich gewesen sein, nicht wahr?"

"Am Anfang schon. Dann habe ich erst gedacht, jemand will mich veralbern. Dann dachte ich an eine Dryade, bis deine Oma sich vor mir in natürlichster Garderobe präsentiert hat und dann was sie mir erzählt hat, was mit Temmie und mir los ist. Du willst doch nicht, daß ich das von Ostern wiederhole, oder?"

"Das eigentlich nicht. Aber ich will wissen, ob sie bei dir wirklich besser spurt als bei mir. Artemis und Hubert hat sie völlig ignoriert, auch und vor allem, weil Hubert sie mit Brachialgewalt zu lenken versucht hat."

"Das habe ich gestern auch. Heute weiß ich, daß das nicht zieht."

"Das im wahrsten Sinne des Wortes. Aber bei dir hat sie gestern zumindest gespurt. Sie fand wohl, daß du ihr was beibringen wolltest, meinte Hipp gerade noch zu mir. Ich will jetzt sehen, was da dran ist. Und da kommt sie auch schon", sagte Barbara und deutete nach oben, wo eine kleine weiße Gestalt aus dem Himmel herabsank, erst mausgroß, dann so groß wie ein Kaninchen, dann wie ein Pudel, dann wie eine Dogge, dann wie ein Pferd. Plumps! Alle vier Beine trafen auf den weichen Wiesenboden. Mit einem lauten "Muuuuuuh!" Begrüßte Temmie Julius und Barbara.

"So, ich hänge ihr das Cogison um und setze ihr den zweieraufsatz oben auf. Dann wollen wir sehen.

Als das Cogison befestigt war klang es nach einem lauten Blub "Julius ist vor mir. Der ist der, der in mir war."

"Noch mal muß ich das nicht, Temmie. Du bist mir zu groß, und nachher verlaufe ich mich noch", erwiderte Julius cool.

"Julius, das Cogison kann nur worthafte Gedanken von ihr widergeben, aber nicht übersetzen, was du sagst", lachte Barbara. Sie praktizierte den Zweieraufsatz auf Temmies rücken und befahl ihr, wieder aufzustehen. Als sie nicht gehorchte befahl Julius es.

"Das läuft jetzt wie bei Goldschweif", stöhnte er, als er neben Barbara im Zweiersattel angekettet war.

"Du bringst sie hoch, fliegst einige Minuten mit ihr ruhige Manöver aus und landest dann. Wenn sie das alles ohne zu bocken macht, weiß ich Bescheid. Also los!"

"Temmie, feines Mädchen! Vooooooran!!" Kommandierte Julius, der die Ketten hielt. Temmie trabte an, dann kommandierte Julius "Uuund hoooooch!!" Unverzüglich reagierte Temmie. Das Cogison sagte: "Julius bringt mich in Luft. Julius bringt mich in Luft."

"Jetzt nur mit den Ketten!" Mentiloquierte Barbara, als Temmie sanft wie ein Jahrmarktspony auf ihren Flügeln dahinglitt, ohne Fachsen zu machen. Julius führte Temmie, als sei in ihr eine Servolenkung eingebaut. Offenbar fühlte sie irgendwie, daß er sie lenkte oder war nach dem störrischen Vormittag wesentlich umgänglicher. Er fragte, ob Latierre-Kühe tageszeitbedingte Launen hätten.

"Das nicht, Julius. So, jetzt bring sie mal in Schwung!"

"Voooorwärrrts, Temmie! Ganz flottes Mädchen!" Kommandierte Julius und vollführte mit den Führketten antreibende Bewegungen. Temmie flog los. Das Cogison sagte: "Fliege schneller. Julius will schneller. Da vor mir Tantetochter Auberge."

"Cousinenalarm!" Stellte Julius fest.

"Lass sie nicht spielen, Julius!" Mentiloquierte Barbara.

"Nein, wir spielen jetzt nicht Cousinenfangen", knurrte Julius energisch und zog die Ketten etwas stärker an, aber nicht zu grob. Tatsächlich flog Temmie schnurstracks an Ostaras Tochter Auberge vorbei. Diese meinte zwar, sie müßte ihre Nachmittagsspielstunde abholen und setzte Temmie nach, worauf das Cogison "Auberge will spielen", von sich gab. Doch Julius zog Temmie nach oben, zur Seite und wieder nach vorne, wenn sie vom Kurs abkommen wollte. Nach einigen Minuten gab Auberge die Verfolgung auf, weil Temmie nicht auf ihre Spielaufforderungen reagierte, beziehungsweise Julius ihr nicht ihren Willen ließ.

"Damit haben wir's amtlich", knurrte Barbara. "Das Mädel ist dir unterworfen. Ich mach dir keinen Vorwurf, Julius, überhaupt nicht. Das konnten wir damals nicht wissen, daß deine Ruster-Simonowsky-Begabung diese magische Übernahme auslösen kann. Aber es ist Fakt, daß ich sie wohl nur als Zuchtkuh und Milchlieferantn halten kann, weil sie vielleicht losfliegt, um dich zu suchen, wenn ich ihr den Rückhaltering abmache, um mit ihr anderswo hinzufliegen."

"Wie gesagt, das war echt nicht geplant. Die beiden Cousinen von der haben mich in Panik versetzt. Das war unverzeihlich."

"Du sprichst mit Ursulines Tochter, nicht mit der von Blanche Faucon, Julius. Gefühle sind nichts unverzeihliches, sondern nur die absichtlichen Taten. Außerdem hast du dich und Millie davor schützen wollen, mit einer von denen zusammenzurasseln. Wir bringen die wilde Walze jetzt in ihren Stall, wo sie dir nicht mehr nachfliegen kann. Dann sprüh ich uns beide mit dem Entdufter ab, um uns wieder unter meine Geburtstagsgäste zu mischen."

Julius führte Temmie durch die Luft zu einem Stallgebäude und ließ sie zu Fuß durch das von Barbara aufgezauberte Tor trotten. Dann ließ sie die Treppe hinunter, stieg herab und löste das Cogison mit zwei Zaubern, die ihr die Dexters wohl beigebracht hatten. Julius stieg ab. und tätschelte Temmies linkes Vorderbein.

"Feines Mädchen. Ich muß jetzt nach Hause", sagte er. Temmie gab ein behagliches Muhen von sich. Barbara winkte Julius hinter sich Her. Temmie drehte sich um, als von unten ein Gitter nach oben fuhr und sieben Meter über dem Boden in Verriegelungen einrastete.

"Wir können", sagte Barbara.

Draußen vor dem Stallgebäude ghörten sie Temmie noch einmal muhen. Millies Tante besprühte sich und den Gast mit einem speziellen Geruchsvertilger, der den Kuhstallgeruch vollkommen verschwinden ließ und disapparierte mit ihm.

"Rastet die nicht aus, wenn sie eingesperrt ist?" Fragte Julius besorgt.

"Sie wird wohl noch ein paarmal brüllen. Aber dann wird sie Ruhe geben. Die Gitter sind mit dem Ferrifortissimus-Zauber verstärkt, und die Wände auch mit besonderen Unbrechbarkeitszaubern belegt."

"Wie weit muß ich weg sein, daß sie mir nicht mehr nachläuft?" Fragte Julius.

"Mindestens zwei Kilometer", sagte Barbara. Dann führte sie Julius zur Geburtstagsgesellschaft zurück.

Nach dem übergangslos in das Abendessen gleitenden Kaffeetrinken gab es bis zehn Uhr noch einmal Musik und Tanz. Dann packten alle ihre Sachen zusammen, wobei Catherine Martha mit dem Packzauber half, da alle anderen in fünf Sekunden ihre Taschenund Koffer packten. Danach verabschiedeten sich alle voneinander. Ursuline drückte Julius noch einmal an sich:

"Jetzt hast du auch das zweite Familiengeheimnis der Latierres entdeckt", mentiloquierte sie ihm. "Das dritte wirst du erst dann entdecken, wenn Millie dein erstes Kind im Bauch hat, nämlich wie das ist, mit einer Latierre-Hexe, die Mutter wird jeden Tag zurechtzukommen." Julius sagte und dachte dazu nichts. Er verabschiedete sich und bedankte sich bei Ursuline.

"Wir sehen uns dann spätestens in Millemerveilles. Julius. Du wirst mich ganz bestimmt nicht mit Blanche und der scheinheiligen Eleonore Delamontagne alleine durch das Schachturnier spielen lassen", sagte Ursuline mit körperlicher Stimme. Dann reichte sie ihn weiter an ihre Tochter Barbara, die ihn landesüblich verabschiedete. Danach sagte er den Montferre-Schwestern und ihren Eltern auf Wiedersehen".

"Wir sehen uns bestimmt noch mal in diesem Sommer", sagte Sabine. "Dann solltest du aber deinen Besen dabei haben."

"Geht klar!" Erwiderte Julius darauf.

"Es tut mir Leid, daß ich Ihnen ohne daß ich das wolte die neue Latierre-Kuh verhunzt habe", sagte Julius zu Artemis Orchaud, als er sich von ihr verabschiedete.

"Ich bin noch ein paar Tage hier. Womöglich renkt sich das doch noch mit Temmie und Hubert ein", antwortete sie, wobei sie jedoch nicht so ganz zuversichtlich klang.

Nach der Abschiedsrunde, die bei Patricia Latierre endete, der Julius trotz das Marc nicht bei ihr sein konnte noch schöne Sommerferien wünschte, bestigen die in Paris lebenden Latierres, die Brickstons und die Andrews den veilchenblauen VW-Bus und tuckerten los, zuerst aus dem Tor in der Hecke hinaus, dann flott auf die Straße, einige Kilometer weit und dann mit einem Sprung nach vorne auf die Autobahn.

Millie kuschelte sich an Julius, weil Martine übergangslos eingeschlafen war oder zumindest so tat, um ihrer Schwester etwas Kuscheln zu gönnen, ohne dafür verantwortungslos genannt zu werden.

"In den nächsten Tagen landet ein Muggelraumschiff auf dem Mars und soll von da Bilder zur Erde schicken. Falls du möchtest, können wir uns die dann mal zusammen ansehen", flüsterte Julius, während sich um ihn herum schläfriges Schweigen ausbreitete.

"Soso, Bilder vom Mars willst du dir mit mir ansehen. Ich will aber lieber Bilder von der Venus sehen", neckte ihn Millie.

"Da ist es nicht schön. Zu heiß, nur ätzender Nebel, keine Sonne", flüsterte Julius.

"Was, auf dem Planeten der Liebe gibt es keine Sonne?" Fragte Millie leicht verstimmt.

"Und keinen Mond und keine Sterne und kein Meer", fügte Julius schadenfroh hinzu.

"Das ist gemein. So gehört sich das nicht", tat Millie empört, wobei sie gerade laut genug war, daß Julius sie hörte aber sonst nur der Motor zu hören war.

"Da wird im Leben leider nicht immer nach gefragt", seufzte er.

"Was manchmal auch gut so ist", schnurrte Millie und knabberte ihm keck am rechten Ohr. Julius hielt sie an sich gezogen und versuchte, sie unauffällig an ihr genehmen Stellen zu berühren. Doch das Risiko dabei aufzufliegen war zu groß. So knuddelte er sie nur ab und an, was sie mit einem behaglichen Schnurren kommentierte.

"Wenn du jetzt wie Goldschweif anfängst muß ich dich gleich aus dem Fenster auf dein Schlafkissen setzen", foppte Julius seine Freundin.

"Ich bin aber noch gar nicht müde", flüsterte Millie ihm ins Ohr.

"Schicksal", erwiderte Julius nur, bevor seine Lippen von ihren berührt wurden.

"Ist gut jetzt", mentiloquierte Hippolyte von vorne. Julius gab das weiter. Millie sah ihre Mutter an, die sie unerbittlich anblickte, dabei aber ein amüsiertes Lächeln präsentierte.

Den Rest der Fahrt verbrachten Millie und Julius sittsam nebeneinandersitzend und wortlos.

Als sie endlich wieder in Paris ankamen verabschiedete er sich von den Töchtern der Orchauds und Damian Vendredi. Zum Schluß kamen Hippolyte, Albericus, Martine und Millie an die Reihe.

"Du weißt, ich bin sehr tolerant, was eure Annäherungen angeht, Julius. Aber versucht das irgendwie hinzukriegen, daß es nicht jeder sehen muß!" Verlangte Hippolyte Latierre von ihm. Monsieur Latierre sagte nur:

"Ich habe es kapiert, daß du und unsere Millie wohl irgendwie füreinander gemacht seid. Aber respektiere auch uns, wenn du mit ihr zusammen bist und denke bitte daran, wie das auf uns zurückfällt, wenn ihr was macht, daß nicht mehr umzukehren ist!"

"Wir sehen uns wohl noch mal in diesem Sommer", sagte Martine zu Julius.

"Ich habe beschlossen, daß ich mir diese Mars-Bilder ansehen komme, wenn die da sind", sagte Millie. "Wird vielleicht schöner da aussehen als auf der Venus."

"Schlaf schön, Millie und träum was schönes!" Wünschte Julius seiner Freundin.

"Von sieben kleinen Babys", schnurrte Millie verrucht klingend.

"Red mit deiner Mutter, wie sich das anfühlt, nur eins zu kriegen oder mit deiner Oma Line, die hat zwölf gekriegt."

"Eben, und du wolltest sieben aus mir rauslassen. Gute Nacht, Monju!"

"Nacht, mamille!"

"So, dann haben wir das auch hinter uns. War doch mal ganz schön, so außer der Reihe", meinte Joe. "Aber ich muß morgen wohl wieder ranklotzen, um die zwei Freien Tage wettzumachen", stöhnte er dann noch.

"Gute Nacht!" Wünschte Babette laut, als ihre Mutter sie durch die Wohnungstür schob.

"Schlaft schön, ihr alle. Vielleicht kannst du den Claudine-Wecker ja um zwei Stunden nach hinten stellen", meinte Julius.

"Möchtest du sie mit zu euch raufnehmen, dann können wir schlafen. Satt ist sie, die Windel würde noch 'ne halbe Woche vorhalten. Also, wie wär's?"

"Öhm, Danke für das Angebot, Catherine, aber ich möchte diese Nacht nicht auf Oma trainieren", sagte Martha Andrews. Alle lachten. Dann ging Catherine mit ihrer jüngsten Tochter auf dem Arm in die Wohnung.

Die Andrews verloren nicht mehr viel Zeit mit dem Auspacken der Taschen. Sie machten sich zur nacht fertig und fielen förmlich in ihre Betten.

Julius dachte noch einmal an die Kuh und den Kirschbaum. Das war schon eine traurige Sache, warum es ihn gab. Was Temmie, die Kuh anging, so hoffte er, daß sich das mit ihrer Anhänglichkeit wieder legte. Dann schlief er ein.

ENDE

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