KRIEGSRECHT UND FRIEDENSLAGER

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Getrübte Aussichten begleiten Julius und seine Ehefrau Mildrid Latierre zurück nach Beauxbatons. Dort stößt ihre frühe Verheiratung nicht auf ungeteiltes Verständnis. Vor allem Julius' ehemaliger Schulfreund Hercules Moulin entwickelt einen unbegreiflichen Widerwillen gegen ihn und macht sein neues Leben als stellvertretender Saalsprecher der Grünen schwer. Außerdem ist da noch der neue Zaubertierkundelehrer Maurice Pivert, dessen Vorliebe für sportliche Leistungen zu Unmut unter den Schülern seines Unterrichts führen. Doch weil er zweimal seine Schüler in gefährliche Situationen bringt, muß er bald schon wieder gehen. Hercules' Aufsässigkeit droht, den grünen Saal in Ungnade zu stürzen. Es stellt sich heraus, daß in ihm die Erbanteile einer grünen Waldfrau, auch Sabberhexe genannt, immer deutlicher hervortreten. Um die immer größere Unbeherrschtheit, sowie die durch die Erbanlagen geschärften Sinne und besonderen Zauberkräfte in kontrollierten Bahnen zu halten, wird Hercules zu der Sabberhexe Aubartia nach Nordamerika geschickt.

Julius erfährt von der Hetzkampagne gegen Muggelstämmige in England und daß er selbst von deren Initiatorin Dolores Umbridge erbittert gejagt wird. Dementoren überfallen Frankreich und andere europäische Länder. Das führt zu einer heftigen Auseinandersetzung im Zaubereiministerium, wie diesen Invasionsversuchen zu begegnen ist. Grandchapeau kann sich gegen seinen Kritiker Janus Didier behaupten. Doch wenige Wochen später verschwinden er und seine Frau auf mysteriöse Weise. Der Verdacht, daß im Ministerium jemand gezielt die offene Auseinandersetzung mit Voldemort sucht gährt vor sich hin, vor allem als Janus Didier zum neuen Zaubereiminister gewählt wird. Umbridge versucht indes, Julius zur Rückkehr nach England zu zwingen, in dem sie seine vier Freunde, Gloria Porter, die Hollingsworth-Zwillinge und Kevin Malone mit einer Anklage wegen Unterstützung krimineller Zauberer bedroht und sogar den Kuß des Dementors als mögliches Urteil in Aussicht stellt. Julius plant mit seinen Lehrern und seinen Verwandten, die vier Bedrohten aus Hogwarts herauszuholen. Mit dem Intrakulum, der Knieselin Goldschweif und einigen Unwetterkonserven dringt er in Hogwarts ein und kann mit Hilfe einer Leihgabe seines Schwiegervaters Gloria und die drei anderen herausholen. Dabei gerät er fast mit dem neuen Schulleiter Severus Snape aneinander, den Goldschweif nur als unangenehm einschätzt, während die übrigen im Schloß patrouillierenden Todesser von ihr als böse bezeichnet werden. Zu Julius' und Glorias Überraschung treffen sie kurz vor der Abreise auf die Mitschülerin Lea Drake, die durch einen Zaubertrank ohne Tarnumhang unsichtbar wie ein lebendiges Gespenst in Hogwarts umherstreift. Nach der gelungenen Flucht bleiben Julius' Freunde und ihre Verwandten einige Tage im Sonnenblumenschloß der Latierres, bis er sie zusammen mit seinen Schwiegertanten Barbara und Béatrice auf Artemis' Rücken über den Atlantik bringt, wo sie im Flug in ein magisches Luftschiff aus Amerika umsteigen. Minister Didier verkündet in der Zeitung, daß nun alle volljährigen Hexen und zauberer, die den Patronus-Zauber beherrschen, gegen Dementoren kämpfen. scheinbar am Rande erwähnt die Zaubererzeitung, daß ein Muggel in Nizza ein menschlich aussehendes Wesen gesehen hat, das sich in ein echsenartiges Ungeheuer verwandelt hat, führt das aber auf einen starken Alkoholrausch des Muggels zurück. Didier verheißt jedem, der seine Anweisungen bedingungslos ausführt Ruhe, Schutz und Geborgenheit. Zwischen den Zeilen liest sich das jedoch so, daß er vorhat, die Zaubererwelt umzustellen. Aus Beauxbatons werden fünf Schüler der obersten Klasse eingeladen, die Dementoren zu bekämpfen. Außerdem fürchtet Julius, daß Voldemorts Handlanger die Flucht von vier Schülern und die außerdem ablaufende Rettung gefährdeter Muggelstämmiger nicht unbeantwortet hinnehmen werden.

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Madeleine L'eauvite war für gewöhnlich eine lebenslustige, auch gerne zu Späßen aufgelegte Hexe, die von ihren Kindern als geduldig und liebevoll geachtet und von ihren Enkeln als lustige Oma verehrt wurde. Obwohl sie vom äußeren Erscheinungsbild her ihrer jüngeren Schwester Blanche Faucon glich konnte jeder sofort den Unterschied zwischen dieser und Madeleine erkennen. Zumindest war das bisher so gewesen. Doch seit fast jeden Abend einige düstere Kreaturen meinten, die Sanctuafugium-Schutzzone um das Haus ihrer Nichte Catherine belagern zu müssen und sie ihren Patronus, eine armlange Libelle aus silbernem Licht, immer wieder aufrufen mußte, war ihr Frohsinn merklich zurückgegangen. Mißmutig und besorgt blickte sie nun immer aus den Fenstern, wenn es dunkel wurde. Ihr Mann hatte es eingesehen, daß sie solange in Paris bleiben wollte, bis die Angriffe entweder aufhörten oder wirksam zurückgeschlagen werden konnten. Das einzige, was an ihre lebensfrohe Art erinnerte, war die regenbogenfarbige Kleidung und daß sie das schwarze Haar offen um ihre Schulter wehen ließ, wo ihre Respekt und Ehrfurcht erheischende Schwester in einfarbiger Kleidung herumlief und ihr Haar zu einem strengen Knoten gebunden trug. Auch jetzt stand Madeleine L'eauvite wieder Wache. Die letzten Sonnenstrahlen zerflossen gerade zu einem difusen Fleck am westlichen Horizont. Selbst das exotische Schillern, daß die über Paris hängende Dunstglocke in den Sonnenuntergang hineinwirkte, fand Madeleine längst nicht mehr interessant.

"Na, wartest du wieder auf diese unsichtbaren Biester, die alles dunkel machen?" Fragte Joe Brickston verdrossen.

"Für dich und Martha sind die unsichtbar, Joe. Aber Hexen und Zauberer können die sehr wohl sehen", erwiderte Madeleine ungehalten. Früher hätte sie womöglich einen lockeren Spruch angebracht, um ihrem Schwiegerneffen den Spott zu vergellen, ohne ihn zu maßregeln.

"Euer Obermagier macht doch jetzt Mobil, hat Catherine erzählt."

"Sei da besser froh, wenn Catherine und ich dann noch auf das Haus hier aufpassen können", erwiderte Madeleine ungehalten. "Der neue Minister will alle unter sein Kommando stellen, die den Patronus können. Das hieße also auch, daß Catherine und ich diesem Aktionisten folgen müßten. Könnte dem auch einfallen, einen Gegenangriff zu befehlen. Und nachdem was Blanche erzählt hat würden dabei alle sterben, die einen Fuß auf britischen Boden setzen, sofern in ihnen Magie wirkt."

"Catherine soll morgen mit Martha zu eurem Obermacker hin, um dem beizubringen, daß Martha und Julius nix verbrochen haben", erwiderte Joe Brickston. Ihm war es etwas unheimlich, daß seine Schwiegertante mehr und mehr ihrer gestrengen Schwester ähnelte. Sicher hatte er noch eine gewisse Angst und auch Abscheu gegen magische Menschen, von seiner Frau abgesehen. Aber mit Madeleine war er immer besser ausgekommen als mit seiner Schwiegermutter Blanche, die ihm jedesmal mit Worten oder Gesten beizubringen trachtete, was er in ihrer Welt tun und lassen sollte.

"Catherine und Martha trauen dem Braten nicht, den Didier da ausgelegt hat, Joe. Und ich traue diesem übereifrigen Bürozauberer auch nicht weiter als mein zauberstab wirkt. Also hoffe besser, daß Catherine und Martha den morgigen Tag überstehen!"

"Wieso? Glaubt ihr, dieser neue Obermotz von euch kungelt mit diesem Wahnsinnigen, der angeblich einen Antiausländerfluch über mein Geburtsland gespannt hat?"

"Interessant, daß du jetzt die dritte Bezeichnung für Didier gefunden hast, ohne seinen offiziellen Titel oder Familiennamen zu benutzen", erwiderte Madeleine kühl. Früher, da war Joe sich sicher, hätte sie wohl erheitert geschmunzelt. "Kungeln im Sinne von gemeinsame Sache machen halte ich im Moment noch für unwahrscheinlich. Aber mit seinen Maßnahmen spielt er ihm zumindest in die Hände, Joe. Er hat blutjunge Hexen und Zauberer, die gerade mal erwachsen genug sind, um eigenständig zaubern zu dürfen, angefordert, um gegen Dementoren zu kämpfen, gegen die selbst gut ausgebildete und erfahrene Hexen und Zauberer Probleme haben. Außerdem gefällt mir nicht, was er nicht groß in die Zeitung gesetzt hat und ..." Sie brach mitten im Satz ab und blickte zum Fenster hinaus. Schlagartig war die graue Abenddämmerung erloschen. Wie ein gigantischer, hufeisenförmiger Schatten klammerte etwas undurchdringlich dunkles eine Richtung der Rue de Liberation ein. Ein Motorwagen der Muggel brauste direkt hinein. Joe erstarrte. Er hatte dieses schreckliche Schauspiel schon einige Male mit ansehen müssen. Kaum war die Sonne weg, kamen diese Monster, die kein Muggelauge sehen konnte und verströmten Dunkelheit. Zwar konnten sie nicht in den von einem angeblich unbrechbaren Schutzzauber umschlossenen Bereich eindringen. Doch wer außerhalb davon war geriet mitten in diese Düsternis. Martha Andrews hatte ihm erzählt, daß diese Kreaturen ihre Opfer mit schlimmen Bildern ihrer eigenen Erinnerungen foltern konnten. So hatte er eine gewisse Vorstellung, wie es den Autofahrern erging, die in diesen bösen Einfluß hineingerieten. Denn einmal hatte Catherine ihn selbst mit seinen schlimmsten Erinnerungen konfrontiert, um ihm zu zeigen, daß geübte Zauberer und Hexen damit arglose Leute quälen konnten.

"Sie haben es wirklich jetzt als Taktik festgelegt, nicht aus allen Richtungen zugleich anzurücken", knurrte Madeleine und öffnete mit der freien Hand das Fenster. Dann hielt sie ihren Zauberstab hinaus und rief "Expecto Patronum!" Dabei dachte sie an ihre eigene Hochzeitsnacht. Keine Sekunde später brach eine übergroße Libelle aus mondlichtartigem Leuchten aus dem zauberstab heraus und schwirrte in die Dunkelheit. Von anderswo im Haus erklang Catherines Paatronus-Beschwörung. Joe vermeinte, die silbern leuchtende Löwin aus dem Schlafzimmerfenster heraus auf die Straße springen zu sehen, bevor sie wie ein leuchtender Schemen in die Dunkelheit hineinpreschte. Sofort lichtete sich die geschlossene Reihe der Dementoren. Fetzen grauen Dämmerlichts glommen wieder auf. Das Reifenquietschen aus der Fahrspur geratener Autos klang etwas lauter.

"Diesmal wohl nicht so viele", meinte Joe und blickte durch das offene Fenster hinaus. Der Himmel über ihnen war nicht von tiefster Finsternis durchsetzt. Tatsächlich verschwanden die düsteren Schatten, ohne nachrückenden Ungeheuern Platz zu machen. Als die Dementoren vertrieben waren kehrten die Patroni zu ihren Ruferinnen zurück.

"Didier wird wohl gleich seine Vergissmichs losschicken, um die Leute zu behandeln", sagte Madeleine. Es war das übliche Spiel nach jedem dieser Angriffe.

"War's das schon?" Fragte Joe, als zwei bange Minuten verstrichen waren, in denen keine neuen Dementoren aufgekreuzt waren.

"Die wollen uns in Sicherheit wiegen, Joe", grummelte Madeleine. "Manchmal greifen sie im großen Pulk an und dann lassen sie sich nicht blicken. Wollten wohl nur wissen, ob wir noch da sind."

"Was nützt einem der beste Schutz, wenn drum herum Leute in Gefahr sind", knurrte Joe. "Am liebsten würde ich Catherine und die Kinder nehmen und mit ihr weit weg verreisen, nach Amerika oder Australien."

"Das mußt du mit Catherine aushandeln, Joe", erwiderte Madeleine. "Außerdem sind die Abflugplätze für eure großen Eisenvögel vom Ministerium überwacht. wer Magie in sich oder bei sich hat wird sofort entdeckt, hat Blanche erwähnt. Und mit eurem Selbstfahrwagen willst du wohl nicht über den Ozean, oder?"

"Catherine könnte den so leicht zaubern, daß der schwimmt oder fliegt", wandte Joe ein.

"Darf sie aber nicht, weil das eine dauerhafte Bezauberung eines Muggelartefaktes wäre", wandte Madeleine verdrossen ein. Joe vermeinte nun endgültig, seine nicht wirklich gemochte Schwiegermutter zu hören.

"Liebe Schwiegertante, ich hörte mal was, daß Menschen in Not alles machen dürfen, was keinen anderen gefährdet, um aus dem Schlamassel rauszukommen. Außerdem würde der Wagen kaum tausend Kilometer auf Wasser schaffen, ohne neuen Sprit zu brauchen."

"Sprit, kommt das von Spiritus?" Fragte Madeleine leicht verstimmt. Joe nickte. "Das ist das Zeug, was ein Auto zum Laufen bringt", schickte er noch nach. Dann deutete er auf die Straße hinaus. Mehrere Typen in Umhängen waren in großer Entfernung zum Haus aus dem Nichts aufgetaucht und bearbeiteten arglose Menschen mit Erinnerungsummodelzaubern. Madeleine wollte schon das Fenster schließen, als ein Habichtskauz um eine Laterne herumauf das Haus zuhielt und punktgenau durch das Fenster hereinflog. Der Eulenvogel trug einen gelben Briefumschlag im Schnabel, den er beim Überflug über den Wohnzimmertisch herausfallen ließ. Der Umschlag schlidderte auf dem Tisch entlang, während die Posteule fast auf der Stelle wendete und knapp eine Sekunde später schon wieder zum Fenster hinaus war. Madeleine schloß nun das Fenster.

"Keine Antwort erbeten oder darauf bedacht, daß Catherine eine eigene Eule hat", kommentierte Joe die eilige Luftpostzustellung. Er wollte sich nach dem Umschlag bücken, um ihn aufzuheben. Doch mit einem entschlossenen "Accio Umschlag", ließ Madeleine diesen zu sich hinfliegen. Catherine erschien im Wohnzimmer und sah ihre Tante mit dem Umschlag in der Hand.

"Hups, schon so früh eine Benachrichtigung?" Fragte sie. Madeleine reichte ihrer Nichte den Umschlag, ohne zu antworten.

"Das dachte ich mir, daß Pétain das überlegen könnte", knurrte Catherine.

"Was denn?" Fragte Joe. Catherine las laut vor:

"Sehr geehrte Madame Brickston,

laut ministeriellem Notfallerlaß Nummer vier zum Schutz der nichtmagischen Bevölkerung wird Ihnen und den Mitbewohnern des Hauses Rue de Liberation 13 folgende Anordnung erteilt: Auf Grund der offenkundig gegen Sie und Ihre Mitbewohner abzielenden Massenvorstöße ausländischer Zauberwesen mit besonderer Negativwirkung auf Lebewesen, die als Dementoren bekannt sind, begeben Sie und ihre Angehörigen sich baldmöglichst an einen von unserer Abteilung noch als sicher zu bestätigenden Ort außerhalb nichtmagischer Ansiedlungen und verbleiben dort bis auf Widerruf. Ihre schulpflichtige Tochter Babette hat sich ab kommenden Montag im gemäß Familienschutzerlaß Nummer eins neu eingerichteten Kindersicherheits- und Lerngebäude südwestlich von Antibes zur schulischen Betreuung und Verbleib in ministerieller Obhut einzufinden, dessen genaue Adresse auf beigefügtem Wegeplan aufgeführt ist. Sollte Ihr der nichtmagischen Welt entstammender Ehemann Joseph Brickston befinden, Sie nicht an den neuen Wohnort begleiten zu wollen steht es ihm frei, in einen nichtmagischen Wohnort innerhalb oder außerhalb Frankreichs überzuwechseln, solange die Notsituation besteht. Ansonsten ist er natürlich als Ihr Ehemann den Familienstandsgesetzen unterworfen und darf den Schutz vor magischen Nachstellungen beanspruchen. In Ihrem höchst eigenen Interesse wird Ihnen dringendst empfohlen, diesen ministeriellen Anordnungen widerspruchslos Folge zu leisten. Näheres mündlich, wenn Sie den mit der Abteilung für magischen Landfrieden festgelegten Termin wahrnehmen.

Noch eine angenehme und erholsame Nachtruhe

Sébastian Pétain"

"Oh, der Landfriedensleiter persönlich schreibt dir einen Brief", meinte Madeleine mit spöttischem Unterton. "Zeig mal die Unterschrift, Catherine!" Catherine gab ihrer Tante den Brief in die Hand. Ihre Miene war finster und mürrisch. "Stimmt, diese überkorrekte Handschrift ist seine", grummelte Madeleine. "Habe die auf manchen Briefen lesen dürfen, als er Justine umschwärmt hat wie die Motte das Licht." Catherine nickte. Auch sie hatte die Handschrift als die von Sébastian Pétain erkannt, der ja eine lange Zeit im Archiv für Zaubereigeschichte gearbeitet hatte.

"Im Klartext heißt das, wir sollen Babette nach Antibes in ein Hochsicherheitsinternat schicken und uns in einem sicheren Haus der Zaubereiverwaltung verkriechen, damit die nicht andauernd Leute herschicken müssen, weil diese Dementoren ja die armen Muggel hier terrorisieren", schnaubte Joe. "Mal 'ne Frage, woher kriegen diese Monster das dann mit, daß wir nicht mehr hier sind, wenn die nicht nah genug rankommen, um in unser Haus reingucken zu können?"

"Eine sehr berechtigte Frage", bemerkte Madeleine L'eauvite dazu. Catherine nickte. "Die werden wohl kaum ein Schild hier aufstellen, daß ihr umgezogen seid", setzte sie noch einen drauf. Catherine nickte.

"Wirkt dieser Zauber denn anders, wenn wir nicht mehr hier sind?" Wollte Joe wissen. Catherine schüttelte den Kopf. Dann überlegte sie. "Er wirkt immer noch alle bösen Kreaturen und Fernflüche abhaltend, Joe. Aber womöglich wird er von magisch empfindsamen Wesen anders verspürt, wenn die, die er schützen soll nicht in seinem Einflußbereich sind. Darauf spekuliert Pétain. Die Dementoren sollen den Eindruck bekommen, daß sich was an dem Zauber geändert hat, er gerade mal ein leeres Haus umgibt, aber kein Lebewesen schützen muß. Könnte nur sein, daß das nicht zutrifft und die Dementoren keinen Unterschied wahrnehmen."

"Ihr könntet das Haus mit dem Fidelius-Zauber unauffindbar machen", wandte Madeleine ein. "Wundere mich eh, daß jeder Muggel es sehen und finden kann."

"Maman hat das auch schon angeregt, Tante Madeleine. Aber zum einen bekamen wir bis vor wenigen Tagen immer mal wieder Besuch aus der Muggelwelt, Joes Kollegen und deren Familie und seine Verwandten aus England. Muggel dürfen ja nicht in Fidelius-Geheimnisse eingeweiht werden, sofern sie nicht unmittelbarer Bestandteil dieses Geheimnisses sind, was durch die Zaubereigesetze klar geregelt ist", erwiderte Catherine. "Das ist Maman auch klar geworden. Hinzu kommt ja noch, daß Joe Fernverständigungsverbindungen unterhält. Ein Haus, von dem keiner weiß, daß es existiert, kann auch nicht mit Fernsprechern erreicht werden. Es hätte in keiner für die nichtmagische Infrastruktur relevanten Akten gestanden und damit die Versorgung mit Elektrizität und Trinkwasser unmöglich gemacht. Daher wurde nur der Sanctuafugium-Schutz eingerichtet. Aber du hast recht, Joe, daß man es locker verschwinden lassen könnte", knurrte Catherine. Denn ihr ging gerade auf, was Didier und Pétain vorhatten. "Wenn wir hier nicht mehr wohnen brauchen wir ja auch kein Telefon, keinen Strom und keine Wasserversorgung, vom Heizöl ganz zu schweigen. Dann könnte jemand aus Pétains Truppe seine Existenz als Fidelius-Geheimnis in sich aufnehmen und damit für alle uneingeweihten verschwinden lassen. Der zauber würde den Sanctuafugium-Zauber nicht zerstören, aber auf das Haus selbst einschränken, das eben dann nicht mehr auffindbar wäre."

"Moment, und wenn dieser Mensch, der das Geheimnis magisch in sich einlagert uns nicht erzählt, daß es unser haus gibt, wissen wir das dann ja auch nicht mehr", erkannte Joe. Madeleine sah Joe sehr argwöhnisch an. Catherine nickte ihr beruhigend zu und sagte dann:

"Genau das schmeckt mir an dieser Sache nicht, Joe. Wenn wir hier rausgehen, und jemand aus Pétains Truppe sich verdonnern läßt, daß Haus mit Fidelius-Zauber zu verbergen, wissen wir es auch nicht mehr, daß wir da gewohnt haben. Wir können uns dann einfach nicht erinnern, wo wir gewohnt haben. Das heißt sogar, daß Pétain uns endgültig von unserem Zuhause abschneiden kann, falls er den Geheimniswahrer nicht dazu bringen möchte, uns ganz freiwillig, ohne magische Einflußnahme oder Ausforschung, zu verraten, daß wir in der Rue de Liberation 13 gewohnt haben. Dann werden auch Julius und Mildrid vergessen, daß sie hier gewohnt haben. ... Und von Martha haben die überhaupt nichts geschrieben." Catherine erbleichte. Madeleine zuckte ebenfalls zusammen, weil die Erkenntnis sie auch jetzt erst überkam. Joe sah die beiden Hexen sehr verdattert an und seufzte dann ohne jeden Zynismus in Haltung und Stimme:

"Weißt du, was das heißt, Catherine? Die haben Martha schon abgeschrieben oder für was anderes vorgesehen. Jedenfalls wird sie wohl nicht hier im Haus bleiben können, geschweige denn Millie und Julius."

"An und für sich sehr dumm, was Pétain da gerade gemacht hat", schnarrte Madeleine L'eauvite. "Er hat den Brief zu früh losgeschickt." Catherine nickte ihrer Tante sehr heftig zu, während Joe ansetzte, über die Hinterhältigkeit von Hexen und Zauberern herzuziehen, die meinten, weil sie Magie benutzen könnten alles anstellen zu dürfen, was ihnen gerade in den Kram paßte.

"Der Anstand im Ministerium ist wohl gerade in einen unbefristeten Urlaub gegangen", knurrte Madeleine nur. "Ansonsten sei froh, daß Blanche das nicht gehört hat. Die hätte es ganz sicher in den falschen Hals gekriegt, Joe."

"Wer sagt es Martha, daß sie hier nicht mehr erwünscht ist?" Fragte Joe verbittert.

"Wir klären das schon, Joe", erwiderte Catherine sehr verärgert. In ihren saphirblauen Augen flammte jedoch nicht nur Ärger, sondern vor allem Trotz auf. Sie sah ihre Tante an und tauschte mit ihr zwei Gedankenbotschaften aus. Dann sagte sie: "Ich berede das jetzt mit Tante Madeleine, wie wir uns und Martha aus diesem Sumpf herausziehen können, Joe. Dich bitte ich, auf Babette und Claudine aufzupassen."

"Was habt ihr vor?" Fragte Joe argwöhnisch.

"Nichts für ungut, Joe, aber für dich ist es wirklich besser, wenn du davon nichts mitbekommst, wegen Legilimentie. Du weißt schon", wehrte Catherine Joes berechtigtes Interesse ab. Joe erbleichte. Dann nickte er. Catherine und ihre Tante zogen sich ohne hörbare Worte in das schalldicht gezauberte Arbeitszimmer zurück und verriegelten wohl die Tür. Joe stand noch einen Moment da. Die Gedanken an seine Zukunft und die seiner Familie und Martha Andrews, die ihm bis heute nie ganz egal geworden war, veranstalteten eine schwindelerregende Karussellfahrt in seinem Kopf. Immer wieder dachte er, daß sie wohl alles verlören, was er mit Kopf und Händen erarbeitet hatte. Ihm schmeckte auchnicht, daß Babette jetzt schon in ein Internat sollte, noch dazu eins, daß eher einem Hochsicherheitsheim gleichkam. Mit dieser Zauberschule Beauxbatons hatte er sich wohl oder übel abgefunden, weil er einsah, daß Babette ihre magischen Kräfte besser beherrschen und den anständigen Umgang damit lernen sollte. Auf dem Tisch lag der amtliche Brief, der über sein Schicksal entschied, über seines und das von Martha Andrews und ihrem Sohn Julius. Er wußte, daß Catherine und Martha mit Blanche Faucon irgendwelche Sachen ausgeknobelt hatten. Doch er hatte nie genau mitbekommen, um wen oder was es dabei ging. Doch wenn Martha in Sachen eingeweiht war, in die man ihn nicht einweihte, dann war sie vielleicht in Gefahr. Catherine hatte ihm deutlich gezeigt, wie Zauberer aus wehrlosen Menschen Gedanken und Erinnerungen herauszerren konnten. Deshalb wollte sie ihm nichts erzählen, damit er es nicht unfreiwillig preisgab. Warum aber Martha sowas wissen durfte ... Wohl weil alles, was Julius betraf sie ja auch betraf. Aber so ging es ihm doch mit Babette und Claudine. Immer wieder hatte er mit dem Gedanken gespielt, eine frühere Drohung wahrzumachen und alles und jeden hier zu verlassen. Ja, und da lag der Brief, der ihm das sogar vorschlug, wenn er nicht in einem Haus ohne Strom und Internetanschluß leben wollte. Sie boten es ihm förmlich an zu verschwinden. Wäre es da nicht günstig, wenn er Martha überredete, mit ihm zusammen nach Übersee zu reisen und dort eine neue Zukunft als Freunde zu beginnen? Vielleicht machten diese Zauberer das ja sogar so, daß sie es zum Geheimnis erklärten, daß er eine Hexe geheiratet und zwei Töchter mit ihr gezeugt hatte. Dann wüßte Martha auch nichts davon und er hätte noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen, wenn er mit ihr einen zweiten Anlauf wagen .... Aber was dachte er denn da?! Er erschrak über seine abwegigen Gedankengänge. Er wollte doch nicht vergessen, was er erlebt hatte. Und Martha würde bestimmt nicht vergessen, daß sie verheiratet war und einen Sohn hatte, sofern man dessen Existenz nicht auch zum Geheimnis erklärte. Außerdem waren sie beide keine jungen Studenten mehr. Sie hatten gelebt, gearbeitet, Familien gegründet. All das war ein unwiederbringlicher Erfahrungsschatz. Ihn durch derartige Zauber auszuradieren war doch ein Verbrechen an ihm und Martha. Da konnte er doch nicht echt denken, mit ihr noch mal neu anfangen zu können, egal wo. Er beschloß, diese Grübelei nicht weiter an seinem Verstand rütteln zu lassen. Er lauschte auf die leise Musik aus Babettes Zimmer. Claudine schlief im Elternschlafzimmer. Sie würde wohl erst in zwei Stunden wieder was wollen. Er dachte erleichtert daran, daß Babette ihm vorgeschwärmt hatte, daß die Spice Girls im November ihre zweite LP rausbringen würden. Joe konnte es zwar nicht so recht verstehen, was an diesen fünf frechen Mädchen so überragend war. Sein Vater war ein Beatle-Fan, er selbst hatte sich mit Soul und Funk angefreundet, ja auch die Disco-Welle der Siebziger genossen. Insofern war wirklich nichts echt neues an diesen Mädchen. Doch für die, die weder die fabelhaften Vier aus Liverpool, noch ihr londoner Pendant, die Stones, noch die Disco-Bands in ihren schrillen Klamotten mitbekommen hatten, waren die Spice Girls die Offenbarung schlechthin. Er schmunzelte. Offenbarung hieß auf griechisch Apokalypse und stand da eher für den Weltuntergang. Dann fiel ihm ein, daß Babette wohl so schnell nicht hören würde, welche Lieder ihre derzeitigen Lieblingssängerinnen demnächst auf den Markt werfen würden. Denn ihm wurde klar, daß sie alle im Begriff waren, die sogenannte Muggelwelt, also das, was seine Eltern und er für zivilisiert hielten, für unbestimmte Zeit zu verlassen, vielleicht sogar für immer. Sollte er da nicht noch mal mit seinen Eltern telefonieren? Aber was sollte er ihnen sagen? "Tut mir leid, aber ich muß ganz dringend mit Catherine und den Kindern verreisen. Wir haben da, wo wir hinfahren kein Telefon..." Das erschien ihm irgendwie hilflos. Andererseits sollten seine Eltern, wo sie nun in das Geheimnis seiner Familie eingeweiht waren, verstehen, daß er bei seiner Frau bleiben mußte und daß sie vor diesem Massenmörder und seinen Kreaturen in Deckung gehen mußten. Er horchte auf, weil über ihm gerade etwas schweres auf dem Boden landete. Dann vernahm er Ursuline Latierres Stimme. Die imposante, sehr offenherzige Hexe war wohl wieder auf eine Schachpartie durch das grüne Feuer gesprungen, mit dem wie bei einer Transmitterverbindung weitentfernte Orte miteinander verbunden werden konnten. Was würde diese Dutzendmutter und Königin der Großmütter sagen, wenn Martha mal eben aus dem Haus verschwinden mußte und ihren Sohn und Millie mitnehmen mußte, falls dieser Didier die beiden nicht auch noch für eine andere Unterbringung verplante. Wieder klapperte etwas auf dem Boden über ihm. Dann hörte er Hippolytes Stimme, auch wenn er nicht verstand, was sie sagte. Millies Eltern hatten Catherines Aufpasserjob für Julius' magische Angelegenheiten übernommen, weil der ihre Tochter geheiratet hatte. Womöglich redeten die drei da oben jetzt über dieses nun sehr fragwürdige Treffen am nächsten Tag. Er schaltete den Fernseher ein. Solange seine Schwiegertante im Arbeitszimmer war konnte er ruhig in die Flimmerkiste schauen. Anders als seine achso respektable Schwiegermutter hatte sie ihm nicht reinzureden versucht, was er zu seiner Unterhaltung ansehen sollte. Nein, sie hatte sich mal neben ihn gesetzt und ein Bilderbuch aufgeschlagen, aus dem sie nach Lust und Laune scheinbar lebendige Gestalten herausbeschworen hatte, die die im Buch geschilderte Handlung mit Worten und Handlungen nachspielten, bis eine trällernde Meerjungfrau über die Gedankengänge eines Krimi-Kommissars hinweggesungen und ihn dabei in eine Art wohliger Trance versetzt hatte. Als er dann den Fernseher angenervt ausgeschaltet hatte war das einzige, was diese gerne bunt gekleidete Hexe dazu sagte: "Der Kasten gibt nicht so viel her, wie?" Seitdem ließ er es bleiben, den Fernseher anzumachen, wenn seine Schwiegertante in der Nähe war. Nachher kam die noch auf die Idee, die Teletubbies irgendwie im Wohnzimmer auftreten zu lassen.

Joe ließ sich vom Vorabendangebot eines amerikanischen Privatsenders ablenken. Erst gegen sieben Uhr kehrten Catherine und Tante Madeleine aus dem Arbeitszimmer zurück.

"Ach, das sind doch die fünf Sängerinnen, für die Babette gerade schwärmt", stellte Tante Madeleine fest, als im gerade laufenden Werbeblock das neue Album angepriesen wurde. Joe nickte. Dann sagte Catherine: "Ich hörte, daß Madame Ursuline und Madame Hippolyte Latierre oben sind. Gut so. Martha kommt dann nicht auf irgendwelche komischen Gedanken."

"Ihr wollt also die Nummer morgen so über die Bühne bringen, wie dieser Pétain und sein Boss das von euch haben wollen?" Fragte Joe, der eigentlich dachte, die beiden Hexen hätten einen Plan geschmiedet, ihn, die Kinder, Martha und Julius aus der Schußlinie zu retten.

"Wenn du mit Nummer meinst, daß wir das machen, was Didiers alter Kumpel von uns will, Joe, dann stimmt das nur zu einem Teil. Nämlich nur zu dem, daß Martha und ich zu dieser Fragestunde gehen. Falls der nette Herr andere Pläne mit uns hat, sind wir drauf gefaßt. Mehr mußt du nicht wissen."

"Verstehe. Ihr habt mehrere Alternativen ausgearbeitet", versuchte Joe, doch etwas mehr zu erfahren.

"Warst du immer schon so neugierig?" Fragte Madeleine und zeigte für einen Moment jenes unbekümmerte Grinsen, mit dem sie gelungene Scherze quittierte. Catherine meinte, daß er vierundzwanzig Stunden warten möge. Dann würde er alles wichtige wissen. Joe beruhigte das merkwürdigerweise. Denn damit verriet Catherine ihm indirekt, daß er sich um die gemeinsame Zukunft keine Sorgen machen mußte. Das reichte ihm vorerst.

"Die gute Line Latierre ist bei Martha?" Fragte Madeleine. "Offenbar gewinnt Martha noch häufig genug gegen sie."

"Das ist wohl wahr", erwiderte Joe dazu nur.

Madeleine blickte wieder auf den Fernseher, als wolle sie überlegen, womit sie dessen Bilderflut heute übertreffen konnte. Joe schaltete das Gerät schnell aus. Catherine bedachte ihn nur mit einem beiläufigen Seitenblick. Weil die beiden Hexen ja nicht damit herausrücken wollten, was sie für morgen ausgeheckt hatten, vertrieb sich Joseph Brickston bis zum Abendessen die Zeit mit Konversation über die Nachrichten aus der nichtmagischen Welt. Danach spielte er mit seiner Familie Karten. Zwischendurch prüften die beiden Hexen, ob wieder Dementoren aufmarschiert waren. Doch bis um zehn blieb die Straße frei. Offenbar hatten die Zauberwesen ausprobiert, ob sie gleich nach Sonnenuntergang stark genug waren oder mußten sich zurückziehen, um auf Verstärkung zu warten. Dann meinte Catherine:

"Ich sehe keine Dementorenaura oder diese Unwesen selbst. Aber irgendwie fühle ich was, daß etwas versucht, in den Sanctuafugium-Zauber einzudringen. Ist wie ein unangenehmes Pochen. Anders kann ich das nicht beschreiben."

"Wie merkst du das denn? Ich fühle nichts", warf Joe ein.

"Weil der Zauber auf mich abgestimmt ist. Wenn die böse Kraft noch stärker darauf einwirkt fühlst du das bestimmt auch", erwiderte Catherine. Babette, die wegen des schulfreien Samstags länger aufbleiben durfte nickte.

"Ich habe so'n dumpfes Gefühl im Kopf, wie beim ganz hoch fliegen oder wenn's auf 'nen Berg raufgeht und das auf die Ohren drückt. Aber hören tu ich noch wie sonst auch."

"Das unterschreibe ich mal glatt", wandte Joe ein, bevor ihm klar wurde, daß väterliche Spitzfindigkeiten im Moment wohl nicht angebracht waren. Madeleine nickte.

"Irgendwer oder irgendwas belastet den Zauber. Könnte sein, daß jemand aus der Ferne einen mächtigen Fluch versucht, wenn keine Dementoren da sind."

"Dann bleiben Martha und du besser morgen zu Hause", sagte Joe. Die Vorstellung, daß wirklich ein schwarzer Magier alle böse Zauberkraft bündelte und durch die weißmagische Schutzblase schlagen wollte wie ein energiereicher Phaserstrahler durch einen Schutzschirm machte ihm doch eine gewisse Angst. Catherine schüttelte den Kopf.

"Nein, Tante Madeleine, daß ist kein Fernfluch. Und nein, Joe, Martha und ich gehen morgen. Allein um zu klären, was Didier jetzt eigentlich vorhat. Wenn wir nicht hingehen, haben wir keine Chance mehr, das rauszubekommen."

"Maman, das wird immer stärker", wimmerte Babette. Ihre Mutter nickte mitfühlend. Aus dem Elternschlafzimmer klang Claudines ängstliches Weinen. Catherine stand auf und holte ihre jüngste Tochter ins Wohnzimmer, wobei sie auf sie einsang, ohne den Zauberstab benutzen zu müssen. Joe griff sich an den Kopf. Ein sachtes Ziepen war ohne Vorwarnung losgegangen und pulsierte jetzt im Rhythmus eines schlagenden Herzens unter seiner Kopfhaut.

"Es ist was lebendiges, das vom Zauber zurückgedrängt wird und doch sehr stark ist", vermutete Catherine. "Bei den Dementoren ist es nur anwachsender Druck, wenn mehrere Dutzend von denen gegen die Einfriedung rennen."

"Dann ruf deine Mutter und frag sie bitte", schlug Joe vor. Im Moment war es ihm egal, daß er gerade einen Vorschlag machte, der ihm sonst nie eingefallen wäre. Aber dieses sachte, aber unangenehme Ziepen unter seiner Kopfhaut war ihm überhaupt nicht geheuer.

"Daß du das sagst erstaunt mich", erwiderte Catherine. Tante Madeleine blickte auf die funkgesteuerte Wanduhr und meinte: "In Beaux ist jetzt Saalschluß. Ich versuch mal, durch den Kamin zu rufen."

"Die macht den abends ganz zu, Tante Madeleine. Ich rufe Martha an, die soll Vivianes Bild-Ich schicken."

"Vergaß ich, daß sie gerne zwischen zehn und elf ins Bett geht, wenn nichts wichtiges anliegt", knurrte Madeleine. Da klingelte das Telefon. Catherine eilte an den Apparat und meldete sich.

"Ach, Line und Hipp fühlen auch was?" Hörte Joe sie fragen. "Keiner draußen zu sehen. Ohne die zu sehen schicke ich keinen Patronus raus. ... Ist gut, wenn Line das auch so sieht. ... Wie? ... Wo? ... Kuck ich mir sofort an. Schick bitte Viviane los, die soll meine Mutter fragen, was das sein könnte. ... Nein, ich denke nicht, daß das von Didier kommt. Denk dran, daß unser gemeinsamer Feind weiß, wo du und Julius wohnen. Thicknesse hat ihm bestimmt deine Anschrift gegeben und ... Wie? ... Nein, der und andere Schwarzmagier werden vom Sanctuafugium-Zauber am Vordringen gehindert und können auch keinen Fluch in den beschützten Bereich hineinschicken. ... Ich seh mir das jetzt an, was du meinst, Martha. ... Ich komm gleich zu euch rauf. mach die Kontaktsperre aus dem Kamin, sofern meine Mutter dich nicht bittet, ihn ganz passierbar zu machen! ... Ich komm über die Treppe rauf."

"Was haben die oben gesehen?" Fragte Madeleine L'eauvite alarmiert.

"So in fünfzig Metern Entfernung leuchtet was grünliches pulsierend. Hippolyte hat's durch das nach hinten rausblickende Fenster sehen können."

"Der Zauberschutz reicht hundert Meter weit", wandte Joe ein. "Haben deine Mutter und du wenigstens gesagt."

"Deshalb will ich wissen, was das sein soll", fauchte Catherine wie eine auf den Schwanz getretene Katze.

Joe folgte Catherine, Babette und Tante Madeleine ins Schlafzimmer und blickte durch das vom Hinterhaus wegblickende Fenster. Da lag der Garten in friedlicher Ruhe. Merkwürdig erschien ihm, daß der kleine, gerade einmal knapp mannshohe Apfelbaum, den sie in Claires Andenken gepflanzt hatten, so deutlich zu sehen war, als sei es hellichter Tag. Bei seinem Anblick empfand Joe eine merkwürdig beruhigende Stimmung, bis er sah, wie die zerbrechlichen Äste des jungen Baumes in einem merkwürdigen Takt schwangen. Doch dann erkannte er in nicht einmal mehr vierzig Metern entfernung eine Erscheinung, die ihm schlagartig jede friedliche Stimmung austrieb. Es war ein Gebilde wie ein großer, hagerer Schatten eines Menschen. Doch um diesen waberte etwas wie phosphoreszierendes Gas, das wie von einem Blasebalg eingesaugt und ausgestoßen pulsierte. Stahlblaue Schlieren huschten durch diese absolut unnatürliche und ganz bestimmt von keinem normalen Menschen erzeugte Erscheinung, die langsam, in sehr vorsichtigen Schritten, als wolle sie einen tückischen Sumpf durchqueren oder eine Eisfläche auf ihre Tragkraft testen, immer näher kam. Bei jedem Schritt fühlte er das Ziepen unter seinen Haarwurzeln stärker werden. Die Erscheinung sah aus wie ein Mensch. Doch dieses Leuchten um sie herum, diese Aura oder wie immer das genannt wurde, erinnerte ihn eher an ein Monstrum mit langen, biegsamen Armen und einem flachen Schädel, als säße ein Schlangenkopf auf einem Menschenhals. Immer näher kam das Geschöpf. Immer deutlicher fühlten die Anwesenden den magischen Aufruhr, den sein Vordringen bewirkte. Joe starrte auf die immer dichter werdende Leuchterscheinung, die immer heller und konturschärfer wurde. Immer mehr blaue Schlieren irrlichterten durch das grüne Glimmen. Jetzt wirkte das Ungeheuer, denn nur sowas konnte es sein, als müsse es gegen einen heftigen Sturmwind ankämpfen, der es von den Beinen holen wollte. Jetzt gelangte es an einen Punkt, der diagonal mit den Wurzeln des jungen Apfelbaumes verbunden war. Da passierte es. Einer der Äste der zerbrechlichen Krone schwang kerzengerade nach oben. Es schien, als stürze ein von blauem Licht umtoster Meteorit vom Himmel herab, genau auf den emporgereckten Ast zu, traf diesen wie ein Blitz. Doch statt den Baum mit lautem Donnerschlag in Flammen aufgehen zu lassen umspielte das blaue Licht den Baum und ließ ihn wie eine weißblaue Neonlichtnachbildung eines Bäumchens aufleuchten. Dieser Vorgang hatte keine Sekunde gedauert, da peitschte ein anderer Ast genau in die Richtung, in der das von nun heftig pulsierendem Grün umflossene Geschöpf gerade den nächsten Schritt nach Vorne erringen wollte. Unvermittelt spannte sich ein blauer Lichtbogen vom Baum zu dem Ungetüm, das stolperte und dabei den Kontakt zum Boden verlor. Jetzt erst hörte Joe Geräusche. Es klang wie ein Schwall Wasser, der auf eine glühende Herdplatte gegossen wird, gefolgt von einem lauten Pfeifen, als der Eindringling wie von einer Riesenfaust gepackt nach oben gerissen und in eine blaue Leuchtblase eingehüllt wie ein Feuerball von einem unsichtbaren Katapult davongeschleudert wurde. Joe sah, daß der Eindringling genau im 45-Grad-Winkel nach oben stieg und innerhalb einer Sekunde mehr als hundert Meter zurücklegte. Im gleichen Augenblick, wo das Monster davongeschleudert wurde, erlosch das den Baum umstrahlende Licht. So sahen sie mit großem Erstaunen, wie das fremde Wesen hilflos durch die Luft flog.

"Hui! Das kenne ich aber noch nicht", staunte Madeleine L'eauvite, als der Spuk nach drei oder vier Sekunden vorbei war. Joe empfand eine heftige Euphorie, als habe er eine tödliche Gefahr heil überstanden und könne sein Glück nicht fassen. Das pulsierende Ziepen war in dem Moment verflogen, als das Ungeheuer vom blauen Licht davongerissen wurde.

"Der Baum hat den Schutzzauber fokussiert und gezielt gegen den Angreifer gewirkt", vermutete Catherine. "Also hat Camille doch was damit angestellt. Habe mich immer schon gefragt, warum der kleine Apfelbaum so eine kräftige Ausstrahlung besitzt."

"Na, was die Nachbarn von euch dazu sagen werden", meinte Madeleine L'eauvite. Catherine prüfte schnell, ob jemand das gesehen haben könnte und erkannte aufatmend, daß die Rolläden der Nachbarhäuser bereits geschlossen waren. Wer das Fauchen und Pfeifen gehört hatte würde jetzt wohl nichts mehr sehen. Denn auch der kleine Apfelbaum stand nun in völliger Dunkelheit, nicht mehr klar umrissen und schon gar nicht aus sich selbst leuchtend.

"Das Vieh, Monster oder der Dämon ist weniger als vierzig Meter vom Haus weg gewesen, Catherine", stellte Joe betrübt fest. Babette wimmerte, weil die Erscheinung auch ihr sichtlich zugesetzt hatte.

"Jetzt wissen wir wohl auch, warum keine Dementoren mehr gekommen sind", knurrte Madeleine. Catherine nickte ihr zu und schloß schnell das Fenster, nachdem sie erleichtert sah, daß die Nachbarn keine Anstalten machten, nach der Ursache des komischen Geräusches zu fahnden. Wieder trällerte das Telefon. Catherine ging an den Apparat, während Babette sich wimmernd an ihren Vater klammerte.

"Wenn Blanche oben bei Martha im Wohnzimmer ist komm ich mit rauf!" Rief Madeleine.

"Dann komm!" Rief Catherine, bevor sie Martha noch sagte, daß sie beide hochgehen würden. Joe wollte hinterher. Doch Catherine schüttelte heftig den Kopf. Ihr Blick war die pure Entschlossenheit. Joe ließ sie ziehen, zumal er auch nicht wollte, daß Babette allein blieb oder mitbekam, was nun oben besprochen wurde.

"Claires Baum hat das Monster weggeschossen", sagte Babette, als sie ihren leichten Schock überwunden hatte. Und wie umgeschaltet wurde aus ihrer Angst totale Sorglosigkeit, ja sogar Freude. "Claires Baum hat dieses grüne Leuchtmonster weggeschossen."

"Hast wohl recht, Babette", stimmte Joe ihr zu. Denn auch er hatte das so gesehen. Doch jetzt fragte er sich, was Claires Mutter mit den Apfelkernen angestellt hatte, daß ein daraus wachsender Baum eine derartige Magie entfachen konnte. Er dachte daran, daß in der Nähe des Bäumchens eine unbegreifliche Ruhe herrschte, nicht die einer angespannten Erwartung oder ängstlicher Untätigkeit, sondern eine Ruhe, die aus ehrlicher Geborgenheit kam, als könne ihm in der Nähe dieses kleinen, zerbrechlich wirkenden Pflänzchens nichts böses zustoßen. Dann fiel ihm auch ein, daß dieser junge Baum schneller und kräftiger wuchs als ein unbehandelter Apfelbaum und daß er die wütenden Herbststürme der vergangenen Wochen völlig unversehrt überstanden hatte. Mochte es sein, daß dieses Gewächs da mit einer Art heiliger Energie, einer Leben schützenden, weißen Magie aufgeladen worden war? Nach dem was er gerade eben hatte ansehen dürfen hielt er das nicht mehr für ausgeschlossen oder gar lächerlich. Dann mochte da wohl auch was dran sein, daß dieser kleine Baum einer von fünf Bäumen war, die alle zum Andenken an die durch einen gemeinen Fluch umgekommene Freundin von Julius gepflanzt worden waren. Einer war ja auf Claires Grabhügel eingepflanzt worden. Mochte es sein, daß zwischen diesen Bäumen nicht nur eine rein biologische, sondern auch übernatürliche Verbindung bestand, die eine schützende Kraft wachrufen konnte?

"Wenn du mal wieder bei den Dusoleils bist, Babette, kannst du Camille bitte fragen, was sie mit den Apfelkernen angestellt hat, daß wir jetzt einen beschützenden Apfelbaum im Garten haben?"

"Habe ich schon gemacht, Papa", erwiderte Babette. "Camille hat gesagt, daß sie an ihre Mutter und Claire gedacht und allen, die sie lieb hatten alles Glück gewünscht hat, bevor sie die Kerne rumgereicht hat. Außerdem sagt Denise immer, daß Claire ein richtiger Engel geworden sei, aber keine Flügel hätte. Sie sagt, sie würde auf sie, Jeanne und das Baby aufpassen und auf Julius wohl auch, obwohl der jetzt mit Millie zusammen ist."

"Ich hatte bisher nicht gedacht, daß in der Hexen- und Zaubererwelt viel von Gott oder Engeln gehalten wird", sagte Joe. "Wie kommt Denise darauf, daß Claire zu einem Schutzengel geworden ist?"

"Weil sie sie mal gesehen hat, hat sie mir gesagt. Aber das darf nicht jeder wissen, weil Denise nicht für blöd gehalten werden will. Denn Claire hat ihr gesagt, daß nur die sie sehen können, die sie geliebt haben oder von ihr lieb gehabt wurden."

"Also vom lieben Gott hat Denise nichts erzählt."

"Du und Oma Jennifer habt mir immer was erzählt, daß der liebe Gott im Himmel auf uns alle aufpaßt. Der ist aber alleine. Vielleicht können deswegen Hexen und zauberer Engel werden, um ihm zu helfen, auf die Leute aufzupassen und ihnen zu helfen", sagte Babette. Joe war wie erschlagen von dieser einfachen und doch so tiefgehenden kindlichen Erkenntnis. "Und ob die das was auf uns aufpaßt Gott oder die große Himmelsschwester oder die Mutter des Lebens nennen ist doch dann egal, wenn alle das selbe meinen, oder?" Legte Babette noch nach.

"Weißt du Babette, ich halte vieles von dem, was Oma Jennifer und Onkel Theodor erzählen für reine Märchen, weil die wollen, daß Leute nur das tun, was sie ihnen sagen. Das hast du ja mitgekriegt, als Oma Jennifer deine Maman und dich als böse Hexen bezeichnet hat. Außerdem glaube ich auch nicht, daß wir Menschen die einzigen einigermaßen intelligenten Lebewesen im ganzen Weltall sind. Selbst wenn auf nur einem von einer Milliarde Sternen andere Wesen leben gäbe es außer der Erde noch hundert andere Planeten mit lebenden Wesen drauf in unserer Galaxis. Und die ist ja auch nur eine von ein paar Milliarden. Also kann der Mensch als solches nicht das Zentrum und die Krone aller Schöpfung sein. Aber was ich für nun ziemlich wahrscheinlich halte, daß ist, daß Lebewesen über alle Zeiten und Räume hinweg miteinander verbunden sind und das die ganz guten und die ganz bösen Sachen sich mal hier oder da zusammensetzen können und dabei dann wirklich sowas wie einen Engel oder sowas wie diese Dementoren oder dieses grün leuchtende Etwas gerade eben ausbrüten können. Nennen wir das mal die große Kraft. Damit geht dann auch Magie in Ordnung, weil das ja keine unnatürliche Sache ist, sondern nur ziemlich selten."

"Dann bist du Maman und Oma Blanche nicht mehr böse, weil sie Hexen sind?" Fragte Babette.

"Sagen wir es so, deine Oma Blanche könnte sich ein wenig von dem netten Umgang abgucken, den ihre große Schwester pflegt. Die spielt zwar gerne mit ihrer Magie herum, will aber nicht jeden nach ihrer Pfeife tanzen lassen wie deine Oma Blanche. Und Catherine war ich nie wirklich böse. Ich mußte das halt erst lernen, daß es echte Hexen gibt. Das haben sie uns früher erzählt, daß es sowas nicht gegeben hat und das nur Aberglaube war, also was, wo Leute meinen, wenn man bestimmte Sachen macht oder besser nicht macht, sie Glück oder Pech haben. Deshalb konnten die unschuldige Menschen verurteilen und umbringen, obwohl die bestimmt keine Hexen waren", sagte Joe. Babette blickte ihn verstört an. Dann nickte sie. Ihre Mutter hatte ihr ja ähnliche Geschichten eerzählt.

Zur gleichen Zeit trafen einen Stock weiter oben Catherine und ihre Tante Madeleine mit Martha Andrews, Line und Hippolyte Latierre und Professeur Blanche Faucon zusammen. Die aus Beauxbatons herübergekommene Lehrerin wirkte sichtlich alarmiert, aber doch auch erleichtert.

"Didier wollte uns weißmachen, daß an der Geschichte dieses angeblichen Trunkenboldes Tibaud absolut nichts dran sei", schnaubte Professeur Faucon. "Habt ihr geklärt, ob irgendwelche Nachbarn das mitbekommen haben, was in eurem Garten passiert ist, Catherine?"

"Alle Jalousien waren unten und blieben das auch, Maman", sagte Catherine. Ockergelbes Licht an Wänden, Boden und Decke hielt das Arbeitszimmer von Martha Andrews nach außen schalldicht.

"Wann kamst du denn rüber, Blanche?" Fragte Madeleine.

"Als Viviane Eauvives Bild-Ich Alarm schlug, daß etwas mit großer Macht den Sanctuafugium-Zauber erschüttere kam ich sofort herüber, als Martha den Kamin ganz entsperrt hat. Ich konnte noch mit eigenen Augen verfolgen, wie diese Kreatur tief im umfriedeten Bereich auf das Haus zuschreiten wollte. Offenbar gilt für diese Wesen nicht, daß der Zauber eine gleichstarke Abwehrkraft auf sie ausübt, sondern eher zum Zentrum seiner Wirkungszone hin immer stärker wird."

"Blanche, du weißt also, wer uns da besuchen wollte?" Fragte Madeleine sarkastisch.

"Madeleine, ich fürchte, an den alten Legenden über die Schlangenkrieger ist mehr dran, als wir alle für wahr haben wollten. Der Muggel Tibaud hat einen jungen Mann gesehen, der sich vor seinen Augen in ein reptilienartiges Geschöpf verwandelt hat. Das und die Beschreibungen, daß diese Wesen durch Magie schwer bis gar nicht zu bezwingen sind erklärt, was euch da fast heimgesucht hätte."

"Blanche, wenn diese Kreaturen wirklich existieren, dann müssen sie mehrere Jahrtausende überdauert haben, eine Art Conservacorpus oder Schlaf der Todesnähe oder beides", erwiderte Madeleine.

"Geh davon aus, daß das so ist, Madeleine, und du bist auf das schreckliche, was uns bedroht gut eingestimmt", erwiderte Madeleines Schwester.

"Dann frage ich dich als Expertin für die Protektion gegen destruktive Formen der Magie, was dafür gesorgt hat, daß dieses Scheusal nicht ganz zu uns vorgedrungen ist, wenn der Sanctuafugium-Zauber es nicht wirklich zurückhalten konnte?" Fauchte Madeleine. Professeur Faucon sah Catherine an, als solle diese wie im Unterricht antworten. Diese wiederum blickte Martha Andrews an, die sich straffte und ganz ruhig sagte:

"Dieses Wesen konnte den zauber wohl zum Teil absorbieren. Er verdichtete sich aber immer weiter in seiner Körperaura. Als es dann in Reichweite eines ganz bestimmten Apfelbaumes war, bündelte dieser den Abwehrzauber, weil Camille ihn durch ein ihrer Familie bekanntes Schutzritual mit gutartiger Zauberkraft aufgefüllt hat und warf den Eindringling zurück. Die Frage ist nur, was ist, wenn mehr als eines dieser Geschöpfe in die Schutzzone einzudringen versuchen."

"Da rufst du aber einen großen Drachen, Martha", stöhnte Line Latierre. Als Martha erklärt hatte, was passiert war, hatte sie wissendlich gelächelt. Denn sie war sich sicher, wie Camille die fünf Apfelkerne bezaubert hatte, damit sie diese Kraft freisetzen konnten."

"Dieses Schlangenwesen hat gerade einen Fuß vom Boden gehabt, Blanche. Es konnte also zum stolpern gebracht werden und verlor den Kontakt zur es schützenden Erde. Nachdem, was ich zumindest über diese Wesen gelesen habe weiß ich, daß sie wie Kobolde der festen Erde verhaftet sind. Kann sein, daß ihre Magieresistenz nur dann gebrochen werden kann, wenn sie den Kontakt zum Boden verlieren. War schon sehr beeindruckend, wie der kleine Baum das Unwesen fortgeschleudert hat. Wenn diese Kraft wie ein Patronus wirkt hat dieses Geschöpf zumindest erst einmal genug und bleibt weg. Aber ich fürchte wie du, Blanche, daß es noch ein paar Geschwister hat. Dann aber noch eine andere Frage: Was wollte dieses Ungeheuer bei uns? Ich meine, es hätte doch überall hingehen und Unheil anrichten können. Warum versuchte es ausgerechnet, in den Sanctuafugium-Zauber einzudringen?"

"In deiner Frage steckt die Antwort, liebe Schwester", knurrte Professeur Faucon. "Es wollte versuchen, ob es durch den Zauber durchkommt. Es ist schon beunruhigend, daß es mehr als den halben Wirkungsradius abschreiten konnte, bevor es für uns alle so überraschend zurückgeworfen wurde. Anderswo haben diese Wesen leichteres Spiel. Aber reicht das aus, um sich ihrer Macht bewußt zu fühlen? Haben sie vielleicht den Auftrag, bisher so unüberwindlich erscheinende Zauber zu durchdringen, allein um uns zu verunsichern? So ähnlich war es doch auch in Millemerveilles, als die Dementoren dort einfielen. Und so ähnlich ist es jetzt auch, wo sie ständig über uns herfallen. Erschreckend ist es allemal, daß ein einziges Wesen weiter vordringen konnte als mehrere Zenturien von Dementoren auf einem Haufen. Damit haben diese Wesen bereits bewiesen, daß sie den Dementoren überlegen sind. Ob diese Wesen bis ganz zum Haus hätten vordringen können, wenn sie nicht Camilles besondere Apfelkernbehandlung abgewiesen hätten wage ich im Moment noch zu bezweifeln. Aber Martha, ich teile Ihre dunkle Vermutung, daß der Sanctuafugium-Zauber nur bedingt wirksam bleibt, wenn mehr als ein solches Wesen in seine Wirkungszone vorstoßen wollen."

"Hängt vielleicht davon ab, wie viele Zauberkundige den Schutz aufgerufen haben", vermutete Line Latierre. Catherine nickte ihr zu. Ihre Mutter nickte auch und verzog dann das Gesicht.

"Catherine, so wie es aussieht seid ihr hier die längste Zeit sicher gewesen", knurrte sie. "Womöglich könnt ihr nur noch an einem Ort sicher leben, wo ein besonders starker Sanctuafugium-Zauber errichtet wurde oder ein aus allen Elementen, die Dunkelheit eingeschlossen errichteter Abwehrdom mit dunklen Kräften und Vorlieben erfüllte Wesen wirkungsvoll abhält."

"Oder wenn jemand mit Antischwerkraftzaubern ein Haus zum Schweben bringt und es lange genug in der Luft hängen läßt. Dann kämen diese Wesen wohl nicht auf die Idee, dort einzudringen", dachte Martha an.

"Gar nicht mal so schlecht, die Idee", lobte Madeleine L'eauvite marthas Einwurf. Professeur Faucon sagte dazu nur:

"Das Problem bei dieser Art von Zaubern besteht darin, daß sie ermüden. Abhängig von Größe und Gewicht des Objektes kann es zwischen zwölf Stunden und eine Woche in der Luft gehalten werden. Selbst Flugbesen müssen nach gewissen Strecken auf festem Boden landen, um sich dort wieder aufzufrischen. Ganze Häuser anzuheben könnte schwer sein und nach weniger als zwölf Stunden ermüden."

"Die einfachere Alternative wäre dann eine schwimmende Plattform, ganz ohne Schwebezauber, solange sie weit genug über dem Meeresgrund liegt und nicht verankert wird", übte sich Martha in einer weiteren Lösung.

"Hmm, das wäre die Frage, ob diese Wesen wirklich festen Kontakt zur Erdoberfläche brauchen oder sich an etwas festhalten müssen, daß diesen Kontakt hat, wie eine Wand oder ein Baum", entgegnete Professeur Faucon.

"Gehen wir mal davon aus, daß eine ausreichende Menge von Zauberkundigen den Sanctuafugium-Zauber aufgebaut hat, dann werden diese Wesen wohl wirksam abgehalten. Dann könnten die Brickstons, Martha, Mildrid und Julius zu uns ins Château umziehen, Blanche", erwiderte Ursuline.

"Das muß Catherine befinden", grummelte Professeur Faucon. Offenbar war sie trotz ihres Friedensschlusses noch nicht ganz davon angetan, wie weit die Latierres in die Angelegenheiten der Andrews hineinwirken durften und daß dann auch noch die Familie ihrer Tochter von diesen Leuten beschützt werden sollte. So sagte sie ruhig aber bestimmt:

"Ursuline, nach allem was uns seit dem Sommer zusammengebracht hat denke ich doch, daß es für Catherine und meine Familie auch in Millemerveilles sicher genug sein könnte. Aber wie gesagt, daß muß Catherine am Ende selbst befinden. Wir dürfen nicht vergessen, daß Martha und Joseph ungern beschäftigungslos an einem Ort herumsitzen möchten."

"Ich sehe an dem kleinen Mädchen da, daß Joe Brickston sich bei uns im Château nicht gelangweilt hat", wagte Line eine nicht ganz damenhafte Unterstellung. Catherine fühlte ihre Ohren erröten, während Madeleine die Latierre-Matriarchin mit einer Mischung von Mißbilligung und heimlicher Erheiterung anblickte. Martha Andrews wandte dann ein:

"Ich habe es bereits mit Catherine besprochen, daß dann, wenn meine Anwesenheit hier zu einer Bedrohung für sie wird, ich auf nichtmagischem Weg nach Übersee ausweiche. Julius wird dann ganz sicher zu Madame Ursuline Latierre ins Sonnenblumenschloß ziehen, sofern Sommerferien sind. Oder fürchten Sie, daß Beauxbatons auch von diesen Wesen angegriffen werden könnte, Blanche?"

"Ich wäre sehr einfältig, wenn ich diese Möglichkeit kategorisch ausschließen würde. Dennoch halte ich einen Angriff dieser Ungeheuer zum jetzigen Zeitpunkt für ziemlich unwahrscheinlich. Wie erwähnt wollte eines von ihnen wohl die Kraft des Sanctuafugium-Zaubers testen und wurde zurückgeworfen. Vom schlimmen Fall ausgehend, daß noch mehr seiner Art in Frankreich lauern dürfte es für diese Wesen erst einmal ein Rückschlag sein, ungeachtet dessen, was diesen ermöglicht hat. Will sagen, der Test hat nicht das erhoffte Ergebnis gebracht."

"Beauxbatons ist nicht von einem derartigen Schutzzauber umgeben", wandte Hippolyte Latierre ein. "Also wenn die Gefahr besteht, daß diese Ungeheuer dort einfallen können, sollten Sie Madame Maxime vorschlagen, entsprechende Zauber einzurichten."

"Madame Maxime ist über diese Möglichkeit schon unterrichtet", sagte Professeur Faucon. "Allerdings würde ein Sanctuafugium-Zauber bestimmte Lernziele vereiteln, beispielsweise die Abwehr von Flüchen, die Früherkennung von schädlichen Zaubern und das Studium eindeutig schwarzmagischer Kreaturen und Objekte. Daher wurde nie in Erwägung gezogen, Beauxbatons mit dem Sanctuafugium-Zauber zu umgeben, vor allem, werte Madame Latierre, weil dieser Zauber immer personenbezogen ist. Schüler und Lehrer kommen und gehen, und wenn die auf den Zauber bezogene Person oder Personengruppe länger als ein Jahr nicht mehr nach Beauxbatons kommt erlischt er. Ich entsinne mich, Sie mit diesen Gegebenheiten vertraut gemacht zu haben." Hippolyte Latierre ließ sich nicht anmerken, daß sie sich betroffen fühlte. Sie straffte sich und sagte ganz gelassen klingend:

"Das galt auch jetzt für Martha, weil sie wie alle nichtmagischen Eltern darauf drängen könnte, diesen Zauber einzurichten." Martha Andrews sah Millies Mutter mit einem völlig unbeteiligten Ausdruck an, während Professeur Faucon etwas verdutzt von ihr zu Hippolyte blickte und Madeleine und Ursuline amüsierte Blicke tauschten. Catherine schwieg. Dann sagte Professeur Faucon:

"Sowohl für Martha als auch für Sie beide, Mesdames Latierre, Beauxbatons verfügt über genug Vorkehrungen, um Ihre Kinder dort so sicher es zur Gestaltung eines umfangreichen Unterrichts geht zu beherbergen. Allerdings frage ich mich jetzt, ob es wirklich so günstig ist, daß ihr beiden morgen früh zum Ministerium fahren wollt, Catherine. Denn wenn der Minister erfährt, daß etwas anderes als Dementoren in den Schutzzauber vorstoßen wollte könnte er dieselbe Geheimniskrämerei anstellen wie der ehemalige Zaubereiminister Pole aus den vereinigten Staaten."

"Das fehlte noch", knurrte Ursuline Latierre. "Diese Geheimhaltung hat mehrere Menschen das Leben gekostet." Professeur Faucon nickte sehr energisch. Catherine sah ihre Mutter an und mentiloquierte mit ihr. Fünfzehn Sekunden später sagte Professeur Faucon:

"Ich erkenne an, daß Sie, Martha, mit meiner Tochter zum Minister hinfahren müssen, um jeden Verdacht zu zerstreuen, an Ihrer Einreise und der Einschulung von Julius sei etwas unrechtmäßiges. Aber Pass gut auf sie auf, Catherine!" Dabei deutete sie von Catherine auf Martha Andrews. Dieser schien der Ausflug morgen früh wohl doch nicht mehr so sonderlich geheuer zu sein. Doch sie nickte. Dann sagte Professeur Faucon noch: "Falls ihr noch einmal von einer oder mehrerer dieser Kreaturen bedrängt werdet, Catherine, nimm keine Rücksicht auf Josephs Einwände und bring ihn in mein Haus in Millemerveilles. Falls Martha gerade in deiner Nähe ist, nimm sie mit! Ich werde es Julius erklären können. Er wird froh sein, wenn er hört, daß seine Mutter vor diesen Bestien sicher ist."

"Was bestärkt Sie darin, daß Sardonias Schutzdom diese Wesen besser abhält als Sanctuafugium?" Wollte Hippolyte Latierre wissen.

"Der Umstand, daß seit Ostern keine Dementoren mehr dort eindringen können und daß der Schutzdom in aufschaukelnder Wechselwirkung mit dunklen Kräften tritt und sie nicht nur abweist. Mehr zu verraten steht mir nicht zu. Ich möchte mich jetzt empfehlen. Catherine, für morgen alles Glück, daß ihr braucht! Berichte umgehend vom Ausgang und absehbaren Folgen des Ausfluges!"

"Werde ich machen", sagte Catherine ruhig. Professeur Faucon verließ das Arbeitszimmer und benutzte den offenen Kamin im Wohnzimmer. Bei der Gelegenheit verabschiedeten sich Ursuline und Hippolyte ebenfalls und flohpulverten davon. Direkt danach sicherte Martha den Kamin wieder und sah Catherine an:

"Hoffentlich sind wir beide morgen früh wach genug, um sofort reagieren zu können, wenn irgendwas an diesem Termin aus dem Ruder läuft oder irgendeine Falle auf uns wartet. Bei der Gelegenheit hat mir Line was von ihrer Tochter Béatrice gegeben, falls wir uns ohne Zauberstäbe aus einer heiklen Lage retten müssen." Sie holte zwei Glasfläschchen und zwei blaue Gummibällchen an hauchdünnen Schnüren aus einer Schublade ihres Wohnzimmerschrankes. Catherine und Madeleine betrachteten die kleinen Utensilien. Madeleine blickte auf eine der kleinen, grünen Phiolen.

"Hups, ein kombiniertes Antidot. wogegen?" Catherine nahm die kleine Flasche und prüfte die winzige Aufschrift. Dann lächelte sie. "Dagegen haben die im Ministerium keinen Meldezauber eingerichtet, Tante Madeleine. Gute Idee von Béatrice. Das kannst auch du benutzen, Martha, auch wenn das eindeutig gegen die Bestimmungen zur Verabreichung alchemistischer Erzeugnisse an nichtmagische Personen verstößt. ... Obwohl ... Tut es doch nicht."

"Line und Hippolyte haben mir versichert, gegen kein Gebot oder Gesetz verstoßen zu müssen, wenn ich das hier verwende", sagte Martha. "Durch meine Beziehung zu Julius sei ich ja mit in die Familie Latierre eingeheiratet worden und habe daher nicht nur Recht auf magische Heilbehandlung, sondern Anspruch auf wirksame Schutzmaßnahmen. Heiler haben die Pflicht, jeden vor körperlichen oder geistig-seelischen Beeinträchtigungen zu bewahren, wenn sie mit diesen rechnen müssen. Das betreffe auch Familienangehörige."

Catherine und Madeleine hörten sich kurz an, was es mit dem Elixier in der Phiole und den Gummibläschen auf sich hatte und das Béatrice Latierre sicherstellen wollte, daß Martha sich im Zweifel vor unliebsamen Sachen schützen könne. Allerdings fürchtete sie, daß sie damit nicht gegen aufgestellte Sperr- oder Fangzauber angehen könne.

"Sei ganz beruhigt, Martha, daß ich uns beide so gut es geht vor solchen Hinterhältigkeiten schütze. Von wegen wach genug: Am besten schläfst du dich jetzt für morgen aus und frühstückst genug, um nicht zu träge oder zu hungrig zu sein. Bis dann!" Martha verabschiedete sich ebenfalls von Catherine und ihrer Tante, die ihr auch eine gute Nacht wünschte und bekundete, sicherzustellen, daß sie früh genug gewarnt würden, wenn wieder ein Schlangenmonster angreifen würde. Dann gingen die beiden Hexen. Martha Andrews wandte sich Viviane Eauvives Portrait im Flur zu und sagte ruhig: "Richte Camille bitte aus, ich sei ihr sehr zu Dank verpflichtet, weil sie den Apfelbaum mit ihrem Schmuckstück bezaubert hat!"

"Werde ich tun, Martha. Buenas Noches"

"Que duermas bién", erwiderte Martha darauf und zog sich in ihr Arbeits- und Schlafzimmer zurück.

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Der kleine, hagere Zauberer mit den schwarzen Locken setzte schwungvoll seinen Namen unter einen soeben vollendeten Brief: Sébastian Pétain. Der sollte heute noch nach Korsika abgehen. Der Minister hatte seinem Vorschlag zugestimmt. Allerdings durfte niemand vor der unumkehrbaren Verwirklichung Wind davon bekommen, weil die Maßnahme sonst absolut wirkungslos verpuffen würde. Keiner außer ihm und Janus Didier wußte von dieser neuen Maßnahme. Denn Grandchapeaus Getreue leisteten noch großen Widerstand gegen die neue Führung. Er erinnerte sich noch zu gut an den letzten Streit mit Montpelier, der jetzt die Grenzüberwachung leitete. Dieser hatte ihm doch allen Ernstes vorgeworfen, Didier aus dem Hintergrund zu lenken, um eine Art Schattenminister zu sein. Pétain blickte noch einmal auf den gerade beendeten Brief. Die königsblaue Tinte trocknete vor sich hin. Er mußte das Schreiben verschlüsseln und in einen Umschlag stecken, der nur vom gewünschten Empfänger geöffnet werden konnte. Wenn jemand anderes den Brief in die Hände bekam und den Schutz brach, sollte der Brief selbst sofort zerstört werden. Pétain wollte absolut nichts dem Zufall überlassen. Didier und er waren sich einig, daß sie die neue Maßnahme mit so wenig Leuten wie möglich umsetzen mußten, um den gewünschten Erfolg zu erzielen. Er wirkte die notwendigen Zauber auf den Brief, steckte das Pergament in einen besonders reißfesten Umschlag und bezauberte diesen so, daß nur der wahre Träger des Namens ihn öffnen konnte, den er gleich auf den Umschlag schreiben würde. Dann schrieb er den bewußten Namen auf die Umhüllung und öffnete die verborgene Tür zu seiner ganz eigenen Eulerei, die der Minister ihm hatte einrichten lassen. Vier Posteulen warteten darauf, zum Jagen oder zur Briefzustellung hinausgelassen zu werden. Pétain wwählte den stattlichen Uhu aus, den er privat mitgebracht hatte. Der Vogel war seiner Größe und Ausdauer wegen am besten geeignet, den fraglichen Umschlag unverzüglich und unangefochten zuzustellen. Der Leiter der neuen Abteilung für magischen Landfrieden, was im Ministeriumssprachgebrauch auch als Innenschutz bezeichnet wurde, blickte seinem treuen Postvogel hinterher, als dieser nach Wink mit dem Zauberstab durch die Dachluke entschwunden war. Die anderen drei Eulen schickte er mit den Worten "Husch, raus mit euch!" Zum freien Flug in die Nacht hinaus. Wieder zurück in seinem mit verschiedenen Schutzzaubern gesichertem Büro mentiloquierte er: "Janus, Brief ist raus."

"Gut, Bas. Gib mir bescheid, wenn alles bereit ist!"

"Geht klar, Janus", erwiderte Sébastian Pétain. Dann verließ er sein Büro und begab sich in die neue Kommandozentrale für die Dementorenabwehrbrigade, um die allnächtlichen Invasionsversuche koordiniert zurückschlagen zu lassen. Dabei dachte er daran, daß die Brickstons und Martha Andrews wohl nicht mehr lange in Paris bleiben würden. Er hatte sich schon wen ausgeguckt, um das Haus von denen als Fidelius-Geheimnis zu schützen, jemand, der sofort danach in tiefen Zauberschlaf versenkt werden würde, um gar nicht erst in die Bredullie zu kommen, es freiwillig auszuplaudern.

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"Der Baum hat dieses Ungeheuer zurückgeschleudert, sagte Martha", sprach Viviane Eauvives gemaltes Ich aus einem erhabenen Eichenholzrahmen, der im Schlafzimmer der Dusoleils hing. Camille nickte und fragte die gemalte Ahnin, ob Martha wirklich ein schlangenartiges Wesen gesehen hatte. Viviane Eauvive erwähnte dann, daß Martha ein menschenähnliches Wesen in einer grünen Leuchterscheinung gesehen hatte. Camille nickte leicht bekümmert.

"Und Blanche hat was von uralten Schlangenkreaturen erzählt, Viviane? Fragte Florymont Dusoleil. Vivianes Portrait nickte. "Wenn die in den Sanctuafugium-Zauber eindringen können wird's sehr gefährlich. Dann müssen wir wohl auch aufpassen."

"Blanche beteuert, daß Sardonias Schutzzauber diese Wesen wirkungsvoll abhält, weil es deren eigenen dunklen Zauber gegen sie wendet. Könnte sein, daß Martha und ihre Mitbewohner demnächst zu euch übersiedeln."

"Der Trank gegen den Muggelabwehrzauber reicht nicht aus, um jemanden mehrere Monate lang hier aufzunehmen. Und es ist fraglich, ob Hera und Eleonore die Zutaten dafür kriegen, falls wir von allem anderen abgeschnitten werden."

"Ich kann mir vorstellen, daß Martha dann auch zu Antoinette ins Château Florissant zieht oder bei den Latierres in Tournesol unterkommt. Da wäre sie genauso sicher wie bei uns", erwiderte Camille. "Aber vielleicht sollte ich Guillaume bescheidsagen, daß Babette demnächst doch bei uns die Übergangsschule weitermacht."

"Der fragt doch sowieso schon dauernd, warum Catherine Babette nicht zu uns hingeschickt hat, wo die jetzt flohpulvern kann. Mit einem hier geborenen Elternteil hat sie doch einen kostenlosen Platz hier sicher gehabt", grummelte Florymont.

"Catherine war der Meinung, daß Babette sich nicht zu sehr auf die Kinder aus Millemerveilles einstimmen soll. Du erinnerst dich doch noch an diesen kleinen Disput zwischen ihr, Blanche und Guillaume, als das Thema anstand", erwiderte Camille.

"Zu gut, Camille. Das war wohl das erste Mal, wo Blanche und Catherine offen gegensätzliche Ansichten geäußert haben", erwiderte Florymont mit leichtem Grinsen. "Na ja, jetzt wird sie wohl keine andere Möglichkeit haben, falls das Ministerium befindet, Catherine dürfe nicht weiter in der Muggelstadt wohnen, wenn ihretwegen Dementoren da einfallen."

"Werden wir wohl bald wissen, ob sie da bleiben kann oder nicht", erwiderte Camille. Dann bedankte sie sich bei Viviane und zog den grasgrünen Vorhang zu, der das Gemälde verbergen konnte. Natürlich hieß das auch, daß Camille und Florymont ihr Schlafzimmer und was so darin vorging vor Vivianes Augen verbergen konnten. Als dann beide in ihrem geräumigen Ehebett lagen wisperte Camille ihrem Mann zu: "Hast du deinem Vater schon erzählt, was es wird?"

"Er meinte, er wolle es nur wissen, wenn es ein Junge wird, Camille, weil seine Kumpels ihn schon dumm angequatscht haben, sein sohn könne wohl nur Mädchen machen."

"Nur ist gut, Florymont", grinste Camille. "Der will doch nur haben, daß sein Vorname weitergereicht wird, Florymont. Soll er sich doch freuen, das seine Tochter einen Jungen kriegt."

"Tja, wenn Uranie nicht gerade auf lebenslustige Vergnügungshexe gemacht hätte, als sie den kleinen bei sich einziehen ließ", erwiderte Florymont. "Die wollte Maman und Papa ja nicht einmal sagen, wer der Vater ist. Da haben die mich gefragt. Ich meinte dann nur, daß ich Uranie den unbrechbaren Eid geschworen hätte, den Namen des Kindsvaters nicht rauszurücken."

"Das hast du nicht ehrlich, Florymont", erschauderte Camille. Ihr Mann flüsterte zurück: "Hätte Uranie gerne gehabt. Aber ich bin nicht so lebensmüde. Außerdem will ich unser viertes Kind aufwachsen sehen und nicht tot umfallen, weil mir ein bestimmter Name rausrutscht."

"Es freut sich bestimmt schon", entgegnete Camille und ergriff die rechte Hand ihres Mannes, um sie auf ihren deutlich gerundeten Bauch zu legen. Florymont ließ die Hand unter das Nachthemd seiner Frau gleiten, um direkten Hautkontakt zu bekommen. Vor wenigen Tagen hatte Camille die erste deutliche Bewegung ihres ungeborenen Kindes verspürt. Zwischen dem fünfundzwanzigsten April und fünften Mai nächsten Jahres sollte es zur Welt kommen. Hera Matine hatte sich da nicht so genau festlegen wollen, weil Camille bereits drei Kinder geboren hatte und auch keine zwanzig Jahre mehr alt war. Bei Mehrfachmüttern über vierzig konnte der Geburtstermin nur zehn Tage genau vorausgesagt werden. Florymont hatte schon gescherzt, daß Camille und seine Schwester Uranie am selben Tag entbinden könnten. Das hatte ihm ein verhaltenes Grinsen seiner Frau und einen bitterbösen Blick seiner Schwester eingetragen. Mit zwei schwangeren Hexen unter einem Dach zu leben war nicht immer lustig. Vor allem weil die beiden werdenden Mütter unterschiedlicher Meinung über ihren Zustand waren. Camille freute sich auf das Baby. Seine Schwester Uranie verabscheute es, von einem ungehobelten Zauberer derartig verladen worden zu sein und jetzt noch dessen Kind kriegen zu müssen. Camille hatte ihr einmal angeboten, das Kind nach der Geburt als ihres anzuerkennen und mit dem, das sie selbst trug aufzuziehen. Uranie hatte sich daraufhin in ihr Privatgemach zurückgezogen und sich Stunden lang nicht blicken lassen. Als sie vom Hunger für zwei wieder herausgetrieben worden war, hatte sie Camille für zwei Tage mit keinem Wort bedacht. Florymont hatte es abgelehnt, zwischen ihr und seiner Frau den Übersetzer zu spielen, wenn sie ihm was zumentiloquierte. Im Moment herrschte eine Art Waffenstillstand, weil Uranie merkte, daß sie drauf und dran war, ihr Zuhause zu verlieren, wenn sie weiterhin die verbitterte Hexe gab. Denn sie wohnte hier schon seit ihrer eigenen Geburt und durfte auch hier wohnen bleiben, seitdem ihre gemeinsamen Eltern Florymont das Haus überlassen hatten, um mit seiner jungen Frau darin zu leben. Er hatte es sogar einmal auf der Zunge gehabt, seiner Schwester zu sagen, daß sie froh sein konnte, daß Camille bisher so gut mit ihr zurechtgekommen sei, daß sie nicht schon längst hätte ausziehen sollen. Denn Uranies und sein Vater hatte ihm das Haus überschrieben und es ihm schriftlich bescheinigt, daß Uranie nur solange darin wohnen dürfe, solange sie seine Ehe mit Camille nicht gefährdete. Doch Uranie wußte das längst und hatte deshalb auch ein ziemlich eingetrübtes Verhältnis zu ihrem Vater und auch zu ihrer Mutter, weil die dieser Bedingung schweigend zugestimmt hatte. Ein Wort von Camille, das wußte Uranie genauso wie Florymont, und Uranie würde sich eine andere Bleibe suchen müssen, sofern sie sich nicht herablassen wollte, ihre Eltern um Unterkunft zu bitten. Florymont wußte jedoch, daß Camille niemals daran dachte, Uranie aus dem Haus zu jagen, schon gar nicht wo diese schwanger war. Vielleicht, so dachte Florymont mit einem Anflug von Schadenfreude, gönnte Camille es Uranie auch, der an Überbehütung grenzenden Betreuung Hera Matines ausgeliefert zu sein und daher etwas mehr Freiraum für ihre eigenen Tätigkeiten zu behalten. Dann dachte Florymont Dusoleil wieder an die Brickstons und Martha. Julius und Millie waren gut untergebracht. Sollte Martha nicht in Catherines Haus bleiben können würden der ziemlich früh zum jungen Mann gewordene Bursche und seine vielleicht etwas vorschnelle junge Ehefrau bei Ursuline Latierre oder Hippolyte und Albericus unterkommen. Dann dachte er wieder an dieses Schlangenwesen. Camille hatte ihm im Schutz eines Klangkerkrs erzählt, was sie auf der Reise auf den alten Straßen von Atlantis erlebt hatte. Das hatte ihm, der in seinem Leben als Zauberer schon vieles merkwürdige erlebt und selbst ausgeheckt hatte, fast die Sprache verschlagen, daß Millies und Julius Hochzeitsgeschenk die Jahrtausende lang aufbewahrte Seele einer atlantischen Erzmagierin aufgenommen hatte. Das geflügelte Wunderwesen hatte seiner Frau auch zumentiloquiert, daß Julius weiterhin auf ihre Liebe angewiesen sei, weil er etwas finden mußte, um uralte Feinde in Schach zu halten, aber daß Camille es nur denen erzählen durfte, denen sie bedingungslos vertraute. So wußte nur er davon, weil er sich sicher war, daß sein ungeborenes Kind da noch keinen Laut hatte hören können. Also waren diese uralten Gegner tatsächlich aufgewacht, dachte Florymont. Wenn diese durch einen Sanctuafugium-Zauber gehen konnten waren sie wohl gegen schwächere Abwehrzauber immun. Das sollte er als Zauberschmied vielleicht bedenken, falls es an ihm war, ein Mittel gegen diese Kreaturen zu finden oder zu erfinden. Irgendwie drängte es ihn danach, mit dieser offenbar supermächtig gewordenen Latierre-Kuh und vor allem der in ihr verkörperten Erzmagierin über diese Kreaturen zu sprechen. Doch vielleicht würde ihm diese dumm kommen und ihm die gewöhnliche Latierre-Kuh vorspielen. Im Moment hatte er keinen Grund, Camilles Worten zu mißtrauen, seitdem ihm Sachen wie Ammayamirias Entstehung begegnet waren.

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Als wenn die von Auspuffgasen und Fabriken errichtete Dunstglocke nicht ausreichte mußte es in Paris an diesem Morgen noch bleigrauen Nebel geben. Martha Andrews fühlte sich nach London zurückversetzt, als sie beim Frühstück saß. Um sich für einige Minuten der Illusion hinzugeben, nicht in Paris zu sein, schaltete sie das kleine Radio aus und genoß ihr englisches Frühstück. Heute würde sie entweder alle Zweifel ausräumen, die der neue Minister und seine Sicherheitsleute ihretwegen hatten, oder sie war drauf und dran, in eine Falle zu laufen, weil Didier doch aus Angst vor diesem wahnsinnigen Schwarzkünstler in England alle nicht in Frankreich geborenen Muggelstämmigen ausliefern wollte. Seitdem Julius seine Freunde aus Hogwarts herausgeholt hatte erschien es ihr nur eine Frage der Zeit zu sein, wann das schwarzmagische Imperium zum Gegenschlag ausholen mochte. Sie hatte bis heute jeden Tag mit einem amtlichen Schreiben der nichtmagischen Behörden in Paris gerechnet, daß sie als unerwünschte Ausländerin das Land zu verlassen habe. Der Umstand, daß ein solcher Bescheid bis heute nicht an sie verschickt worden war beruhigte sie nur mäßig. Denn die Alternative war, daß das neue Regime es selbst erledigen mochte, sie loszuwerden oder, was sie für wesentlich wahrscheinlicher hielt, zu irgendwelchen Sachen zu zwingen, um ihren Sohn auszuliefern. Die frühe Hochzeit mit Millie mochte Julius zwar als anerkanntes Mitglied der französischen Zaubererwelt vor der Auslieferung schützen. Aber das hieß nicht, daß sie ihn vor willkürlichen Maßnahmen des Ministeriums schützte. Dann dachte sie wieder daran, daß sie mit Catherine, Blanche Faucon und anderen alle möglichen Entwicklungen durchgesprochen und vorläufige Gegenmaßnahmen erörtert hatte. Didier, so war sie nun informiert, wollte über die französische Zaubererwelt das Kriegsrecht verhängen, um alle zivilen Rechte auszuhebeln, um die ständigen Angriffe der Dementoren wirkungsvoll zurückzuschlagen. Wenn diese Flasche einmal aufgemacht war, und der Geist der staatlichen Totalkontrolle daraus entwichen war, konnte das für alle, die dem Minister nicht genehm waren eine Frage von Leben und Tod bedeuten. Wie viele Krimis hatte sie gelesen oder im Fernsehen gesehen, wo politische Attentate und Morde wie Unfälle aussahen. Wie leicht mochte das in der Zaubererwelt sein, jemanden unwiederbringlich verschwinden zu lassen, ohne auch nur den Hauch eines Verdachtes zu erregen. Sie hatte es doch mit Joes Eltern erlebt, wie einfach das ging, das Wissen von Menschen zu manipulieren. Sollten Sie oder ihr Sohn dem Ministerium unerträglich werden, würde sich am Ende niemand daran erinnern, daß es sie je gegeben hatte, nicht einmal ihre Verwandten in England. An die mußte sie auch immer wieder denken. Was wäre, wenn dieser sogenannte dunkle Lord über sie versuchte, an sie und Julius heranzukommen? Vielleicht meinte er, sie würde sofort zu ihnen eilen, wenn sie in Gefahr gerieten. Sie hatte überlegt, ob sie sie warnen sollte. Aber erstens hätte sie dann alles erklären müssen, warum sie überhaupt nach Paris umgezogen war, was es mit Julius auf sich hatte und dann wohl auch, warum Richard sie damals fast in die Anstalt gebracht hätte. Auch hätten die Warnungen nichts genützt, weil die bösen Magier eh keine Probleme mit den magielosen Verwandten gehabt hätten. Ihr war noch rechtzeitig klargeworden, daß deren Unwissenheit sie besser schützte als das Wissen. Allein schon, wenn sie den Kampfnamen des schrecklichen Zauberers kannten mochten sie in Lebensgefahr schweben. Denn ihn auszusprechen war auf den britischen Inseln gerade gleichbedeutend mit Selbstmord. So hatte sie ihre noch lebenden Verwandten in Unwissenheit belassen. Vielleicht konnte Catherine diesen Geheimhaltezauber mit ihr machen, mit dem Joes Eltern geschützt wurden. Aber sie hatte von Julius erfahren, daß nur erwachsene Hexen und Zauberer diese Geheimhaltung bewirken konnten, und zwar nur ein Geheimnis pro Person. Wußte sie denn, ob Catherine nicht bereits ein lebenswichtiges Geheimnis in sich trug und daher keine weiteren Dinge verbergen konnte? Außerdem mußte sie an Julius denken. Ihre Existenz geheimzuhalten hieße, ihm die Mutter zu nehmen. Er könnte dann solange ihm der bestimmte Geheimnishüter nicht freiwillig erzählte, daß es sie gab, nicht einmal sagen, ob er eine lebende Mutter hatte. Nein, daß ging so nicht. So konnte sie nur hoffen, daß dieser Voldemort mit den Hexen und Zauberern zu beschäftigt war als sich darum zu kümmern, Julius' nichtmagische Verwandte heimzusuchen. Im Moment galt es nun erst einmal, diesen gerade begonnenen Tag zu überstehen. Seltsam, wie schnell ein Mensch doch dazu neigte, sein Leben und seine Freiheit in wenigen Stunden zu zählen. Sie hoffte jedoch, daß das neue Zaubereiministerium ihr nichts antun würde oder daß Catherine alle magischen Möglichkeiten voraussah, die Didiers Leute anwenden konnten. Sie dachte noch einmal daran, was Line und Hipp ihr über Béatrices Rückversicherung erklärt hatten. Zwölf Stunden würde der Inhalt der Phiole wirken. Mit einem gewissen Unbehagen trank sie nach dem Frühstück das Elixier aus der kleinen, grünen Flasche. Es war völlig geschmacklos. Eine halbe Minute später überkam sie etwas, als würde eiskaltes Wasser aus ihrem Bauch in alle Fasern strömen. Doch dieses Gefühl klang nach nur fünf Sekunden ab. Jetzt konnte sie die kleine Gummiblase am hauchdünnen Band umhängen und so unter ihrer Kleidung verstauen, daß sie keiner sehen würde. Da das pralle Kügelchen keine aktive Magie ausstrahlte würde eine Untersuchung mit diesen Seriositätssonden oder entsprechenden Meldezaubern es nicht aufspüren. Sie fragte sich, ob jemand ihr vielleicht den Imperius-Fluch aufhalsen könnte. Das erschreckte sie nur mäßig. Denn auch wenn jemand soweit ging würde dieser Fluch in dem Moment von ihr weichen, sobald sie Catherines Haus betrat. Es sei denn, sie würde unter dessen Einfluß gezwungen, sich dem Ministerium auszuliefern und von diesem in eine Art Schutzhaft nehmen zu lassen. Vielleicht war es genau das, was diese Leute mit ihr vorhatten. Doch solange sie ihren freien Willen behalten durfte würde sie einem solchen Angebot nicht zustimmen, auch wenn jemand glaubte, daß sie es nicht ablehnen könnte. Und was wäre, wenn Catherine unter jenen heimtückischen Bann geriet? Nun, Julius lernte ja seit geraumer Zeit, diesem Fluch zu widerstehen. Wenn das möglich war, dann hatte Catherine, die mit dunklen Künsten zu tun hatte, das ganz bestimmt auch gelernt.

"Auf ins Gefecht", dachte Martha, als sie um halb zehn ein Klopfen an der Wohnungstür hörte. Catherine stand davor, ohne Claudine. Sie trug Rock und Bluse, wie Martha und hatte ihre kleine Handtasche umgehängt.

"Ich habe Béatrice Latierres Frühstückszusatz eingenommen. Du auch?" Grüßte sie. Martha nickte. "Der Ministeriumswagen ist gleich da, Martha. Wolltest du noch was mitnehmen. Briefe aus England und die Umsiedelungsdokumente?" Fragte Catherine.

"Habe ich alles eingesteckt", antwortete Martha Andrews ruhig und klopfte auf ihre große Handtasche. Catherine nickte ihr zu und winkte ihr, sich den Mantel überzuziehen und ihr zu folgen.

Joe saß in seinem Arbeitszimmer. Madeleine L'eauvite hatte sich im Gästezimmer eingeschlossen und schlief wohl noch, weil sie die ganze Nacht aufgeblieben war, um weitere Angriffsversuche abzuwehren. Babette war von Catherine dazu verdonnert worden, in ihrem Zimmer zu bleiben, falls sie nicht zur Toilette müsse oder Claudine gefüttert werden müsse. Catherine gab Martha noch einen Umschlag mit einem Pergament, auf dem stand, daß sie, Catherine, im Einvernehmen mit dem französischen Zaubereiministerium die magische Fürsorge für Julius Andrews übernommen habe. Martha fragte, ob sie noch eine Kopie davon besaß. Catherine lächelte und meinte, daß sei eines von fünf unterschriebenen Exemplaren, die sie damals erhalten habe. Martha hatte Catherines Unterschrift und ihre auf der Vereinbarung, daß sie Julius' Zaubererweltangelegenheiten von Catherine betreuen ließ und die bei seiner Hochzeit ausgefüllten und unterschriebenen Dokumente, daß nun die Latierres diese Aufgabe innehatten. So konnten sie also losfahren.

Um zwanzig vor zehn hielt ein blauer Peugeot vor dem Haus der Brickstons. Martha kannte den Fahrer nicht. Aber Catherine erkannte ihn und begrüßte ihn freundlich. Ab jetzt galt es für Martha, aufzupassen. Die Dokumente in ihrer Handtasche und alle relevanten Fragen und Antworten in ihrem Kopf zurechtgelegt saß Martha neben Catherine auf der Rückbank des Wagens, der sich durch das tägliche Blechgewimmel in den Straßen von Paris schlängelte. Manchmal schlüpfte er zwischen zwei sehr eng beieinander fahrenden Autos hindurch, zwischen denen ein Auto seiner Größe eigentlich nicht mehr hindurchgepaßt hätte. Martha kannte das jedoch schon, daß die Ministeriumseigenen Autos gewisse Bezauberungen abbekommen hatten, um sich kinderleicht im Autogewühl zu bewegen wie ein Fisch im Wasser. Doch die Reise durch die Straßen von Paris dauerte nur wenige Minuten. Dann hielt der Wagen direkt vor einem abbruchreifen Lagerhaus, das die äußere Fassade für den Zugang zur Rue de Camouflage darstellte. Martha dachte schon, hier aussteigen zu müssen, als der Peugeot unvermittelt in die Tiefe sank, als sei der Boden plötzlich zähflüssig geworden. Catherine wisperte ihr zu: "Das sieht keiner, weil ein Illusionszauber den Wagen als geparkt vortäuscht." Der Peugeot verschwand unter der Straßenoberfläche. Martha dachte jetzt schon daran, in der Falle zu sitzen. Denn hier kam sie jetzt nicht mehr raus, wenn die Zauberer vom Ministerium das nicht wollten. Der Fahrer schaltete die Scheinwerfer ein. Die waren bestimmt magisch behandelt, damit sie überhaupt funktionierten. Etwa zwanzig Sekunden zählte Martha im Kopf ab, bis der Wagen mit einem sanften Ruck aufsetzte. Dann sah sie, wie in der undurchdringlichen Dunkelheit ein breites Rechteck wie ein sich öffnendes Maul aufklaffte, das im Licht der Scheinwerfer wie ein betonierter Raum aussah. Der Peugeot glitt durch die entstandene Öffnung. Martha sah noch einmal hinter sich. Undurchdringliche Schwärze versperrte den Blick. Nicht einmal das rote Glühen der Heckleuchten wurde zurückgeworfen. Der Wagen glitt langsam durch eine große Halle und durch eine weitere große Tür in einen Tunnel hinüber, in dem es mit mittlerer Geschwindigkeit in eine unterirdische Garage ging, in der noch zehn weitere Autos standen, von einem kirschroten VW Käfer bis zu einem anderen Peugeot, der grasgrün lackiert war. Hier war die Fahrt zu Ende.

Durch eine auf Zauberstabwink hin aufgleitende Schiebetür ging es in einen Aufzug, an dessen Decke eine kabellose Leuchtsphäre aus filigranem Kristall hing. Die Tür glitt zu, und ohne zu brummen und zu knarren stieg der Aufzug nach oben, bis eine weiblich klingende Stimme aus dem Nichts verkündete: "Zaubereiministerium, Untergeschoß. Enthält die Säle und Räume der magischen Gerichtsbarkeit." Der Fahrstuhl hielt an.

"Sie haben die Einladung Monsieur Pétains beide mit?" Fragte der Fahrer. Martha wunderte sich, daß er jetzt erst davon anfing. Doch sie nickte. Sie holte das entsprechende Schreiben aus der Handtasche. Catherine tat dies auch. Der Fahrer prüfte sie irgendwie mit einem unsichtbaren und unhörbaren Zauber, nickte und schob sie durch einen beinahe unsichtbaren Schlitz in der Wand. Keine fünf Sekunden später klickte es, und unter dem Briefschlitz fuhr eine Schublade auf, in der zwei Metallanstecker lagen, auf denen Martha ihren und Catherines Namen lesen konnte. "Bitte anstecken!" Ordnete der Fahrer an. Martha fragte sich, ob diese Dinger da nur Identifikationsmarken waren oder vielleicht doch gemeine Zusatzfunktionen besaßen. Catherine nickte ihr jedoch aufmunternd zu und heftete ihren Anstecker an. Martha folgte ihr und dem Chauffeur aus dem Aufzug hin zu einem weiteren Aufzug mit Gittertüren. Der Fahrstuhl war leer. Hier unten war wohl im Moment nichts zu erledigen. Sie fuhren dann weiter bis die bereits gehörte Geisterfrauenstimme sagte, daß sie auf der Etage für magische Sicherheitsabteilungen angekommen waren. Dort passierte, was Martha insgeheim schon befürchtet hatte. "Sie gehen zu Monsieur Marat, Madame Brickston. Sie werden von Monsieur Pétain erwartet, Madame Andrews", sagte der Fahrer und deutete auf Bürotüren. Catherine nickte. Sie scherzte sogar: "Hach, ist der alte Marat jetzt zum Stellvertreter von Monsieur Pétain degradiert worden?"

"Dazu steht mir weder Urteil noch Kommentar zu, Madame Brickston", erwiderte der Fahrer verlegen. "Ich habe nur den Auftrag, sie her- und später wieder fortzubringen. Bitte suchen Sie jetzt die auf Sie wartenden Herrschaften auf!" Martha sah Catherine an, die sehr zuversichtlich lächelnd zurückblickte. Entschlossen ging Joes Frau auf die Tür mit dem Schild "François Marat zu und klopfte an. Martha ging nicht ganz so entschlossen wirkend auf die Tür mit dem goldenen Türschild Sébastian Pétain zu und klopfte. Der Fahrer stand solange im Flur, bis beide Besucherinnen hereingerufen worden waren.

Zuerst betrat Martha ein Vorzimmer, in dem eine Hexe mit streng hinter dem Nacken verknotetem Blondhaar auf einem Stuhl saß und etwas an eine von selbst schreibende Feder diktierte. "Guten Morgen", wünschte Martha Andrews. "Ich wurde für heute zu Monsieur Pétain gebeten. Mein Name ist ..."

"... Martha Andrews, geborene Holder, keine Hexe", schnarrte die Person hinter dem Schreibtisch, während sie die Schreibfeder festhielt, damit die nicht mitschrieb, was Martha sagte. "Ich soll sie direkt durchschicken, wenn Sie da sind", sagte sie und griff zu einer silbernen Schale wie ein besonders nobler Aschenbecher. "Monsieur Pétain, Madame Andrews ist da!" Rief sie in die Schale, aus der keine Sekunde später die blechern klingende Aufforderung erklang, die Besucherin durchzuschicken. "Ist in der Tasche was, was Monsieur Pétain vorgelegt werden soll?" Fragte die Vorzimmerhexe. Martha nickte. "Gut, die Sachen nehmen Sie bitte heraus und lassen die Tasche bei mir. Anweisung von Monsieur Pétain, um vor unliebsamen Überraschungen sicher zu sein. Sie wissen ja wohl, daß im Ministerium gerade die zweithöchste Sicherheitsstufe gilt."

"Sie haben ein Wort vergessen, junge Dame. Nur weil ich eine sogenannte Muggelfrau bin darf ich von Ihnen höfliches Verhalten erwarten", erwiderte Martha, die der lieblose Kommandoton dieser Hexe da langsam zu viel wurde.

"Ich glaube nicht, daß Sie mir irgendwelche Ratschläge oder Anweisungen erteilen dürfen, Madame", knurrte die Hexe in Grau zurück. "Ich habe meine Anweisungen, und die gelten auch für Sie. Sein Sie froh, daß Monsieur Pétain Sie persönlich empfangen möchte, wo er wahrlich genug zu tun hat! Also bitte, entnehmen Sie alle Dinge, die Sie Monsieur Pétain vorlegen möchten der Handtasche und lassen diese bei mir zurück!" Martha verzichtete darauf, noch einmal um etwas mehr Höflichkeit zu streiten. Sie zog alle mitgebrachten Pergamente aus ihrer Handtasche, die neben den für Frauen üblichen Kleinigkeiten nur noch das Mobiltelefon und ihre Ausweispapiere, den Führerschein und die Geldbörse mit fünfzig Franc und zwei Kreditkarten enthielt. Die Tasche ließ sie wie ihren Übergangsmantel im Vorzimmer zurück. Dann ging sie durch die Verbindungstür.

Martha registrierte in nur zwei Sekunden die komplette Einrichtung des Büros mit dem wuchtigen Mahagonischreibtisch, einem mit bestimmt magischen Symbolen verzierten Eichenschrank, wohl für Akten, mehrere Bücherregale, zwei schmale Holzstühle und einen wuchtigen, mit schwarzem Leder bezogenen Ohrensessel mit angesetzten Fußrasten. Sie erkannte zwei Fenster, die gerade auf einen bunten Herbstwald hinausblickten, in dessen Baumkronen der Wind spielte. Catherine hatte ihr erzählt, daß die meisten Ministeriumsbüros Wechselbildfenster besaßen, auch die oberirdischen Räume. Diese Vorrichtung kannte sie ja bereits von Viento del Sol her, als sie mit Julius und Millie die letzten Tage der Osterferien dort gewohnt hatte.

"Guten Morgen", wünschte Martha dem kleinen, hageren Mann im himmelblauen Umhang, der ihr entgegentrat. Dieser strahlte sie freundlich an und erwiderte den Gruß.

"Sie haben Mademoiselle Devent ersucht, mit Ihnen etwas freundlicher zu reden?" Fragte der Inhaber des Büros. "Das versuche ich schon seit zehn Jahren, ihr beizubringen, daß sie als meine Vorzimmerdame quasi mein Aushängeschild ist. Ich hoffe, Sie sehen ihr das nach. Sie lebt für ihre Arbeit und legt daher keinen großen Wert auf höflichen Umgang." Martha blickte den nicht gerade groß und sportlich gestalteten Mann freundlich an. Sein Auftreten ließ sie für einige Momente vergessen, daß sie gerade in der Höhle des Löwen stand.

"Ich habe auch einen sehr anstrengenden Beruf und bin es nicht gewohnt, mit Publikum zu arbeiten, Monsieur Pétain. Aber gewisse Verhaltensweisen machen die Arbeit doch leichter."

"Das ist wohl wahr. Sind Sie ohne Übermantel angereist?"

"Ihre Sekretärin, Mademoiselle Devent sagten Sie doch, hielt mich an, alle für die Unterredung nicht benötigten Sachen in ihrer Obhut zu lassen", erwiderte Martha nun etwas reservierter.

"Klar, wegen der Sicherheitsstufe. Minister Didier und ich müssen aufpassen, weil wir nicht wissen, ob die Dementoren, die uns in den letzten Wochen heimgesucht haben nicht irgendwen in unser Land eingeschmuggelt haben, um uns anzugreifen." Martha nickte und dachte nur, daß man sie dann besser auch auf versteckte Sachen hätte durchsuchen müssen. Allerdings war sie froh, daß diese eiskalte Bürokraft da nicht den Auftrag erhalten hatte. Außerdem hätte man sie draußen doch mit dem Imperius-Fluch behexen und zum Mordanschlag gegen Pétain treiben können. Doch das sagte sie nicht. Vielmehr hütete sie sich davor, dem kleinen Mann mit dem viel zu freundlichen Gesicht in die Augen zu sehen. Julius hatte ihr mehrmals erklärt, daß Hexen und Zauberer lernen konnten, durch die Augen ihres Gegenübers in dessen Gedankenwelt hineinzublicken. Pétain fühlte, daß seine Charmeoffensive offenbar nicht den vollen Erfolg hatte und versuchte, noch freundlicher aufzutreten. Doch Martha hatte nach der anfänglichen Überwältigung ihren Verstand wieder voll im Griff. Daß sie überhaupt hier war lag nur daran, daß man ihr mißtraute. Also wollte sie diesem kleinen Mann mit seinen Kulleraugen da auch nicht über den Weg trauen.

"Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Tee, Kaffee, Wasser oder Saft?" Fragte Pétain. Martha lehnte höflich ab. Zu ihrer heimlichen Verwunderung ging Pétain darauf ein. Hätte er jetzt darauf bestanden, daß sie was trinken solle, wäre sie sicher gewesen, einen gehorsam stimmenden Trank oder ein über den Mund aufnehmbares Wahrheitsserum untergejubelt zu bekommen. Sie nahm sich vor, keinen einzigen Tropfen zu trinken, bis sie wieder in der Rue de Liberation 13 war. Pétain eröffnete die Unterredung mit der Frage, wie sie es hingenommen hatte, daß Julius ein Zauberer war. Sie erwähnte, daß sie zunächst an eine Täuschung geglaubt hatte, durch die vorgebrachten Beweise jedoch überzeugt worden sei, keine mechanischen Manipulationen oder Spiegeltricks vorgeführt bekommen zu haben. Dann fragte sie Pétain, immer noch mit aufgesetztem Charme, ob sie sich in der französischen Zaubererwelt gut eingelebt habe. Auch das beantwortete sie ruhig. So ging es weiter, ohne wirklich relevante Fragen anzusprechen. Martha antwortete ruhig, aber auf Fangfragen gefaßt. Irgendwie kam es ihr so vor, als wolle dieser Pétain da mit ihr spielen, sie in eine trügerische Sicherheit wiegen. Oder er wartete auf etwas bestimmtes, was ihn zur entscheidenden Handlung treiben mochte. Außerdem kam es ihr so vor, als sei die Luft in diesem Büro ziemlich trocken. Je länger sie eigentlich harmlose Fragen beantwortete desto mehr fühlte sie, wie Mund und Kehle austrockneten. Das konnte zwar passieren, wenn man viel sprach. Aber der Raum war angenehm temperiert. Dennoch meinte sie, knochentrockene Wüstenluft einzuatmen. Da erkannte sie, daß das wohl eine Falle war, um sie dazu zu treiben, doch etwas trinken zu wollen. Wie auch immer ihre Kehle ausgetrocknet wurde, bald würde sie anfangen zu husten und zu röcheln. Pétain würde sie dann wohl ernsthaft ersuchen, was zu trinken, um seine Fragen weiterbeantworten zu können. Sie sah sich besorgt zur Tür hin um und fragte: "Entschuldigung, Monsieur Pétain, ist der Raum überhaupt abhörsicher?"

"Ja, das ist ein dauerhafter Klangkerker. Nur wenn ich die Silberschale da nehme kann Mademoiselle Devent hören, was hier drin besprochen wird. Aber Sie klingen so angekratzt, Madame Andrews. Sind Sie erkältet?"

"Bis jetzt nicht", erwiderte Martha Andrews ruhig und zwang sich, mit keinem Lidschlag zu verraten, für welch einen Heuchler sie ihr Gegenüber hielt. Er spielte mit seinen Blicken und seiner Stimme gekonnt wie ein professioneller Schürzenjäger. Also wollte er irgendwas ganz bestimmtes von ihr, wenn auch nicht das, was Schürzenjäger üblicherweise wollten. "Eigentlich wollten Sie doch mit mir über meine Umsiedlung und über eine Weiterführung des Büros für Kontakte zur nichtmagischen Welt sprechen, Monsieur. Da sind wir bis jetzt nicht zu gekommen."

"Nun, wir haben doch Zeit, und ich wollte nicht den Eindruck machen, Sie durch Hektik zu verunsichern", erwiderte Pétain. "Möchten Sie nicht doch etwas trinken?" Stellte er dann noch die von Martha erwartete Frage.

"Es ist unhöflich, einem etwas vorzutrinken, Monsieur. Sonst hätten Sie ja schon was getrunken, wo ich Ihr Angebot nicht annehmen mochte", erwiderte Martha. Pétain versuchte, ihren Blick mit seinen dunkelgrauen Augen einzufangen. Doch sie schaffte es, ihm auszuweichen.

"Warum sehen Sie mir nicht in die Augen. Haben Sie Angst vor etwas?" Fragte Pétain ruhig und lächelte amüsiert. "Denken Sie, ich wolle Sie hypnotisieren oder was?" Legte er erheitert nach.

"Ich lernte mal, daß wenn eine Frau einem netten Mann zu lange in die Augen blickt ihr Herz verlieren kann. Ich war in einer sehr konservativen Mädchenschule", wetterte Martha diese Frage ab.

"Oh, verstehe. Nur habe ich das umgekehrt gelernt", erwiderte Pétain. "Nur daß mein Vater mir gesagt hat, daß ein Mann sein Gold verliert, wenn er einer attraktiven, intelligenten und netten Frau zu lange in die Augen schaut. Abgesehen davon glaube ich nicht an das, daß man mit reinem Blickkontakt Leute unterwerfen kann. Sie etwa?"

"Wie Sie ja schon wissen, Monsieur, mußte ich lernen, vieles für möglich zu halten, an dessen Existenz ich vor etwas mehr als vier Jahren noch nicht glauben wollte. Und ich habe bis heute noch längst nicht alles ergründet, was in der magischen Welt möglich ist", erwiderte Martha Andrews sehr gefaßt.

"Achso, und jetzt sitzen Sie hier vor mir, weil wir vom Ministerium klären möchten, ob Sie tatsächlich aus purer Sorge um ihr eigenes und Ihres Sohnes Unversehrtheit aus England zu uns übersiedelten."

"So ist es. Deshalb erstaunt es mich, daß Sie bisher keine entsprechend relevante Frage stellen wollten", stieß Martha vor. Pétain ließ sich davon jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Martha blickte auf ihre mechanische Armbanduhr. Die hatte sie ja nicht draußen lassen müssen. Dann sagte sie: "Madame Brickston und ich wollten spätestens um eins wieder zu Hause sein, wegen des Babys. Sie hat die Kleine nicht mitgenommen."

"Wir haben noch etwas mehr als zwei Stunden zeit, um alle wichtigen Fragen zu klären." martha verstand, daß er Zeit schinden wollte. Sie dachte an ein Ablenkungsmanöver, um irgendwas anzustellen, bei dem sie möglichst weit vom Haus entfernt sein sollte. Das würde aber nicht funktionieren, weil Catherines Tante noch dort war. Wußte Pétain das überhaupt, daß sie dort zu Gast war? Falls nicht, wollte sie es ihm nicht auf die Nase binden. Doch der wie auch immer herbeigeführte Durst wurde immer schlimmer. Bald würde sie nicht mehr störungsfrei sprechen können. Pétain schien jedoch keine Probleme zu haben. Entweder hatte er ein Gegenmittel gegen diesen Dursterreger, oder nur sie war seinem Einfluß ausgesetzt. Das war das Stichwort. Hatte sie nicht auch gelernt, daß Möbel mit bestimmten Befindlichkeitszaubern behext werden konnten? Pétain versuchte schon wieder, ihr in die Augen zu sehen. Doch sie schlug ihre Augen wie ein beschämtes Schulmädchen nieder und sagte: "Eigentlich möchte ich schon was trinken. Aber wie erwähnt halte ich das wie Sie für unhöflich, alleine zu trinken."

"Ich empfinde das nicht so, Madame Andrews. Aber um Ihnen keine Unannehmlichkeiten zu bereiten werde ich das gleiche trinken wie Sie." Martha bat um klares Wasser. Pétain nickte und beschwor ein Tablett mit zwei leeren Wassergläsern und zwei Zitronenscheiben herauf. Dann stupste er die Gläser mit dem Zauberstab an, worauf sie knapp bis zum Rand voll Wasser wurden.

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Janus Tertius Didier, der amtierende Zaubereiminister, prüfte noch einmal die lange Liste der Personen, die ihm eindeutig die Gefolgschaft verweigert hatten. Diese schwarze Liste, auch wenn die Namen mit scharlachroter Tinte geschrieben waren, würde wohl ab kommendem Montag über Wohl und Wehe der darauf aufgeführten Mitbürger bestimmen. POTENTIELLE UNSICHERHEITSFAKTOREN lautete die Überschrift. Wenn er heute noch den Antwortbrief seines der Öffentlichkeit nicht bekannten Leiters für stille Dienste erhielt, daß alles bereit war, würde er die Anweisung geben, alle auf der Liste stehenden Personen vorzuladen, um sie entweder zur Besinnung zu bringen oder als tatsächliche Unsicherheitsfaktoren einzustufen. Didier wußte, daß diese Liste auf gar keinen Fall an die Öffentlichkeit kommen durfte. Denn auf ihr standen ganz oben renommierte Hexen und Zauberer, die sich bisher sehr häufig gegen seine neue Amtsführung ausgesprochen hatten. Professeur Tourrecandides Namen hatte er sogar doppelt unterstrichen, weil sie es gewagt hatte, ihm vier Heuler zu schicken, die ihm fast das Gehör ruiniert hatten. Er ärgerte sich auch über Phoebus Delamontagne, ein hochangesehenes Mitglied der Liga wider die dunklen Künste, der ihm ungeordneten Übereifer unterstellt hatte, weil er statt einer gegen Dementoren wirksamen Grenzbefestigung auf reine Mannstärke setzte. Überhaupt standen auf der brisanten Liste viele Namen aus der Liga. Er hatte noch einige Stellen im oberen Bereich freigehalten, um noch Personen einzutragen, die sich bisher noch nicht eindeutig geäußert hatten, darunter eine Hexe, mit der er höchst ungern zu tun hatte und zwei Hexen, die gerade in der Beauxbatons-Akademie waren. Madame Maxime hatte sich in einem Brief an ihn sehr behutsam geäußert, daß sie ihm helfen würde, solange das mit den freiheitlichen Grundzügen der französischen Zaubererwelt vereinbar war. Doch diese Zaubererwelt stand kurz vor der Vernichtung. Wenn er die bisher geltenden Regeln nicht grundlegend änderte, würde der Feind sie doch noch überrennen. Wenn die französischen Hexen und Zauberer ihre Unabhängigkeit behalten wollten, mußten sie wohl oder übel einige Einschränkungen der bisherigen Freiheiten hinnehmen. Denn wenn wirklich schon Agenten der Todesser in Frankreich eingesickert waren, galt es, sie einzukreisen und festzusetzen und bei möglicher Gegenwehr auszuschalten. In dem Zusammenhang dachte der immer noch als zeitweilig bezeichnete Zaubereiminister an die vielen Flüchtlinge aus Großbritannien, die in den letzten Monaten eingereist und weitergezogen waren. Einige davon mochten Agenten des Unnennbaren sein, die den Boden für die finale Invasion vorbereiten sollten. Hinzu kam, daß der britische Zaubereiminister Thicknesse Grandchapeau unterstellt hatte, er beherberge flüchtige Verbrecher. Didier hatte vor seiner Amtseinsetzung darauf gedrängt, die erwähnten Leute zu überprüfen. Doch Grandchapeau hatte davon nichts wissen wollen. Didier sah sich jedoch bestätigt, als sein Vorgänger und seine Frau über den Pyrenäen verschwanden. Womöglich waren sie getötet worden, um das Land ins Chaos zu stürzen. Dem mußte er mit eisernem Willen entgegenwirken.

Der Zaubereiminister dachte an Martha Andrews, die er mit der Aussicht, sie weiterhin zu benötigen hergebeten hatte. Pétain sollte prüfen, ob sie irgendwie mit den Dementorenangriffen und Flüchtlingswellen zu tun hatte. Falls dies zutraf sollte Martha Andrews alle Namen und Pläne preisgeben. Falls nicht, so sollte sie ein Dokument unterschreiben, daß sie als Mutter das Sorgerecht an ihrem Sohn der neuen Abteilung für Familienschutz übertrug. Weil sie damit dann auch die Notwendigkeit eines zaubererweltlichen Fürsorgers ausschloß würden die Eheleute Latierre jeder Verantwortung enthoben. Sollte Martha Andrews an einer Verschwörung beteiligt sein, so würde Didier die von Thicknesse zugeschickten Unterlagen benutzen, mit denen er ihre Auslieferung bei den französischen Muggeln begründen konnte. Auch wenn viele auf der langen Liste ihm Feigheit unterstellten wog für ihn die Sicherheit und Unversehrtheit seiner Landsleute größer als die Unversehrtheit eines einzelnen Ausländers. Denn mittlerweile wußte er, daß es kein Gerücht war, daß Hexen und Zauberer, die nicht in England geboren worden waren, nicht mehr von dort zurückkehren konnten. Also war an einem Befreiungsschlag gegen den Unnennbaren nicht zu denken. Doch das jetzt öffentlich zuzugeben würde sein Ansehen schmälern. So blieb ihm nur, die Dementoren selbst abzuwehren und dem Feind die Grundlage für die Angriffe zu entziehen.

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"Bitte bestätigen Sie, daß Ihre Entscheidung, Ihre Ausbildung in Beauxbatons vorzeitig zu beenden, aus freiem Willen und in Kenntnis aller daraus entstehenden Konsequenzen erfolgt, Monsieur Collis!" Forderte Madame Maxime bei der Saalsprecherkonferenz. Professeur Faucon blickte mit steinerner Miene auf den Saalsprecher der Violetten, der gerade das Entlassungsformular vor sich hatte und die verpflichtenden Angaben eintrug. Als er unterschrieben hatte, daß er mit sofortiger Wirkung auf die weitere Teilnahme am Unterricht verzichtete, erfolgte die Übergabe seiner Brosche an seinen Stellvertreter, der seine Silberbrosche an den extra zu der Konferenz hinzugebetenen Kandidaten übergab, den die Lehrer von Beauxbatons als Nachrücker beschlossen hatten. Damit nahm der kleinwüchsige Siebtklässler, Kapitän und Sucher der Quidditchmannschaft von Saal Violett seinen Abschied von Beauxbatons. Vier weitere Jahrgangskameraden würden mit ihm nach der Konferenz ihre Entlassungsdokumente empfangen, jedoch ohne abschließende Benotung. Julius Latierre sah Golbasto seltsam betrübt an, als dieser ohne die goldene Brosche aus Madame Maximes Konferenzraum ging. Vielleicht, so dachte Blanche Faucon auch, war er mit seinen Gedanken genau dort, wo ein Teil ihrer Gedanken war. Beide bangten um ihre Verwandten, die gerade in Didiers Drachenhöhle saßen, ungeschützt vom Sanctuafugium-Zauber. Sie hatte ein ungutes Gefühl, daß Didier aus Angst oder heimlicher Sympathie mit dem verächtlichen Verbrecher Voldemort irgendwas anstellte, um Martha Andrews und vielleicht auch ihren Sohn zu belasten oder sie verschwinden zu lassen. Sie ärgerte sich, weil sie Martha Andrews keine Anweisung geben konnte, sich besser aus Didiers Einflußsphäre herauszuhalten. Immerhin hatten ihre Schwester Madeleine und Catherine eine Vorsichtsmaßnahme getroffen, um mögliches Unheil noch rechtzeitig abzuwehren.

Die Konferenz verlief im üblichen Rahmen. Außer einem Stimmungsbericht zu den neusten Zeitungsmeldungen kam das Thema Didier und seine neuen Maßnahmen nicht noch mal auf. Céline Dornier brachte ein, daß nach dem Besuch von Gabrielle Delacours Großmutter im Zauberwesenseminar viele Jungen darauf ausgingen, zu prüfen, ob bei der Erstklässlerin bereits die Veela-Kräfte entfaltet waren oder nicht, sie aber weiterhin mit Pierre Marceau gut befreundet sei, was sie, Céline, für etwas verfrüht halte. Professeur Faucon nickte ihr beipflichtend zu. Andererseits hatte sie auch keine Klagen über Gabrielle oder Pierre zu hören bekommen. Yvonne Pivert wandte dann noch ein, regelmäßig mit den Erstklässlerinnen zu sprechen, wie sie mit den Schulregeln zurechtkamen. Dabei wolle sie Gabrielle fragen, was das mit Pierre jetzt genau werden sollte. Professeur Faucon genehmigte es, da sie ja die zuständige Saalvorsteherin war.

Nachdem die Konferenz beendet war verließen die Saalsprecher den Wohn- und Arbeitsbereich der Schulleiterin durch das Bildertor. Julius ließ sich Zeit und stand wohl nicht ganz unbeabsichtigt als letzter im sechseckigen Ankunftsraum. Professeur Faucon winkte ihn zu sich. "Es entging mir keineswegs, daß Sie der Konferenz nicht die ungeteilte Aufmerksamkeit schenken wollten oder konnten, Monsieur Latierre. Deshalb möchte ich Ihnen vorschlagen, daß Sie, und falls Sie dies für richtig erachten auch Ihre junge Ehefrau, in einer halben Stunde bei mir vorsprechen. Ich hoffe, noch vor dem Mittagessen Nachricht zu erhalten."

"Ich frage Mildrid, ob sie mich begleiten möchte", sagte Julius aufatmend. Die Aussicht, im Sprechzimmer Professeur Faucons direkt informiert zu werden, was auch immer passierte, überwog die Beklemmung, daß seine Mutter sich gerade dem neuen Minister und seinen Kettenhunden auslieferte. Wußte er denn, ob sie nicht schon irgendwie behelligt worden war? Madame Maxime tauchte in ihrer übermenschlichen Größe und Erscheinungsform aus dem Konferenzzimmer auf. Da die Tür nur zwei Meter hoch war, mußte sie sich bücken und leicht drehen, um hindurchzupassen. Das mutete sowohl belustigend aber auch grazil an, wie die Halbriesin die für sie zu niedrigen Durchgänge nahm.

"Blanche, ich hoffe, die Vorkehrung, Madame Andrews nicht zu unfreiwilligem Verrat zu zwingen ist narrensicher. Ich möchte jedoch darauf bestehen, daß Sie sich mit dem jungen Mann hier bei mir aufhalten, um welche Nachrichten auch immer in Empfang zu nehmen. Bedenken Sie bitte, daß Madame Andrews auch Dinge weiß, die nicht nur Sie, sondern auch mich in arge Bedrängnis bringen können, wenn sie sie auf irgendeine Weise preisgibt."

"Ich erwarte einen Bericht meiner Tochter per Kontaktfeuer. Da ich nicht mentiloquieren kann und das Bildnis Viviane Eauvives in Madame Andrews Wohnung aushängt besteht im Moment keine Möglichkeit, Ihren Kamin als Kontaktfeueradresse zu empfehlen, Madame Maxime", wandte Professeur Faucon ein. Die Schulleiterin verzog leicht verärgert das Gesicht und schnaubte:

"Darauf hätten Sie gefaßt sein müssen, daß mich jede Neuigkeit im Zusammenhang mit jener fragwürdigen Unterredung nicht nur interessiert sondern grundlegend betrifft. Aber ich werde nicht darauf verzichten, auf die Neuigkeiten zu warten. So weise ich Sie darauf hin, daß ich mich in zehn Minuten ebenfalls bei Ihnen einstellen werde. Stellen Sie bitte sicher, daß keine Schüler auf dem Flur warten! Es gibt schon zu viel Getuschel um den jungen Mann hier." Sie deutete mit ihrer rechten Hand auf Julius. Dieser nickte ihr beipflichtend zu. Professeur Faucon lud ihre Vorgesetzte also ein, mit ihr, Mildrid und Julius Latierre in ihrem Sprechzimmer zu warten. Julius entblößte das silberne Pflegehelferarmband. Madame Maxime zischte nur: "Sagen Sie Ihrer Frau nur, daß Sie sie draußen treffen möchten und bringen Sie sie dann mit, falls sie von sich aus mitkommen will! Keine Erwähnung über diesen Termin!" Julius blickte verdutzt von unten her in ihr entschlossenes Gesicht und legte die Stirn in Falten. Doch keine Sekunde später konnte Professeur Faucon ihm ansehen, daß er begriffen hatte. So fragte er Millie nur, wo sie gerade war und verabredete sich mit ihr zu einem Spaziergang im Park. Als er dann jedoch die Verbindung wieder trennte sagte er:

"Auch wenn Sie nicht wollten, daß Madame Rossignol mithört, wo ich in einer halben Stunde bin, kriegt sie das doch raus, vor allem, wenn Millie mit dabei ist." Professeur Faucon mußte sich arg zusammenreißen, nichts unanständiges zu sagen, während Madame Maxime nur wütend auf das silberne Armband starrte, als wolle sie es gleich zerreißen. Professeur Faucon rettete die Situation und sagte:

"Ich kann sie in Einvernehmen mit Professeur Fixus einbestellt haben, weil Ihre magischen Fürsorger mich darum gebeten haben." Julius nickte. Dann durchschritt er das transpictorale Portal zu den allgemeinen Räumen und Gängen von Beauxbatons.

"Florence nimmt für sich in Anspruch, über das Befinden des jungen Mannes zu verfügen", knurrte Madame Maxime. "Ich denke jedoch, daß wir so wenige Personen wie möglich über das informieren sollten, was heute geschieht."

"Ich bin Ihrer Meinung, Madame Maxime. Madame Rossignol versucht seit jenen Ausflügen mehr und mehr, meine und auch Ihre Entscheidungen in Zweifel zu ziehen, selbst wenn die Resultate uns recht gegeben haben."

"Ich kann und will nicht auf Sie beide verzichten, Blanche. Falls es wegen des jungen Monsieur Latierre oder anderer Dinge wegen Differenzen zwischen Ihnen beiden gibt, räumen Sie sie aus! Ich befürchte nämlich, daß wir in nächster Zeit sehr aufeinander angewiesen sein werden."

"Sie haben es ja gehört, daß immer wieder angefragt wurde, was wir tun, wenn der zeitweilige Zaubereiminister ohne Ansehen von beruflichen oder schulischen Verpflichtungen alle ihm genehm scheinenden Hexen und Zauberer verpflichtet, nur noch seinen Abteilungen zu helfen."

"Sie kennen ja meine Reaktion auf seine schriftliche Anfrage, Blanche. Daß er uns die volljährigen Schüler abspenstig gemacht hat mußte ich ihm durchgehen lassen. Und ich wage nicht, mir vorzustellen, wie weit er noch gehen wird und inwieweit wir ihm da ohne üble Auswirkungen befürchten zu müssen entgegenstehen können."

"Deshalb war und bin ich auch nicht gerade begeistert, daß Madame Andrews mit all ihrem Wissen und den für uns so wichtigen Fähigkeiten in das Zaubereiministerium zurückkehren soll. Aber den Faktor der bedrückenden Untätigkeit dürfen wir nicht unterschätzen."

"Sie hätten Ihrer Tochter und deren Familie eindringlich anempfehlen müssen, mit Madame Andrews an einen anderen Ort zu wechseln, wo sie keine Langeweile finden wird."

"Wollen wir hoffen, daß das neue Zaubereiministerium ihr diese Sorge nicht gegen ihren Willen abnimmt", schnarrte Professeur Faucon. "Aber ich hoffe darauf, daß meine Tochter ihre Hausaufgaben gemacht hat und meine talentierte, wenn auch gerne den nötigen Ernst vermissen lassende Schwester ihr beisteht."

"Didier weiß nicht, daß Ihre Schwester bei Ihrer Tochter wohnt?" Erkundigte sich Madame Maxime. Professeur Faucon bestätigte, daß Madeleine es keinem außer ihr, den Brickstons und Martha Andrews erzählt hatte. Ihr Ehemann sei gerade dienstlich verreist und würde erst Ende November zurückkehren, und ihre Erwachsenen Kinder bekämen regelmäßige Posteulen, die ohne Absender auskamen, wenn sie den entsprechenden Empfänger kannten. Das beruhigte Madame Maxime.

Julius indes lief zum Westpark, weil im Ostpark zu viele Pärchen herumhingen. Dort traf er sich mit Millie und flüsterte ihr zu, daß er in einer halben Stunde bei Professeur Faucon sein würde, um mitzukriegen, was mit seiner Mutter sei. Millie willigte natürlich ein, ihn zu begleiten.

"Falls deine Mutter in Schwierigkeiten gerät und ganz schnell unauffindbar werden muß soll sie zu Oma Line ins Château. Ich weiß ja nicht, ob die von Didier nicht problemlos nach Millemerveilles reinkommen. In unserem Stammsitz kann sie kein Feind unserer Familie angreifen."

"Millie, das hatten wir doch schon, daß sie nicht weiß, was sie dann mit ihrer Zeit anfangen soll. Stell dir vor, die kriegt wieder den Job im Muggelkontaktbüro. Dann würde die doch nicht umziehen wollen."

"Glaubt eure Saalkönigin das mit der neuen Anstellung?"

"Irgendwie nicht so ganz", antwortete Julius bekümmert. "Sie denkt eher, daß Mum in eine Falle gelockt wurde und sie es ihr nicht ausreden konnte, hinzugehen."

"Hätte ich Ma sagen sollen, daß die deine Mutter bequatscht, sich schön von Didier fernzuhalten, solange wir nicht wissen, was der eigentlich vorhat."

"Das hätte dann überhaupt schon Oma Line machen sollen. Die hat den besseren Draht zu meiner Mutter."

"Klar, weil sie als deine Mutter quasi sowas wie 'ne Schwiegertochter von Oma Line geworden ist, die sich genauso heftig für dieses Spiel mit den sich prügelnden Figuren interessiert", erwiderte Millie verächtlich. Da zitterte ihr Pflegehelferschlüssel. Sie berührte den weißen Schmuckstein des Armbandes und beschwor Madame Rossignols räumliche Bildwiedergabe herauf.

"Auch wenn ich euren obligatorischen Vormittagsspaziergang störe, Millie und Julius, möchte ich dich, Millie, bitten, mir deinen Angetrauten für ein längst fälliges Vier-Augen-Gespräch zur Verfügung zu stellen. Er weiß schon, worum es geht."

"Huch, warum haben Sie ihn dann nicht gerufen?" Wollte Millie wissen.

"Hätte ich gemacht, wenn er sich nicht nach der Saalsprecherkonferenz gleich mit dir verabredet hätte. Also, Julius, komm unverzüglich in mein Sprechzimmer!"

"Ähm, 'tschuldigung, wie lange setzen Sie für diese Unterredung an?" Fragte Julius, als Millie ihm ihr Armband hinhielt.

"Solang sie dauert, Julius. Oder hast du bereits einen Termin?"

"Ich wurde von Professeur Faucon gebeten, mit ihr und Millie über die Möglichkeiten zu sprechen, die meine Mutter hat, weil Madame Brickston ihr wohl gemeldet hat, daß sie sich langweilt. Wir sollen da in zwanzig Minuten sein."

"Dann sieh zu, daß du in einer Minute bei mir bist, damit wir die restlichen neunzehn Minuten ausnutzen können!" Schnarrte Madame Rossignols Stimme. Julius überlegte schon, ob er ihr nicht empfehlen sollte, die Person, um die sich das Gespräch drehen würde, persönlich zu sich zu bitten. Doch hier draußen wollte er das ganz sicher nicht ansprechen. So entschuldigte er sich bei seiner Frau und bat sie darum, in zwanzig Minuten vor Professeur Faucons Sprechzimmer auf ihn zu warten und ihn notfalls zu entschuldigen, falls er später käme. Dann eilte er zurück zum Palast und wandschlüpfte in das Sprechzimmer der schuleigenen Heilerin. Diese verriegelte sofort die Tür und baute einen Klangkerker auf.

"So, mein Junge. Jetzt mal Klartext", kam Madame Rossignol unverzüglich auf den Punkt. "Seit wann weißt du das schon, daß Madame Jane Porter sich in die Bilderwelt geflüchtet hat und aus welchem Grund?"

"Hmm, den Grund darf ich Ihnen nicht nennen, Madame Rossignol. Ich weiß es aber schon seit diesen März."

"Mit anderen Worten, du hast deine Jahrgangsstufenkameradin Gloria Porter in der festen Überzeugung belassen, ihre geliebte Großmutter unwiederbringlich verloren zu haben", schnarrte Madame Rossignol ungehalten. "Und komm mir jetzt bloß nicht damit, daß du über den Grund dafür auch nichts verraten darfst! als Pflegehelfer bist du für das körperliche Wohl deiner Mitschüler genauso verantwortlich wie für das seelische. Also rück jetzt damit heraus, welchen Grund Madame Porter hatte, ihre Freunde und Verwandte derartig zu erschrecken und zu bestürzen!"

"Madame Porter hat mir dringend geraten, es keinem zu erzählen, weil die Sicherheit ihrer Familie davon abhängen kann. Daß Sie das überhaupt wissen kam ja nur daher, daß Gloria in Gefahr geraten ist und Madame Porter nicht tatenlos zusehen wollte, wie Umbridges Dementoren sie fertigmachen", erwiderte Julius, der sich keiner Schuld bewußt war.

"Dir ist klar, daß du hier nicht rauskommst, bevor ich nicht alles von dir gehört habe, was du über diese Angelegenheit Reichenbach weißt. Fangen wir also damit an, woher dieses Codewort kommt!" Entgegnete Madame Rossignol und griff seelenruhig nach ihrem Strickzeug. Julius wußte natürlich, daß er nicht einfach wandschlüpfen konnte, wenn Madame Rossignol sein Armband blockiert hielt. So holte er tief Luft und erwähnte die Sherlock-Holmes-Geschichte, an deren Ende der Meisterdetektiv mit seinem Erzfeind Moriarti gekämpft hatte und dabei scheinbar unwiederbringlich mit diesem den Wasserfall von Reichenbach hinuntergestürzt sei, sich aber in Wirklichkeit gerade so noch an einem Felsvorsprung hatte halten und weiter hinaufretten können, weshalb sein Freund Watson ihn nicht mehr finden konnte und Jahre später erst wieder auftauchte, als er die Bande Moriartis weitestgehend ausgeschaltet hatte. Dann sagte er ganz ruhig: "Jane Porters Moriarti ist die Hexe, von der wir ja nun ziemlich sicher glauben, daß sie eine Wiedergeburt oder Wiederverkörperung von Anthelia ist. Diese hat das Laveau-Institut infiltriert und bestimmt auch schon anderswo ihre Spioninnen drinsitzen. Deshalb will Madame Porter nicht, daß ihre Verwandten wissen, daß sie noch lebt, bis diese Hexe entmachtet ist."

"Was jahre dauern kann", knurrte Madame Rossignol. "Unverantwortlich, dich damit zu behelligen. Konsequenterweise hätte sie auch dich im Ungewissen halten müssen, weil du trotz Professeur Faucons Lehrstunden nicht absolut sicher vor legilimentischen Einblicken sein kannst. Also warum hat sie dich eingeweiht und sonst keinen?"

"Ähm, Professeur Faucon wurde auch eingeweiht", berichtigte Julius die Heilerin. Diese umklammerte die rechte Stricknadel und machte einen Moment lang eine drohende Bewegung damit, als wolle sie ihn aufspießen. "Sie braucht wen, der im Zweifel zu ihr in die Bilderwelt überwechseln kann. Und der einzige, den sie kennt, der ein Intrakulum benutzen kann, bin ich. Denken Sie mir paßt das, Gloria so fies verladen zu müssen? Ich fühl mich nicht besser als die, seitdem diese Beerdigungsschau in New Orleans gelaufen ist, sogar noch fieser, weil ich weiß, daß das nur ein Trick war."

"Jungchen, du hättest zu mir kommen und mir das sagen können. Oder besser, du hättest diese Hexe, die meint, befinden zu müssen, was jemand von ihr weiß und fühlt, bitten sollen, mich ebenfalls einzuweihen. Denn im Zweifelsfall bist du durch dieses Wissen noch mehr gefährdet. Das was sie ihrer Verwandtschaft ersparen will hat sie dir aufgeladen. Und ich trage für dich genauso die Verantwortung wie die Lehrer hier, vor allem, daß dir nichts zustößt. Du magst zwar außergewöhnliche Zauberkräfte haben und von deinen Eltern her viel gelernt haben. Aber du bist und bleibst ein junger Mensch, der noch wachsen muß und nicht jede Last aufgepackt bekommen darf. Da ich es nicht nur dir, sondern allen anderen hier immer wieder predige, auf das eigene Wohlbefinden zu achten, auch und vor allem, weil du einer meiner Pflegehelfer bist. Auch wenn du jetzt zu behaupten wagen solltest, daß es dir ja nicht viel mehr ausmacht, als wenn du wie der überwiegende Rest der Welt glaubst, Jane Porter sei tatsächlich tot, bin ich da doch der Meinung, daß es dich unnötig belastet, und daß du mir derartige Belastungen zu melden hast und nicht meinst, das beträfe mich nicht. Ich kann den Trank nicht mehr in den umgestürzten Kessel zurückschaffen. Aber damit du das dir ein für allemal merkst, daß ich derartige Heimlichkeiten, vor allem, wenn sie das seelische und auch körperliche Befinden stören, nicht ungeachtet hinnehme, wirst du dich nach dem Mittagessen bei mir einfinden und ohne Benutzung von Zauberkraft den gesamten Krankenflügel scheuern, die Bettwäsche wechseln und die benutzte Bettwäsche waschen und aufhängen. Zusätzlich erlege ich dir einhundert Strafpunkte wegen Mißachtung meiner generellen Anweisung auf."

"Professeur Faucon hat mich selbst gebeten, Madame Porters Bitte zu erfüllen", widersprach Julius.

"So, hat sie das? Dann will ich das schriftlich von ihr bis heute Nachmittag um zwei haben und zwar mit der vollständigen Begründung, warum sie fand, dich mit derartigen Dingen zu belasten und inwieweit sie das mit deinen hiesigen Aufgaben vereinbaren kann. Habe ich dieses Schreiben um zwei Uhr nicht in meinem Postfach, bist du um eine Minute nach Zwei fällig. Und dann könnte mir einfallen, dir noch mal hundert Strafpunkte wegen Lügens und Aufsässigkeit draufzupacken. Sollte Professeur Faucon die schriftliche Erklärung liefern, kläre ich mit ihr, inwieweit dein Verhalten strafwürdig ist." Julius nickte verdrossen. Er fühlte sich ziemlich gemein herumgeschubst, von Jane Porter, Professeur Faucon und Madame Rossignol. doch er beließ es nur bei einem verbitterten Blick. Die Heilerin sah ihn streng an und meinte:

"Julius, denk daran, daß du jetzt verheiratet bist. Deine Frau hat ein Anrecht darauf, daß du an Leib und Seele gesund bleibst. Das bist du ihr schuldig und dir ebenso." Julius nickte nur verhalten. Dann durfte er gehen.

Fünf Minuten vor dem vereinbarten Termin traf Julius auf dem Flur vor Professeur Faucons Sprechzimmer ein. Unter dem Namen und Rang der hier arbeitenden Lehrerin prangten die Worte "Zutritt nur nach Vereinbarung". Julius lauschte. Hatte die Lehrerin einen Klangkerker errichtet, oder war sie nicht im Zimmer. Jedenfalls war es totenstill. Er hob zaghaft die Hand und klopfte an. Dabei veränderte sich die Schrift auf dem Türschild: "Julius Latierre bitte eintreten!" Der Zauberschüler staunte, was mit magischen Mitteln alles ging und betrat den Raum. Er wollte gerade fragen, ob das Türschild sein Bild gespeichert hatte, als er Madame Maxime erkannte, die auf einem bankgleichen Stuhl mit hohen Beinen saß. Julius wollte die Tür schließen, als Millie um die Ecke bog, sah, daß die Tür offen war und einen Moment davor stehenblieb. Professeur Faucon winkte ihr zu, zügig einzutreten und zischte ihr zu: "Machen Sie die Tür zu, Madame Latierre!" Als Millie der Aufforderung gehorcht hatte bebrüßte sie Madame Maxime und dann Professeur Faucon, bevor sie sich Catherines Kopf im Kaminfeuer zuwandte.

"Bitte setzen Sie sich!" Schnarrte Professeur Faucon und ließ zwei Stühle aus dem Nichts erscheinen. Millie und Julius nahmen Platz.

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"Sehen Sie mal da draußen, den Schwarm Wildgänse", lenkte Monsieur Pétain Martha Andrews' Aufmerksamkeit auf eines der Fenster, gerade als sie nach dem gefüllten Glas greifen wollte. Sie lächelte. Doch das lag keineswegs an der Bildillusion dahinfliegender Wildgänse über dem im Wind rauschenden Herbstwald, sondern an der Erheiterung, daß Pétain ein derartig einfaches Ablenkungsmanöver inszeniert hatte, um sie von den gefüllten Gläsern abzulenken. Martha blickte jedoch so erheitert wie sie angesichts der Situation schauen konnte hinaus und lobte das vorgeführte Schauspiel. In Gedanken fragte sie sich, für wie naiv Pétain sie denn halten mochte. Außerdem hoffte sie, daß Béatrice Latierres Vorkehrung sie wirklich vor solchen Tricks schützen konnte. Jedenfalls ließ sie dem Zauberer zehn Sekunden Zeit. Was immer er mit dem Manöver bezweckte mußte er in dieser Zeit hinbekommen haben. Ein flüchtiger Blick reichte ihr aus, um zu sehen, daß das Wasser in ihrem Glas sich gerade erst beruhigte. Sie tat jedoch so, als käme sie nie im Traum darauf, daß Pétain ihr was unterjubeln wollte. Der kleine, hagere Zauberer lächelte Martha an, die höflich fragte, ob sie wissen dürfe, wohin dieses Fenster wies, wo sie doch mitten in Paris waren. Pétain erwähnte ganz ruhig, daß der Wald zu einer Reihe von Romantikbildzaubern gehörte, die an die vorherrschende Jahres- und Tageszeit angekoppelt waren. Martha nickte und ergriff ihr Glas. Dabei machte sie eine leichte Handbewegung, weshalb etwas vom Inhalt herauslief und ihr fast auf den Schoß rann, wo sie die mitgebrachten Pergamente liegen hatte. "Ups, war ich nicht drauf gefaßt, daß das so voll ist", sagte sie verlegen lächelnd. "Am besten gebe ich Ihnen die Dokumente, bevor ich noch was drauf verschütte." Sie griff mit der freien Hand nach den Pergamenten und ließ sie spielerisch über den Tisch hinüberfliegen, wobei sie jedoch nicht gut genug zielte. Die Pergamente segelten knapp an Pétains Hand vorbei und fielen auf den Boden. Der Zauberer drehte seinen Kopf in die Richtung und zückte den Zauberstab. Diese zwei Sekunden reichten Martha, um die beiden Gläser zu vertauschen, während Pétain "Accio Pergamente" rief. Sicher war sicher. Hoffentlich hatte er nicht mit einem Gegenmanöver gerechnet, dachte Martha und nahm das Glas, das sie sich zurechtgesetzt hatte. Sie wollte kein Risiko eingehen und nahm einen kleinen Schluck in den Mund. Dann wartete sie drei Sekunden, während Pétain sie genau ansah. Sie wußte nicht, was der ihr zugedachte Cocktail auslösen sollte. Aber mit einem leicht weltentrückten Blick sah sie Pétain an, der sich gerade die Dokumente zurechtlegte. Er lächelte freundlich, oder war es eher das triumphierende Lächeln eines Jägers, der das kapitale Wild im Visier hatte? Er fragte nun ruhig aber ernsthaft: "Wollen wir loslegen?" Martha nickte und tat so, als müsse sie ihre Bluse zurechtziehen, wobei sie kurz das Kinn neigte und sich die winzige Menge Wasser auf den Brustkorb tropfen ließ, bevor sie ein wenig leiser als vorher sagte: "Wir können."

Pétain lächelte noch breiter und griff das Glas vor sich. Er trank sichtbar, wohl um Martha aufzufordern, auch zu trinken. Doch diese wartete nun eine Sekunde, dann noch eine, bis Pétains Lächeln einem ziemlich träumerischen Gesichtsausdruck wich. Sein Blick verlor den vereinnahmenden Ausdruck und wurde leicht entrückt. Da hatte Martha die Bestätigung, daß der Fallensteller sich in der eigenen Grube gefangen hatte. Doch der bemerkte das nicht oder konnte es nicht bemerken. Wie ein Automat ließ er den Inhalt seines Glases in seinen Mund hineinrinnen und schluckte wohl eher aus Reflex als aus Absicht. Martha hoffte, daß er ihr nichts vorspielte. Als sie jedoch nach vier Sekunden kein Wort von ihm gehört hatte fragte sie ruhig: "Geht es Ihnen nicht gut, Monsieur Pétain.

"Doch mir geht es ausgezeichnet", sagte er, als spräche er zu einem etwas entfernteren Ziel. Martha blickte auf den Schreibtisch, wo eine-Schreibe-Feder gerade in der Mitte eines neuen Pergamentbogens angekommen war. "Also weswegen bin ich hier?" Wollte Martha wissen.

"Weil ich rausfinden soll, ob Sie an einer Verschwörung gegen das englische Zaubereiministerium beteiligt sind", erwiderte Pétain ohne zu überlegen. Martha beherrschte sich, nicht schadenfroh dreinzuschauen. Die Schauspiel-AG in Fairmaid und die Krimi- und Agententricks, die sie mit Richard und dessen geheimnisvollen Freund Rodney Underhill ausprobiert hatten waren also doch für etwas gut gewesen. "Kann uns wirklich keiner zuhören?" Fragte Martha.

"Keiner kann uns hören", entgegnete Pétain wie in einem leichten Rauschzustand. Martha hoffte, daß die ihm selbst eingeflößte Droge wirklich ein Wahrheitselixier war und fragte weiter:

"Ist das mit der Verschwörung nur ein Verdacht oder worauf stützen Sie das?" "Minister Didier und ich haben das überlegt, weil so viele Muggelstämmige aus England per Muggelverkehrsmittel rüberkamen. Außerdem hat Englands Zaubereiminister Thicknesse geschrieben, jemand schaffe verdächtige Zauberer außerLandes."

"Ach, und da sind Sie gleich auf mich gekommen?" Fragte Martha ruhig. Sie hoffte, daß die Wahrheitsdroge nicht zu schnell nachließ. "Thicknesse will Sie und ihren Sohn haben."

"Woher wissen Sie das?" Fragte Martha. "Wir haben Briefe, wo Ihre Auslieferung verlangt wird", erwiderte Pétain immer noch geistesabwesend klingend. Er machte nicht einmal Anstalten, sich zu bewegen. Entweder lähmte ihn das Teufelszeug oder blockierte seinen Willen. Auch gut, dachte Martha und führte nun die Befragung schnell fort. Die flotte Feder notierte unbeeindruckt davon, daß Frager und Befragter die Rollen getauscht hatten jedes Wort mit Bezeichnung, wer es sagte.

"Was haben Sie genau mit mir und meinem Sohn vor?" Wollte Martha wissen. "Wenn ich herausbekomme, daß Sie gegen Thicknesse arbeiten und das unserem Ministerium verschwiegen haben soll ich Sie dazu zwingen, Ihr Sorgerecht für Julius abzutreten. Danach soll ich dem Minister melden, daß er die Muggelbehörden auf sie ansetzen möchte."

"Was sollen Sie tun, wenn ich nicht gegen Thicknesse arbeite?" Fragte Martha nun so gefühllos wie ein Automat klingend. "Dann soll ich Sie zum Minister schicken, damit er sie dazu bringt, mit ihrem Sohn Julius in ein Friedenslager zu ziehen."

"Was ist ein Friedenslager?" Fragte Martha nun doch etwas erregter. "Das ist ein magisch unortbarer Ort, umgeben von starken Zauberbannen, an denen mißliebige Hexen und Zauberer verwahrt werden sollen", entgegnete Pétain. Martha entging nicht, daß es in seinen Augen kurz flackerte. Offenbar merkte er doch, daß er gerade gut gehütete Wahrheiten aussprach. Konnte man sich gegen das Zeug wehren? Doch Martha vertat keine Sekunde mit langem Nachdenken und fragte, wie viele Friedenslager es denn gebe, wo diese seien und wer dort hineinkommen würde. Dann fragte sie noch nach den Plänen des Ministeriums gegen die Dementoren und wollte wissen, ob Didier oder er was über die Schlangenmenschen wußten. "Die Sichtung eines solchen Wesens war eine Sinnestäuschung wegen starker Alkoholisierung", raunte Pétain monoton wie ein Mann im Halbschlaf. Hatte es in seinen Augen einige Male gezuckt, als Martha die brisanten Fragen gestellt hatte sah er jetzt ganz teilnahmslos auf die Frau, die er eigentlich mit diesem Trank auskunftsfreudig stimmen wollte. "Was ist mit den Grandchapeaus passiert?" Hakte sie nach.

"Wurden in eine Falle gelockt. Sind wahrscheinlich tot", erwähnte Pétain völlig teilnahmslos. Auf Marthas Frage, von wem sie in eine Falle gelockt worden seien bekam sie nur die Antwort "Agenten der Todesser oder Sardonianerinnen. Wir suchen sie schon." Martha dachte nur, daß sie sich dann nicht so austricksen lassen durften wie sie Pétain gerade ausgetrickst hatte. Doch als sie noch erfuhr, daß ab Montag alle bisherigen Gesetze der französischen Zaubererwelt außer Kraft gesetzt und sämtliche Goldguthaben in Gringotts nur auf ministerielle Abhebeerlaubnis verfügbar sein sollten erkannte sie, daß Didier tatsächlich eine Diktatur aufziehen wollte. Ein weiterer Pergamentbogen wurde voll, bis Martha erkannte, daß die Wirkung der Wahrheitsdroge wohl doch langsam abklang. So holte sie mit einer Schnellen Handbewegung alle ihre Dokumente wieder zu sich und fragte zum Schluß: "Wie komme ich unangefochten hier raus?"

"Klopfen gegen die Silberschale reicht", rang sich Pétain eine weitere Auskunft ab, wohl schon gegen den Zwang ankämpfend. Martha zögerte nicht lange, pflückte die magische Schreibfeder vom Pergament, ergriff dieses und schob die Blätter schnell zusammen. Sie gab sich selbst nur noch zehn Sekunden. Sie klopfte fest gegen die silberne Schale auf Pétains Seite. Sie beobachtete, wie sein Verstand sich langsam wieder klärte. Wie Hippolyte es ihr geraten hatte langte sie unter ihre Bluse und bohrte ihre Fingernägel in die unter Druck stehende Gummiblase, die mit leisem Piff aufplatzte. Sie fühlte eine merkwürdige Flüssigkeit herausspritzen, die jedoch sofort verdunstete. Da ging die Tür schon auf, und Mademoiselle Devent blickte herein. "Ich soll zum Minister hin wegen der Muggelkontaktbürobesprechung", sagte Martha rasch. Doch da wirkte auch schon, was sie gerade freigesetzt hatte. Unsichtbar und ganz geruchlos hatte sich das ätherische Schlafelixier im Büro Pétains und durch die offene Tür auch in das Vorzimmer ausgedehnt. Martha sah, wie der Ministerialbeamte und seine Sekretärin wie Taschenmesser zusammenklappten und dumpf auf dem weichen Teppichboden aufschlugen. Schnell entfernte sie die Identitätsmarke von ihrer Bluse. Das Schlafdunstgebräu würde acht stunden geteilt durch die Fläche in hundert Quadratmetern vorhalten. Das reichte locker, um sich mit Catherine abzusetzen. Sie nahm Pétain und Mademoiselle Devent die Zauberstäbe ab. Auch die Silberschale nahm sie an sich. Dann schnippte sie die Besuchermarke unter Pétains Schreibtisch und verließ das Büro. Sie schloß die Tür von außen. Mit gewissem Triumph hörte sie ein leises klicken. Offenbar hatte ein Verschließzauber die Tür wieder verriegelt. Wenn der nicht per Stimmkommando entsperrt werden konnte waren Pétain und seine Vorzimmerhexe jetzt gefangen, bis jemand von außen den Zauber aufheben konnte. Sie versteckte die erbeuteten Zauberstäbe unter den Schreibtisch. Ihre Handtasche und ihr Mantel hingen griffbereit über einem Stuhl. Sie nahm ihre Sachen arglos an sich. Dann öffnete sie die Tür nach draußen. Sie lauschte, ob jemand auf dem Flur war. Das Betäubungsgas, gegen das sie sich durch den Trank immun gemacht hatte, würde nun auch den Flur ausfüllen. Das mochte die Wirkungsdauer verkürzen und mögliche Besucher einschläfern. Aber wenn sie schnell hinauskam würde der Dunst sich nicht so weit ausbreiten. Sie schlüpfte durch die Tür hinaus und drückte sie zu.

Nachdem sie sich vergewissert hatte, daß niemand auf dem Flur stand, ging sie ruhig entlang richtung Aufzüge los. Da prallte sie gegen ein unsichtbares Hindernis. Erschrocken blieb sie stehen, während irgendwas wie ein hauchzartes Netz über ihr herabsank und sie einzuspinnen versuchte. Da blitzte es grell auf. Martha sah gerade, wie die von Catherine mitgenommene Einverständniserklärung ohne Flammenwirkung zu Asche zerfiel, ohne die anderen Pergamente zu beschädigen. Das magische Fangnetz ruckte einmal. Martha versuchte, sich freizustrampeln, obwohl ihr logischer Verstand ihr sagte, daß sie nun gefangen war. Gerade als die unsichtbare Fangvorrichtung sich um ihre Füße legte und sie hochriß meinte sie, kopfüber in einen bunten Strudel zu fallen und von glühendheißen Riesenfäusten zusammengequetscht zu werden.

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"Sicherheitsmaßnahme, Madame Brickston. Besucher von Monsieur Marat sind gehalten, ihre Zauberstäbe bei mir abzugeben", knurrte der muskulöse Zauberer im Vorzimmer von François Marat, dem Stellvertreter Pétains. Die Besucherin grummelte nur, daß sie es nicht gewöhnt sei, ohne Zauberstab irgendwo hinzugehen und man für die wichtigsten Beamten doch Schutzzauber einrichten könne. Doch es half nichts. Sie mußte ihren Zauberstab abgeben, bevor mit leisem Plopp eine unsichtbare Barriere vor der Zugangstür zu Marats Büro verschwand.

François Marat sah seine Besucherin freundlich an. Wie lange war es schon her, daß er Professeur Faucons Tochter direkt gesehen hatte? Er erinnerte sich daran, daß die heutige Beauxbatons-Lehrerin und ihre Schwester Madeleine ihm damals die Patenschaft für das Kind angeboten hatten, wenn es ein Junge sei. Da es dann doch ein Mädchen wurde hatte Madeleine L'eauvite die Patenschaft übernommen, weil sein alter Schulfreund Hugo gleichgeschlechtliche Paten für seine Kinder haben wollte. Das Catherine das einzige Kind geblieben war fand Monsieur Marat traurig. Ja, und ihm war auch etwas mulmig, weil der neue Minister ihm den Auftrag erteilt hatte, Catherine gegebenenfalls legilimentisch oder mit Veritaserum auszuhorchen, wie sie das damals angestellt hatte, daß Martha und Julius Andrews zu ihr kommen konnten und ob sie dem Vater des Jungen nicht mit unerlaubten Zaubern dazu gebracht hatten, auf sein Sorgerecht zu verzichten. Didier hatte bei einer geheimen Sitzung mit den Abteilungsleitern für Grenzschutz und Landfrieden und ihren Stellvertretern klargestellt, daß diese Fragen eindeutig zu klären seien, weil Thicknesse ihm Hilfe gegen die Dementoren nur dann zusichern wollte, wenn die Angelegenheit Andrews eindeutig geklärt war. Offenbar glaubte der Minister, daß Thicknesse es in der Hand hatte, die Dementoren zu bändigen. Er, François Marat, war da nicht so von überzeugt. Er hatte zwar keinen Kontakt mehr zu Blanche Faucon gehabt, seitdem diese in der Akademie arbeitete. Aber über seine Enkeltochter Josephine, die dort in Madame Rossignols Pflegehelfertruppe mitmachte, erfuhr er bei Familienfeiern dieses oder jenes über Professeur Faucon und auch Julius, der durch einen ziemlich fragwürdigen, wenn auch legalen Streich mit fünfzehn hatte heiraten dürfen. Im Gegensatz zu Didier achtete er die Mondfestung und ihre Bewohnerinnen, weil seine eigene Großmutter dort selbst ihren Traummann bestätigt bekommen hatte. Und mit dem war sie fast neunzig Jahre verheiratet gewesen, bevor er starb. Sein neuer Chef Pétain und dessen Freund und Aufstiegshelfer Didier hielten diese Art von magischer Trauung für überholt und weil außerhalb ministerieller Richtlinien für unstatthaft. Wenn François Marat jetzt aber aufdecken konnte, daß Catherine Brickston die Andrews' mit unerlaubten Mitteln nach Frankreich geholt hatte, würde sich Catherine vor dem seit dem ersten November eingerichteten Dreiergericht zur Einstufung von Sicherheitsgefährdenden Mitmenschen verantworten müssen. Zudem könnte Minister Didier dann öffentlich erklären, daß Martha Andrews unzulässigerweise in Frankreich sei und die Muggelweltbehörden veranlassen, ihre Ausweisung zu betreiben und womöglich die vorzeitige Ehe zwischen Julius und Ursuline Latierres Enkeltochter Mildrid für ungültig erklären, womit er ebenfalls des Landes verwiesen werden könnte, falls seine Mutter nicht einwilligte, ihr Erziehungsrecht auf das Ministerium zu übertragen. Marat bangte, ob Didier den Jungen als Beschwichtigungsgeschenk nach England zurückschicken würde. Doch Janus Didier hatte Angst, nicht nur wegen der Dementoren, sondern vor allem davor, daß die Zauberergemeinschaft sich gegen ihn aussprechen und seinen Rücktritt erzwingen könnte.

"Nun, Sie wissen ja, Madame Brickston, daß die derzeitige Situation in Großbritannien und die Situation hier nicht gerade hoffnungsvoll stimmen", sagte Marat ruhig. "Deshalb möchte der Minister sicherstellen, daß niemand in diesem Land etwas getan hat, daß gegen die Abkommen der internationalen Zaubererkonföderation und der globalen Magierkonferenz verstößt. Deshalb möchte ich Sie bitten, mir offen und ehrlich alle Fragen zu beantworten, die ich im Zusammenhang mit Ihrer Mitbewohnerin Martha Andrews und ihrem Sohn stellen werde. - Möchten Sie was trinken?"

"Ein Kaffee wäre nett", erwiderte Catherine Brickston. "Ohne Milch und Zucker."

Monsieur Marat apportierte eine große Kanne und zwei Tassen und Untertassen auf den Tisch.Er überlegte, ob er Catherine bereits jetzt drei Tropfen Veritaserum unterjubeln sollte. Vielleicht sollte er ihr erst unversetzten Kaffee geben, um jedes Mißtrauen auszuschließen. Gefielen oder reichten ihm die von ihr erhaltenen Antworten nicht, konnte er sie immer noch mit dem hochpotenten Wahrheitselixier überrumpeln. Catherine beroch den aus der Kanne geschöpften Kaffee und trank einen kleinen Schluck davon. Sie nickte ihrem Gesprächspartner zu und forderte ihn auf, seine Fragen zu stellen.

Etwa zwanzig Minuten lang sprachen sie darüber, wie Catherine die Andrews kennengelernt hatte und daß sie das Haus in London, wo die Andrews' gewohnt hatten, mit einem wirksamen Schutzzauber gegen böswillige Eindringlinge hatten sichern lassen.Dabei leerte sie die erste Tasse Kaffee. Als sie sich die zweite Tasse eingeschenkt hatte dachte Marat an einen bestimmten wortlos auflösbaren Komfortzauber und deutete dann auf eines seiner zwei Fenster, wo gerade eine Meereslandschaft zu sehen war, als sehe dieses breite Fenster direkt auf einen Sandstrand hinaus. In der Ferne tauchte ein Kopf mit langen, blonden Haaren aus den graugrünen Wogen. "Huch, wußte nicht, daß die bei der Zaubereizentralverwaltung auch griechische Nixen mit einbezogen haben", sagte er verwundert klingend. Seine Besucherin blickte zum Fenster hinaus und sah zwei weitere Meerjungfrauen, die wie vergnügte Delphine aus dem Wasser schnellten und mehrere Meter frei durch die Luft flogen.

"Ziemlich verspielte junge Dinger, wie?" Erwiderte sie belustigt. Marat sagte begeistert klingend:

"Die Leute aus der Bilderwerkstatt machen gerne solche Späße." Dabei träufelte er vier Tropfen aus einer winzigen Ampulle mit Wachskorken. Als Catherine dem Spiel der Nixen lange genug zugeschaut hatte und wieder ihre Kaffeetasse ergriff meinte sie: "Aber ich fürchte, wir haben nicht alle Zeit der Welt, um uns anzusehen, was Ihre Kollegen sich so für Fachsen ausdenken. Es geht Ihnen doch wohl um etwas sehr ernstes, daß Sie mich herzitiert haben." Sie Umschloß den Tassenhenkel. Dabei berührte ihr Ehering das Porzellan und glitt leise Quietschend ab. Dann setzte die Besucherin die Tasse an und trank. Marat konzentrierte sich, um sich nicht anmerken zu lassen, daß er jetzt auf eine bestimmte Reaktion wartete.

"Stimmt, wir sollten zum eigentlichen Thema kommen", sagte er. "Minister Didier und mein Vorgesetzter Sébastian Pétain haben Post vom britischen Zaubereiminister Thicknesse erhalten, daß er schwerwiegende Anschuldigungen gegen uns erhebt, weil wir den Muggel Richard Andrews dazu genötigt haben sollen, seine Frau und seinen Sohn nach Frankreich überwechseln zu lassen." Er sah Catherine gerade heraus an, die völlig gelassen blieb und auch sonst keine nennenswerte Regung oder Veränderung zeigte.

"Achso, und weil eine eindeutig als Imperius-Marionette des Unnennbaren dessen Befehle ausführen muß und alle auf britischem Boden geborenen Muggelstämmigen jagen soll will Ihr derzeitiger Dienstherr prüfen, ob er den Sohn meiner Mitbewohnerin nicht ganz legal nach England schicken kann?" Fragte die Besucherin mit leicht verärgerter Betonung zurück. Marat fühlte die innere Verunsicherung. Wieso wirkte das Veritaserum nicht?

"Haben Sie Monsieur Andrews' Haus verflucht, daß er seine Frau und seinen Sohn verabscheut?" Wollte Marat wissen.

"Nein, habe ich nicht", erwiderte die Hexe auf dem Besucherstuhl. "Allein das zu unterstellen ist eine Beleidigung. Ich habe größten Respekt vor dem Sorgerecht beider Eltern und will haben, daß meine Familie mit allen Mitgliedern ohne Beeinflussung gut miteinander klarkommt. Dasselbe möchte ich für andere Familien erreichen. Abgesehen davon habe ich gelernt, daß dunkle Künste dem, der sie benutzt, teuer zu stehen kommen."

"Warum wollten Sie haben, daß Martha Andrews nach Frankreich kommt und nicht in diesem Schutzzauber bleibt, den Sie haben errichten lassen? Nennen Sie bitte die Namen der Zauberer oder Hexen, die ihn in London ausgeführt haben!"

"Zu Ihrer Frage: Monsieur Andrews erfuhr von dem Vater eines anderen Muggelstämmigen, der die Zauberei verabscheut, daß Martha Andrews gegen seinen Wunsch mit den Lehrern von Hogwarts in Kontakt blieb, ja selbst dorthin reiste, um sich über die Lernfortschritte ihres Sohnes zu erkundigen. Das trieb ihn dazu, sie mit muggeltechnischen Tricks in den Glauben zu versetzen, die Zaubererwelt habe sie behext, um ihn umzubringen, was er dann seinerseits als Wahnvorstellung seiner Frau ausgab, um sie für geisteskrank erklären zu lassen. Deshalb zog sie aus. Deshalb bot ich ihr An, bei uns weiterzuleben und Julius in Beauxbatons einzuschulen, weil zu diesem Zeitpunkt bereits der Wiederaufstieg Voldemorts stattfand. Hier können Sie seinen Namen aussprechen. Sein Tabu-Zauber reicht nicht bis hier." Marat war bei Nennung des gefürchteten Namens zusammengefahren wie vom Blitz getroffen. Dann berappelte er sich wieder. Catherine Brickston hatte sich offenbar gegen Veritaserum abgesichert. Also war sie auf diese Verhörhilfe vorbereitet gewesen.

"Catherine, Sie müssen das verstehen, daß wir jeden kleinsten Zweifel ausräumen müssen. Falls Thicknesse, ob Herr seines Willens oder in der Gewalt eines anderen, unerschütterliche Beweise vorlegt, daß bei der Umsiedlung kriminelle Zauberei im Spiel war werden wir nicht nur von Dementoren des Unnennbaren heimgesucht, sondern geraten international in Verruf, in die Zuständigkeiten anderer Zaubereiministerien eingegriffen zu haben und böswillige Zauber als legitimes Mittel anzusehen."

"Soso, François. Wenn die Marionette Thicknesse wirklich unanfechtbare Beweise für bösartige Zauberei im Zusammenhang mit Martha Andrews und ihrem Sohn besäße, hätte er diese doch schon längst vorgebracht. Er hätte die internationale Zaubererkonföderation anrufen und Minister Grandchapeau anklagen können. Hat er aber nicht. Für mich heißt das, daß er diese Beweise erst mühsam zusammenkonstruieren muß, der Vorwurf also nicht nur unrichtig, sondern auch böswillig erhoben ist. Glauben Sie, der bis zu Minister Didiers Amtsantritt keinen Quadratmillimeter unserer Grundordnung preisgeben wollte, daß Didier davon absieht, bösartige Magie einzusetzen, um Thicknesses Strippenzieher zu beschwichtigen?"

"Die Dementoren destabilisieren unsere Ordnung, Catherine. Wir müssen sie abwehren. Und wenn Agenten des Unnennbaren im Land operieren, müssen sie eingekreist und ausgeschaltet werden. Und ich habe nun einmal die leidige Aufgabe, zu prüfen, ob Sie wirklich nicht mit illegalen Mitteln gearbeitet haben. Wir sind auf die Hilfe der anderen Zaubereiministerien angewiesen. Und Thicknesse könnte uns helfen, wenn er sicher sein kann, daß Julius Latierre nicht aus niederen Motiven von Ihnen und Ihrer Mutter zu uns herübergeholt wurde."

"Welche niederen Motive unterstellt Ihr oberster Dienstherr mir denn?" Fragte Catherine Brickston verächtlich.

"Das müssen Sie Minister Didier fragen. Er weiht mich ja auch nicht in alles ein", grummelte Marat. Er fühlte sich verdammt mies. Catherine war eindeutig Herrin ihrer Worte geblieben. So würde es nichts bringen, sie zu fragen, ob sie von ihrer Mutter beauftragt worden sei oder aus eigenem Antrieb gehandelt habe. Allerdings konnte er den Umstand, daß sie sich gegen das Veritaserum immunisiert hatte als indirektes Schuldeingeständnis werten. Doch wie er damit umzugehen hatte mußte Monsieur Pétain oder der Zaubereiminister befinden. Er wollte nicht derjenige sein, der sie nach Tourresulatant oder in eines der gerade ganz im geheimen errichteten Friedenslager schickte. Dennoch mußte er sie noch einmal fragen. Vielleicht widerstand sie nur einer Dosis des Veritaserums und er konnte sie doch noch überrumpeln. Andererseits war sie jetzt ganz sicher mißtrauisch. Er mußte ihr Vertrauen zurückgewinnen. Denn ein zweites Mal würde sie die Meerjungfrauen wohl nicht lange genug beachten. Er fragte deshalb:

"Catherine, fürchten Sie, ich wolle Sie absichtlich in irgendeinen Verdacht bringen? Ich möchte ja gerade sicherstellen, daß Sie über jeden Zweifel erhaben sind."

"François, versuchen Sie bitte nicht, sich und mir etwas vorzumachen!" Erwiderte die Besucherin. "Mir war sofort klar, daß der zeitweilige Minister versuchen wird, eine vermeintliche Ursache für die Dementorenangriffe der letzten Wochen zu beseitigen. ER weiß also, daß alle Muggelstämmigen in England gerade für geächtet erklärt wurden und von einer höchst anrüchigen Kommission wie Verbrecher abgeurteilt und eingesperrt werden. Wieso macht Thicknesse derartige Sachen mit, wenn er doch völlig eigenständig und ohne Sympathie für Voldemort handeln kann? Glaubt Minister Didier denn wirklich noch immer, daß sein britischer Kollege Herr im eigenen Haus ist? Falls ja, wie kommt er darauf, daß alle in unser Land geflüchteten Hexen und Zauberer kriminell sind? Was wird ihnen denn konkret vorgeworfen?"

"Nichts für ungut, Catherine, aber hier stelle immer noch ich die Fragen", versuchte Marat, seine Autorität zurückzuerringen. "Ich möchte Ihnen helfen, Ihre Familie aus allen Schwierigkeiten herauszuhalten. Solange nur ein winziger Verdacht übrigbleibt, daß Sie wegen der Ruster-Simonowsky-Begabung von Julius Latierre eigene Ziele mit dem Jungen verfolgen, besteht die Gefahr, Sie und Ihre Mutter zu belangen. Dann können Sie dem Jungen nicht mehr helfen. Minister Didier wird dann darauf bestehen, ihn in die Obhut der Familienschutzabteilung zu überführen, bis sicher ist, ob ihm aus seiner Heimat wirklich Gefahr droht oder sein Umzug mit unzulässigen Mitteln erwirkt wurde."

"Das soll Sie wohl besser aussehen lassen als Ihr Chef es wirklich will, François", erwiderte Marats Besucherin und schenkte sich noch eine Tasse Kaffee ein. Sie sah Marat nun sehr aufmerksam an. Dieser vermeinte, sie hier und jetzt legilimentisch ausforschen zu können und suchte Blickkontakt mit ihr. Doch als er tief in die saphirblauen Augen seines Gegenübers starrte, meinte er, im schwindelerregenden Tempo durch einen endlosen Tunnel zu rasen und nirgendwo halt zu finden, bis er mit Wucht auf einen Widerstand prallte und zurückgedrängt wurde.

"Sie wissen, daß legilimentische Ausforschung unzulässig ist, François?" Fragte seine Besucherin. "Abgesehen davon, daß auf diese Art ergatterte Informationen nicht vor Gericht verwendet werden dürfen. Wollen Sie es wirklich darauf anlegen, es sich mit mir und Professeur Blanche Faucon zu verderben?"

"Ich weiß nicht, wovon Sie reden", tat Marat unschuldig verdächtigt.

"So, vielleicht sollten Sie selbst was von Ihrem Kaffeezusatz trinken, den Sie mir zugedacht haben, François. Ist das auch eine Anweisung Pétains, mich und womöglich Madame Andrews unter Veritaserum zu setzen?""

"Wenn ich Ihnen derartige Mittel zuführen wollte hätte ich das schon längst getan", knurrte Marat, der sich ertappt, aber auch bestätigt fühlte. Dann sagte er: "Aber das ist eine glänzende Idee, um zu beweisen, daß Sie unschuldig sind, Catherine. Sie genehmigen mir unter Einbeziehung eines Zeugen von meiner und Ihrer Seite eine Befragung unter dem Einfluß von Veritaserum. Damit würden Sie mir, meinem direkten Vorgesetzten und Minister Didier jeden Anlaß nehmen, Sie weiterhin wegen irgendwelcher Vorwürfe aus Großbritannien zu behelligen, und Madame Andrews aus dem von Ihnen erwähnten Verantwortungsgefühl aus der nicht ganz bestreitbaren Gefahrensituation gerettet zu haben."

"Sie glauben doch nicht im Ernst, François, daß ich freiwillig Veritaserum ohne nötige Gegenmaßnahmen schlucke", knurrte Catherine. Marat erkannte jetzt, wie dumm sein Vorschlag gewesen war. Es bestätigte aber auch, daß sie tatsächlich eine Vorbeugungsmaßnahme gegen Veritaserum getroffen hatte. Womöglich hatte sie ihre Mitbewohnerin ebenfalls mit einer entsprechenden Vorkehrung ausgestattet, auch wenn das unerlaubt war, Muggel mit mächtigen Zaubern oder Tränken zu helfen, solange sie nicht anerkannte Familienangehörige von Zauberern waren und in akuter Gefahr für Leib und Leben schwebten.

"Ich fürchte, ich werde Sie Monsieur Pétain überstellen müssen, weil ich nicht ganz ausschließen kann, daß Sie uns etwas wesentliches verschweigen, Catherine", seufzte Marat und langte nach seinem Zauberstab. Doch die Besucherin ließ im gleichen Moment ihre rechte Hand in eine kleine Außentasche ihres dunkelblauen Rocks gleiten und hielt einen Zauberstab in der Hand. Marat verriß seinen eigenen Zauberstab und feuerte einen harmlosen blauen Funkenwirbel in leere Luft. Catherine hatte doch ihren Zauberstab im Vorzimmer abgegeben. Er erkannte erst, daß er besser schnell noch einen Fangzauber angebracht hätte, als aus dem anderen Zauberstab ein dicker, dunkler Dunst quoll und den Raum ausfüllte. Marat versuchte nocheinen Schockzauber zu platzieren. Doch dieser krachte mit großer Wucht gegen die Tür, die gegen auftreffende Flüche und Öffnungszauber abgesichert war. Der Schocker wurde auf seinen Absender selbstzurückgeworfen.

"So ein alter Trottel", knurrte die Vorgeladene. Dann prüfte sie, ob die Tür magisch blockiert war. Ein Zuhalte- und ein Schildzauber, stellte sie fest. Auf der Anderen Seite wirkte wohl noch die Zutrittssperre. Sie ließ ihren Zauberstab wieder in ihrem Rock verschwinden und klopfte hektisch an die Tür. Dann trat sie einige Schritte zurück und griff unter ihre Bluse, wo sie dieses kleine aber gemeine Gummibläschen ergriff, freizog und mit energischem Druck ihrer Fingernägel aufplatzen ließ. Eine grüne Mixtur spritzte heraus, die sich noch im fallen in Luft auflöste. Besser, sie verteilte sich blitzschnell in der sie umgebenden Luft. Die Tür ging auf und mit gezücktem Zauberstab blickte Marats Sekretär herein. Eine Sekunde später taumelte er. In der Sekunde darauf stürzte er betäubt zu boden.

"Ich habe es Blanche immer schon gesagt, sich mit Lines Familie nicht so kindisch zu verkrachen", dachte die Besucherin Marats vergnügt. sie warf ihre Besucherplakette in Marats Büro zurück, nahm ihm den Zauberstab ab und entwaffnete auch den vom raffinierten Schlafgebräu betäubten Vorzimmerzauberer. Dann zog sie den schweren Kerl in das Büro hinein. Sie lauschte, ob Alarmzauber losgegangen waren, weil Marat den Schocker ausprobiert hatte. Indes dehnte sich der graue Nebel, den sie gezaubert hatte in das Vorzimmer aus. Sie schloß die Bürotür. Dann warf sie die erbeuteten Zauberstäbe in eine Ecke und öffnete die Außentür. Sie mentiloquierte, daß sie Marat betäubt hatte. Zur Antwort erhielt sie die Mitteilung: "Martha durch Captaranea-Zauber an freiem Zugang gehindert. Habe sie wieder bei mir."

"Gut, dann komm ich auf ähnliche Weise zurück", mentiloquierte Marats Besucherin und sondierte mit einem Fallenfinder den Flur, um zu sehen, wo der tückische Fangzauber verlief. "Direkt vor der Tür, ihr schlauen Füchse", dachte sie. Sie schloß die Außentür wieder und zog ihren Zauberstab. Der dichte, graue Nebel verbarg nun wieder alles im Vorzimmer. Doch um den entscheidenden Fluchtzauber zu wirken brauchte sie nicht auf Sicht zu zielen. Es reichte, wenn sie den Zauberstab auf sich selbst richtete. "Loca meum electumque nunc permutata!" dachte sie, wobei sie an ein bestimmtes Objekt an einem bestimmten Ort dachte und eine Kreisbewegung vor ihrem Körper vollführte. Da blitzte es blaugrün auf. Mehr war in diesem grauen Brodem nicht mehr zu erkennen.

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Martha kannte das, was sie da überkommen hatte. Sie hatte es nun schon viermal über sich ergehen lassen müssen. Deshalb fühlte sie keinen Schrecken, als sie unvermittelt bewegungslos in einem tiefen, warmen, sich bewegenden Graben zu stecken meinte, in dem ihre untere Körperhälfte von etwas warmem, feuchtem, glatten umspielt wurde. Sie konnte auch die Augen nicht schließen. Sie starrte auf rosarote Säulen, so dick wie der Körper eines Menschen und haushoch aufragend. Diese trugen einen baumstarken Balken. Sie hörte ein leises Glucksen von unten. Dann fühlte sie, wie ein erneuter Zauber über sie kam, diesmal so, als würde sie fortgeschleudert und dabei von mörderischen Kräften auseinandergezogen. Dann stand sie keuchend neben einem Kinderbett mit rosaroten Gittern. Das was sie gerade eben noch als baumdicken Balken gesehen hatte war nur die glatte runde Stange, die den oberen Rand des kleinen Bettes bildete. In diesem Bettchen lag Claudine Brickston und quängelte leise, weil mal wieder ihr Schnuller verrutscht war. Neben dem Bettchen stand Catherine Brickston. Doch sie trug nicht mehr die Kombination aus weißer Bluse und dunkelblauem Rock, sondern einen himbeerfarbenen Umhang.

"Moment, du bist schon wieder hier?" Fragte Martha Andrews, nach dem der Schock der plötzlichen Zauber an ihr abklang.

"Habe mir sowas gedacht, daß Didiers Bande uns nicht ungeschoren davonkommen läßt, Martha. Fühlst du dich wohl? Ich meine, hast du Kopfschmerzen oder Übelkeit?"

"Außer, daß ich das immer noch widerlich finde, zwischendurch Claudines Schnuller zu werden geht es mir gut. Aber du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet, Catherine. Wieso bist du schon wieder hier? Und wieso sind wir in deinem schalldichten Arbeitszimmer?"

"Zu Frage eins: Ich war die ganze Zeit hier und habe das präparierte Dokument überwacht, ob in seiner Nähe ein Fluch oder Fallenzauber ausgelöst wird. Zu Frage zwei: Wir sind hier, damit Joe und Babette nicht mitbekommen, daß ich die ganze Zeit hier bin und daß ich dich zurückgeholt habe, bevor der Rückzug nicht perfekt abgeschlossen ist."

"Will sagen, du hast mit deiner Tante die Rollen getauscht", knurrte Martha. "Vielsaft-Trank vermute ich?"

"Vermutest du richtig, weil Tränke die einzigen Verwandlungsmittel sind, die keinen Meldezauber im Ministerium auslösen. Die suchen immer noch nach einem Aufspürzauber für Vielsaft-Trank-Bezauberungen. Tränke können noch nicht mit Seriositätssonden ermittelt werden." Dann legte sie ihren Zeigefinger auf die Lippen und nickte der Tür zu. Diese ging leise auf, und jene Ausgabe von Catherine Brickston, die mit Martha losgefahren war, betrat das Arbeitszimmer. Leise drückte sie die Tür wieder zu und lächelte mädchenhaft, als habe sie gerade den Streich des Jahrhunderts gespielt.

"Tut mir leid, Sie derartig verschaukelt zu haben, Martha. Wir wußten nicht, wie gut Sie sich verstellen können. Daher mußten Sie davon überzeugt sein, mit Catherine unterwegs zu sein", sagte die Doppelgängerin Catherines. Das Original sah Martha abbittend an und fügte hinzu: "meine Tante kann den Translokationszauber auf sich anwenden. Und nur wer den Zauber vorbereitet hat, kann ihn durchführen. Sonst hätte sie hier bei Claudine gewartet, um dich im Notfall zurückzuholen. Außerdem konnte sie so die Apparitionssperre im Ministerium austricksen, weil die nicht auf Objektversetzung anspricht."

"Ihr seid echt lustig", grummelte Martha. Dann dämmerte ihr, daß sie beide gerade einer Falle entwischt waren, die Gefahr jedoch dadurch nicht beseitigt war. Im Gegenteil. Sie hatte höchst brisante Unterlagen ergattert. Schnell prüfte sie, ob sie alles bei sich hatte und atmete auf. Dann sagte sie:

"Ich habe es nicht darauf angelegt, ob Trices Trank wirklich gegen jedes Wahrheitselixier schützt. Daher habe ich Pétain die eigene Medizin schlucken lassen und ziemlich bedrückende Sachen von ihm erfragt. Hier steht das alles drauf."

"Ach, wie haben Sie denn das gemacht, Martha?" Fragte die wie Catherine aussehende und klingende Madeleine L'eauvite.

"Ich habe mit meinem Mann und seinem fragwürdigen Freund Rodney Underhill, dem ich das ja auch verdanken darf, jetzt hier zu sein, ein paar Tricks geübt, um heimlich Sachen auszutauschen oder von anderen unbemerkt zu übergeben. Eben Spionagetricks. Als mich dieser Pétain mit einem plumpen Ablenkungsmanöver dazu brachte, nicht auf mein getränk zu achten, habe ich die mitgenommenen Unterlagen über den Tisch geworfen. Pétain hat sie angesehen und zu sich hinfliegen lassen. In der Zeit habe ich dann die Gläser ausgetauscht. Er war ja so freundlich, das gleiche trinken zu wollen wie ich. Hätte er besser nicht tun sollen. Dann hätte der Trick nicht geklappt. Aber jetzt tickt eine Uhr, Catherine. Wenn die den betäubten Pétain finden und der sich dran erinnert, was er unfreiwillig ausgeplaudert hat bin ich geliefert. Diese Informationen müssen sofort vervielfältigt und an euch vertrauenswürdige Leute weitergereicht werden. Ab Montag werden alle geltenden Rechte volljähriger Zauberer und Hexen außer Kraft gesetzt. Wer dann nicht mit Didier zusammenarbeitet könnte in sogenannten Friedenslagern verschwinden. Hier steht das alles drauf, gemäß den sechs Grundfragen erfahren."

Catherine nahm die zwei Pergamentseiten und machte von jeder zehn Kopien. Die zwei Originale reichte sie Martha zurück.

"Martha, du mußt sofort zu dir hoch und die Sachen über deinen Computer weiterreichen. Soweit ich weiß hat Mrs. Priestley sich nun richtig bei ihrer Nichte eingerichtet."

"Ja, und Mr. Marchand soll auch eine Kopie davon kriegen. Am besten nutze ich die Scannerfunktion meines Faxgerätes und schicke den beiden die Bilddateien als E-Mail-Anlage zu. Werde bei der Gelegenheit auch gleich nach einem schnellen Fluchtweg aus Frankreich suchen lassen."

"Die Kamine verdächtiger Leute werden bereits überwacht. Könnte sein, daß die die Passagen und Kontaktfeuerverbindungen von Ihnen und Catherine bereits dokumentiert haben und darauf warten, daß wir uns verraten", stellte Madeleine L'eauvite fest. Martha war es etwas unheimlich, sie gerade wie Catherine Brickston sprechen zu hören.

"Okay, Martha. Joe ist in seinem Arbeitszimmer. Babette hört Musik. Schleich dich raus und schick die Informationen raus!" Drängte die echte Catherine. Das mußte sich Martha Andrews wirklich nicht noch einmal sagen lassen. Sie verließ so leise sie konnte das Arbeitszimmer und schlich durch die Wohnung. Die Tür konnte von innen geöffnet werden. "Bring Würze in dein Leben", trällerten Babettes derzeitige Lieblingssängerinnen zu einer sommerlich flotten, lateinamerikanisch angehauchten Melodie. Martha grinste. Daß ihr Leben fade oder eintönig war konnte sie ganz bestimmt nicht behaupten. Tatsächlich schaffte sie es, ohne Joes oder Babettes Aufmerksamkeit zu erwecken aus der Wohnung zu gelangen. Dann eilte sie die Treppe hinauf, schloß ihre Wohnung auf und warf ihren Rechner und den ihres Sohnes an. Sie sah, daß das Fax keine neuen Nachrichten ausgeworfen hatte und stellte es auf nur Einlesen um. Sie war stolz darauf, eines der Vielzweckgeräte gekauft zu haben, daß als normales Faxgerät, Flachbettscanner und Drucker verwendet werden konnte. Als das Betriebssystem vollständig hochgefahren war klickte Martha sofort auf das Symbol in der Informationsleiste, daß den Dreizweckapparat als Bildeinspeicherungsgerät verwendete. Keine halbe Minute später surrte der Lesekopf unter der Glasplatte und wandelte die von ihm angeleuchteten Helligkeitsunterschiede auf dem Pergamentbogen in elektronische Signale um, die als Datenpaket auf der Festplatte abgespeichert wurden. Als Martha sah, daß der Text in der so erzeugten Bilddatei deutlich genug zu lesen war ließ sie das zweite Pergament abtasten. Dann markierte sie die so erzeugten Bilddateien und wählte das Menü "Senden an" aus und legte fest, daß die markierten Dateien als Anlage einer elektronischen Postsendung verschickt werden sollten. Als Adresse gab sie die von June Priestley in Sydney und Zachary Marchands Privatadresse in New Orleans ein. Sie verdrängte die Furcht, zu lange zu brauchen und tippte noch als Text ein, daß diese Unterlagen von ihr unfreiwillig aber dann in der Absicht, mehr über die geplanten Aktionen des französischen Zaubereiministeriums herauszubekommen, erworben worden waren. Dann schickte sie die Post los. Das Modem würde wohl mehrere Minuten benötigen, um die nicht gerade kleine Sendung zu übertragen. Weil sie der schnellstmöglichen Übertragung wegen keine anderen Internetanwendungen benutzen konnte griff sie sich eine Diskette und eilte in das frühere Schlafzimmer ihres Sohnes hinüber, wo sie dessen Rechner mit dem kleinen, altertümlich wirkenden Datenträger fütterte und nach der Eingabe mehrerer Passwörter eine nur ihr vertraute Bildschirmmaske zu sehen bekam. Sie wählte das Bildsymbol, das wie eine geöffnete Tür aussah und mit "Notausgang" beschriftet war. von Diskette mit den sicheren Schlüsseln aktiviert griffen nun mehrere heimlich auf Julius' Rechner installierte Programme auf das Internet zu und suchten, von der aktuellen Systemuhrzeit ausgehend, alle Flugverbindungen innerhalb und außerhalb Frankreichs nach Überseerouten ab. Martha hatte es gestern noch einmal mit Hippolyte besprochen, daß sie möglicherweise ganz dringend Albericus' VW-Bus brauchen könnte, um womöglich mehrere hundert Kilometer weit zu einem Abflugort zu kommen. Zum Glück mußte sie als Bürgerin der europäischen Union bei einer Abreise außerhalb Frankreichs nicht mehr nachweisen, daß sie aus Frankreich kam. Für die Abfertigung da würde sie als britische Staatsbürgerin mit gültigem Reisepass abfliegen. Martha beschloß, falls sie diesen Tag heil überstand und irgendwann, wenn Didiers Wahnsinnsbande nichts mehr zu melden haben sollte zurückkehren konnte, unbedingt nach Luxemburg zu fahren, um dem Ort Schengen einen Dankbarkeitsbesuch abzustatten.

Das Programmpaket Notausgang suchte nun alle Fluglinien und Charterfluggesellschaften und die öffentlichen Abflugzeiten der Flughäfen von Madrid bis Berlin, von Rom bis Amsterdam nach günstigen und noch nicht ausgebuchten Flugverbindungen ab. Günstig hieß in dem Fall entweder Australien oder die USA. Wobei sie auch den Umweg über Lateinamerika in die Staaten nehmen konnte. Sie hoffte, daß das Programm schnell eine Liste möglicher Ausreisezeiten auswerfen konnte. Sie brauchte dann nur die ihr genehmste Auswahl anzuklicken, und das Programm würde sie auf den Flug buchen und die Passage von einer ihrer Kreditkarten abbuchen lassen. Eigentlich wollte sie dieses Programm patentieren lassen, weil bestimmt viele Unternehmen auf sehr schnelle Abflugmöglichkeiten ausgingen. Aber zunächst wollte sie sich selbst damit aus der Schußlinie bringen. Sie dachte daran, ob Didier, wenn doch rauskam, daß sie Pétain ausgehorcht hatte, die nichtmagischen Geheimdienste hinter ihr herschicken mochte. Deshalb wäre ihr eine Zuflucht bei Zachary Marchand sicher lieber, weil der als FBI-Agent Mittel kannte, um ihr die Spione und Greifer ausländischer Dienste vom Hals zu halten. In Australien müßte sie wohl zunächst bei Aurora Dawn untertauchen. Wenn sie June Priestley höflich fragte, durfte sie bestimmt auch an ihren Rechner dran, zumal sie ihr bestimmt noch einiges über dieses "Muggelmedium" beibringen konnte.

Während die beiden Computer arbeiteten wandte sie sich an die gemalte Viviane Eauvive.

"Bitte bestelleProfesseur Faucon, daß die Kamine überwacht werden, vielleicht auch die von Beauxbatons und ich bei meinem Besuch im Ministerium sehr heikle Informationen ergattert habe, die mich zwingen, mich sehr rasch abzusetzen. Und dann bitte diesen Orion Lesauvage, Madame Hippolyte und Monsieur Albericus Latierre zu benachrichtigen, daß ich in spätestens zwanzig Minuten mit dem Bus abgeholt werden möchte.""

"Du willst wirklich fort, Martha? Antoinette kann dich aufnehmen, wenn du nicht zu Ursuline Latierre möchtest", sagte die gemalte Gründungsmutter von Beauxbatons.

"Dann kann ich euch aber nicht mehr helfen, Viviane. Das Ministerium ist in die Hände eines paranoiden Sicherheitsfanatikers gefallen, der ab Montag alle bisherigen Bestimmungen außer Kraft setzen will."

"Hat Janus Didier deshalb alle mit anderen Portraits verbundenen Bilder abhängen lassen?" Fragte die gemalte Viviane. Martha nickte. "Ich melde es weiter", sagte Magistra Eauvive und verschwand aus ihrem hier hängenden Bild. Martha machte sich bereit, das Gemälde in den bereits gepackten Koffer zu legen, der seit der schriftlichen Vorladung für diesen Fall bereitstand. Das Telefon läutete. Wer war das denn jetzt?

"Martha, das ist reine Erumpenthornflüssigkeit, was du da auf die beiden Seiten hast schreiben lassen", klang Catherines Stimme aus dem Hörer. "Achso, das kennst du ja nicht. Das ist wie das flüssige Zeug, daß ihr Nitroglyzerin nennt. Zumindest wirkt das so. Die könnten finden, dich nicht ohne Gedächtniszauber aus Frankreich entkommen zu lassen. Tante Madeleine und ich werden mit Joe und den Mädchen nach Millemerveilles überwechseln. Am besten kommst du mit! Ich habe zwei Muggelabwehrbann-Unterdrückungstränke für diesen Fall bereitliegen."

"Ich suche gerade das Internet nach Flugverbindungen ab", sagte Martha. "Außerdem kriegen Mrs. Priestley und Mr. Marchand bereits die Unterlagen zugeschickt. Hoffe nur, daß Didiers Saat dann nicht aufgeht."

"Tante Madeleine fürchtet, daß Didier umgehend alles umsetzt, was Pétain dir verraten hat und nicht bis Montag wartet. Sobald Pétain aufwacht und eingesteht, dir wichtige Sachen verraten zu haben, bleiben uns vielleicht nur noch Minuten."

"Die suchen mich doch bestimmt schon, weil du diesen Zauber auf mich angewendet hast."

"Sie können nur feststellen, daß du verschwunden bist, aber nicht wohin. Am besten kommst du sofort zu uns runter, damit wir zusammen abreisen können."

"Ich habe Vivianes Bild-Ich beauftragt, Albericus herzurufen. Der ist in zwanzig Minuten da. Bis dahin habe ich auch meinen Abflug gebucht", sagte Martha.

"Marhta, es geht jetzt unter Umständen um jede Sekunde. Lass das mit dem Wegfliegen und komm mit uns nach Millemerveilles. In Mutters Haus sind wir absolut sicher. Da können nicht nur keine dunklen Kreaturen und Flüche eindringen, sondern auch keine uns feindlich gesinnten Leute. Geht zwar hier auch nicht. Aber in Millemerveilles könnten wir uns zumindest frei bewegen. Hier wären wir auf den vom Sanctuafugium begrenzten Raum beschränkt und müßten Nahrungsmittel aus der nichtmagischen Welt per Apportation entwenden. Und auch wenn dieser feige und verbohrte Fanatiker alle Gesetze zu seinen Gunsten umkrempeln will muß ich nicht zu stehlen anfangen, solange ich genug andere Möglichkeiten habe als zu verhungern."

"Du meinst, sie könnten draußen auf mich warten?" Fragte Martha.

"Sobald Didier weiß, daß du seinem Kettenhund Pétain die ganzen Geheimsachen abgeluchst hast wird er alle Sicherheitszauberer ausschwärmen lassen, um dich zu finden. Wo heller Tag ist muß er nicht auf Dementoren gefaßt sein. Vorausgesetzt, er hat nicht doch einen Pakt mit denen geschlossen."

"Hat Pétain nichts von gesagt. Und ich habe ihn gefragt, ob Didier eine Möglichkeit hat, die Dementoren wirkungsvoll fernzuhalten."

"Zum einen wird Pétain nur das gewußt haben, was er unbedingt wissen mußte. Zum anderen könnte Didier bereits in Verhandlungen mit diesen Wesen stehen, ihnen alle Muggelstämmigen Hexen und Zauberer aus anderen Ländern auszuliefern, wenn sie dafür unser Land in Ruhe lassen."

"Eine Abmachung unter Dieben, Catherine. Wie bei Hitler und Stalin oder Hitler und Schuschnigg", grummelte Martha. Catherine fragte nicht, wer Schuschnigg gewesen war. Hitler und Stalin kannte sie ja von Fernsehberichten. Es war wohl auch zu wenig Zeit, über die selbst sehr diktatorisch auftretende Landesregierung in Österreich zwischen 1933 und 1938 zu debattieren. Aber was mit der "Abmachung unter Dieben" gemeint war verstand Catherine auf Anhieb.

"Das ist genau das, was Professeur Tourrecandide und Maman befürchten. Wenn Didier Thicknesse und dessen Herrn und Meister den kleinen Finger anbietet, werden sie ihm und damit der französischen Zauberergemeinde den ganzen Arm ausreißen. Ich hoffe inständig, daß Didier das zumindest begriffen hat und nicht auf diesen Irrsinnigen zugeht."

"Ich mache das von dem Computer abhängig. Hat der mir in einer Minute keine Liste ausgegeben, komm ich mit nach Millemerveilles. Falls doch, setze ich mich ab nach Übersee."

"Gut, die Minute hast du ab jetzt", grummelte Catherine. Wieso wollte Martha nicht einfach mit nach Millemerveilles?

Martha prüfte den Stand der verschickten E-Mail und sah, daß der Sendeprozeß noch lief. Sie überlegte, ob sie den Rechner laufen lassen sollte bis der Strom ausfiel oder jemand kam, um ihn abzuschalten. Dann ging sie schnell noch einmal in Julius' Zimmer hinüber. Auf dem Bildschirm leuchtete eine Liste mit zwanzig auswählbaren Flugverbindungen. Sie atmete auf. Es waren vier Direktflüge nach New York und einer nach Atlanta im Angebot. Sie wollte gerade den nach Atlanta auswählen, der von Frankfurt am Main aus starten sollte, als Vivianes Stimme vom Flur her ertönte: "Martha, Albericus Latierre und seine Familie wurden um zehn Uhr von Leuten des Ministers heimgesucht. Sie mußten sich mit den notwendigsten Sachen aus ihrem Haus in das Château Tournesol hinüberretten. Er empfiehlt dir, dich an Catherine Brickston zu halten und lieber mit ihr abzureisen, bevor sie noch wen zu euch schicken, um euch festzunehmen."

"Verdammt", knurrte Martha. Ihr ging auf, wie perfide Didier seinen Plan ausgearbeitet hatte. Im Grunde konnte sie nur deshalb noch frei atmen, weil die im Ministerium noch nicht wußten, wo sie steckte und daß Catherine Brickston auch schon längst wieder in ihrem Haus war. Sie fragte sich allerdings, warum sie dann nicht Joe oder Babette und Claudine zu holen versucht hatten. Die einzig logische Antwort darauf war die, daß sie nicht einfach ins Haus eindringen konnten, solange alle Türen und Fenster geschlossen waren. Womöglich standen draußen schon welche herum, die nicht vom Sanctuafugium-Zauber abgewiesen wurden. Sie war erleichtert, daß vor allen Fenstern Gardinen hingen, so daß niemand von draußen sehen konnte, daß jemand in den dahinterliegenden Räumen war.

"Gut, Nachricht an Ursuline Latierre. Ich gehe mit Catherine und ihrer Familie nach Millemerveilles", seufzte Martha Andrews. "Ach ja, gib das bitte auch an Professeur Faucon und meinen Sohn weiter!"

"Mache ich. Nimm das Bild ab, sobald ich es verlassen habe und nimm es mit dir, auch wenn in Millemerveilles zwei andere Portraits von mir aushängen!" Martha nickte und wartete, bis Viviane das Bild wieder verlassen hatte. Dann nahm sie es von der Wand und eilte in Julius Zimmer, wo sie das Programm Notausgang unverrichtet abbbrach und das Betriebssystem herunterfuhr. Als sie die Meldung las, den Computer jetzt ausschalten zu können dachte sie daran, ob das nicht das allerletzte Mal sein würde, wo dieser Rechner gelaufen war. Sollte sich Didier als Minister festsetzen und ganz Frankreich unter einer sicherheitsfanatischen Diktatur halten mochten Jahre vergehen, bis Julius oder sie hierher zurückkehren konnten. Die meisten Dateien von ihm hatte sie auf mehreren CD-ROMS gesichert. Diese nahm sie zusammen mit Vivianes gerade unbesetztem Bild, stellte fest, daß die elektronische Post immer noch nicht vollständig abgeschickt worden war und rief Catherine an, daß sie mit nach Millemerveilles kommen würde.

"Joe ist nicht begeistert, Martha. Aber er empfiehlt dir, dein Mobiltelefon mitzunehmen. Er will seinen tragbaren Computer mitnehmen."

"Da unten gibt es keinen Strom, Catherine", erwiderte Martha.

"Er meint, wenn es da unten keinen Strom gibt, wolle er eben selbst welchen machen."

"Wie denn? Will er einen Dynamo oder einen Satz Solarzellen einpacken?" Fragte Martha.

"Komm runter, dann siehst du's", erwiderte Catherine.

Ich hole meinen Koffer und meine Handtasche. Da ist das Mobiltelefon drin. Daß man da unten ein Netz kriegt weiß ich ja aus einprägsamer Erfahrung."

"Deshalb will Joe seinen Fernverständigungskram ja auch mitnehmen", sagte Catherine. Soll ich deinen Koffer zu mir runterzaubern?"

"Ich wollte noch was an meinem Rechner einstellen, daß der nicht die ganze Zeit laufen muß."

"Hat Joe schon erledigt. In zwanzig Minuten schaltet sich im ganzen Haus der Strom ab. Er dreht nur noch die Wasserhähne zu."

"Gut, dann hol meinen Koffer runter. Er ist unter meinem Bett", sagte Martha. Catherine schwieg. Stattdessen knallte es vernehmlich, und der große Koffer, der gerade so noch unter zwanzig Kilo wog, war fort. Martha wechselte aus dem E-Mail-Fenster auf den virtuellen Schreibtisch und wählte ein Sanduhrensymbol aus der Aufgabenleiste. Die Frage, wann der Rechner automatisch herunterfahren sollte, beantwortete sie mit der in zwanzig Minuten erreichten Uhrzeit. Dann sah sie eine kleine Anzeige unter dem Sanduhrensymbol, das nun so wirkte, als sei die Uhr gerade umgedreht worden. Das kleine aber nützliche Programm hatte sie mal aus einem Weckzeitprogramm erstellt. Jetzt waren es noch neunzehn Minuten und vierzig Sekunden, bis egal was gerade noch lief alles heruntergefahren wurde. Hoffentlich war die E-Mail bis dahin doch noch komplett verschickt! Sie schaltete den Faxaparat aus. Mit einer gewissen Wehmut griff sie nach einem Stapel Druckerpapier, auf dem sie mit Catherine und den Grandchapeaus den Plan gesichert hatte, falls es zu einer Besetzung Frankreichs durch Voldemorts Anhänger kommen sollte. Den wollte sie an und für sich Eleonore Delamontagne und den Brickstons überlassen. Aber so wie es aussah würde sie auf absehbare Zeit nicht aus Millemerveilles hinausgelangen. Da konnte sie den Plan auch selbst mitnehmen. Sie verschloß ihr Arbeitszimmer, nahm ihren Mantel aus dem Garderobenschrank und verließ die Wohnung. Schon wieder mußte sie fliehen. Doch sie hatte es im Grunde selbst darauf angelegt, als Pétain das ihr zugedachte Elixier getrunken hatte. Es hätte vollkommen gereicht, ihn nach einem sicheren Ausgang zu fragen. Nein, ihn auszuhorchen war schon richtig gewesen. Einfach abzuhauen hätte für sie die gleiche Situation verursacht. Jetzt würden zumindest zwei außerhalb Frankreichs lebende Leute den Aktionsplan erfahren. Was sie damit anstellten hatte sie jedoch nicht in der Hand.

In Catherines Wohnung war die Hausherrin gerade dabei, die letzten nötigen Habseligkeiten anzuhäufen. Joe stand mißmutig dreinschauend im Wohnzimmer, wo ein klobiges Ding aus Eisen stand. Martha erkannte es sofort als kleinere Dampfmaschine, deren Schwungrad mit mehreren innen liegenden Spulen versehen war. Dann erkante sie, das mehrere isolierte Kabel angeschlossen waren und eine Steckdose nach Kontinentaleuropanorm angebracht war.

"Der kleine Eisenengel hier kann genug Saft zum Aufladen für meinen Schlepptop und die Handys machen, Martha. Ich liefere mich dieser untertechnisierten Welt nicht für mehrere Monate oder Jahre aus, ohne ein gewisses Maß an Information aus unserer Welt zu kriegen. Ich habe meinen Vater angerufen und mich bei ihm für die Maschine bedankt. Er meinte, ich hätte mich bei Mum zu bedanken, weil die die richtigen Leute kannte, um sie mir klarzumachen. Bin ja doch kein Physiker. Bin froh, wenn die Maschinen mit denen ich arbeiten muß so laufen wie sie sollen."

"Das könnte denen in Millemerveilles aber unangenehm aufstoßen, wenn du da eine Dampfmaschine anwirfst", wandte Martha ein.

"Hat Catherine auch gesagt. Aber sie sieht es komischerweise ein, daß solange ich diesen Trank gegen Muggelabwehr kriegen kann ein gewisses Maß an altvertrauter Technik haben sollte."

"Madame Faucons Haus ist gut mit Komfortzaubern ausgestattet", sagte Martha. "Die könnten dich dumm anmachen, weil diese Maschine da ihre saubere Luft verpestet."

"Dann soll Catherine dich und mich irgendwie aus diesem Dorf rausschmuggeln und in einen Flieger nach ganz weit weg setzen."

"Das ist im Moment nicht drin, Joe. Martha hat sehr brisante Sachen herausgefunden. Vor diesem Montag wäre sie außerhalb eines Schutzzaubers eine Gefangene des Ministeriums."

"Ach, dann ist das jetzt echt amtlich, daß der böse Zauberer mit dem achso unaussprechlichen Namen auch in Frankreich mitmischt?"

"Das nicht. Es reicht schon aus, daß der amtierende Minister eine Riesenangst vor ihm hat, um uns allen das Leben schwerzumachen."

"McKarthey, Joe. So ähnlich wie dieser große Kommunistenjäger geht auch Didier vor", sagte Martha. "Dem ist es egal, ob er grundlegende Freiheitsrechte außer Kraft setzt, solange er fürchtet, die Feinde stünden schon vor der Haustür."

"Catherine behauptet, wir bekämen wohl auch bald Besuch", sagte Joe.

"Und genau deshalb sollten wir jetzt los, Joe", knurrte Catherine.

"Dann sage deiner Tante, sie soll aus dem Zimmer kommen!" Grummelte Joe und warf sich einen prallen Rucksack über. Martha sicherte ihre Handtasche. Madeleine L'eauvite betrat das Wohnzimmer. Sie sah nun wieder so aus wie Martha sie kennengelernt hatte.

"Gut, alle da. Ich weiß nicht, wie lange die noch glauben, daß wir im Ministerium sind. Also los!"

"Nichts für ungut, Tantchen, aber wie wollen wir nach Millemerveilles, wo Catherine mir gerade erzählt hat, daß dieser Feuerzauber überwacht wird?" Fragte Joe.

"Meine werte Schwester, deine Schwiegermutter, hat für einen Notfall wie diesen ein sehr nützliches Geschenk hinterlassen." Catherine nickte und deutete auf den Esstisch, auf dem eine frische, rosarote Tischdecke lag. Joe rümpfte die Nase. "Ach, diese Barbie-Tischdecke hast du ausgerechnet jetzt draufgelegt?" fragte er verdrossen.

"Diese Tischdecke, Joe, ist ein Portschlüssel. Ich kann ihn mit einem Passwort aktivieren. Dann dauert es nur zehn Sekunden, und er verschwindet mit allen, die sich im gleichen moment an ihm festhalten."

"Öhm, Catherine. Davon hat Julius mir erzählt, als wir letztes Jahr aus den Staaten zurückkamen", sagte Martha. "Wie willst du unser Gepäck, vor allem Joes kleinen Generator mitnehmen?"

"Verkleinert natürlich", erwiderte Catherine und vollführte schnelle Bewegungen mit dem Zauberstab. Die Koffer, Taschen und dann auch noch die Dampfmaschine schrumpften so klein ein, daß Catherine sie locker in ihren Umhangtaschen unterbringen konnte. Danach füllte sie zwei kleine Gläser mit dem nötigen Zaubertrank, damit Martha und Joe in Millemerveilles unbeschwert herumlaufen konnten. Julius' Mutter trank ihre Dosis entschlossen, Joe eher verdrossen. Dann gebot Catherine Babette, ihrer Tante, Martha und Joe, die Tischdecke anzufassen und festzuhalten. Als sie alle Halt gefunden hatten deutete sie auf das Tischtuch und murmelte "Portus impetro!" Das Tischtuch flackerte kurz in einem blauen Licht. Catherine hob noch einmal den Zauberstab und rief: "Totum securum in Absentia!", bevor sie sich selbst zwischen Martha und ihre Tante stellte und mit einer Hand das Tischtuch anfaßte, während sie mit einem Arm Claudine umfaßt hielt. Zehn Sekunden später meinte Martha, in einen bunten Wirbel hineingesogen und von einer unbändigen Kraft an ihrem Bauchnabel fortgerissen zu werden. Eine blaue Lichtspirale rotierte wild um alle herum und ließ sie verschwinden. Kaum waren sie fort klickte und rasselte es im ganzen Haus. Alle Schränke, Kommoden und Kisten wurden fest verschlossen und zu alle dem noch von einer unzerbrechlichen Kristallschicht überzogen. Alle Türen schlugen zu und verriegelten sich. Nur die elektrischen Geräte arbeiteten noch. Der Kühlschrank und die Tiefkühltruhe waren jedoch leergeräumt und offen stehen gelassen worden. Nur in Marthas Wohnung, deren Türen und Aufbewahrungsmöbel ebenso gesichert worden waren, arbeitete ein unbeirrter Computer seinen vorletzten Auftrag ab. Eine Minute vor der ihm befohlenen Zeit hatte er die große Mail endlich abgesetzt. Diese würde nun hundertmal schneller als er sie übermittelt hatte im Internet in zwei Kopien zu den Postfächern ihrer Empfänger flitzen und dort auf ihre Entgegennahme warten. Dann griff der einprogrammierte Vorgang, der den Rechner herunterfuhr. Nur für zwanzig Sekunden stand der Hinweis, den Computer jetzt ausschalten zu können auf dem Bildschirm. da wurde der Strom abgeschaltet.

__________

Julius erbleichte, als er las, was seine Mutter im Zaubereiministerium herausgefunden hatte. Catherine hatte nach dem schnellen Rückzug nach Millemerveilles zwei Exemplare der kopierten Unterlagen in ein Kupferrohr gesteckt, verschlossen und dieses zwischen den Zähnen Kontaktfeuerverbindung mit ihrer Mutter aufgenommen. Jetzt konnte Julius alles schwarz auf weiß nachlesen, was Didier vorhatte.

"Ich habe es noch einmal riskiert, den Kamin von Ihnen zu benutzen, Professeur Faucon, weil ich davon ausgehe, daß Didiers Leute erst einmal nur meinen Hauskamin überwachen", sagte Catherine Brickston. "Aber ich will die nicht auf die Spur bringen. Ich sehe zu, die anderen Sachen auch an die richtigen Stellen zu kriegen. Ich melde mich dann auf die andere Art bei Ihnen und euch."

"Eleonore muß das auch lesen, Catherine", sagte Professeur Faucon, diesmal nicht die förmliche Anrede benutzend. "Das ist eine Ungeheuerlichkeit. Ich hätte nicht gedacht, daß er bereits so weit geht."

"Sehe ich auch so, maman. Bis dann wenn möglich!" Erwiderte Catherines Kopf und verschwand aus den Flammen. Sofort sicherte Professeur Faucon den Kamin in ihrem Sprechzimmer wieder.

"Darf ich jetzt bitte lesen, was dir alles Blut aus dem Gesicht gesaugt hat, Julius?" Fragte Millie leicht verärgert, weil Julius die beiden Pergamentseiten betrachtete, als würden sie gleich explodieren.

"Kein Problem, Millie. Hier, lies das!"

Madame Maxime studierte noch einmal das Exemplar, daß Catherine ihr zugedacht hatte. Das sonst olivefarbene Gesicht der Halbriesin verfärbte sich purpurrot, und ihre schwarzen Augen rückten gefährlich eng zusammen.

"Ach du großer Drachenmist!" Grummelte Millie. "Friedenslager? Klingt irgendwie wie Ruhelager. Deine Mutter und du hattet also recht mit der Angst, daß die hier oder bei euch in England ähnliche Sachen wie diese Konzentrationslager bauen könnten. Das muß meine Familie schnellstmöglich wissen, sonst kassiert Didier die heute noch ein."

"Die sind bereits in das Château Tournesol übergewechselt", sagte Professeur Faucon. "Offenbar versuchte Didier, sie zur selben Zeit zu inhaftieren, zu der Madame Andrews und Madame Brickston einbestellt waren. Damit steht für mich absolut fest, daß diese ganze Angelegenheit darauf abzielt, Ihren Ehemann in Gewahrsam zu nehmem und ihn außer Landes zu schaffen."

"Blanche, Sie pflichten mir sicher bei, daß wir unter diesen Umständen nicht zulassen dürfen, daß auch nur einer unserer Schüler die Akademie verlassen darf", sagte Madame Maxime nun sehr bedrohlich klingend.

"Sie meinen, wir sollten die fünf Schüler, die uns verlassen wollen notfalls mit Gewalt zurückhalten? Ich fürchte, seitdem Sie sie offiziell für entlassen erklärt haben steht uns diese Maßnahme nicht mehr zu."

"Wenn Anzeichen da sind, daß die Freistellung unter vorgetäuschten Voraussetzungen erfolgte kann ich sie widerrufen und die Schüler in ihrer Ausbildung belassen, sofern Sie noch nicht vom Gelände der Beauxbatons-Akademie herunter sind."

"Ich fürchte, Madame Ladirectrice, daß Monsieur Collis und Monsieur Dubois bereits das Gelände verlassen haben. Was die drei anderen betrifft habe ich keine genaue Kenntnis. Ich hätte diese Informationen auch gerne eine Stunde früher erhalten. Aber wie Madame Brickston Ihnen und mir erklärt hat wollte sie erst sicher sein, daß ich auch anwesend bin, wenn sie Kontaktfeuert."

"Verstehe", schnaubte Madame Maxime und sprang auf. Julius fürchtete schon, sie würde ihn und Millie glatt umrennen, als sie vorn übergebeugt zur Tür stürzte und fast ohne sie aufzumachen hindurchstieß. Professeur Faucon schloß die Tür von innen.

"Ihnen beiden ist wohl klar, daß Sie wohl vom Minister Didier zu unerwünschten Personen erklärt wurden. Sobald Didier Kenntnis davon hat, daß sein unmenschlicher Aktionsplan verraten wurde, wird er ihn unverzüglich verwirklichen, um keine Zeit für effektive Gegenmaßnahmen zu lassen. Sie, Madame Latierre, kontaktieren Ihre Familie und teilen ihr mit, was geplant ist. Befindet sich Ihre Tante Barbara heute im Ministerium?"

"Soweit meine Mutter es gemeldet hat ist sie heute auf dem Hof. Könnte aber sein, daß sie schon bei meinen Großeltern im Château ist."

"Prüfen Sie das bitte unverzüglich nach, Madame Latierre!" Drängte Professeur Faucon Julius' Frau. Diese nickte und verließ das Sprechzimmer. Julius nahm die beiden Pergamentseiten, die sie nach dem Lesen auf den Schreibtisch zurückgelegt hatte.

"Ich frage Sie, Professeur Faucon, ob wir hier wirklich noch sicher sind."

"Vor wem?" Blaffte die Lehrerin. Julius legte sich darauf fest, daß er das Ministerium meinte. "Nun, wenn Didier Sie als Gefahrenfaktor einschätzt könnte ihm einfallen, jemanden mit der Reisesphäre zu uns zu schicken, um Ihre Auslieferung zu verlangen oder gleich eine Abteilung einrücken zu lassen, die im Rahmen der hierauf aufgeführten Friedenssicherungsmaßnahmen die Akademie besetzt", sagte Professeur Faucon. "Offenbar wollte Didier erst dann so weit gehen, wenn er es der magischen Öffentlichkeit gegenüber rechtfertigen und überzeugende Argumente vorbringen kann. Ich schätze, daß Beauxbatons noch wenige Stunden lang unabhängig bleibt, sofern Madame Maxime nicht unverzüglich dafür sorgt, daß keiner von außen gegen ihren Willen eindringen kann."

"Indem sie den Ausgangskreis mit einer diebstahlsicheren Sache blockiert?" Fragte Julius. Professeur Faucon nickte energisch. "Da sie die Schulleiterin ist obliegt es ihr, eine derartig drastische Abschottung vorzunehmen. Es sei denn, sie benennt mich zu ihrer Amtsnachfolgerin und überträgt mir eine derartige Verantwortung."

"Im Moment will sie wohl nur zusehen, ob sie die fünf Aussteiger noch zurückrufen kann", sagte Julius. Professeur Faucon nickte wieder. Dann bat sie ihn, von hier aus mit Schwester Rossignol zu sprechen und sie zu bitten, Serena Delourdes in die Klinik zu schicken, um Antoinette Eauvive herzuholen, da diese wohl nicht in ihrem Stammschloß sei. Julius nickte und rief über das Armband die Schulheilerin.

"Millie benutzte die Verbindung bereits um mir zu sagen, daß deine Mutter sich nach Millemerveilles absetzen mußte, Julius. Sie wollte nicht mit den Einzelheiten herausrücken, sondern sagte, daß es wohl Ärger im Ministerium gegeben habe, der noch heftiger werden könne. Ich lasse nach Madame Eauvive schicken", sagte Madame Rossignol. "Blanche, ich werde mich in fünf Minuten persönlich bei Ihnen einstellen. Monsieur Latierre kam vielleicht noch nicht dazu, Sie zu informieren, daß ich wegen einer viel zu späten gewissen Enthüllung eine Disziplinarmaßnahme gegen ihn vollstrecken will, sofern Sie nicht schriftlich begründen, daß er in Ihrem Sinne und Auftrag gehandelt hat. Ich empfehle mich bis gleich." Sprach's und beendete die magische Bild-Sprech-Verbindung. Julius sagte schnell, daß es wegen der Dame mit dem Strohhut sei. Professeur Faucon baute schnell den Klangkerker wieder auf und ließ sich das näher erklären.

"Sicher hat sie sich Sorgen um Glorias seelische Verfassung gemacht. Aber es hätte ihr auch nichts geholfen, zu wissen, daß ihre geliebte Großmutter sich vor der Wiederkehrerin versteckt, um diese gegebenenfalls aufhalten zu können. Deine Mutter denkt, daß die amerikanische Zauberergemeinschaft etwas gegen Didiers Pläne unternehmen könnte. Ich fürchte eher, daß Wishbone auf den Geschmack käme, ähnliche Internierungszentren einzurichten. Insofern weiß ich nicht, ob deine Mutter den US-amerikanischen Hexen und Zauberern nicht einen Irrwicht ins Haus geschickt hat."

"Oha, könnte echt sein. Aber Mrs. Priestley wird die Post bestimmt nur dann weitergeben, wenn sie weiß, daß Ministerin Rockridge das nicht selber machen will."

"Angst ist ein schlechter Ratgeber, Julius. Wenn uns diese Enthüllungen etwas lehren dann dieses. Es ist völlig unwichtig geworden, ob Didier mit dem Psychopathen aus deinem Geburtsland sympathisiert oder gegen ihn opponiert. Die Maßnahmen wirken sich in beiden Fällen verheerend aus."

"Wenn wir die französische Zaubererwelt wissen lassen, was Didier vorhat können wir ihn vielleicht noch davon abbringen", hoffte Julius.

"Dazu müßten wir es allen so schnell wie möglich sagen. Die hälfte würde uns nicht glauben, weil es zu schrecklich ist, um es für wahr zu halten. Ein Viertel würde finden, daß dies die richtige Lösung sei, um unsere Sicherheit und Unabhängigkeit zu bewahren. Und ein Viertel würde entweder wie deine Mutter den taktischen Rückzug oder die offene Meuterei wählen. In letzter Konsequenz würden wir damit die vollkommene Entzweiung der Zaubererwelt bewirken, bevor es einen Grund zum Widerstand gibt. Nein, Julius, so hilflos und gemein es sich jetzt für dich anhören muß, wir müssen die von deiner Mutter beschafften Informationen sehr behutsam weitergeben, also nur an die, die Didier noch aufhalten können, Leute im Ministerium und den großen Zaubererfamilien. Ich persönlich werde Proresseur Tourrecandide und die Liga umgehend in Kenntnis setzen. Hier steht ja, wo die sogenannten Friedenslager eingerichtet werden sollen. Alles schön abgelegene Orte mit alten, verfallenen Burgruinen. Sie haben es sogar gewagt, ein druidisches Heiligtum für diesen Zweck auszuwählen. Das könnte ihnen den Unmut der an die alten Druiden glaubenden Hexen und Zauberer eintragen. acht große Lager, Gleichmäßig über das Land verteilt", schnaubte Professeur Faucon. Julius spukten Bilder und Geschichten von den Vernichtungslagern der Nazis durch den Kopf. Er fragte deshalb:

"Denken Sie, daß Didiers Leute die Gefangenen auch umbringen, die dort sind?"

"Im Moment denke ich das nicht, Julius. Ich lese es so, daß er jene dort einpferchen will, die seiner Meinung nach Unruhe stiften und sich seinen Anordnungen nicht fügen wollen, ohne reguläre Verbrecher zu sein. Anders als die Todesser in Großbritannien wird er unser Zauberergefängnis nicht mit unschuldigen Leuten füllen, deren bloße Existenz ausreicht, um diese Verbrecherbande zu verärgern. Seine neue Abteilung für Familienschutz wird die Kinder erfassen und beaufsichtigen, während die Erwachsenen wohl von der Außenwelt abgeschirmt bleiben, ohne Zauberstäbe natürlich. Deshalb sollten wir keine Zeit mehr verlieren. Ich schreibe dir diese Begründung für Madame Rossignol und hoffe, daß sie damit zu frieden ist", schnarrte Professeur Faucon.

Als die Heilerin zusammen mit Madame Eauvive eintraf und Professeur Faucon ihnen das Verhörprotokoll zu lesen gegeben hatte, sagte Madame Eauvive:

"Das muß sofort abgeblasen werden, Professeur Faucon. Ich informiere sofort meine Familienangehörigen im Ministerium, daß sie Didier und die hier aufgeführten Personen im Zuge der Notfallrichtlinie fünf festnehmen sollen. Damit hat sich Didier selbst eine Zelle in Tourresulatant erworben."

"Er würde zum jetzigen Zeitpunkt alles abstreiten, Madame Eauvive. Wir müssen die ausführenden Personen dieser Verschwörung festsetzen und sie dazu bringen, die Unverschämtheiten zu gestehen. Sicher warten diese Friedenslager bereits auf ihre ersten Gäste", schnaubte Professeur Faucon. "Wenn wir jetzt Didier alleine ohne die anderen festnehmen haben wir außer diesem Protokoll keinen greifbaren Beweis. Und er würde sich leicht herauswinden, in dem er behauptet, es sei nur ein Planspiel gewesen, um die Widerstandsfähigkeit seiner Leute zu testen. Nein, wir müssen die Mitglieder der Verschwörung festsetzen, während sie den Auftrag ausführen.""

"Professeur Faucon, des Drachen verheerendster Körperteil ist der Kopf. Wissen wir, ob Monsieur Didier nicht schon seit Jahren dieses Szenario für den Fall seiner Beförderung zum Zaubereiminister geplant hat. Um dies herauszufinden muß er jetzt gleich festgenommen werden. Ich übernehme für diese Maßnahme die Verantwortung. Wenn ich das richtig lese dürfen die potentiellen Bewohner dieser Friedenslager keine magischen Utensilien besitzen, auch und vor allem keine Zauberstäbe. Das gefährdet ihre Gesundheit, wenn sie sich bei Verletzungen nicht selber helfen oder einen Heiler zu Hilfe rufen können. Die Heilerdirektiven zwingen mich, derartige Gefahren abzuwenden, solange ich das kann. Danke für die unverzügliche Benachrichtigung, Professeur Faucon. "Ich empfehle mich."

"Bedenken Sie, was ich gerade sagte!" Erwiderte Professeur Faucon. "Wenn Sie Didier und Pétain jetzt festnehmen lassen, werden die behaupten, von nichts gewußt zu haben. Und Pétain wird sich nicht noch einmal Veritaserum einflößen lassen."

"Wird sich zeigen", knurrte Antoinette Eauvive und machte Anstalten, Professeur Faucons Sprechzimmer zu verlassen.Viviane Eauvives gemaltes Ich erschien in jenem Weizenfeldbild, das für Julius eine ziemlich große Bedeutung bekommen hatte.

"Nachricht aus Millemerveilles: Monsieur Pierre erhielt soeben die dringende Anweisung aus dem Ministerium, Catherine Brickston und alle erwachsenen Bewohner des Hauses Maison du Faucon festnehmen zu lassen. Allerdings zeigte sich Monsieur Pierre nach Studium der erworbenen Geheiminformationen unwillig, den Befehl vollständig auszuführen. Es ist also mittlerweile bekannt, welche Informationen herausgeschmuggelt wurden."

"Damit ist es nun offiziell, daß dieser Mann untragbar für das Ministeramt geworden ist", schnaubte Madame Eauvive. "Jetzt werde ich tun, was ich angekündigt habe, Professeur Faucon.

"Ich kann Ihnen keine Befehle erteilen", knurrte Professeur Faucon. Madame Eauvive verließ das Sprechzimmer nun.

"Ich erkläre meine Disziplinaranweisung für heute Nachmittag für aufgehoben", bemerkte Madame Rossignol noch. "Offenkundig gilt es im Moment, schlimmeres zu verhüten, als einen Pflegehelfer in einen Befehlskonflikt zu treiben oder ihn einer groben Falschaussage zu überführen. Was hat Madame Maxime konkret vor, Blanche?"

"Sie will versuchen, die fünf auf Betreiben des Ministers von ihrer Ausbildung zurückgetretenen Schüler zum Hierbleiben zu überreden. Immerhin könnte es sein, daß Didier in seinem Verfolgungswahn darauf verfällt, die betreffenden Schüler für weitere Unmenschlichkeiten einzuspannen oder sie um ihren freien Willen zu bringen, wenn er dies für geboten erachtet."

"Moment, das klären wir sofort", erwiderte Madame Rossignol und hob ihr Pflegehelferarmband: "An alle Pflegehelfer! Erkundigt euch, ob die aus euren Sälen für Minister Didier eintretenden Mitschüler noch in Beauxbatons sind. Falls ja, mögen diese sich bitte bei mir zur letzten Gesundheitskontrolle einfinden. Es besteht anlaß, daß ihre körperlich-geistige Verfassung den kommenden Ansprüchen nicht genügt. Das will ich genau ergründen." Julius hörte Madame Rossignols Stimme zeitgleich aus seinem Armband. Doch ihr räumliches Abbild tauchte nicht auf. Als sie das silberne Armband, den Generalpflegehelferschlüssel wieder unter ihrer Heilerinnentracht verschwinden ließ sagte sie noch: "Dann sehe ich mal, wer da noch alles zu mir kommt."

Doch zehn Minuten später erfuhr Julius, der immer noch bei Professeur Faucon war, daß keiner der fünf Aussteiger der Aufforderung nachgekommen war, weil keiner mehr in Beauxbatons war. Madame Maxime hatte derweil Professeur Tourrecandide per Kontaktfeuer zu erreichen versucht, wäre dabei aber fast in einen Kamin der Grenzstation hinübergezogen worden.

"sieh an, er hat sehr schnell reagiert", schnaubte Professeur Faucon. "Aktion Knotenpunkt, wie es hier steht", fügte sie mit energischem Tippen auf die beiden Pergamentblätter hinzu. "Alle aufgerufenen Flohnetzverbindungen aus verdächtig eingestuften Kaminen werden in die Grenzstation umgeleitet, die ab dem Befehl des Ministers keine Verbindung mehr mit internationalen Knotenpunkten unterhalten soll. Mit anderen worten, wir können keine allgemein funktionierenden Kontaktfeuergespräche mehr führen."

"Mildrid Latierre, ich rufe dich!" War Julius erste Reaktion darauf. Er hatte den Schmuckstein des Armbandes berührt und sah Millies Abbild keine Sekunde später neben sich auftauchen. "Kann man auch wortlos Mentiloquieren, Julius? Gerade kam mein kleiner Bilderbote mit der bösen Nachricht zurück, daß Oma Line fast mit dem Imperius-Fluch beharkt wurde, als sie versucht hat, mit Großtante Diane zu kontaktfeuern. Hat es gerade noch geschafft, ihren Kopf aus dem anderen Kamin wieder zurückzuholen und hat ihren Kamin komplett zugemacht. Tante Babs und ihre Familie haben den Hof unauffindbar gemacht und bleiben bei den Kühen. Temmie ist ja noch drüben bei Oma Line. Aktion Knotenpunkt, Julius?"

"Wie aus dem kleinen Drehbuch hier", knurrte Julius, obwohl ihm gerade ein Stein vom Herzen gefallen war. Dann fragte er, ob Artemis Orchaud noch in der Seitenstraße der Rue de Camouflage war.

Oma Line hat Tante Diane und den anderen dann mentiloquiert, sich besser abzusetzen. Werde wohl nachher noch mitkriegen, wie voll das Haus geworden ist."

"Huh", machte Julius. "Imperius? Oma Line kann den abwehren?"

"Wenn jemand mit einem Zauberstab auf sie zeigt und "Imperio!" Ruft weiß sie, was der will, Julius. Sie konnte den Kopf gerade noch einziehen, obwohl sie die Wirkung schon spürte. Hat für zwei Sekunden einen Brummschädel gehabt. Dann ging's wieder, hat sie mir zugeschickt."

"Was erzählst du da über die nicht privat zu nutzende Pflegehelferverbindung für einen Unsinn, Mildrid", hörten Julius und Professeur Faucon Bernadette Lavalettes ungehaltene Stimme.

"Wer nur die Hälfte mitkriegt kann nicht befinden, was Unsinn oder Sinn ist", trat Julius für seine Frau ein, auch wenn ihm das von Professeur Faucon noch was einbrocken konnte.

"Unfug, Julius. Die redet nur Blödsinn, um dir zu imponieren, weil ihr beide was gegen Minister Didier habt. Hundert Strafpunkte für Sie, Madame Mildrid Ursuline Latierre. Schwester Florence kann sich ja was für dich ausdenken."

"Denke mal, daß sie mithört", grummelte Millie. "Da warte ich mal, was sie mir zu tun aufgibt."

"Sage ihr bitte, sie möchte etwas respektvoller mit einer Saalsprecherin umgehen!" Flüsterte Professeur Faucon. Julius gab es mit den Worten weiter:

"Mademoiselle Lavalette erwartet Respekt von dir, Millie. Dann tu ihr den Gefallen und verschwende nicht ihre kostbare Zeit. Bis später." Er trennte die Verbindung, bevor Millie noch was sagen konnte.

"Junger Mann, Sie haben meine Anordnung nach eigenem Ermessen uminterpretiert. Unter üblichen Umständen müßte ich Ihnen dafür Strafpunkte zuerkennen. Doch ich verzichte darauf, weil mich die Brisanz der übermittelten Nachricht daran erinnert, daß im Moment schlimmeres ansteht." Julius nickte verhalten. Er hatte durch Bernadettes Aktion ja schon hundert neue Strafpunkte auf dem Konto.

"An alle Lehrkräfte, Bediensteten und Schüler der Beauxbatons-Akademie", dröhnte Madame Maximes Stimme unvermittelt wie aus starken Lautsprechern. "Hiermit weise ich Sie alle an, sich in zehn Minuten im Speisesaal des Palastes einzufinden. Ich wiederhole: Alle Lehrer, Bediensteten und Schüler der Beauxbatons-Akademie versammeln sich in zehn Minuten im Speisesaal! Saalvorstände und -sprecher prüfen bitte ihre Wohnsäle auf dort anwesende Schüler! Vielen Dank!"

"Oha, das klingt nach Alarmstufe Rot, alle Schilde hoch und alle Schotten dicht", grummelte Julius.

"Ich fürchte, dies entspricht durchaus einer Situation, in der diese Maßnahmen angebracht sind", knurrte Professeur Faucon. "Nur das wir keine sogenannten Phaserstrahler und Photonentorpedos besitzen. Also kommen Sie, Monsieur Latierre! Wir müssen den grasgrünen Saal überprüfen."

Julius holte sich die Erlaubnis ein, mit Professeur Faucon direkt in den grünen Saal zu wandschlüpfen, wo Pierre Marceau gerade aus dem Schlaftrakt für Jungen kam.

"Hey, Julius ... Ups, Professeur Faucon! Was is'n los?" Fragte der Erstklässler.

"Wird uns Madame Maxime wohl gleich erzählen", erwiderte Julius, der nicht rauslassen wollte, daß er mehr wußte, als er eigentlich wissen durfte.

"Hatten Sie für den Vormittag keinen Freizeitkurs?" Fragte Professeur Faucon.

"Nicht vormittags, Professeur Faucon. Ich bin am Nachmittag in dem Tanzkurs drin", erwiderte Pierre. Gabie Delacour ist bei Professeur Trifolio im Kräuterkundekurs. Ich wollte lieber das machen, wo ich schon gut mit klarkomme wie die Junior-Zauberkunst-AG am Mittwoch. Sollen Sie jetzt Gucken, ob noch wer hier ist?""

"So verhält es sich", antwortete Professeur Faucon. Mit einem Blick erfaßte sie, daß niemand im Aufenthaltsraum war und hielt ohne weitere Verzögerung auf den Eingang zu den Mädchenschlafräumen zu.

"Sonst noch wer ohne Freizeitkurs im Schlaftrakt?" Fragte Julius.

"Weiß nicht. War der einzige in meinem Schlafraum", erwiderte Pierre schalkhaft grinsend. Julius grinste zurück, auch wenn das vielleicht jetzt unangebracht war. Dann betrat er den Jungenschlaftrakt und öffnete eine Tür nach der anderen. Keiner war in den Schlafsälen oder den Waschräumen.

Julius deutete auf sich und Pierre. "Anwesenheitsprüfung für männliche Saalbewohner: zwei Personen", meldete Julius, als Professeur Faucon mit fünf Mädchen im Schlepptau herunterkam, die wohl alle noch an ihrem Äußeren gefeilt hatten. Dann trafen auch Yvonne, Céline und Giscard ein.

"In Ordnung. Wir verlassen den grünen Saal kurz vor der angewiesenen Zeit", erscholl Professeur Faucons Stimme durch den Aufenthaltsraum. Doch keiner aus dem grünen Saal wollte noch einmal hier herein. So gingen sie hinunter in den Speisesaal, wo Julius alle seine Saalkameraden vorfand. Madame Maxime stand bereits am Lehrertisch. Als die Uhr im Speisesaal zwanzig vor eins zeigte gebot Madame Maxime Ruhe. Alle Bewohner von Beauxbatons standen in gespannter Erwartung um ihre Tische herum.

"Geehrte Kollegen, liebe Schülerinnen und Schüler, heute ist etwas eingetreten, was zuletzt vor vierhundertfünfundfünfzig Jahren über unser großes, erhabenes Land hereingebrochen ist. Zum ersten Mal seit der Machtübernahme der dunklen Matriarchin Sardonia befindet sich die französischsprachige Zauberergemeinschaft im Klammergriff eines offenbar machtversässenen Zeitgenossens, der im Namen berechtigter Furcht alle Menschlichkeit fahren lassen will und uns alle, ob hier in der Beauxbatons-Akademie oder dem Land außerhalb unserer Umgrenzung seinen Willen und seinen Glauben aufzwingen will." Alle außer Julius starrten sie höchstverängstigt an. Das konnte doch nur heißen, daß er, dessen Name nicht genannt werden durfte ... "Nein, ich spreche nicht von jenem bösartigen und höchstgefährlichen Zauberer, der bereits die britischen Inseln in seiner gnadenlosen Gewalt hat. Ich spreche von Janus Didier, dem derzeit amtierenden Zaubereiminister." Viele machten "Häh?!" Andre rümpften ungläubig die Nase. Wieder andere blickten nur verdrossen auf Madame Maxime. "Ja, Sie hören vollkommen richtig, Mesdames, Messieurs et Mesdemoiselles. Jener Minister pro Tempore Janus Didier hat aus großer Angst vor ausländischen Dunkelmagiern und ihren Kreaturen befunden, die bisher gültigen Rechte und Freiheiten unserer magischen Gemeinschaft außer Kraft zu setzen, ein Regime der ständigen Überwachung und Beschränkung einzurichten und jeden als seinen Feind oder Mithelfer des Unnennbaren zu betrachten, der oder die ihm nicht aufs Wort gehorchen mag. Ich sehe, viele von Ihnen möchten dies nicht fassen. Natürlich werden Sie sich fragen, woher ich diese schwerwiegende Behauptung nehme. Und ich werde Ihnen die Antwort auf diese Fragen geben. Ich selbst wollte es bis zum Mittag dieses Tages nicht einmal vermuten, daß Minister pro Tempore Didier wahrhaftig die Einrichtung von Gefangenenlagern beschließen könnte, in die Hexen und Zauberer verbracht werden sollen, die offen oder durch tätige Mithilfe alle gegenwärtigen und künftigen Verfügungen seines Ministeriums ablehnen oder die Umsetzung stören, weil die Verfügungen ihnen nicht genehm sind. In der bis heute Mittag bestehenden Ordnung war es üblich, daß Hexen und Zauberer, die durch gesellschaftskritische Äußerungen auffielen stets zu ihren Äußerungen befragt wurden und in den meisten Fällen ohne schwerwiegende Konsequenzen ihr Leben fortführen konnten. Sicher gab und gibt es auch solche, die mit der freiheitlichen, alle magischen Menschen gleichberechtigenden Gesellschaft unzufrieden sind und durch Verbrechen versuchen, sie zu erschüttern. Diese Leute erwartete dann aber ein ordentliches Gerichtsverfahren vor dem Zauberergamot. Doch was mir vor nicht einmal einer halben Stunde mitgeteilt wurde, und was ich selbst erleben mußte, als ich die Richtigkeit dieser Informationen prüfen wollte, zwingt mich zu der bedauerlichen Feststellung, daß Didier sein Amt dazu mißbraucht, um unsere Gemeinschaft auf Kosten der Freiheit in ein einziges, großes Gefängnis zu verwandeln. Ich erhielt Unterlagen, die den amtierenden Minister schwer belasten, weil darin aufgeführt ist, daß er und seine in der Zeitung so gerühmten Sicherheitsabteilungsleiter eine vollständige Überwachung des Flohnetzes, eine Prüfung aller gemeldeter Hexen und Zauberer auf ihre Integrität und eine Verbringung aller den Kriterien nicht gerecht werdender Hexen und Zauberer in Lager plant, ohne sie Verstöße bisher gültiger Gesetze zu überführen. Ich habe keinen Grund, die Quelle der Informationen und ihren Wahrheitsgehalt anzuzweifeln. Außerdem erfuhr ich wenige Minuten nach der Kenntnisnahme, daß die Überwachung der Zaubererkamine bereits in Kraft ist und Personen, die aus verdächtig eingestuften Feuerstellen Kontaktfeuergespräche oder Passagen versuchen, zu einem Kamin unter völliger Kontrolle des Ministeriums umgeleitet werden. Offenbar hat die mir zugängliche Informationsquelle in ein Hornissennest gestoßen." Julius dachte betrübt, daß der Vergleich paßte. Seine Mutter war zu neugierig und zu mutig gewesen, um rechtzeitig umzukehren. Genau wie er damals im Sanderson-Haus. "Wir, also Professeur Faucon und ich, die die besagte Information erhalten haben, gingen davon aus, daß wir wohl noch einen Tag Zeit hätten, um diese Unerträglichkeit zu verhindern. Wir haben uns gründlich getäuscht. Offenbar war der Zeitplan lediglich ein Mittel, um genug Argumente zu erfinden, diese Maßnahmen zu rechtfertigen. Sicher wird Monsieur Didier, den ich fortan nicht mehr mit dem Titel Zaubereiminister ehren werde, jetzt auf die Schnelle eine haarsträubende Geschichte von plötzlich aufgetauchten Agenten des Unnennbaren in die Zeitung bringen, um die Sofortmaßnahmen doch noch zu rechtfertigen. Ich sehe es Ihnen immer noch an, daß Sie diese Neuigkeit nicht recht glauben können. Ich habe Sie auch deshalb alle hergebeten, um Ihnen allen zu versichern, daß Sie hier in Beauxbatons weiterhin nach den selben Schulregeln unterrichtet werden, die bis zu diesem Tag gültig waren. Versuchen Sie auf dem Eulenpostweg Kontakt mit Ihren Angehörigen aufzunehmen. Sie dürfen gerne erwähnen, was ich Ihnen eben gesagt habe und fragen, ob sie noch problemlos kontaktfeuern können. Sollte in den nächsten vierundzwanzig Stunden keine Zeitungsmeldung erscheinen, die die von mir erwähnten Maßnahmen erläutert und begründet, steht es Ihnen frei, bei den Schulräten oder dem Zaubereiministerium Beschwerde gegen mich einzulegen. Aber um diese vierundzwanzig Stunden möchte ich Sie aufrichtig bitten. Ich bin dann auch gerne bereit, mich öffentlich bei Monsieur Didier zu entschuldigen, falls Sie von keiner Seite her erfahren, daß irgendwas nicht in Ordnung sei. Sollte sich jedoch erweisen, daß meine Behauptungen stimmen, erörtere ich mit ihnen, ob und wie der laufende Lehrbetrieb in der Beauxbatons-Akademie fortgesetzt wird. So, und wo wir schon einmal alle hier sind, Nehmen Sie Platz, um das Mittagessen einzunehmen!"

"Moment, bevor wir hier so tun, als wenn Sie das alles nicht erzählt hätten, Madame Maxime, möchte ich als ZAG-Schülerin und stellvertretende Sprecherin meines Saales von Ihnen hier vor allen hören, wer Ihre so zuverlässige Quelle ist, was genau Sie Ihnen mitgeteilt hat und wie Sie das ergründet haben wollen, ob es der Wahrheit entspricht", warf Bernadette ein. Viele nickten ihr zustimmend zu. Einige klatschten sogar Beifall. Wieder andere sahen verängstigt zu Madame Maxime hinauf. Diese blieb jedoch so ruhig es die Wucht ihrer Neuigkeit ihr gestattete und sagte im ruhigen Ton:

"Es war Madame Catherine Brickston, die heute morgen im Verlauf einer Unterredung mit einem hochrangigem Beamten auf Grund dessen Nachlässigkeit geheime Pläne an sich bringen konnte, die diesen Umsturz unserer Zauberergemeinschaft beinhalten. Natürlich sah sie sich gezwungen, mit ihren Angehörigen und unmittelbaren Nachbarn einen sicheren Ort aufzusuchen. Wie erwähnt ist der Inhalt eine Liste von Maßnahmen, die vordergründig die Sicherheitslage verbessern sollen, tiefgründig jedoch die bisher genossenen Freiheiten einschränken, um angebliche oder tatsächliche Handlanger und Helfershelfer des Unnennbaren in unserem Land aufzuspüren und sie an der Weiterführung ihrer heimlichen Tätigkeiten zu hindern. Gegen bessere Sicherheitsvorkehrungen habe ich nichts einzuwenden. Aber ich weiß mich da mit den meisten von Ihnen einig, daß eine vollständige Überwachung, sowie die ebenso zu befürchtende Enteignung aller Gringotts-Verliese so weit über das Ziel hinausgehen, wie ein Quaffel, der zum Mond fliegt. Und auf die Dritte Frage gehe ich gerne ein, Mademoiselle Lavalette: Wie habe ich ergründet, ob die Behauptungen wahr sind? Ich habe jene Protokolle gelesen. Ich habe versucht, mit einer Person, die als verdächtig eingestuft wurde kontaktzufeuern und geriet mit meinem Kopf in einen Kamin der Grenzabfertigung für internationale Flohpulverreisen, wo ich da selbst ergriffen und gänzlich hinübergezogen werden sollte, wohl um mich zu erklären, wieso ich einen bestimmten Zielkamin ansprechen wollte. Für mich reichte eine derartige Bestätigung aus. Denn ich benutze schon mehr als ein halbes Jahrhundert lang das Flohnetz, die Herrschaften. Ich habe Übung darin, in den Kamin hineinzusprechen oder zu reisen, in den ich auch will. Allein meine Statur zwingt mich dazu, mir sehr genau auszusuchen, wo ich herauskommen möchte und wo nicht. Und wenn ich mitten im Flohnetz einen Kopfstoß erhalte und meinen Kopf dann wild herumwirbelnd aus einem nicht angesprochenen Kamin herausschauen finde, reicht mir das als Bestätigung aus, das der Flohregulierungsrat offenkundig angewiesen wurde, verdächtige Kamine zu überwachen oder jedem nichtministeriellem Zugriff zu entziehen. Und bevor sich hier irgendwer zu bemerken anschickt, es könnte ja auch eine Sperre gewesen sein, so lege ich Ihnen allen nahe, in der Bibliothek, Abteilung Zauberkunst im Spiegel der Zeiten nachzulesen, wie das Flohnetz entstand, wie es benutzt wird, welche Fehler dabei auftreten können oder wie man einzelne Kamine oder Verbindungsknoten bezaubern kann. Mehr ist von meiner Seite her nicht hinzuzufügen. Und jetzt nehmen Sie bitte Ihre Plätze ein und versuchen Sie, das Mittagessen zu genießen!"

"Catherine Brickston, die Tochter von Professeur Faucon?" Warf Deborah Flaubert eine weitere Frage ein. Madame Maxime und Professeur Faucon nickten. Nun drehten sich viele Köpfe in Julius Richtung, der mit seiner vom Karatelehrer Tanaka gelernten Selbstbeherrschungsformel die aufkommenden Gefühle niederhielt. "Dann ist Madame Andrews jetzt auch bei Madame Brickston?" Fragte Deborah weiter. Professeur Faucon sah die Saalsprecherin der Weißen an und antwortete:

"Da sie davon ausgehen muß, daß ihr ebenfalls Gefahr durch die übereifrigen Helfer des Ministeriums droht, begab sich Madame Andrews ebenfalls in eine magische Zuflucht. Mehr ist zu diesem Zeitpunkt nicht zu erwähnen."

"Was ist, wenn diese angeblichen Sachen, die Sie dem Minister vorwerfen, gar nicht passieren, sondern diese Pläne, die Madame Brickston auf eine fragwürdige Art ergattert hat nur eine Ablenkung sind, um zu prüfen, wer daraufhin gegen den Minister meutert oder andere feindlichen Aktionen durchführt?" Wollte Bernadette noch wissen. Gaston Perignon nickte ihr zustimmend zu. "Immerhin werden wir ja andauernd von Dementoren angegriffen. Da könnte es doch wirklich sein, daß solche Sachen als Köder ausgelegt werden, um die echten Agenten von Sie-wissen-schon-wem zum Handeln zu zwingen. Ich kann mir vorstellen, daß Minister Didier die Verdächtigen überwachen läßt, um sie bei möglichen Reaktionen sofort festnehmen zu lassen. Die angebliche Sache mit diesen sogenannten Friedenslagern würde Didier doch keinen Tag länger überstehen, wenn er sie wirklich durchführt."

"Offenbar unterstellen Sie Madame Brickston, sich von einfach herumliegenden Plänen ins Bockshorn jagen zu lassen", sagte Professeur Faucon mit eisiger Betonung. "Dann möchte ich Ihnen und allen anderen, die Ihnen stillschweigend beipflichten zwei Dinge nahebringen, falls Madame Maxime mir dies gestattet." Die Erwähnte nickte zustimmend. "Zum einen lagen da nicht irgendwelche Pläne herum, die jeder hätte einsehen können. Dann wäre es ja klar, daß sie nur eine Falschinformation waren. Madame Brickston wurde weder von mir als Mutter noch als Lehrerin zur Einfalt erzogen und Ausgebildet. Sie erlangte die Geheimpläne durch einen Umstand, der einen der darin eingeweihten dazu verleitete, sie darüber aufzuklären. Und diese Quelle ist durchaus glaubwürdig. Zum zweiten sollten Sie und alle anderen hier auf Grund der Zeitungsmeldungen der letzten Wochen vorgewarnt genug sein, Janus Didier derartigdrastische Maßnahmen zutrauen zu dürfen. Die Erfahrung lehrt, daß es wenigen möglich ist, Macht über viele zu erringen, wenn die vielen aus Angst vor äußerer Bedrohung oder den wenigen selbst jeden Funken Widerstandsgeist verlieren. Sardonia konnte mit nur fünfzig Getreuen und einer Zahl unbekannter Helfershelferinnen ein ganzes Jahrhundert lang ein schwarzmagisches Hexenreich auf französischem Boden beherrschen. Es ist also möglich, daß Didier die drastische Maßnahme der Friedenslager länger übersteht als eine reguläre Amtsperiode, solange die Angst vor der äußeren Bedrohung oder der Macht seiner Helfer groß genug ist, um den Widerstand klein und unbedeutend zu halten. Genau deshalb lernen Sie von mir ja die Künste, um sich gegen böswillige Zauberei zu schützen oder ihre Wirkung zu erkennen, bevor es zu spät ist."

"Ich möchte in dem Zusammenhang gerne was fragen", wandte Julius sich nun an Madame Maxime. Alle sahen ihn an. Bernadette, die gerade noch was sagen wollte, blickte ihn abwartend an. "Geht das, daß jemand, der bereits dem Imperius-Fluch unterworfen wurde, jemand anderen diesem Fluch unterwerfen kann, und wie oft?" Madame Maxime sah Professeur Faucon an.

"Nun, Sie und alle anderen Schüler ab der dritten Klasse haben gelernt, daß der Imperius-Fluch abhängig von der Willensstärke des Anwenders und des Opfers, sowie der Übung, ihn zu wirken oder ihm zu wiederstehen ist. Ich habe Ihnen ja auch erklärt, daß dieser Fluch nur wirkt, wenn der Ausführende sein Opfer klar erkennen und mit dem Zauberstab anvisieren kann. Er wirkt jedoch nur solange, bis das Opfer genug Kraft aufbringen kann, ihn abzuschütteln, wenn er nicht regelmäßig erneuert wird. Wenn jetzt jemand unter diesem Fluch gezwungen ist, jemanden anderen zu zwingen, den Befehl auszuführen, den er selbst erhalten hat, kann er eine kleinere Anzahl von Personen mit Imperius belegen. Allerdings fällt der Fluch dann etwas schwächer aus. Um jetzt Ihre Frage konkret zu beantworten, Monsieur Latierre: Einer kann je nach Willensstärke und Charakterfestigkeit der potentiellen Opfer beliebig viele Personen versklaven. Diese jedoch können den Fluch nur noch eingeschränkt ausführen. Eine Kette aus Verfluchten ist jedoch nicht möglich, weil bereits nach dem zweiten oder dritten Glied die ursprüngliche Macht deutlich geschwächt ist. Denn der Fluch wird durch den inneren Widerstand des Verfluchten selbst gemildert. Ein Effekt, den ein umfallender Baum auf die Nachbarbäume eines Waldes ausübt, findet also nicht statt. Um einen anderen Vergleich zu bemühen, den meine damalige Fachlehrerin Professeur Tourrecandide heranzog: Wenn jemand skrupellos genug ist, dem ersten einer Reihe vor einem tiefen Abgrund per Imperius zu befehlen, seinen Hintermann mit dem Fluch zum hineinspringen zu zwingen und dann selbst zu springen, würde der dritte in der Reihe nur sehr widerstrebend gehorchen und der vierte bereits widerstehen." Alle sahen Professeur Faucon an, vor allem die muggelstämmigen Erst- und Zweitklässler, die noch nie vom Imperius-Fluch gehört hatten. Julius nickte verhalten. "Darf ich nun vermuten, daß Sie mit Ihrer Frage darauf hinweisen wollten, daß der eindeutig gegen die bisherigen Gebote verstoßende Monsieur Didier eine sich fortpflanzende Welle von Imperius-Opfern erzeugen könnte, um sein Ziel zu erreichen, Monsieur Latierre?" Julius nickte bestätigend.

"Nun, ich denke eher, daß Monsieur Didier die Macht der Einschüchterung und Überzeugung benutzen wird, um mehrere hundert magische Mitmenschen auf einmal dazu zu bringen, seine Anweisungen auszuführen", warf Madame Maxime ein. Julius nickte erneut. "Wie erwähnt gehe ich davon aus, daß in den nächsten vierundzwanzig Stunden ein Artikel in der Zeitung stehen wird, der jedem Leser nahelegt, Didiers Vorhaben als einzig richtige Antwort zu begrüßen. Falls dies nicht geschieht, halte ich mein Angebot aufrecht, mich öffentlich für meine Vorwürfe zu entschuldigen", sagte die Schulleiterin sehr entschlossen.

"Das wird ihm nicht reichen", knurrte Gaston leise. Doch Madame Maxime hörte es aus der erwartungsvollen Stille heraus. Sie sah ihn an und sagte sehr ernst:

"Das wird sich erweisen, Monsieur Perignon. Und jetzt ist es endgültig Zeit für das Mittagessen." Die Schülerinnen und Schüler nahmen leise Platz. Auf einen Wink Madame Maximes tauchten Geschirr und Besteck, Terinen und Platten auf den Tischen auf. Als das allgemeine Getuscheln und Klappern von Besteck auf Tellern laut genug war schnaubte Gaston Perignon:

"Ich glaube, Madame Maxime und Professeur Faucon bleiben nicht mehr lange hier. Was meinen Sie, Herr stellvertretender Saalsprecher Latierre?"

"Daß du dir mit dieser Art zu reden mal eben fünf Strafpunkte eingehandelt hast", grummelte Julius zurück. Sollte der diesem verbohrten Typen da jetzt erzählen, wer in Wahrheit und auf welche Weise an die Pläne herangekommen war? Nein, das wollte er nicht. Denn das hätte ihm eh keiner abgekauft. Er hatte ja selbst schlucken müssen, um das zu verdauen, was Catherine ihm und Millie erzählt hatte. Gaston grinste. Gérard meinte dazu:

"Suchst du einen neuen Streithahn, nachdem Hercules nicht mehr hier ist, Gaston. Für wie blöd hältst du Madame Maxime, daß die vor uns allen sowas heftiges rausläßt, wenn es nicht abgesichert ist, daß das auch so stimmt? Die und Königin Blanche haben mehr Kontakte in die Zaubererwelt als du und ich zusammen. Außerdem hängt Madame Maxime an ihrer Arbeit hier. Die würde uns echt nicht vorschlagen, Eulen abzuschicken, um unsere Eltern zu fragen, ob was komisches passiert ist, wenn das in nicht einmal zwei Stunden als großer Schwindel auffliegt, was sie gesagt hat."

"Gérard, ich stelle nur fest, daß die beiden sich gegen einen amtierenden Zaubereiminister gewandt haben. Egal ob das blödes Geschwätz oder echt was handfestes ist wird sich Didier das nicht bieten lassen. Der wird Maxime und Königin Blanche postwendend wegen Aufhetzen und Angstmacherei von der Akademie runterrufen und nicht mehr hierher lassen."

"Ach, dann hast du nur Angst, mit runterzufliegen, wenn du ihr applaudierst oder recht gibst?" Fragte Robert Deloire.

"Hängt davon ab, wer dann hier weitermacht", erwiderte Gaston harsch. Julius sah ihn sehr entschlossen an und sagte:

"Mach dich drauf gefaßt, daß wenn Madame Maxime und Professeur Faucon sich dazu breitschlagen lassen, aus Beauxbatons abzurücken, dann Leute von außen hier neu anfangen, also nicht Professeur Fixus oder Professeur Trifolio. Dann kriegen wir dasselbe was in Hogwarts läuft. Und das möchtest du ganz bestimmt nicht erleben, Gaston."

"Oho, gehst du davon aus, daß du dann hierbleibst, Julius?" Fragte Gaston.

"Wenn die wirklich Marionetten mit Foltererlaubnis hier reinsetzen würde ich freiwillig gehen, wenn sie mich lassen. Sonst hätte ich nicht gesagt, daß du das nicht erleben willst", erwiderte Julius ruhig. Robert grinste. Mit der Antwort hatte er wohl nicht gerechnet. Gaston sah ihn nur verdrossen an, verkniff sich aber eine Antwort. Julius entgegnete beschwichtigend:

"Gaston, du kannst ja nach dem Essen eine Eule losschicken, um deinen Eltern zu erzählen, was Madame Maxime gerade so heftiges erzählt hat. Was mich angeht habe ich keine Probleme, das zu glauben, was Madame Brickston herausgefunden hat."

"Klar, weil sie dich ja achso toll voranbringt", knurrte Gaston. Julius lächelte nur überlegen. Das reichte Gaston, um besser nichts mehr zu sagen.

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Janus Didier war stinkwütend. Um elf Uhr morgens erfuhr er, daß ein Rückhaltezauber ausgelöst worden war, jedoch auf eine unbegreifliche Art gebrochen wurde. Er forderte sofort eine Erklärung des Leiters für die innere Sicherheitsverwaltung. Dieser kam durch das interne Flohnetz ins Büro des Ministers und meldete:

"Monsieur Didier, es sieht so aus, als sei jemand in einen aufgebauten Rückhaltezauber hineingeraten und dann per Apportierzauber fortgeholt worden. Allerdings konnten wir nicht herausfinden, wohin. Und Apportierzauber gehen nur bei unbelebten Gegenständen."

"Was?! Menschen können nicht apportiert werden, schon gar nicht, wenn ein Rückhaltezauber sie festhält. Was für einer war es denn, Imperturbatio, Captaranea oder ein auf einen Gegenstand gelegter Erstarrungszauber?"

"Captaranea, Herr Minister. Er ist vor dem Vorzimmer von Monsieur Pétain errichtet worden. Womöglich sollte die Flucht eines Befragten verhindert werden."

"Ich habe Pétains Sekretärin geraten, ihn aufzubauen, sobald die Muggelfrau bei ihm im Büro ist", sagte Didier. Ich wollte sicherstellen, daß Catherine Brickston nicht auf die Idee kommen kann, sie da rauszuholen, falls Marat sie nicht überwältigen kann."

"Ich habe zwei Leute geschickt, das zu untersuchen. Aber die haben sich bis jetzt nicht gemeldet."

"Wo befinden sich Catherine Brickston und Martha Andrews?" Fragte der Minister. Sein Sicherheitschef holte einen gläsernen Würfel heraus und stellte ihn auf den Tisch. Mit einem Zauberstabstubser ließ er den Kubus auf zwei Meter Kantenlänge anwachsen und ein Modell des Zaubereiministeriums darin aufleuchten. Dann tippte er die ihm zugewandte Seitenfläche an und befahl: "Alle Besucher anzeigen!" Sofort leuchteten zwei blaue Punkte im Inneren des Würfels auf. Das Modell schien sich auszudehnen, dabei konnten der Minister und sein Sicherheitsleiter erkennen, daß der Flur auf der Etage für magische Sicherheit hervorgehoben wurde. Die zwei blauen Punkte wurden zu Kreisen, die mit "Catherine Brickston" und "Martha Andrews" beschrieben waren. Der eine war im Büro von Sébastian Pétain und der andere im Büro von François Marat.

"Sind beide noch, wo sie sein sollten", meinte der Minister. Doch so recht beruhigt fühlte er sich nicht. Er versuchte, Pétain anzumentiloquieren. Doch es gelang nicht. Wieder und wieder versuchte er es. Pétain hatte seinen internen Flohnetzanschluß abgesperrt. Deshalb konnte er nicht durch den Kamin rufen. Jetzt verwünschte er den Umstand, die Gemälde aus den Büros verbannt zu haben, bis auf das, dessen Bewohner, ein kleiner, dicker Zauberer mit schwarzen Haaren und einem Schnurrbart, mit einem Bild im Büro des Ministerpräsidenten Frankreichs verbunden war.

"Soll ich nachsehen, was dort vor sich geht?" Fragte Didiers interner Sicherheitschef. Dieser nickte und fügte hinzu: "Wir gehen beide. Ich will selbst sehen, was da vorgegangen ist."

Wenige Minuten später standen der Zaubereiminister und drei Mann vor dem Büro Pétains. Schon auf dem Weg hierher hatten sie sich etwas schwindelig gefühlt, als hätten sie einen langen Tag bis zur Erschöpfung gearbeitet. Didier ahnte, was da über sie hereinbrach. Sein Untergebener schwankte, sog tief Luft ein und verlor das Gleichgewicht. Didier hielt den Atem an und wirkte einen Kopfblasenzauber. Erleichtert stellte er fest, daß er sich nicht schläfriger fühlte. Seine noch wachen Untergebenen folgten seinem Beispiel und versuchten dann, die Tür zu öffnen. Sie blieb verriegelt. Auf den Wink des Ministers hin vollführte einer seiner Leute eine Zauberstabbewegung. Blaues Leuchten schimmerte nun auf der Tür. Der zweite Sicherheitszauberer rief: "Reducto!" Mit lautem Knall zersprang die Tür in winzige Stücke. Das blaue Leuchten zerstob knisternd. Hinter seinen noch wachen Leuten stürmte Didier in das Vorzimmer. Es war leer. Mademoiselle Devent war nicht da. Außerdem legte sich ein hauchzarter Schleier auf die Kopfblasen. Irgendwas außer Luft war noch hier. Didier blickte sich um. Unter dem Schreibtisch entdeckte er eine Silberschale. Dann fand er noch zwei wie achtlos hingeworfene Zauberstäbe.

"Die Bürotür aufbrechen!" Klang Didiers Stimme wie aus einem Kessel aus der Kopfblase. Seine Leute wirkten die gleiche Kombination von Zaubern wie eben. Doch es war diesmal eine doppelte Absicherung gegen Reducto-Flüche. Erst als diese aufgehoben war und das Büro offen vor ihnen lag erkannte Didier, was passiert war. Pétain und seine Sekretärin lagen bewußtlos am Bodn. Das geruchlose Gas, dem sie fast alle zum Opfer gefallen waren, hatte sie ausgeschaltet. Von Martha Andrews war keine Spur zu entdecken. Auch mit einem Lebensanzeigezauber und einem zur Entdeckung von Verwandlungen konnte sie nicht gefunden werden. Didier stand völlig überrascht da. Dann sah er die beiden Wassergläser auf dem Tisch. "Ins Labor für Zaubertrankanalysen!" Befahl er und reichte seinem Untergebenen das noch zu einem Viertel volle und das bis auf wenige Tropfen geleerte Glas. "Das fast leere war wohl für Pétain", sagte er noch. Dann beauftragte er noch zwei Heiler, die die beiden Bewußtlosen hier und die vier bewußtlosen Sicherheitszauberer auf dem Flur untersuchen sollten. Einem schlimmen Verdacht folgend suchten sie auch Marats Büro auf. Hier war ähnliches passiert. Catherine Brickston war nicht da, und Marat lag betäubt auf dem Teppich. "Accio Besucherplakette!" Rief der Minister. Unter dem Schreibtisch flitzte etwas silbernes hervor und schwirrte ihm fanggerecht in die freie Hand. Er las den Namen der Besucherin Catherine Brickston. Dann holte er sich auch Martha Andrews' Besucherplakette herbei und tobte nun endgültig vor Wut. Brickston und Andrews hatten seine Leute ausgetrickst und waren entkommen. Doch sie konnten unmöglich zu Fuß aus dem Ministerium entwischen. Und disapparieren ging auch nicht. Dann fiel ihm hinter der Tür noch ein kleines graues Bündel auf. Er prüfte nach, ob es mit einem Zauber belegt war, fand jedoch nichts. Er befahl einem seiner Untergebenen, das Bündel aufzunehmen und zu prüfen. Als es entknotet war, fiel ein Klumpen aus einer schmierigen, braunen Masse heraus und klatschte auf den Boden. Didier starrte auf das ekelerregende Etwas und sah ein kleines Stück Papier herauslugen. Einer der angeforderten Heiler betrachtete das Etwas und erläuterte:

"Etwa dreihundert Gramm der Exkremente eines Individuums der Art Canis lupus familiaris."

"Bitte was?" Fragte Didier. Einer seiner Untergebenen rümpfte die Nase und meinte: "Ein Hundehaufen, Herr Minister."

"Das ist eine bodenlose Unverschämtheit!" Brüllte der Minister, und seine Kopfblase zitterte wie wild. "Auch überprüfen. Will wissen, was das für ein Köter war und was der gefressen hat, um einen solchen Haufen hinzulegen!" Der Heiler zog mit behandschuhten Fingern das Papier heraus und glättete es unbeeindruckt. Dann las er laut vor: "Dies ist, was Ihre Arbeit wert ist, Janus Didier." Der Minister riß den Zauberstab hoch und deutete auf das Papierstück. "Scriptorvista!" Doch an Stelle des räumlichen Bildes des Verfassers sprühten nur rote, silberne und blaue Funken aus dem Papier heraus. "Sie haben es von einer Muggelschreibmaschine oder einem dieser Elektroschreibdinger aufschreiben lassen, die mit diesen Computer-Rechnerkästen verbunden werden", schnaubte der Minister. "Dann hat uns Catherine Brickston diesen Streich gespielt. Sofort versuchen, durch den Kamin zu ihr zu gelangen, entweder Rue de Liberation oder Pont des Mondes!"

Doch die Kamine waren versperrt. Als die Heiler die Bewußtlosen untersuchten fanden sie heraus, daß es ein bisher nicht erwähnter Auszug aus der Rauschnebelpflanze war, der jedoch keine bleibenden Nachwirkungen besaß. Besonders alarmiert war Didier, als herauskam, daß Pétain Veritaserum geschluckt hatte, Martha Andrews jedoch nicht. Es dauerte eine Weile, bis man Pétain und Marat wieder wachbekommen konnte. Als dann herauskam, daß Pétain unter dem Wahrheitselixier alle Pläne verraten hatte, entschied der Minister, Martha Andrews von den Muggelweltbehörden suchen zu lassen. Gleichzeitig schickte er an seine Untergebenen die Anweisung raus, den Plan "Pax Patriae" in Kraft zu setzen. Eigentlich wollte er diesen Aktionsplan erst am Montag in Kraft setzen, nachdem ein bereits formulierter Artikel im Miroir Magique erschien, in dem ein offener Angriff der Todesser und einige Flüchtende erwähnt wurden. Weiterhin würde ein Kommentar von ihm erwähnt, daß er nun sämtliche bisherigen Bewegungsfreiheiten im Namen der Sicherheit und des Friedens einschränken müsse, so leid ihm das tue. Doch nun war durch den wie auch immer gelungenen Streich der Muggelfrau Eile geboten. Wenn er die Hauptaufwiegler noch ungewarnt antreffen wollte, mußte seine Aktion jetzt schon anlaufen. Es begann damit, daß die Kamine auf der Liste der sicherheitgefährdenden blockiert und jede von ihnen aus gewünschte Verbindung in die Grenzstation umgeleitet werden sollte. Der internationale Knotenpunkt sollte stillgelegt werden, um niemanden außer Landes zu lassen. Wer herein wollte wurde ja schon seit mehreren Wochen überprüft. Dann begab er sich begleitet von drei Leibwächtern zum ersten großen Friedenslager, einer weitläufigen Festung auf Korsika, die hoffentlich schon mit Tarn- und Unortbarkeitszaubern sowie einem Flugabwehrzauber bestückt war.

Wer auf diesen Burghof apparierte fühlte sich nicht nur im Raum, sondern auch über Jahrhunderte in der Zeit versetzt. Düster drohte ein hoher Turm mit spitzem Helm, wie ein Zaubererhut aus schwarzem Stein. Die Mauern und Wehrgänge wirkten noch wie über siebenhundert Jahre alt. Doch Didier wußte, daß seine Helfer seit seinem Amtsantritt daran gearbeitet hatten, diese alte Festungsanlage zu verbessern. Das Mauerwerk war ausgebessert und mit Härtungszaubern erfüllt worden. Die zwei großen Gebäude hatten neue Dächer bekommen, und zusätzlich standen noch Dutzende von schnell zusammengebauten Holzhütten auf dem Hof. Didier sah den Burgbrunnen, der mit einem neuen Eimer am Seil ausgestattet worden war. Der gesamte Hof wirkte wie ein kleines ummauertes Dorf.

Flavio", grüßte Didier einen kleinen, untersetzten Mann im langen, taubenblauen Umhang mit verwegenem schwarzen Schnauzbart und hellwachen, dunkelbraunen Augen. Flavio Maquis war Janus Didiers zweitältester Schulfreund. Damals hatte er dem kleinen, damals schon runden Jungen von der Insel geholfen, sich gegen die Anfeindungen der sogenannten anständigen Franzosen zu behaupten. Auch hatte er die Gewandtheit des Burschen sehr zu schätzen gelernt. Nach der Schule waren sie in Kontakt geblieben und hatten sich mal offen und mal heimlich bei ihren Karrieren geholfen. Maquis hatte auf Didiers Rat hin nicht im Ministerium angefangen, sondern sich als einer der führenden Baumagier des Mittelmeerraumes einen Namen gemacht. Das ermöglichte ihm, Aufträge von betuchten Zaubererfamilien zu kriegen, wie auch Sachen für das Ministerium hinzustellen. Seine Spezialität waren rauminhaltsvergrößerte Keller, die sich unter einer schlichten Holztreppe verbergen konnten, als sei dort nur ein Schrank zu finden. Im Gegenzug hatte Maquis Didier wichtige Kontakte zu afrikanischen Zauberern verschafft, die seinen Aufstieg in der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit sehr gefördert hatten. Doch was Maquis jetzt zu erledigen hatte war ganz geheim. Zumindest solange, wie diese verflixte Muggelfrau es nicht geschafft hatte, Pétain, diesem Idioten, die geheimen Informationen über Pax Patriae zu entlocken.

"Hallo Janus! Die Burg ist fertig und die anderen Plätze sind klar. Du hast ja erzählt, daß du hier mehr als tausend Leute unterbringen willst. Bist du dir sicher, daß das gut geht?"

"Flavio, wir liegen im Krieg. Die Friedenslager sind die beste Möglichkeit, die, die Schutz suchen, unterzubringen und unsere Feinde sicher zu verwahren."

"Dir ist klar, daß Leute was dagegen haben könnten, sich in so alten Burgen einpferchen zu lassen, Janus?" Fragte Maquis behutsam.

"Wenn ich es ihnen sage, daß nur so das Leben ihrer Liebsten geschützt werden kann, Flavio. Apropos, ist die Unortbarkeit schon eingerichtet?"

"Und auch der Zauber, daß nur hierherfindet, wer an einen bestimmten Gegenstand denkt oder sich einen der hundert Portschlüssel beschafft. Ich kann jetzt jederzeit Leute hier reinlassen. Deine Wächter müssen nur herkommen."

"Zeig mir das bitte noch mal, wie du das gemacht hast, Flavio!" Forderte der Minister seinen korsischen Freund auf. Dieser nickte erfreut und führte den Minister erst an das Burgtor. "Da kommt keiner mehr durch, wenn es geschlossen ist. Du mußt bestimmen, wer den einzig passenden Schlüssel kriegt. Es ist unzerbrechlich und so verbaut, daß keiner die Angeln aufbrechen kann. Von draußen sieht kein Mensch mehr, daß hier eine Burg steht. Die Apparitionssperre ist klar und wartet, bis deine Leute hier einrücken. Wenn das Tor zu ist, wirken sie und die Einflugsperre. Ich habe die Anlage komplett unterkellert, und zwar so, daß ein ständig sich veränderndes Labyrinth in alle Richtungen entsteht. Wer da hineingerät findet nur wieder raus, wenn er oder sie sagt, daß er oder sie aufgibt. Dann landet die Person in einem der Verliese und bleibt dort, bis ihn oder sie jemand rausläßt. Die großen Gebäude sind rauminhaltsvergrößert und fassen zehnmal so viele Leute wie von außen zu sehen ist. Dasselbe gilt für den Turm, in den noch ein paar Fernblickfenster eingebaut sind. Ich zeige dir das alles eben."

Didier lobte und bestaunte die baumagischen Finessen, die Maquis in diese Burg hineingesteckt hatte. Die Gebäude dienten als Aufenthalts- und Speiseräume, während die künftigen Bewohner in den Holzhütten unterkommen sollten, die ebenfalls rauminhaltsbezaubert waren und riesige Schlafsäle mit dreistöckigen Etagenbetten besaßen. So konnten in einem Schlafsaal bis zu dreißig Personen untergebracht werden, wobei die Hütten nach alleinstehenden Hexen, Zauberern und Familien geordnet waren. Allerdings gab es für jede Hütte nur ein Bade- und Toilettenzimmer. Maquis meinte zwar, daß es wohl doch sinnvoller sei, die anzahl der sanitären Einrichtungen der Anzahl der Bewohner anzupassen. Doch Didier wollte wieder nichts davon wissen. Er wollte maximale Unterbringungsmöglichkeiten schaffen und keinen Luxus. Nur für sich dachte er, daß die, die er hier unterbringen würde, jedes Recht auf Komfort verspielt hätten. Sie sollten froh sein, nicht dauerhaft in kleine Zellen gesperrt zu werden. Die zehn finsteren Burgverliese reichten wohl aus, um aufsässige Lagerbewohner zu disziplinieren. Zu dem würden Didiers Wächter in einige der Verliese Alptraumflüche einarbeiten, die den Insassen die schlimmsten Angstsituationen und Erinnerungen immer wieder vorführen würden, ähnlich wie die Dementoren das machten. Wer das einmal überstanden hatte, würde wohl so schnell keinen Versuch mehr wagen, sich gegen die Lagerwächter aufzulehnen. Der Turm war das Wohn- und Arbeitszentrum der Wachen. Von hier aus konnten sie alle Räume im Lager, den Hof und die Umgebung bis zu zwanzig Kilometern Umkreis überwachen und mit den eingebauten Geheimnisspürern jederzeit erkennen, wenn jemand etwas gegen die Wächter plante. Dann ließ er sich noch die Kellerräume vorführen, die weitläufigen Höhlensystemen glichen und jeden unterirdischen Eindringling oder Flüchtling wirkungsvoll zermürben konnten. Er fragte noch, ob Muggelmaschinen mit Elektrostrom in dieser Anlage funktionieren würden. Maquis sah ihn verwundert an und lachte dann.

"Nicht mal diese Handglühkugellampen gehen hier, Janus. In der Burg stekt mehr Magie drin als in eurem Ministerium. Da geht kein Elektrostrom. Und diese unsichtbaren Nachrichtenwellen, mit denen die Muggel sich Sachen zuschicken können, lösen sich komplett auf, wenn sie die Mauer treffen oder von oben runterfallen. Glaubst du, hier würde wer Muggelmaschinen reinbringen?"

"Ich wollte es nur ganz sicher wissen, daß sowas hier drinnen nicht geht", sagte Didier nur. Er dachte schon daran, Martha Andrews in einem dieser Lager unterzubringen, wenn es sein mußte mit ihrem Sohn zusammen, falls die Ordnungshüter der Muggelwelt sie nicht nach England abschoben, weil sie eine Gefährdung ihrer eigenen Gemeinschaft geworden war. Er hatte das betreffende Anliegen bereits fix und fertig formuliert. Demnach sollte Martha Andrews nicht nur ihren Ex-Ehemann betrogen haben, sondern auch Mitglied in einer verbrecherischen Organisation sein, die Angriffe auf hochrangige Personen oder wichtige Einrichtungen des Landes ausführten. Er hatte eigentlich gehofft, daß die Mutter dieses Ruster-Simonowsky-Zauberers vernünftig genug war, sich unter die Obhut des Ministeriums zu stellen und ihren Sohn der Betreuung durch Ministerialbeamte zu überlassen. Aber damit war jetzt ganz bestimmt nicht mehr zu rechnen.

"Gut, Flavio. Du und ich unterschreiben noch eben das Abnahmeprotokoll. Dann würde ich dich bitten, mir noch die anderen Lager zu zeigen", sagte der Minister noch. Maquis nickte.

Während der Minister sich die nächsten sieben großen Lager ansah, arbeiteten seine eingeweihten Helfer bereits daran, die Verdächtigen auszuspüren. Pétain, der von der Überrumpelung durch eine Muggelfrau ziemlich in Bedrängnis geraten war, wollte nun mit allen Mitteln klarstellen, daß er seinen Posten nicht nur wegen der guten Beziehung zum amtierenden Zaubereiminister erhalten hatte.

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Ferdinand Latierre war der stellvertretende Leiter der ausführenden Gruppe im Flohregulierungsrat. Als sein Chef, Monsieur Vestus Lumière, über den es hieß, er habe Janus Didier damals vor den UTZ-Prüfungen wichtige Hilfe geleistet, ihn zu sich bat, dachte er daran, daß er nur noch bis zum Mittagessen Dienst hatte und danach seine Ablösung in den Raum der Tafeln gehen würde. Zu Hause war jetzt wieder viel los, seitdem die Dementoren aus England das Land unsicher machten. Selbst seine Schwägerinnen hatten sich mit ihren Familien in den Schutz des Châteaus geflüchtet, um ihre Kinder und Kindeskinder vor dem Kuß des Dementors zu schützen.

"Ferdinand, hier habe ich eine Dringlichkeitsanweisung von Minister Didier", sagte Vestus Lumière. Die mußt du ausführen. Der Minister hat Angst, daß Agenten von Du-weißt-schon-wem bereits in Frankreich sind und sich an wichtige Familien ranmachen wollen." Er übergab seinem nur wenige Jahre jüngerem Mitarbeiter einen Pergamentbogen zu lesen. Als Monsieur Latierre die Kaminadressen Maison Mardi, Valle des Vaches und Château Tournesol las, glaubte er, seine Augen spielten ihm einen bösen Streich, oder der alte Vestus hätte doch noch sowas wie Humor entwickelt, den er aber noch nicht richtig benutzen konnte. Er sah seinen Vorgesetzten sehr verdutzt an und fragte vorsichtig:

"Vestus, Sie glauben doch nicht im Ernst, daß Leute von ihm sich ausgerechnet da herumtreiben. Sie wissen doch ganz genau, daß gerade das Château Tournesol mit einem starken Schutzbann gegen dunkle Wesen und Kräfte versehen ist. Dort könnte sich niemand von seinen Leuten aufhalten, schon gar nicht, wenn er mit seinem Brandzeichen abgestempelt ist. Was bringt Minister Didier darauf, diese Kamine umzuleiten?"

"Der Umstand, daß jemand wegen Ihres kürzlich erworbenen Familienzuwachses befinden könnte, Ihre Verwandten anzugreifen. Legen Sie die ganzen Anschlüsse auf Kamin fünf und Sechs der Grenzstation um, und Ihre Familie kann aufatmen."

"Bei allem Respekt, Monsieur Lumière, wenn ich die Kamine wie hier aufgeführt umleiten soll haben gerade meine Verwandten keine Möglichkeit mehr, miteinander oder anderen in Kontaktfeuerverbindung zu treten. Das dürfen Sie nicht von mir verlangen."

"Ich darf, kann und werde das von Ihnen verlangen, Ferdinand. Sie sind der einzige, der die Feinheiten der betroffenen Kamine gut genug kennt, um den Auftrag durchzuführen. Allerdings gibt der Minister mir freie Hand zu verfügen, daß ausgewählte Mitglieder Ihrer Familie bei Bedarf Kontaktfeuern können, wenn sie ihm helfen, die vorherrschende Bedrohungslage zu beseitigen und sich in aller Öffentlichkeit dazu bekennen, ausschließlich Minister Didiers Anordnungen zu befolgen. Das gilt dann selbstverständlich auch für Ihre bei uns tätigen Stiefkinder und -enkel."

"Das will ich von Minister Didier ganz persönlich wissen, was diese drastische Maßnahme soll, Vestus. Ich werde meiner Familie nicht den glühenden Zauberstab auf die Brust setzen und ihnen die Kontaktfeuerfreiheiten vereiteln. Denn ich gehe mal stark davon aus, daß die beiden Kamine in der Grenzstation nicht unüberwacht bleiben."

"Ich weiß, daß Sie das in eine sehr arge Lage bringt, Ferdinand. Aber der Minister ersuchte mich, alle für bestimmte Kamingruppen zuständigen Leute damit zu betrauen, diese Anweisung auszuführen. Also führen Sie sie gefälligst aus!"

"So, welche Familien sollen denn noch von ihrer Bewegungs- und Verständigungsfreiheit abgeschnitten werden?" Knurrte Ferdinand Latierre.

"Betrifft Sie nicht, Ferdinand. Und nun an die Arbeit!"

"Wie erwähnt, ich will das von Minister Didier höchst selbst hören und ..." Da löste sich ein verschwommener Schemen von der Wand. Aus einem Flimmern heraus erschien ein Zauberer in der Kleidung der neuen Landfriedensabteilung mit erhobenem Zauberstab. Er zielte schneller auf Ferdinand, als dieser seinen Zauberstab aus dem Umhang freiziehen konnte. "Imperio!" Klang das verbotene Wort durch das Büro. Unmittelbar darauf fühlte Ferdinand, daß seine Gedanken und Bedenken in einer überwältigenden Woge von Glückseligkeit verflogen und eine friedvolle Leere in seinem Geist hinterließ, bevor ein lauter Befehl direkt in seinem Kopf erklang: "Führe alle vom Minister gegebenen Anweisungen aus! Führe alle vom Minister gegebenen Anweisungen aus!"

Ferdinand hörte nur diesen einen Befehl immer wieder. Er dachte nicht einmal daran, Widerstand zu leisten. Er nahm die Liste der umzuleitenden Kamine und sagte seinem Vorgesetzten: "Ich werde sofort alles wie befohlen erledigen." Er klang weder fremdartig noch monoton, als Ferdinand das sagte.

Keinem fiel auf, daß er soeben unter einen Imperius-Fluch gezwungen worden war, als der stellvertretende Leiter der ausführenden Gruppe den Raum der Tafeln betrat, die alle ans Flohnetz angeschlossenen Kamine zeigten. Mit routinierten Zauberstabbewegungen stellte er neue Verbindungen zwischen Kaminen her, so daß, egal, wohin jemand seinen Kopf oder seinen ganzen Körper befördern wollte in bestimmten Kaminen landete. Das war nicht so einfach, weil hierzu der Kamin für eine Minute ganz vom Netz abgetrennt und dann mit der einen Endstelle verbunden werden mußte. Das wurde höchst selten gemacht, wenn jemand einen Kamin mit Direktverbindung zu einem anderen haben wollte und kein Ziel ausrufen mußte. Er schaffte es gerade soeben, als das Flammensymbol, das mit CHATEAU TOURNESOL beschriftet war, an der oberen Hälfte grün aufleuchtete. Das hieß, daß jemand den dazugehörigen Kamin als Kontaktfeuerausgangsstelle benutzen wollte. Die neue Verbindung lenkte den Kopf wohl gleich zum angeknüpften Zielkamin hin. Ferdinand dachte nicht daran, daß seine Frau oder eines seiner Kinder und Stiefkinder jetzt gerade umgeleitet wurde. Ihm war nur wichtig, den schriftlichen Befehl des Ministers auszuführen und auch alle anderen Anweisungen Didiers gehorsam zu befolgen. Nur beiläufig konnte er erkennen, daß bereits drei Kamine aus ein- und demselben Gebäude mit einem anderen Kamin der Grenzstation verknüpft worden waren und einer seiner rangniederen Mitarbeiter soeben zwei direkt übereinanderliegende Kaminsymbole per Zauberstabbewegungen mit anderen Kaminen der Grenzstation verband, was wegen der räumlichen Nähe der beiden Kamine leichter war. als er seinen unmittelbaren Auftrag erledigt hatte ging er zu seinem Vorgesetzten zurück und meldete den Vollzug.

"Gut, Ferdinand. Der Minister ist in einer Stunde wieder hier. Solange bleiben Sie bitte im Gebäude!"

"Ist das ein Befehl?" Fragte Ferdinand Latierre.

"Er hat befohlen, daß alle Mitglieder des Flohregulierungsrates im Ministerium bleiben, bis er wieder da ist. Er will Ihnen und mir wohl noch verbindliche Anweisungen erteilen."

"Verstehe, Vestus", sagte Ferdinand Latierre. Wenn der Minister das befahl, mußte er eben in der Cafeteria für Angestellte mittagessen. Als hätte seine Frau Ursuline das aus seinen Gedanken gelesen klang ihre ziemlich erboste Stimme in seinem Kopf:

"Ferdinand, welches Trollhirn bei euch hat unseren Kamin vermurkst? Sag jetzt bloß nicht, daß wärest du gewesen!"

"Der Minister hat das befohlen. Ich mußte das machen", schickte Ferdinand ohne Reue oder Unbehagen zurück. "Bei uns könnten Agenten des Unnennbaren reinkommen."

"Absoluter Drachenmist, Ferdinand. Bei uns kommt niemand von seiner Bande rein, und das weißt du auch. Mach sofort den Kamin wieder richtig!"

"Der Minister hat befohlen, Kamine von gefährdeten Leuten umzuknüpfen", schickte Ferdinand zurück.

"Komm sofort nach Hause!" Gedankenblaffte Ursuline ihm zu. Vestus Lumière sah ihn schweigend an, und der wieder getarnte Helfer Didiers sah ganz gespannt, wie sich Ferdinand Latierre konzentrierte. Also mentiloquierte er. Mit wem genau war keine Frage.

"Ich habe den Befehl, mit allen anderen vom Rat im Ministerium zu bleiben. Wir sollen noch weitere Anweisungen kriegen."

"So, wollt ihr jetzt alle Kamine verhunzen oder gleich das ganze Netz dichtmachen?" Hörte er die Gedankenstimme seiner Frau mit Verärgerung fragen.

"Wir müssen machen, was der Minister sagt. Er weiß schon, was richtig ist", erwiderte Ferdinand.

"Im Moment bist du nicht ganz richtig, Ferdinand. Komm sofort nach Hause!"

"Ich darf nicht. Habe den Befehl, hierzubleiben, bis wir neue Anweisungen kriegen", schickte Ferdinand zurück.

"Verstehe. Komm nach Hause, wenn du darfst", gedankenseufzte Ursuline Latierre. Dann herrschten nur noch Ferdinands mehr oder weniger freie Gedanken vor. Ja, er ärgerte sich sogar ein wenig, daß seine Frau es nicht verstand, daß er jetzt die Anweisungen des Ministers ausführen mußte. Immerhin war das sein Beruf.

"Ärger mit Ursuline?" Fragte Vestus Lumière.

"Sie ärgert sich, weil ich ihren Kamin umgeändert habe", sagte Ferdinand völlig gelassen. "Dann findet sie das auch nicht gut, daß ich hier auf Minister Didier warten soll", sagte er noch. Vestus Lumière nickte.

"Das ist der Preis für das Vergnügen, mit einer heißblütigen Hexe verheiratet zu sein, Ferdinand. Bei der Hochzeit meiner Enkeltochter war sie ja gerade wieder gesegneten Leibes. Das war bestimmt nicht einfach für Sie."

"Auf jeden Fall war es nicht langweilig", wandte Ferdinand ein, der jetzt erst dachte, daß Vestus Lumière ja immer schon was gegen seine Frau hatte, weil die offenbar nur dafür lebte, möglichst viele rotblonde Kinder in die Welt zu setzen. Er sagte deshalb: "Ich kriege das mit meiner Frau schon wieder hin, Vestus. Sie weiß, daß ich hierbleiben muß."

"Gut so", erwiderte Lumière dazu nur. "Dann ist es wohl jetzt Zeit für's Essen, nicht wahr?"

"Eindeutig, Monsieur Lumière", pflichtete Ferdinand seinem direkten Vorgesetzten bei.

Am Nachmittag verlangte Minister Didier, daß sämtliche Mitarbeiter aus dem Flohregulierungsrat und den anderen Personenverkehrsabteilungen im Konferenzraum zwei zusammenkamen. Dieser Raum sah von außen wie eine Besenkammer aus. Doch je mehr Leute ihn benutzten, desto weiter dehnten sich Wände und der Tisch aus. Jeder, der hereinkam fand einen gemütlichen Stuhl und Schreibzeug auf dem Tisch vor, ohne es selbst herbeizaubern zu müssen. Minister Didier saß bereits vor kopf des sich ständig vergrößernden Tisches. Ferdinand nahm seinen Platz neben Vestus Lumière ein. Dann sprach der Minister. Der Raum schluckte genug Schall, daß jeder den obersten Zauberer Frankreichs verstand, egal wo er am Tisch saß.

"Ich habe heute Mittag sehr schweren Herzens eine sehr schwere Entscheidung treffen müssen, nachdem Agenten des Unnennbaren, die sich mit Hilfe von Vielsaft-Trank ins Ministerium eingeschlichen haben, versucht haben, die Führung der Landfriedensabteilung zu ermorden und nebenbei noch alle Einzelheiten unserer Abwehrstrategie gegen die Dementoren zu erbeuten. Erstes mißlang, weil die Schutzzauber sie von direkten Angriffen abhalten konnten. Zweites gelang ihnen leider, und so wird der Feind in kürzester Zeit wissen, was wir gegen ihn aufbieten wollen. Um dies zu unterbinden mußte ich den Notfallplan Pax Patriae in Kraft setzen. Er gebietet, daß die Bewegungsfreiheit aller Zauberer und Hexen zunächst eingeschränkt wird, damit die Sicherheitsleute jeden einzelnen prüfen können, ob er ein Agent des Unnennbaren ist oder nicht. Fällt die Prüfung wie zu hoffen steht negativ aus, darf die Hexe oder der Zauberer sich unter dem Schutz des Ministeriums frei bewegen. Wenn jedoch jemand als unfreiwillig oder freiwillig mit dem Unnennbaren paktierend entlarvt wird, so darf diese Person keine Gelegenheit mehr haben, aus Frankreich zu entkommen oder in einem Akt ultimativer Stimmung irgendwas anrichten, daß unserer magischen Gemeinschaft Schaden zufügen kann oder sich in die nichtmagische Welt absetzen kann. Daher weise ich Sie alle an, ab sofort zu den bereits ausgeführten Dringlichkeitsmaßnahmen alle Mittel auszuschöpfen, um dringend verdächtige Subjekte an der Benutzung magischer Transportmittel zu hindern. Portschlüssel müssen umgehend geortet und verfolgt werden. Stellen sie fest, ob Sie Portschlüssel erzeugen können, die auf Kommando einem anderen Portschlüssel hinterherreisen können! Das Flohnetz muß lückenlos überwacht werden, um zweifelhafte Aktivitäten unmittelbar zu erkennen und gegebenenfalls zu unterbinden. Um durch Apparition flüchtende Agenten aufzuhalten benötigt die Abteilung Pétains eine Liste aller zugelassenen Apparatoren. Diese werden angehalten, jeden Ortswechsel vorher genehmigen zu lassen. Verstoßen Sie gegen diese Anweisung, so soll ihnen die Apparierzulassung entzogen und sie bei neuerlichem Apparieren wegen Ausübung nichtgenehmigter Zauber der Prozeß gemacht werden. Um diese Maßnahmen rund um die Uhr durchführen zu können werden Sie alle in Zwölf-Stunden-Schichten arbeiten, nicht wie bisher in Acht-Stunden-Schichten. Wer müde wird erhält einen ausreichenden Schluck Wachhaltetrank. Ich habe dies mit dem neuen Direktor der Delourdesklinik, Großheiler Moureau, abgestimmt. Zu den fünf Bereitschaftsheilern, die unser Ministerium betreuen werden wir noch zwei Zaubertrankbraumeister erhalten, die uns mit nötigen Elixieren und Tränken versorgen werden."

"Was ist denn mit Madame Eauvive passiert?" Fragte ein junger Mann aus dem Portschlüsselüberwachungsbüro.

"Dazu lesen Sie bitte meine Verlautbarung heute abend um acht Uhr in einer Sonderausgabe des Miroir Magique, Messieurdames. Nur so viel, sie hat die ihr zufallende Kompetenz in einem unverzeihlichen Maße überschätzt. Ob sie je wieder ein öffentliches Amt ausüben oder gar als Heilerin praktizieren darf wird sich in den nächsten Tagen erweisen", sagte der Minister. Dann befahl er noch, daß alle heute dienstfreien Mitarbeiter sich am Sonntag zu einer Sondersitzung hier einzufinden hatten, um die Einteilung der Überwachungen klar zu ordnen. Dann wandte sich der Minister noch an Ferdinand Latierre. Dieser fragte sich zwar, was Didier von ihm wollte. Er wußte nur, daß er jeden Befehl auszuführen hatte.

"Monsieur Latierre, da Ihr Wohnsitz ab heute Mittag ja nur von Trägern ihres Namens direkt per Apparition erreicht werden kann, habe ich eine Sonderaufgabe für Sie. Halten Sie sich nach dieser Konferenz bereit!" Ferdinand Latierre nickte. Dann ging es um die ersten Schritte, die bereits getroffen worden waren. Die Leute aus der Portschlüsselüberwachung bekamen Umschläge aus der Hand Didiers, über deren Inhalt sie nicht vor den anderen hier sprechen durften. Zumindest verließ die um die zwanzig Leute umfassende Truppe den Konferenzraum. Dann ging es um Möglichkeiten, einzelne Apparatoren zu orten. Didier verzog das Gesicht, als er hörte, daß es bis heute keine Möglichkeit gab, eine Apparition klar einem Apparator zuzuweisen, wenn dieser nicht durch einen Markierungszauber geortet werden konnte. Doch alle damit zu versehen wäre zu unübersichtlich. So nahm Didier die ursprüngliche Anweisung zurück und verlangte, daß Mitarbeiter der Landfriedensabteilung für alle außer sich selbst einsetzbaren Antidisapparierzauber mitführen sollten. Als er diese Unterabteilung ebenfalls mit den genaueren Instruktionen entlassen hatte sagte er noch zu jenen vom Flohregulierungsrat:

"Wegen der Bedrohungslage muß das Recht auf Privatheit aller Kontaktfeuergespräche bis auf weiteres ausgesetzt werden. Ich weise Sie an, bei Ihrer Überwachung genau nachzuvollziehen, wie lange jemand mit wem Kontaktfeuergespräche geführt hat. Falls es Ihnen möglich ist, in die laufenden Gespräche hineinzuhören, haben Sie hiermit meine eindeutige Erlaubnis und Anweisung, dies zu tun. Das wäre es vorerst für Ihre Gruppe, Monsieur Lumière. Apropos: ich möchte haben, daß alle Kamine in Millemerveilles, Beauxbatons und der des Geschichtsmuseums in der Rue de Camouflage nur noch mit speziellem Flohpulver verwendet werden dürfen. Prüfen Sie den Vorrat an Spezialpulver nach und stocken Sie den Vorrat auf! Das ist für heute alles!" Monsieur Lumière nickte. Dann verließen auch die Mitarbeiter des Flohregulierungsrates den Konferenzraum bis auf Ferdinand Latierre, dem ja befohlen worden war, hierzubleiben.

"Ihre Frau hat heute Mittag versucht, mit jemandem kontaktzufeuern. Als der Sicherheitstrupp in der Grenzstation sie befragen wollte hat sie sich schnell zurückgezogen und den Kamin versperrt. Bringen Sie unter allen Umständen in Erfahrung, mit wem sie sprechen wollte und worüber. Die gesetzlichen Beschränkungen sind für Sie in diesem Fall aufgehoben. Ich hoffe, sie wird uns unterstützen, wenn Pax Patriae im vollen Umfangin Kraft tritt. Bringen Sie ihr diesen Umschlag von mir! Es ist eine Einladung, die sie in Ihrer aller Interesse wahrnehmen möchte." Ferdinand nahm den sich harmlos anfühlenden Umschlag in seine Hände. Womöglich würde seine Frau ihm gleich das Feuer der Sonne unter dem Kessel anzünden, wenn er nach Hause kam. Aber er hatte seine Anweisung. Wenn sie ihm nicht sagen wollte, mit wem sie heute Mittag kontaktfeuern wollte, mußte er sie dazu zwingen, und sei es mit magischer oder körperlicher Gewalt.

Er verabschiedete sich vom Minister. Durch den freien Zugang zur Rue de Camouflage verließ er das Zaubereiministerium. Auf der Rue de Camouflage blickte er sich verdutzt um. Da wo das Haus seiner Stieftochter Hippolyte stand, wölbte sich eine bläulichweiße Lichtkuppel, in der zwischendurch goldene Schlieren aufzuckten. Das war ein Arrestdom, der Leute auf einem Grundstück festhalten sollte. Warum stand dieses Gebilde aus Zauberkraft um Hippolytes Haus? Diese Frage in seinem Kopf rüttelte ein wenig an seinem Vorhaben, seine Frau mit magischer Gewalt zu zwingen, ihm zu verraten, mit wem sie kontaktfeuern wollte. Doch dieses leichte Aufbegehren ebbte wieder ab, als er die großen Plakate sah, die an den Hauswänden angebracht waren. "Warnung! Das Ministerium warnt vor feindlichen Hexen und Zauberern, die im Auftrag dessen, der nicht beim Namen genannt werden darf handeln und unsere geliebte Zaubererwelt ins Chaos stürzen wollen. Halten Sie sich nicht länger als nötig auf der Straße auf! Verzichten Sie auf alle unnötigen Ausflüge ins Freie! Näheres entnehmen Sie bitte der Sonderausgabe des Miroir Magique heute abend!" Die Straße selbst war menschenleer. Nur aus der Ferne war das monotone Rauschen dieser Motorwagen zu hören, mit denen die Muggel durch Paris fuhren und von denen sich auch Albericus, sein Stiefschwiegersohn, so ein Gefährt zugelegt hatte. Vielleicht sollte er in Temmies Mondscheincafé, um zu sehen, ob noch wer da war. Doch nein, er hatte die Anweisung, unverzüglich nach Hause zu apparieren. So konzentrierte er sich auf die Landewiese vor dem Schloß. Dort konnten Träger des Familiennamens Latierre ungehindert apparieren. Innerhalb des Schlosses ging das nicht. Er warf sich in den Ortswechsel hinein und fühlte jenes mörderische Zusammenquetschen zwischen den Standorten. Als er dann auf der Landewiese ankam, und das große Tor vor sich sah, meinte er, sein Kopf würde platzen. Wilde, pochende Schmerzen wüteten unter seiner Schädeldecke, so daß er grelle Blitze vor den Augen zu sehen meinte und die Geräusche der Umgebung wie Nadelstiche in den Ohren fühlte. Unwillkürlich entfuhr ihm ein lauter Schmerzensschrei. irgendwas stimmte hier nicht. Unter dem von den Schmerzen erzeugtem Blitzgewitter und Funkenregen konnte er seine Stieftochter Béatrice erkennen, die von einem Stuhl aufsprang und zu ihm hinlief. Zehn Sekunden lang quälten ihn die Kopfschmerzen. Dann klangen sie ab, erst langsam, und dann mit einem Schlag. Keuchend fand er sich auf allen vieren wieder. Sein Blick klärte sich, und die Geräusche der Umgebung drangen sanft und harmlos in seine Ohren.

"Maman hat mich hier hinbestellt, wenn du hier ankommst, Papa. Sie hat gemeint, du könntest bei der Ankunft einen mörderischen Migräneanfall kriegen. Sie hatte wohl recht", sagte Béatrice und half ihrem Stiefvater auf die wackeligen Beine.

"Was habt ihr denn gemacht, daß ich so empfangen werde und ... Mist, der Imperius-Fluch. Ich verstehe", preßte Ferdinand zwischen heftigen Atemzügen heraus.

"Komm rein. Außer Millie sind alle aus der großen Familie bei uns untergekrochen", sagte Béatrice und führte den zweiten Mann ihrer Mutter in das Schloß.

"Ich müßte dir eigentlich links und rechts eine runterhauen und gleichzeitig noch mein Knie bei dir unten reinjagen", begrüßte ihn Ursuline. "Aber als du so gleichgültig klingend was von Anweisungen des Ministers gemelot hast ging mir auf, daß Janus oder einer seiner Handlanger dir den Imperius übergebraten hat. Hast du dir den deshalb gefallen lassen, weil du das wußtest, daß der Safu-Zauber den wieder ausbrennt?"

"Da habe ich nicht dran gedacht", seufzte Ferdinand Latierre, während Béatrice mit ihrem Zauberstab über seinen Kopf und seinen Brustkorb strich.

"Was solltest du denn machen, Ferdinand?" Fragte Ursuline.

"Alles, was Didier mir befiehlt, ob direkt oder per Schreiben."

"Du siehst, werte Schwester, daß Didier jetzt eindeutig vom wilden Wichtel gebissen ist", wandte sich Ursuline an ihre Schwester Cynthia.

"Der kann doch nicht einfach den Imperius-Fluch benutzen, wie er will", protestierte Charles Latierre.

"Charlie, der hat es aber getan. Und offenbar hat er mal eben befunden, daß alles geht, was seiner fanatischen Politik Erfolg bringt", knurrte Ursuline Latierre. "Jetzt ist auch klar, warum Antoinette ganz schnell unsichtbar werden mußte."

"Er hat was erzählt, sie sei nicht mehr die Directrice der Delourdes, sondern Moureau, weil sie ihre Kompetenzen überschätzt hat und wir das bitte genauer in der Zeitung heute abend lesen möchten", sagte Ferdinand, der froh war, wieder klar und frei denken zu können, nachdem ihm diese brutale Migräne auf der Landewiese die ihm aufgezwungene Anweisung aus seinem Kopf geschmettert hatte.

"Solange brauchte ich nicht zu warten", sagte Ursuline Latierre. Ich habe mit der guten Antoinette gemelot, weil sie fand, mir das direkt mitteilen zu müssen. Der Minister wollte oder will alle, die nicht nach seinem Zauberstab tanzen, wegsperren, und zwar ohne Zauberstäbe. Sie wollte ihn zusammen mit einigen guten Bekannten im Ministerium aufgreifen und gewaltsam absetzen. Aber dabei ist sie voll in eine Falle reingelaufen, die unbeherrschte Antoinette. Sie konnte sich gerade so noch in Nebelform absetzen. Sie haben versucht, sie zu verfolgen. Hat aber nicht geklappt. Weil ihr Schlößchen wie unseres hier mit dem Sanctuafugium-Zauber umschlossen ist, seitdem Sardonia versucht hat, alle wichtigen Familien entweder zu unterwerfen oder zu vernichten, können die da keine Arrestaura hochziehen wie um Hipps und Beris Haus. Da haben wir uns mal schön lange in Gedanken unterhalten."

"Besenfliegen geht noch", sagte Otto Latierre.

"Geh mal davon aus, daß die jetzt und vor allem unsere Prachtbauten mit fliegenden Patrouillen kontrollieren, wo sie mich nicht aus ihrem Fallenkamin rausziehen konnten", wandte Ursuline ein.

"Was soll das sein, ein Friedenslager? Ist das ein neues Gefängnis?" Wollte Ferdinand wissen. Seine Frau bestand jedoch darauf, daß er sich erst einmal hinsetzte. Sie sah den Umschlag aus seinem Umhang lugen und holte ihn mit dem Aufrufezauber zu sich. Béatrice prüfte ihn auf schlummernde Flüche, fand aber keinen.

"Zumindest erinnert sich dein Onkel dran, daß der Safu-Zauber Objekt- und Fernflüche blockiert. Wäre ihm das mit dem Imperius-Fluch auch noch geläufig gewesen hätte er Ferdinand nicht zu uns zurückkommen lassen", sagte Ursuline Latierre. Béatrice traute dem Braten jedoch noch nicht und zog sich dicke Drachenhauthandschuhe an, bevor sie den Umschlag öffnete und ein Stück Pergament zwischen den Fingern rieb und diese dann betrachtete.

"So ganz blöd ist er nicht, Maman. In der Tinte ist irgendwas drin, das anständige Schreiber nicht reintun. Ich mach mal eben eine Toxizitätsbestimmung." Mit einem Apportierzauber holte sie eine Kiste und einen kleinen Kessel herbei und schabte noch mehr von dem, was sie an ihrem Handschuh hatte vom Pergament. Nach nur zwanzig Minuten blickte sie sehr verdrossen ihre Mutter und die anderen Verwandten an.

"Dieser kleine, miese Sohn einer Sabberhexe hat doch tatsächlich zu Pulver getrockneten Starrkrampftrank auf das Pergament gestreut. Die Konzentration hätte ausgereicht, über bloßen Hautkontakt deine Hände, Arme und den ganzen Rest schmerzhaft verkrampfen zu lassen, wohl innerhalb der nächsten zwei Tage. Das kann der Safu-Zauber nicht abfangen. Ich mach diese Falle unschädlich."

"Was steht denn in dem Brief, Trice?" Fragte Hippolyte Latierre nun sichtlich erzürnt. Die familieneigene Heilerin hielt ihren Zauberstab über das gerade auf einem silbernen Tablett liegende Pergament und murmelte "Scriptum audietur!" Nach einem kurzen wie Schlucken klingendem Ton erklang Janus Didiers Stimme:

"Sehr geehrte Madame Latierre, ich erfuhr heute nachmittag, daß Sie ziemlich erbost waren, weil das Ministerium gezwungen war, Ihren Kamin vorübergehend neu zu verbinden. Eigentlich wollte ich mit Ihnen wie Madame Eauvive in der gebotenen Ruhe darüber sprechen, daß sich neue Tatsachen ergeben haben, die mich sehr beunruhigen. Demnach ist geplant, daß ausländische Hexen und Zauberer als Flüchtlinge getarnt nach Frankreich einreisen, um dort in Wahrheit das von den Dementoren ausgelöste Chaos auszunutzen, um im Auftrag jenes Zauberers - Sie wissen natürlich wen ich meine - die magische Gemeinschaft in Frankreich zu unterwerfen. Leider gebietet es die Notlage, daß ich dies nicht mit einem schlichten "Weiter wie bisher" beantworten kann. Daher werde ich in den nächsten Stunden und Tagen oberflächlich sehr skrupellos erscheinende Maßnahmen umsetzen, um diese Agenten jenes Zauberers, dessen Namen wir beide ja kennen, an ihrem Tun zu hindern. Nun mußte ich heute mittag feststellen, daß einer dieser Agenten wohl bereits in Besitz von Körperfragmenten Ihnen bekannter und nach meinem Wissen hochgeschätzter und geliebter Personen gelangt sein muß. Denn anders läßt es sich nicht erklären, wie eine angebliche Muggelfrau wie Madame Martha Andrews, es mit einem versierten Zauberer aufnehmen und ihn besiegen konnte. Das gleiche gilt für Madame Brickston, die ich zu einer imformellen Unterredung im Rahmen der gegenwärtigen Bedrohung eingeladen habe. Im Grunde kann ich vom Glück sprechen, daß ich die beiden Subjekte wider meine ursprüngliche Absicht nicht höchstpersönlich empfangen habe. Da wir davon ausgehen müssen, daß die für dieses Täuschungsmanöver herangezogenen Personen irgendwann in einer ihnen vertrauten Umgebung Haare oder Fingernägel hinterlassen haben können, müssen wir alle Angehörigen von Martha Andrews und Catherine Brickston prüfen. Leider erwies sich Ihre Tochter Hippolyte als höchst unkooperativ, als meine Mitarbeiter sie diesbezüglich befragen wollten. Sie floh in Ihre Obhut. Ich gehe davon aus, Ihnen liegt immer noch sehr viel an einer sicheren und unabhängigen Zaubererwelt. So möchte ich Sie eindringlichst bitten, sich mit Ihrer Tochter Hippolyte und den Mitbewohnern ihres Hauses spätestens Montag im Ministerium einzufinden und diese leidige Affäre lückenlos aufzuklären. Um das Haus Ihrer Tochter in der Rue de Camouflage vor weiteren unerwünschten Zugriffen zu sichern haben meine Mitarbeiter es unter einem Arrestdom verborgen. Wir sind durchaus willens, Sie und Ihre Familie von jedem Verdacht zu befreien, wenn Sie sich bereiterklären, sich mit Monsieur Pétain und mir am Montag auszusprechen. Außerdem erwarte ich von Ihnen ein gewisses Maß an Loyalität, was die Bekämpfung der derzeitigen Bedrohung angeht. Daher würde ich mich sehr freuen, wenn Sie sich in einem Interview mit dem Miroir Magique in aller Öffentlichkeit dazu bekennen, alle nötigen Schritte zu unterstützen, die wir vom Zaubereiministerium einleiten müssen. Ihr Wort hat viel Gewicht, und ich hoffe sehr, daß Sie sich trotz der Ihrer Ahnenlinie zugeschriebenen Heißblütigkeit nicht zu solchen unvernünftigen Aktionen versteigen, wie Sie Ihre Nachbarin Eauvive versucht hat. Ich muß davon ausgehen, daß sie bereits von den Helfershelfern nicht näher zu erwähnendem Zauberers hat gewinnen lassen. Wenn Sie noch nicht zu ihm übergetreten sind werden Sie meine Einladung annehmen. Falls nicht, muß ich befürchten, daß Sie und Ihre Familie die Sicherheit unserer Gemeinschaft bedrohen und entsprechende Schritte einleiten. Das dürfte sie dann als Helfershelferin des nicht zu nennenden Zauberers wertlos machen. Die Konsequenzen müssen Sie dann höchst selbst tragen. Bitte kommen Sie zu uns! Mit freundlichen Grüßen Janus Didier, Zaubereiminister."

"Gilbert, wie war das noch mal mit dem Miroir? Warum solltet ihr alle jetzt im Ministerium wohnen?" Wollte Ursuline Latierre wissen, nachdem Didiers magisch heraufbeschworene Stimme verstummt war.

"Weil der neue Minister angeblich Hinweise hat, daß bereits Agenten vom Unnennbaren in verschiedenen öffentlichen Sachen drinstecken", sagte Gilbert Latierre. "Ich habe ihm da nur gesagt, daß ich nicht aus meiner eigenen Wohnung ausziehe. Am Montag will er meine endgültige Antwort haben."

"Soso, will er das?" Schnaubte Ursuline Latierre. Dann wetterte sie noch: "Abgesehen davon, was Trice auf dem Pergament gefunden hat ist dieser Lügenbold, den ich mitgeheiratet habe so dreist, Hippolyte verhaften lassen zu wollen, bevor diese angeblichen Vielsaft-Trinker ihm den Tag versaut haben. Dann will er noch behaupten, im Sanctuafugium-Zauber würde mich irgendein Handlanger von Ihr-wißt-schon-wem kleinkriegen. Und zum guten Schluß soll ich dann noch brav aussagen, daß alles was er anleiert richtig sei. Und er geht sogar noch davon aus, daß Antoinette Eauvive und ich kein Wort oder einen Gedankensplitter wechseln würden, daß ich nicht schon längst rausbekommen hätte, was ihr passiert ist. Die gerüchte stimmen also, daß Roland ihm bei allen Prüfungen geholfen hat, und der keinen einzigen selbstgeschriebenen Aufsatz fertigkriegen konnte. Kann es denn wirklich sein, daß in ein und derselben Familie so weit auseinandergehende Anlagen vererbt werden?"

"Der war doch bei den Violetten, Line", wandte Cynthia Latierre ein. "Wie ist der in den Saal reingerutscht, wo die alle auf überragende Klugheit stolz sind?"

"Vielleicht, weil der Teppich seinen maßlosen Übereifer höher bewertet hat als den nötigen Grips", vermutete Ursuline. Dann sagte sie zu Béatrice: "Mach diesen Schmierzettel weg, Trice!" Diese nickte und verwandelte das Pergament in ein kleines Stück Holz, das sie gefahrlos abbrennen ließ. Dann beharkte sie das Tablett mit fünf Säuberungszaubern hintereinander, prüfte auf Rückstände des pulverisierten Trankes und befand, keine Vergiftung mehr damit zu riskieren.

"Da bin ich ja mal gespannt, was die Kollegen heute abend so abliefern", meinte Gilbert Latierre und strich sich durch das auf knapp fünf Millimeter kurzgeschorene, rotblonde Haar.

"Millie sagte mal sowas, daß die bei den Muggeln sagen, jemand lügt wie gedruckt, weil das meiste was in deren Zeitungen steht erstunken und erlogen sein soll", sagte Martine und zwinkerte dem Cousin ihrer Mutter zu.

"Offenbar gibt's doch noch was, wo uns die Muggel voraussind", knurrte Gilbert.

__________

Millie bat am späten Nachmittag um eine Versammlung der Pflegehelfer. Madame Rossignol genehmigte das, als sie erfuhr, weswegen Millie diese Besprechung erbat.

"Ich habe gerade durch einen Bilderboten, der mich mit meinen Eltern und Großeltern verbindet erfahren, daß meine Oma Ursuline einen Brief bekommen hat, der mit einem pulverisierten Starrkrampftrank bestrichen war. Offenbar wollte er jemand, der den Brief geschrieben hat erreichen, daß sie langsam Schmerzen kriegt und denkt, jemand hätte es geschafft, sie zu verfluchen. Der Typ muß ziemlich beschränkt gewesen sein, daß er nicht wußte, daß alle Flüche im Sanctuafugium-Zauber um das Stammschloß meiner Großeltern mütterlicherseits abgefangen werden und nicht damit gerechnet haben, daß meine Tante Béatrice nicht ganz zufällig da war, um sowas vorher schon zu finden."

"Von wem war denn der Brief, Millie?" Fragte Julius.

"Angeblich von dem Herren, den Madame Maxime nicht mehr Minister nennen möchte", erwiderte Mildrid behutsam. Madame Rossignol rümpfte die Nase und fragte, ob das sicher sei. Millie sah sie aufrichtig an und sagte, daß ihre Tante den Scriptum-Audietur-Zauber benutzt hätte, um den Brief wie vom Schreiber selbst vorlesen zu lassen, und es sei Janus Didiers Stimme gewesen, hätten ihre Großeltern und ihre Großtanten bestätigt.

"Meine Vorgängerin hier hat Janus Didier kennengelernt, als der in Beauxbatons war. Er kam mit Zaubertränken und Kräutern sehr gut zurecht, hatte aber massive Probleme mit Verteidigungs- und Verwandlungszaubern. Sie hatte ihn öfter hier zur Behandlung. Sein vier Jahre älterer Bruder Roland brachte ihn immer wieder zu ihr, weil er meinte, sich mit anderen duellieren zu müssen. Seine Saalvorsteherin, Professeur Tourrecandide, hat ihm dann geraten, nach den ZAGs keine Protektion gegen destruktive Formen der Magie zu belegen. Er hat dann Geschichte der Zauberei, Studium der nichtmagischen Welt und alte Runen neben Zauberkunst, Kräuterkunde und Zaubertränken belegt und das ohne gleichen, soweit ich orientiert bin." Die gemalte Serena Delourdes nickte, bevor sie der neben ihr sitzenden Viviane Eauvive zunickte, worauf diese sich lautlos aus dem Bild davonstahl.

"Mit anderen Worten, der hat keinen rechten Dunst davon, wie Flüche gehen und blockiert werden", wandte Julius ein. Madame Rossignol nickte. "Dann erklärt sich, warum er so eine Heidenangst wegen der Dementoren hat. Dann kann der bestimmt keinen Patronus, und er weiß nicht, was Lord Unnennbar so alles anstellen kann, und vor allem, was vielleicht dagegen gemacht werden kann."

"Diese These hat Madame Eauvive von der Delourdesklinik auch schon geäußert", sagte die Heilerin von Beauxbatons. "Aber das kann und darf nicht rechtfertigen, daß er Briefe mit pulverisierten Tränken verschickt, die bei Hautkontakt ihre Wirkung entfalten."

"Der kann meine Oma eh nicht leiden, weil sein supertoller Bruder, mein Opa Roland, sich mit der eingelassen hat", sagte Millie. "Deshalb könnte ich den supergut ärgern, wenn ich einen Brief an ihn schreibe, und den mit "Hallo, lieber Großonkel" anfange." Die beiden Jungen grinsten, während Patrice und Gerlinde kicherten, Sandrine und Josephine verstohlen umherblickten und Belisama, Deborah und Carmen sich bemühten, keine Reaktion zu zeigen.

"Nun, unabhängig davon spricht dann wohl vieles dafür, daß Madame Maxime in ihrer Ansprache weder übertrieben noch gelogen hat", grummelte Madame Rossignol.

"Heißt das jetzt, daß wir alle Briefe mit Handschuhen anfassen müssen, die wir kriegen?" Fragte Sandrine Dumas besorgt. Julius nickte vorsichtig.

"Erst einmal warten wir die von Madame Maxime geforderte Frist ab. Falls er es wirklich wagt, die Maßnahmen zu verkünden, von denen Madame Maxime gesprochen hat, werde ich für einen einvernehmlichen Briefkontrolldienst in Beauxbatons plädieren, solange die Krise andauert. Immerhin könnten ja auch Flüche mit der Post zugestellt werden." Julius erzählte noch einmal, was in Hogwarts passiert war, als Hermine Granger jede Menge Haßpost bekommen hatte, als Rita Kimmkorn über sie geschrieben hatte, sie sei hinter berühmten Zauberern her.

"Also ich glaube es erst, was Madame Maxime sagt, wenn das in der Zeitung steht", erwiderte Josephine Marat. Dann sah sie Millie an und meinte: "Außerdem könnte deine runde Oma dich bewußt angelogen haben, weil sie will, daß du was gegen Minister Didier hast."

"Da muß die mir erst nicht so'ne heftige Sache erzählen", knurrte Millie. Viele andere stimmten ihr zu. Sandrine meinte dann noch:

"Sicher ist nur, daß er, egal ob das so stimmt, wie Madame Maxime das erzählt hat, mehr Angst macht als die Dementoren und dann alle Leute dazu kriegen kann, zu machen, was er sagt." Dem stimmten ausnahmslos alle zu.

"Millie, ich informiere Madame Maxime, daß wir beim Öffnen von Briefen in der Zukunft gut aufpassen müssen. Darf ich ihr erklären, woher ich das weiß?"

"Meine Oma hat mir das erzählt, um alle zu warnen. Und meine Tante Béatrice würde wohl ziemlichen Ärger machen, wenn das nicht rumgeht", erwiderte Millie. Dann war die spontane Pflegehelferkonferenz beendet. Julius wartete zusammen mit Millie und Sandrine darauf, daß Viviane Eauvives Bild zurückkehrte. Sandrine hatte schon erfahren, daß Julius' Mutter in Millemerveilles angekommen war. "Ich habe die Warnung deiner Großeltern weitergegeben, Mildrid. Catherine Brickston besorgt bei der ortsansässigen Apotheke diverse Prüf- und Gegenmittel, falls Minister Didier meint, sie dort mit schädlichen Substanzen behelligen zu müssen."

"Bleibt deine Mutter jetzt bei Catherine in Professeur Faucons Haus?" Fragte Sandrine.

"Hängt davon ab, wielange sie den Muggelabwehr-Hemmtrank schlucken kann", erwiderte Julius. "Wieso?"

"Öhm, weil die sich gerne mit meiner Mutter unterhalten kann, ob sie nicht für die kleinen was machen kann. Die kennt sich doch mit dem Rechnen aus. Ist ja nicht so ganz unpraktisch."

"Im Zweifelsfall holt Oma Line deine Mutter mit unserer Wunderkuh ins Sonnenblumenschloß rüber", sagte Millie. "Da kann die bestimmt auch was machen."

"Bei uns ist sie eindeutig freier als bei euch, Millie", erwiderte Sandrine verstimmt. "Sie bekäme was zu tun, kennt genug Leute zum reden und könnte da was hinkriegen, daß sie nicht nur als Flüchtling sondern Mitbewohnerin gilt. Madame Dusoleil und Madame Delamontagne kriegen das bestimmt hin, daß sie lieber da bleibt als in euer komisches Schloß einzuziehen.

"Mädchen, ich habe mich gut daran gewöhnt, mit dir gut auszukommen", schnarrte Millie. Julius sah Madame Rossignol an und dann die beiden. "Millie, Sandrine, das bringt jetzt echt nichts, sich drum zu zanken, bei wem meine Mutter wohnt. Die kriegt das nämlich nicht so einfach mit und würde sich auch nicht davon beeindrucken lassen, wenn sie findet, im Château Tournesol zu wohnen oder dann doch lieber jeden Tag den Muggelabwehr-Hemmtrank zu schlucken. Deshalb seid bitte friedlich zueinander!"

"Die war noch nie bei Oma Line im Château. Die kann doch nicht sagen, das sei ein komisches Schloß", blieb Millie hartnäckig.

"War ich doch. Aber da war ich noch nicht geboren. Meine Eltern waren doch bei dieser Neujahrsfeier, die deine Oma ausgerichtet hat von einundachtzig auf zweiundachtzig", grummelte Sandrine, bevor sie Julius etwas freundlicher ansah und sagte: "In Ordnung, das reicht ja nicht als eigenes Erlebnis aus. Meine Mutter meinte nur, daß da viel Komfort- und Luxuszeug drin sei und sie sich da nicht so wohl gefühlt hätte. Könnte sein, daß mir da auch speiübel war. Ich nehme das mit dem komischen Schloß zurück, Millie und Julius."

"Angenommen", erwiderte Millie leicht verdrossen, mußte dann aber lächeln. "Dann haben wir ja da doch mal zwei Stunden nebeneinandergelegen. An dieses Neujahrsfest hat meine Ma noch schöne Erinnerungen, obwohl ich da auch schon unterwegs war."

"Also, die jungen Damen, wie Julius sagt wird seine Mutter befinden, was für sie der bessere Wohnort ist, wo sie sich auch einbringen kann und nicht nur umsorgt und behütet wird. Meine Kollegin vor Ort wird sie wohl ausreichend mit dem Widerstandstrank gegen die Abwehr nichtmagischer Eindringlinge versorgen, bin ich sehr überzeugt", erwiderte Madame Rossignol. Julius und Sandrine nickten eifrig. Dann verließen sie das Sprechzimmer der Heilerin wieder.

Gaston fing Julius im Trakt der Jungen ab, als er gerade Richtung Waschraum unterwegs war. "Wenn dieses Zeug von der Maxime echt stimmen soll müßte deine Mutter ja auch was davon mitkriegen, wenn die hinter Königin Blanches Tochter herjagen, weil sie so ganz gefährliche Geheimnisse geklaut hat. Hast du da keine Angst?"

"Ich weiß ja, wo meine Mutter gerade ist und daß sie da keine Angst haben muß. Also habe ich auch keine", erwiderte Julius ruhig.

"Ach, und wo ist die?" Wollte Gaston wissen.

"Drei Versuche hast du, Gaston", erwiderte Julius darauf. Da kam Giscard aus dem Aufenthaltsraum.

"Tja, da die von Millie mitgeheiratet wurde könnte die bei deren Oma in diesem Sonnenblumenschloß sein, wo sich Catherine Brickston und Bines und Sans Eltern neu haben auffüllen lassen. Vielleicht läuft da noch wer rum, der sie rund macht."

"Gaston, was wird das jetzt?" Fragte Giscard. Gaston wollte schon "Misch dich nicht ein" sagen, erkannte aber früh genug, wen er da vor sich hatte. Julius konterte derweil:

"Ich glaube, ich sollte dich mal zu Madame Rossignol bringen. Könnte sein, daß Hercules' komische Anwandlungen jetzt bei dir ausgebrochen sind. Falls nicht, denk bitte drüber nach, was du sagen willst, wie es rüberkommen soll und ob du das so haben willst!"

"Ich wollte nur wissen, wo deine Mutter sich dann hinverzieht, wenn das Zeug stimmt, was die Maxime ..."

"Das sind mal eben zehn Strafpunkte wegen respektloser Äußerung gegen die Schulleiterin, Gaston und noch mal zehn wegen ungebührlichem Verhalten gegenüber einem stellvertretenden Saalsprecher, weil du seine Mutter beleidigt hast", sagte Giscard ruhig und ging weiter. Offenbar wollte er jetzt, wo er die Keule geschwungen hatte, daß Julius und Gaston miteinander zurechtkamen. Gaston hatte offenbar Julius' Anspielung auf Hercules' Natur schwerer schlucken müssen als die zwanzig Strafpunkte von Giscard. Er sagte: "Ich habe keine Sabberhexe in der Ahnenreihe. Und was deine Mutter angeht, so ist die als Muggelfrau ziemlich aufgeschmissen, wenn die sich vor Leuten aus dem Ministerium verstecken muß. Aber so wie du aussiehst ist die jetzt echt irgendwo, wo keiner an sie rankommt. Dann hoff mal besser, daß unsere hochrespektable Schulleiterin uns doch einen vom selbstzaubernden Zauberstab erzählt hat!"

"Gaston, ich lege es nicht darauf an, mit dir oder sonst wem hier krach zu kriegen. Schon gar nicht, wenn stimmt, was Madame Maxime uns erzählt hat. Dann können wir nämlich alle froh sein, wenn unsere Eltern noch frei atmen dürfen. Und wir können uns fragen, ob die Beauxbatons zumachen und uns alle in irgendwelche Aufbewahrungslager reinschicken oder wir hier weiterlernen können, ohne jemanden wie die Carrows oder Snape ertragen zu müssen. Wir haben es hier echt noch gut. Wenn du das kapierst hast du echt was gelernt hier. Also sollten wir mit diesem unsinnigen Angepampe und diesen Sticheleien aufhören und mal anfangen, erwachsen zu werden. Vielleicht müssen wir das früher sein als uns lieb ist."

"Mußt du ja sagen, weil du ja schon für achtzehn durchgehst und mit Millie bestimmt schon ganz ganz nahe zusammen warst, wo die euch ja wegen irgendwelcher Sondersachen schon verheiraten konnten oder mußten."

"Wir mußten nicht. Oder hast du gesehen, daß Millie was kleines mit sich rumträgt?" Erwiderte Julius schlagfertig. Gaston erkannte, daß seine ganzen Sprüche ihm wie unkontrolliert geworfene Bumerangs um die eigenen Ohren flogen. Und Julius legte noch nach: "Abgesehen davon macht Sex, also das, was du meinst, nicht automatisch erwachsen. Sonst wäre Constance Dornier ja mit ihrem ungeborenen Kind ganz groß geworden und hätte nicht so rumgequängelt." Gaston sah ihn etwas verdattert an, weil ihm keine passende Antwort einfiel. Denn Julius hatte nicht gesagt, ob oder ob er es nicht mit Millie getan hatte. Er schob ab.

Beim Abendessen sahen sie alle immer wieder zum Lehrertisch hinüber. Madame Maxime und die Saalvorsteher diskutierten leise miteinander. Julius dachte an Linda Knowles, die Reporterhexe, die durch einen Unfall beide Ohren verloren hatte und als Entschädigung magische Superohren bekommen hatte. Mit denen hätte er jetzt problemlos hören können, was die Schulleiterin, sowie die sechs Saalvorsteher miteinander besprachen. Die Neugier und die Sorge um die Zukunft von Beauxbatons und die restliche Zauberergemeinschaft erzeugten in ihm den Wunsch, nur einmal mithören zu können, was an dem einzigen viereckigen Tisch im Speisesaal beredet wurde. Doch dieser Wunsch war wohl zu stark, um einfach so in Erfüllung zu gehen. Und Julius fragte sich auch, ob das wirklich so gut wäre, wenn er sich erfüllen würde. So sah er wie die anderen nur zu, wie die Lehrer sich angeregt und gestenreich unterhielten. Vielleicht, so dachte er, würde Madame Maxime schon bald eine Saalsprecherkonferenz einberufen, ähnlich wie Madame Rossignol die Pflegehelfer außerhalb der allsonntäglichen Konferenzen zusammengerufen hatte.

"Madame Maxime will wohl schon rausfinden, wer ihren großen Stuhl kriegt, wenn Minister Didier sie wegen ihrer Vorwürfe aus Beaux raushaben will", meinte André Deckers. Gaston Perignon erwiderte nur, daß morgen Abend wohl schon wer anderes den Platz des Schulleiters einnehmen würde. Julius überlegte, ob er dafür schon Strafpunkte aussprechen sollte, befand jedoch, daß er das mal eben nicht gehört hatte, weil es ja keine Respektlosigkeit war, sondern durchaus eine berechtigte Frage sein mochte. Wie würde Didier reagieren, wenn er rausbekam, daß seine schönen Pläne viel zu früh gleich so viele Mitwisser gefunden hatten? Er dachte an seine Mutter und daß Millie und Sandrine sich fast um sie gezankt hätten. Sollte er das nicht an und für sich schön finden, daß es genug Hexen und Zauberer gab, die sie gerne bei sich wohnen haben würden.

"Was macht ihr heute abend, wandte sich Gérard Laplace an Julius.

"Ich werde mit Millie zu Goldschweif gehen und sie beruhigen. Die bekommt das doch mit, wie aufgeregt hier alle sind", antwortete der Angesprochene.

"Ich hörte, ihr Pflegehelfer hättet heute nachmittag 'ne Sondersitzung gehabt. Ging das um das was Madame Maxime rausgelassen hat?"

"Ja, ging es, vor allem darum, ob wenn das stimmt wir aufpassen müssen, ob uns nicht wer verfluchte oder mit Hautkontaktgift versetzte Post schickt. Du hast das ja mitgekriegt, daß mir wer aus England wieder sowas schicken wollte."

"Schon ein fieser Gedanke, daß ein harmlos aussehender Umschlag dich umbringen kann", seufzte Robert dazu. "Aber wir können ja nicht alle mit Drachenhauthandschuhen zum Frühstück kommen wie Königin Blanche."

"Wenn es überlebenswichtig ist können wir das schon, Robert", widersprach Julius. "Wenn Madame Maxime und/oder Madame Rossignol das klar ansagen, daß wir auf sowas gefaßt sein müssen, dann können wir das schon."

"Und wenn rauskommt, daß das, was Madame Maxime erzählt hat doch nicht stimmt?" Fragte Gaston, der offenbar einen unerklärlichen Bedarf hatte, Julius herauszufordern.

"Hast ja gehört, was sie in dem Fall machen will", sagte Julius ruhig. "Und falls sie wegen dem, was sie gesagt hat entlassen wird wird Professeur Faucon die neue Schulleiterin. Na, freut dich diese Vorstellung?"

"Ganz blöde Frage", schnarrte Gaston. Julius sah ihn lauernd an, wollte Gaston wirklich noch ein paar Strafpunkte zum Abendessen schlucken? Gaston schwieg. Also wollte er wohl nicht.

Trotz der straff angespannten Stimmung verlief das Essen im Sinne von Nahrungsaufnahme wie üblich. Da Wochenende war, saßen die Schüler und Lehrer nicht bis halb acht, sondern bis acht Uhr an den Tischen und genossen, was die immer arbeitswilligen Hauselfen tief in den Untergeschossen des Palastes mit Magie und Ideenreichtum zusammengerührt und gebraten hatten. Es schien so, als wenn sie hier alle einer erhabenen Feier beiwohnten. Dieser Eindruck verging sofort, als mehrere Dutzend Eulen mit den Schnäbeln gegen die geschlossenen Fenster trommelten. Madame Maxime blickte hinaus und winkte den Fenstern dann mit dem Zauberstab. Klappernd flogen alle großen Fenster auf. Ein Schwarm von Zeitungseulen flog im hohen Tempo herein und verteilte sich über alle Tische. Jeder der den Miroir Magique bezog wurde angesteuert. Julius dachte Professeur Faucons lateinischen Satz, wenn etwas erwartetes tatsächlich eintraf: Quod erat expectandum.

"Gleich werden wir's wissen", grummelte Robert, als er seine Ausgabe entgegengenommen hatte. Julius nickte und faltete sein Exemplar der Sonderausgabe auseinander. Sie war nur halb so dick wie die übliche Morgenausgabe und trug auf der ersten Seite die beinahe handgroßen Buchstaben

EXTRABLATT

Darunter standen die zwei Schlagzeilen:

FRANKREICHS ZAUBERERGEMEINSCHAFT IN GEFAHR

ÜBERFALL AUF SICHERHEITSABTEILUNG ZWINGT MINISTER ZU EINSCHNEIDENDEN MAßNAHMEN

Julius sah das Foto unter den Schlagzeilen, daß den amtierenden Minister in einer entschlossenen, kampfbereiten Haltung zeigte. Didiers Augen fixierten Julius, als wollten sie ihn hypnotisieren oder legilimentieren. Er wußte jedoch, daß Zaubererfotos nur die Momentaufnahme einer Person in Bild und Stimmungslage waren. Aber er empfand schon sowas wie Abscheu, die von dem Foto auf ihn ausstrahlte. Doch anders als die gemalten Ausgaben einer Person konnten Fotos nur sehr eingeschränkte Handlungen ausführen. So las er den Anlaß und Aufmacher der Sonderausgabe.

In den späten Morgenstunden versuchten Helfer des Zauberers, der nicht beim Namen genannt werden darf, Sébastian Pétain, den Leiter der neu eingerichteten Abteilung für magischen Landfrieden, sowie seinen Stellvertreter François Marat zu entführen oder zu töten. Sie nutzten aus, daß an diesem Morgen die bisher so hochangesehene Expertin für Zaubereigeschichte und dunkle Hinterlassenschaften, Catherine Brickston, sowie die bei dieser wohnhafte Muggelfrau Martha Andrews zu einer Befragung wegen der häufig um ihren Wohnsitz auftretenden Dementoren vorgeladen wurden. "Offenbar", so Monsieur Pétain, "haben wir damit ein paar hungriger und hinterlistiger Füchsinnen in unseren gut gesicherten Hühnerstall eingelassen. Es stellte sich nämlich heraus, daß es sich bei der erwähnten Martha Andrews nicht um eine Muggelfrau, sondern eine Hexe handelte, die nach einer geraumen Zeit, in der sie ihre Rolle spielen konnte, mit Fragen konfrontiert wurde, auf die sie nur widersprüchliche Antworten gab. Als sie das bemerkte, griff sie Pétain mit einem ins Büro geschmuggelten Zauberstab an und duellierte sich mit diesem. "Ich dachte erst, nicht richtig zu sehen", so Pétain. "Da zieht diese Frau einfach einen Zauberstab heraus und greift mich an. Ich mußte mich sofort wehren und hielt sie einige Zeit lang auf Abstand." Weil sie nicht siegen konnte, griff sie zu einem heimtückischen Trick. Sie setzte ein Betäubungsgas frei, gegen dessen Wirkung sie offenbar durch ein vorbeugendes Antidot geschützt war. Doch es gelang nicht, Monsieur Pétain zu entführen, weil sein ohnmächtiger Körper einen Rückhaltezauber auslöste, dem die getarnte Helferin des Unnennbaren beinahe selbst anheimfiel. Irgendwie jedoch vermochte sie der Festnahme zu entrinnen. Zeitgleich versuchte Catherine Brickston, Monsieur Marat mit dem Imperius-Fluch zu unterwerfen. Dieser widerstand jedoch und versuchte seinerseits, die offenbarte Gegnerin zu überwältigen. Dabei kam es zu einem kurzen Duell, bei dem Catherine Brickston beinahe unterlag. Doch auch sie setzte ein tückisches Gas frei und versuchte, Marat zu entführen. Als auch sie mit ihm in den Rückhaltezauber geriet schaffte sie es knapp, ihn zu brechen und durch einen Notausgang des Ministeriums, den nur dort arbeitende Beamte und Angestellte erkennen und benutzen können, unangefochten zu entkommen. Das Ministerium wurde daraufhin für alle nicht unmittelbar dort anwesenden verriegelt. Die innere Schutztruppe erhielt die Anweisung, jeden heute nicht dort dienst tuenden Angestellten in einen Warteraum zu befehlen, um ihn oder sie dort mehr als eine Stunde festzuhalten, um sicherzustellen, daß es kein durch den hochpotenten Vielsaft-Trank verwandelter Eindringling ist. Wie genau die beiden Angreifer entrinnen konnten wollte uns der Leiter der Sicherheitszentrale nicht verraten. Er wandte nur ein, daß diese Methode sträflich unterschätzt worden sei und entsprechende Gegenmaßnahmen getroffen würden. Minister Didier und die Abteilungsleiter für inneren und äußeren Frieden kamen kurz nach dem heimtückischen Anschlag auf unseren Frieden und unsere Unabhängigkeit zusammen, um sofort wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Jene, die zum Wissen für die Öffentlichkeit bestimmt sind, erläuterte der Zaubereiminister in einem Gespräch mit unserem Reporter Brian Dimanche, nachzulesen auf den Seiten drei und folgende. Der Versuch, Catherine Brickston und ihre Helferin umgehend dingfest zu machen scheiterte daran, daß die beiden sich mit unbekanntem Ziel abgesetzt haben. Pétain äußerte sich nach dem hinterhältigen Angriff dahingehend, daß er davon ausgehen müsse, daß die eigentliche Muggelfrau Martha Andrews zum Zeitpunkt des Angriffs ihren Daseinszweck erfüllt habe und wohl tot und durch Zauberei unauffindbar verschwunden sei. Sollte sich eine weibliche Person mit diesem Namen weiterhin in der magischen Öffentlichkeit bewegen, so ist sie ohne Vorwarnung mit dem Schockzauber zu betäuben und dem Ministerium zu übergeben. Die Sicherheitsbehörden der nichtmagischen Welt wurden davon in Kenntnis gesetzt, daß sie diese Person in ihrem Zuständigkeitsbereich suchen und verhaften sollen. Hierfür wurden drei Mitarbeiter Pétains zur Sicherheit für die Muggelordnungshüter abgestellt, die im Schutz von Tarnzaubern jeden magischen Gegenwehrversuch der Betrügerin unterbinden sollen. Ob es sich bei Catherine Brickston um eine zweite Betrügerin handelt oder es die echte Hexe ist, kann nur geklärt werden, wenn sie sich dem Ministerium stellt und die aufgeworfenen Fragen zur vollsten Zufriedenheit beantwortet, so Monsieur Pétain. Das vollständige Interview mit ihm lesen Sie bitte auf den Seiten zwei und fünf! Als sofortige Maßnahmen zur Schadensbegrenzung wurden die Mitglieder des Flohregulierungsrates angehalten, sämtliche Kamine zu überwachen, die von Catherine Brickston oder ihrer Doppelgängerin zur Flucht oder zur Absprache mit weiteren Infiltrateuren benutzt werden können. Sollte sie sich nicht im Laufe von vierundzwanzig Stunden stellen, bestenfalls mit der Person, die als Martha Andrews ins Ministerium Einlaß fand, so gelten sie beide als in der Zaubererwelt unerwünschte Personen ohne Rechte und Ansprüche. In dem Zusammenhang ist zu erwähnen, daß Professeur Tourrecandide verschwunden ist. Nachbarn wollen gesehen haben, wie fünf Hexen in weißer Kleidung ihr Haus gestürmt und nach einem magischen Gefecht daraus entflohen sind. Das Haus war mit schwarzmagischem Feuer in Brand gesteckt worden. Da die namhafte Expertin für die Abwehr dunkler Kreaturen und Zauber viele Möglichkeiten kennt, bösartige Eindringlinge abzuwehren, geht der Anschlag wohl auf das Konto des Unnennbaren. Womöglich waren es auch bis heute existierende Befürworterinnen der Ideen Sardonias, jener düsteren Hexe, die vor vierhundert Jahren unser Land in ihre grausamen Fänge bekam und ein Jahrhundert lang mit unbarmherziger Unterdrückung peinigte. In diesem Licht mag der hinterhältige Angriff auf das Ministerium auch als Vorhaben jener unbelehrbaren Hexen gesehen werden, die die Gunst der Stunde nutzen und im Namen ihrer abgöttisch verehrten Gebieterin die Macht übernehmen wollen, um sich dem Zugriff des Unnennbaren zu widersetzen. In beiden Fällen droht unserem Land ein grausames Schicksal. Um dieses zu verhüten gilt es nun, dem gesetzlich einwandfrei amtierenden Zaubereiminister Janus Didier in allen Anweisungen zu folgen und alle bisherige Kritik an seiner Amtsführung einzustellen.

Julius wußte nicht, ob er Wut oder Verachtung für diesen hingeschmierten Unsinn empfinden sollte. Er konzentrierte sich so stark auf den Artikel, daß er nicht mitbekam, wie viele seiner Mitschüler ihn teilweise argwöhnisch und teilweise mitleidsvoll ansahen und tuschelten. Er schlug sogleich die erste Seite mit Pétains Interview auf und las, wie verbissen der sogenannte Landfriedenshüter gegen die angebliche Doppelgängerin seiner Mutter Martha Andrews gekämpft hatte und nur durch dieses Betäubungsgas außer Gefecht gesetzt werden konnte. "Was für ein Held du doch bist", knurrte Julius verächtlich, was im nun stärker aufgekommenen Getuschel unterging. Dann las er Minister Didiers Stellungnahme und öffentliche Äußerung, wie es denn weitergehen sollte.

M. M.: Wie haben Sie die Nachricht von dem heimlichen Angriff aufgenommen?

Zm.: Mit sehr großer Bestürzung und Furcht.

M. M.: Was möchten Sie der magischen Öffentlichkeit darüber mitteilen?

Zm.: Ich möchte Ihren Leserinnen und Lesern darauf eine umfassende Antwort geben, die auch jene erreichen soll, die meinen, durch die Unruhen und Bedrohungen der letzten Wocheneine für sich günstige Ausgangslage nutzen zu können. Ich, der amtierende Zaubereiminister Frankreichs, wurde mit der obersten Aufgabe in mein Amt eingesetzt, jeden Schaden aus der Magischen Welt innerhalb und außerhalb der Landesgrenzen von Ihnen allen abzuwenden und das Recht auf ein friedliches Leben zu achten und zu schützen. Diese Aufgabe zwingt mich nun, wo feststeht, daß die Unterwanderung unserer magischen Gemeinschaft bereits stattfindet, zu bedauerlichen Mitteln, die anzuwenden ich bis jetzt aufschieben konnte, nun aber keine Minute länger zurückhalten darf. Hiermit verkünde ich allen, die ohne Arg und umstürzlerische Absichten weiterhin in unserer Gemeinschaft leben wollen, daß das Ministerium für Zauberei auf Ihre unbedingte und vollständige Mithilfe angewiesen ist, um Personen mit verräterischen Anschauungen und Absichten früh genug aufzuspüren. Das Ministerium übernimmt ab heute sämtliche Nachrichtenverbreitung in unserem Land. Alle magischen Verkehrsmittel und -wege sind ab heute um drei Uhr ständig überwacht, um böswillige Personen an der schnellen Ausbreitung ihrer zersetzenden Ansichten zu hindern und Saboteure und Attentäter im Namen auswärtiger Widersacher am schnellen Reisen sowie einer Flucht bei bevorstehender Festnahme zu hindern. Die Abteilung für inneren Landfrieden hat von mir die Befugnis erhalten, Ermittler auszuschicken, die alle eingetragenen Mitglieder unserer magischen Gemeinschaft befragen, um deren Gesetzestreue herauszufinden. Bitte beantworten Sie alle Fragen, die ein solcher Ermittler an Sie richtet, vollständig und wahrheitsgemäß! Wer als hochgradig sicherheitsgefährdend auffällt wird sich einer Verhandlung vor einem Tribunal verantworten und an der Schwere seiner oder ihrer Untat gemessen zur vorübergehenden Verwahrung in die Festung Tourresulatant überführt oder als aller Rechte eines mmagischen Menschen ledig dauerhaft aus unserer Gemeinschaft verbannt und von allen Mitteln ferngehalten, in diese zurückzukehren. Mein Sicherheitsleiter Pétain regte zwar an, die bis vor siebzig Jahren geltende Todesstrafe wieder einzuführen. Doch das wäre ein Schwächeeingeständnis und würde unser Ansehen im Ausland empfindlich schmälern. Ausländische Hexen und Zauberer, die in unser Land kamen, um hier vor Nachstellungen aus ihrem Heimatland sicher zu sein, erhalten die Möglichkeit, sich bei der Abteilung für Landfrieden registrieren zu lassen, müssen dann aber damit rechnen, zur genaueren Klärung ihres Statusses vorgeladen zu werden. Für dabei enttarnte Agenten des Unnennbaren gilt dann das Sie ohne Erinnerung an ihren aufenthalt und aller magischen Hilfsmittel ledig in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden. An diese Leute, die meinen, sich noch länger verstecken zu können ergeht meine klare Feststellung: Wir brauchen euch hier nicht. Wir wollen euch hier nicht haben. Ich gehe davon aus, daß die überwiegende Mehrheit der magischen Mitbürger diese Maßnahmen gutheißen wird.

M. M.: Sie erwähnten eine dauerhafte Verbannung. Sollen die Leute dann in die Muggelwelt abgeschoben werden?

Zm.: Wir wissen nicht, wie viele Agenten der Unnennbare bereits bei uns eingeschleust hat. Sie in die Muggelwelt zu verstoßen könnte sie veranlassen, von dort aus gegen uns zu arbeiten. daher haben meine Mitarbeiter und ich befunden, geheime Rückzugsorte für verfolgte Hexen und Zauberer als Verbannungslager zu benutzen. Ich muß zu meinem Bedauern ein uraltes Ministerialgeheimnis brechen, daß seit Sardonias Entmachtung unsere Gemeinschaft schützt. Es war möglich, nicht nur in Millemerveilles Schutzzonen einzurichten, wo bedrängte Hexen und Zauberer vor Nachstellungen sicher sind. Sie wurden Friedenslager genannt und versorgten sich auf magische und nichtmagische Weise selbst, waren also von Zulieferungen von außen allergrößtenteils unabhängig. Nach meinem Wissen wurden sie bis heute nur zweimal genutzt. Sie stehen aber noch zur Verfügung. Meine Mitarbeiter und ich werden also alle eindeutig überführten Verbrecher an unserer Ordnung in diesen Friedenslagern unterbringen, die unortbar und mit magischen Mitteln unbetretbar über das Land verteilt liegen. Sie werden dann zwar wie Strafkolonien anzusehen sein. Aber es ist moralisch besser, wenn die Untäter eingesperrt bleiben und nicht die potentiellen Opfer einzusperren sind, um vor Nachstellungen geschützt zu werden. Diese eindeutige Erkenntnis zwingt mich und meine Mitarbeiter zu dieser Maßnahme. Wir können und dürfen es nicht riskieren, daß ausgestoßene Hexen und Zauberer aus Rache unwissende Muggel davon überzeugen, daß es eine magische Welt gibt und diese der Feind der Muggelwelt ist. Daher habe ich bereits vor diesem Interview die entsprechenden Anweisungen erteilt. Wer sich nichts zu Schulden hat kommen lassen und keinen Versuch unternimmt, gegen das Zaubereiministerium Stimme, Feder oder Zauberstab zu erheben, kann wesentlich ruhiger schlafen, weil es diese versteckten Lager gibt.

M. M.: Die Muggel haben sich, wie bekannt ist, unter Entwicklung mächtiger Kraftquellen eine Zivilisation errichtet, in der bereits viele Tätigkeiten vereinfacht und ein weltweites Verständigungsnetzwerk möglich ist. Wie werden diese Friedenslager die dorthin verbannten versorgen?

ZM.: So wie nichtmagische Dorfgemeinschaften es vor zweihundert Jahren konnten, als es noch keine Vorrichtungen gab, mit Wasserdampf Arbeit zu verrichten oder Kräfte zu wecken, die durch einen Draht fließen und anderswo Arbeit verrichten oder flammenlose Lichter aufleuchten lassen können. Sie werden sich halt damit abfinden müssen, ohne Magie und das, was die nichtmagische Welt an Magieersatzmitteln hervorgebracht hat, auskommen zu müssen. Vielleicht schreckt das einige ab, sich den Sardonianerinnen oder dem Unnennbaren anzuschließen.

M. M.: Oder es treibt sie erst recht zum offenen Angriff. Wie wollen Sie verhindern, daß es zu schweren Ausschreitungen kommt?

Zm.: Wie erwähnt greifen bereits die dafür vorgesehenen Maßnahmen. Über diese möchte ich jedoch kein Wort verlieren. Der heimtückische Angriff heute morgen hat ja hinlänglich bewiesen, unseren Feinden keine Gelegenheit mehr zu geben, derartige Angriffe zu versuchen.

M. M.: Warum erzählen Sie uns dann etwas von den Friedenslagern?

Zm.: Weil ich es den unbescholtenen Mitgliedern unserer magischen Gemeinschaft schulde, ihnen zu versichern, daß wir Mittel und Wege haben, ihr Weiterleben zu schützen. Mein geschätzter Vorgänger hat sich nur mit Worten begnügt. Ich werde durch meine Taten beweisen, daß mir was an der unabhängigen Zaubererwelt liegt.

M. M.: Wir wissen, daß Sie-wissen-schon-wer nicht die einzige Bedrohung ist. Gilt alles was Sie gerade sagten auch für Anhängerinnen jener scheinbar nicht auszurottenden Idee der reinen Hexenherrschaft nach Vorbild der dunklen Hexenkönigin?

Zm.: Sardonias düsterer Atem ist nicht ganz aus der Welt. Es ist bedauerlich, daß Professeur Tourrecandide mir und meinen Leuten ein solch großes Mißtrauen entgegenbrachte und nun entweder tot oder in Händen skrupelloser Hexen ist. Womöglich könnten diese Verbrecherinnen befinden, ihr Wissen gegen uns zu verwenden, indem sie ihr Körperfragmente rauben, um wie die angebliche Martha Andrews unter ihrem Namen aufzutreten, sie dem Imperius-Fluch unterwerfen oder solange foltern, bis sie alle nötigen Informationen erbeutet haben, bevor sie sie töten. Daher muß ich bis auf weiteres jeden ersuchen, sofort zu melden, wenn jemand mit ihrem aussehen auftaucht. Gehen Sie kein Risiko ein und vermeiden Sie jede Konfrontation! Informieren Sie uns aber sofort, damit wir die Person unverzüglich festnehmen können!

M. M.: Sie erwähnten im Vorfeld, daß sie auch alle Nachrichtenverbreitungsmittel beschränken müssen. Fürchten Sie, daß Sie-wissen-schon-wer unsere Leser durch gezielte Falschmeldungen zu unüberlegten Handlungen treiben kann?

Zm.: Wir müssen mit solchen bösartigen Desinformationen rechnen. Daher glauben Sie bitte nichts, was nicht über den magischen Rundfunk oder den Miroir Magique vermeldet wird! Die Journalisten stehen ab heute unter ministeriellem Schutz. Wir müssen damit rechnen, daß Sie-wissen-schon-wer nach dem Anschlag auf die Eheleute Grandchapeau und dem Versuch, die Führungsspitze unserer Sicherheitsabteilung auszulöschen auch mit illegalen Zeitungen und unerlaubtem Rundfunk arbeiten wird. Das dient nur dazu, Sie alle zu verunsichern.

M.M.: Wie werden die ausländischen Zaubereiminister Ihre Maßnahmen wahrnehmen?

Zm.: Zum einen sind wir trotz bestehender Verträge Herren in unseren eigenen Häusern und müssen dafür sorgen, daß im Falle, daß das Dach brennt, das Feuer nicht auf andere Häuser übergreifen kann. Zum anderen werde ich die Reaktionen meiner Amtskollegen abwarten müssen, um diese Frage wahrheitsgetreu beantworten zu können. Alles andere wären Spekulationen. Und solche können wir im Moment am allerwenigsten gebrauchen.

M. M.: Werden Sie gegebenenfalls zu Gesprächen mit Ihren Amtskollegen verreisen?

Zm.: Ich fürchte, unsere magische Gemeinschaft würde endgültig zusammenbrechen, wenn ich mich so vertrauensselig wie mein seliger Vorgänger verhalten und weite Reisen antreten würde. Daher werde ich im Schutz des Ministeriums verbleiben und die nötigen Schritte von hier aus überwachen. Ich werde aber jede Anfrage unserer magischen Mitmenschen beantworten, um alle noch bestehenden Unsicherheiten auszuräumen.

M. M.: Herr Zaubereiminister Didier, vielen Dank für dieses Gespräch!

Zm.: Es war mir sowohl ein großes Anliegen, als auch mein Bedürfnis, unserer magischen Gemeinschaft zu erklären, was nun getan wird.

Julius saß angespannt da und überflog die Zeilen, die er eben noch sehr aufmerksam aufgesogen hatte. Das war pure Propaganda. Der Minister hatte sich gerade zum alle beschützenden und führenden Alleinherrscher erklärt und allen echten oder falschen Feinden die Verbannung angedroht. Genau das, was Madame Maxime ihnen allen vorausgesagt hatte. Außerdem log dieser Kerl wortwörtlich wie gedruckt, wenn er behauptete, daß die sogenannten Friedenslager schon seit Sardonias Zeit bestanden. Auch daß seine Mutter eine Vielsaft-Trank-Doppelgängerin war kaufte er diesem Knilch keine Millisekunde lang ab. Nur das mit Professeur Tourrecandide hatte ihn einen Moment stutzen lassen. Das konnte ja echt gehen, daß die Wiederkehrerin und ihre in Weiß rumlaufende Hexenbande eine sehr kundige Hexe entführten. Andererseits hielten solche Hexen auch sehr gut für die lautstarke Warnung vor inneren Feinden her. Dann fragte er sich, wenn sonst alles komplett erlogen war, ob dieser Überfall auf Professeur Tourrecandide wirklich stattgefunden hatte. Hatte diese denn nicht andauernd Didiers Vorschläge abgeschmettert? War sie es nicht gewesen, die eindringlich vor der Aufstellung einer Dementoren-Abwehrtruppe gewarnt hatte, die sich auf nichts anderes beschränkte? So konnte man mißliebige Kritiker auch ausschalten, dachte er. Denn wenn sie nicht überfallen worden war und jetzt in der Zeitung las, daß sie nicht mehr die war, die sie vorher war und daher möglichst schnell festgenommen werden mußte, hatte sie ein großes Problem.

"Das tut mir leid, daß deine Mutter nicht mehr lebt", wandte sich André an Julius. Dieser schüttelte jedoch den Kopf und sagte so ruhig er konnte:

"Da steht nichts von drin, daß man ihre Leiche gefunden hat, André. Abgesehen davon weiß ich ziemlich sicher, daß meine Mutter nicht nur nicht tot ist, sondern auch persönlich im Ministerium war, also keine Vielsaft-Trank-Doppelgängerin. Diser Pretin wollte nur nicht raushängen lassen, daß ihn eine Muggelfrau austricksen konnte und dann noch entwischt ist. Mehr müßt ihr nicht wissen, André." Dann dachte er mit großem Unbehagen, was die Leute in Millemerveilles anstellen mochten, wenn die glaubten, daß Catherine und seine Mutter Betrügerinnen waren. Die mußten doch in bester Absicht drauf ausgehen, sie dem Ministerium auszuliefern. Auch wenn seine Mutter immer wieder beteuern würde, die echte Martha Andrews und unverhext zu sein konnte es den einen oder die andere in Millemerveilles geben, der oder die sie ausliefern wollte. Das Unbehagen wurde zu einer eiskalten Angst. Dieser Schweinehund von einem Zaubereiminister, besser einem magischen Diktator, hatte genau die Taktik gewählt, die seine Mutter nirgendwo in Frankreich in Frieden und Sicherheit leben lassen konnte. Daß die Muggelweltbehörden, wohl Polizei und Geheimdienste, hinter ihr herjagten hielt sie auch noch davon ab, mit dem nächstbesten Flugzeug auszureisen. Hinzu kam noch etwas, erkannte Julius. Da Didier seine Mutter mal eben für tot erklärt hatte, konnte das Ministerium hingehen und das alleinige Sorgerechtüber ihn beanspruchen. Denn trotz der Ehe - die Didier bei der Gelegenheit auch mal eben für ungültig erklären könnte - war seine Mutter die Erziehungsberechtigte geblieben. Sie hatte allem zustimmen müssen, was er in den letzten zwei Jahren und ein paar Monaten tun oder lassen sollte. Zumindest konnte er diesem verlogenen Bastard abnehmen, daß es diesem ein Bedürfnis gewesen war, dieses abgesprochene Interview zu geben. Er zählte durch, wen er mit diesem einen Interview alles auf einen Streich erwischt hatte. Da waren Catherine, seine Mutter und er, Professeur Tourrecandide, Madame Maxime, falls er meinte, sie auch auslagern lassen zu müssen, sowie alle Latierres, also über zwanzig Leute, die Eauvives, die in dieser unter der Würde von benutztem Toilettenpapier stehenden Sonderausgabe erst gar nicht erwähnt wurden und die Grandchapeaus, ob tot oder lebendig. Da konnte das tapfere Schneiderlein aus Grimms Märchen aber komplett einpacken, das ja nur sieben Fliegen mit einem Streich erschlagen hatte. Hinzu kamen noch hunderte von anderen Hexen und Zauberern, die diesen Quatsch nicht glauben würden und versuchten, ihre Mitmenschen vom Gegenteil zu überzeugen. Er dachte daran, daß seine Mutter dies wohl alles vorhergesehen hatte. Aber was würde es ihr nützen, wenn sie nirgendwo mehr frei atmen durfte? Denn mit den Kaminen, die wohl überwacht werden sollten, war ja auch der Fluchtweg ins Château Tournesol versperrt. Er kämpfte darum, sich nicht von der Angst und der Verzweiflung überwältigen zu lassen. Noch war er hier. Noch hatte niemand außer diesem gekauften Schmierfinken einer nun ministeriell geführten Zeitung behauptet, daß seine Mutter tot war. Doch als er sich umsah gewahrte er viele mitleidsvolle Blicke in seine Richtung. Er suchte ein bestimmtes rehbraunes Augenpaar am roten Tisch. Millie fing seinen Blick ein und zeigte eine wild entschlossene Miene. Auch wenn sie ihm hier nicht zumentiloquieren konnte meinte er zu verstehen, was sie ihm sagen wollte: Lass dich bloß nicht davon runterziehen, Monju!

"Nachdem, wie ich sehen kann, alle interessierten Abonenten des Miroirs die betreffenden Artikel und Stellungnahmen gelesen haben, möchte ich jenen, die diese Sonderausgabe nicht lesen konnten ungern aber notwendigerweise vorlesen, was Monsieur Didier verkündet hat. Anschließend dürfen Sie mit mir, den Lehrern und den Schulbediensteten darüber diskutieren", schlug Madame Maximes Stimme in Julius' aufgewühlte Stimmung ein. Er lauschte mit halbem Ohr, weil er die ganze leidige Lügerei doch schon kannte und sie dadurch ja nicht wahr wurde, weil die Schulleiterin sie nun für alle laut verlas. Er fragte sich, ob Catherine das nicht hätte voraussehen können und seine Mutter nicht besser gleich zu seiner Schwiegeroma Ursuline gebracht hätte. Dann erkannte er, daß das nicht möglich war, wenn sie damit gerechnet hatten, daß die Kamine überwacht wurden. Sie hatten einen Portschlüssel benutzt, hatte Catherine aufgeschrieben. Sowas ging wohl nur in eine Richtung.

Nachdem Madame Maxime das ganze Interview mit dem Minister vorgelesen hatte meldeten sich die Saalsprecher. Giscard durfte anfangen:

"Sie haben uns erzählt, daß wir so einen Artikel oder so ein Interview zu lesen bekämen, Madame Maxime. Wer sagt uns jetzt, daß Sie und wir nicht wirklich einer Betrügerin aufgesessen sind, die das nur vorausgeahnt hat, daß man sie verdächtigt?"

"Zwei Umstände. Erstens hat Catherine Brickston mir Unterlagen zugespielt, in denen die sogenannten Friedenslager bereits erwähnt wurden, und zwar nicht als schon lange bestehend, sondern erst kürzlich errichtet. Eine Betrügerin, die auf ein derart altes Geheimnis stößt, hätte mir das auch so verkauft, daß der Minister die uralten Lager benutzen will um mißliebige Hexen und Zauberer zu verbannen. Der zweite Umstand, der mich überzeugt, daß Madame Brickston weder eine Betrügerin ist, noch den Tod von Madame Andrews verursacht hat, besteht darin, daß die Brickstons auf Grund früherer Nachstellungen in einem mit einem hochwirksamem Schutzzauber versehenen Haus wohnen, wo kein bösartiger magischer Mensch länger als einen Sekundenbruchteil verweilen kann. Was die Behauptung angeht, Madame Andrews sei getötet worden, so zielt sie auf zwei Dinge ab: Madame Andrews wurde durch die Vorladung ins Ministerium zur unfreiwilligen Mitwisserin dieser nun offenbar schnell umgesetzten Aktionen und darf niemanden glauben machen, sie habe diese Informationen erhalten. Zum zweiten ergibt sich für den Usurpator im Zaubereiministerium eine scheinbar günstige Gelegenheit, den Unterbringungsstatus von Monsieur Latierre neu zu bestimmen. Wenn er keine Mutter mehr hier hat muß jemand die Vormundschaft übernehmen, der Didier und seinen Leuten genehm ist. Insofern brauchen Sie, Madame Latierre, nicht einzuwenden, daß Ihre Eltern bereits die magischen Angelegenheiten für ihren Gatten regeln. Ihre Mutter ist ja bereits in Ungnade gefallen, weil sie ihm die Zustimmung verweigert hat. Er könnte also auch alles, was in den letzten Sechs Monaten um und mit Monsieur Latierre geschehen ist, für null und nichtig erklären und ihn auf Grund der offiziellen Todeserklärung entweder einem seiner Handlanger zuteilen oder gleich in sein Geburtsland abschieben."

"Falls Sie nicht die Unwahrheit sagen, Madame Maxime", warf der neue Saalsprecher der Violetten ein.

"Ich weiß, daß Aussage gegen Aussage steht. Aber warum hätte ich dann so genau gewußt, daß wir in nur vierundzwanzig Stunden schon eine Extraausgabe der Zeitung erhalten werden?" Wandte Madame Maxime ein.

"Weil Sie wußten, daß Minister Didier der ganzen Sache auf der Spur war und zusehen mußten, ihm zuvorzukommen", versuchte sich Laertis Brochet aus dem roten Saal in einer Erklärung. Julius fühlte beinahe körperlich, wie die Gemeinschaft in Beauxbatons kurz vor dem Zerfall stand. Ein lautes Raunen ging durch den Speisesaal. Auch Madame Maximes lautes Händeklatschen konnte es nicht abwürgen. Mochte es sein, daß viele Schüler hier keinen Respekt mehr vor ihr hatten, weil sie sie als Lügnerin und künftige Ex-Schulleiterin ansahen? Madame Maxime straffte sich und rief so laut, daß alle sich die Hände auf die Ohren schlugen: "Rrruuuuhe bit-te!!!!!" Mit leicht schmerzverzerrten Gesichtern lauschten die Schüler der Beauxbatons-Akademie nun doch, was die Halbriesin sagen wollte.

"Ich muß wohl feststellen, daß das Denken in der Akademie einigen Nachholbedarf besitzt. Wieso hätte ich Sie alle heute mittag zusammenrufen und ihnen irgendeine Geschichte erzählen sollen, wenn ich mich damit bewußt unglaubhaft mache und zu allem Verdruß noch damit rechnen müßte, wegen irgendwelcher Delikte verfolgt zu werden? Niemand von Ihnen hätte es bemerkt, wenn ich die Akademie verlassen hätte. Professeur Faucon hätte Ihnen allen erzählen können, ich sei wegen einer Familienangelegenheit gezwungen, mein Amt hier bis auf weiteres niederzulegen, ja wohl gänzlich davon zurückzutreten. Da ich das aber nicht getan habe, sollte das für Sie als Beweiß meiner Unschuld und meiner Aufrichtigkeit gelten. Denn hier sitze ich wie Sie alle an einem genau bekannten Zielort."

"Sie haben eh verspielt, weil egal, ob das jetzt stimmt, was Sie gesagt haben oder nicht, der Minister sie bald schon hier rausrufen wird", wandte Gaston ziemlich übermütig ein. "Auch wenn in diesem Artikel drinsteht, daß Leute in diese Friedenslager reingeschickt werden sollen heißt das noch lange nicht, daß unsere ganze Zaubererwelt im Arsch ist." Alle zuckten zusammen.

"Offenbar wähnen Sie und etliche andere sich von allen hier gültigen Verhaltens- und Anstandsregeln befreit, wie?!" Grollte Madame Maxime. "Das sind mal eben einhundert Strafpunkte wegen grober Mißachtung meiner Rangstellung, versuchte Aufwiegelung gegen die amtierende Schulleiterin sowie Gebrauch eines hier unerwünschten Ausdrucks." Viele am blauen Tisch lachten lauthals und klatschten Gaston Beifall. Auch sie hatten wohl jeden Respekt verloren. Auch am roten Tisch saßen welche, die Gaston zunickten. Die Gelben hockten da wie Hühner bei einem Gewitter, jederzeit bereit, die Flucht zu ergreifen. Die Violetten tauschten hektische Blicke, und bei den Weißen gab es Leute, die bange auf Gaston und wieder auf Madame Maxime blickten und welche, die hinter vorgehaltener Hand grinsten.

"Ihre Strafpunkte sind doch nichts mehr wert. Morgen schon haben Sie Ihre Entlassungspergamente und alle, die Ihnen noch folgen wollen", stieß Gaston verächtlich aus und erhielt wieder Beifall von den Blauen. Professeur Pallas sprang vom Lehrertisch auf und wetzte zu den von ihr betreuten Schülern hinüber, während Madame Maxime laut und unüberhörbar antwortete:

"Wie bedauerlich, daß Sie offenbar denken, unsere Schulordnung sei wegen eines einzigen Zeitungsartikels nichts mehr wert. Dann dürfen Sie sich jetzt aussuchen, was Ihnen wertvoller ist, die sofortige Entlassung aus Beauxbatons mit der eindeutigen Aussicht, weder als Schüler noch als Verwandter eines hier lernenden Schülers hier willkommengeheißen zu werden, oder Sie akzeptieren vierhundert weitere Strafpunkte und dazu die Zurückstufung in die dritte Klasse und für das ganze restliche Schuljahr geltenden Putzdienst, dürfen dafür aber weiterhin am Unterricht teilnehmen und Ihre Ausbildung zu einem ordentlichen Abschluß bringen."

"Dritte Klasse?!" Entfuhr es Gaston. Julius spannte alle Muskeln und Nerven an.

"Dem amtierenden Schulleiter und/oder seinem Stellvertreter steht es frei, entweder die sofortige Entlassung eines unbelehrbar aufsässigen Schülers zu beschließen oder ihn oder sie in die Klasse zurückzustufen, die dem Maß entspricht, wie der Grad seiner geistigen Reife dem körperlichen Alter hinterherhinkt. Genauso wie ein Schulleiter die Versetzung eines Schülers in eine höhere Klassenstufe veranlassen kann", erwiderte Madame Maxime. "Ich gewähre Ihnen die Auswahl. Gehen oder bleiben."

"Das können Sie nicht machen! Und was heißt das, Geistige Reife?" quängelte Gaston nun sichtlich weniger aufsässig.

"Zum ersten, ich darf das machen. Zum zweiten, Monsieur Perignon, heißt geistige Reife, daß sich jemand eines bestimmten Alters oder Lebensabschnittes entsprechend verhalten kann. Und Ihre fortgesetzte Aufsässigkeit ist eher für einen Zwölfjährigen charakteristisch, aber nicht für einen Kandidaten der allgemeinen Zauberergrade. Seien Sie froh, daß ich meiner ersten Anregung nicht nachgebe und Ihnen nicht den Infanticorpore-Fluch auferlege. Sie haben genau eine Minute, um alle Folgen Ihrer Entscheidungen zu überdenken und treffen Sie die Wahl, Monsieur Perignon!"

"Der Minister wird das widerrufen", stammelte Gaston.

"Achso, Sie hoffen darauf, daß der sogenannte Minister Sie als einen treuen Verfechter seiner Politik belohnen und Sie wieder hier einschulen läßt, wenn ich die Akademie verlassen müßte. Ich fürchte, da haben Sie die klaren Vorgaben der Gründer nicht richtig verstanden. Diese haben eindeutig festgelegt, daß kein Schüler in der Akademie verbleiben darf, der die geltenden Schulregeln voll und ganz mißachtet und andere dazu anstiftet, ihm nachzueifern. Diese Regeln gelten für das ganze Gelände der Beauxbatons-Akademie und wurden von keiner Zaubereivertretung in Frage gestellt. Nicht einmal unter Sardonias Herrschaft hat es jemand gewagt, das Erbe der Gründer anzuzweifeln, obwohl es durchaus schon Diskussionen gab, ob Hexen weiterhin hier lernen dürfen oder nicht. Und falls Didier diese Ehrerbietung vergißt und das Erbe der Gründer mißachtet, beweist er jeder Hexe und jedem Zauberer, daß er nicht besser ist als die Feinde, die er fürchtet. Außerdem gilt, daß der Schulleiter von der absoluten Mehrheit der Schulräte eingesetzt oder abgesetzt werden muß. Und ich wüßte im Moment keinen, der meine Absetzung fordert. Ihre Minute läuft ab jetzt." Sie deutete auf die große Uhr im Speisesaal. Alle anderen sahen hinüber. Professeur Faucon erhob sich vom Lehrertisch und kam langsam herüber. Gaston saß da, wußte nicht, was er machen sollte. Beide Möglichkeiten erschienen ihm als unannehmbar. Laurentine stand auf, als die Saalvorsteherin der Grünen am Tisch stand. Sie bat sie um ein Wort. Professeur Faucon winkte Julius und Giscard herüber.

"Glauben Sie wirklich, daß der Minister lügt?" Fragte Laurentine die Saalvorsteherin leise.

"Ich weiß es genau, daß er lügt, Mademoiselle Hellersdorf. Madame Brickston ist von einem Schutzzauber in einen anderen hinübergewechselt. Sie befindet sich in meinem Haus zu Millemerveilles. Und Sie wissen, daß dort niemand hingelangt, der der dunklen Seite zuneigt."

"Außer Dementoren", knurrte Laurentine. Julius wandte ein, daß die dort auch nicht mehr hinkommen könnten.

"Das mit der dritten Klasse ist doch sehr drastisch", wagte Laurentine einen Einwand. "Warum hat Madame Maxime mich nie zurückgestuft?"

"Aus dem ganz einfachen Grund, weil die Alternative zu Ihrer Rückstufung nur die Entlassung gewesen wäre und eine Rückstufung ohne entsprechende Noten nur einmal ausgesprochen werden darf, als Warnung sozusagen. In Ihrem Fall hätte das nichts bewirkt, weil Sie damit ja nach Ihrer damaligen Grundhaltung ja Erfolg erzielt hätten. Abgesehen davon haben Madame van Heldern und Madame Rochfort immer betont, daß es nicht an Ihnen liegt. Monsieur Perignon hat wesentlich mehr zu verlieren als Sie damals und wird sich daher nicht für eine Entlassung entscheiden", erwiderte Professeur Faucon. Gaston sah Laurentine verdrossen an und machte eine abweisende Handbewegung. Julius sagte ihr leise: "Er will nicht, daß du in der Sache für ihn eintrittst, Laurentine. Egal wie er sich dann entscheidet könnten andere meinen, er hätte sich von dir beknien lassen."

"Verdammt, Julius, ich will das doch nicht, daß er rausgeworfen wird. Und in der dritten müßte er noch mal zwei Jahre länger hierbleiben, bis er mit der Schule fertig ist. Ich hätte nicht gedacht, daß der so stur ist."

"Setzen Sie sich bitte wieder hin, Mademoiselle Hellersdorf, damit Sie nicht unnötig ins Gerede kommen", schnarrte Professeur Faucon halblaut. Laurentine nickte verhalten und kehrte auf ihren Platz zurück, wo Céline sie in Empfang nahm.

Julius warf einen bangen Blick auf den Sekundenzeiger der großen Uhr. Er hatte schon drei Viertel seiner Runde geschafft. Schnell sah er auf Gaston, eilte zu ihm und zischte:

"Gaston, bleib hier. Nachdem was der feine Minister sich geleistet hat ist der bald weg vom Fenster."

"Ach, was hat der sich denn geleistet?" Schnarrte Gaston.

"Verrat ich dir nur, wenn du hierbleibst", erwiderte Julius.

"Die Minute ist um", stellte Madame Maxime unerbittlich fest und deutete auf die Uhr. Der Sekundenzeiger setzte soeben zur nächsten Runde um das Zifferblatt an. "Welche Entscheidung haben Sie für sich ganz allein getroffen, Monsieur Perignon."

"Ich mach das Gastspiel in der dritten Klasse und nehme ihre vierhundert wertlosen Strafpunkte. Meine Eltern kriegen das mit dem Minister hin, daß ich nächste Woche schon wieder bei den ZAGs mitmachen darf, wenn Sie und jeder, der Ihnen am Rock hängt hier raus sind", schnaubte Gaston.

"Ich fürchte, da überschätzen Sie Ihren Wert für Monsieur Didier, Monsieur Perignon. Unabhängig davon, ob ich hier weiterhin als Schulleiterin amtieren darf oder nicht wird er wohl kaum verfügen wollen oder können, wer in welcher Klassenstufe unterrichtet wird. Denn dann müßte er die ganze Akademie auflösen und nach seinem Bild neu erschaffen. Auch wenn ich ihm dies durchaus zutraue, wird er sich dieses sehr sehr gründlich überlegen müssen. Und bis dahin gelten die Regeln von Beauxbatons, denen nach ich als legitimierte Schulleiterin verfügen kann, wer unter unserem Dach lebt und lernt. Aber ich bin erleichtert, daß Sie sich für eine Zukunft in der Zaubererwelt entschieden haben und nicht alles hinwerfen, woran Sie und Ihre Eltern mühevoll gearbeitet haben. Somit verkünde ich, daß Sie, Monsieur Gaston Perignon, ab diesem Abend als Schüler der dritten Klasse gelten und den Regeln und Rechten dieser Lernstufe entsprechend weiter bei uns leben und lernen dürfen. Wie wertlos die von mir und dem Lehrerkollegium auszusprechenden Strafpunkte sind dürfen Sie dann erfahren, wenn Sie ab Montag ausdrücklich dem schuleigenen Putzdienst zugeteilt sind und dies bis zum Ende des laufenden Schuljahres. Bitte setzen Sie sich nun zu Ihren neuen Jahrgangskameraden, Monsieur Perignon!" Gaston verzog noch einmal sein Gesicht. Dann marschierte er mit kampflustig angespanntem Körper hinüber zu Nicolas und Archibald aus der Dritten, die von sich aus aufstanden und einen weiteren Stuhl von Professeur Faucon hingestellt bekamen, damit Gaston sich zu ihnen setzen konnte. Laurentine sah ihn mit einer Mischung aus Verbitterung, aber auch einer gewissen Erleichterung an, während Julius darauf gefaßt war, daß Gaston ihn nun wohl noch ärger dumm anquatschen würde.

"So, nachdem nun eindeutig geklärt ist, daß die Schulregeln noch immer in Kraft sind und ich bis zu einem eindeutigen Votum der Schulräte die Direktrice der Beauxbatons-Akademie bin, möchte ich von Ihnen wissen, was Sie aus der verlesenen Mitschrift des Gespräches zwischen Didier und einem Repräsentanten des Miroir Magique noch herausgehört haben", kehrte Madame Maxime zum Thema des Abends zurück. Corinne Duisenberg zeigte auf.

"Nun, immerhin haben Sie uns allen ja schon heute Mittag erzählt, daß das mit diesen Friedenslagern passieren soll. Aber was ist sicherheitsgefährdendes Verhalten? Wo fängt das an?" Fragte die Saalsprecherin der Blauen.

"Ich fürchte, daß legt Didier sehr weit aus. Wenn ich seine Aussagen richtig verstanden habe, so sieht er bereits jedes Widerwort als sicherheitsgefährdendes Verhalten an", erwiderte Madame Maxime. Julius zeigte auf und erhielt Sprecherlaubnis:

"Madame Maxime, ich vermute, daß Monsieur Didier vorhat, die freie Wahl des Zaubereiministers abzuschaffen, solange er genug Feinde in der Welt zu finden denkt. Das mit dem Überfall auf Professeur Tourrecandide ist so ähnlich wie die Geschichte, meine Mutter sei getötet worden. Selbst Schwarzmagier müssen bei Verdoppelungsaktionen das Original am leben lassen, solange sie von ihm wichtige Informationen kriegen. Abgesehen davon weiß ich sicher, daß meine Mutter sie selbst geblieben ist und jetzt an einem sicheren Ort ist, zumindest solange dort niemand meint, den Zeitungsbericht und das Interview als verbindlich zu nehmen. Dann könnte sie allerdings arge Probleme kriegen. Ähnliches gilt für Professeur Tourrecandide. Ich will nicht behaupten, diese neue Hexenschwesternschaft einschätzen zu können. Doch nach den beiden Malen, wo ich mit ihrer Anführerin zu tun hatte, halte ich sie eher für eine Art Infiltrationsorganisation als für eine Bande von Terroristen, also Leuten, die wichtige Leute oder Gebäude eines Staates bedrohen oder Anschläge darauf verüben. Abgesehen davon wäre das doch ziemlich plump, in hellen Umhängen offen ein Haus anzugreifen und sich noch dabei sehen zu lassen, wie sie eine Gefangene fortschleppen. Jeder der was von Verwandlung versteht hätte Professeur Tourrecandide in was kleines, gut zu versteckendes verwandelt und sie sich nicht über die Schulter geworfen. Typischer Schnellschuß von Didiers Lügenschmiede, würde ich sagen. Und das beweist, daß die es ziemlich eilig hatten, diese Friedenslager gut genug zu verkaufen. Der dicke Hammer kommt erst, wenn die ersten Leute darin verschwinden und nicht mehr rausgelassen werden."

"Darf ich fragen, Julius, ob du Angst hast, daß du wegen dem, was über deine Mutter geschrieben wurde, von hier runter mußt und in so einem Friedenslager landest?" Fragte Madame Rossignol, die wegen der außergewöhnlichen Situation mit am Lehrertisch saß.

"Ich wäre wohl ziemlich beschränkt, wenn ich das ganz ausschließen wollte", sagte Julius. "Ach ja, Sie wollten wissen, ob ich Angst habe. Im Moment nicht mehr als sowieso schon, wo ich weiß, daß jener geisteskranke Irre in meinem Geburtsland alle Fäden in der Hand hat und Leute wie Laurentine, Marie, Nadine, Marc, Pierre oder mich ohne großes Problem ins Gefängnis stecken oder gleich umbringen läßt. Falls Didier findet, mich jetzt als Wolfsfleisch nach England abschieben zu müssen, dürfte ich keine Stunde nach der Ankunft überleben. Aber ich habe damals, wo klar wurde, daß jener sogenannte dunkle Lord wieder aufgetaucht ist Freunden gesagt, daß ich mich nicht von einem Verbrecher dazu treiben lassen will, mich selbst einzusperren um bloß länger zu leben. Deshalb habe ich eher Angst um alle, die dort und jetzt auch hier in Gefahr sind. Ich weiß, wo meine Mutter gerade ist und daß es ihr solange gut geht, solange genug Leute dieses Geschmiere in der Zeitung nicht abkaufen."

"Wir reden alle davon, wie schlimm es ist, was Minister Didier jetzt angeleiert hat", wandte Brunhilde Heidenreich ein. "Aber wie sollte man denn anders mit möglichen Helfern des Unnennbaren umgehen?" Alle schwiegen einige Sekunden. Da hob Julius wieder die Hand. Madame Maxime nickte ihm zu.

"Sie halten Muggel für unterentwickelt, ja für niedere Tiere. Daher bräuchte man denen doch nur die Zauberstäbe wegzunehmen und sie dazu zu verdonnern, den Rest ihres Lebens in der nichtmagischen Welt zu bleiben. Aber das hieße ja dann, daß die nichtmagische Welt wirklich wie ein Haufen unterentwickelter Leute ist. Und das kann ich aus eigener Erfahrung ganz sicher ausschließen. Das mit den Friedenslagern wäre eine gute Sache, wenn Didier tatsächlich nur konkret straffällig werdende Schwarzmagier dort einsperrt. Aber so wie er sich geäußert hat braucht nur einer sich ungefragt am Kopf kratzen und gewinnt einen freien Platz in so einem Friedenslager."

"Noch mal auf Professeur Tourrecandide zurückzukommen", setzte Arnica Dulac von den Gelben an: "woher wollen wir wissen, daß es wirklich Anhängerinnen Sardonias sind und keine geheime Truppe des Unnennbaren?"

"Weil sie damals gleich den Todesfluch auf mich losgelassen hätte, wenn sie für diesen Irren wäre", sagte Julius. "Aber sie wollte, daß ich erzählen kann, daß es sie gibt. So geheim wollen die also nicht bleiben."

"Nun, es liegen Berichte vor, denen nach unbekannte auch gegen Todesser gekämpft haben. Insofern pflichte ich Ihnen bei, Monsieur Latierre", erwiderte Professeur Faucon.

"Gaston hat ja gezeigt, wie wir uns besser nicht verhalten sollen", meldete sich Sandrine noch einmal zu Wort. Gaston funkelte sie dafür böse an, hielt aber krampfhaft seinen Mund. "Aber was sollen wir machen, wenn Monsieur Didier wirklich Ihre Entlassung durchsetzt, Madame Maxime."

"Dazu muß er die absolute Mehrheit der Schulräte für sich gewinnen. Ob diese Sonderausgabe des Miroir dazu reicht möchte ich jetzt noch nicht klar befinden", sagte die Schulleiterin. "Aber für den Fall, daß meine Entlassung verfügt wird dürfen die Schulräte einen Nachfolger vorschlagen. Ein Zaubereiminister hat nicht das Recht, von sich aus einen Schulleiter einzusetzen. Soweit ich mitbekommen mußte gilt dies nicht nur für Beauxbatons, sondern auch für Hogwarts. Natürlich wird Monsieur Latierre einwenden, daß die Meinung der Schulräte zu Gunsten von Snape beeinflußt wurde. Die Gefahr besteht auch hier. Aber ich werde mich nur dann einer Entlassung fügen, wenn ich von allen Schulräten eigene Meinungsäußerungen habe, daß sie mit meiner Arbeit nicht mehr zufrieden sind. Danach wird Professeur Faucon meine wahrscheinliche Nachfolgerin. Insofern fürchte ich nicht um einen radikalen Umschwung in der Führung von Beauxbatons. Da ich ein Gutteil eines Schuljahres wegen des trimagischen Turniers in Hogwarts war und Professeur Faucon zu aller Zufriedenheit meine Obliegenheiten übernommen hat, sehe ich einem möglichen Amtsenthebungsbeschluß ruhig entgegen. Noch irgendwelche Anregungen oder Fragen?" Niemand wollte noch was über den Zeitungsartikel oder das Interview sagen oder wissen. So unbequem das jetzt auch war, sie mußten abwarten, wie die magische Gemeinschaft darauf reagierte.

Gaston sprach zu keinem, als sie aufstanden. Giscard trat zu Julius hin und sagte: "Ich bin der hauptamtliche Saalsprecher. Ich klär das mit Gaston, daß er jetzt umzieht. Geh am besten nicht durch die Wand zu uns in den Saal rein!" Dann eilte er zu Gaston, der verdrossen dreinschauend hinter seinen jüngeren Mitschülern hermarschierte. Die Regeln, so wußte es Julius, geboten, daß Schüler derselben Jahrgangsstufe im selben Schlafsaal schlafen mußten. Also mußte Gaston umziehen. Julius verstand und beschloß, nicht ganz so eilig in seinen Schlafsaal zurückzukehren.

Im grünen Saal angekommen kam Giscard auf Laurentine, Céline und Julius zu.

"Ich verstehe es echt nicht, daß jemand so verbohrt sein kann", knurrte der Saalsprecher. "Madame Maxime hat ihm eine Halteleine hingeworfen, und der hängt sich fast daran auf. Ich glaube nicht, daß Didier sich wegen dem gegen die bestehenden Schulregeln durchsetzt."

"Es sei denn, er sieht darin einen Vorteil, wenn er Madame Maximes Entscheidungen aufhebt", sagte Julius. "Aber wegen eines störrischen Burschen wird der sich kein Bein ausreißen."

"Finde ich auch, Julius", antwortete Giscard. Dann wandte er sich an Laurentine. "Ich soll dir nur sagen, daß er erst einmal keinen von euch aus der Fünften näher als fünf Schritte an sich ranlassen will, bis er sich wieder zu euch in die ZAG-Klasse setzen dürfte. Für dich Julius hheißt das aber nicht, daß du den abwechselnden Weckdienst mit mir nicht weitermachen darfst. Den schicke ich gleich mit Nicolas und Archibald ins Bett, wie das für die Drittklässler üblich ist. Ich mach morgen die Weckrunde, Julius. Du bist dann Montags dran!"

"Das weiß ich aber nicht, ob ich auf den warten soll", schnaubte Laurentine. "Ich habe gedacht, dem wäre es wichtiger, hier weiterzulernen als es für mich früher war. "

"Du siehst, der hat sich voll drauf eingeschossen, sich nicht unterkriegen zu lassen", knurrte Céline. "Auch als er gerade noch rechtzeitig gemerkt hat, daß er sich damit geradewegs aus der Akademie rausredet. Das ist das, was Claire und ich dir immer wieder erklärt haben, daß du hier eine einmalige Chance hast, was richtig interessantes und nützliches zu lernen. Gaston kennt nur die Zaubererwelt. Insofern schon klar, daß er lieber in der Akademie bleibt als zu riskieren, nie wieder zaubern zu dürfen."

"Der denkt daran, daß er nächste Woche wieder hier ist, Céline. Mit der Zuversicht war das kein Thema für ihn. Der denkt, die Schiedsrichterin würde noch vor der Halbzeit vom Platz gehen. Aber dann hat er doch noch die gelbe Karte gewählt statt der roten", erwiderte Julius mißmutig. Laurentine nickte verdrossen, während die umstehenden nicht verstanden, was er meinte. So erklärte er kurz die Disziplinarmaßnahmen beim Fußball und bedauerte, daß es das für Quidditch nicht gäbe.

"Zu wenig Mann in der Mannschaft, Julius", fiel Giscard nur dazu ein. Dann sagte er, daß sie morgen früh wohl schon mehr wüßten.

Julius verbrachte den restlichen freien Abend bis zehn Uhr mit Millie in der Menagerie bei Goldschweif. Die Knieselin hatte wirklich bemerkt, daß alle sichtlich angespannt waren. Als Julius ihr erzählte, daß er sich etwas fürchtete, weil seine Mutter in dem Dorf war, in dem sie auch schon mal gewesen war und Leute da denken könnten, seine Mutter sei böse oder nicht die echte, sagte Goldschweif:

"Ich kann das doch riechen, ob sie böse ist, Julius. Geh mit mir dahin!"

"Das geht nicht mehr. Madame Maxime hat einen Stein in den großen Kreis reingelegt, der macht, daß keiner darin auftauchen kann, der hier nichts zu suchen hat."

"Und du kannst den nicht wegnehmen, weil sie stärker ist als du?" Fragte Goldschweif. Julius nickte ihr zu.

Zurück im grünen Saal sprach er noch eine Weile mit Laurentine und Céline über diesen vermurksten Tag. Er hatte zwar befürchtet, daß diese Vorladung eine Falle war. Aber diese Falle war noch nicht ganz erledigt, und er, Julius Latierre, stand nun mitten drin und konnte nur hoffen, daß er noch rechtzeitig wegkam, bevor die mörderischen Eisenbacken ihn plattquetschten. Viviane Eauvives Bild-Ich suchte ihn auf, als er im Bett lag und den Vorhang zugezogen hatte.

"Deiner Mutter geht es weiterhin gut, Julius. Sie haben zwar Didiers Behauptungen gelesen. Aber eine Madame Lagrange hat ihren Hauskniesel zu Martha hinlaufen lassen. Abgesehen von der gewissen Abscheu gegen Nichtmagier zeigte das Tier keine Abneigung gegen sie. Seitdem ist allen dort wo sie jetzt ist klar, daß Didier gelogen hat und auch in vielen anderen Punkten die Unwahrheit sagt. Gute nacht!"

"Danke für diesen Gutenachtgruß, Viviane. Jetzt kann ich besser schlafen", erwiderte Julius erleichtert. Der Knieseltest, genau das, was Goldschweif schon vorgeschlagen hatte, hatte seine Mutter endgültig entlastet. Jetzt konnten sie alle etwas beruhigter in die Zukunft sehen, wenngleich diese Friedenslager schon eine sehr düstere Neuheit waren.

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Am nächsten Tag erhielten alle Eulenpost. Madame Rossignol hatte darauf bestanden, daß alle Schüler Drachenhauthandschuhe trugen. Professeur Faucon prüfte einen an Julius adressierten Brief seiner Mutter, nickte jedoch und lies ihn lesen:

Hallo mein Sohn,

War gestern eine überstürzte Abreise. Aber ich bin jetzt in Millemerveilles und habe da nach dieser Hetzkampagne dieses Didier doch noch die Aufenthaltserlaubnis von Madame Delamontagne erhalten. Ich habe mich mit Sandrine Dumas' Mutter und Camille darüber unterhalten, wie ich mich dort nützlich machen kann, damit niemand glaubt, ich läge denen da auf der Tasche. Joe legt keinen Wert darauf, in Millemerveilles zu arbeiten. Er hat einen dampfgetriebenen Generator mitgenommen und macht damit einen Heidenlärm und Gestank. Dieser ältere Zauberer mit dem zum Zopf gebundenen Bart hat sich die Maschine angesehen und gefragt, warum die so laut und qualmig sein müsse. Joe hat ihm die Funktionsweise erklärt und auch, warum er sie mitgebracht hat. Da kam Monsieur Pierre, der für die Sicherheit zuständig ist. Mann, hatte ich einen Bammel, daß der mich gleich festnimmt und mich diesem hinterhältigen Kerl ausliefert. Aber offenbar haben Eleonore und Camille ihm ziemlich gut zugesetzt. Und der Umstand, daß ich mich in Professeur Faucons Haus aufhalte zeigte ihm wohl, daß ich keine Gefahr für das Dorf sei. Camille und Florymont haben mir angeboten, in Jeannes Zimmer zu wohnen, bis geklärt sei, ob ich jemals wieder aus Millemerveilles raus könnte. Ihre Hebamme hat mich untersucht. Ich habe mir die Frechheit gegönnt, ihr zu sagen, daß ich kein Kind trage. Da meinte sie noch, daß ich noch im gebärfähigen Alter sei und ich vielleicht doch noch einmal auf eine derartige Idee kommen könnte.

Ich habe gehört, daß Antoinette entlassen worden sei. Offenbar hat sie versucht, Didier festzunehmen und konnte gerade so noch flüchten. Sie ist jetzt wohl in ihrem Schloß, sagt die gemalte Viviane. Ich werde noch zwei Tage abwarten, ob dieser Paranoiker die Sache mit den Friedenslagern und die Aufhebung aller Privatrechte wirklich durchziehen kann. Falls ja, dann werde ich mich wohl mit Catherine und Eleonore daran setzen, den Plan umzusetzen, den ich mit ihnen, deinen Schwiegereltern und den Grandchapeaus durchgesprochen habe. Apropos Grandchapeaus. Ich habe auch mit Madame Belle Grandchapeau gesprochen. Sie ist zuversichtlich, daß ihre Eltern noch leben, aber wohl in einer Art magischer Starre liegen. Sie wüßte das, weil ihre Mutter ihr etwas geschenkt hat, das sofort anzeigt, wenn sie sterben sollte. Sie hat mir für dich ausrichten lassen, daß du solange in Beauxbatons bleiben möchtest, solange dort keine hogwartianischen Verhältnisse einzug hielten. Sollte dies passieren, sieh zu, daß du dich mit deiner Frau zu ihrer Familie rettest! Aber mach das nur dann!

So, heute Abend oder morgen früh werden wir wohl mehr erfahren, was Didier nach unserem Ausflug anschieben wird. Bis dahin wünsche ich dir eine ruhige Zeit in Beauxbatons

In Liebe

deine Mutter Martha Andrews

Die Zeitung machte mit den ersten Festnahmen auf. Offenbar hatte Didier die Liste der Verdächtigen schon bereitliegen gehabt und brauchte nur noch zum Losschlagen rufen. Julius dachte daran, daß seine Mutter den Zeitplan beschleunigt hätte. Aber ohne ihre tolldreiste Aktion wären wohl noch mehr unschuldige Hexen und Zauberer auf einen Schlag festgenommen worden.

Nach der Pflegehelferkonferenz beraumte Madame Maxime eine Sondersitzung der Saalsprecher ein. Dabei fragte sie jeden einzelnen, wie er zu ihr oder Didier stehe. Die meisten waren verunsichert. Trotzdem sagten die meisten zu, der Schulleiterin oder dem Schulleiter weiterhin zu helfen. Madame Maxime las einen Brief von Gastons Mutter vor. Sie beklagte sich sehr stark, daß ihr Sohn zurückgestuft worden sei und ausgerechnet jetzt, wo ihr Mann sich der freiwilligen Abwehrtruppe gegen Dementoren angeschlossen habe. Gaston habe sie inständig gebeten, Minister Didier zu bitten, ihn wieder nach Beauxbatons zurückzuschicken. Sie habe aber jedoch auf Grund der eigenen Erfahrungen eingesehen, daß Gaston sich zu nah ans vordere Besenende gewagt habe und froh sein solle, nicht ganz heruntergefallen zu sein. Sie wolle jedoch noch ihren Mann fragen, ob dieser eine Eingabe bei Minister Didier machen wolle.

"Ihrer Frau Mutter geht es gut, erfuhr ich", wandte Madame Maxime sich an Julius Latierre. Dieser nickte erfreut dreinschauend. "Immerhin ein paar Dutzend anständige Hexen und Zauberer, die nicht auf dieses Lügenblatt von Gestern abend hereinfielen."

"Na ja, sie haben meine Mutter mit einem Kniesel zusammengebracht. Außer der üblichen Abscheu gegen Muggel habe das Tierwesen keine Abwehrreaktion gezeigt. Eindeutiger geht's mit keinem magischen Aufspürgerät."

"Lauretta?" Fragte Belisama. "Gut, daß meine Tante da einen Hauskniesel hat. Und was macht sie da jetzt, Julius?"

"Was sie kann. Sie könnte den Kindern da Rechenunterricht oder Englisch geben. Das muß sie noch rausfinden", erwiderte Julius. Er hatte es zwar auch schon bei Madame Rossignol anklingen lassen. Aber hier bei den Saalsprechern war es wohl auch noch einmal angebracht, das zu sagen.

"Sein wir mal ehrlich", sagte Madame Maxime. "Ich rechne stündlich mit einer fingierten Aufforderung der Schulräte, die meine Entlassung beinhaltet. Ich sagte deshalb fingiert, weil ich in weiser Voraussicht gestern abend schon Briefe an die Schulräte verschickt habe. Die Aussage von Ihnen, Monsieur Latierre, sowie das Ergebnis der Knieselprobe dürften Madame Annemarie Lagrange und Monsieur Lumière davon überzeugen, daß ich keines Falls untragbar für Beauxbatons bin. Sie werden wohl den Rest der Schulräte überzeugen können. Dann bleibt Didier nur ein vorgetäuschter Beschluß des Schulrates, um mir vorzugaukeln, ich sei in Ungnade gefallen. Es hängt ja auch davon ab, ob er meine frühzeitige Information über die geheimen Aktionen als ernsthafte Bedrohung auffassen will oder nicht. Doch solange keine absolute Mehrheit der Schulräte gegen mich spricht, bleibe ich hier. Das deckt sich auch mit dem einstimmigem Wunsch aller Lehrer und Schulbediensteten. Deshalb haben Sie alle wohl eine schwere Aufgabe zu erledigen. Der Vorfall mit dem einfältigen Monsieur Perignon hat klar gezeigt, wie schnell sich einzelne Schüler davon einwickeln lassen können, daß Didier irgendwas gegen Beauxbatons im allgemeinen und mich im besonderen vorbringen kann. Es wird zu neuerlichen Unruhen kommen. Möglicherweise gibt es sogar eine offene Meuterei. Professeur Faucon wird Ihnen allen nach dieser Sitzung Phiolen mit dem Honig der Goldblüte aushändigen. Sie, Monsieur Latierre, erhielten ein derartiges Utensil bereits sehr frühzeitig, erzählte sie mir." Professeur Faucon und Julius nickten. "Die Pflegehelfer unter Ihnen werden nach dieser Sitzungzusätzlich eine Verstärkung des in ihre Armbänder eingewirkten Curattentius-Zaubers erhalten, gerade stark genug, um Schild- und Fluchabwehrzauber zu begünstigen und noch gut genug ausbalanciert, um die sonstigen Funktionen der Schlüssel benutzen zu können."

Bernadette Lavalette meldete sich. Sie wirkte weniger Kampfeslustigg als sonst.

"Ich habe heute morgen einen Brief von meinen Eltern erhalten. Mein Großvater wurde gestern abend aus seinem Haus geholt, angeblich von Didiers Landfriedensleuten. Sie meinen, er könnte wegen einer Kritik an der Aufstellung des Dementorenabwehrtrupps vorgeladen worden sein. Ich hoffe, er meldet sich bis morgen zurück. Wenn nicht, fürchte ich, daß sie ihn in eines dieser Friedenslager sperren."

"Wir haben alle informiert, die dieser Kampagne am ehesten zum Opfer fallen würden", wandte Professeur Faucon ein. "In diesem Zusammenhang darf ich Ihnen allen einen Gruß von Professeur Tourrecandide bestellen. Sie erreichte Millemerveilles am frühen Morgen und stellte sich in meinem Privathaus ein. Fünf Zauberer Didiers hatten versucht, sie ohne Vorwarnung kampfunfähig zu fluchen. Sie konnte sich aber mit den in ihrem Haus stationierten Abwehrzaubern und dem eigenen Geshick befreien und über Umwege durch das halbe Land reisen. Sie wird sich wohl auch der Knieselprobe unterziehen, auch wenn es überflüssig ist, weil sie ja schon in den Schutzbereich von Millemerveilles eindringen konnte und um mein Haus noch einmal ein starker Schutzzauber liegt. Ich fürchte, Millemerveilles wird zu einer Zuflucht für von der Paranoia Didiers vertriebene Hexen und Zauberer werden. Das erinnert an die Wende des achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert."

"Besser Millemerveilles als diese Friedenslager", wandte Julius ein. Madame Maxime nickte ihm zu.

"So verbleiben wir bis auf weiteres so, daß Sie, die Damen und Herren, ihre Mitschüler beruhigen und dafür sorgen, daß sie sich und die Akademie nicht durch ungebührliches Verhalten gefährden. Sollte es dennoch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen, greifen Sie bitte auf Ihre Vorrechte zur Durchsetzung disziplinarischer Maßnahmen zurück, um der eigenen Sicherheit Willen! Ich befürchte, daß wir harte Wochen vor uns haben."

ENDE

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