KRAFTPROBEN

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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PR O L O G

Es geht weiterhin turbulent zu in der US-amerikanischen Politik. Erneut wurde ein Zaubereiminister ausgetauscht. Denn Milton Cartridge, der seit Ostern 1997 eingesetzte Amtsträger, legte es nicht sonderlich auf eine Wiederwahl an. Außerdem geschahen Dinge, die ihm nahelegten, ehrenvoll zurückzutreten, als sich schmachvoll abwählen zu lassen. Denn nicht nur, daß innerhalb weniger Wochen zwei namhafte Hexen aus derselben Familie aus der Weltöffentlichkeit verschwanden, nämlich Pandora und Patricia Straton. Von Cartridge und seinen Leuten unbemerkt und unaufhaltsam gewann die früher eher unauffällige Vampirin Nyx durch die Erbeutung des Mitternachtsdiamanten ein hundertfaches ihrer sonstigen Macht und erhebt sich zur Anführerin aller Vampire der Nordhalbkugel. Doch wo sie zunächst behutsam und wählerisch vorgehen will, wird sie vom Zaubereiministerium dazu getrieben, möglichst schnell neue Artgenossen zu erschaffen. Das führt zu einem kurzen aber blutigen Krieg zwischen Vampiren und Zaubererwelt, den die magischen Menschen scheinbar für sich entscheiden. Wesentlichen Beitrag zu Nyx vorübergehendem Rückzug nach verlustreichem Kampf tragen Anthelia und die doch nicht gestorbene Patricia Straton. Pandoras Tochter erinnerte sich an Hinterlassenschaften ihrer in Montenegro von Voldemort getöteten Mutter und will diese mit Anthelia bergen. Dabei kommen sich die Wiederkehrerin und Daianira, die Führerin der sogenannten entschlossenen Schwestern Nordamerikas, so stark in die Quere, daß Anthelia von Daianiras Talisman, dem Sonnenamulett der Inkas, aus dem Raum-Zeit-Gefüge geschleudert wird. Daianira triumphiert über die lästige Rivalin, verliert jedoch bei diesem Kampf das Bewußtsein, so daß Patricia Straton ihr das Amulett stehlen und die gesuchten Unterlagen an sich nehmen kann. Im Glauben, daß Anthelia wirklich verschwunden ist und bleiben wird, lernt sie mit Gedächtnistrankunterstützung alle geschriebenen Texte auswendig und nimmt ausgelagerte Erinnerungen ihrer Mutter in ihr eigenes Gedächtnis auf, bevor sie sämtliche geerbten Unterlagen vernichtet. Einen Tag später trifft sie die an ihren Wiederverkörperungsort zurückgeschleuderte Anthelia wieder, der sie durch die Aversion des Sonnenamuletts und des Seelenmedaillons nun ebenbürtig gegenübertritt. Zusammen schaffen sie es, Nyx zu vertreiben, bevor sie Cartridge zu einem Vampir machen kann. Doch Cartridge übergibt seinem Amtskonkurrenten Wishbone, einem ehemaligem Sicherheitsfachmann, das Ministeramt. Wishbone selbst hütet ein dunkles Geheimnis, daß ihm leicht das neue Amt und den Ruf kosten könnte: Er ist der Liebhaber seiner unverheirateten Tante. Diese zieht heimlich mit in das Ministerium ein. Dort erfahren sie, daß die düsteren Vorzeichen ihre furchtbare Bestätigung gefunden haben und der weithin gefürchtete Lord Voldemort das britische Zaubereiministerium in seine Gewalt gebracht haben muß.

Anfang August tauchen in Rom die ersten von Voldemort wiedererweckten Kreaturen auf, die wahlweise als gewöhnliche Menschen oder echsenartige Monster erscheinen können und gegen alle Magie und Gewalt immun sind, solange sie Körperkontakt mit dem Erdboden haben. Anthelia kann in den Abwasserkanälen eines dieser Unwesen nur dadurch töten, daß sie es mit Wasserzaubern in das Schmutzwasser wirft, wo der magische Schutz nicht mehr wirkt. Sie kann jedoch nicht verhindern, daß eine Mitschwester von einem Artgenossen dieser Wesen vergiftet wird. Das Gift bewirkt die Verwandlung eines Menschen in eine weitere Schlangenkreatur. Anthelia tötet ihre Mitschwester, bevor der Umwandlungsprozeß vollendet ist und experimentiert mit dem vergifteten Blut. In London wird derweil eine neue Abteilung gegründet, die Muggelstämmige registrieren und auf die Herkunft ihrer Zauberkräfte prüfen soll. Leiterin der Kommission ist die skrupellose Hexe Dolores Umbridge. Ihr erstes Ziel, der Offizierssohn Tim Abrahams, entkommt ihrem Zugriff nur durch die Mithilfe seiner heimlichen Jugendliebe Galatea Barley und ihrer Mutter Ceridwen. Patricia Straton findet heraus, daß der Junge Cecil Wellington nun dem von ihr erbeutetem Sonnenmedaillon verbunden ist, das sogar Anthelia auf Abstand hält.

Das neue Schuljahr in Hogwarts soll anfangen, und Severus Snape, der von den meisten anständigen Hexen und Zauberern als Dumbledores Mörder verdächtigte, soll die altehrwürdige Schule leiten. Dies verheißt nichts gutes. Um zu beobachten, was dort nun genau geschieht, überredet die Schülerin Lea Drake ihre Mutter und ihre Großtante, ihr den Trank der Verborgenheit zu geben, der sie auch ohne Tarnumhang und Tarnzauber vollkommen unsichtbar macht. Zwar ist ihr Vater nicht besonders begeistert, kann jedoch nichts dagegen unternehmen. Lea erhält den Trank in einer bis zu den Weihnachtsferien reichenden Menge und fährt unsichtbar nach Hogwarts. Unterwegs bekommt sie mit, wie alle Muggelstämmigen von Dementoren aus dem Zug geholt werden. In Hogwarts selbst erwartet auch die sog. Reinblüter eine Zeit des Ungemachs, denn das von Voldemort berufene Trio Snape, Carrow und Carrow genießt es, drakonische Strafen zu vollziehen, um aufbegehrende Schüler zu brechen. Lea führt das Leben eines Gespenstes, das mit keinem reden kann, bis sie mitbekommt, daß Neville Longbottom aus Gryffindor die Schülertrupppe Dumbledores Armee wieder aufleben läßt. Außerdem trifft sie etwas unangenehm auf den scheinbar dreizehnjährigen Mitschüler Adrian Moonriver, der sie irgendwie enttarnen und darüber hinaus hervorragend zaubern kann. Ende Oktober erfährt sie, daß die in Hogwarts verbliebenen Schulfreunde von Julius Andrews als Druckmittel benutzt werden sollen um ihn, den Ruster-Simonowsky-Zauberer, zur Rückkehr nach England zu zwingen. Sie bekommt mit, daß Julius seine Freunde persönlich aus der Schule holen will und hilft ihm heimlich, bevor sie sich ihm kurz vor der Flucht zu erkennen gibt.

Anthelia indes beschließt, das Erbe ihrer Tante zu nutzen, um neue Entomanthropen zu erschaffen. Denn nur was fliegen kann hat eine Chance gegen die Schlangenkrieger Voldemorts. So erschafft sie drei weitere Königinnen, was nicht unbemerkt bleibt. Sie gerät einmal mit der geheimen Sondertruppe Wishbones, der My-Truppe unter Peter Grinder, aneinander. Lady Daianira erfährt von den neuen Entomanthropen und befindet, sich nicht mehr an die Zusagen gegenüber der Wiederkehrerin zu halten. Zunächst will sie nur mit einer Medienhetze gegen Anthelia vorgehen. Doch als Donata Archstone, die von Anthelia abgeworbene Mitschwester Daianiras, fast im Schmelzfeuerzauber getötet wird, erkennt Anthelia, daß Daianiras Zusage wohl nichts mehr wert ist, auch wenn sie diese auf einen Eidesstein geschworen hat.

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Hallo Schwester Daianira,

Ich habe mit einem gewissen Unmut verfolgen müssen, wie jemand danach trachtet, die magische Gemeinschaft Nordamerikas durch wilde Vermutungen und unverhohlene Aufrufe wider mich zu mobilisieren. Da du in Ailons Grotte wie die meisten anderen Schwestern gelobt hast, dich nicht wider mich zu wenden, huldigte ich der Annahme, jemand anderes könnte danach trachten, mich zu bekriegen. Leider wurde meine Ansicht, du stecktest keinesfalls hinter dieser Hetzkampagne, jäh entkräftet, als ich zusehen mußte, wie deine ehemalige Mitschwester Donata Archstone, die mit der Bitte zu mir kam, meiner Gefolgschaft beizutreten, in der Gewalt des Schmelzfeuerfluches wie Wachs im Kaminfeuer zerschmolz und mir überdeutlich zu Bewußtsein kam, daß dieser hinterhältige Anschlag auch mich ereilen sollte. Da ich sehr stark davon ausgehen muß, daß nur du diesen verheerenden Elementarfluch wirken konntest, sehe ich mich zu meinem allergrößten Bedauern dazu veranlaßt, dich als Urheberin jener wider mich und meine Mitschwestern geführten Kampagne zu erkennen. Ich hielt deinen Verstand und deine Erfahrung für zu groß, um derartig töricht meine Feindschaft zu suchen, nachdem du mir gelobtest, meine Pläne nicht zu durchkreuzen. Nur absolute Narren oder Irrsinnige suchen meine Feindschaft. Ich trachtete nicht danach, deine Vorrangstellung innerhalb der entschlossenen Schwestern Nordamerikas zu erschüttern oder zu zerstören. Aber wenn du es so augenfällig wagst, wider mich anzutreten, so sei dir der aus meiner schweren Enttäuschung erwachsene Zorn gewiß, Schwester Daianira. Kehre deinem Wunsch den Rücken, mich aus der Welt zu schaffen und bereue deine Verfehlung. Widrigenfalls wirst du es sein, die bald aus dieser Welt schwindet. Da ich deine bisherigen Beteuerungen nun als Ausdruck der Heuchelei sehen muß, erkenne ich deine Abbitte und Reue nur an, wenn du dich vor deinen und meinen Mitschwestern offen zu mir bekennst und mir deine bedingungslose Gefolgschaft schwörst. Tust du dies nicht, wird der Preis für die von deiner Seite gebrochene Vereinbarung fällig. Dies sei die allerletzte Warnung, die an dich ergeht.

In schwesterlicher Achtung

Anthelia

Daianira Hemlock erstarrte, als sie den Brief aus ihrer silbern behandschuhten Hand auf den Steintisch zurücklegte. Donata war zwar tot, aber Anthelia lebte noch. Nicht nur das, sondern sie drohte ihr, Lady Daianira Hemlock, Führerin der entschlossenen Schwestern. Sie erinnerte sich an dieses Treffen vor mehr als einem Jahr. Damals hatte sie zähneknirschend zugestimmt, diese widerliche Wiederkehrerin gewähren zu lassen, solange sie nicht in ihre Angelegenheiten hineinfuhrwerkte. Sie hatte es sogar auf einen Eidesstein geschworen. Aber derartige magische Bindungen galten ihr nichts, wo sie wußte, wie sie einen auf dieses Artefakt geleisteten Schwur entkräften konnte. Widrigenfalls wäre sie wohl schon bei der Strafaktion gegen die Stratons übel bestraft worden. Anthelia mußte das wohl erkannt haben. Warum sie sie dennoch bis jetzt hatte gewähren lassen konnte Daianira nur auf die maßlose Überheblichkeit der Wiederkehrerin zurückführen. Doch offenbar war jetzt der Punkt erreicht, wo es nur noch darum ging, wer von ihnen beiden die nächsten Monate erleben würde. Sicher, sie hatte die Zeitungen mit den Geschichten gefüttert, die neue Hexenführerin habe neue Entomanthropen erschaffen, um sie gegen die magische Gemeinschaft einzusetzen. Doch das hatte sie getan, weil Anthelia sich nicht mehr an die Vereinbarungen der Schwesternschaft halten wollte, nämlich keine Kreuzungen zwischen Menschen und Tieren mehr zu erzeugen. Offenbar empfand sie es als Vorrecht, das Erbe ihrer Tante zu benutzen, wann und wie immer sie wollte. Auch was Donata ihr zugespielt hatte, daß der Emporkömmling sich eine Truppe aus Kriegern des alten Reiches heranzog, hielt sie für eine Ausflucht Anthelias, um bedenkenlos unschuldige Frauen und Mädchen, ja womöglich sogar ungeborene Kinder, zur Züchtung von Entomanthropen zu mißbrauchen. Hätte sie ihr dies unbekümmert durchgehen lassen, wäre sie an jedem Opfer mitschuldig, daß diese Züchtungen forderten, sei es die Erschaffung der Brutköniginnen oder die Fütterung der diesen entschlüpfenden Abkömmlinge. Sich Anthelia zu unterwerfen hieße, diese Monstren noch weiter existieren zu lassen. Sicher, die die es schon gab würden ohne eine Anführerin marodieren. Doch die Kreaturen waren nicht unverwundbar, wenngleich sie gegen viele Flüche und Elementarzauber gepanzert waren. Es wäre dann eine Sache der Jäger gefährlicher Geschöpfe, diese Brut restlos auszurotten, wenn klar war, daß diese Ungeheuer danach nicht noch einmal auftauchen konnten. Doch wenn sie Anthelia ohne ihr Sonnenmedaillon zum neuerlichen Duell stellen wollte, könnte sie verlieren. Das wurde ihr bewußt, als sie daran dachte, daß nur das Sonnenmedaillon die Gegnerin bezwungen hatte, auch wenn diese nicht, wie sie gehofft hatte, unwiederbringlich vernichtet werden konnte. Sie war wütend, weil sie nicht wußte, wer von Anthelias verräterischen Gefolgschafterinnen ihr das Amulett des Inti gestohlen hatte. Jede Suche danach war bisher ins Leere gelaufen. Womöglich verbarg sich die Diebin im Schutz eines Fidelius-Zaubers. Außerdem mochte sie das Amulett dazu gebracht haben, sich ihr anzuvertrauen und sie zu schützen. Das tat es jedoch nur, wenn sein neuer Träger ein ordentlicher Nachkomme der Inkas war oder die Trägerin gesund und kräftig genug war, mit einem solchen Nachfahren einen Sohn zu zeugen. Also mußte die Diebin jünger sein als Daianira, wenn das Amulett sie als seine unbedingte Herrin angenommen hatte. Damit war die Verräterin jedoch auch zu einer Bedrohung für Anthelia selbst geworden, weil sie mit dem Medaillon die in Anthelia wirkende Teilkraft eines Vampirs bekämpfte und sich damit allem widersetzte, was gegen seine Trägerin gerichtet werden mochte. Womöglich wäre es besser, sich der Freundschaft dieser Hexe zu versichern, als ihr weiter zu grollen, daß sie das Sonnenamulett entwendet hatte. Denn sollte dieses sie wahrhaftig als seine Herrin anerkannt haben, wäre es töricht, es ihr wieder abzunehmen, selbst wenn sie es könnte. Denn sie erinnerte sich noch zu gut, wie sie das Medaillon des Inti aus dem geheimen Sonnentempel in der Nähe von Cuzco geborgen hatte, mehr als vierhundert Jahre nach dem Tod des letzten regierenden Inkas. Sie war die erste mit Magie gesegnete Frau gewesen, die es an ihrem Körper trug. Ob sie die dem Medaillon genehmste Wahl war hatte sie nie hinterfragt, solange es ihr niemand streitig machen konnte. Doch jetzt mochte sie den Gedanken nicht aus ihrem Kopf bekommen, daß es eine würdigere Trägerin gefunden hatte und nun noch mächtiger sein mochte. Sein mochte? Es war mächtiger geworden. Denn sie hatte mitbekommen, wie Anthelia und diese Verräterin die von der Macht des Mitternachtsdiamanten erfüllte Vampirin Nyx vertrieben hatten.

"Ich muß mich ihr stellen und ihrem zweiten Dasein ein für allemal den Garaus machen", dachte Daianira Hemlock. "Auch wenn ich selbst dabei draufgehe."

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"Streich oder Süßes!" Krakehlte ein Kinderchor vor Virginia Hencocks Praxis. Das waren schon die dritten Halloweenanbeter, die heute auftauchten, dachte die Frauenärztin und fischte nach drei großen Tüten, aus denen sie Schokoriegel, Bonbons und winzige Tüten Gelebohnen herausfischte. Ihre Mitbewohnerin Patricia hatte ihr geraten, den Kindern was zu geben, um nicht unbeliebt zu werden. Auch wenn die möglichen Streiche der um ihre Süßwaren geprellten Jungen und Mädchen harmlos waren, mußte das ja nicht unbedingt sein.

Vor der Tür standen vier Gestalten, die wie die primitiven Teletubbies aussahen. Virginia Hencock, die selbst ein schrilles, rosarotes Rüschenkleid trug, um ein bißchen Halloweenstimmung zu verbreiten, grinste nur und sagte: "Noch mal!"

"Streich oder Süßes!" Skandierten die Teletubbies erneut. Dann lachten sie vergnügt, weil die neue Nachbarin offenbar den Gag kapiert hatte. Virginia teilte nun die bereitgehaltenen Süßigkeiten aus, wobei sie sich an die von vielen Eltern und Erziehungswissenschaftlern empfohlene Richtlinie hielt, nur ordentlich verpacktes Naschwerk weiterzugeben, um nicht den Eindruck zu vermitteln, mit Drogen versetztes Zeug an Minderjährige zu verteilen. Die Teletubbies bedankten sich und machten Winke-winke, bevor sie weiterzogen, um weitere Kohlenhydraternte einzuheimsen.

"Zwei Indianer, zwei Kobolde und jetzt die Teletubbies", faßte Virginia die bisherige Halloweenparade zusammen. "Und der Abend ist noch lang genug für die Knirpse."

"Bis jetzt noch keine Hexen?" Fragte Patricia Straton, die sich ein phosphoreszierendes Gummikostüm angezogen hatte, um einen Leuchtkäfer darzustellen. Im Haus der beiden waren Kürbisse mit brennenden Kerzen darin aufgestellt, und luftschlangen streckten sich an der Decke entlang.

"Die wissen wohl, daß hier eine wohnt", flüsterte Virginia Hencock. Patricia grinste amüsiert.

"Dann wären wir beide nicht mehr hier, wenn das jemand außer uns und der höchsten Schwester wüßte", sagte sie noch. Virginia nickte. Seitdem sie hier wohnte und arbeitete rechnete sie immer wieder damit, daß Anthelias Feinde ihr doch auf die Schliche kamen. Doch bisher wußte wohl niemand von ihr, Virginia Hencock, die im August ihren ersten Wiedergeburtstag gefeiert hatte.

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Michael Leeland war wohl genauso aufgeregt wie die Brautleute. Er durfte dabei sein, wie in der ihm bis zum ersten August unbekannten Zaubererwelt zwei Liebende angetraut wurden. Seine Schwester Melanie hatte sich ständig mit den anderen Bewohnerinnen von Whitesand Valley unterhalten, was Gäste einer solchen Veranstaltung anziehen sollten. Auch seine Cousine Pina, eine echte Hexenschülerin, hatte sich an dieser Diskussion beteiligt, während er sich mit den Männlichen Mitbewohnern schön da rausgehalten hatte. Halloween stand nun an, und die beiden Brautleute wollten ausgerechnet an diesem Tag heiraten, wo es doch hieß, daß da die Grenze zwischen dem Reich der lebenden und Toten durchlässig wäre.

"Unsere Festklamotten sind tiptop", meinte der Erstgeborene von Dr. Powder und seiner Frau, die vor kurzem einen neuen Jungen auf diese Welt gebracht hatte. "Mrs. Whitesand sagt, die passen schon. Deine Schwester will ja unbedingt so'n Umhang tragen, wie Pina und Prudence sie mithaben. Dabei könnte die in ihrem Kleid dem Brautpaar echt noch Konkurrenz machen. Wieso müssen die eigentlich hier heiraten?"

"Weil das hier der sicherste Ort in unserem Land ist, seitdem dieser Irre, der meinen Vater hat abmurksen lassen, wohl die erste Geige spielt", knurrte Michael. "Sei doch froh, daß wir hier außer Büchern und Spazierengehen noch andere Sachen geboten kriegen!"

"Bis Mum von der ganzen Anstrengung wegen der Geburt wieder erholt ist und uns weiterunterrichten kann", grummelte Chester Powder. "Aber ist schon cool, daß Tim hier heiraten will. Dann kriege ich diese Gally mal zu sehen, von der er Dad erzählt hat."

"Siehst du", wandte Mike Leeland ein. "Und dann soll noch so'n alter Zauberer aus Schottland rüberkommen, der für die Braut aufspielt."

"Uaa, doch nicht etwaa auf einem Dudelsack. Sollte ich mir dann besser Watte in die Ohren stopfen, um von dem Gequäke nicht taub zu werden."

"Dudelsackmusik ist doch was feines. Ich habe das schon häufig mitgekriegt, wenn beim Buckingham-Palast der Wachwechsel ablief und irgendein schottischer Untertrupp antrat", erwiderte Mike.

"Habe ich auch mal erlebt", knurrte Chester zurück. "Ziemlich laut und ziemlich schrill diese Windsäcke."

"Das sag mal besser nicht, wenn Mr. McFusty in der Nähe ist", wandte Pina ein, die sich von den Bekleidungsfragen diskutierenden Hexen und Nicht-Hexen abgesetzt hatte. "Der ist sowas von stolz auf seine Herkunft, daß er behaupten könnte, wir Engländer wollten ihm was. Und im Gegensatz zu dir kann der zaubern."

"Sogesehen, Pina, wäre ich erst gar nicht mit meinen alten Herrschaften zu eurer vermurksten Party hingekommen, wenn wir das da schon gewußt hätten ..."

"Chester, das war jetzt oberbescheuert", schnarrte Mike, während Pina total betrübt die Augen niederschlug. "Immerhin ist ihr Vater dabei genauso draufgegangen wie meiner. Und trotzdem rede ich nicht so'n Müll. Sei froh, daß du weißt, wo deine Eltern sind. Das hättest du sonst nämlich nicht mehr mitgekriegt, falls die erhabene Lady Sophia dich nicht hergeholt hätte." Chester verzog nur das Gesicht und schob ab.

"Der muß das noch lernen, wo er besser das Maul zu halten hat", grummelte Mike. "Ich freue mich jedenfalls auf Tims Hochzeit. Vielleicht möchtest du mir ja noch was über diesen Schotten erzählen, der herkommt." Pina schniefte kurz und fing sich dann wieder. In einer Ecke des gemütlichen großen esszimmers berichtete sie ihrem Cousin von den McFustys, und daß sie eine Gruppe schwarzer Hebriden betreuten, echte Drachen, die Feuer speien konnten.

Am Nachmittag des Halloweentages war ein großer Saal im Haus Sophia Whitesands mit goldenen Luftballons geschmückt. Schwebende Kerzen verbreiteten erhabenen Glanz, und an den Wänden wanden sich bunte Luftschlangen. Michael staunte nicht schlecht, als mitten im Raum eine blaue Lichtspirale erschien, aus der die Hausherrin in einem lavendelfarbenen Rüschenkleid zusammen mit Tim Abrahams in einem marineblauen Samtumhang und einer Matrosenmütze auf dem Kopf zusammen mit einer in himmelblau gekleideten Hexe mit feuerrotem Haar herausfiel. Zwischen ihnen stand noch ein rothaariger Bursche in einem ebenso marineblauen Umhang, allerdings ohne Kopfbedeckung.

"Wie geht das denn. Ich dachte, die Teleportation läuft mit einem einfachen Knall und Dasein ab", wisperte Mike seiner Cousine Pina zu. Diese sagte nur, daß es ein Portschlüssel sein mußte. Sie deutete auf den Putzlumpen, den die Hexe in Himmelblau gerade fortsteckte. Dann hörten sie den unverkennbaren Klang eines schottischen Dudelsacks im Tal. Die Musik kam näher. Sophia Whitesand schlug vor, die Braut und ihren Vater an der Eingangstür zu erwarten. So standen sie alle auf und gingen hinaus, wo sie sahen, wie ein betagter Zauberer mit ziegelroter Struwelmähne und dito Vollbart im rot-weiß-gelben Schottenrock eine kleine Gruppe anführte, aus der eine Frau im schneeweißen Tweedkleid hervorstach. Ihr zur rechten marschierte ein Mann im dunkelblauen Anzug mit Krawatte, ähnlich wie Mike einen trug. Hinter ihr gingen zwei Frauen in goldenen Kleidern mit weißen Blumen im feuerroten Haar. Die Gäste applaudierten, als noch ein kleiner Mann im goldenen Umhang aus einem blauen Leuchten heraus auftauchte. Er besaß büscheliges, weißes Haar und wirkte sehr ehrwürdig. Mike hatte sich erzählen lassen, daß die wichtigsten Zeremonien wie Geburtsfeiern, Hochzeiten und Beerdigungen nicht unbedingt von einem Priester durchgeführt wurden, sondern von eigens hierzu ausgebildeten und eingesetzten Zeremonienmagiern, die ohne religiöse Bekundungen auskamen. Mike fragte sich, ob das bei Paaren, die unterschiedlichen Religionen oder gar keiner angehörten nicht die Ideallösung sei, wenn sie nicht nur in einem Rathaus getraut werden wollten.

Als alle Hochzeitsgäste und die Familie der Braut im Festsaal auf den gepolsterten Stühlen saßen sprach der kleine Magier im goldenen Umhang mit leicht leieriger Stimme von der ewigen Macht ehrlicher Liebe und großen Kraft unverbrüchlicher Treue, bevor er das Brautpaar zu sich bat. Michael Leeland beobachtete genau, wie Braut und Bräutigam vor den Zeremonienmagier traten und hörte, wie sie die entscheidende Frage gestellt bekamen, nachdem die Braut ihren Schleier gehoben hatte. Galatea Arianrhod Vera Barley erklärte sich mit einem "Ja, ich will" bereit, den hier anwesenden Timothy Bruster Templeton Abrahams zum Mann zu nehmen. Dieser gelobte, Galatea Arianrhod Vera Barley zur Frau nehmen zu wollen. Darauf ergoß sich aus dem Zauberstab des kleinen Magiers ein Schauer goldener Funken, die das Brautpaar umtanzten und umschwirrten. Der Zauberer aus Schottland stimmte noch einmal ein Lied an, was hier im Saal wirklich ziemlich laut nachdröhnte. Die den Text kannten sangen lautstark mit. Die anderen kämpften wohl gegen den Reflex an, sich die Ohren zuzuhalten. Doch dann ging es auch schon zum gemütlichen Teil über. Mike gratulierte Tim und ließ sich seiner frisch angetrauten Frau Galatea vorstellen, die ihn wiederum mit ihrem Vater Darrin Barley bekanntmachte.

"Ich hörte sowas, daß Ceridwens gute Bekannte ein paar Leute ohne Zauberkräfte bei sich untergebracht hat, weil dieser Lumpenhund, den keiner beim Namen nennen darf, deinen Vater hat umbringen lassen, als er mit dir und deiner Schwester auf einer Party wart."

"In der Welt ohne Magie sind wir wohl schon für tot und begraben erklärt", erwiderte Michael. "Und bisher kann oder will uns Madam Whitesand nicht hier wegschicken, solange nicht klar ist, wie wir weiterleben können, Sir. Aber Sie haben eine echte Hexe geheiratet. Wußten Sie das vorher schon oder erst, als Sie "Ja ich will" gesagt haben?"

"Das war jetzt klar, daß ich das gefragt werde", erwiderte Mr. Barley. "Sie hat es mir zwei Wochen vor der Hochzeit verraten, als ich wissen wollte, wie ihre Verwandten anreisen würden. Der alte Herr im Kilt ist ihr Urgroßonkel, der angeblich auf echte Feuerdrachen aufpassen soll. Ich habe zwar noch keinen gesehen, hätte aber auch nicht viel verpaßt, sagt Ceridwen."

"Wir kriegen hier von Madam Whitesand Zeitungen aus der sogenannten Muggelwelt ab, damit wir nicht total hinterm Mond bleiben. Da draußen kriegt das wohl keiner mit, daß sich echte Hexen und Zauberer bekriegen. Die trauern alle noch um Lady Diana."

"Tja, und dieses und jenes", erwiderte Darrin. "meine Kinder sollten demnächst wohl mit Leuten verkuppelt werden, habe ich erfahren. Da gucke ich mir lieber an, wie meine jüngste Tochter einen Mann heiratet, der Ahnung von meiner früheren Umwelt hat. Ceridwen meinte, das habe sich sogar schon ausgezahlt. Wenn sie mir auch nicht verraten will, wie."

"Schon eine coole Nummer, wenn jemand mit dem Internet arbeiten und gleichzeitig Teleportation kann", erwiderte Mike.

"Auch schon unheimlich. Aber ich hoffe, wir kommen aus dem Sumpf auch wieder raus, in dem wir gerade festhängen", entgegnete Darrin Barley.

"Ich habe nur Bammel, daß Mel, meine Schwester und ich irgendwann in kleine Hosenscheißer zurückverwandelt werden müssen, weil wir sonst da draußen nicht mehr gescheit reinkommen."

"Hups, wie das denn?" Fragte Darrin. "Nicht, daß ich das nicht für möglich hielt. Aber was sollte das bringen, euch in Babys zu verwandeln."

"Die kann man leichter irgendwem unterjubeln als plötzlich wieder aufgetauchte Tote", sagte Michael Leeland dazu nur. "Aber im Moment will unsere Gastgeberin wohl noch sehen, ob wir in die Außenwelt reinkönnen, ohne ganz bei null anfangen zu müssen."

"Das hoffe ich mal für euch. Weil sonst hätte die ehrwürdige Lady da hinten euch ja gleich so entsorgen oder umbringen können."

"Das ist wohl der Grund, warum wir noch auf eigenen Füßen rumlaufen können", wandte Mike ein. Dann ließ er sich von seiner Cousine Pina mit Angus McFusty bekannt machen, der mit Pinas Ururgroßvater väterlicherseits in dieser Hogwarts-Zauberschule gewesen war.

"Wirst langsam 'ne richtige Frau, Bonnie Lassie. Kann mich noch dran erinnern, wie ich deinen Vater in den Armen hatte", sagte Angus McFusty. "Echt eine Sauerei, ihn umzubringen."

"Da wird meine Mutter Ihnen voll und ganz zustimmen", seufzte Pina. "Immerhin sind wir diesen Leuten erst einmal von der Schippe gesprungen."

"Hörst du noch was aus Hogwarts, Bonnie Lassie?"

"Seitdem vier Schulkameraden von mir sich davonmachen mußten nichts mehr", sagte Pina. Angus McFusty nickte. "Habe die Sache gehört. Ein sehr heftiger Schlag für den jungen Spinner Snape und diesen Auswurf des alten Typhon Carrow. Würde diesen Leuten gerne die Hand schütteln, die diesen Streich gespielt haben."

"Ja, und Sie-wissen-schon-Wer würde die sofort umbringen, wenn er wüßte, wer das alles ist", erwiderte Pina. Angus McFusty nickte. Er entschuldigte sich für seine Worte. Dann ging es zum tanzen.

Angus tanzte zunächst mit Madam Whitesand, während aus unsichtbarer Quelle, vielleicht den goldenen Luftballons, angenehme Musik erklang. Mike führte Pina zum Tanz, während Melanie mit Chester über das Parkett schwebte. Ansonsten bildeten die ordentlichen Ehepaare die Tanzgesellschaft. Spät am Abend verschwanden die extra angereisten Hochzeitsgäste mit einem dieser Portschlüssel, die wie eine Art tragbarer Transporter aufleuchteten und sich und alle, die sich daran festhielten verschwinden ließen.

"Diser alte Drachenbändiger ist ja schon ein ulkiger Typ", sagte Melanie. "Als der mit mir getanzt hat meinte der, Pina und du gebt auch ein hübsches Brautpaar ab. Ich habe ihn dann drauf hingewiesen, daß Pina und Olivia unsere Cousinen sind. Der meinte dann nur, daß das doch kein Hindernis wäre, seine Mutter wäre ja auch die Cousine seines Vaters gewesen, und sein jüngerer Bruder habe eine Tante Mütterlicherseits geheiratet. Kein Wunder das diese Zaubererwelt Probleme mit der modernen Welt hat, wenn die in Inzucht leben."

"Das ist wie ein Dorf, Mel. Wenn du nicht bei jedem ausgewachsenen Kind wen aus der Stadt oder einem weit entfernten Nachbardorf rüberholen oder das eigene Kind fortschicken willst, bleibt nur das Untereinanderverheiraten. Immerhin ist Mr. Barley kein Zauberer. Also kucken die auch schon, ob die anderswoher frisches Blut kriegen. Und Tims Eltern haben mit Magie auch nix am Hut gehabt."

"Ach, dann fändest du das interessant, Pina oder olivia zu heiraten?" Fragte Melanie schnippisch.

"Interessant? Das müßte ich dann wohl mit Ja beantworten. Richtig, nicht unbedingt. Außerdem laufen hier noch genug andere Hexen herum, mit denen wir nicht verwandt sind."

"Vergiß es, Mike!" Schnarrte Melanie. "Wenn du immer noch hinter dieser Patience Moonriver herläufst, nur weil die eine in jeder Hinsicht trainierte Nährmutter ist, die ist zu alt für dich."

"Eifersüchtig, Määählanie?" Konterte Mike.

"Du sollst das lassen, verdammt", fauchte seine Schwester. "Und nein, ich bin nicht eifersüchtig. Dann müßte ich dich ja heiraten wollen. Und du schnarchst mir zu viel. Also halt die Klappe."

"Ich habe nicht damit angefangen, Määäh-mmmpf", versuchte Mike noch eine Frechheit loszulassen. Doch seine Schwester hielt ihm den Mund zu. Ihre Mutter kam angelaufen und fragte, was es nun wieder zu zanken gab, wo sonst alle so friedlich seien. Mike meinte dann:

"Melanie hat das so angerührt, daß sie mich gefragt hat, ob ich Pina nicht auch einen Heiratsantrag machen soll."

"Blödmann!" Blaffte Melanie verärgert. Ihre Mutter sah sie und Mike an und meinte dann:

"Ich weiß, in dieser Magierwelt können innerfamiliäre Ehen geschlossen werden. Aber ich denke nicht, daß Melanie dir einen derartigen Vorschlag machen würde, Mike. Wir wollen lieber hoffen, daß wir alle hier wohlbehalten und unversehrt rauskommen können. Bis dahin müssen wir so gut es geht mit der Lage leben und sollten uns nicht andauernd über absolut belangloses Zeug zanken. Merkt euch das endlich mal!"

"Joh, machen wir", erwiderte Mike verdrossen, während Melanie ihre Mutter so ansah, als sei sie völlig unschuldig daran.

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Sie wirkte wie eine liebenswerte, gemütliche Oma, wie sie da in ihrem hochlehnigen Schaukelstuhl saß und die Füße auf einer mit rot-weißer Wolle gepolsterten Fußbank liegen hatte. Ihr Umhang war himmelblau mit weißen Blumen und gelben Sonnensymbolen und stellte eher einen Morgenrock als eine offizielle Bekleidung dar. Im Moment umspielte ihr nachtschwarzes, an einigen Stellen schon silbern schimmerndes Haar ihren Rücken, und die hinter den kreisrunden Brillengläsern liegenden grauen Augen sahen aufmerksam auf die Besucherin, die vor knapp einer Minute das rustikale Blockhaus im Westen Arizonas betreten hatte. Das Gesicht der im Schaukelstuhl sitzenden wirkte trotz der erkennbaren Falten noch lebhaft und andauernd. Die Besucherin strich sich noch einmal durch ihr haselnußfarbenes Haar und verbeugte sich tief. Denn sie wußte, daß sie trotz ihrer hohen Rangstellung vor jener im Schaukelstuhl auf der Hut bleiben mußte. Zwar würde sie diese zu gerne beerben. Doch die Andere wußte das und hatte sich wohlweißlich gegen ein viel zu frühes Ableben abgesichert. Sie war auch nur hergekommen, weil die gemütliche, kleine, runde Dame im Schaukelstuhl sie unmißverständlich deutlich zu sich zitiert hatte. Dieser "Einladung" nicht zu folgen wäre zu diesem Zeitpunkt fatal gewesen.

""Setz dich bitte, Schwester Daianira", richtete die Hexe im Schaukelstuhl das Wort an ihre Besucherin. Wie auf's Stichwort trabte ein mit einem rot-weißen Daunenkissen gepolsterter Stuhl heran und stellte sich so, daß die Besucherin sich nur noch niederlassen mußte. "Wie geht es dir?" Fragte die Hexe im Schaukelstuhl.

"Gesundheitlich ausgezeichnet, Lady Roberta", erwiderte Daianira Hemlock, die in diesem Landhauswohnzimmer für einige Zeit vergessen mußte, daß sie sonst ähnlichen Respekt verlangte wie die da im Schaukelstuhl. "Doch es gibt ein Problem, daß uns allen übel aufstoßen wird. Ich denke, das dürfte der Grund sein, weswegen Ihr mich zu Euch batet."

"Ganz genau, meine Liebe. Wir haben ein gehöriges Problem. Die Stratons sind tot, und Sardonias Erbin tanzt uns allen auf der Nase herum. Ich hörte das mit den Entomanthropen. Das war zu erwarten", grummelte die Hexe im Schaukelstuhl. "Aber was dich geritten hat, dich offen mit ihr anzulegen, ohne es mit allen Schwestern zu besprechen, und vor allem, wie es angeht, daß du und diverse anderen ungeduldigen Schwestern mit dieser Person paktieren wollt, das will ich jetzt von dir wissen."

"Bei allem Respekt, Lady Roberta, ich weiß nicht, weshalb Ihr mir unterstellt, ich würde mit Sardonias Erbin paktieren und jetzt versuchen, gegen sie anzugehen, ohne Euch darüber informiert zu haben."

"So, das weißt du nicht. Das erstaunt mich aber", erwiderte Lady Roberta, die mit vollem Namen Roberta Almalinda Amavita Sevenrock hieß und seit stolzen einhundertacht Jahren auf der Welt war, vierzig Jahre davon bereits als oberste Sprecherin der ehrenwerten Sororitas silenciosa innerhalb Nordamerikas. "Dann will ich es dir gerne erklären, Daianira. Es gibt Schwestern, die haben Angst, weil du und die anderen Ungeduldigen euch dieser Fremden, die angeblich wiederauferstanden sein soll, anbiedert und damit unsere erhabene Gemeinschaft einer Anhängerin der Fanatikerin Sardonia ausliefern könntet. Wer von den dir zugetanenen mich informiert hat soll dich nicht kümmern, Daianira. Ich begrüße es zwar, daß du jetzt mit mir darüber einstimmst, daß diese sogenannte Wiederkehrerin nicht groß werden darf, bringt mich jedoch nicht davon ab, daß du und die anderen Ungeduldigen sie zuerst gerne als neue Führerin begrüßt hättet. Also frage ich dich jetzt, ob es wirklich erst dieser frevelhaften Züchtung von Entomanthropen bedurfte, um dich zur Vernunft zu bringen. Und ich frage dich weiter, wie genau du vorgehen willst, damit wir anderen im Falle eines Fehlschlages reagieren können."

"Wer immer meinte, sich bei Euch einzuschmeicheln und mich und alle Schwestern, die meiner Auffassung anhängen bei Euch in Verruf zu bringen, Lady Roberta, hätte besser daran getan, mich zu fragen, ob ich mit dieser Entwicklung wirklich einverstanden war, auch vor den neuen Entomanthropen. Dann hätte sie genauso wie Ihr erfahren dürfen, daß ich keinesfalls bereit war, bin und sein werde, dieser Wiederkehrerin zu folgen und bereits nach einer Möglichkeit suchte, sie zu entmachten, bevor sie anfing, neue Entomanthropenköniginnen zu erschaffen. Wir wissen nicht, wie viele sie davon erzeugt hat. Sie wird sie wohl über die halbe Welt verteilen. Ich sah mich damals mit einigen anderen Schwestern gezwungen, ihr zumindest zuzusichern, sie nicht zu behindern, solange sie uns nicht in die eigenen Angelegenheiten hineinfuhrwerkt. Da sie dies nun jedoch tut, werde ich das meinige tun, sie aufzuhalten, sofern Ihr, Lady Roberta, dies nicht selbst übernehmen möchtet."

"Um dies zu entscheiden will ich mehr über diese obskure Wiederkehrerin wissen, Daianira. Wer ist es? Wie hat sie ihren Tod überdauert? Was hat Sie euch versprochen, gegeben oder angedroht? Ich weiß, daß du dich den ungeduldigen Mitschwestern gegenüber groß und unbezwingbar geben möchtest und alle Probleme alleine lösen willst. Wenn ich alles weiß, was du über diese Fremde weißt, kann es sein, daß ich dich dieses Problem auch lösen lasse, wenn ich sicher sein kann, daß du nicht dabei stirbst", erwiderte Roberta Sevenrock. Daianira dachte im Schutz ihrer okklumentischen Abschottung, daß Roberta ihr das Feld überlassen wollte, um sich nicht selbst mit Anthelia anlegen zu müssen. Doch die Antwort lieferte Roberta gleich nach. "Denn schließlich haben wir ja alle gelernt, daß wir erkannte Fehler selbständig korrigieren sollten. Und diese Gelegenheit würde ich dir gerne überlassen, wenn ich weiß, daß du dies schaffst. Also bitte!"

Daianira mußte sich sehr stark beherrschen, nicht in Wut zu geraten, weil Roberta Sevenrock sie hier wie eine junge Novizin behandelte, die lernen mußte, die Folgen ihrer Taten und Untaten zu tragen. Außerdem behagte es ihr nicht, dieser zögerlichen, auf biedere Familienhexe machenden Konkurrentin alles zu erzählen, was sie mit Anthelia erlebt hatte. Doch sie wußte auch, daß sie hier nicht mehr weggelassen würde, wenn sie diesem Befehl nicht folgte. Ihre Sonderstellung in der Schwesternschaft galt hier nichts. Vor der Stuhlmeisterin waren sie alle gleich, die Zögerlichen und die Entschlossenen. So schluckte sie ihren Unmut so gut es ging hinunter und schilderte der obersten Sprecherin der schweigsamen Schwestern Nordamerikas die bisherigen Erlebnisse mit Anthelia, wobei sie auch den Zusammenstoß mit dem Emporkömmling Tom Riddle und einer der noch wachen Abgrundstöchter erwähnte, bei dem Pandora Straton ums Leben kam. Roberta Sevenrock hörte es sich ruhig an, hielt dabei selbst ihren Geist verschlossen. Erst als Daianira berichtete, daß sie versucht habe, Patricia Straton dazu zu zwingen, von der Wiederkehrerin abzulassen, sagte Roberta:

"Spätestens da hättest du mich einbeziehen sollen, Daianira. Immerhin habe ich damals Pandora und Patricia in unserer Gemeinschaft willkommengeheißen. Abgesehen davon war dir doch seit dem Tod Schwester Ardentias klar, daß die Hexe, die behauptet, die Nichte Sardonias zu sein, einen wirksamen Verratsunterdrückungsfluch über ihre eingeschworenen Mitschwestern gelegt hat, ähnlich wie die, die dich damals aus dem höchsten Rang der Ungeduldigen verdrängen wollten, und weswegen die gute Larissa darauf verfiel, ihre eigene Enkeltochter zu werden." Daianira verzog das Gesicht. Wußte diese kleine, dicke Hexe im Schaukelstuhl das also auch. Sie hatte bisher gedacht, Peggy und Larissa hätten es keinem anderen verraten können. "Guck mich nicht so an, als hätte ich dir etwas wichtiges weggenommen!" Tadelte Roberta Daianira. "Denke besser daran, daß alles was du tust nicht nur auf dich zurückfällt. Es ist leider unsere Grundregel, daß wir uns nicht in die Affären unserer ausländischen Mitschwestern einmischen dürfen. Aber was uns hier in den Staaten und Kanada angeht, so sind wir den Hexen und auch den Zauberern dieses Landes verpflichtet, sie vor Nachstellungen aus der Muggelwelt oder vor Emporkömmlingen wie Riddle zu schützen, auch ohne das Zaubereiministerium. Schlimm genug, daß diese Kupplerbande immer noch frei herumlaufen kann, die arglose Mädchen und Jungen wie Zuchtvieh zusammentreibt. Und auch schlimm genug, daß es in den Sümpfen von Bayoo immer noch Anhänger des dunklen Voodoos gibt, die immer mal wieder aufbegehren. Jetzt haben wir noch einen selbstherrlichen Zaubereiminister als Gefängniswärter und eine Gruppe abtrünniger Schwestern und ungeduldiger Hexen, die nicht den Weg zu uns nehmen wollten, die von einer selbsterklärten Erbin Sardonias geführt wird. Denn die Frage nach Anthelias Überdauerung hast du nicht beantwortet."

"Ich hatte das dumpfe Gefühl, daß Pandora Straton bei dieser unverhofften Wiederkehr beteiligt war, Lady Roberta. Womöglich wußte Patricia Straton auch darüber bescheid. Immerhin hat Pandora Straton sich mit der Geschichte dunkler Zauberei besser ausgekannt als wir alle zusammen."

"Weshalb du sie ja unbedingt auf der Jagd nach dem Mitternachtsdiamanten mitnehmen mußtest, Daianira. Auch schon ein grober Fehler, den du zu verantworten hast. Du hättest dieser Nyx erst gar nicht erlauben dürfen, in die Nähe dieses Artefaktes zu kommen. Dir ist sicherlich bekannt, wer diesen übermächtigen Stein erschaffen und bezaubert hat?"

"Angeblich der finstere König oder auch Kaiser der Dunkelheit, der den vagen Berichten nach den Untergang von Atlantis bewirkt haben soll", knurrte Daianira.

"Und da hast du es wirklich darauf angelegt, daß irgendwer dieses Ding in die Hände bekommt, der dadurch unbeherrschbar mächtig wird?!" rief Roberta nun sehr verärgert. "Und ich dachte schon, diese Nyx habe sich den Mitternachtsdiamanten von einer völlig naiven jungen Hexe besorgen lassen."

"Es galt, daß dieser Stein niemals in die Hände des Emporkömmlings Riddle geraten solle, Lady Roberta", schnarrte Daianira. "Und die einzige brauchbare Möglichkeit, diesen vermaledeiten Klunker zu finden, war ein hilfsbereiter Vampir. Und Ihr habt mir damals gestattet, mit dieser Griselda Hollingsworth Kontakt aufzunehmen, nachdem Pandora Straton ergründet hat, daß sie noch existiert. Konnte ich wissen, daß sie nur darauf ausging, die Macht des Mitternachtsdiamanten für sich zu gewinnen?"

"Wissen nicht, aber sehr stark annehmen schon", erwiderte Roberta Sevenrock zornig. "Eine kleine Vampirin, die sich dafür hergab, um ein paar Liter Blut wegen ihren eigenen Körper feilzubieten, konnte unmöglich der Versuchung widerstehen, die dem Mitternachtsdiamanten innewohnende Macht für ihre eigenen Zwecke zu gebrauchen. Doch wie alles, was dem verdorbenen Geist und der dunklen Kreativität des finsteren Kaisers entsprang, dient diese Macht ausdrücklich ihm und seinen Zielen, auch wenn sie sich scheinbar denen unterwirft, die sie rufen können. Und damit kommen wir zu einem anderen Thema, daß jedoch mit dieser Zeit und mit den Entomanthropen zusammenhängt. Ist dir bewußt, daß Tom Riddle seinerseits ein Artefakt des finsteren Kaisers erbeutet hat? Oder haben die Ungeduldigen aus Italien dich und die dir anhängenden nicht informiert, daß dort und anderswo in Europa Geschöpfe halb Mensch halb Schlange aufgetaucht sind, deren Ursprung die Endzeit von Atlantis ist und von denen es heißt, daß nur das Zepter ihres Meisters Skyllian sie lenken kann." Daianira blinzelte leicht erschüttert. Mit den Entschlossenen aus Italien hatte sie seit dem Treffen in Ailons Höhle keine Verbindung mehr gehabt. Mochte es also doch wahr sein, was Donata ihr zugespielt hatte? Sie fragte Roberta, woher sie denn diese Information habe. Die Stuhlmeisterin der schweigsamen Schwestern Nordamerikas sagte nur, daß eine der ihrer gemäßigten Linie folgende Mitschwester aus Rom ihr diese Nachricht hatte zukommen lassen. "Insofern", führte sie noch an, "sehe ich die Neuschöpfung von Entomanthropen als Anthelias Antwort auf diese Bedrohung an, wenngleich wir das unmöglich zulassen dürfen, wenn dadurch ein Übel gegen ein anderes ausgetauscht wird. Wir müssen sogar davon ausgehen, daß diese Bestien sich unter Wishbones Mauer durchgraben können und auch bei uns auftauchen. Bedauerlicherweise war Pandora Straton die am besten mit dem alten Reich vertraute Mitschwester. Ich kenne nur noch eine Quelle, aus der wir mehr über diese Wesen erfahren können, und an die kann und werde nur ich rühren. Du wirst den entfachten Konflikt mit dieser Person, die sich Anthelia nennt, so beilegen, daß von dieser Hexe und ihr verbundenen Personen keine Bedrohung welcher Art auch immer ausgeht."

"Und Ihr wollt euch über diese angeblichen Schlangenwesen erkundigen?" Fragte Daianira. Einerseits sollte sie froh sein, daß Roberta ihr die Sache Anthelia überließ. Andererseits war dieses Vorhabenjetzt nicht mehr eine von ihr selbst ausgehende Angelegenheit, sondern ein an sie erteilter Auftrag. Das war schon ein Unterschied, fand Daianira. Dennoch sagte sie: "Ich danke für Euer Vertrauen in meine Loyalität und meine Fähigkeiten, Lady Roberta."

"Bitte sehr", erwiderte Roberta Sevenrock ruhig. Dann sagte sie nur noch: "Wenn die Angelegenheit mit der sogenannten Wiederkehrerin erledigt ist, treffen wir uns wieder, um die Bedrohung durch die Schlangenungeheuer zu beseitigen. Ich baue darauf, daß deine Loyalität bis dahin unerschüttert bleiben wird." Daianira nickte nur zur Antwort. Dann durfte sie gehen. Kaum war sie zur Tür des Blockhauses hinaus, war dieses verschwunden. Das war der übliche Schutz, das nur die, die Roberta Sevenrock sehen wollte, auch das Blockhaus sehen und betreten konnten. Daianira ging zweihundert Schritte, wobei sie ihre Gedanken, die zwischen Wut und Trotz pendelten, irgendwie sortieren mußte. Sie war mal wieder wie ein Schulmädchen einbestellt und gemaßregelt worden. Damals hatte sie gedacht, Roberta Sevenrock ihre Stimme geben zu müssen, als sich diese und Daianiras Großmutter mütterlicherseits, Eileithyia Greensporn, um den Rang der Stuhlmeisterin für Nordamerika beworben hatten. Sie wußte bis heute nicht, wie sie dieses Mißverhältnis zu Roberta Sevenrock, die von ihren Freunden nur Bobbie genannt wurde, zu ihren Gunsten ändern konnte. Vielleicht ergab sich eine Möglichkeit, wenn sie ergründete, wie Anthelia ihren ersten Körper überdauert hatte und ob es ihr, Lady Daianira Hemlock, möglich war, selbst die Kontrolle über die bereits existierenden Entomanthropen zu gewinnen. Wüßte sie das alles, so waren die Tage der kleinen, dicken Oma gezählt, die eine ganze Quidditchmannschaft Bälger in die Welt gesetzt hatte und sich von zwei Dutzend unterschiedlich alten Bälgern Oma und von bereits zwanzig weiteren Bälgern Uroma nennen ließ. Ein verwerflicher Gedanke zwickte sie ins Bewußtsein, daß sie die viel zu lange Vorrangstellung Robertas beenden konnte, wenn sie deren Brut bedrohte. Doch da hakte sofort der Kodex der Schwesternschaft ein. Wer die Kinder einer Mitschwester anrührte, um der Mitschwester zu schaden, wurde unwiderruflich aus den Reihen der Schwesternschaft ausgestoßen, indem alle Erinnerung an die Zeit in der verschwiegenen Gemeinschaft aus dem Gedächtnis entfernt wurden. Je länger eine Hexe eine schweigsame Schwester gewesen war, desto drastischer würde ihr diese Strafe zusetzen. Nein, wenn sie Roberta Sevenrock von ihrem Thron werfen wollte, ohne sich den Unmut aller anderen Stuhlmeisterinnen zuzuziehen, mußte sie es hinstellen, als träfe sie nicht die Schuld daran. Vielleicht würde Anthelia das für sie erledigen. Sie bräuchte sie doch nur darüber zu informieren, daß sie den Auftrag habe, sie auszuschalten. Doch nein. Damit würde das Problem Anthelia nicht gelöst, sondern für sie noch schlimmer. Denn sollte sie Robertas Nachfolgerin werden, würde Anthelia danach trachten, sie kleinzuhalten, nachdem, was Daianira bereits gegen die Wiederkehrerin angestoßen hatte. Nein, sie mußte erst Anthelia erledigen, bevor sie an die Nachfolge Robertas denken durfte.

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"Erfülle dich mit unserer Kraft und halte sie in Stein! Sollst unsere Errungenschaft und feste Heimstatt sein!" Deklamierte die füllige Königin der Wertiger, während sie mit fünfzehn anderen Artgenossen blut aus selbst beigebrachten wunden in den Boden um das Fundament eines aus einfachen Steinquadern zusammengesetzten Baus tropfen ließ. Drei Monate war es nun her, daß ihr verstorbener Gefährte Eisenpranke ihr im Traum die Wiedererweckung der Schlangenkrieger Nagabapus verkündet hatte. Sie würden erst gegen diese Gefahr vorgehen können, wenn sie ihren alten Tempel wiedererrichtet hatten und genug Artgenossen um sich versammelt hatten. Behutsam hatten die überlebenden Wertiger weitere arglose Menschen zu Ihresgleichen gemacht, darunter zwei Ehepaare. Als sie so wieder auf sechzehn gekommen waren, hatten sie in nur drei Mondwechseln den zerstörten Tempel wieder aufgebaut. Bei jedem Voll- und jedem Neumond hatten sie dieses Ritual mit dem eigenen Blut durchgeführt. Heute war der letzte Tag. Nachtwind, die Matriarchin der Wertiger, atmete befreit auf, als die Mauern des primitiv wirkenden Gebäudes dunkelrot aufleuchteten und zwischen dem Bau und den gerade in menschlicher Erscheinungsform dastehenden Wertigern eine sachte Schwingung aufkam. Die Schwingung wurde zu einer Folge von Wellen, die immer stärker wurden. Sie wogten hin und her und erweckten den Trieb, sich in die erhabene Gestalt zu verwandeln. Unter lustvollen Lauten veränderten sich die umstehenden und wurden zu Tigern, die bald anderthalb mal so groß wie gewöhnliche Vertreter dieser Großkatzengattung waren. Mit kraftvollem Gebrüll riefen sie die Euphorie über die neue Heimstatt in den um sie her wachsenden Urwald hinaus. Zwei Minuten lang glomm das rote Leuchten in den Mauern. Dann erlosch es. Der neue Tempel der Tiger war geweiht und würde seinen Erbauern und Bewohnern noch mehr Kraft verleihen als sonst, solange sie hier waren. Das Weiehritual hatte die sechzehn Wertiger sichtlich erschöpft. Sie sanken auf den moderigen Urwaldboden und keuchten vor Anstrengung. Das Etappenziel war erreicht. Der neue Tempel stand. Nachtwind erhob sich als erste. In ihrer Wergestalt war sie zwar auch füllig, strahlte jedoch mit dem silbergrauen Fell und den ins Schwarz übergehenden braunen Streifen eine unübersehbare Würde aus. Sie trat in die Mitte des Baus, der von einer kreisförmig angelegten Steinmauer umgeben war. Sie deutete auf Neubeginner, ihren Gefährten und nahm wieder menschliche Erscheinungsform an. Neubeginner, der vor seiner Zeit als Wertiger Dennis Taller geheißen hatte, trottete fast wie ein Haushund zu seiner fülligen Gefährtin hinüber, bevor auch er seine menschliche Erscheinungsform annahm. Beide waren unbekleidet. Doch hier, im Dschungel Indiens, kümmerten sie sich nicht um Anstandsregeln aus der Zivilisation. "Ich danke euch, meine Brüder, Schwestern, Söhne und Töchter, daß ihr mir geholfen habt, unsere sichere Heimstatt wieder aufzubauen. Denn nur von hier aus können und dürfen wir den Kampf gegen jene aufnehmen, die uns umbringen wollen. Nur wenn der Tempel wieder steht, haben wir gute Aussichten, die Macht Nagabapus wieder einzufangen und festzuhalten, damit sie nicht noch einmal die Welt verwüsten kann. Jetzt, wo wir zusammen den neuen Tempel errichtet haben, ist die Zeit da, daß die von uns, die sich in der Menschenwelt gut genug zurechtfinden, nach Nagabapus Stab suchen und ihn demjenigen fortnehmen, der unseren alten Tempel zerstört hat. Die Jagd wird gefährlich. Denn der Fremde mit dem bleichen Schlangenschädel kennt unsere Schwäche, die Kraft des Feuers. Aber wir sind auf der Welt, um Nagabapus Erbe vor Leuten wie ihn zu verstecken und zu bewachen. Sicher, es hat nicht so ganz geklappt, wie viele von uns glaubten. Aber das heißt gerade, daß wir unseren Mißerfolg nur dadurch umkehren können, wenn wir ihm den Stab wieder wegnehmen. Wir wissen, daß der Fremde und sein arabischer Gehilfe, der die Steinkrieger erschaffen hat, von jener Insel gekommen sind, deren weißhäutige Bewohner das Land meiner Vorfahren überrannt und lange in Knechtschaft gehalten haben. Also werden zwei von uns dort nach ihm und dem Stab suchen und dabei den Keim unseres Daseins auf andere Menschen übertragen, damit sie ihnen helfen können. Ich bestimme meine Tochter Sonnenglanz und Feuerkrieger als Jäger des geraubten Stabes. Die anderen bleiben hier und hüten den neuen Tempel", verkündete die Herrscherin der Wertiger. Neubeginner sah seine Gefährtin an und wollte wohl fragen, ob er nicht besser auch in Richtung England aufbrechen sollte. Doch sie schickte ihm einen unmißverständlichen Gedanken zu: "Du hast hier zu bleiben und deine Pflicht bei mir zu erfüllen." Feuerkrieger, der vor seinem Erwachen als Wertiger Rupert Möller geheißen hatte sah Nachtwind an. Noch besaß er seine Tigergestalt. Er dachte daran, wie überlegen ihm dieses vollschlanke Frauenzimmer war. Zwar gefiel es ihm nicht, Befehle von ihr ausführen zu müssen. Doch als ehemaliger Wehrpflichtiger und aus seiner Lehrlingszeit heraus war er es gewohnt, Anweisungen widerspruchslos auszuführen. Außerdem würde seine junge, starke, wilde Gefährtin Sonnenglanz ihn begleiten. Die Wertigerin war als Menschenfrau eine Ausnahmeerscheinung. Sie gehörte wohl zu den allerwenigsten Inderinnen, die statt dunkler Haare einen goldblonden Schopf besaß. Das schlug sich auch in der Fellfärbung ihrer Tigergestalt nieder. Daher hieß sie auch Sonnenglanz. Rechts neben Feuerkrieger kauerte Mondlicht, eine Wertigerin mit weißem Fell und silbergrauen Streifen, die von Sonnenglanz in die Runde der Tigermenschen geholt worden war. Sonnenglanz stieg mit den Vordertatzen hoch und schrumpfte zu ihrer menschlichen Erscheinungsform zurück. Das veranlaßte Feuerkrieger, ebenfalls zum Menschen zu werden. Er war neben dem Amerikaner, den sich die dicke Nachtwind gesichert hatte der einzige hellhäutige Angehörige dieses erlauchten Kreises hier. "Ihr werdet losziehen, wenn der neue Tag erwacht und herausfinden, wie ihr auf diese ferne Insel kommt. Dort selbst sollt ihr erst einmal herausfinden, wo dieser Unhold wohnt, der Nagabapus Stab geraubt hat. Seid vorsichtig! Es könnten schon Geschöpfe Nagabapus herumlaufen. Nur wenn ihr sie einzeln trefft könnt ihr es wagen gegen sie zu kämpfen. Wenn sie als Menschen herumlaufen könnt ihr sie am Geruch nach dunkler Kraft erkennen. Doch eigentlich sollt ihr Nagabapus Stab finden und wieder zu uns bringen. Ich hoffe, ihr werdet Erfolg haben." Nachtwind machte die Geste, die eine Segnung bedeutete. Sonnenglanz und Feuerkrieger verbeugten sich vor der Herrscherin. Diese verkündete dann noch, daß die restlichen Gefährten hier blieben, um auf die partnerschaftliche Weise weitere Angehörige ihrer Rasse zu erschaffen. Damit stand für Feuerkrieger fest, daß er im Moment wohl nicht an weitere heiße Nächte mit seiner wilden Gefährtin denken sollte. Mondlicht war von Nachtwind mit einem bulligen Wertiger zusammengesprochen worden, der nun Waldläufer hieß. Früher war sie eine Hexe gewesen, die sich gut mit der Zaubererwelt auskannte und den Tigermenschen bereits nützliche Informationen gegeben hatte.

"Wenn wir in die Menschenwelt gehen brauchen wir Anziehsachen, die nicht auffallen", sagte Sonnenglanz. Feuerkrieger bestätigte das. Nachtwind deutete auf einen Bereich des neuen Tempels. "Holt euch, was ihr braucht, meine Tochter!" Sagte sie nur. Sonnenglanz verstand. Sie hatten ja bei der Vermehrung ihrer Art verschiedene Kleidungsstücke mitgehen lassen. Sie brauchten sich nur die passenden Sachen auszusuchen. Feuerkrieger schlug vor, daß Sonnenglanz und er unter Menschennamen verreisen sollten. Ihm war klar, daß sein Aussehen vielleicht bei der Polizei von Deutschland gespeichert war. Außerdem hatten weder er noch Sonnenglanz gültige Papiere, um mal eben von Indien nach Großbritannien zu reisen.

"Ich denke, ihr beide werdet euch gute Namen aussuchen wie passende Kleidung", warf Nachtwind lächelnd ein. Feuerkrieger bejahte das.

So kam es, daß der in Berlin aufgewachsene Wertiger Feuerkrieger mit der im Dschungel geborenen, und für längere Studienreisen in die Zivilisation geschickten Sonnenglanz am nächsten Morgen in einfacher, landestypischer Kleidung aufbrachen. Sie hatten sich telepatisch über die anstehenden Schwierigkeiten in der Menschenwelt ausgetauscht und beschlossen, als junges Ehepaar aufzutreten. In England liefen genug indischstämmige Männer und Frauen herum. Und Feuerkrieger konnte damit wuchern, daß sein Englischlehrer ihm mit unerbittlicher Strenge jede Spur Deutschen Akzents aus seinem Englisch ausgetrieben hatte. Während seiner Lehrzeit hatte er auch einmal eine Reise auf die Insel gemacht und war da nicht als Deutscher aufgefallen, schon gar nicht als Berliner. So konnte er als Engländer auftreten, falls sie sich länger mit gewöhnlichen Menschen abgeben mußten. Da Feuerkrieger der Deckname John Smith zu abgegriffen erschien wollte er als Robert Miller auftreten, während seine Gefährtin als Indira Miller auftreten sollte. Das wichtigste war jetzt, möglichst sicher in ein Flugzeug hineinzukommen, um damit nach Europa überzuwechseln. Feuerkrieger erinnerte sich noch zu gut daran, wie umständlich und lange es abgelaufen war, per Anhalter nach Indien zu reisen. Die ganze Nacht lang hatte Feuerkrieger überlegt, wie sie das anstellen mochten. Seine Gefährtin kannte sich zwar einigermaßen in der technischen Welt aus, wußte aber doch noch nicht alles, schon gar nicht, wie das mit den Fernreisen war. Er dachte an die Superreichen und die sehr unabhängig reisenden Geschäftsleute, die mit kleinen Privatmaschinen um die Welt düsten. Die Frage war nur, wo sie beide jemanden auftreiben konnten, der sie mit so einem Minijet mal eben nach England bringen würde, ohne daß es wem auffiel. Dazu mußten sie mindestens bis Kalkutta oder Bombay, wo die entsprechend reichen Leute wohnten.

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Peter Grinder ärgerte sich. Der Leiter der geheimen Eingreiftruppe mit dem My-Symbol auf den Umhängen verstand es nicht, wie die vom Westwind und dem Herold das mit den Entomanthropen herausbekommen hatten. Jetzt redete das ganze Land von dieser verdammten Hexe, die solche Kreaturen erschaffen konnte. Das war für Wishbone und ihn ein bedrückender Umstand. Denn jetzt schrie das ganze Land nach sofortigen Maßnahmen. Wishbones Ruf stand auf dem Spiel. Wer immer das in Umlauf gebracht hatte, daß es diese Entomanthropen in den USA gab, hatte nicht nur Stimmung gegen diese fremde Hexe gemacht, sondern auch einen Sturm der Entrüstung gegen das Zaubereiministerium ausgelöst. Grinder hatte nicht übel Lust, die Redakteure der beiden führenden Zeitungen mit dem Cruciatus-Fluch zu drangsalieren, um herauszuholen, woher sie diese Informationen hatten. Warum hatten diese Idioten sich nicht bei Minister Wishbone erkundigt, ob diese Behauptungen überhaupt stimmten? Die Antwort auf diese Frage war simpel. Nach Poles Heimlichtuerei mit der marodierenden Abgrundstochter fragten die Zeitungsmacher nicht mehr beim Ministerium an, wenn sie Wind von einer dunklen Sache bekamen. Soviel zur Pressefreiheit. Es wäre wohl doch günstig gewesen, wenn die Redaktionen der beiden Zeitungen vom Ministerium angeleitet worden wären, nur vom Ministerium freigegebene Nachrichten zu verbreiten. Jetzt war der Geist aus der Flasche entwischt und würde sich wohl nicht mehr einfangen lassen. Das einzige was jetzt zählte war die Ergreifung der sogenannten Erbin Sardonias und die restlose Ausrottung der Insektenmonster. Also mußte Grinder seine Selbstbeherrschung wiederfinden und dem Minister vorschlagen, die My-Truppe aufzustocken, oder die Inobskuratoren ausschließlich für diese Aufgabe einzusetzen.

Terry O'Sullivan, einer seiner Mitarbeiter, meldete sich im Hauptquartier. Die Suche nach der Entomanthropenkönigin war immer noch ohne Ergebnis.

"Terry, wir kriegen mordsmäßigen Ärger, wenn wir diese Killerbiene nicht schleunigst erlegen und die, die sie gemacht hat gleich mit", knurrte Grinder. "Ich will wissen, wer den Zeitungen die Meldung zugespielt hat, daß in den Staaten welche rumfliegen. Ich habe da den Eindruck, jemand will uns gegen diese Hexe ausspielen, um selbst groß rauszukommen. Das wird keiner aus dem Ministerium sein. Aber wir müssen davon ausgehen, daß diese andere Person Kontakte ins Ministerium hat. Ich habe schon die anderen drauf angesetzt, sich umzuhören, wo wir ein Leck haben."

"Nichts für ungut, Mr. Grinder. Aber wir haben nichts verraten", sagte Terry O'Sullivan. Doch Grinder wollte ihm das so nicht abnehmen.

"Können Sie das so verbindlich behaupten? Es kann durchaus sein, daß einer von uns unbeabsichtigt was ausgeplaudert hat, und sei es nur, daß womöglich ein riesiges, geflügeltes Untier unterwegs ist. Wissen Sie hundertprozentig, ob Ihre Verwandten nicht Kontakte zu obskuren Vereinigungen haben? Wer immer die Zeitungsmeldungen angeschoben hat will uns aufeinanderhetzen, um dann, wenn wir und die Erschafferin dieser Monsterbrut geschwächt sind, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen."

"Das muß bei den Entomanthropen aber schon eine sehr große Klappe sein", wagte O'Sullivan einen etwas ungehörigen Einwand.

"Wohl 'n Clown gefrühstückt, was, Terry? Ich kann aber leider nicht lachen", knurrte Grinder verstimmt. Wir werden alle von uns herrufen, um die mit Veritaserum zu verhören, ob sie irgendwem was erzählt haben. Dann werden wir sie auf Gedächtniszauber prüfen. Immerhin könnte es sein, daß jemand einen von uns im Schlaf erwischt und seine Erinnerungen angezapft hat."

"Toll, dann kriegt dieser Jemand, der die Entomanthropensache an die Presse gegeben hat genau was er oder sie will. Wer sagt uns denn, daß es nicht die Hexe ist, die wir verfolgt haben, die die Nachricht verbreiten läßt?"

"Der schlichte Umstand, daß sie dann ja gleich mit diesem Bienenbiest über einer großen Stadt voller Muggel herumgekurvt wäre, um allen zu zeigen, daß sie diese Bestien erschaffen kann. Nein, sie wollte wohl heimlich eine Menge von diesem Ungeziefer ausbrüten lassen, um uns damit kalt zu erwischen. Daß wir sie auf frischer Tat ertappt haben war nicht geplant."

"Dann wundert es mich, daß diese Hexe das zuläßt, daß die Zeitungen über ihr neues Haustier berichten", wandte O'Sullivan ein.

"Sie wußte doch nicht, daß jemand gleich zur Zeitung rennen würde", schnarrte Grinder. Er fragte sich ernsthaft, was heute mit O'Sullivan los war, daß dieser so schwer von Begriff war. "Und jetzt, wo der Kessel umgefallen und der Trank rettungslos ausgelaufen ist wird sie sich hüten, noch mehr Wirbel zu veranstalten."

"Oder sie schlägt offen los", wandte O'Sullivan ein. "wir müssen zumindest damit rechnen." Peter Grinder nickte verhalten. Diese Möglichkeit bestand in der Tat. Falls die unbekannte Gegenspielerin nicht darauf setzte, daß die Zeitungsleser bald davon überzeugt waren, daß die Berichte über die Entomanthropen nur erfunden waren, würde sie in dem Moment offen losschlagen, wenn die ersten neuen Entomanthropen flugfähig waren. Niemand außer ihr mochte wissen, wann das war. Bei Bienen dauerte es nur wenige Tage, bis aus den Larven Arbeiterinnen und Dronen wurden. Wenn das bei den menschengroßen Mischwesen auch so war, dann durften sich alle warm anziehen.

"Wir bräuchten ein Aufspürartefakt, ein Gerät, daß auf diese Monster anspricht. Damit ausgerüstet könnten wir diese Brut abtöten, bevor sie flügge ist", knurrte Grinder. Doch an diesem Vorhaben wurde ja eh schon gearbeitet.

"Wir bräuchten mindestens noch hundert Mann, um besser suchen zu können", warf Terry O'Sullivan ein.

"Hundert Mann mehr verhundertfacht auch das Risiko, über unsere Organisation etwas herauszufinden", erwiderte Grinder grimmig. "Doch ich fürchte, ich muß dem Minister genau diesen Vorschlag machen, jetzt, wo wir sicher sein können, daß da wer eine Armee geflügelter Ungeheuer heranzüchten will. Wird ihm nicht behagen, unserem Katzenfreund."

"Ich denke, es wird ihm nicht behagen, daß diese Monster das ganze Land umbauen, wenn die erst einmal losfliegen", erlaubte sich O'Sullivan eine sarkastische Bemerkung.

"Das fürchte ich auch, Terry. Ich werde gleich bei Minister Wishbone vorsprechen und ihn um eine Truppenaufstockung bitten. Sie wiederum nehmen als offizieller Inobskurator Verbindung mit den Chefs vom Westwind und vom Kristallherold auf und forschen nach, woher die an die Informationen gekommen sind. Sie dürfen auch Legilimentik benutzen, falls die Leute sich nicht dagegen schützen."

"Und was, wenn wir wissen, wer die Informationen ausgestreut hat?" Fragte Terry O'Sullivan.

"Werden wir die betreffenden Herrschaften persönlich aufsuchen und klären, ob sie das alleine oder im Auftrag von jemandem getan haben", erwiderte Grinder. Dann entließ er seinen Einheitenführer und rief den nächsten zu sich, um ihm einen anderen Auftrag zu geben.

"Mir ist klar, daß die Schweigsamen hinter der Kampagne stecken", sagte er zu Justin Pikes, einem drahtigen Zauberer in mittleren Jahren, dessen schwarze Struwelmähne einen unordentlichen Eindruck vermittelte, der aber zu den schnellsten Duellanten und umfassendsten Giftkundlern gehörte. "Zumindest profitieren die davon, wenn eine Konkurrentin von denen weg ist und werden wie wir beharkt, wenn diese Konkurrentin stärker wird. Dumm nur, daß wir keine von denen eindeutig kennen."

"Es gibt Verdachtsmomente", sagte Spikes. "Immerhin wird schon lange vermutet, daß Patricia McDuffy zumindest wen kennt, die in dieser Clique drin ist. Von den Stratons wurde es ja auch lange vor deren Tod schon vermutet. Ich könnte ein Suchmuster erstellen lassen, um bestimmte Eigenschaften und Vorlieben herauszufinden."

"Neu ist die Idee nicht, Justin", grummelte Grinder. "Haben schon viele vorher versucht, die verschwiegene Hexenbande auf diese Art zu finden. Es ist immer daran gescheitert, daß dieser Bande die unterschiedlichsten Hexen angehören, von der Muggelstämmigen bis zur Nachfahrin einer alteingesessenen Familie reinblütiger Zauberer, von der Zauberkunsthandwerkerin bis zur Heilerin. So kriegen Sie die nicht zu fassen. Es sei denn, sie erwischen zufällig eine, die klar zu diesem Haufen gehört. Dann haben Sie die Katze am Schwanz."

"Was ist mit Daianira Hemlock. Von der hörte ich, daß sie nach ihrer Lehrtätigkeit in Thorntails viele junge Hexen vermittelt hat."

"Wäre zu auffällig", grummelte Grinder. "Aber diese Dame haben wir wirklich auf der Liste vermuteter Verschwörerinnen. Es sind einige Leute verschwunden, die kurz vor ihrem Verschwinden Krach mit ihr hatten. Zwar konnte ihr niemand etwas anhängen, was über einen bloßen Verdacht hinausging. Aber wenn diese Dame wirklich mehr mit solchen Verschwörerinnen zu schaffen hat als man ihr zutrauen möchte, wäre es ein interessanter Stich in den Boden, um zu sehen, ob dabei ein Wespennest aufgescheucht wird."

"Sie wissen, daß Wespen in großer Zahl einen umbringen können?" Fragte Spikes. Grinder nickte. "Spielen Sie Linda Knowles vom Westwind zu, daß jemand ziemlich unbequeme Fragen über Daianira Hemlock gestellt hätte und der Minister mittlerweile alle Hexen aus hochrangigen Anstellungen entlassen will, weil er einen gewissen Verfolgungswahn hat! Das wäre noch nicht einmal gelogen."

"Das müßte ich aber so machen, daß die langohrige Lino nicht argwöhnt, wir würden sie manipulieren", sagte Spikes. Grinder nickte. "Stellen Sie es so an, daß jemand besorgt ist, Prinzipalin Wright und alle weiblichen Mitglieder des Lehrkörpers sollten bald ersetzt werden und lassen Sie dabei auch die Bemerkung fallen, daß unverheiratete Hexen gesondert überwacht würden, weil im Nachlaß einer Hexe eine Liste aufgetaucht sei, auf der verschiedene Hexen erwähnt werden. Diese Frauenzimmer legen Wert auf gute Beziehungen und Vorrangstellung. Irgendwer wird dann irgendwie reagieren, um uns die Liste abzujagen. Streuen Sie bitte aus, daß außer dem Minister nur die Leiter der Inobskuratorentruppe wissen, wo die Liste ist und wer draufsteht!"

"Sir, hat der Minister Ihnen diese Vollmacht erteilt, ihn derartig in Gefahr zu bringen?" Erkundigte sich Spikes.

"In gewisser Weise, Justin. Er sagte wörtlich: "Holen Sie diese Hexe und alle, die mit ihr kungeln aus ihrem Rattenloch heraus! Wie ist unwichtig." Das interpretiere ich als Befehl und werde ihm gleich auch diesen Plan unterbreiten und mit ihm Maßnahmen für seinen Schutz besprechen."

"Gut. Ich warte auf sein Einverständnis", entgegnete Spikes. Ihm war die Sache nicht geheuer. Die meisten von den Schweigsamen waren schließlich anständige Hexen, die nur mit der kleinen Sache behaftet waren, daß Hexen besser als Zauberer und Muggel seien und sie daher doch besser alles in Händen halten sollten. Grinder billigte seinem Mitarbeiter zu, auf die ministerielle Erlaubnis zu warten. Dann schickte er ihn fort.

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Tim Abrahams wachte auf. Seine Arme und Beine waren schwer wie blei, und sein Rücken sandte unmißverständliche Signale aus, daß ihm die letzte Nacht viel abverlangt hatte. Aber schön war es doch. Er hatte sich Galatea ganz und gar hingegeben, und sie hatte ihn wie eine ausgehungerte Katze an sich gerissen und erst von ihm abgelassen, als sie beide halbohnmächtig waren. Und das schönste daran war, er hatte keinen Moment an Morpuora gedacht. Sie sah er erst jetzt vor seinem geistigen Auge. Doch die anwidernden Gefühle, die die Erinnerung an sie ihm bereitete, galten nur noch dieser grünen Sabberhexe, nicht der Sache, zu der sie ihn gezwungen hatte. Jetzt war er wirklich von ihr losgekommen. Er bedauerte es, seinem Vater nicht so einfach mitteilen zu können, daß er nun verheiratet war und der Flugzeugträgerkommandant sich doch noch Hoffnungen darauf machen konnte, daß eines Tages jemand Opa Templeton zu ihm sagen würde, ohne daß es herabwürdigend klang. Im Moment waren sie noch in Whitesand Valley, in einem kleinen Bungalow, den die hier residierende Madam Whitesand dem taufrisch verheirateten Hochzeitspaar für die Nacht der Nächte zur Verfügung gestellt hatte. Gally, seine Frau, rollte sich zu ihm herum und zwickte ihm zärtlich in die Nase. "Im Herbst heiraten ist richtig schön, wenn die Blätter golden sind und die Nächte richtig lang werden", hauchte sie ihm zu. Tim bejahte das mit einem leisen "Mmhmm". Dann fragte er, ob sie fand, daß sie schon für wen neues vorgearbeitet hatten. Gally grinste. "Timmy, so schnell geht das auch nicht. Da wirst du dich noch ein wenig ranhalten müssen, bis der Regenbogenvogel uns was anbringt." Tim grinste. Also erzählten sich die Zauberer auch was vom Kinder bringenden Vogel. Das hatte er bis heute nicht gewußt. Woher auch? Warum auch?

"Mum Ceridwen hat gesagt, wir sollten uns heute noch nicht unser gemeinsames Schlafzimmer ansehen", sagte Tim leise.

"Klar, weil heute die Kuppler vom Ministerium kommen. Brigid und Megan sind ja auch noch hier bei Madam Whitesand", erwiderte Galatea Abrahams.

"Da wir jetzt beide in jeder Beziehung verheiratet sind wollte Mum Ceridwen mir doch erklären, wie sie das hinbiegen will, daß Thicknesses Zuchtmeister keine von euch mit einem Todesser zusammenbinden können."

"Stimmt, das wollte sie. Und das wird sie auch, wenn wir wieder auf dem Hof sind. Genießen wir noch ein paar Tage unserer Flitterwochen hier im Tal."

"Dann sollten wir langsam mal aufstehen", grummelte Tim. "Sonst denken die anderen vielleicht, wir hätten nicht genug Schlaf bekommen."

"Gehört sich das nicht für ein frisch angetrautes Ehepaar, die erste gemeinsame Nacht nicht genug Schlaf zu haben?" Fragte Gally. Tim bejahte das und hob den schweren Arm. Doch er hatte seine Armbanduhr auf den Nachttisch gelegt, um sich und Gally nicht zu verletzen. Seine Frau erfaßte wohl, was er vorhatte und zog ihn keck zu sich hin. "Du mußt nicht immer wissen, wie spät es gerade ist, Tim. Wenn Madam Whitesand will, daß wir aufstehen, kommt sie schon von selbst rüber."

"Die tuscheln eh, ob wir wirklich gut zusammenpassen", knurrte Tim und versuchte, sich aus der ungewöhnlich starken Umarmung seiner Frau so behutsam wie möglich herauszuwinden. Doch sie hielt ihn sicher. Wenn er nicht grob werden wollte, kam er im Moment nicht von ihr los.

"Das wissen wir doch schon längst", erwiderte Galatea und knuddelte ihren Mann. Da hörten sie ein leises Rufen: "Huhu, Gally, lebt ihr noch?!" Das war Brigid, die älteste Schwester Galateas.

"Die ist ziemlich neugierig", knurrte Galatea. Offenbar schickte sie ihrer Schwester eine Gedankenantwort. Denn Tim bekam nichts mit, bis Brigid sich wieder entfernte.

"Ich habe ihr gesagt, daß wir uns gleich dem Volk präsentieren", teilte Galatea ihrem Ehemann mit. Tim Abrahams bestätigte das. Es dauerte jedoch noch eine Stunde, bis die Jungvermählten im Haupthaus des Anwesens eintrafen. Tim ließ sich nicht anmerken, wie ihm die Hochzeitsnacht in alle Glieder gefahren war. Sie verloren auch kein Wort darüber. Ceridwen Barley war bereits seit dem frühen Morgen in ihrem Haus auf dem Hof Hühnergrund. Die Gespräche am Frühstücks- und Mittagstisch drehten sich um die Ereignisse in der Muggelwelt. Sophia Whitesand besorgte für ihre nichtmagischen Gäste jeden zweiten Tag Zeitungen, um sie auf dem laufenden zu halten. Tim erwähnte, daß er so bald sich das einrichten ließ ein Internetcafé aufsuchen und seinen Eltern die Neuigkeiten mitteilen wollte. Er hoffte nur, daß sein Vater nicht in der Zwischenzeit von einem irakischen Kampfflugzeug abgeschossen worden war. Manchmal flog der Kommandant nämlich noch selbst mit, auch wenn er die HMS Lord Nelson eigentlich besser von der Brücke oder der Operationszentrale aus leiten sollte und das Fliegen den jüngeren Piloten überlassen konnte.

Nachmittags hielten sich alle im Freien auf. Gally hatte recht. Das Herbstkleid der Umgebung war schön. Die Blätter wehten golden, orange und rot an den immer dünner werdenden Schäften. Viele waren auch schon von den Herbstwinden heruntergefegt worden und bildeten einen orange-goldenen Teppich, der unter den Füßen raschelte und knisterte. Warum wollten bloß alle nur im Frühling oder Sommer heiraten? Gut, Halloween als Hochzeitstag war wohl wegen dem, was da dranhing auch nicht jedermanns Sache. Doch so hatte das schon was, den Tag der Toten mit dem Beginn eines neuen Lebens zu bereichern. Tim und die Muggeljungen und -männer spielten auf dem vom Laub freigeräumten Rasen Fußball, während die Frauen und Mädchen, die keine Hexen waren, durch das Tal joggten, über sich die auf besen sitzenden Hexen und Zauberer, die Quidditchübungen ohne Schnatz und Klatscher machten, um sich in Flugform zu halten. Tim flog den versierten Spielern einige Luftkampfmanöver vor, die sein Vater mal mit ihm in einer geliehenen Sportmaschine ausgeführt hatte.

Während ihre Tochter Galatea mit dem jungen Tim Abrahams und ihren Schwestern in Whitesand Valley blieb, hatte Ceridwen Barley jenen so notwendigen Coup vorbereitet, mit dem sie die Todesser von ihren Töchtern fernhalten wollte. Das hatte damit angefangen, daß sie in kleinen Tongefäßen gesammelte Haarbüschel ihrer Töchter erst mit eigenem Blut, und dann mit Daunenfedern der drei Hennen Kratzefuß, Gackerlinchen und Weißbauch vermischt hatte, bevor sie drei Gerstenkörner in die Gefäße gab und diese mit einem Stößel zermalmte. Als diese merkwürdige Mischung angerichtet war, hatte sie einen bereits vor Wochen angesetzten Zaubertrank in die Gefäße geschüttet und mit einem runenverzierten Silberlöffel umgerührt, wobei sie den Namen einer der Hennen mit dem einer ihrer Töchter verknüpft hatte. Sie sang eine Litanei, die sie von ihrer Urgroßtante geerbt hatte. Als das Gebräu dann ohne erhitzt zu werden zu brodeln begann, sprach sie: "Kratzefuß, leg ab dein Kleid, bis als Brigid du gefreit! Wenn du wirst zum Weib, wenn ein Mann nimmt deinen Leib, sollst als Henne wieder fressen, er soll sein vom Hahn besessen. Wirst als parr mit ihm bestehen. Er muß hüten all dein Treiben. sonst wird nur ein Hahn er bleiben."

Diese Bezauberung bekräftigte sie mit einem Stupser des Zauberstabs, worauf das Elixier in einer rosaroten Flamme verschwand, und vom Hof her erst ein aufgeregtes Gackern und dann ein erschreckt klingender Aufschrei zu hören war. Der Trank in Verbindung mit dem Zauber und der Aufforderung, Brigids Gestalt anzunehmen hatte funktioniert. So wiederholte sie den Zauber auch bei den anderen beiden. Die Todesser würden sich wundern, solange niemand auf die Idee kam, mit einem Originalanzeigezauber die Gestalt der drei zu prüfen. Ein Problem war die Persönlichkeit. Doch daran hatte sie auch gedacht. Brigid, Megan und Galatea hatten ihre wichtigsten Erinnerungen mit einem Zauber kopiert und in drei große Flaschen gefüllt. Bevor die Kuppler von Thicknesse eintrafen würde sie den drei mal eben an die Stelle ihrer Töchter getretenen Hennen die Erinnerungen einflößen, damit sie ihre Rolle spielen konnten. Sie beschwor Kleidung aus den Zimmern ihrer Töchter herauf und eilte auf den Hof, wo Freddy der Hahn verängstigt in einer Ecke hockte, während drei splitternackte junge Frauen mit feuerroten Haaren mit den Armen flatternd und aufgeregte Gackerlaute von sich gebend herumliefen. Die anderen Hennen waren schon wild lamentierend in den offenen Stall zurückgerannt. Ceridwen betäubte die drei Frauen, die haargenau wie ihre Töchter aussahen und beförderte sie per Körpertransportzauber in ihr Kellerlabor. Darrin saß derweil mit Fergus im Herrenzimmer. Fergus hatte die Aufgabe, seinen Vater von den Geschehnissen auf dem Hof abzulenken und diskutierte mit seinem Vater seine eigene Zukunft, ob er besser auswandern oder in die Muggelwelt abtauchen sollte. Natürlich würde Fergus nicht in der Muggelwelt untertauchen. Aber allein die Vorstellung würde reichen, seinen Vater dazu zu bringen, ihm möglichst viel zu erzählen, worauf er da alles achten mußte. Jetzt, wo sie die drei unfreiwillig verwandelten Hennen in ihrem Labor hatte, konnte er seinem Vater auch erzählen, dann doch besser in der Zaubererwelt zu bleiben, allerdings nicht zu wissen, ob er nicht nach Übersee flüchten sollte wie die Porter, Hollingsworths und Malones, denen die Barleys mit Tims Hilfe zur Flucht verholfen hatten. Behutsam flößte sie den dreien die silbrige Substanz aus den entsprechend beschrifteten Flaschen ein. hundert zusammenhängende Erinnerungen von Brigid, Megan und Galatea würden sich in den von den Erfahrungen und bisherigen Gelüsten eines Huhns gefüllten Hirn ausbreiten und einander verknüpfen. Ab da konnte jede Doppelgängerin für jeden Außenstehenden die Rolle des Originals spielen, bis es einen Dummen gab, der meinte, mit ihr Nachkommen züchten zu können. Sie bedauerte es, nicht zusehen zu können, wenn der betreffende Tor die Auswirkungen des ganzen Zaubers abbekam. Es mochte Monate dauern oder Tage, bis Thicknesses Ministerium die drei verkuppelt hatte. Jedenfalls bewirkte der Zauber, daß alle Feinde der Barleys vergessen würden, daß es drei heiratsfähige Töchter gab. Die Magie, die in diesem Haus wirkte, machte es möglich. Ein Zauber, der über Jahre durch ständigen Familienzuwachs genährt worden war, um die weiblichen Angehörigen vor unpassenden Verbindungen zu schützen.

"Meine Töchter heimst ihr nicht ein", knurrte Ceridwen, nachdem sie auch der letzten Doppelgängerin alle sie glaubhaft als Tochter Ceridwens ausweisende Erinnerungen übertragen hatte. Sie wartete eine Weile und weckte die drei dann auf, um sie gleich in einen traumtoleranten Zauberschlaf zu versenken, damit sich die vielen Erinnerungen in den Gehirnen verteilen konnten. Danach fragte sie Brigid/Kratzefuß aus. Sie konnte nun wie ein Mensch sprechen und gab die erwarteten Antworten. Dasselbe vermochte Megan/Gackerlinchen, ebenso wie Galatea/Weißbauch. Als Ceridwen zufrieden war, gab sie den dreien die Vorladungen mit, die ihre Vorbilder erhalten hatten. Denen folgend hatten sie sich um drei Uhr nachmittags im Büro für magische Familienbetreuung einzufinden, also in vier Stunden. Zwar konnten sie nicht alle Zauber, die ihre Originale erlernt und eingeübt hatten, aber auf einem Besen fliegen, diverse Haushaltszauber und magische Licht- und Feuerbeeinflussung hatte Ceridwen ihnen eingetrichtert. Sie würden wohl zu keinem Duell herausgefordert, wenn sie schlicht weg verkuppelt werden sollten. Dennoch konnte die Sache immer noch schiefgehen. Falls ja, würde sie das Haus und alles was dazugehörte mit dem Fidelius-Zauber verbergen und den Keller mit den über Jahre eingelagerten Vorräten öffnen, der ihnen allen für mindestens zwei Jahre genug Essen und Trinken bereitstellen konnte. Dann hätten sie es zumindest nicht nötig, Lebensmittel zu stehlen. Doch wenn der Streich gelang, würde sie von diesen Marionetten und Mördern keiner mehr behelligen. Sie sah also zu, wie die drei Abbilder ihrer Töchter das Haus verließenund davonflogen.

Am Abend kehrten sie zurück und verkündeten, daß auf ministerielle Anweisung hin ein Auswahlverfahren angelaufen sei, daß die reinblütigen Zaubererpaare zusammenführte, die die besten Nachkommen hervorbringen würden. Ceridwen nickte nur, als sie das vernahm. Es bestätigte ja nur ihre Erwartung.

Vier Tage später trafen drei Eulen ein, die amtliche Bescheide brachten.

Hiermit wird Ihnen die erfreuliche Mitteilung gemacht, daß für Sie ein passender Partner gefunden wurde. Da die gegenwärtige Lage wichtige Vorhaben so unaufschiebbar gestaltet, werden Sie hiermit nachdrücklich dazu aufgefordert, sich am fünfzehnten November um zehn Uhr zur offiziellen Trauung durch den zaubereiministeriellen Familienstandsbeamten im Büro für magische Familienfürsorge einzufinden. Falls diese es möchten, dürfen Ihre Eltern diesem Anlaß beiwohnen.

Dies waren die bei allen drei Schreiben gleichen Sätze. Dann wurde noch erwähnt, daß Brigid mit Iridanus, dem Sohn von Morgause und Aurearcus Gisborne, , Megan mit dem seit zwanzig Jahren alleinlebenden Malchius Bugminster und Galatea mit dem noch jungen Procyon Steedhead zusammengesprochen werden sollte. Von Procyon hieß es, er sei der Enkel von Sirius' Blacks Großonkel väterlicherseits und der Sohn reicher Eltern, da die Steedheads es hinbekommen hatten, eine indische Goldmine und mehrere Gewürz- und Maulbeerbaumplantagen an Land zu ziehen, die auch nach der Unabhängigkeit Indiens von der britischen Verwaltung noch im Besitz der Familie sei. Daß alle drei natürlich reinblütige Zauberer mit makellosen Stammbäumen bis weit ins Mittelalter waren verstand sich von selbst.

"Soso, will der alte Argo Steedhead seinen Sohn mit einer Trägerin von McFustys Blut zusammenbinden lassen. Das sieht ihm ähnlich", knurrte Ceridwen. Ihr war klar, daß die Familien eindeutiger Todesser diese Entscheidung beeinflußt hatten. Im Grunde hatte sie es also jetzt schriftlich und amtlich, daß der alte Steedhead zu dieser Mörderbande gehörte. Daß die Gisbornes schon mit Grindelwald sympathisiert hatten und dem Unnennbaren wohl ebenso treu ergeben waren war für Ceridwen nichts neues. Innerlich frohlockte sie jedoch, daß diese drei achso auf ihre muggelfreie Abkunft stolzen Familien bald den Preis für ihren Hochmut bezahlen würden. Die hatten wirklichnicht lange gezögert, ihre drei Töchter an den Mann zu bringen. Nun gut, so würde der fünfzehnte November eben zum Schicksalstag werden. Entweder flog ihr schöner Plan auf, und sie mußte sich schleunigst zurückziehen, oder er gelang. Dann würden die drei Bürschchen den Morgen nach der Hochzeitsnacht nicht mehr so erleben, wie sie es dachten.

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Ian Wellingford genoß es, in seiner villa wie ein weißer Maharadscha zu residieren. Seit dem er vor zehn Jahren als Sohn erfolgreicher Kaufleute die Niederlassung der elterlichen Firma in der Stadt eröffnet hatte, die seit einem Jahr Mumbai hieß und trotzdem von den meisten aus dem Westen noch immer Bombay genannt wurde, fühlte er sich hier, an der Westküste Indiens, richtig wohl. Er hatte den Umstieg vom Textilhandel auf Computertechnologien ohne großen finanziellen Spagat hinbekommen und machte nun seit fünf Jahren richtig viel Geld. Jetzt zählte er zu den einflußreichsten, wenn auch von der großen Mehrheit der Eingeborenen neidvoll betrachteten Männer in der ehemaligen Kolonie. Zwar hatte seine vor neun Jahren begonnene Ehe mit der jungen Witwe eines Seidenfabrikanten ihm auch den Unmut konservativer Hindus eingetragen, weil die Frau in eine hohe Kaste hineingeboren war und mit ihm, einem Europäer und damit Kastenlosen, was angefangen hatte. Zumindest waren die Zeiten vorbei, wo Witwen ganz offiziell dazu gezwungen wurden, sich mit ihren toten Männern verbrennen zu lassen. Aber in das Heimatstädtchen von Jaruni, seiner Frau, durften sie beide und ihre drei Kinder sich nicht mehr wagen. Mittlerweile hatten sie beide ihre jeweiligen Religionen abgelegt, um sich nicht gegenseitig bekehren zu müssen. Doch Wellingfords Erfolg überdeckte diese kleinen Nickligkeiten, wenn zwei Leute aus zwei unterschiedlichen Kulturen sich zueinander bekannten. Mittlerweile unterhielt er siebzehn Filialen in Indien und fünf Niederlassungen im Westen. Dies und der Umstand, daß er mit seiner Familie sich vor neidischen, gewalttätigen Leuten sicher fühlen wollte, hatten ihn dazu gebracht, für Geschäfts- wie Urlaubsreisen einen zweistrahligen Privatjet vom Typ Gulfstream anzuschaffen. den dafür aufgenommenen Kredit konnte er noch dazu als Geschäftskosten absetzen. Jetzt genoß er seine Freizeit auf der Dachterrasse mit subtropischem Garten, von der aus er die andren protzigen Bauten sehen konnte, die von anderen Reichen aus Wirtschaft, Politik und der Bolywood-Filmbranche bewohnt wurden. Der Moloch der großen Stadt, in der die Leute sich wie zähflüssige Ströme durch die breiten und engen Straßen quälten, war im Moment nur ein fernes Rauschen und vereinzeltes Tuten. Hier, im von privaten Sicherheitstruppen behüteten Reichenviertel, war er weit genug von allen Bettlern, Straßenhändlern und Waisenkindern fort. Auch liefen hier keine schmutzigen Kühe herum, die von ganzen Geschwadern Kot- oder Bluthungriger Insekten umschwirrt wurden und sich alle Freiheiten herausnehmen durften, weil sie für die Eingeborenen die heiligsten Tiere des Universums waren. Daher blickte er immer wieder spöttisch auf die immer noch an uralten Traditionen geketteten Leute, wenn er sich von seinem britischen Chefkoch gute Hüftsteaks braten und von seinem Privatkellner aufs Dach bringen ließ. Er streckte genüßlich die in teuren Jogginghosen verpackten Beine aus und lehnte sich in den bequemen Gartenstuhl zurück. Sein rostroter Haarschopf und der verwegene, ebenso rote Bart glühten im Widerschein der untergehenden Sonne. Gleich würde die helligkeitsgesteuerte Außenbeleuchtung anspringen und seinen kleinen Palast in kunstvoll arrangiertes, farbiges Licht tauchen. Jaruni war gerade im Kosmetiksalon ein paar Häuserblocks weiter, wo die Diven der kitschigen Filme zur Kundschaft zählten, die er als Märchen für Erwachsene ansah. Heute Abend, so gegen neun Uhr Ortszeit, wollten sie beide mit der schwergepanzerten Limousine zu einem Ball fahren, den ein Landsmann von ihm geben wollte. Sicher würde seine Frau noch zwei Stunden brauchen, um das passende Kleid auszusuchen und die dazu passenden Tanzschuhe zu wählen. Er überlegte, ob er seinen Bart noch einmal striegeln sollte. Seit dem er den ersten Milchbart bekommen hatte, trug er das Gesichtshaar stolz wie ein Schotte oder Sikh, obwohl er in Southhamton zur Welt gekommen und aufgewachsen war. Da er glücklich verheiratet war scherte er sich auch nicht mehr darum, wenn andere ihn für einen unzivilisierten Burschen hielten, weil er nur alle zwei Wochen ein paar feinkorrekturen an seinem Bart zuließ. Er fragte sich gerade, ob er auf dieser alle Armut des Landes verlachenden Veranstaltung wieder ein paar gute Geschäfte an Land ziehen konnte, als sein Mobiltelefon vibrierte. Zweimal kurz eimal lang. Das war das Signal, daß der Anruf über die abhörsichere Hausleitung kam.

"Ja, Morgan", meldete er sich. Sein aus den Staaten importierter Tor- und Leibwächter war dran.

"Sir, das glauben Sie nicht. Hier unten steht 'ne nackte Frau ganz unbekümmert vor dem Tor. Vom Hauttyp und den Augen her 'ne Inderin, aber mit blonden Haaren."

"Ich habe "nackte Frau" verstanden, Morgan. Haben Sie das echt gesagt?" Fragte Ian Wellingford verwundert zurück.

"Sie haben mich richtig verstanden, Sir. Die kam hier um die Ecke und hat ihren Sari und das Unterzeug abgestreift wie eine Profi-Stripperin, nur ohne Musik. Soll ich die wegscheuchen oder die Gelbhemden anpiepen?"

"Die steht nur da rum?" Fragte Wellingford. "Vor dem Haupttor?"

"Sie können sie sehen, wenn sie Richtung tor gucken, Sir. Manchmal macht sie Kniebeugen. Manchmal spreizt sie ihre Arme, um ihren Oberbau richtig stramm vorzuschieben, richtig nuttig sieht das aus. Dazu macht sie zwischendurch eine Wende à la Sharon Stone. Die muß verrückt sein."

"Okay, ich will die zeigefreudige Dame mal aus gebührendem Abstand angucken. Nachher ist die noch 'n Groupie von irgendso'nem Bollywood-Schönling und hat sich in der Adresse vertan. Blonde Inderinnen wachsen ja nicht an den Bäumen."

"Wollen Sie zu mir in den Überwachungsraum kommen oder durch das Fernrohr auf dem Dach gucken?"

"Ich guck mir die Blondine von hier oben an. Wenn die schon unverpackt rumläuft will die ja beglotzt werden. Das ist dann kein Voyeurismus."

"Sagen Sie mir dann bitte, wenn Sie mit der Fleischbeschau fertig sind, Sir. Dann piepe ich die Gelbhemden an, falls unsere Nachbarn das nicht schon gemacht haben."

"Sie können schon mal den Finger auf den Knopf legen, Morgan. Wird keine Minute dauern", sagte Wellingford kühl und steckte das Funktelefon in die mit Reißverschluß versehene rechte Außentasche seines Jogginganzuges. Dann stand er auf und trat an ein Stativ heran, das zwischen den drei Palmen verborgen war. Darauf war ein Fernrohr mit verstellbarer Reichweite angebracht, mit dem er die ganze Stadt überblicken konnte. Um das Tor seines ummauerten Grundstücks anzusehen mußte er die Reichweite verringern und den Neigungswinkel anders ausrichten. Das war nicht so einfach, weil das Tor nur fünfzig Meter vom Haus entfernt war. Dennoch bekam er es hin, das Rohr entsprechend zu justieren und sah mit offenstehendem Mund, wie eine völlig unbekleidete, knackig junge Frau gerade in die Hocke ging und wippende Bewegungen mit dem Becken ausführte, als wolle sie jeden Mann, der ihr zusah auffordern, sie zu nehmen. Auch wenn ihm der Anblick einer nackten Frau aus Indien geläufig war, vermochte er nicht, die wortlose Verlockung dieser braunäugigen Blondine unbeeindruckt von sich abprallen zu lassen. Sie lächelte verführerisch, und so wie es aussah, war sie völlig ungeschminkt. Das Haar war seidigweich, aber unfrisiert. Eine wilde Mähne, wie die eines kapitalen Löwen, umspielte ihren blitzblanken Oberkörper, und ihre Bewegungen waren so geschmeidig wie die einer Schlange oder einer Raubkatze. Offenbar stimulierte sie die Vorstellung, beobachtet zu werden. Denn er konnte sehen, wie ihre Geschlechtsorgane reagierten, als erwartete die Frau gleich eine heiße Runde mit ihrem Geliebten. Ian Wellingford fühlte seinen Herzschlag immer stärker, glaubte, einen Traum zu träumen. Diese Frau da unten, dieses biegsame, offenbar sexhungrige Biest, verstand es, den Blick eines potenten Mannes an sich zu fesseln. Entweder war sie nicht ganz richtig im Kopf, absolut triebgesteuert und abartig. Oder sie verfolgte einen ganz konkreten Zweck damit, was sie tat. Ein anständiges Mädchen war sie wohl nicht. Das hätte sich nicht vor dem Tor einer villa entblättert, sondern falls überhaupt, erst im Wohnraum des zu bezirzenden Hausherren. Er fragte sich, wie diese Person mit dieser naturbelassenen, aber trotzdem attraktiven Mähne an den Gelbhemden vorbeigeschlüpft war. Hier in dem Viertel liefen doch alle Frauen in Topgarderobe aus Paris, Mailand oder New York herum und nicht in Sari oder Naturpelle. Er wollte gerade nach dem Mobiltelefon greifen, um Morgan zu sagen, er könne jetzt die Gelbhemden anpiepen und die Darbietung abbrechen lassen, als er einen leichten Luftzug hinter sich verspürte und dann eine ganze Galaxis voller Sterne vor den Augen explodieren sah, während der Knall der Massenexplosion schmerzhaft in seinem Schädel klang und er in ein laut- und lichtloses Nichts stürzte.

"Uff den ältesten Ablenkungstrick rinjefallen", schnarrte Feuerkrieger auf Berlinisch und rollte den niedergeschlagenen Hausherrn zur Seite, an dessen Hinterkopf bereits eine Riesenbeule zu blühen begann. "Süße, den Typen habe ich", dachte er konzentriert, wobei er sich die immer noch unten ihren Körper vorzeigende Sonnenglanz vorstellte.

"gut, nimm ihn in unsere Gemeinschaft auf, aber so, daß keiner das merkt. Ich halte die da drinnen noch ein wenig bei Laune", drangen Sonnenglanzes Gedanken in seinen Kopf ein.

"Ja, aber nicht zu lange. Wir wollen nicht, daß wer anderes sich an dir festguckt oder die Polizei holt", dachte Feuerkrieger noch einmal. Dann zog er den bewußtlosen Hausherrn hinter eine Palme, holte Verbandszeug aus seinem Rucksack und zog dem Mann die Jogginghose aus. Schnell entledigte er sich seiner Kleidung, um diese nicht durch den Gestaltwechsel zu zerreißen. Keine zwei Sekunden später hockte ein Tiger, doppelt so groß wie normal, vor dem am Boden liegenden Ian Wellingford. Mit einem kurzen aber tief ins Bein eindringenden Biß übertrug er den Keim seines Daseins auf den Engländer. Als er die blutende Wunde sah und das herausquellende Blut roch, verwandelte er sich in wenigen Sekunden in einen nackten Mann mit europäischem Hautton zurück. Schnell hantierte er mit dem Verbandszeug. Es würde mindestens fünf Minuten Dauern, bis dieser Typ da die Verwandlung voll spürte. Schnell verband er die Wunde und zog ihm die restlichen Sachen aus, damit die nicht auch noch zerrissen wurden. Er wartete. Endlich regte sich Wellingford. Die einsetzende Umwandlung hatte seine Bewußtlosigkeit vertrieben. Er fühlte Schmerzen und stöhnte. Feuerkrieger hatte es bisher nur einmal mitbekommen wie ein von ihm gebissener sich verwandelte. Die alteingesessenen Brüder und Schwestern hatten ihr Vorrecht angemeldet, die neuen Beschützer des Tempels zu machen. Doch es lief so ab, wie Sonnenglanz es ihm beschrieben hatte. Langsam wuchs dem Gebissenen weicher rot und braun gestreifter Flaum, der immer dichter wurde und sich zu einem gestreiften Pelz wandelte. Wellingford schien wohl nicht zu begreifen, was da um ihn und mit ihm passierte. dann veränderten sich auch die Körperformen. Wellingford keuchte, stöhnte und jammerte vor Schmerzen. Er war jedoch zu sehr schockiert von dem, was passierte, als einen klaren Laut von sich zu geben. Er wuchs an. Die Arme und Beine wurden den Beinen eines Tieres immer ähnlicher. Dann riß der Verband am linken Bein auf. Wellingford wuchs an. Feuerkrieger fühlte, wie die neue Natur immer stärker in ihm aufloderte. Dann vollendete sich die Verwandlung mit einem letzten Ruck. Wellingford war nun einer aus dem Clan der Tiger.

"Verdammt, das ist ein Traum", dachte er, und Feuerkrieger verstand es ohne daß ein Wort gesagt wurde.

"Nein, Bruder, das ist kein Traum. Ich habe dich ausgewählt, uns zu helfen. Meine Frau steht noch unten und hält die Spanner aus deinem Haus bei Laune. Wie fühlst du dich?"

"Irgendwie komisch aber auch sehr gut", dachte Wellingford und erhob sich. Er trottete einige Schritte auf den vier wuchtigen Pranken dahin. Dann dachte Feuerkrieger ihm zu: "Ich will, daß du erst mal ein Mann bleibst. Du blutest nicht mehr. Also denk daran, wieder so zu werden wie vorher!" Wellingford mußte wohl gegen den Wunsch ankämpfen, diesem Befehl nicht zu gehorchen. Doch Feuerkriegers Wille herrschte vor. So transformierte sich Ian Wellingford innerhalb einer halben Minute zurück. Feuerkrieger gab ihm seine Sachen und dachte ihm zu, sich wieder anzuziehen.

"Verdammt, muß weg hier", hörte er Sonnenglanzes Stimme in seinem Kopf. "Die Wächter der Gegend kommen. Der da drinnen hat die gerufen."

"Okay, bin fertig, Süße. Ich gebe dem noch mit, was er zu tun hat. Dann mach ich mich weg", schickte er seiner Gefährtin zurück. Dann wandte er sich an Ian.

"Du kannst das steuern, was du sein willst. Wenn deine Frau heute Abend mit dir alleine im Schlafzimmer ist, wartest du, bis sie schläft und verwandelst dich. Dann beißt du sie, nicht zu heftig, nur so, daß klar ist, daß sie wie du wird. Mach das gleiche dann mit deinen Kindern! Pass heute abend gut auf, dich nicht aufzuregen. Morgen komme ich ganz offiziell zu dir ins Büro. Sei bloß dann wieder ein Mensch!" Wellingford dachte ein "Ja, Herr" und zog seine Sachen an. Der unheimliche Eindringling lief nun einfach zum hinteren Dachrand und sprang einfach runter. Federnd landete er knapp außerhalb eines Blumenbeetes und lief schneller als ein Olympiasprinter zur Mauer, stieß sich aus vollem Lauf ab und flog über die vier Meter hohe Begrenzung hinweg. Die auf der Mauer angebrachten Bewegungsmelder mit Videoverbindung registrierten ihn zwar, doch der Leibwächter in der Überwachungszentrale sprach gerade mit dem Leiter der privaten Sicherheitstruppe.

Wellingfords Handy vibrierte kurz darauf. "Sir, dieses Flittchen hat ihren Sari geschnappt und ist weggerannt, gerade als ich die Gelbhemden angepiept und mit dem Zuteiler vom Dienst sprach. Die hat einen Antritt wie ein Kampfjet mit Nachbrenner, als wenn die zehnmal stärker als ein Normalmensch wäre. Ist in einer Sekunde schon aus der Reichweite gewesen. Hups, hier blinkt das Warnlicht für die hintere Mauer. Muß das mal eben klären. Nicht daß uns da einer drübersteigen will."

"Wie, gerade eben?" Fragte Wellingford. "Wird wohl wieder ein Vogel gewesen sein. Hatten wir doch schon mal."

"Besser ich kläre das. Nicht das wer uns die Biene vor die Tür gestellt hat, um wem anderen freie Bahn zu geben."

"Kommst du aber früh drauf", dachte Wellingford. Womöglich mußte er Morgan auch beißen, um sicherzustellen, daß die Gelbhemden keine weiteren Nachforschungen anstellten. Er lief also ins Haus zurück und verriegelte die massive Stahltür zum Dach. Unterwegs sprach er weiter mit Morgan. Dieser war aufgeregt. "Da ist wer über die Mauer geflogen, Sir. Der kam vom Haus weg. Runter von der Terrasse!"

"Bin doch schon längst wieder unterm Dach und auf dem Weg zu ihnen. Wann sind die Gelbhemden da?"

"Wird wohl keine Minute mehr dauern, Sir. Das glaube ich nicht. So'n Typ, ein Weißer, in indischer Männerkleidung, die schon ziemlich dreckig aussieht. Der hat bestimmt was angestellt. Ich prüf das sofort nach."

"Superman und Supergirl, was Morgan. Die eine steht vor dem Tor und macht ihnen fast feuchte Träume. Der andere fliegt über die Mauer. Glauben Sie echt, mich derartig verschaukeln zu können? Warten Sie mit der Prüfung, bis ich mir die Bilder angesehen habe!"

"Sir, wenn dieser Bursche was angestellt hat, dann kann jede Sekunde wertvoll sein."

"Wie soll denn der über die Mauer fliegen, Morgan? Der müßte ja ein Seil benutzt oder einen James-Bond-Raketenrucksack getragen haben, oder glauben sie an Mutanten oder Außerirdische."

"Kyborgs oder Androiden, Sir? Wissen wir, ob sowas nicht doch mittlerweile geht?" Schickte Morgan zurück. Wellingford hörte die Stimme des Wächters nun nicht mehr durch das Telefon, sondern auch durch das Haus dringen, als stehe er gleich neben ihm. Ohne es zu merken lief Wellingford mehrere Treppenstufen auf einmal nehmend hinunter und eilte zum Überwachungsraum. Er kündigte seine Ankunft an und öffnete die schwere Sicherheitstür mit einer Chipkarte aus der Jacke seines Hausanzuges.

"So, und jetzt zeigen Sie mir mal die Bilder dieser angeblichen Superleute!" Forderte der Hausherr. Morgan, ein breitschultriger Mann mit graublonder Kurzhaarfrisur und eisblauen Augen hantierte an der Videoanlage und deutete auf den Abspielbildschirm. Wellingford sah gerade noch einen Rover mit gelb gekleideten, ebenso athletisch gebauten Männern vor dem Haus halten. Es wurde brenzlig. Aber er durfte sich nicht aufregen. Wer immer ihn mit dieser neuen Kraft aufgeladen hatte wollte unauffällig bleiben. Die Gelbhemden, alles Inder von der Ausstrahlung einer königlichen Palastwache, sprangen aus dem Wagen und suchten die Straße ab. Doch das schöne, blonde Mädchen, daß alles gezeigt hatte, was ihm die Natur mitgegeben hatte, war schon zu weit weg. Wellingford fragte sich eh, wie die beiden bis zu ihm hatten vordringen können, ohne an den Schranken und Sicherheitskontrollstationen aufzufallen. Vielleicht konnten die sich auch unsichtbar machen.

Auf dem Abspielbildschirm konnte Ian noch einmal die aufreizende Darbietung der Gefährtin seines neuen Herren sehen und dann dessen Flucht über die Mauer. Die Bilder mußten verschwinden. Ohne sich groß vorzubereiten schnellte Ians rechter Arm hoch und landete einen Handkantenschlag ins Genick seines Leibwächters. Er Hörte etwas mit häßlichem Knacken zerbrechen. "Verdammt, das wollte ich nicht", dachte Ian für eine Sekunde. Doch dann war seine Bestürzung auch schon vorbei. Er brauchte ihn eh nicht mehr. Aber wie ihn loswerden, ohne daß es auffiel? Zuerst mußte er aber die Videoaufzeichnungen löschen. So spulte er das Band zurück und drückte auf Aufnahme. Dann beobachtete er die Gelbhemden weiter. Einer trat nun an das Tor heran und betätigte die Klingel. Es summte im Überwachungsraum. Wellingford fühlte die Angespanntheit in seiner Haut kribbeln. Er vermeinte, feinen Flaum auf seiner Hand sprießen zu sehen und konzentrierte sich, wieder ruhig zu werden. Was immer ihm da passiert war, er mußte es zunächst für sich behalten. Mit einer Leichtigkeit, die er sich nur mit seiner Veränderung erklären konnte, rollte er Morgans leblosen Körper unter das Monitorregal und nahm den Hörer der Gegensprechanlage ab, als es zum zweitenmal summte.

"Ach, Sie sind schnell, meine Herren. Die lästige Person ist fortgelaufen, um die straßenecke."

"Wer spricht da?" Fragte ein Mann auf Englisch mit indischem Akzent.

"Ich bin Ian Wellingford persönlich. Mein Torwächter hat mich zu sich gebeten, um mir das zu zeigen. Er ist gerade im Badezimmer."

"Sir, fühlten Sie sich belästigt?"

"Vor allem frage ich mich, wie so eine an Ihnen vorbeikommen konnte. Raus kommt sie ja wohl nicht mehr, oder?"

"Wir haben alle Schranken doppelt besetzt, Sir. Wir suchen sie jetzt. Eine Frau in einem Sari oder nackt, indisch mit blonden Haaren. Die kriegen wir", antwortete der bullige Privatsheriff im safrangelbem Hemd, unter dem der bestimmt eine kugelsichere Weste trug.

"Ich denke, die wollte zu einem Schauspieler aus der Gegend hier um dem was vorzutanzen. Die jungen Dinger heute haben ja keine Skrupel mehr, um ins goldene Filmgeschäft reinzurutschen."

"Auch wenn das so ist darf das nicht vorkommen, Sir. Wir suchen sie jetzt."

"Tun Sie das. Sie wird wohl gemerkt haben, daß sie hier falsch ist", sagte Wellingford lässig und legte den Hörer der Sprechanlage auf. Die Gelbhemden bestiegen wieder ihren Wagen und fuhren weiter.

"Ich muß Morgans Leiche loswerden", dachte Ian ohne Reue und Schuldgefühl. Da sah er gerade noch, wie einer der Gelbhemden im Laufschritt zurückkehrte und die Klingel betätigte.

"Sir, wir brauchen das Video von der Frau, um nach ihr zu suchen. Lassen Sie mich bitte herein!"

"Ich kenne mich mit der Anlage nicht aus, Mister. Und so wie mein Torwächter aussah, könnte er länger im Bad zu tun haben."

"Gut, dann sind wir in zehn Minuten wieder da. Wir brauchen neben der Haarfarbe eine genaue Beschreibung."

"Sehe ich ein. Ich hoffe, Morgan ist in zehn Minuten wieder hier."

"Gut, dann ..." Weiter kam der im gelben Hemd nicht. Für ihn und auch für Wellingford völlig überraschend war eine Gestalt hinter ihm hervorgesprungen und hatte ihn mit einem gezielten Faustschlag niedergestreckt. Es war die blonde Inderin, erkannte Wellingford, als die Gestalt sich der Videokamera zuwandte. Dann hörte er ihre Stimme in seinem Kopf:

"Wir müssen bei dir rein, Ian Wellingford. Ohne dich kommen wir nicht mehr aus dieser Gegend." Ian empfand diese Aufforderung wie einen Drang, die Codezahlen für das Tor einzutippen und den grünen Freigabeknopf zu drücken, worauf die beiden mächtigen Stahlflügel des Tores hörbar surrend nach innen klappten. die Blonde, und keinen Moment später auch der, der ihn zu dem gemacht hatte, was er jetzt war, spurteten durch das Tor. "Mach wieder zu!" Drang die Gedankenstimme seines neuen Herren in den Kopf. Er drückte die grüne Taste noch einmal. Surrend schwangen die Torflügel wieder zu und verriegelten sich leise klickend. All das konnte er hier, fünfzig Meter davon fort, so laut hören, als stehe er keine zwei Meter vor dem Tor. Offenbar hatte er durch das, was nun in ihm war, Wolfsohren. War er also jetzt sowas wie ein Werwolf? Nein, dann wohl doch eher ein Wertiger. Er hatte schon die Legenden gehört, daß diese Wesen in Indien vorkommen sollten. Dann waren die beiden da auch ...

"Wir kümmern uns um den Wächter", sagte der Weiße und deutete auf Morgans Leiche. "Habt ihr einen großen Keller, wo niemand uns sucht?"

"Ich habe einen Vorratskeller mit vier Tiefkühltruhen", sagte Ian und zeigte den beiden den Weg, die Morgans Leiche so leicht trugen, als sei es nur ein Luftballon. In einer Minute hatten sie den Kellerraum erreicht. Ian gab seinem neuen Herren, der sich ihm als Feuerkrieger vorstellte, die Schlüssel und kehrte in den Überwachungsraum zurück. Was sollte er den Gelbhemden sagen, wenn die wiederkamen. Der, den Sonnenglanz, die Frau mit dem Hang zum Vorzeigen niedergeschlagen hatte, lag immer noch auf der Straße. Doch nicht lange. Feuerkrieger holte ihn ins Hausund trug ihn in den Keller. Wenige Minuten später ging der Wächter auf eigenen Beinen wieder hinaus. "Er gehört jetzt auch zu uns", drang Feuerkriegers Stimme in ihn ein. Dann hörte Wellingford neben den Hausgeräuschen aus Küche, Arbeitszimmer und Überwachungsraum auch eindeutig schmatzende Geräusche und das Knacken und knirschen zerbrechender Knochen. Das verriet ihm, was die beiden nun im Keller trieben und machten ihm Hunger. Doch er sollte in der Überwachungszentrale bleiben. Offenbar schaffte der umgewandelte Privatpolizist es, seine Kollegen davon zu überzeugen, daß es von dem Vorfall keine Aufzeichnung mehr gab. Vielleicht machte der seinerseits die Kollegen von sich zu Wertigern. Eine interessante Vorstellung, daß die Gelbhemden allesamt zu dämonischen Wesen mutieren würden. Dann war die Gegend nicht nur sicher, sondern niemand würde es wagen, hier noch einbrechen zu wollen, dachte Ian.

Als seine Frau nach Hause kam hatten sich Sonnenglanz und Feuerkrieger in der Überwachungszentrale versteckt. Dort würde niemand nach ihnen suchen. Wie geplant gingen die Wellingfords auf den Ball. Ihre drei Kinder wurden derweil vom Kindermädchen betreut, mit dem sie heute nachmittag eine Vorführung von Arbeitselefanten besucht hatten. Erst um zwei Uhr in der Nacht kehrten Herr und Herrin von der ausschweifenden Tanzveranstaltung zurück. Jaruni war sichtlich geschafft, weil ihr Mann sie manchmal so wild über die Tanzfläche geführt hatte, als wolle er statt Foxtrott Rock 'n Roll und statt Rumba Tango tanzen. Auch bei den Folkloretänzen, die als Huldigung des Landes veranstaltet wurden, hatte er sich wie ein Hochleistungssportler bewährt. Um drei Uhr schlummerte Jaruni. Ian führte nun so leise er konnte die von Feuerkrieger erteilte Anweisung aus. Erst pflanzte er seiner Frau den Keim der Wertiger ein, dann seinen drei Kindern Rani, Jeremy und Randolph. Er bewegte sich so schnell und leise, daß es keiner mitbekam, bevor es zu spät für eine ohnehin sinnlose Gegenwehr geworden war. Am Nächsten Morgen unterrichtete Feuerkrieger die nun samt und sonders mit dem Keim der Wertiger infizierte Familie darüber, warum sie ausgewählt worden war.

"Wir müssen so schnell und unkompliziert wie es geht nach England rüber. Da läuft wer herum, der uns was ganz wichtiges geklaut hat", sagte Feuerkrieger. "Wir suchten einen mit Privatjet. Sonnenglanz und ich sind also Tage lang durchs Land getrampt, bis wir hier in Bombay ankamen. Von da aus haben wir uns den Flughafen angesehen, natürlich mit Watte in den Ohren. Einen von den Verwaltungsleuten da mußten wir in die Gemeinschaft aufnehmen. Sonnenglanz hat das besorgt. Dann erfuhren wir, wem die sieben Privatflugzeuge gehören, die in den abgelegenen Hangaren rumstehen. Dich haben wir ausgesucht, weil du englische Verwandte hast und da nicht auffällst und deine Firma auch in Irland, Deutschland und der Schweiz eine Niederlassung hat. Die Staaten brauchen wir hoffentlich noch nicht einzuplanen. Wenn du es hinkriegst, mit uns zusammen nach Großbritannien rüberzufliegen und uns da ohne gesehen zu werden rauszulassen, würdest du von meiner Schwiegermutter ganz bestimmt geehrt, und ich bekäme endlich auch mehr Anerkennung von der alten. Kriegst du das hin?"

"Am Wochenende. Könnte ja vorgeben, daß ich meine Eltern besuchen will. Am Flughafen selbst kann ich mir einen Rolls hinfahren lassen, in den ihr zwei reinpaßt. Wenn ihr meine Eltern nicht auch beehren wollt, kann ich euch unterwegs raussetzen. Oder wollt ihr einen Rückflug buchen?"

"Im Moment nicht, weil wir nicht wissen, wo der Feind wohnt und ob er das, was er uns weggenommen hat auch bei sich hat oder es schon anderswo versteckt hat, solange er es nicht braucht", sagte Sonnenglanz. Der Mann, der gestern meine Bilder sehen wollte wird uns begleiten. Er ist ein guter Kämpfer, und sowas brauchen wir. Er wird statt Morgan dein Leibwächter sein, auch wenn du fast keinen mehr brauchst", sagte Feuerkrieger grinsend. So vereinbarten sie, daß Ian Wellingford einen Flugplan für das nächste Wochenende einreichte. Feuerkrieger und Sonnenglanz sollten mit ihm und der ganzen Familie mitfliegen. Das Etappenziel war erreicht, ein schneller Weg auf die britischen Inseln war gesichert. Bis dahin sollten sich die Wellingfords so benehmen wie bisher auch. Jeremy fragte Feuerkrieger, ob er jetzt nicht mehr groß werden würde. Der halbindische Fratz war ja gerade erst sieben Jahre alt.

"Du wirst halb so schnell älter bis du ganz ausgewachsen bist, sagte Sonnenglanz. Dann wirst du immer langsamer alt. Im Moment können wir über dreihundert Jahre alt werden. Als Nachtwind, meine Mutter, mich geboren hat ist in England gerade diese Königin Viktoria gestorben."

"Ihr kriegt richtig Kinder. Müssen die dann erst gebissen werden oder sind die dann schon so?" Fragte Jaruni.

"Es gibt zwei Möglichkeiten. Wir pflanzen Erwachsenen und Kindern unsere Kraft ein oder bekommen richtige Kinder. Die tragen unser erhabenes Sein dann aber schon in sich, können das dann aber erst als heranwachsende richtig benutzen."

"Und keiner kann uns was tun?" Fragte Ian Wellingford.

"Nicht in unserer erhabenen Gestalt. Ansonsten können uns weder Magie noch Gift, noch Klingenwaffen etwas anhaben. Nur Feuer und Eis sind für uns gefährlich, und wenn wir keine Luft mehr kriegen", informierte Sonnenglanz die neuen Artgenossen über die Stärken und Schwächen ihrer neuen Daseinsform.

"Magie? Das gibt es? Ich dachte, was ihr mit uns gemacht habt sei sowas wie ein die Gene veränderndes Virus", wunderte sich Ian.

"Wir sind als Art mehr als dreitausend Regenzeiten alt. In uns strömt eine alte Zauberkraft, die uns vor anderem Zauber beschützt, vor allem, wenn wir in der erhabenen Gestalt herumlaufen", sagte Sonnenglanz. Feuerkrieger wandte dann noch ein: "Solange nicht wer mit 'nem Raketenwerfer oder 'ner Leuchtpistole auf uns draufhält kann uns keiner was, auch nicht mit Silberkugeln oder sowas."

"Rattenscharf", bekundete Jeremy.

Die Diener bekamen nicht mit, daß ihre Herrschaft sich total verändert hatte. Nur die Sportlehrer der beiden schulpflichtigen Kinder Rani und Jeremy wunderten sich nicht schlecht, daß die beiden sonst eher lustlos mitturnenden Halbeuropäer auf einmal so gut mithielten, ja offenbar sogar aufpaßten, nicht zu viel zu bringen. Ian führte seine Geschäfte weiter wie sonst auch. Die neue Daseinsform verlieh ihm jedoch mehr Ausdauer und Durchsetzungsvermögen. Hinzukam, daß er wie mit eingebauten Richtmikrofonen alle Mitarbeiter aus sicherer Entfernung belauschen konnte. Auch die übrigen Sinne waren besser geworden. Er konnte wesentlich weiter sehen als vorher und auch bei tiefer Dunkelheit alles wie bei Tag erkennen. Zudem konnte er die Wärmeausstrahlung anderer Tiere und Menschen wie mit eingebauten Infrarotkameras ausmachen. Geruchs- und Geschmackssinn waren ebenso verändert worden. Selbst seine Frau, die sonst keine Probleme mit scharfen Gerichten hatte, bevorzugte jetzt weniger gewürzte Speisen. Sie mußten höllisch aufpassen, nicht aufzufallen, bis das Wochenende kam.

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Linda Knowles, die immer einsatzbereite Reporterin der Stimme des Westwinds, rollte verärgert mit ihren fast schwarzen Kulleraugen. Jetzt hatte dieser Kerl vom Herold doch das Interview mit Brittany Forester gemacht, nachdem diese ihr, Linda Knowles, nach dem überragenden Spiel gegen die Cloudy Canyon Climbers noch ein Interview verweigert hatte. Sie wohnte hier in VDS. Sie hatte die Exklusivrechte an den Windrider-Interviews. Wie konnte Brittany Forester dem Sportreporter des Kristallherolds da den Vorzug geben? Dann war da noch dieses fiese Gerücht im Umlauf, daß Minister Wishbone plante, alle alleinstehenden Hexen einer gesonderten Befragung zu unterziehen, wie sie zum Ministerium stünden. Das hieß auch, daß sie wohl irgendwann von Wishbones Leuten heimgesucht würde. Womöglich würde ein netter Zeitgenosse wieder behaupten, sie sei deshalb immer noch ungebunden, weil sie auf Hexen bezogen sei. Einige glaubten das immer noch, obwohl sie, um zu zeigen, daß sie nicht nur im Privatleben anderer herumwühlte, von einem Kollegen interviewt worden war, der mit alten Jugendlieben aufwarten konnte. Wishbone hatte offenbar Angst vor alleinstehenden Hexen. Anders konnte sie sich das nicht erklären. Sicher, es gab einige, die auch ihr ein gehöriges Unbehagen einjagten, zum Beispiel Daianira Hemlock, Professor Purplecloud oder ... sie schauderte immer, wenn sie an sie dachte. Die Hexe, von der es hieß, sie sei eine wiedergeborene Verwandte Sardonias, oder Sardonia selbst. Mehrmals hatte sie sie schon heimgesucht oder in ihr unbekanntes Versteck ohne Fenster verschleppt, um Sachen von ihr zu erfahren oder ihr Sachen zuzuspielen, die sie in den Westwind setzen sollte. Aber das hieß doch nicht, daß alle anderen Hexen gefährlich waren. Sie hatte Wishbone in seiner Funktion als Zaubereiminister nur einmal befragen dürfen. Er hatte sie mit dieser schwarz-goldenen Katze auf seinem Schoß empfangen, die die Ganze zeit wohlig geschnurrt hatte, daß Linda es noch hatte hören können, als sie hunderte von Kilometern von Washington entfernt war. Doch selbst ihre besonderen Ohren reichten nicht so weit. Tja, und jetzt hatte ihr dieser Willy Bowman ein Interview mit der jungen und einsatzfreudigen Brittany Forester abgejagt. Wieso sprach die mit diesem viel zu dicken, schon zu Haarausfall neigendem Typen? Der sollte lieber Laurie Beaumont die Interviews machen lassen. Doch wenn sie jetzt zu den Foresters ging und sich beschwerte, machte sie es auch nicht wieder gut. Das Interview der wegen der Mora-Vingate-Party vom letzten Sommer von ihrem eigenen Vetter schwanger gewordenen Kore Blackberry hatte auch nichts wirklich mitreißendes ergeben. Kore hatte zum wiederholten Mal bekundet, daß sie ihren Vetter Titonus nicht heiraten würde, nur weil sie beide unter Einfluß eines Paarungsrauschtrankes ein Kind auf den Weg gebracht hatten. Lino hatte die Herzschläge des Ungeborenen deutlich gehört. Das kleine Menschenwesen hatte keine Ahnung davon, warum es jetzt entstanden war. Es war unschuldig an der ganzen Sache. Dabei fragte sie sich erneut, ob sie nicht auch einmal jemanden suchen sollte, der ihr sowas kleines ... Aber im Moment empfand sie kein Verlangen, das ganze Drumherum durchzustehen, daß an einer derartigen Lebensveränderung hing. Sie war erst im vierunddreißigsten Lebensjahr. Ihren genauen Geburtstag hatte sie bisher auch nur achtmal feiern können, das letzte mal erst vor einem Jahr. Nein, sie wollte jetzt noch nicht als Muttertier herumlaufen. Wenn sie Kore ansah durfte sie nicht nur die werdende Mutter sehen, sondern eine junge Hexe, die eigentlich zehn abwechslungsreiche Jahre vor sich hatte und jetzt komplett umplanen mußte. Sicher, abonierte Haushexen und Mütter würden ihr da vorhalten, daß sie nun mehr als nur zehn aufregende und abwechslungsreiche Jahre vor sich hatte. Aber sie, Linda, hielt viel von Eigenständigkeit. Sie hatte es auch oft genug erlebt, daß verheiratete Hexen mit ihrem Leben nicht richtig glücklich waren, weil sie ihre eigenen Träume nicht hatten ausleben können, weil die Schulnoten nicht gerade zu Spitzenjobs in der magischen Welt reichten.

"Gut, du hast die fleischlose Brittany gekriegt, dann kriege ich deine Lieblingsspielerin McDuffy", dachte Linda Knowles entschlossen, als sie über den Artikel im Herold hinweg war. Immerhin hing das Gerücht in der Luft, daß Patricia McDuffy bald ihre Karriere bei den Slingshots beenden würde, um in die Bronco-Besenfertigung einzusteigen. Nachdem Tyr Straton nicht mehr aufzufinden war - womöglich war er aus Angst vor den Lynchhexen, die seine Frau und seine Tochter ermordet hatten untergetaucht - fehlte in Gildforks Werkstatt ein guter Besenzureiter mit guten Zauberkunstkenntnissen, um Fehler an einem neuen Besen nach Möglichkeit selbst beheben zu können. Ja, das wäre doch schön, die heute noch interviewen zu können. Denn die Slingshots würden erst übernächste Woche gegen die Climbers antreten müssen. So bat sie per Blitzeule ihren Chefredakteur in Los Angeles um die Erlaubnis, Patricia McDuffy interviewen zu dürfen, falls diese zustimmte. Zehn Minuten später hatte sie die Erlaubnis. Offenbar war ihr Chefredakteur auch erbost, weil Brittany Forester den anderen das Interview gegeben hatte. Sie schickte eine gewöhnliche Posteule mit Porto für den schnellen Weg über den Kontinent los. Sie würde wohl morgen das Interview machen, falls McDuffy es ihr nicht verweigerte und nicht wieder zu Willy Bowman oder Laurie Beaumont ging. Sie hatte also noch ein wenig Zeit. Sie verließ ihr Arbeitszimmer und verließ ihr kleines, mintgrünes Haus, das sie von ihren Urgroßeltern geerbt hatte. Hier zu wohnen war schon angenehm. Nach dem ganzen Streß war VDS eine Insel im stürmischen Ozean. Vielleicht würde sie mal wieder in die Morgentaustraße gehen, um zu sehen, was es da neues gab. Sie schlenderte also los, Augen und Ohren immer offen für interessante Sachen. So entging ihr auch nicht, wie rechts hinter ihr, wohl einige hundert Meter weit, zwei Zauberer miteinander tuschelten, die Linda Knowles kannte. Einer war Justin Spikes, ein Inobskurator des Ministeriums. Der andere war Jupiter Blackberry, der Leiter der Bürgerschutztruppe. Er hatte jetzt einen schweren Stand, nachdem sein Neffe seine Tochter geschwängert hatte, dachte Linda und lauschte.

"Sie sind dieser Vingate-Bande immer noch nicht habhaft geworden?" Das war Spikes. Jupiter Blackberry antwortete darauf: "Die werden wir hier vor Juli auchnicht mehr zu sehen kriegen. Bis dahin hat meine Tochter das Balg, daß diese Saubande ihr eingebrockt hat. Ich hörte, der Minister plant, diese Party im nächsten Sommer ausheben zu lassen, wenn ich auch nicht weiß wie. Wer über fünfundzwanzig Jahre alt ist kommt da nicht hin."

"Nun, womöglich können wir diesen Unrat auch gleich mit auskippen, wenn stimmt, was der Minister mir anvertraut hat. Eine vor kurzem gestorbene Hexe hat in ihrem Testament verfügt, daß eine Gruppe von andren Hexen, zu denen auch Daianira Hemlock gehört, besondere Geschenke bekommen sollen. Offenbar sollte das Testament nicht im Ministerium auftauchen, weil es in einem Haus der Erblasserin gefunden wurde. Sie hatte es auf Muggelart verfaßt und gehofft, es nicht ins Ministerium gelangen zu lassen. Dumm nur, daß ihre Verwandten die Sache nicht geheuer war, vor allem wegen der Liste hochrangiger Hexen, Könnte sein, daß bald sämtliche Hexen gesondert überwacht werden, vor allem die auf der Liste."

"'tschuldigung, Justin. Aber sowas heftiges bereden wir besser bei mir in einem Klangkerker. Es heißt zwar, Lino sei noch wegen der Entomanthropengeschichte unterwegs. Aber auch andere könnten mit magischen Abhörmitteln belauschen, was unter freiem Himmel gesprochen wird", sagte Jupiter. Doch Justin schien nicht so ängstlich zu sein. Er sagte nur:

"Naja, das wegen Madam Hemlock habe ich Ihnen ja auch nur erzählt, weil die hier in VDS noch einen Neffen und zwei Großnichten hat und deshalb häufig im sonnigen Gemüt logiert. Von der restlichen Liste sage ich besser auch im Klangkerker nichts, weil der Minister nicht will, daß die Namen zu früh rumgehen."

"Das ist also amtlich, daß die Hemlock mit irgendwem kungelt?" Fragte Jupiter Blackberry.

"Sagen wir es so, der Verdacht war ja schon immer da. Nur Beweise oder auch nur Indizien hatten wir keine. Könnte sich jetzt ändern. Aber Sie haben recht, hier draußen könnte das in falsche Ohren dringen." Es knallte laut und hallte für Linda lange nach. Doch Schmerzen verspürte sie keine. Ihre magischen Ohren konnten die leisesten Laute vervielhundertfachen und die lautesten Geräusche in unmittelbarer nähe auf annehmbare Lautstärke absenken, ohne ihr Schmerzen zu bereiten. Was hatte sie da gerade mitgehört. Daianira Hemlock stand auf einer eigentlich geheimzuhaltenden Liste drauf, die von einer hexe im Testament eingefügt worden war? Dann wollte sie doch gleich wissen, wer die Erblasserin war, falls das Ministerium den Namen nicht schon längst zur geheimen Verschlußsache erklärt hatte. Ihr Jagdfieber war geweckt. Die Vorstellung, etwas ähnliches aufzudecken wie Hallittis Umtriebe oder Bokanowskis eingeschleuste Doppelgänger, verdrängte ihren Unmut über das entgangene Interview. Der Minister hatte da also eine Liste mit Hexennamen drauf. Er vermutete, daß die einer obskuren Gruppe angehörten, wohl den schweigsamen Schwestern oder der Truppe um die Wiederkehrerin. Moment mal! Das konnte doch angehen. Wer war in den letzten Monaten überraschend gestorben? Pandora und Patricia Straton! Das paßte. Eine der beiden mochte etwas hinterlassen haben, daß mit dieser Bande zu tun hatte, vielleicht auch aufklärte, wer hinter Mora Vingate steckte. Falls das stimmte, war das ein Topthema für VDS und damit für sie, Linda Knowles. Da mußte sie nachhaken. Sicher, sie konnte nicht ins Ministerium. Falls Daianira Hemlock wirklich damit zu tun hatte, war das eine Sensation, ihr endlich was nachweisen zu können. Doch halt! Namen auf einer Liste bildeten keine klaren Beweismittel, wenn nicht noch mehr gefunden wurde, das mit den Namen in Zusammenhang stand. Namen auf eine Liste schreiben konnte schließlich jeder. Sie hatte eine Idee. Sie würde nach den Verwandten von Pandora und Patricia Straton suchen, um mehr über sie herauszufinden. Mit diesem Vorsatz packte sie ihren Weltenbummlerrucksack. Es mochte sein, daß sie mehrere Tage unterwegs war. Dann schickte sie noch eine Nachricht an ihren Chef, daß sie einer heißen Sache auf der Spur war, erwähnte nur "Namensliste möglicher Nachtfraktionsschwestern" und disapparierte.

Es dauerte mehr als einen Tag, bis sie herausgebracht hatte, daß keiner der mit den Stratons verwandten Hexen und Zauberer aufzufinden war. Entweder waren sie untergetaucht, ausgewandert, im Schutz des Fidelius-Zaubers verborgen oder tot. Jedenfalls hatte irgendwer sie verschwinden lassen, und das bestimmt nicht, um eine längst bekannte und allgemein verbreitete Tatsache zu verschleiern. Mochte es sein, daß Pandora Straton etwas hinterlassen hatte, daß jemandem gefährlich werden konnte? Im Zweifelsfall konnte es ihr gefährlich werden, dachte Linda einen Moment lang. Andererseits hatte sie ihr Leben dem Aufspüren dunkler und peinlicher Geheimnisse gewidmet. Sie scheute keine Gefahren. Auch als sie den falschen Davenport fast enttarnt hatte war sie nicht davon abgekommen, heiklen Dingen nachzuspüren. immerhin hatte sie ihre magischen Ohren nicht für's Musikhören aus zwei Kilometer Entfernung bekommen. Auf dem Weg zum Haus der Stratons suchte sie Patricia McDuffy auf und machte mit ihr das Interview. Die noch junge Spielerin lachte nur, als das Gespräch auf das Ende der Karriere kam. "Wissen Sie, Ms. Knowles, da müßte mir eine ähnliche Sauerei passieren wie Ihrer Mitbewohnerin Blackberry, um den Quod nicht mehr anzurühren. Wer immer behauptet hat, ich wolle bei Bronco rein, weil Tyr Straton verschwunden ist und keiner weiß, ob er noch lebt oder tot ist, hat da den Wunsch zum Vater des Gedankens gemacht. Da ich mit der werten, dekadenten Dame schon aneinandergeraten bin dürfen Sie das gerne zitieren, daß ich bestimmt nicht in der Firma als einfache Arbeiterin anfange, in der Phoebe Gildfork bestimmt, wer welchen Posten kriegt, auch wenn sie vom Besenfliegen keinen Dunst hat. Falls die runde Dame mich dafür belangen will, sei es drum. Daß sie verschwenderisch lebt und meint, alle Welt gehöre ihr und hätte ihr zu folgen weiß jeder, der sie schon mal getroffen hat. Wer in einem Zwei-Personen-Haushalt fünf Hauselfen beschäftigt und nicht zurückscheut, Einhörner der Felle wegen jagen zu lassen sollte nicht damit prahlen, Pat McDuffy ihren Lebensunterhalt bezahlen zu dürfen. Also noch mal, Ms. Knowles: Solange ich nicht befinde, Mutter zu werden bleibe ich den Slingshots und dem Quodpot noch erhalten. Und falls ich mit der Jagd nach dem Quod aufhöre, suche ich mir gerne eine gute Anstellung, sofern ich nicht von den Launen einer verschwendungssüchtigen Mrs. Gildfork abhängig werde. Deshalb spiele ich auch bei den Slingshots und nicht bei den Ravens. Ende der Ansage!"

Linda überlegte schon, ob sie Patricia McDuffy befragen sollte, ob diese schon mehr wüßte, daß Wishbone gegen alleinstehende Hexen ermittelte. Doch damit würde sie sich den Informationsvorsprung verderben. So bedankte sie sich nur für das Interview und reiste ab.

Auf ihrer Suche nach den Stratons und ihren direkten Verwandten besuchte sie auch einen gut bekannten Mitarbeiter in der Registratur magischer Menschen und ihrer Wohnorte. Diesen verwickelte sie so charmant sie konnte in eine Unterhaltung über die neuen Sicherheitsvorschriften und inwieweit diese besser seien. Sie ließ wie beiläufig fallen, daß es Hexen und zauberern früher wohl leichter fiel, unauffindbar zu werden. Steven Penholder, ein schmächtiger, fast vampirbleicher Zauberer mit dunklen Haaren und grünen Augen, nickte nur und meinte dann:

"Oder verschwinden gelassen zu werden, Linda. Früher konnte jeder in den Staaten hinziehen wohin er oder sie wollte. Nur wenn was behördliches anstand, wurde das mit der neuen Adresse registriert, oder wenn Eltern Kinder im Aufnahmealter für Thorntails oder Dragonbreath hatten mußte das Ministerium die genau zuordnen. Aber sogesehen konnten Hexen und Zauberer früher für länger untertauchen. Manche haben das auch gemacht und kamen erst zehn Jahre nach dem letzten öffentlichen oder behördlichen Lebenszeichen wieder zum Vorschein. Aber es kommt auch vor, daß Hexen und Zauberer verschwinden, die eigentlich nicht verschwinden wollten. Im letzten Sommer verschwanden gleich mehrere Hexen spurlos. Könnte sein, daß das mit der Kiste zusammenhängt, daß da eine Hexe aufgetaucht ist, die diese Entomanthropen gemacht haben soll. Davenport hat die Archstone nachforschen lassen. Dabei kam raus, daß die fraglichen Hexen sich tatsächlich mit wem angelegt haben und dabei draufgingen. Leichen wurden jedoch nicht gefunden. Bei uns kannst du fünf Schritt von einer dicht bevölkerten Straße einen Mord begehen und das Opfer einfach auflösen, ohne daß jemand das mitkriegt. Deshalb bin ich froh, daß Wishbone da mehr drauf achten will. Ist zwar viel Pergament, was da beschmiert werden muß, hilft aber, wenn wir alle sorgenfrei leben können."

"Ach, der Melderhythmus bei alleinstehenden", sagte Linda Knowles. Sie hatte davon gehört, daß alleinstehende Hexen und Zauberer sich jedes Vierteljahr per Eule bei der Registratur melden sollten, um nachzuvollziehen, wo sie gerade lebten und daß sie überhaupt noch in der magischen Gemeinschaft lebten.

"Hätte Pole schon damals machen sollen", grummelte Penholder. "Vielleicht hätten wir dann einiges mehr mitgekriegt."

"Na ja, unsere Wohnsitzwahl ist ein Freiheitsgut, Steve. Wenn ich heute beschließe, morgen nach Cloudy Canyon umzusiedeln, muß ich das dem Ministerium nicht unbedingt sofort mitteilen", sagte Linda Knowles.

"Ab Dezember wohl schon. Aber das bringt die nicht mehr wieder, die schon länger fort sind, Linda. Könnte sein, daß ihr vom Westwind und die vom Kristallherold demnächst einen Aufruf bringt, wo die, die seit mehr als einem Jahr nichts von sich haben hören lassen schreiben mögen."

"Oder die, die wissen, wo die verschwundenen sind, Steve. Wie wäre es, wenn wir beide mal die Liste der lange nicht mehr erwähnten Hexen und Zauberer durchgingen?"

"Nix, Linda! Ich habe dir eigentlich schon mehr als der Minister gutfindet erzählt."

"Jetzt machst du zu, Steve? Das finde ich aber jetzt höchst inkonsequent", erwiderte Linda Knowles und kullerte mit ihren Augen. "Immerhin liegt dir doch was daran, daß die Fälle aufgeklärt werden, wo jemand spurlos verschwunden ist. Du sagtest ja, daß Donata Archstone die Sache verfolgt hat. Schon gehört, daß Wishbone keinen Hexen mehr traut?"

"Soll das heißen, du verdächtigst Donata Archstone, unzureichend ermittelt oder Ermittlungsergebnisse verfälscht zu haben, Linda?"

"Das hast du gesagt, Steve. Wo ist die eigentlich abgeblieben. Die war nach ihrer Entlassung aus dem Ministerium auch unauffindbar. Nicht wahr?"

"Die hat Verwandte in Kanada. Kann sein, daß sie da ist. Dort gilt ja nicht mehr unsere Meldepflicht."

"Nein, weil dort die Briten noch immer zu bestimmen haben und deshalb überhaupt die Landesgrenze dahin gesondert überwacht wird, damit von den Inseln keine Todesser zu uns reinkommen", stichelte Linda Knowles. "Da könnte sie ganz leicht verschwinden, wenn die Gerüchte stimmen, daß Thicknesse im Namen des Unnennbaren regiert."

"Linda, ich weiß, ich habe dich jetzt heißgemacht. Aber wenn ich mir die Liste der verschwundenen Hexen und Zauberer hole, werde ich gefragt, wozu ich sie brauche. Falls dann noch Einzelheiten daraus bei dir in der Zeitung auftauchen kriege ich mehr Ärger als die Freundschaft zu dir wert ist."

"Super, Steve. Du hast laut gegackert, aber das Ei wolltest du dann nicht legen. Dann muß ich wohl einen Artikel bringen, daß die Registraturabteilung dazu verpflichtet ist, eine Reihe ungeklärter Verschwindefälle, vielleicht sogar Morde, zu verheimlichen. Nach dem, was im Sommer im letzten Jahr herauskam dürfte das nicht gerade gute Stimmung für Wishbone machen. Weil nach der Kampagne über die Entomanthropen alle laut geschrien haben, daß Wishbone was unternehmen soll. Dabei hat hier kein einfacher Zauberer oder Muggel diese Monster gesehen. Das ist doch schon merkwürdig. Und dann kommst du mir noch damit, daß im letzten Jahr viele Hexen verschwunden sind, wo alle laut schreien, daß eine neue Hexengruppe am Werk ist, die die bestehenden Machtverhältnisse umstürzen will. Es wird ja schon getuschelt, ob die Stratons eher von dieser neuen Hexe, die angeblich Sardonias Erbin sein soll oder von anderen netten Hexen getötet wurden. Könnte ja immerhin sein, daß die Stratons von einer in die andere Truppe übergewechselt sind und den vorherigen Mitschwestern damit übel aufstießen. So oder so sind das dann Verbrecherinnen, Steve. Das ist Wishbone absolut nicht egal, wenn solche Leute in unserem Land herumlaufen. Alles was nötig ist, um sie zu kriegen, sollte getan werden."

"Wie gesagt, Linda, ich möchte nicht näher darauf eingehen oder darin eindringen. Wenn du das Wishbones Leuten so erklären kannst, wie du es mir erklärt hast, dann rede mit dem Minister darüber! Ich dachte nur, daß wir uns über die Zustände vor und nach Wishbones Amtsantritt unterhalten wollten. Ich dachte, ich würde es früh genug merken, wenn du mit deinem Kulleraugenblick anfängst, nach Sachen zu fragen, die du nicht wissen darfst. Ich habe mich über- und dich unterschätzt, Linda. Falls dein Job damit erledigt ist, können wir gerne über die alten Zeiten reden."

"Wishbone hat Angst vor bestimmten Hexen wie Daianira Hemlock. Ich muß zugeben, die Hexe vermittelt eine gehörige Portion Unbehagen. Vielleicht sollte ich sie interviewen, was sie von der neuen Meldepflicht hält und das sie verdächtigt wird, an den Vorfällen mit unauffindbaren Hexen beteiligt zu sein." Steve Penholder zuckte zusammen. Dann keuchte er:

"Linda, auch wenn du gerne in heißen Kesseln rumrührst, dieser Kessel würde dir um die Ohren fliegen. Denn falls Madam Hemlock echt was damit zu tun hätte, würden wir beide uns hier und jetzt das letzte Mal in deinem Leben sehen. Falls nicht, würde sie dir das Feuer aller Drachen auf Erden unterm Kessel anzünden. Wenn du also meinst, sie derartig frontal angreifen zu müssen, und ich lese in den nächsten Tagen und Wochen nichts mehr von dir, dann hat sie was damit zu tun. Falls ich lese, daß du entlassen wurdest und sie dich um jeden Knut verklagt, den du im ganzen Leben verdient hast, dürfen wir davon ausgehen, daß sie wohl nichts damit zu tun hat, weil sie das ja vor Gericht bekennen oder bestreiten müßte. Noch was, sie ist eine exzellente Legilimentorin und Okklumentorin. Wenn sie sich bedrängt oder verleumdet fühlt könnte sie dir alles aus dem Kopf saugen, was du weißt, egal ob es mit den Fällen zu tun hat oder nicht. Ich denke nicht, daß du deine Geheimnisse derartig leicht preisgeben möchtest."

"Wenn sie sowas macht verstößt sie gegen ein Zaubereigesetzt, Steve. Dann könnte ich sie belangen und nicht sie mich", wandte Linda ein. Doch hinter ihrer Stirn wirbelten bereits die Zahnräder. Offenbar mochte wirklich was an den Gerüchten sein, daß Daianira Hemlock mehr war als sie nach außen darstellte.

"Sie könnte sich darauf berufen, daß du sie angreifen wolltest, Linda. Ich erinnere dich nur daran, daß du auch eine Zeit lang fort warst, so um den Dreh, wo das mit dem verdoppelten Davenport aufkam. Jedenfalls könnte sie dich fertigmachen. Vor der kuscht auch die Pabblenut."

"Dann verstehe ich, daß der Minister Angst hat", warf Linda kalt ein. Innerlich fragte sie sich, ob sie nicht ein Übel gegen ein anderes austauschte. Immerhin hatte die Wiederkehrerin sie schon auf dem Kieker. So sagte sie nur noch: "wie erwähnt werde ich mit dem bißchen Information von dir nur schreiben können, daß das Ministerium verheimlichen möchte, daß in unserem Land Leute so spurlos verschwinden wie bei den Briten. Und woran das liegt wissen wir schließlich."

"Nicht so arrogant, Linda. Wir wissen nur, daß Leute verschwunden sind. Wohin und wodurch wissen wir nicht", holte Penholder sie auf den Boden zurück. "Und ich denke, nicht einmal du möchtest es wirklich wissen, wie genau die Leute verschwunden sind." Linda schüttelte verhalten den Kopf. Dann verabschiedete sie sich von Penholder und disapparierte. Sie hatte nun eine neue Fährte in der Reporternase. Wie viele Hexen verschwanden im letzten Jahr. Standen diese Hexen mit einer bestimmten Person in Beziehung? Das mit dem Interview von Daianira hatte sie nur gebraucht, um ihn aus der Reserve zu locken. Doch daß er so heftig reagieren würde verängstigte und erstaunte sie zugleich. Vielleicht sollte sie, bevor sie sich ihr offen näherte, genug Material über sie sammeln.

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Tyche Lennox war verärgert. Sie, Nancy Gordon und May Tylor hatten nicht viel länger als Donata Archstone im Ministerium arbeiten dürfen. Dieser frühere Wachhund hatte doch tatsächlich alle Hexen aus dem Ministerium gefeuert. Jetzt mußte sich die kleine, pummelige Hexe mit den rosaroten Babybäckchen und dem langen, brünetten Schopf mit Kurzzeitanstellungen über Wasser halten. Sicher, ihre Zauberkunstkenntnisse machten so manche Tür auf. Aber ihre nicht ganz konkret begründete Entlassung aus dem Ministerium hing ihr wie eine Eisenkugel an den Beinen. Einfach zu sagen, daß sie nur deshalb gefeuert worden war, weil sie eine Hexe war, klang eher wie eine Ausrede als wie eine handfeste Begründung. Vielleicht hätte sie doch auf das Angebot ihrer Klassenkameradin May Tylor eingehen sollen und sich von ihrer Mutter in die Reihen der schweigsamen Schwestern einführen lassen. Gut, bei Anthelia fühlte sie sich jetzt auch gut aufgehoben. Doch die Zeitungsmeldungen der letzten Wochen sprachen dafür, daß Wishbone mit seinem Hexenverfolgungswahn weitere Leute anstecken würde. Viele hatten jetzt Angst, ihnen unbekannte Hexen anzuwerben. Warum hatte die höchste Schwester auch diese Monster wiederbelebt? Hatte sie die überhaupt ...? Natürlich hatte sie. Denn es gab ja Zeugen, die es berichtet hatten, wie diese geflügelten Ungeheuer in Frankreich aufgetaucht waren und wie sie in Rußland beim Sturz des Dunkelmagiers Bokanowski mitgeholfen hatten. Sie hoffte, daß die höchste Schwester sie bald mit den anderen zusammenrufen und ihnen berichten würde, was an den Meldungen stimmte oder nicht, und warum sie die gefährlichen Mischwesen brauchte.

Halloween war jetzt zehn Tage her. Da hatte sie mit anderen Muggelstämmigen eine Party gefeiert, bei der sich alle als große Helden der Weltgeschichte verkleidet hatten. Danach hatte Tyche, die sich von Freunden und Verwandten lieber Ty nennen ließ, im Bundesstaat New York an der Ausstattung einer Niederlassung der Bronco-Besenfabrik mitgearbeitet. Der Job war erledigt, und sie hatte das Honorar von schlappen zweihundert Galleonen kassiert. Verhungern mußte sie im Moment nicht. Aber womöglich würde sie sich bald entscheiden müssen, Muggelarbeit ohne Zauberkraft anzunehmen oder vor dem Fernseher zu verkümmern, sofern Wishbone seine hexenfeindliche Personalpolitik nicht änderte. Sie fragte sich auch, ob sie nicht mit Nancy und den anderen Hexen gerichtlich gegen das Zaubereiministerium vorgehen sollte, wenn sich herausstellte, daß sie nirgendwo länger angestellt bliebe. Was er machte war durch kein Strafgesetz gedeckt und obendrein pure Diskriminierung. Allerdings muckte keine der gefeuerten Hexen auf, weil der Zaubereiminister oft genug verkündet hatte, daß er jeden, der nicht uneingeschränkt mit seinen Leuten kooperierte, verdächtigen mußte, mit dem Feind zu paktieren, der bestimmt schon in Kanada darauf lauerte, in die vereinigten Staaten einzufallen. Außerdem hatte in ihrem Arbeitsvertrag gestanden, daß sie nur dann Anspruch auf eine Abfindung oder Betriebsrente besäße, wenn sie im Falle einer verwaltungsbedingten Kündigung keinen Widerspruch einlegte. Gut, die sechstausend Galleonen Abfindung für zehn Jahre Tätigkeit würden nicht das restliche Leben vorhalten. Aber verlieren wollte sie diese Summe auch nicht. In der magielosen Welt, in die sie hineingeboren worden war, hatte sie auch noch etwas Geld auf einem Konto, um das kleine Mietshaus zu bewohnen. Aber jetzt rächte es sich, daß sie von Anfang an auf das Ministerium gesetzt und sich keine Arbeit in der freien Zaubererwelt gesucht hatte. Wer konnte denn auch ahnen, daß der sonst so krisenfeste Job, der einem hundert Jahre Lebensaufgaben verhieß, von einem verkappten Hexenhasser vermasselt werden konnte? Außerdem kam sie jetzt nicht mehr an nützliche Sachen heran, wie damals an die Incantivacuum-Kristalle. War sowieso schon ein Glücksfall, daß die Abzweigung von zehn Stück keinem in der Myst aufgefallen war, obwohl sich viele gefragt hatten, wie die Schwestern um Anthelia an diese hochwirksamen Magiezerstreuer gekommen waren. Aber sie und Donata hatten es geschafft, die Abteilung für hochwirksame Zauberartefakte aus den Überlegungen herauszuhalten. Da ja herauskam, daß die Schwesternschaft weltweit operierte, konnte sie sich die Kristalle ja durchaus von anderswo besorgt haben, vielleicht sogar jemanden in einer der Fabriken haben, der oder die mehr Kristalle herstellte als dann registriert wurden. Zumindest hatte Donata das so in den Raum gestellt. Donata. Was machte die eigentlich gerade?

"Sie haben Post", meldete die blecherne Frauenstimme aus den Computerlautsprechern. Tyche dachte, daß ihre Eltern oder ihr Cousin in Baltimore was von ihr wollten. Mittlerweile wurde ja schon experimentiert, Bilder und Musikdateien per E-Mail zu verschicken, was für Leute mit langsamen Modems eher eine Last als eine Lust war. Sie verdrängte ihre Verärgerung über das nutzlose herumsitzen und öffnete den elektronischen Briefkasten. Es war jedoch nur aufdringliche Werbung, sie könne mit einem todsicheren Coup an der Börse ein Vermögen machen, wenn sie eine bestimmte Summe einsetze. Sie löschte die Nachricht umgehend wieder. "Neue Medien, neuer Müll!" Knurrte sie und dachte daran, daß Posteulen für solchen Unrat nicht herhielten, weil das für Firmen zu teuer wäre, einen Schwarm Eulen nur für Werbebriefe anzuschaffen und durchzufüttern. Dafür war die elektronische Post jedoch papier- und eulendreckfrei und vor allem innerhalb von Sekunden von A nach B verschickt, egal wie weit A von B entfernt war.

Und noch ein nutzloser Tag geht zu ende", dachte sie frustriert, als das Tageslicht einen immer röteren Farbton bekam. Sie hörte das geschäftige Lärmen und Klingen aus den Straßen von San Rafael. Vielleicht würde sie heute abend mal wieder in die Disco gehen, Frust abtanzen und vielleicht mit gutaussehenden Burschen flirten. Nur die meinten dann häufig, eine schnelle, unverbindliche Affäre erleben zu können. Und für sowas wollte sie sich dann auch nicht hergeben. Nachher kam sie noch auf die Idee, sich von einem Mann aus der Muggelwelt haushalten zu lassen und als biedere Haushexe in einem goldenen Käfig eingesperrt zu sein. Nein, so sehr sie das auch annervte, im Moment nichts besseres zu tun zu haben ...

Mit lautem Summen ertönte die Türklingel. Sie hätte sich wirklich eine melodischere Türglocke anschaffen sollen. Aber wer war das jetzt? Bei ihr klingelte selten wer. Die höchste Schwester oder eine von ihr vorangekündigte Mitschwester pflegte direkt im Flur zu apparieren, um nicht gesehen zu werden. Aber in diesen Zeiten wußte niemand, ob nicht jeder Apparator überwacht wurde. Wieder summte die Türklingel. Tyche ging zur Tür und lugte durch den Spion. Vor dem Haus stand eine Frau im dunkelblauen Kleid, daß die Mode der letzten zwanzig Jahre überdauert hatte. Tyche wunderte sich. Denn die Besucherin mit dem haselnußbraunen Haarschopf war ihr nicht unbekannt. Aber was wollte sie hier und jetzt? Irgendwie verspürte sie bei der Frage eine starke Beklemmung, die am Rande der Angst balancierte.

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Donata Archstone hatte von Anthelia den Auftrag erhalten, Tyche Lennox zu überwachen, weil diese die einzige verbliebene Muggelstämmige in den Reihen der Spinnenschwestern war. Sie zu verlieren würde der Schwesternschaft den Kontakt mit der nichtmagischen Welt verbauen. Im Schutze eines Tarnzaubers umschlich sie Tyches Haus. Erst hatte sie gemeint, den Gestank der Autos auszuhalten. Doch dann hatte sie ihren Kopf doch in eine Kopfblase eingeschlossen, um frische Luft zu haben. Auch war der Krach dadurch angenehm gedämpft. Da Donata in der übrigen Zaubererwelt als zumindest vermißt galt, hatte sie sich von Tyche abgeschaut, wie Muggel einkauften und sich auf diese Weise Lebensmittel besorgt. Als Tyche in New York mit vielen Zauberern zusammengearbeitet hatte, konnte sie einige Meldezauber um das Haus in San Rafael in Stellung bringen, vor allem einen schwer ortbaren zauber, der feindlich gesinnte Hexen und Zauberer ankündigte. Das verhalf ihr zu etwas mehr Spielraum, solange Tyche in ihren vier Wänden hockte. Sie hatte es auch nicht gewagt, mit ihr zu mentiloquieren, zumal Tyche in dieser Verständigungsform sehr unzureichend geübt war. Das dieses junge Ding, daß in der Muggelwelt viel zu enge Hosen trug ein As in Zauberkunst und Verwandlung gewesen war und sich eben vortrefflich in der Muggelwelt auskannte hatte sie für Anthelia so begehrenswert gemacht. Noch dazu gehörte sie keiner anderen Hexenschwesternschaft an.

"Diese Computerdinger sind schon interessant", dachte die scheinbar getötete Ex-Strafverfolgungsleiterin. Sie blickte durch die mit Nahbetrachtungszauber aufgepeppte Durchblickbrille, die einem magischen Auge recht nahekam, wenngleich diese nicht so umfangreich und flexibel war. Tyche hatte wohl ein Angebot erhalten, daß sie nicht wahrnehmen wollte. Das passierte häufiger. Da sie mit einem Decknamen in irgendwelchen Nachrichtenaustauschgruppen mitglied war, aber ihre Weiblichkeit nicht verschleiert hatte, hatte Donata einige Male mitbekommen, wie Tyche Angebote für chirurgische Eingriffe bekommen hatte, die ihre Attraktivität steigern sollten. Als wenn eine Hexe auf Muggeltricks angewiesen war, wo die magische Kosmetik ... Donata fuhr zusammen, als der mit ihren Ohren verknüpfte Proxininimicus-Zauber wie ein Trommelwirbel losging. Sie wandte ihren Kopf, um die genaue Annäherungsrichtung zu bestimmen und stellte durch das Legen ihrer Finger an die Seitenbügel die Brille auf Normalbetrachtung um, um nicht mehr durch Wände zu sehen. Da sah sie sie. Sie trug das blaue Kleid der Stuhlmeisterin der Entschlossenen. Außer diesen würde keiner dessen Bedeutung verstehen. Für Donata war dies wie ein offener Angriff. Was wollte Daianira hier? Als die Sprecherin der entschlossenen Schwestern Amerikas den Knopf für die elektrische Türklingel eindrückte war die Antwort eindeutig. Sie hatte Tyche aufgespürt oder wollte sie fragen, ob sie nicht, wo sie vorher im Ministerium gearbeitet hatte, bei den Entschlossenen mitmachen wolle. In beiden Fällen war das Trommelwirbeln des Alarmzaubers voll und ganz berechtigt.

"Höchste Schwester, Lady Daianira vor Tyches Haustür! Was soll ich machen?" Mentiloquierte sie mit aller Kraft. Anthelia wartete im Hauptquartier auf Nachrichten aus Europa. Donata vernahm nur einen schwachen Nachhall, der wohl Anthelias Empfindlichkeit zu verdanken war.

"Daianira bei Schwester Tyche? In Deckung bleiben und belauschen!" Klang eine fast unter ihren Gedanken verschwindende Antwort. "Ruf mich sofort, wenn sie Ärger macht!" Drang eine weitere, etwas stärker durchklingende Antwort in ihr Bewußtsein. "Verstanden", schickte sie mit aller Kraft zurück. Dabei entging ihr, wie die Haustür geöffnet und die unerwartete Besucherin eingelassen wurde. Donata griff in eine der vielen Taschen ihres Gebrauchsumhangs und holte etwas wie ein Knäuel Bindfaden heraus. Seitdem die Schwestern wußten, daß Weasleys Langziehohren unter Türen hindurchgeschoben werden konnten und damit auch einen Klangkerker austricksten, hatte Donata lieber auf dieses Mittel zurückgegriffen als über größere Entfernungen, aber durch Klangkerker abwehrbare Mithörmuscheln.

Donata huschte um das Haus herum und schickte die magische Lauschleine unter der Hintertür hindurch. Sie steckte ein Ende davon ins rechte Ohr und dachte daran, sich der Quelle der nun laufenden Unterhaltung zu nähern.

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Vier Zauberer und nur eine Hexe waren im Stande, Incantivacuum-Kristalle zu organisieren, zumindest in Amerika. Warum war sie nicht schon vor einem Jahr darauf gekommen? Daianira Hemlock ärgerte sich über ihre Nachlässigkeit. Es lag doch so klar auf der Hand, daß irgendwer von Anthelias Mitschwestern diese nützlichen Kristalle organisiert haben mußte. Warum hatte sie das nicht schon längst überprüft. Wohl, weil sie die Vernichtung Hallittis begrüßt und deshalb nicht weiter nachgebohrt hatte, woher die neue Schwesternschaft die dafür brauchbaren Mittel bezogen hatte. Doch nun, wo diese Wiederkehrerin die Entomanthropen auf die Menschheit loslassen konnte, sollte sie schleunigst herausfinden, wer alles Zugang zu diesen Gegenständen besaß; und das waren eben nur vier Zauberer und eine einzige Hexe. Die Zauberer Curtis Newton, Lionel Benchwood, Silas Halley und Carlos Dorado kamen bestimmt nur dann in Frage, wenn Anthelia sie per Imperius-Fluch oder Erpressung gefügig halten konnte. Da sie jedoch wohl noch mehr als die gegenwärtigen Stuhlmeisterinnen der erhabenen Schwesternschaft einer Hexe den Vorzug geben würde, sprach die Wahrscheinlichkeit eher für die eine Hexe in der Riege, Tyche Lennox, eine Muggelstämmige. Die ganze Woche zwischen dem ersten und achten November hatte Daianira so heimlich sie konnte, weil sie nicht wußte, wer von ihren Mitschwestern noch bei Anthelia mitmachte, Tyches Lebenslauf ausgeforscht. Sie war schon eine beachtliche Person. Als erste rein Muggelstämmige in fünfzig Jahren hatte sie es geschafft, dem sonst auf Reinblütigkeit und Zaubererstolz fixiertem Durecore-Haus in Thorntails zugeteilt zu werden. Statt unter den Nachstellungen der gegen Muggel und Muggelstämmige eingestellten Schüler zu leiden, hatte sie das eher motiviert, alles zu lernen, was sie lernen konnte. Irgendwie fühlte sich Daianira an sich selbst erinnert, auch wenn sie während ihrer Zeit in Thorntails im Haus Redhawk gewohnt hatte. Tyche Lennox hatte so ab der vierten Klasse jedem Jungen zwischen zwölf und achtzehn gefallen, weil sie mit ihrer runden Statur und dem rosa Babygesicht zwischen Kind und Frau wirkte. Feste Freunde oder gar eine dauerhafte Partnerschaft wies sie trotzdem nicht auf. Offenbar liebte sie es, die Jungs zappeln zu lassen oder nutzte deren verschiedene Eigenschaften aus, ohne besondere Gegenleistungen dafür erbringen zu müssen. Nach den zehn UTZs fand sie schnell einen Einstieg ins Ministerium. Sie hielt wohl noch Kontakt zu May Tylor, die zu Daianiras Gefolgsleuten gehörte. Um auszuschließen, daß May Anthelia weitermelden würde, daß Lady Daianira sich für Tyche Lennox interessierte, hatte sie May unter dem Vorwand, wegen der Entlassung aus Wishbones Diensten für andre Berufe empfehlen zu können in ihr offizielles Zuhause zitiert und dort mit ihr getrunken, wobei May einen Schlaftrank abbekam, gegen den Daianira sich durch Gegentrank schützte. Ungehindert hatte sie dann Mays Gedächtnis überprüft und die Tyche betreffenden Erinnerungen aus dem Gedächtnis kopiert, um sie auf sich selbst zu übertragen. Bevor sie May wieder aufweckte formte sie deren Gedächtnis so um, daß sie lang und breit über Möglichkeiten als Tierwesenbetreuerin im magischen Tierpark von Viento del Sol gesprochen hatten. Das war schwierig, weil May sich gegebenenfalls an einzzelne Wörter und Sätze erinnern mußte und Anthelia bei einer Gedächtnisüberprüfung ihrerseits nicht zu früh Verdacht schöpfen durfte. May war dann mit der Hoffnung, in einer Woche von jemandem aus VDS zu hören nach Hause appariert. Daianira hatte den ganzen neunten Freitag damit zugebracht, die erbeuteten Schulzeiterinnerungen auf Hinweise zu prüfen, warum Tyche jetzt bei Anthelia mitmachen könnte. Tatsächlich waren ihr dabei zwei Sachen aufgefallen. Tyche hatte eine gewisse Abneigung gegen die technische Welt ihrer Eltern entwickelt und sich mit Leib und Seele in ihr Dasein als Hexe gestürzt. May hatte ihr sogar angeboten, bei Lady Roberta für sie zu sprechen, um sie einzuführen, wobei sie Lady Robertas Namen natürlich nicht genannt hatte. Daianira wußte auch so, wen sie meinte. Der zweite Faktor war der, daß Tyche nach den ganzen Kämpfen als Einzelgängerinnen nach Gleichgesinnten suchte, ohne sich jedoch anbiedern zu wollen. Ihre Muggelweltkenntnisse waren wohl für Anthelia so verlockend, daß sich Tyche nicht groß anbiedern mußte. Im Gegenteil, Tyche schien, soweit sie das Gesprächen mit May Tylor entnehmen konnte, darauf zu hoffen, jemanden zu treffen, der oder die von ihrem Wissen profitieren wollte.

"May hätte sie zu Bobbie bringen sollen", grummelte Daianira. Andererseits hätte ihr Tyche dann genauso den Rücken zukehren können wie Donata oder die Stratons. Die Frage war also jetzt, ob Tyche Lennox Anthelias Gehilfin geworden war. Falls ja, würde Tyche das wohl nicht verraten können. Und auch gegen legilimentische Ausforschung war eine von Anthelias Bande wohl gesichert. Aber sie konnte die junge Hexe besuchen und vorgeben, nach der Entlassungswelle im Ministerium unterhaltslosen Hexen eine neue Betätigung zu bieten. Das wäre noch nicht einmal gelogen. Zwar durfte sie sie nicht in die Schwesternschaft aufnehmen, weil das immer noch das verdammte Recht Lady Robertas war. Doch sie konnte Mays Angebot erneuern, sie bei ihr vorzustellen. Die Schwesternschaft hatte es bisher immer geschaft, alleinstehenden Hexen ein Auskommen zu sichern, damit sie nicht irgendwen nur des Goldes wegen heiraten mußten. Bei der Gelegenheit würde sie einstreuen, daß sie nicht wollte, daß jene Hexe, die die Entomanthropen erschaffen konnte, sie für sich gewinnen konnte. Ja, das würde ihr verraten, ob sie da nicht schon zu spät kam oder noch die Möglichkeit hatte, eine kompetente Hexe von Anthelia fernzuhalten. der zehnte November, ein Samstag, erschien ihr geeignet, Kontakt aufzunehmen. Zunächst benutzte sie die im fernen Osten erlernte Zauberkunst, ihren Körper wie einen Mantel abzulegen und als reine Geistform zu Tyche hinüberzuwechseln. Dabei landete sie jedoch nicht sofort bei Tyche Lennox, sondern in einer von diesen Automobilen bevölkerten Seitenstraße. Die lärmigen Motorwagen brausten unbeeindruckt durch sie hindurch. Dabei erhaschte sie für wenige Sekundenbruchteile Geistesausstrahlungen der Fahrer. Warum war sie nicht sofort bei Tyche in ihrem Haus angekommen? Auf der Straße war sie doch nicht. Dennoch konnte Daianira sich des Eindrucks nicht erwehren, daß hier jemand war, der oder die an sie dachte. Jemand unsichtbares? Als Geistform konnte sie nur dann unsichtbare Wesen wahrnehmen, wenn sie wußte, nach wem sie suchen sollte. Ansonsten waren ihre nichtstofflichen Wahrnehmungen auf ihre gewohnten fünf Sinne und die Empfindung geistiger Ausstrahlung begrenzt. Sie schwebte zunächst etwas verunsichert die Straße entlang und versuchte, die Quelle der auf Tyche bezogenen Gedanken zu finden. Nur wenn sie direkt vor der Person stand und ihr mit ihren körperlosen Augen in die Augen sehen konnte, vermochte sie mehr herauszufinden. Aber solange sie nicht wußte, wer das war ... Nach etwa fünf Minuten gab sie die Suche auf und erkannte, daß sie in der Nähe von Tyches Wohnhaus angekommen war. Ein weiterer Gedanke, direkt bei der Zielperson zu sein, brachte sie trotz Apparitionswall und möglichen anderen Schutzzaubern direkt in ein Wohn- und Arbeitszimmer, wo Tyche Lennox alte Post sortierte und einen Brief vollendete. Sie verfolgte mit, wie Tyche zu Mittag aß, begleitete sie unbemerkbar auf einem Einkaufsausflug in die Stadt San Rafael und ließ sie erst vor ihrer Haustür wieder alleine. Als sie sicher war, daß Tyche wohl so schnell nirgendwo mehr hingehen würde, schlüpfte Daianira in ihren Körper zurück. Sie trieb zehn Minuten Gymnastik, um den während ihrer Geisterreise erstarrten Leib wieder gelenkig genug zu kriegen, um nun auch körperlich bei Tyche zu erscheinen. Dabei dachte sie daran, ob jemand anderes in reiner Geistform über Tyche wachte. Hatte Anthelia diese Kunst erlernt? Nein, wer immer das war hatte sich nur gut getarnt oder einen Tarnumhang oder den Trank der Verborgenheit eingenommen. Denn als sie die Reise ohne Körper erlernt hatte, erfuhr sie auch, daß zwei einander begegnete Bewußtseine einander sehen und miteinander sprechen konnten, weswegen die Lehrmeister häufig gemeinsame Reisen mit ihren Schülern machten und dabei in die weiten des Weltraums oder die Tiefen der Ozeane vordrangen. Denn keine rein physische Macht konnte einem losgelösten Bewußtsein Schaden zufügen. Daianira kam auf den einzig plausiblen Schluß: Tyche gehörte bereits zu Anthelia, und diese hatte jemanden abgestellt, sie zu beschützen, nachdem sie, Daianira, Patricia Straton derartig bedrängt hatte, daß Anthelia sie töten mußte. Dann war Tyche wohl sehr viel wert. Nun, das würde sie ja bald wissen.

Jetzt stand sie, nachdem sie in einem uneinsehbaren Hinterhof appariert war, vor Tyches Haustür und drückte den Knopf für die elektrische Türklingel. Klingel? Auf den Druck ihres Fingers hin tönte ein einfaches Summen aus dem Haus. Sie sah dieses kleine, runde Guckloch in der massiven Holztür. Offenbar konnte der Bewohner durch dieses sehen, wer Einlaß begehrte. Sie ging davon aus, daß Tyche sie zumindest schon aus der Zeitung kannte. Falls nicht, würde sie sich gleich vorstellen. Sie stand ganz entspannt da, lächelte sogar freundlich. Schritte hinter der Tür verrieten ihr, daß der unmusikalische Summton gehört worden war. Es dauerte jedoch eine Minute, bis die Tür von innen entriegelt und geöffnet wurde. Tyche Lennox blickte Daianira an. Dieser kam es so vor, als sei Tyche leicht nervös oder unbehagt. Schlechtes Gewissen oder unterdrückte Angst?

"Schönen guten Abend, Ms. Lennox. Ich bin Daianira Hemlock. Ich habe einige Zeit in der Schule unterrichtet, die Sie besucht haben. Ich hörte davon, daß Ihr Arbeitgeber Lucas Wishbone Sie und kompetente andere Damen ohne große Angabe von Gründen entlassen hat. Da mir daran gelegen ist, daß fähige Hexen ohne Abhängigkeit von anderen leben können, habe ich vor einem Monat eine Interessengruppe unterhaltsloser Hexen gegründet. Ich hoffe, Sie machen mir die Freude und bitten mich herein, damit ich es Ihnen in der Sicherheit Ihres Hauses näher erklären kann, bevor uns noch irgendwelche Muggel zuhören", sprach Daianira freundlich und leise. Tyche Lennox entspannte sich ein wenig und gab den Weg ins Haus frei, was Daianira als Einwilligung verstand. Sie betrat das kleine Haus, daß weit ab von den in den Himmel aufragenden Monsterbauten der Muggel entfernt war. Tyche lotste sie zu einer Garderobe. Doch Daianira hatte keinen Übermantel angezogen. Das Kleid der Stuhlmeisterin war bezaubert, daß es seiner Trägerin bei Hitze und Kälte angenehme Temperaturen verschaffte. Tyche trug eine helle Kombination aus bequemer Hose und einem mit Reißverschluß verschließbarem Oberteil. Sie hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, mit dem Schnellumkleidezauber in andere Sachen zu schlüpfen, die für einen Empfang repräsentativer waren. In jenem Wohn- und Arbeitszimmer, das Daianira schon am Morgen besichtigt hatte, bot Tyche ihrem Abendgast einen bequemen Sessel an, während sie sich auf ein bordeauxrotes Sofa setzte.

"Ich habe natürlich von Ihnen gehört, Madam Hemlock. Sie haben von 1955 bis 1975 in Thorntails unterrichtet. Professeur Verdant hat bei Ihnen gelernt, und Professeur Purplecloud war mit Ihnen in der Jahrgangsstufe", sprudelte es aus Tyche heraus. Das verriet ihre Nervosität. Ihr war der unerwartete Besuch nicht ganz geheuer, und Daianira erkannte, daß sie tatsächlich eine Möglichkeit hatte, Anthelias Bande auszuheben, ohne den Verratsunterdrückungsfluch auslösen zu müssen. Doch zunächst blieb sie bei dem vorgeschobenen Grund für den Besuch, alleinstehenden Hexen zu neuem Auskommen zu verhelfen. Tyche erzählte, daß sie sich im Moment mit Gelegenheitsjobs das nötigste zum Leben verdiente. Daianira hörte jedoch heraus, daß ihr das jedoch nicht gefiel. Ebenso hörte sie zwischen den einzelnen Sätzen heraus, daß Tyche nicht wußte, ob sie der Besucherin trauen konnte. Dann ließ Daianira die Katze aus dem Sack.

"Ich habe diese Gruppe gegründet, um junge, tatendurstige Hexen davor zu bewahren, einer selbsternannten Heilsbringerin nachzulaufen, die sich im Sinn einer europäischen Hexenlady von vor dreihundertfünfzig Jahren sieht, ja sogar behauptet, deren Erbin zu sein, und ihren Anhängerinnen aufgetischt hat, sie sei die wiedergeborene Nichte dieser Hexenlady. Derartige Bestrebungen führen meistens in eine Katastrophe, und mir liegt daran, junge Hexen wie Sie derartigem Unheil zu bewahren. Sicher haben Sie in den Zeitungen gelesen, daß jemand eine Gruppe von Ungeheuern nachzüchtet, die das Markenzeichen dieser Hexenlady sind. Damit will sie die ganze Welt, die der Muggel und der Zauberer erobern oder vernichten, weil es ihr offenbar nicht mehr reicht, Anhängerinnen zu werben und Intrigen zu schmieden. Viele unzufriedene Kleingeister verfallen irgendwann auf die Gewalt als scheinbar einzige Lösung für ihre Probleme."

"Moment, das ist mir jetzt etwas viel auf einmal", sagte Tyche, die ihren Körper jedoch wohl nicht so gut beherrschte wie es angebracht war. Denn sie war auf einen Schlag kreidebleich geworden. Daianira tat so, als sei das die Heftigkeit ihrer Mitteilung und hakte nach:

"Ja, das sehe ich ein, daß das sehr beängstigend ist, was ich weiß. Und genau deshalb will ich ja dafür sorgen, daß diese Person keine weiteren Anhängerinnen bekommt, die aus purer Frustration wegen Wishbones Maßnahmen zu ihr hinlaufen. Falls sie bereits ein Angebot von ihr erhalten haben und sie darauf drängt, daß Sie ihrer Gruppe beitreten, kann ich Ihnen Schutz garantieren. Ich stehe mit hochrangigen Hexen und Zauberern in Kontakt, die wie ich verhindern wollen, daß diese Nachahmungstäterin unseren ganzen Planeten mit diesem Riesenungeziefer überflutet und dann wie eine Kaiserin der Hexen Muggel und Magier regieren kann."

"Das ist nur ein Gerüchtt", hielt Tyche entgegen. "Ich war nur geschockt, weil Sie so fanatisch gesprochen haben", sagte sie. "Aber, ich denke, daß die Zeitungen da falsch liegen. Kann auch sein, daß jemand ganz bewußt einen Feind oder eine Feindin erfunden hat, um Wishbones Maßnahmen zu rechtfertigen. Als wenn der Emporkömmling nicht schon ausreichen würde." Daianira mußte sich arg zusammenreißen, um nicht triumphierend loszulachen. Tyche hatte Voldemort als Emporkömmling bezeichnet. Das taten sonst nur die Angehörigen der Schwesternschaft. Womöglich hatte die zwar gut ausgebildete aber offenbar nicht gut beherrschte Hexe diese Bezeichnung von anderen Schwestern übernommen. So fragte sie so ruhig wie es ging klingend: "Wen meinen Sie bitte mit Emporkömmling, Ms. Lennox?"

"Ähm, den Zauberer, der sich von seinen Leuten dunkler Lord nennen läßt. Die Leute sagen ja, daß er von sich behauptet, der Erbe Slytherins zu sein und deshalb schnell an Macht gewonnen hat, obwohl keiner so recht weiß, wo er herkommt."

"Verstehe", erwiderte Daianira auf Tyches etwas verlegen klingende Antwort. "Sie glauben also nicht, daß diese Hexenlady existiert, die diese Brut aus Mensch und Insekt erschaffen kann? Wer bitte schön hat dann vor etwas mehr als einem Jahr dieses Ungeheuer in Frauengestalt erledigt oder uns um ostern dieses Jahr einen höchst gefährlichen Schwarzmagier aus Rußland vom Hals geschafft?"

"Nun, ich denke, Sie haben auch die vielen Gerüchte gehört, daß es diverse Schwesternschaften unter den Hexen geben soll. Könnte ja sein, daß eine davon meint, mehr Einfluß haben zu müssen", antwortete Tyche unbeholfen. Daianira unterdrückte das Verlangen, amüsiert zu grinsen. An Stelle dessen blickte sie besorgt und ungehalten zugleich auf Tyche, die sichtlich angespannt auf ihrem roten Sofa saß, als warte sie auf einen Angriff.

"Soso, Gerüchte. Aber wovon ich spreche ist kein Gerücht. Ich habe Kontakte zu namhaften Mitarbeitern in verschiedenen Zaubereiministerien. Die haben alle bestätigt, daß diese Ungehheuer, die sich Entomanthropen nennen, wahrhaftig existieren. Abgesehen davon müssen die Leute, die diese Hallitti erledigt haben eine Menge Magie überwunden haben, um das zu schaffen. Angeblich seien es nur an die zehn Personen gewesen, die gegen sie gekämpft haben. Sie waren bis vor kurzem beim Ministerium angestellt. Haben sie da erfahren, ob es Mittel gibt, auch den stärksten Zauber zu brechen?" Tyches Wimpern erzitterten, während sie tief ein- und ausatmete. Wie hatte man diese Hexe in einer Geheimabteilung anstellen können? Vor allem war sich Daianira jetzt ganz sicher, die richtige Adresse angesteuert zu haben.

"Falls es da was gibt, dürfte ich Ihnen nichts davon sagen. Ich wurde vereidigt, mir vermittelte Betriebsgeheimnisse für mich zu behalten", sprach Tyche.

"Dann wundert es mich ehrlich gesagt, daß Sie bei Ihrer doch wohl mehr als ein Jahrzehnt dauernden Arbeit nie gelernt haben, Ihre Regungen zu beherrschen", stieß Daianira nun vor. "Sie haben sich bereits verraten, als sie erbleichten, nicht aus Angst vor der Unbekannten, sondern Ertapptheit. Ich verlange nicht von Ihnen, mir zu beichten, für wen Sie die Incantivacuum-Kristalle beschafft haben. Denn das weiß ich ja jetzt." Tyche lief erst tomatenrot an und wurde erneut bleich. Nervös fingerte sie in eine Ritze des Sofas. Daianira reagierte blitzartig. Mit einem Griff hielt sie ihren Zauberstab in der Hand und richtete ihn auf Tyche. "Maneto!" Rief sie. Mitten in der Bewegung erstarrte die junge Hexe, gerade als sie ihren Zauberstab aus der Sofaritze freiziehen wollte. ""Unbrauchbares Versteck, Mädchen", schnarrte Daianira und holte sich Tyches Zauberstab per ungesagtem Aufrufezauber. "Außerdem möchte ich dich daran hindern, für deine höchste Schwester Selbstmord zu begehen und mich dabei mitzunehmen. Deshalb bringe ich dich erst einmal zu mir und lege dich in Tiefschlaf, bis ich alle Komponenten des Fluches ergründet habe, mit dem du am verbalen Verrat gehindert werden sollst. Dann werden wir die Unterhaltung fortsetzen. Mich stört auch nicht, daß du überwacht wirst. In fünf Sekunden sind wir fort von hier. Stupor!" Tyche klappte unter dem Schockzauber zusammen, der den Bewegungsbann überlagerte. Mit einem ungesagten Schrumpfzauber verkleinerte Lady Daianira ihre Gefangene auf Däumlingsgröße und holte sie ebenfalls per Aufrufezauber zu sich. Aus dem Haus disapparieren konnte sie nicht, wußte sie. Da die unsichtbare Person, die Tyche überwachte, den Vordereingang im Blick hielt, mußte sie mit ihrer Gefangenen durch die Hintertür oder ein ebenerdiges Fenster. Sie winkte dem großen Fenster mit ihrem Zauberstab. Doch es ging nicht auf. So mußte sie schnell hinlaufen und es von Hand öffnen. Da hörte sie von draußen eine Stimme ihren Namen rufen.

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Donata Archstone belauschte die Unterhaltung mit dem Langziehohr. Ihr war sofort klar, was Daianira wollte. Als Tyche sich dann auch so dumm verplapperte hätte die für tot erklärte Beobachterin fast vor Wut aufgeschrien. Tyche war keine von den Schweigsamen. Aber sie hatte deren Ausdruck für Voldemort übernommen, weil die anderen Mitschwestern ihn nur so bezeichneten. "Höchste Schwester, Tyche ist aufgeflogen!" Mentiloquierte sie Anthelia.

"Halte Abstand zum Haus und hol das Ohr ein. Wenn Daianira so siegestrunken ist, nicht mehr an den Fluch zu denken sind wir sie gleich los", wisperte Anthelias Stimme gerade so noch erkennbar in Donatas Gedanken. "Zurück!" zischte Donata mit einer Hand am Langziehohr, das sich blitzartig aufrollte und zum Knäuel wickelte. Donata ging einige Meter weiter und beobachtete das Haus, so wie eine, die bangt, es könne gleich explodieren. Denn genau damit rechnete Donata. Doch als sie die Worte "Maneto" und "Stupor!" aus dem Haus hörte war ihr klar, daß das Haus nicht in einem Feuerball oder ähnlichem vergehen würde. "Sie will sie mitnehmen, hat den Fluch nicht vergessen", schickte sie Anthelia zu und wunderte sich, wie laut ihre Gedankenstimme nun nachhallte. Da ploppte es neben ihr, und da stand sie, Anthelia. Sie trug einen langen, bis zu den Fußgelenken herabfallenden Kapuzenmantel. Das lederartige Kleidungsstück schimmerte im Licht einer Straßenlaterne blutigrot mit einigen silbernen Verzierungen. Die neun großen Knöpfe an der Vorderseite waren geschlossen. Anthelia zog die Kapuze über ihr strohblondes Haar und sagte nur: "Dann muß ich diesem Weib eben hier und jetzt beikommen." Sie lief los. Der mantel behinderte sie nicht. Er bewegte sich von alleine, um ihren weit ausschreitenden Beinen den nötigen Raum zu lassen. Dann war sie vor der Tür und rief: "Daianira! Hände weg von Tyche Lennox!"

"Ein wenig zu spät, Anthelia!" Hörte sie eine triumphierende Antwort vom Hinterhaus her. Dann vernahm sie nur vier schnelle Schritte und einen scharfen Knall.

"Sie hat sie", schnarrte Anthelia. Dann überlegte sie sich, ob sie Tyche als endgültig verloren abschreiben sollte. Doch nachdem ihr diese haselnußbraune Hyäne Cecil Wellington entwunden hatte, ohne dies zu wissen oder gar zu wollen, war Tyche die einzige in den Staaten, die sich mit der Muggelwelt auskannte und zaubern konnte. Womöglich würde Daianira Tyche an einen Ort verschleppen, an dem sie sie nicht finden konnte. Sie war eindeutig zu spät gekommen. Ihre Hoffnung, Daianira von jenem Treuefluch töten zu lassen, mit dem sie ihre Mitschwestern belegt hatte, hatte sich als Trugschluß erwiesen. Vielleicht wollte Tyche gerade ausplaudern, was sie erlebt und erledigt hatte. Doch Daianira hatte sie noch rechtzeitig davon abgehalten.

"Verschwinde in dein Versteck, Schwester Donata, mentiloquierte sie Donata. Diese disapparierte mit lautem Plopp. Anthelia untersuchte die Tür. Ein Schutz gegen Bewegungs- und Entriegelungszauber lag darauf. So konnte sie auch mit ihren telekinetischen Kräften nichts ausrichten. Daianira mußte wohl hinten heraus davongelaufen sein, bevor sie disapparieren konnte. So zwengte sich Anthelia zwischen den nebeneinanderstehenden Häusern durch, ohne darauf zu achten, ob Muggel sie beobachten mochten. Schnell fand sie das offene Fenster. Wenn Daianira Tyche verschleppt hatte, um nach einem Mittel zu suchen, den Treuefluch aufzuheben, hatte sie wohl nicht überlegt, daß noch irgendwelche Unterlagen bei Tyche waren, zum Beispiel die von Cecil geschickten Computerbriefe. Die Unterlagen mußten verschwinden, bevor Daianira auch noch die Dreistigkeit aufbot, das Zaubereiministerium herzurufen, um nach der verschwundenen Tyche Lennox zu suchen. So stieg Anthelia durch das Fenster. direkt ins Wohnzimmer. Sollte sie den gerade noch laufenden Rechenapparat zerstören oder die spärlichen Kenntnisse von Cecil Wellington bemühen, die darin abgespeicherten Unterlagen zu löschen? Sie entschied sich für die sanftere Methode und klemmte sich schnell hinter die Tastatur, um mit der Maus zu hantieren. Sie mußte jedoch im Gewirr der Symbole das richtige finden, um nach Stichwörtern zu suchen. Da sie nie auf einer Schreibmaschine zu schreiben gelernt hatte mußte sie die scheinbar willkürlich verteilten Buchstaben mit den Zeigefingern suchen. Das war einfacher, als die Tasten per Telekinese zu betätigen. Als sie es gerade geschafft hatte, "Richard Andrews" einzutippen gewahrte sie einen weißen Dunstschleier, der durch das immer noch offene Fenster hereinwehte. Schnell griff sie nach ihrem Zauberstab. Da wurde die Wolke zu Daianira in ihrem dunkelblauen Kleid.

"Ich würde mir das überlegen, mich umzubringen, Anthelia. Du weißt nicht, was ich arrangiert habe, wenn du oder eine andere von deiner Bande mich hinterrücks ermorden will", sagte Daianira ganz unbekümmert, hielt dabei aber ihren Zauberstab kampfbereit.

"Du wolltest mich umbringen, Schwester Daianira, und das trotz des Schwurs, den ich dir abgenommenhabe", zischte Anthelia.

"Müssen wir das wirklich bei offenem Fenster besprechen. Oder ist dir neuerdings egal, wer zuhört?" Erwiderte Daianira.

"Ich wüßte nicht, was ich dir noch zu sagen hätte außer, daß du nicht mehr lange lebst, egal, was du arrangiert hast. Denn du kannst mich nicht töten."

"Ich weiß, du hast was angestellt, um nicht totgeflucht zu werden. Und dein schönes Mäntelchen wehrt auch alle anderen Flüche ab, wie ich weiß. Dann gehört auch kein Mut dazu, mir den Tod anzudrohen. Das schmucke Kleidungsstück aus dem Mottenschrank deiner Tante kompensiert wohl dein Unvermögen, Anthelia. Du fühlst dich nur stark, solange du Sardonias Altkleidersammlung trägst, nicht wahr?"

"Soll ich es darauf anlegen, was passiert, wenn du stirbst?" Schnarrte Anthelia.

"Gut, du bist keine durch dein Blut in meine Riege aufgenommene Schwester, Anthelia. Du würdest wohl weiterleben, wenn du mich umbringst. Aber alle die, die du mir abgeworben hast würden zeitgleich mit mir den Tod finden, auch jene, die du in anderen Ländern rekrutiert hast. Die paar Sekunden, die ich hatte, um meine Geisel sicher unterzubringen reichten mir, deinen Verratsunterdrückungsfluch mit dem Fluch der Vergeltung zu verbinden. Alle, die du an dich gekettet hast werden dann sterben, wenn du mich tötest. Und nicht nur die mir und anderen ehrbaren Stuhlmeisterinnen abgerungenen Schwestern, sondern wirklich alle. Du würdest deine Bande mit einem Schlag verlieren. Dir blieben dann nur die Entomanthropen und Sardonias Schmuck und Anziehsachen."

"Ich kenne meinen Fluch und den der Schwestern, Daianira. Sie lassen sich nicht in der von dir angedrohten Weise vereinen, weil sie aus unterschiedlichsten Quellen stammen. Du lügst also. Das wird deine letzte Lüge in diesem unausgefüllten Leben sein. Du hättest deine Vorgängerin, Lady Morgaine Flowers, besser doch nicht zum Duell fordern sollen. Du siehst, ich weiß genug von dir, um zu wissen, warum du so vermessen bist, mich zur Feindin haben zu wollen."

"Ich würde an deiner Stelle nicht davon ausgehen, daß niemand diese beiden Flüche vereinen kann, Anthelia. Seit deinem ersten Tod sind viele Jahre vergangen", erwiderte Daianira so selbstsicher, daß Anthelia zögerte, ihr den tödlichen Fluch entgegenzuschleudern. "Flüche können verbunden werden, wenn sie eine gemeinsame Grundrichtung haben, egal, mit welcher Art Magie sie entfaltet wurden, ob mit den Chi-Zaubern der Magier im fernen Asien, Stammesritualen der Naturvölker, Voodoo oder den Zaubern der Druiden. Außerdem brauchte ich deinen Fluch nicht zu studieren. Ich verband ihn durch einen Blutzauber mit dem Fluch der Anerkennung meiner Macht, sofern keine Schwester befindet, mich zum offenen, frei vor allen interessierten Mitschwestern ausgefochtenen Duell in unserem Versammlungsraum zu fordern. Ich brauchte Tyche lediglich mit einigen Tropfen meines Blutes zu beträufeln und den entsprechenden Zauber zu wirken. Jetzt sind alle, die mit deinem Fluch belegt sind, mit meinem Leben verbunden. Sterbe ich, ohne in einer erlauchten Kraftprobe um mein Leben gekämpft zu haben, sterben auch alle anderen. Also versuch dein Glück, Anthelia, wenn du nur mit deinen Monsterbienen übrig bleiben willst, sofern der von dir übertragene Fluch nicht auch dich hinwegfegt."

"Du kannst mir viel erzählen, Daianira, wenn du deinen Geist so sorgsam verschlossen hältst", schnarrte Anthelia wütend. Warum probierte sie das nicht aus und jagte dieser Quertreiberin da nicht den grünen Blitz an den Hals? Es war diese unerschütterliche Selbstsicherheit, die Daianira ausstrahlte. Sie bettelte nicht um ihr Leben, sondern bot es Anthelia an. Sie hätte ja nicht zurückkommen müssen. Auch wenn sie nicht das getan hatte, was sie behauptete, mochte ihr Tod zum jetzigen Zeitpunkt tatsächlich einen Vergeltungsprozeß auslösen.

"Abgesehen davon, daß du dann niemanden mehr hast, der intelligent genug ist, dir mehr zu sein als brutales Geschmeiß wäre das einer echten Erbin Sardonias unwürdig, im Schutze eines Mantels mit Fluchabwehrzaubern und anderen Hilfsmitteln alles abzuwehren und eine vergleichbar dazu wehrlose Hexe zu töten."

"Oh, du weinst immer noch um dieses goldene Ding, das mir fast den Körper verbrannt hat, Schwester Daianira? Ja, damit hast du mir ein paar wertvolle Stunden Lebenszeit verdorben. Aber jetzt hast du es nicht mehr. Und die, die es hat, ist mir treu verbunden."

"Das weiß ich, Anthelia. Aber genau deshalb würdest du sie im gleichen Moment töten, indem du mich tötest, Anthelia. Das Medaillon, das sie mir gestohlen hat, würde sie nicht davor schützen, auch nicht an einem durch Fidelius geschützten Ort. Und du kannst es nicht ertragen, weil du etwas vampirisches an oder in dir hast, was die Sonne flieht oder unter ihrem reinen Licht leidet und vergeht. Es ist also wertlos für dich, wenn die, die es trägt, nicht mehr lebt und du auch sonst niemanden hast, der es für dich einsetzen kann. Aber du kannst es ja immer noch versuchen, du feige Küchenschabe", spie Daianira Anthelia die Worte ins Gesicht.

"Du hältst mich also für schwach und feige, daß ich dir nicht im offenen Duell entgegentreten könnte, ohne den Mantel der Panzerung zu tragen?" Fragte Anthelia nun sehr wütend. "Ich habe Sycorax Montague im offenen Duell geschlagen, ohne diesen Mantel zu besitzen, weil meine hochrespektable Tante ihn natürlich nur einmal hergestellt hat und habe mich mit dem Waisenknaben Riddle duelliert, ohne diesen Mantel. Ich habe mein Leben riskiert, um Hallitti zu vernichten und bin auch Bokanowski ohne diesen Mantel entgegengetreten. Das ich ihn jetzt trage liegt daran, daß ich dir nicht traue, daß du offen und ehrlich kämpfst."

"Schließt du da nicht von dir auf andere?" Fragte Daianira. "Außerdem glaube ich dir kein Wort, daß du Riddle im Duell besiegt hast. Dann hättest du ihn töten müssen, wenn du so klug wärest."

"Hast du es nicht gemerkt, daß er gegen den Todesfluch gefeit ist. Er stahl das Blut des Jungen Harry Potter, um seinen eigenen Leib zurückzugewinnen. Der Schutz des Jünglings fließt nun auch in ihm. Der einzige, den ich mir als seinen tödlichsten Gegner vorstellen kann, wäre der Knabe selbst. Abgesehen davon töte ich einen Feind nur dann, wenn er mir bald schon über den Kopf wachsen könnte. Er ist es noch nicht, und du auch nicht, Daianira."

"O wenn du dich da mal nicht täuschst, Anthelia", knurrte Daianira. "Denn ich werde nicht zulassen, daß du deine Monsterbrut über unsere Welt auskippst. Jetzt habe ich Tyche. Sie wird mir so oder so verraten, wer noch zu dir gehört. Ich habe Zeit, Anthelia. Ich habe ein Versteck, daß du nicht finden wirst, bis es für dich zu spät ist. Eine nach der anderen werde ich dir abjagen. Zudem werden die anderen Stuhlmeisterinnen, denen du in Ailons Höhle den Treueschwur abgenommen hast, mit allergrößtem Vergnügen Jagd auf die Abtrünnigen machen, wenn sie von mir erfahren, daß du viel zu feige bist, dich mir in einer finalen Auseinandersetzung vor Zeugen zu stellen. Sardonia war deine Tante, für wahr. Denn du hast nicht ihre Entschlossenheit, gegen jemanden anzutreten, der dir überlegen ist.""

"Du mir überlegen? Der einzige Umstand, daß du noch lebst ist der, daß ich anders als meine Tante Ehrfurcht vor dem Blut anderer Hexen habe. Ansonsten hätte ich in Ailons Höhle nur ein Wort sagen müssen, um euch alle in den Zornesflammen verbrennen zu lassen. Aber ich habe euch die Hand gereicht. Und du und diese Nimoe wollt diese Hand beißen, statt mit mir zusammen eine wahrhaft lebenswerte Welt zu erschaffen."

"Das hat Morgaine auch behauptet", konterte Daianira. "Sie wollte dieselbe Tyrannei der Hexen auf Erden erschaffen wie deine verfluchte Tante, die unsere hehren Ziele verraten hat, durch Überzeugung und Stärke zu führen und nicht durch haltloses Morden und Angst."

"Es ist bedauerlich, daß ich nicht dreißig Jahre früher einen neuen Körper gefunden habe. Der Waisenknabe Tom Riddle und du wäret der Welt erspart geblieben. Und viele naturverachtende Erfindungen der Unfähigen wären niemals ins Werk gesetzt worden. Aber ich muß das akzeptieren, daß ich nur die Wahl habe, dich zu töten oder mir von dir auf der Nase herumtanzen zu lassen. Du willst also wirklich einen Kampf vor Zeugen? Denkst du, deine noch treuen Mitschwestern würden es mir nicht glauben, daß ich dich im ehrlichen Kampf besiegen konnte? Nun denn, Daianira, wenn du wahrlich eine Demütigung vor Zeugen hinnehmen willst, dann sei es so. Treffe deine Vorbereitungen, dir genehme Zuschauerinnen einzuladen! Wir treffen uns jedoch nicht in der Höhle der Versammlung und auch nicht in meiner Heim- und Hofstatt. Treffen wir uns dort, wo Hallitti ihr Ende fand. Ich gehe davon aus, daß dir der Ort geläufig ist."

"In der Wüste, unter freiem Himmel, damit du mir mit deinen telekinetischen Tricks davonfliegst oder disapparierst? Wenn du wirklich meinst, meinen Platz einnehmen zu dürfen, dann mußt du schon dazu bereit sein, nach den Regeln der Schwesternschaft zu fechten, an denen du ja selbst mitgewirkt haben sollst. Ich gewähre allen, die dir zugetan sind freien Zugang zu unserer Versammlungshöhle und verspreche auch, daß ich ihren Körpern und Seelen kein Leid zufügen werde, bevor oder nachdem wir uns duelliert haben. Doch ich fürchte, du bist zu sehr an das Leben im Dunkeln gewöhnt und wirst dich denen, die von dir noch nichts wissen nicht offenbaren wollen. Nur in unserer Versammlungshöhle besteht die Möglichkeit, vor Wishbones Truppen sicher zu kämpfen und die Zuschauerinnen nicht zu gefährden. Aber wer sich in einen magischen Mantel hüllt hat nicht den Mut, an der Wirkungsstätte der Machthaberin um deren Rang zu kämpfen. Ich habe vor Zeuginnen bewiesen, daß ich diesen Mut habe. Du hast dich bisher nur auf deine anscheinende Unversehrtheit und schöne Worte verlassen müssen. Wenn du wirklich Respekt vor deiner Tante hast, wirst du zu mir kommen und mich offen und vor Zeugen herausfordern."

"Du hast mich herausgefordert, Daianira. Es läge also dann an dir, zu mir zu kommen und mich im Duell zu besiegen, was dir auch ohne meinen Mantel nicht gelingen wird", fauchte Anthelia wie eine wütende Katze.

"Du hältst dich also wahrlich für unbesiegbar", raunzte Daianira. Nun gut, dann werde ich meine Sammlung von untreuen Schwestern eben fortsetzen, oder mit ihnen allen zusammen sterben, wenn du mich tötest. Denn nur in der Höhle der Versammlung kann ich den Schutz meines Lebens aufheben, indem ich vor allen eingeschworenen Schwestern meine Niederlage eingestehe, wie Morgaine es tat, als sie versuchte, mir mit dem Todesfluch das Leben zu entreißen und ihr Stab durch meine schnelle Gegenwehr aus der Hand flog, bevor sie den Fluch vollständig daraus hervorstoßen konnte. Du wirst mich nicht los, Anthelia. Nicht, nachdem du den Bogen dermaßen überspannt hast, indem du die Bestien deiner Tante wiedererweckt hast und weitere von ihnen züchten willst. Es kommt dir wohl sehr gelegen, daß in Europa wahrhaftig diese Schlangenmonstren aus dem alten Reich aufgetaucht sind, wie ich mittlerweile weiß. Du behauptest, die könnten nur von fliegenden Gegnern vernichtet werden. Bisher glaubt das wohl außer dir keiner."

"Diese Wesen sind wirklich gegen Magie und physische Gewalt gefeit, solange sie auf festem Boden wandeln, Daianira. Ich habe selbst zwei von ihnen gesehen, eines getötet und deren Gift entnommen, um zu untersuchen, ob es den Keim ihres Daseins trägt. Ja, das tut es", stieß Anthelia verärgert aus. "Nur wenn diese Wesen keinen Halt auf der Erde haben, also auch nicht an Wänden oder auf verankerten Booten oder Plattformen stehen, sind sie verwundbar. Deshalb mußte ich die alten Garden meiner Tante vermehren, weil nur sie gegen dieses Gewürm bestehen können", fügte sie noch mit Verdruß im Gesicht hinzu. Dann lauschte sie. Jemand hörte gespannt zu, zwei Jungen, wohl aus der Nachbarschaft, vermeinten wohl ein merkwürdiges Drama im Fernsehkasten zu hören. Das fenster stand ja immernoch offen. Die führerin der Spinnenschwestern deutete nach draußen. Daianira hielt das für eine Falle und ließ nicht den Blick von der Rivalin. So ging Anthelia zum Fenster, sah hinaus und machte zwei rasche Zauberstabbewegungen, wobei sie "Mikramnesia" ausrief. Dann schloß sie das Fenster mit der freien Hand.

"Zwei Muggelkinder dachten, es sei ein Schaustück in diesen Feernsehkästen", grummelte Anthelia und deutete auf den entsprechenden Apparat in Tyches Wohnzimmer. Dann sagte sie entschlossen: "Gut, Daianira. Wenn ich dich nicht überzeugen kann, daß meine Taten zum Wohle aller sind und nicht zur Zerstörung dienen sollen, müssen wir beide eben in der gewaltsamen Auseinandersetzung die Entscheidung finden. Dir ist nur klar, daß du die Entomanthropen dann nicht wirst lenken können, falls dir das unwahrscheinliche Glück hold sein möge, mich zu vernichten."

"Das ist auch nicht nötig. Ich brauche nur eines dieser Biester mit einem Ortungszauber zu markieren und seinen Weg zu seiner Königin zu verfolgen, wie es die Feinde Sardonias geschafft haben. Der Rest ist dann kein Thema mehr."

"Im Duell mit mir wirst du größere Gnade finden als im Versuch, einen Entomanthropen zu markieren, Daianira. Außerdem hättest du das dann ja schon längst getan. Du würdest dann aber ein beherrschbares Übel unbeherrschbar machen und durch ein noch größeres Übel ersetzen. Aber ich erkenne, daß es Zeitvergeudung ist, solch tauben Ohren und sturen Hirnen zu predigen. Du gehst davon aus, daß ich Schwestern von dir für meine Sache gewinnen konnte. Dann wird mir eine von denen zeigen, wo ihr residiert. Ich schlage den fünfzehnten November vor. An ihm erblickte meine ehrwürdige Mutter Nigrastra vor fünfhundertfünfzig Jahren das Licht der Welt. So wird deine Niederlage auch ihren Ruhm mehren", knurrte Anthelia.

"Ein netter Tag, Anthelia. Eileithyia, meine Großmutter mütterlicherseits, wurde auch an diesem Tag geboren. Allerdings schon vor einhundertsechzehn Jahren. Leider gehört sie zu den Unentschlossenen und ist zu gut mit Lady Roberta befreundet, sonst würde ich sie einladen, deiner Niderlage beizuwohnen. Meine Frau Mutter kann ich leider auch nicht einladen, da sie sich strickt geweigert hat, in die erhabene Schwesternschaft einzutreten."

Dies weiß ich von der nun entschlafenen Pandora", erwiderte Anthelia. Sie verschwieg dabei, daß Pandora ihr das einen Monat vor ihrer Wiederverkörperung erzählt hatte, weil der Geburtstag von Daianiras Großmutter und der von Nigrastra übereinstimmten.

"Natürlich", fauchte Daianira. "Aber bleiben wir bei der Sache. Du erscheinst mit einer der Verräterinnen an mir in der Versammlungshöhle, vielleicht sogar mit der, die mir das Sonnenmedaillon entwendete. Ich sorge dafür, daß Tyche auch dort erscheinen wird. Solltest du verlieren", Anthelia grinste überlegen, "werde ich ihre Fürsprecherin bei Lady Roberta oder lasse sie dich und ihr Tun für dich vergessen, wenn sie das Angebot erneut ablehnt. Obsiegst du mit eigener Magie, ohne Hilfsmittel wie diesen Mantel, so magst du allen anderen Schwestern vorangestellt sein und die Welt ins Verderben stürzen, sofern Lady Roberta oder jemand anderes dich nicht aufhält. Ich gewähre allen von mir abgefallenen Schwestern freies Geleit und Vergebung, wenn ich dich besiegt haben werde, sofern sie mir dann wieder treu ergeben sind und nicht erneut von mir abzufallen wagen. Geht das für dich in Ordnung?"

"Du hast mir auch schon einmal geschworen, mich anzuerkennen. Aber ich habe nichts zu befürchten. Daher gehe ich darauf ein. Rufe die Schwestern zusammen, und jene, die vorher schon bei dir waren werden erscheinen, auch ohne daß du wissen mußt, daß sie sich für mich entschieden haben. Wer nicht vorher bei dir war, muß wohl nicht wissen, wo eure Versammlungshöhle ist. Da du es auf einen magischen Entscheidungskampf anlegst kannst du Tyche Lennox auch wieder freilassen. Du weißt schließlich, wem sie Gefolgschaft zollt."

"Oh, du sorgst dich um deine Mitschwestern?" Fragte Daianira. "Das zeigt mir, daß du wahrlich aus Nigrastras Schoß entstiegen bist und nicht die Mordgier deiner Tante deine Seele formte. Das Blut, welches in dir fließt ist ja doch das von Bartemius Crouch. Wundert mich nur, daß du da Mitgefühl zeigen kannst, wo Vater und Sohn dies nicht aufbrachten", entgegnete Daianira zynisch. "Also dann um eine Stunde vor Mitternacht. Für eine von uns endet mit dem Tag das Leben. Für die andere wird dann ein neuer Tag beginnen."

"Ich akzeptiere Zeit und Ort, Daianira", willigte Anthelia ein. Dann öffnete sie der erklärten Duellgegnerin das Fenster und ließ sie hinausklettern. Sie unterdrückte den Wunsch, diese Giftschlange da doch noch mit dem Todesfluch aus der Welt zu stoßen. Doch zwei Sachen hielten sie davon ab. Daianira hatte sich ihr ausgeliefert. Vielleicht hatte sie doch einen Weg gefunden, Anthelias Fluch gegen die Urheberin zu wenden. Alle Schwestern zu verlieren wollte sie nicht riskieren. Der zweite Grund war der Angriff auf Anthelias Ehre. Sie, die gegen den Massenmörder Tom Riddledreimal antrat, die Abgrundstochter Hallitti im harten Kampf überwand und Bokanowskis Schreckensburg mit deren herren dem Erdboden gleichgemacht hatte, würde sich nicht als feige Küchenschabe bezeichnen lassen. Vielleicht wäre es auch hier schon zum entscheidenden Duell gekommen, wenn ihr Mantel der Panzerung es Daianira nicht von vorne herein vereitelt hätte. So mußte sie jetzt auf die Herausforderung Daianiras eingehen, zeigen, daß sie wahrlich die Führung der Hexenwelt verdiente. Und noch etwas hielt sie davon ab, der gerade disapparierenden Daianira den Todesfluch nachzujagen. Fiel Daianira in diesem Duell, konnte sie nicht nur alle bisher ihr treu verbliebenen Schwestern auf ihre Seite ziehen, sondern auch alle anderen Entschlossenen niederhalten, die meinen mochten, ihr in die Quere kommen zu müssen. Und da sie mit diesem Körper nicht in die Schwesternschaft aufgenommen wurde, konnte sie auch die unentschlossene Führerin bedrohen, ihr ihren Platz zu überlassen. Dann hätte sie endlich Ruhe in den Staaten und konnte sich auf die Abwehr von Riddles Schlangenbestien konzentrieren. So verrauchte ihre Wut über Daianiras Überrumpelung mit Tyche. Es war eine Möglichkeit, eine sonst ewig andauernde Fehde ein- für allemal zu entscheiden. So schloß sie das Fenster und löschte die Eintragungen über Richard Andrews und was sie sonst noch im Rechner Tyches fand, bevor sie den Computer herunterfuhr, wie sie es von Cecil mitbekommen hatte. Dann verließ sie das Haus durch die Haustür. Die Kapuze des magischen Mantels hatte sie so tief ins Gesicht gezogen, daß keiner sie erkennen konnte. Hinter einer uneinsehbaren Straßenecke disapparierte sie.

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Linda Knowles wollte sichergehen, daß sie nicht unvorbereitet zu Daianira Hemlock gehen mußte. So verbrachte sie einen vollen Tag im Archiv ihrer Zeitung, um alles bereits veröffentlichte über die illustre Dame nachzulesen. Die Warnung ihres Bekannten Penholder hatte sie nicht vergessen. Doch gerade diese Warnung kitzelte ihre Jagdinstinkte. Sie war jedoch nicht so einfältig, direkt und ohne großes Wissen auf ein brisantes Ziel loszugehen.

Sie nahm mit gewisser Bewunderung zur Kenntnis, daß Daianira Hemlock als zweites Kind und erste Tochter der heldenhaft gestorbenen Antigone Hemlock geboren worden war, die 1970 als Inobskuratorin mit einigen Kollegen einen Schlangenmagier in Texas bekämpft hatte, der zwei Basilisken erschaffen hatte. Antigone starb bei dem Versuch, einem dieser Monster einen unzerbrechlichen Spiegel entgegenzuhalten, weil der Augenschutz verrutschte. Das Monster starb jedoch auch. Winston Hemlock, Daianiras Vater, war von 1919 bis 1935 Zaubertranklehrer in Thorntails, war danach wegen irgendwelcher Streitigkeiten mit dem Schulleiter aus dem Lehramtausgeschieden. Nach dem Abschluß seiner beiden Kinder Nessos und Daianira hatte er sich auf die Forschung verlegt und war 1992 bei einem Selbstversuch mit einem angeblichen Apparitionsverstärkungstrank regelrecht explodiert. Nessos war Drachenjäger geworden und arbeitete mit peruanischen Kollegen zusammen an der Kleinhaltung des Vipernzahnbestandes, bis er 1989 unerwartet mitten in Lima von einem kapitalen Männchen dieser Art überfallen und getötet wurde. Niemand hatte gesehen, woher der Drache gekommen war; und keiner hatte ihn nach dem Angriff fortfliegen sehen können. Das fand Linda höchstinteressant. Sie fragte sich, was sie in diesem Jahr getan hatte und entsann sich, daß sie den frisch gekürten Zaubereiminister Pole auf einer längeren Auslandsreise begleitet hatte. Somit lebten von Daianiras Verwandten noch Nessos Tochter Clarabelle und deren drei Söhne, von denen sie einen ja als Nachbarn in VDS hatte. Von der Mütterlichen Seite her war noch die schier unverwüstliche Eileithyia Greensporn übriggeblieben, die als Heilerin arbeitete und bis zum sechzigsten Lebensjahr als Hexenamme gewirkt hatte. Offenbar lagen ihr Babys. Denn sie arbeitete bis heute in der Säuglingsstation des Honestus-Powell-Krankenhauses und hatte seit ihrer Aprobation stolze eintausend Babys ins Leben geholt und einhundert von denen eigenhändig großgezogen.

Daianira selbst wies eine beachtliche Karriere als Kräuterkunde-, Zauberkunst-, Zaubertrank- und Zaubertierexpertin auf. Sie hatte mit 12 UTZs, von denen 7 ohne Gleichen gewesen und fünf Erwartungen übertroffen ausfielen Thorntails abgeschlossen und war 1955 als eine der ersten fünf Lehrerinnen der Geschichte dorthin zurückgekehrt, wo sie Kräuterkunde, Zaubertiere und zeitweilig auch Zauberkunst unterrichtet hatte. Soweit sich das für Linda las war Daianira die Jahrgangskameradin von Nirvana Purplecloud, mit der sie dann auch als Lehrerin angefangen hatte. 1975 hatte sie das Lehramt aufgegeben, nicht aus Altersgründen, sondern weil sie sich für ihr Leben mehr vorgestellt hatte als lernunwillige oder überdrehte Kinder um sich zu haben. Linda hatte sie schon nicht mehr als Lehrerin angetroffen, als sie in Thorntails eingeschult wurde. Von da an machte Daianira durch Veröffentlichungen und Gastvorträgen auf sich Aufmerksam und schaffte es auch, als Prüfungsmitglied der ZAG- und UTZ-Gruppe immer wieder nach Thorntails zurückzukommen. Linda konnte sich zumindest erinnern, daß einer ihrer Klassenkameraden bei ihr seine ZAG-Prüfung in Abwehr dunkler Künste bestehen mußte. Er war nicht sonderlich zuversichtlich gewesen. Außerdem hatte sie sich wohl das Vertrauen diverser Hexen und Zauberer erworben, die heimlich oder offen ihren Rat in Anspruch nahmen. Alles in allem eine verdammt einflußreiche Person. Über ihr Privatleben konnte Linda jedoch nicht viel herausfinden. Keine Liebschaften, keine Partner, keine eigenen Nachkommen. Es sah so aus, als sei Daianira eine reine Karrierehexe geblieben. Das sie eine starke Autorität besaß wußte Linda zu gut.

"Bevor ich zu der hingehe versuche ich mit Eileithyia zu sprechen", dachte sie, nachdem sie alle ihr noch nicht bekannten Fakten notiert und verstaut hatte. Die kurz vor ihrem hundertsechzehnten Geburtstag stehende Heilerin galt als freundlich, warmherzig und kontaktfreudig. Von den fünf eigenen Babys hatte sie jedes gut in der Welt untergebracht, einen Sohn sogar in Australien. Der Geburtstag schien Linda ein wunderbarer Aufhänger für ein Interview mit der altgedienten Heilhexe zu sein. Hundertsechzehn Jahre, ein stolzes Alter. Lindas Urgroßeltern waren gerade zwischen 90 und 100 Jahre alt. Und die lebten nur noch von dem, was sie für das hohe Alter angespart hatten. So schrieb sie der Heilerin einen freundlichen Brief, in dem sie darum bat, sie in den nächsten Tagen zu interviewen.

Zu ihrer großen Freude erhielt sie einen Tag später eine von einem weiblichen Uhu überbrachte Antwort:

Sehr geehrte Ms. Knowles,

Vielen Dank für Ihre begeisterte und ansprechende Anfrage, mich im Rahmen meines anstehenden Geburtstages nach meinen bisherigen Lebenserfahrungen und Gedanken zur Zaubererwelt damals und heute befragen zu wollen. Ich bin sehr zuversichtlich, daß ich Ihnen und den Leserinnen und Lesern Ihrer Zeitung interessante Einzelheiten aus dem Alltag einer Heilerin schildern kann und auch einige Schwänke aus meinem Leben darbieten kann, die die heute lebende Generation junger Hexen und Zauberer mehr über die Geschichte unserer magischen Gemeinschaft vermitteln können als die drögen Unterrichtsstunden. Sie erwähnten in Ihrem Brief ja den Umstand, daß 1000 magische Menschen durch meine Mithilfe den Weg in die Welt gefunden haben. Ich bin mir sicher, daß von denen viele Ihre "Stimme des Westwinds" aboniert haben und wie ich die darin veröffentlichten Artikel und Verbrauchertipps studieren. Viele von diesen "Babys" mögen sich vielleicht nicht mehr daran erinnern, wer ihren Müttern bei den Strapatzen der Entbindung beistand und ihnen damit die wohlbehaltene Ankunft im Leben ermöglichte.

Da der Anlaß Ihrer Anfrage, mein einhundertsechzehnter Geburtstag, gemäß einer alten Familientradition nur im Kreise der Verwandtschaft gefeiert wird und dies trotz meiner immer noch vorhandenen Freude am Leben ein anstrengendes Ereignis sein dürfte, möchte ich Sie fragen, ob Sie mich am Tag davorbeehren möchten, falls es Ihre Zeit zuläßt. Es wird für mich nach sechzehn Jahren das erste Interview sein, seitdem ein Kollege von Ihnen mich anläßlich meines hundertsten Geburtstages befragte, jedoch nur wissen wollte, wie ich in diesem auch für Hexen gesegneten Alter noch so einsatzfreudig und ausdauernd meiner Heiltätigkeit nachgehen kann. Bitte teilen Sie mir eulenwendend mit, ob Sie am vierzehnten November genug Zeit und vor allem genug Ausdauer haben, mich durch meinen Alltag zu begleiten und dabei alles zu erfahren, was Sie und Ihre Leserinnen und Leser interessiert.

Mit freundlichen Grüßen

Eileithyia Gaia Blossom Greensporn

Natürlich sagte Linda Knowles eulenwendend zu. Sie sollte also die fast einhundertsechzehn Jahre alte Hexendame durch ihren Alltag begleiten? Bei dem Gedanken hörte sie schon quängelige Babys, Schmerzenslaute gebärender Frauen und andere Geräusche, die mit dem Beginn des Menschenlebens an sich zu tun hatten. Doch ihre magischen Ohren würden auch dort alle unangenehm lauten Geräusche angenehm leise klingen lassen, wenn sie mit der Heilerin sprechen wollte.

Einen Tag später erhielt sie die schriftliche Terminbestätigung aus dem Honestus-Powell-Krankenhaus, das getarnt und von einer sieben Meter hohen Hecke umfriedet im Zentralpark mitten in Manhattan stand. Um Acht uhr Morgens wurde sie schon erwartet. Linda fragte sich, ob Eileithyia förmlich darauf gewartet hatte, ein Interview zu geben oder speziell sie, Linda Knowles, die von ihren Nachbarn in VDS und deren Freunden und Verwandten Lino genannt wurde, so richtig fordern wollte, um zu sehen, wie gut sie für ein Exklusivinterview durchhielt. Vielleicht hatte sie auch das McDuffy-Interview gelesen, daß gestern gebracht worden war. Immerhin genoß sie in der Zaubererwelt den Ruf, zwar nervig und hartnäckig, aber fair und wahrheitstreu zu sein, ein Bild, das nicht jeder Reporter für sich geltend machen konnte. Die meisten begnügten sich mit Hartnäckigkeit, viele jagten nur die Sensationen. Und die wenigen, die keine Emotionen in ihren Artikeln aufwühlen wollten, waren auf ein bestimmtes Fachgebiet festgenagelte Langeweiler, die nur von entsprechendem Fachpublikum gelesen wurden.

Um sich von Eileithyia nicht als ungebildete Gans hinstellen lassen zu müssen las sich Linda noch etwas über einfache Heilverfahren und magische Geburtshilfe durch. Damit verging ein weiterer Arbeitstag.

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Sonnenglanz brauchte schon die dritte Spucktüte. Der Flug in dem kleinen, lauten Düsenflugzeug bekam ihr nicht so gut. Ian Wellingford steuerte die zweistrahlige Privatmaschine selbst, solange er nicht wie gerade eben den Autopiloten in Betrieb hatte. Feuerkrieger genoß den Flug über den Wolken. Jetzt waren sie schon sieben Stunden unterwegs in Richtung Westen.

"Das Wetter geht doch noch", sagte Feuerkrieger zu seiner Gefährtin, die gerade den dritten Versuch, ihr Essen bei sich zu behalten, mit der Spucktüte in den Müll warf. Wellingford grinste nur. Durch die Verwandlung fühlte er sich ausdauernder und konzentrierter als vorher. Seine Frau hatte den breiten Ledersitz zu einer Liege umgeklappt und schlief. Die drei Kinder saßen angeschnallt in ihren Sitzen.

"Empfindest du es nicht auch unangenehm, so schnell den Ort zu wechseln?" Röchelte Sonnenglanz. Feuerkrieger schüttelte den Kopf.

"Ich fühl zwar was, daß wir ziemlich schnell irgendwelche komischen Linien langsausen, aber mehr nicht. Eigentlich wollte ich ja zur Luftwaffe. Aber meine zwei Zahnfüllungen haben das vermasselt. Da wäre ich dann wohl auch länger als den Wehrdienst geblieben."

"Werdienst?" Fragte Ian Wellingford. Feuerkrieger mußte nun zugeben, daß er eigentlich aus Deutschland stammte, wo die gesunden jungen Männer ab achtzehn mehrere Monate zum Militärdienst eingezogen wurden, falls sie nicht glaubhaft begründen konnten, warum sie keine Waffen in die Hand nehmen wollten oder durften.

"Ich wollte auch zur Luftwaffe", sagte Ian. "Schon seit ich klein war liebe ich die Fliegerei. Bei mir war es mein alter Herr, der da was gegen hatte. Ein Pilot konnte schlecht die Firma übernehmen. Sogesehen habe ich heute auch was ich will, ohne daß ich irgendeinem Militärheini nach der Schnauze reden mußte. Vielleicht wäre ich dann auch beim Kuweitausflug draufgegangen. So habe ich jetzt wohl ein ganz neues Leben vor mir."

"Nur, daß dein und mein alter Herr das nicht wissen sollten, was wir jetzt sind", sagte Feuerkrieger.

"Mann, seid bitte leiser", quängelte Jaruni Wellingford. Zwar hatte sie wie die anderen auch dicke Wattepfropfen in den Ohren, um den Lärm am Flughafen und in der Maschine zu ertragen. Doch für das immer sensibler gewordene Gehör der Wertigerin war das wohl noch nicht ausreichend. Den rest der Reise verbrachten sie ohne laute Worte. Ian zeigte Feuerkrieger, wie man steuern mußte. Feuerkrieger brachte seinem Unterworfenen dafür das richtige Gedankensprechen bei, wie es ohne große Anstrengung zwischen Wertigern möglich war. Nach einer Zwischenlandung in der Türkei flogen sie weiter nach London.

Als sie über der Hauptinsel waren fühlten sie alle ein wildes Kribbeln auf der Haut, als wenn die Luft um sie herum elektrisch aufgeladen und wieder entladen würde. Das Kribbeln ging nach zehn Sekunden in ein sachtes Prickeln über, das blieb. Keiner der Insassen konnte sich das erklären.

"Was immer das ist, ist harmlos, wenn man nicht dran denkt", meinte Ian nach zwei Minuten. Er ließ sich von dem fremden Gefühl nicht weiter stören und landete die Maschine wie angemeldet auf dem Heathrow angeschlossenen Flugfeld für kleine Maschinen. Die Wellingfords unterhielten einen abgelegenen Hangar, wo die Maschine sicher untergestellt wurde. Feuerkrieger staunte, daß eine ausgewachsene Boeing 737 auch hier untergestellt war.

"Die Wellingford Nummer eins", sagte er. "Das fliegende Büro meines Vaters, wenn er geschäftlich in die Staaten oder nach Australien muß. Die kann länger in der Luft bleiben als unsere schnuckelige Ballerina. Für kürzere Ausflüge hat er die Lear da hinten", sagte er noch, bevor er per Funk meldete, daß die Maschine sicher geparkt war.

Mit den Einreiseformalitäten war es jetzt einfach. Feuerkrieger wurde als Ians Leibwächter ausgegeben, Sonnenglanz als indisches Kindermädchen. Sie hatte Jarunis und Ians Vorschlag beherzigt und ihr blondes Haar dunkel getönt, um nicht aufzufallen. Der Rolle gerecht kommandierte sie die Kinder aus der Maschine hinaus. Weil Wellingford hier sehr gut bekannt war, belästigte ihn kein Zoll und keine Polizei. Wer genug Geld hatte galt fast schon wie ein Diplomat. Das Etappenziel Nummer zwei war erreicht. Sonnenglanz und Feuerkrieger waren auf britischem Boden angekommen. Jetzt galt es nur, den Untäter zu stellen, der Nagabapus Stab geraubt hatte.

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Tihemar, der in der Sprache der Briten Angststürmer hieß, war ungeduldig. Der Meister hatte ihm und den neun anderen aufgetragen, erst einmal keine jetztzeitigen Artgenossen zu machen. Er wollte erst sehen, ob die in den anderen Ländern herumstreunenden Schlangenkrieger unbehelligt und unverwundbar waren. Immer wieder hörten sie nur das leise Wispern "Sei mir verbunden" in ihren Köpfen. Tihemar wollte wüten, wollte Skyllians Macht über diese schwächlichen Menschen bringen. Doch Skyllians Erbe, der Meister, hatte ihm befohlen, im Versteck zu bleiben, bis er über die Stimme des Stabes wieder zu ihm sprechen würde. Nur einmal hatte er ihn rufen hören können, daß die Brüder auf dem großen Festland nun langsam ihre Art verbreiten sollten, aber nur dort, wo keine Magie auf sie wirkte. Dann hatte der Meister Gaschkar befohlen, irgendwo hineinzugehen. Da nur der Meister die Stimmen der Anderen hören konnte hatte Tihemar nicht mitbekommen, ob Gaschkar, Blutzahn, den Auftrag wirklich ausführen konnte. Er hatte nur des Meisters verärgerte Antwort gehört: "Ich dachte, euch könnte keine Kraft was anhaben." Da konnte sich Tihemar denken, daß der Ausgesandte gegen ein unerwartetes Hindernis geprallt war. Vielleicht hatte sich nicht nur das Wissen Iaxathans, sondern auch das seiner verdammenswürdigen Feinde aus dem Licht in diese Zeit hinein bewahrt, und die mächtigen Wälle und Vertreibungskünste wurden noch gebraucht.

Die Nächte wurden kälter. Das machte Angststürmer immer schnell hungrig. Die Schlangennatur in ihm verabscheute die Kälte. Er mochte lieber die warmen Gefilde und nicht dieses von Wind und Regen heimgesuchte Land, wo er noch nicht einmal Jetztzeitbrüder und -schwestern machen durfte.

Einmal in der Woche, mitten in der Nacht, fuhr ein Mann mit einem Lieferwagen an, um Lebensmittel auszuladen. Er wußte zwar, daß er dadurch Verlust machte, konnte aber nichts dagegen tun. Ein unbändiger Zwang trieb ihn an, hier, in dieser menschenverlassenen Gegend, mehrere Tonnen Fleisch, Gemüse, Obst und Milchprodukte einfach so in die Landschaft zu stellen. Diesen Zwang hatte er zuerst verspürt, als diese dunkelhaarige Frau mit den leicht dunklen Augenbrauen in seinem Großmarkt aufgetaucht war und wie beiläufig einen Holzstab auf ihn gerichtet hatte. Seitdem mußte er immer wieder frische Ware hier abliefern. Wohin sie verschwand, erfuhr er zwar nicht, aber der in sein Bewußtsein eingepflanzte Zwang hielt ihn von großem Grübeln ab. Auch diese Nacht hatte er den grün-gelben Lieferwagen randvoll gepackt. Wieder war er an den ihm aufgetragenen Ort gefahren, wie die Stimme dieser Unbekannten ihn verheißen hatte. Ohne zu lamentieren wuchtete er Kisten und Schachteln aus dem Lieferwagen. Wer ihn sah mochte ihn für einen Zombie halten, wenn er nicht hingebungsvoll dreingeschaut hätte. Morgen würde es wohl wieder passieren, daß die dunkelhaarige Fremde ihn aufsuchen würde, um diesen ständigen Zwang erneut zu machen. Er durfte mit niemandem darüber sprechen, was er erlebte und was er tat. Sonst blieb alles beim alten. Dachte er.

Angststürmer war es leid. Tage schon hatte der Meister nichts mehr von sich hören lassen. Nur die Stimme des Stabes flüsterte ihm zu, daß er mit ihr verbunden sein möge. Der Hunger war jedoch in dieser Nacht zu groß. So lauerte er auf den knatternden Metallwagen, aus dem ein hagerer Mann die Esssachen herausnahm und hinstellte. Doch diesmal wollte Angststürmer ihn nicht mehr so einfach davonfahren lassen. Er wartete ab, bis der Mensch den letzten schweren Karton auf einem anderem gestapelt hatte und sich gerade hinter das runde Drehrad setzen wollte. Dann trat er hervor, groß, gewaltig, gefürchtet und absolut gefährlich. Der Lieferant fühlte, wie das Grauen den in ihm wirkenden Zwang berührte. Er wollte gerade die Tür zuziehen, als er die Augen des vor ihm stehenden Ungeheuers sah. Schlagartig erstarrte er, und alle Furcht, ja alles bewußte verschwand. Widerstandslos ließ er es sich gefallen, wie Angststürmer ihm den linken Ärmel hochkrämpelte und ihm blitzschnell die mit dem verfluchten Elixier Skyllians gefüllten Giftzähne in das Fleisch schlug. Angststürmer wartete eine geraume Zeit, bis in dem Überwältigten die verheißungsvollen Kräfte der Umwandlung wirkten. Der Meister hatte zwar gesagt, daß er keine Jetztzeitartgenossen machen durfte, aber dieser Mann brachte Essen. Davon mußte er mehr haben. Nicht nur einmal in sieben Tagen. Ein Vierteltag verflog. Dann hatte sich der Lieferant ebenfalls in ein mehr als zwei Meter großes, schuppiges Ungetüm verwandelt. "Bring uns mehr!" Zischte Angststürmer, als er merkte, daß sein Blick den neuen Artgenossen nicht mehr halten konnte. "Bring uns mehr Essen!" Der Lieferant erkannte, daß mit ihm was völlig fremdes vorgegangen war. Er fühlte sich jedoch nicht wie ein Opfer, sondern befreit. Er zischte und fauchte wie eine Riesenschlange, und Angststürmer verstand es als: "Was bist du und was bin ich?" Angststürmer erklärte es seinem neuen Artgenossen und trug ihm auch auf, in den Stätden erst einmal als Mensch herumzulaufen. Dann half er dem Umgewandelten noch, seine ursprüngliche Gestalt wiederzubekommen, indem er mehrere Schritte von ihm fortging. Der Lieferant fühlte sich bald wieder in seinem bisherigen Körper stecken und erkannte, daß er den zehn wartenden Kriegern mehr zu Essen bringen mußte.

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Bellatrix Lestrange empfand es als große Ehre, den dunklen Lord in dessen Abwesenheit vertreten zu dürfen. Er hatte ihr und nur ihr verraten, daß er für einige Wochen auf den Kontinent müsse, um mehr über eine Sache zu erfahren, die ihn und seine Macht unumstürzlich machen würden. "Falls der Potter-Bengel euch bis dahin in die Hände fällt, sperrt ihn zu dem Zauberstabzausel. Kann sein, daß ich nicht sofort zurückkommen kann. Und fütter meine neuen Lieblinge weiter!"

"Herr, wenn wir Potter haben, sollen wir dieses Granger-Schlammblut gleich töten, oder wollt ihr das auch erledigen?" Hatte Bellatrix ihn gefragt.

"Meinetwegen könnt ihr Greyback damit füttern. Ich fürchte, Nagini würde sich an der glatt den Magen verderben", hatte der Herr und Meister gehässig grinsend darauf geantwortet. Dann war er aus dem Haus der Malfoys verschwunden. Bellatrix überwachte die Arbeit des Ministeriums und setzte Dolores Umbridge sehr heftig zu. Daß der Meister sie hatte leben lassen, nachdem sie zugelassen hatte, daß vier verdächtige Schüler aus Hogwarts verschwinden konnten, verstand sie erst, als sie sah, wie rigoros die krötenartige Hexe mit der honigsüßen Stimme diese Schlammblüter aburteilte. Askaban würde wohl bald von diesem Unrat überquellen. Sie hatte es einmal gewagt, den dunklen Lord zu fragen, warum sie die erwiesenen Schlammblüter nicht gleich töteten.

"Aus irgendeinem Grund haben Sie Magie im Körper. Solange wir das nicht wissen, bleiben die am Leben. Wenn mir niemand mehr zu widerstehen wagt, können wir uns viel Zeit nehmen, um dieses Gesocks zu untersuchen, um herauszufinden, woher die ihre Zauberkraft haben. Dabei werden wohl genug sterben, um Askaban nicht überlaufen zu lassen. Bokanowski hat diesen Bengel Andrews ja auch untersuchen wollen, nicht wahr?"

"Der als Köder ausgeworfen wurde, Herr", wagte Bellatrix einen Einwand. Sie fürchtete schon, gleich den Cruciatus abzubekommen. Doch Voldemort beließ es bei einem verächtlichen Schnaufer. "Weil er so dumm war, den Rotzbengel nicht per Apparition zu sich bringen zu lassen, daß jemand ihn verfolgen konnte. Uns wird niemand hindern, alle Magie aus denen rauszuquetschen, wenn Dumbledores letzte Nachläufer Geschichte sind und Potter zu seiner stinkenden Schlammblut-Mutter gelegt worden ist."

Deshalb, um dieses Pack wegzusperren, lebte die Umbridge noch. Sie brauchte keinen Imperius-Fluch. Sie tat es mit Wonne, vor allem wenn Bellatrix immer wieder die Bemerkung fallen ließ, daß sie Thicknesse überzeugen könne, es besser zu machen. Aber sie hatte wichtigeres zu tun, als Schlammblüter einzusperren oder, wenn sie nicht so gefährlich waren, ohne Zauberstab herumlaufen zu lassen. Die Jagd nach dem Phönix-Orden lief immer noch. Zwar waren einige Mitkämpfer Dumbledores so leichtsinnig gewesen, den Namen des dunklen Lords laut auszusprechen. Doch mittlerweile hatte es sich bei denen herumgesprochen, daß das nicht mehr angebracht war. Immer wieder kam es zu vereinzelten Aufständen. Bellatrix genoß es, diese kläglichen Versuche niederzuschlagen. Richtig verärgert war sie über den Klitterer. Der verdatterte Lovegood hetzte weiter gegen die Todesser, pries Harry Potter als Auserwählten und streute immer wieder Meldungen aus, daß Todesser bei Überfällen getötet worden und somit nicht unverwundbar seien. Vor allem wollte sie diesen Potter-Bastard haben, der ihr in der Halle der Prophezeiungen die vom dunklen Lord gesuchte Prophezeiung vorenthalten hatte. Auch mit dem angeblich so vertrottelten Neville Longbottom hatte sie noch eine Rechnung offen. Longbottom! Sie dachte bei diesem Namen an die Eltern des Jungen. Und immer wieder mischte sich zu den Anfeuerungsrufen die Stimme dieser in Barty Crouch Juniors Körper wiederverkörperten Hexe, deren Namen sie mit ebensolchem Grauen erfüllte, wie der Name des dunklen Lords in den Herzen aller anderen. Sie hatte sich lange nicht mehr bei ihr gemeldet. Offenbar hatte sie nun genug mit ihren Monstern zu tun, die sie freigelassen hatte, nachdem sie, Bellatrix, ihr Sardonias Erbe aus Millemerveilles geholt hatte. Diese Niederlage würde sie Anthelia nicht vergessen. Dieses Weib benutzte andere wie Angelköder. Nicht, daß der dunkle Lord das nicht auch tat. Aber Sie, Bellatrix, haßte es, ein Köder oder ein Werkzeug zu sein.

Heute war wieder der Besuch bei diesem Muggel Chapman fällig, der den unheimlichen Schlangenbestien ihr Essen brachte. Sie suchte ihn immer Samstags kurz vor Feierabend heim, um ihm per Imperius-Fluch die Anweisung zu erteilen, einen vollen Motorwagen Lebensmittel in die Wildnis zu karren. Dazu zog sie sich ordinäre Muggelsachen an, um nicht aufzufallen. Sie ekelte sich jedesmal davor, in diese stinkende Stadt zu gehen und mußte sich immer wieder beherrschen, nicht den Zauberstab zu ziehen, um vorwitzigen Bengeln oder Gören eine unvergeßliche Lektion zu erteilen. Jetzt hatte sie die weitläufigen Markthallen erreicht und suchte den Inhaber, der wohl schon die Abrechnungen machte, während er aus einem Plastikradio die Stimme eines aufgeregten Mannes hörte, der ihm erzählte, wie spannend das war, was er verfolgte, ein Fußballspiel. Außer Cricket gab es in diesem Land nichts langweiligeres als Fußball. Doch diesmal traf sie Chapman nicht in der Nische, wo er seine Tagesabrechnungen machte, sondern sah, wie er große Kartons wuchtete, als wenn nichts darin wäre. Hatte der etwa die Fahrt letzte Nacht vergessen? Das konnte nicht sein. Sie näherte sich vorsichtig von hinten. Dann drehte er sich um.

"Ach, Sie sind das", sagte er lässig. "Habe alles ausgeliefert", fuhr er fort. Bellatrix fühlte, daß irgendwas nicht stimmte. Die Leichtfüßigkeit, die Geschmeidigkeit und Stärke, mit der der Lebensmittelhändler volle Kisten umsetzte und die Lockerheit, mit der er sie ansprach ...

Legilimens", wisperte Bellatrix und suchte die Augen des Mannes. Da war es ihr, als stieße etwas großes, wütendes laut zischend auf sie zu und warf sie zurück. Bellatrix Lestrange taumelte. Eiskaltes Entsetzen machte sich in ihr breit.

"Du hast keine Macht mehr über mich, Menschenweib", knurrte Chapman und kam bedrohlich auf sie zu. Bellatrix versuchte den Imperius-Fluch. Doch dieser prellte ihr fast den zauberstab aus der Hand. Dann stand Chapman vor ihr. "Du bist nicht mehr meine Herrin. Nur der wahre Meister darf mir noch was befehlen", schnarrte er. Er schien sich auf irgendwas zu konzentrieren. Bellatrix erkannte jedoch, was ihr blühte, wenn sie nicht schnell machte, daß sie fortkam. Chapman streifte mit einer Hand seinen Arbeitskittel und die Unterwäsche vom Körper, auf dem sich bereits rote und schwarze Schuppen bildeten. Bellatrix wollte gar nicht erst abwarten, bis sich Chapman ganz in einen Schlangenkrieger verwandelt hatte. Sie disapparierte von da wo sie gestanden hatte. Chapman vollendete die Transformation seines Körpers. Wo war dieses Teufelsweib hin, diese schwächliche Menschenfrau, die mit ein bißchen Magie gegen ihn kämpfen wollte? Er sog Luft in seine geschlitzte Nase ... und nahm den scharfen Geruch war, den er aus dem Großkatzenhaus im Zoo kannte. Dann, blitzartig, schoß etwas selbst für ihn riesenhaftes, gestreiftes über ein drei Meter hohes Regal hinweg und krachte auf ihn. Kraftvolle Kiefer versuchten, ihm mörderische Reißzähne in den Schuppenpanzer zu graben. Tödliche Tatzen krallten sich um seinen Hals und Oberkörper. Chapman ging sofort zum Gegenangriff über. Er versuchte das Ungetüm von sich fortzuschleudern, dessen Klauen und Zähne an der festen Schuppenhaut abrutschten. Seine übermenschliche Kraft und Gewandtheit stand der des Monsters mit dem gestreiften Fell in Nichts nach. Er versuchte, es zu packen und dessen Kopf an einer Regalwand zu zerschmettern. Das Regal stürzte mit lautem Getöse zu Boden und begrub Angreifer und Angegriffenen unter sich. Die geschmeidigkeit einer Schlange genügte Chapman, unter dem niedergestürzten Regal hervorzukriechen. Doch das Katzenmonster, wohl ein übergroßer Tiger, brauchte nur einen Ansatz, um sich unter dem Regal herauszurollen. Der Kampf ging weiter. Weitere Regale stürzten um. Paletten mit Konservendosen, Milchtüten und anderen Sachen regneten auf die beiden Ungeheuer herab. Chapman biß den Angreifer. Doch das Verwandlungsgift schoß sofort als grünlich-grauer Dampfstrahl aus der Wunde heraus. Die Tigerbestie wurde davon noch wütender, schnappte nach den biegsamen Arm des Schlangenmannes und zerrte daran. Doch die sonst so mörderischen Zähne ritzten dem Echsenungetüm nicht einmal die Schuppenhaut. Mittlerweile war dort, wo vorher noch eine peinliche und hygienische Ordnung herrschte, das heillose Chaos im Gang. Der Schlangenmensch wand sich, schlug und trat um sich. Immer wieder versuchte er, den Angreifer zu vergiften. Doch das verfluchte Gift wurde sofort aus dem Körper des Tigermonsters ausgetrieben. Doch langsam merkte Chapman, daß sein Gegner müde wurde. Er, der Skyllianri, bekam aus der Erde immer wieder neue Kraft, um alles auszuhalten. Der übergroße Tiger hingegen wurde immer langsamer und schwächer. Dennoch blieb die gestreifte Bestie beharrlich an der schuppigen und lieferte sich mit ihr einen Kampf, den kein lebender Mensch zuvor gesehen hatte. Mittlerweile war das Lager ein einziger Trümmerhaufen, der in Milch, Marmelade, Fruchtsaft, Quark, ausgelaufener Fertigsuppe oder Senf schwamm. Chapman rollte sich erneut unter einem Tatzenhieb fort. Der Monstertiger erwischte das unter Putz liegende Stromkabel und riß es heraus. Dabei löste es die Isolierung. Mit einem lauten Aufschrei, als würde man einer drei Meter großen Katze voll auf den Schwanz treten, verkrampfte sich der Riesentiger. Sein Fell stand unvermittelt von ihm ab, und es roch nach verbranntem Fleisch und Ozon. Knisternd prasselten die Funken aus dem kurzgeschlossenen Stromkabel. Dann flogen die überlasteten Sicherungen heraus. Der Monstertiger keuchte erschöpft. Chapman kam auf die Beine, wollte losrennen, um ein Beil zu holen, um der Bestie den Rest zu geben, als diese schon wieder hinter ihm her war. Er rutschte trotz aller Geschicklichkeit aus und schlug mit dem Kopf gegen ein umgekipptes Metallregal. Das machte ihm jedoch nichts. Doch der Tiger, der ihm plötzlich auf dem Rücken hockte, war ein Problem. Offenbar hatte der Stromschlag der gestreiften Horrorkreatur neue Kraft oder die Wut zum endgültigen Kampf eingeflößt. Doch der Schlangenmann war taufrisch und gewandt. Keine Macht der Welt konnte ihm etwas antun. Dann stießen sie gegen ein Regal mit hochprozentigen Getränken. Einhundert Whiskeyflaschen zerbarsten mit ohrenbetäubendem Klirren. Das schottische und irische Lebenswasser vermischte sich zu einer Flut aus Alkohol. Mehrere Dutzend Rumflaschen ergossen ihren Inhalt über die beiden Kämpfer. Doch diese hatten nur ein Ziel: Tod dem Feind!

Der Schlangenkrieger griff nach etwas, das wie ein Beil aussah und hieb damit gegen den Gegner. Doch die Klinge prallte klirrend ab. Der Monstertiger wich einem neuen Schlag aus, der krachend an der Wand landete. Ein Funkenregen prasselte auf die beiden herab und entzündete den über sie ergossenen Alkohol. Mit einem Schlag standen sie beide lichterloh in Flammen. Während Chapman die unvermittelte Hitze als Labsal ansah, schrie der Tiger nun vor unbändigen Schmerzen. Wie eine tigerförmige Fackel lodernd versuchte die Bestie, aus dem schlagartig hereinbrechenden Inferno zu entkommen. Doch der vergossene Schnaps und Rum waren eine zu leichte Nahrung für das Feuer. Innerhalb von Sekunden züngelten einen Meter hohe Flammen auf wie ein orangeroter Teppich, griffen nach Holz und Stoff, leckten an ausgelaufenem Fett, verzischten in Saftpfützen. Bläuliche Flammen tanzten über den langsam zerfließenden Alkohollaachen. Das Lager war nun ein Spiel des Feuers. Chapman hörte die Todesschreie des Tigermonsters, dessen Fell bereits in qualmenden Fetzen herunterhing. Er selbst achtete nicht darauf, daß ihn auch ein Mantel aus Feuer umkleidete. Die Flammen wurden bereits kleiner. Er stapfte in seiner Echsengestalt durch das brennende Chaos, das bis vor zehn Minuten ein anständiges Lebensmittellager gewesen war. Langsam erreichte das ausgelaufene Fett ebenfalls Zündtemperatur und flammte mit lautem Wuff auf. Selbst daß ihm die Luft heiß wurde und jedem gewöhnlichen Menschen die Lungenflügel verbrannt hätte, ignorierte er. Das Gift im Rauch konnte ihm ebensowenig schaden. So schritt er gelassen weiter, wie ein Feuerdämon. Erst als er die lodernde Lagerhalle hinter sich gelassen hatte, warf er sich auf den Boden und rollte sich mehrmals herum, um die letzten Flammen auf seinem Schuppenpanzer zu ersticken. Wenn er noch Auto fahren wollte durfte er nicht brennen. Doch seine Sachen verbrannten gerade mit dem Monstertier. Das war ein hartnäckiger Gegner gewesen. Aber es hätte nicht mehr lange gedauert, und er hätte ihn überwältigt. Womöglich war es ein Dämon, wie er selbst jetzt einer War. Und Feuer war das einzige, was diesem Höllenvieh etwas anhaben konnte, nachdem wuchtige Beilhiebe, Tonnenschwere Regale und über 200 Volt Wechselstrom ihm nichts nennenswertes hatten anhaben können. von ferne hörte er schon das Sirenengeheul der anrückenden Feuerwehr. Er bog in die Richtung des Gangs ab, in dem der endgültige Ausgang lag, als ihm eine bewaffnete Sondereinheit der Polizei den Weg vertrat. Da er immer noch ein Echsenwesen war, eröffnete ein nervöser Polizist sofort das Feuer auf ihn. Doch Chapman ließ die Kugeln wie Regentropfen von sich abgleiten und marschierte weiter. Sein befehl lautete, keinen Menschen zu beißen, bis der Meister ihm andere Befehle erteilen würde. Doch sein Befehl lautete auch, den Brüdern Lebensmittel zu bringen. Und die gingen gerade in Flammen auf. Dieser Tiger hatte ihm den Tag vermiest. Denn sein gesamter Warenbestand war vernichtet oder unbrauchbar geworden. Hinzu kam noch, daß der Eigentümer des Lagerhauses sehr nervige Fragen stellen würde.

Weitere Salven trafen ihn und prallten ab. Einige der Polizisten wurden selbst getroffen. Doch ihre kugelsicheren Westen bewahrten sie vor Verletzungen. Sie würdenjedoch ihren Vorgesetzten funken, was sie hier sahen. Das durfte er nicht zulassen. Sie zu beißen würde sie nicht davon abhalten, bevor die vier bis sechs Stunden um waren. Also machte er kehrt und riß zwei vom Boden hoch. Mit brutaler Entschlossenheit schlug er sie so heftig gegeneinander, daß mehrere Dutzend Knochen brachen. Die grausame Prozedur wiederholte er so oft, bis kein Polizist mehr stand. Dann huschte er so lautlos er konnte davon.

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Feuerkrieger und Sonnenglanz hatten gleich nach der Landung arglose Passanten zu Wesen ihrer Art gemacht. So entstanden in der Freitagnacht fünfzehn weitere Wertiger. Ihnen allen hatten die beiden aus Indien angereisten Wergestaltigen eingeschärft, nach aufrechtgehenden Schlangen zu suchen. Mit Wellingfords Auto kamen sie gut herum und suchten die von Ian als wichtig bezeichneten Städte auf. Als am Samstag einer der neuen Wertiger in Newcastle an Feuerkrieger ausstrahlte, daß er einen Menschen mit der Ausstrahlung einer großen Schlange gefunden hatte, befahl ihm Feuerkrieger, den Feind nur festzunehmen. Als sie dann aber eine Stunde später in der Nähe des Lebensmittellagers ankamen konnten sie nur noch die roten Feuerwehrautos sehen, die mit Wasser und Schaum gegen ein total in Flammen stehendes Gebäude vorrückten.

"Komm, wir machen, daß wir hier wegkommen. Hier kriegen wir nichts mehr mit", sagte Feuerkrieger zu seiner Gefährtin. Sie beide liefen im Moment wieder als junges Menschenpaar herum.

"Er sollte ihn nur festhalten", knurrte Sonnenglanz. Dann schnüffelte sie. Der Gestank nach Feuer und Qualm machte ihr etwas Angst. Doch da war etwas, daß die Angst verdrängte. Sie witterte eine Fährte. Irgendwer oder irgendwas war mit Feuer an den Füßen hier entlang gegangen. Sie roch auch Blut und Menschenfleisch. Dann fanden sie die zerschmetterten Polizisten. Feuerkrieger gebot seiner Gefährtin, sich zurückzuziehen. Hier konnten sie doch nichts mehr ausrichten. Doch Sonnenglanz wollte die Spur verfolgen. Wenige hundert schritte entfernt lag ein Parkplatz. Hier endete die Spur. Dafür schnüffelte Feuerkrieger verbranntes Gummi. Jemand war mit einem Auto sehr plötzlich davongerast. Einzelne Scherben lagen herum. Offenbar hatte der, der die Spur gemacht hatte, mit Brachialgewalt ein Auto aufgebrochen und es kurzgeschlossen. Er erklärte seiner Gefährtin, was damit gemeint war. Während die Feuerwehr und die Polizei sich um das abbrennende Lagerhaus kümmerten, hatte jemand ein Auto gestohlen.

"Das war er, Feuerkrieger. Das sind seine Spuren. Nur die können durch Feuer gehen."

"Dann hat er uns abgehängt. Aber wir kriegen die schon, wenn wir raushaben, wo dieser Hexenmeister wohnt, vor dem Mondlicht so viel Angst hat."

"Mondlicht erwähnte einen besonderen Weg wo die Magier alle einkaufen. Der muß aber in London sein", schickte Sonnenglanz ihrem Gefährten zu. Dann suchten sie ihr eigenes Auto. Die Suche nach den Kriegern Nagabapus mußte anders angepackt werden. Sie durften nicht einzeln gegen ein solches Wesen angehen. Denn der Umstand, daß der einzelne Schlangenkrieger den Kampf mit einem Wertiger überlebt hatte verriet, wie stark und unverwüstlich diese Ungeheuer waren. Sie mußten also mehr werden, weil sie nicht wußten, wie viele Krieger es allein hier gab. Doch dabei durften sie nicht auffallen. Gleichzeitig galt es auch, den Magier zu fangen, der den Stab Nagabapus geraubt hatte. Magie konnte ihnen zwar nichts anhaben, wenn sie in der Wergestalt waren und noch dazu zu mehr als zwei herumliefen. Doch dieser Bursche wußte um die Schwäche der Wertiger: Das Feuer.

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"Das konntest du nicht auf dir sitzen lassen, höchste Schwester", seufzte Patricia Straton. Sie saß am anderen Ende des Marmortisches, auf dem Anthelia in ihrem jetzigen Körper zum zweiten Leben erwacht war. Zwei Jahre, vier Monate und drei Tage war das jetzt her. Das Sonnen- und das Seelenmedaillon verspürten einander. Das Seelenmedaillon wurde sacht an Anthelias Brustkorb gedrückt. Das Sonnenmedaillon glomm selbst durch Patricias Muggelweltbluse in einem warmen Goldton. Außer den beiden war noch Donata Archstone im Kellerraum.

"Sie weiß, daß ich nicht so leicht zu töten bin. Sie will mich wohl eher demütigen und mit neumodischen Flüchen beeindrucken", sagte Anthelia gelassen. "Abgesehen davon ist dies die einzige Gelegenheit, sie endgültig zu entmachten. Ich hätte sie gerne schon erledigt, wo sie Tyche entführt hatte. Dann hätte ich schnell herausgefunden, wo Tyche gefangengehalten wird. Aber solange ich nicht weiß, ob sie nicht doch einen Verbindungsfluch zwischen dem Verratsunterdrückungsfluch und dem Schutzbann ihres Lebens heften kann, wäre es ein zu hoher Preis gewesen, euch alle dafür dem Tode zu überantworten."

"Sowas heißt im Pokerspiel Bluff", sagte Donata Archstone verbittert. "Wenn deine Karten weniger wert sind als die deines Gegners, er das aber nicht weiß, kannst du ihn damit austricksen, daß du so tust, als hättest du ein besseres Blatt auf der Hand."

"So, du meinst also, sie könnte keinen solchen Fluchverbinder kennen oder gar selbst erfunden haben?" Fragte Patricia. "Ich weiß von meiner Mutter, daß Daianira sehr begabt im Erfinden von Zaubern und Zaubertränken ist. Das Ministerium kennt bestimmt nicht alles, was sie herausgefunden oder selbst erfunden hat."

"Genau dies muß ich bedenken. Sie weiß, daß sie meine Todfeindin ist. Entweder hat sie wahrlich geblufft - ich weiß übrigends wie dieses Pokerspiel geht, Schwester Donata -, oder sie hat wahrhaftig in der kurzen Zeit ohne Ansehen der Magie etwas bewirkt, daß meinen eigenen Treueschutz gegen euch wendet, wenn sie von mir getötet wird. So bleibt mir nur die entscheidende Kraftprobe. Wenn sie dabei Zeugen haben möchte, dann sei es so. Ich kann erst dann wirklich frei mit euch zusammen diese Welt zu einer besseren Welt umformen, wenn niemand es mehr wagt, an meiner Entschlossenheit und Stärke zu zweifeln. Sie will die Entomanthropen vernichten, die ich ausschließlich und ausdrücklich als Waffe gegen nichtmenschliche oder teilmenschliche Zauberwesen züchte. Vor allem die Krieger der Vorzeit sind eine zu ernste Gefahr, als ihnen aus purer Ehrfurcht vor dem Leben nichts außer guten Hoffnungen entgegenzusetzen, wenn es auch anders geht. So werde ich dieses Weib im Duell besiegen, um den Kampf gegen diese Brut aus grauer Vorzeit siegreich beenden zu können. Schwester Patricia weiß genau, wie lästig diese Daianira einem fallen kann." Patricia nickte. Dann sagte sie

"Und vor allem wie gefährlich sie ist. Sie haßt Sardonia, obwohl sie in den Reihen der Entschlossenen Schwestern ist. Ihre Oma Eileithyia hat sich damals zwar gefreut, sie in die Sororitas einzuführen, aber war bitter enttäuscht, weil Daianira sich von Morgaine Flowers hat beschwatzen lassen, weiß ich von meiner Mutter, die es wiederum von meiner Großtante Meridith hat. Die und die alte Heilerin Eileithyia trafen sich früher öfter bei Lady Bobbie zum Kartenspiel."

"Vielleicht ist das nicht so ganz unwichtig für mich, Schwester Patricia. Weißt du vielleicht, wie jenes Entmachtungsduell zwischen Morgaine und Daianira ablief?"

"Huh, ging auf jeden Fall gut ab, mit Astralzaubern, Elementarflüchen und den ganzen Körperbeeinflussungssachen. Irgendwann soll Daianira mit einer schnellen Zauberstabbewegung den Incapsovulus-Fluch auf Morgaine gelenkt haben, als diese gerade den tödlichen Sonnenatem bringen wollte, den wohl zerstörerischsten Astralzauber überhaupt. Morgaines Fluch ist in der Kapsel hängengeblieben, hat diese nur gelb aufglühen lassen. Doch sie konnte sich freisprengen und wollte Daianira den Todesfluch versetzen. Wenn ich das richtig von meiner Mutter habe hat sie da schon "Avada Ke..." gesagt, als Daianira ihr den Zauberstab mit Expelliarmus aus der Hand geschossen hat. Weil der darin schon angestaute Fluch nicht ordentlich losgegangen ist, ist der Stab im Flug zu Staub zerfallen. Damit war Morgaine erledigt. Gemäß den Regeln mußte Daianira sie dann töten, um nicht selbst als Verliererin des Kampfes bezeichnet zu werden."

"Ja, meine Mutter war dabei. Sie hat das gesehen, daß Daianira durch eine bloße Zauberstabgeste den Einkapselzauber brachte, der normalerweise fünf Sekunden aufbauzeit braucht", ergänzte Donata. Anthelia hörte aufmerksam hin. Dann sagte sie ruhig:

"Vielleicht hat sie was ähnliches angestellt wie das, was der Ruster-Simonowsky Julius Andrews gegen Hallitti benutzte. Aber gegen den Einkapselungszauber kann ich einen Zauber, der nicht so auszehrt wie die Selbstschwächung, die bislang als probates Mittel gesehen wird. Wenn sie ihn also wahrhaftig zu einem instantanen Zauber weiterentwickelt hat, wird sie mich damit nicht fällen."

"Und wenn sie dir einen schwarzen Spiegel entgegenhält?" Fragte Donata. Anthelia lachte. "Dann würde sie zeigen, daß ihr die Geschichte der erhabenen Schwesternschaft nicht sonderlich geläufig ist. Außerdem will ich ihr mit genug starken Flüchen begegnen, die sie nur durch direkte Schilde oder Gegenflüche kontern kann. Ich habe mehr als einhundert Jahre in teilweise lebensbedrohlichen Duellen überstanden. Ich habe von meiner Tante genug erlernt, um mich zu behaupten. Das letzte Duell, daß ich mit ihr führte, bewies mir, daß sie bei schweren Zaubern nicht so ausdauernd ist. Nur dein neues Spielzeug, Schwester Patricia, bewahrte sie vor der Niederlage und stahl mir einige Stunden Lebenszeit. Aber das Spielzeug hat sie nicht mehr."

"Ihr sollt mit eigener Magie gegeneinander antreten", erinnerte sich Patricia. "Das heißt, du darfst den Mantel nicht tragen. Wie sieht es mit dem Medaillon und dem Gürtel aus?"

"Der Gürtel ist mit mir verbunden und bleibt es. Ebenso das Medaillon. Allerdings werde ich zum Kampf Unterkleidung tragen, die beides verbirgt. Schwester Patricia, du kommst an derlei leicht heran. Besorge mir bitte solche Unterkleidung!"

"Wie du möchtest, höchste Schwester", bestätigte Patricia Straton.

"Du bist dir sehr sicher, dieses Duell zu gewinnen, höchste Schwester", wandte sich Donata an die Führerin der schwarzen Spinne. "Doch nur zur Absicherung: Was sollen wir tun, falls du unerwartet unterliegst und Lady Daianira dich tötet?"

"Ich verfasse ein Testament, das hier in diesem Raum erscheinen wird, sollte ich mehr als einen Monat nicht mehr in diesen Raum eintreten. Du Schwester Donata, wirst Daianira wohl neue Gefolgschaft schwören müssen. Du, Schwester Patricia, wirst von Schwester Donata mentiloquistisch benachrichtigt, falls ich wider alle Erwartungen verlieren sollte. Du kümmerst dich dann weiter und ausschließlich um Cecil Wellington. Laß ihn sein Leben leben, aber hindere ihn daran, uns zu verraten! Vielleicht heiratest du ihn, um ihn unter Aufsicht zu haben. Jedenfalls bleibst du für den Rest der Zaubererwelt tot. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen."

"Verstanden, höchste Schwester", erwiderte Patricia erleichtert. Dann sagte Anthelia noch: "Ich werde die nächsten Tage in Frankreich zubringen und dort die dort wartenden Entomanthropen auf die Schlangenkrieger des Waisenknaben abrichten, damit sie auch ohne meine weitere Anweisung wider sie antreten und auslöschen, wo sie sie treffen, egal wer es vorher war. Ich habe genug von deren Blut um ihre feinen Sinne darauf abzustimmen."

"Du sagtest, ich müsse Lady Daianira dann neue Gefolgschaft schwören", setzte Donata Archstone an. "Verstehe ich es richtig, daß ich dich zu ihr bringen soll?"

"So ist es, Schwester Donata. Du bist in der Zaubererwelt zu wichtig, als noch länger im Untergrund zu bleiben", erwiderte Anthelia. Patricia sah sie zwar kurz an, atmete jedoch tief ein und aus. Immerhin mußte sie nicht von den Toten auferstehen und sich Daianiras Gnade ausliefern.

"Sie wollte mich schon einmal töten, höchste Schwester. Wer garantiert mir, daß sie es nicht erneut versucht?"

"Ich garantiere dir das, indem ich sie ein- für allemal davon abbringe, dir oder mir nachzustellen, Schwester Donata", erwiderte Anthelia entschlossen. Donata hoffte, daß diese Garantie auch wirklich hielt.

"So werde ich mich jetzt empfehlen, um sicherzustellen, daß Daianiras Einmischung unseren Widerstand gegen den Waisenknaben nicht schwächen konnte. Ich werde am vierzehnten wieder in diesem Land sein. Schwester Patricia. Du legst mir die erwünschte Unterkleidung hier hin. Ich möchte dich erst nach dem Entscheidungskampf gegen Daianira wiedersehen. Du, Schwester Donata, erwartest mich hier am Fünfzehnten November, den Geburtstag meiner ehrwürdigen Mutter um die elfte Stunde und bringst mich in eure Versammlungshöhle! Das sollen bis dahin die letzten Anweisungen für euch beide sein. Die restlichen von uns erfahren eh, daß sie zu einer Vollversammlung zitiert werden müssen. Gehabt euch bis dahin wohl!" Die beiden für tot erklärten Mitschwestern erwiderten den Abschiedsgruß. Dann disapparierte Anthelia mit einer Tragetasche, in der außer dem Mantel der Panzerung auch noch Sardonias Entomolith lag, jener große Bernstein, in dem ein Urweltinsekt eingeschlossen war, über das sie die erschaffenen Halbinsekten beherrschte.

"Willst du mir nicht verraten, wo ich dich finden kann, Schwester Patricia?" Fragte Donata Archstone.

"Besser nicht, Schwester Donata. Auch wenn mich ein Fidelius-Zauber schützt möchte ich den Kreis derjenigen die davon wissen möglichst klein halten. tut mir leid, daß du dich Daianira ausliefern mußt."

"Anthelia kann dich nicht als Mitbringerin nehmen, weil du das Sonnenmedaillon trägst und es wohl nicht mehr so schnell ablegst", sagte Donata.

"Das wäre auch das dümmste was ich machen könnte, es Daianira unter die Nase zu halten und mein Wiedererscheinen erklären zu müssen. Ich hoffe wirklich, die höchste Schwester gewinnt." Sie verabschiedete sich von Donata und disapparierte ebenfalls.

"Was mit dido wird hat Anthelia nicht erwähnt. Sollte sie sterben, muß ich wohl für die kleine sorgen", dachte Donata, bevor auch sie den Weinkeller verließ.

Patricia Straton apparierte in ihrem verriegelten Zimmer. Ihre Heimstattgeberin Virginia Hencock, die auch nur wegen Anthelia existierte, war ausgegangen. Das Haus war von Patricia gegen Einbrüche abgesichert worden. Auf ihrem schmalen Gästebett sitzend dachte sie daran, wie hochmütig Anthelia gesprochen hatte. Sicher, sie hätte ihr schildern können, wie das Duell Schlag um Gegenschlag abgelaufen war, da es zum konservierten Erinnerungsschatz ihrer Mutter gehörte und sie alle diese Erinnerungen jederzeit abrufbar in ihr Gedächtnis übernommen hatte. Sogesehen waren beide Duellgegner ziemlich von ihrer Zaubereibefähigung und Macht überzeugt. Eine von den beiden würde am nächsten Freitag morgen wissen, daß sie zu hoch gepokert hatte. Die Andere würde frohlocken und noch überheblicher werden. Wer war da für sie das kleinere Übel? Irgendwie hoffte Patricia darauf, daß sich beide in ihrem Hochmut aus der Welt schleuderten. Womöglich würde dann Donata beide Schwesternschaften übernehmen. Schade, daß ihre Mutter nicht mehr lebte. Wie gerne hätte sie sich mit ihr darüber unterhalten, ob es nicht besser gewesen wäre, Tante Meridiths Weg mitzugehen. Immerhin hatte sie dafür gesorgt, daß ihre Verwandten in Sicherheit waren. Sie selbst hatte wohl im Falle einer Niederlage Anthelias nur die Wahl zwischen Muggelwelt oder Auswandern. Denn in Virginias Praxis wollte sie ganz bestimmt nicht alt werden.

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Wie Linda es erwartet hatte empfing sie das vielstimmige Krakehlen von Neugeborenen, und das Hächeln, Stöhnen und Schreien niederkommender Frauen. Mit der schriftlichen Terminabsprache in der Hand gelangte sie bis vor das Büro der Stationschefin. Linda blendete die Schmerzenslaute aus, die nicht nur aus der Babystation an ihre magischen Ohren drangen. Eine junge Heilerin namens Eva Gladfoot begrüßte sie.

"Hi, Ms. Knowles. Heilerin Greensporn erwartet sie schon. Da sie mit Ihnen vereinbart hat, sie ein wenig herumzuführen trug sie mir Auf, Sie mit einem Keimfreiumhang und gereinigten Schuhen zu ihr vorzulassen. Darüber hinaus möchte Sie, daß Sie diese verbindliche Erklärung hier unterschreiben, damit die Privatrechte der Patientinnen, die Sie zu sehen bekommen werden gewahrt bleiben."

Linda nickte. Sie kannte das schon. Sie hatte schon mehrere Heiler hier und anderswo interviewt, die ihr die schriftliche Garantie abverlangt hatten, Namen von Patienten nicht ohne deren schriftliche Zustimmung öffentlich zu erwähnen. Hier galt noch der Zusatz, daß außer den Patienten auch die Elternteile minderjähriger Krankenhausinsassen diese schriftliche Erlaubnis erteilen mußten, sofern es keine Personen des öffentlichen Interesses waren, die jedoch dann Beschränkungen der Informationsverwertung verlangen konnten. Nach gründlichem Lesen, ob sie hier auch wirklich keine Lücke für spätere Verwertung fand, unterschrieb sie das Pergament. Danach mußte sie ihre Schue mit Ratzeputzzaubern und Keimfreilösung behandeln lassen, bevor sie einen weißen Umhang anzog, der für die nächsten zwölf Stunden keine unerwünschten Mikroorganismen an sich wachsen ließ. Durch einen nur von Eva Gladfoot zu öffnenden Hinterausgang im Büro ging es in die Personalkorridore der Station.

Eileithyia Greensporn war eine kleine, silberhaarige Hexe mit einer goldenen Brille auf der Stupsnase. Sie lächelte Linda so freundlich an wie eine Großmutter ihre Enkeltochter und begrüßte sie mit einer leichten Umarmung. Dann erklärte sie ihr, daß sie wohl gleich bei einer Geburt zuschauen würden, die eine Lernheilerin im dritten Ausbildungsjahr betreuen würde. Linda hatte sowas schon befürchtet. Doch sie nickte zustimmend und lächelte zurück.

Die nächsten sechs Stunden war sie viel auf den Beinen. Erst kam der kleine James Lexington an, dessen Onkel väterlicherseits sie in Thorntails getroffen hatte. Dieser war vier Klassen über ihr gewesen. Für ihre sonstige Begeisterung hielt sie sich mit Befragungen der werdenden Mutter zurück, weil sie diese nicht in der erhabenen Verrichtung stören wollte. Anschließend ging es dann noch zu sieben werdenden Müttern und acht plärrenden Babys und einem vom Krankenhaus angebotenen Stillkurs. Dort machte sie um der Gruppenharmonie willen die Übungen mit einer lebensechten Menschenpuppe mit, die mit weichem Zeug gefüllt war, das das Babymodell so schwer wie ein echtes Neugeborenes machte. Als sie dann mit Eileithyia im Büro saß, und Eva die Notizen der Heilerin in anständige Unterlagen übersetzte, sprachen die beiden Interviewpartnerinnen über den Alltag, wie erhaben das für Linda war, einem Jungen bei der Ankunft auf der Welt zusehen zu dürfen und daß sie wohl so schnell keine eigenen Kinder bekommen würde.

"Ach, das kann sehr schnell passieren", erwiderte Eileithyia. Sie haben doch vor kurzem eine junge Hexe befragt, die das auch weit von sich gewiesen hat, jetzt schon für ein Kind vorplanen zu müssen. Natürlich ist das um so schöner und erhabener, wenn dieses Kind gewollt wird und der nötige Körpereinsatz dafür aus freien Stücken und in ehrlicher Hingabe erfolgt. Ich für meinen Teil bin gerne mit kleinen Kindern zusammen und freue mich immer, wenn eines meiner Kinder oder Enkel Nachwuchs verkünden kann."

"Kennen Sie wirklich noch alle Namen der Kinder, die Sie geholt haben und für die Sie als Amme da waren?" Fragte Linda neugierig.

"Ich verbinde mit den Kindern immer bestimmte Ereignisse und Bilder. Damit konnte ich mir sämtliche Geburtstage merken, zum Beispiel den von Alvaro Woodworth, der zwölfte Juni 1918." Linda merkte auf. Das war der Name ihres Großvaters mütterlicherseits. Der Geburtstag stimmte auch. "Hatte ein wenig Angst vor der Außenwelt. Aber er hat sich wohl prächtig entwickelt. Sonst hätte er seiner Frau wohl nicht geraten, ihren ersten Sohn hier zur Welt zu bringen. Leider hatte ich nicht das Vergnügen, die einzige Tochter ans Licht der Welt zu heben, weil die beiden da gerade in Süditalien waren und eine dortige Kollegin das dann erledigen durfte."

"Ja, das hat meine Mutter mir erzählt, daß sie in der Nähe von Sorent geboren wurde", ging Linda darauf ein. Sie selbst war dann in ihrem Elternhaus zur Welt gekommen, am 29. Februar 1964. So unterhielten sich die beiden über die Kinder, die ihr Leben hier begannen und ihre eigenen Kinder hier zum ersten Mal zu sehen bekamen. Als es dann fünf Uhr Nachmittags war, wechselten sie dann per Flohpulver in Madam Greensporns gemütliches Landhaus mit dem schönen Namen Rosenbeet hinüber. Dort, bei Kaffee und Gebäck, sprachen die beiden Hexen weiter über das lange Leben Eileithyias und über die Liste der unmittelbar mit ihr verwandten. Hier kam Linda endlich dazu, ohne mit der Tür ins Haus zu fallen von Daianira zu sprechen. Als sie dann die Erfolge der Kinder der Heilerin abgehandelt hatten stellte Linda die Frage, ob Daianira auch zu der Feier kommen würde. Hier sah sie zum ersten Mal eine leicht ungehaltene Madam Greensporn.

"Das Verhältnis zwischen meiner Enkeltochter und mir ist seit geraumer zeit nicht zum besten, Ms. Knowles. Private Angelegenheiten, die ihr Leben berühren und wohl besser nicht in einem Interview erwähnt werden sollten. Nur so viel, ich hoffe, daß es ihr weiterhin gut ergehen wird. Ansonsten gehen wir beide uns möglichst aus dem Weg."

"Ich erfuhr vor kurzem, daß Minister Wishbone wegen der Vorkommnisse um diese Abgrundstochter und den Tod von Pandora und Patricia Straton einen Argwohn gegen Hexen hegen soll. Immerhin hat er alle Hexen aus den Ministerialabteilungen mit goldenem Handschlag verabschiedet. Ich persönlich mache mir natürlich Gedanken, ob Minister Wishbone Angst vor Hexen oder einer bestimmten Hexe hat. Sehen Sie das vielleicht auch so?"

"Es ist leider eine traurige Gewißheit, das der schönste Meeresstrand nicht mehr besucht wird, wenn in der Nähe eine Haifischflosse gesehen wurde. Und wer einmal das Brüllen eines Drachens gehört hat meidet einsame Bergregionen. Es ist wahrhaftig bedauerlich, daß Minister Wishbone dermaßen verschreckt ist. Soweit ich weiß stand in Ihrer Zeitung auch ein Artikel über die Entomanthropen, und das diese nun auch hier erschaffen werden. Eine grauenhafte Vorstellung, nicht wahr? Und das eine machthungrige Hexe dies anrichten soll macht die Lage noch unerträglicher", erwiderte Eileithyia Greensporn. So verlief das Gespräch zum Thema Hexenangst von Minister Wishbone weiter. Linda lenkte den Verlauf langsam darauf, daß es im Ministerium Listen von verdächtigen Hexen geben könnte, die angeblich nach dem Tod einer anderen Hexe aufgetaucht seien. Alleinstehende, gesellschaftlich erfolgreiche Hexen könnten dadurch in den Verdacht geraten, gegen das Ministerium zu arbeiten. Mrs. Greensporn preschte daraufhin vor und fragte unverzagt, ob auch Daianiras Name darauf stehen solle, weil ihre Enkelin eben sehr einflußreich sei. Linda dachte kurz, ob sie damit wirklich rausrücken sollte und sagte, daß wohl geprüft werden sollte, ob mit dieser angeblichen Liste Leute aus ihren Schlupflöchern gescheucht werden sollten. Womöglich ging Wishbone davon aus, daß diese Hexen mit jener in Verbindung standen, die die Entomanthropen erschaffen haben sollte. Mrs. Greensporn wollte jedoch näheres wissen, weil sie fürchtete, daß ihre Mitarbeiterinnen durch diese Liste in Mißkredit geraten könnten. So wechselten die Rollen von Frager und Befragtem. Linda erzählte nur, was sie ungefährdet rausrücken konnte, verdächtigte niemanden konkret. Doch als sie gefragt wurde, von wem sie von der Liste gehört habe, sagte sie nur, daß dies ein Informantengeheimnis sei. Damit hatte sie jedoch eingestanden, daß sie von der Echtheit der Liste überzeugt war. Mrs. Greensporn warf die Stirn in nachdenkliche Falten. Eine Minute verstrich, in der Linda nur das Ticken der verschidenen Uhren, den Wind und das Rascheln der Blätter draußen, das Kaminfeuergeknister und Eileithyias etwas schneller schlagendes Herz hören konnte. Irgendwie hatte sie die alte Dame mit dem die ganze Welt umarmenden Naturell aufgeregt. Dann sagte diese unerwartet ernst klingend:

"Linda, ich fürchte, Sie haben nur vier Möglichkeiten: Entweder lassen Sie sämtliche Erinnerungen daran, woher und wie viel Sie von dieser fragwürdigen Liste wissen aus ihrem Gedächtnis entfernen und hoffen darauf, daß Sie nie wieder darauf stoßen werden, wandern bis auf weiteres in ein Land auf dem europäischen, asiatischen oder australischen Kontinent aus oder müssen in ständiger Bedrohung leben, entweder von Leuten Wishbones oder gewissen Hexen, die sich bedrängt fühlen könnten heimgesucht, gefangengenommen oder getötet zu werden. Natürlich weiß ich daß Sie das zu ihrer Lebensaufgabe gemacht haben, brisante Neuigkeiten zu ergründen, zu erforschen und an die Öffentlichkeit zu bringen. Aber in diesem Fall dürfte es für Sie sehr viel gefährlicher werden, als die Enttarnung des falschen Davenports es schon war."

"Ähm, möchten Sie mir jetzt Angst machen, Madam?" Fragte Linda noch unbekümmert.

"Wo Flucht noch eine brauchbare Lösung ist kann Angst ein gutes Hilfsmittel sein, den rechten Zeitpunkt zu erkennen. Um es konkret zu sagen, Linda: Irgendwer hat Ihre magischen Gehörgänge mit diesen Informationen gefüttert, weil er, ja er, davon ausgeht, daß sie betreffenden Hexen und Zauberern dann möglichst auf die Pelle rücken werden, um zu erfahren, ob was dran ist. Das habe ich schon befürchtet, als Sie mich um das Interview baten und dabei zwischen den Zeilen anklingen ließen, daß meine Verwandtschaftsverhältnisse Sie interessieren. Jemand möchte Sie gegen jene Hexen ausspielen, um diese aus der Deckung zu locken. Insofern war es sehr vernünftig, nicht gleich den Ihnen zugänglich gemachten Verdächtigen auf die Bude zu rücken."

"Entschuldigung, ich habe mich hoffentlich nicht verzählt. Aber Sie sagten was von vier mir bleibenden Möglichkeiten. Welche meinten sie außer den drei erwähnten?"

"Daß Sie jemanden um Schutz und Beistand bitten könnten, vor allem Schutz vor wirklichen Untäterinnen, die durch die Liste zu voreiligen Handlungen getrieben werden könnten", sagte Eileithyia.

"Wem sollte ich mich denn da anvertrauen außer dem Ministerium? Den schweigsamen Schwestern?" Preschte Linda ganz bewußt vorlaut voran.

"Oh, Sie halten diese Gruppe für real?" Fragte Eileithyia.

"Es gibt genug Andeutungen. Aber wer warum dazugehört kommt nie heraus. Manche denken auch, die Mora-Vingate-Leute, die Ms. Blackberrys Schwangerschaft verschuldet haben, könnten zu denen gehören." Eileithyia wiegte den Kopf und sagte dann:

"Wie wir beide ja schon erörtert haben lebe ich schon sehr lange. Ich habe viel mitbekommen und konnte über die Jahre gewisse Zusammenhänge erkennen. So hörte ich, daß der überwiegende Teil dieses geheimen Hexenbundes ehrbar und gesetzestreu ist und lediglich möchte, daß den Hexen mehr Verantwortung in der magischen Welt zugestanden wird. Sicher gibt es eine Möglichkeit, diese Hexen zu kontaktieren und um ihren Schutz zu bitten."

"Mir Schutz geben? Die wollen unerkannt sein", erwiderte Linda. "Die geben sich, soweit ich das aus den spärlichen Informationen zusammengefügt habe, nur ihren eingeschworenen Mitschwestern zu erkennen. Tja, und dazu müßte ich dann eingeschworen werden. Und ob die Damen mich aufnehmen würden ist sehr sehr fraglich, weil mein Beruf eben nicht das Schweigen ist, sondern das erfragen und Berichten." Linda konnte es gerade noch zurückhalten, Eileithyia zu fragen, ob sie zu diesen Hexen gehörte. Diese sagte dann ganz ruhig:

"Das Schweigen bezieht sich wohl auf die Mitglieder und die gemeinsamen Vorhaben. Ansonsten ist da alles vertreten, von der Imbißverkäuferin eines Quodpotstadions über Wonnefeen, Heilerinnen und Ministerialangestellte ... wobei letztere durch Wishbones Paranoia jetzt garantiert aus dem Ministerium heraus sind."

"Soweit ich die Behauptungen kenne werden jedoch nur Blutsverwandte, Töchter, Nichten oder jüngere Schwestern von geworbenen Mitgliedern zur Mitgliedschaft zugelassen."

"Ob das so stimmt kann ich Ihnen nicht sagen", antwortete Eileithyia. "Ich kann Ihnen nur sagen, daß Sie bei dieser Hexenvereinigung mehr Schutz finden würden als bei Wishbones Leuten."

"Na klar, wenn ich wüßte, wen ich ansprechen müßte", erwiderte Linda. Sie hütete sich immer noch davor, die Heilerin konkret zu fragen, ob sie dieser Gruppierung angehörte.

"Das können Sie herausfinden, wenn Sie im Westwind ankündigen, daß sie sich von jener Hexenbande bedroht fühlen, die für die Entstehung der Entomanthropen verantwortlich ist." Linda mußte sich sehr zusammenreißen. Das stimmte sogar. Diese eine Hexe hatte sie schon mehrmals heimgesucht. Wenn sie das das nächste Mal tat und dabei von der Liste erfuhr würde sie wohl entweder ihr Gedächtnis oder ihr Leben verlieren.

"Wenn das so einfach wäre könnte ja jeder mit denen Kontakt aufnehmen."

"Hängt davon ab, wer warum, denke ich", erwiderte Eileithyia. "Die Entscheidung liegt ganz allein bei Ihnen."

"Hmm, reden wir besser noch von Ihrer Zeit in Thorntails", wechselte Linda ganz unbedrängt und ohne ihre übliche Beharrlichkeit das Thema. Eileithyia sah es wohl so, daß sie Linda nicht weiter damit bedrängen sollte.

Als der lange Interviewtag vorbei war und Linda einen Riesenstapel Notizen in ihr Büro zurückbrachte, überlegte sie, ob sie das Angebot wirklich annehmen sollte. Die Konsequenzen, die daran hingen waren jedoch nicht zu unterschätzen. Womöglich würde sie mit Leuten zusammenkommen, die ein vitales Interesse daran hatten, daß ihre Tätigkeit nicht bekannt würde. Ganz sicher würde man ihr einen magischen Eid abnehmen, nichs auszuplaudern. Als sie in der Nacht jedoch davon träumte, das die Wiederkehrerin sie holte und über die Liste ausfragte, wußte sie am nächsten Morgen nicht, ob sie das wirklich nur geträumt hatte. sie wußte, daß Angst ein schlechter Ratgeber sein konnte, vor allem für Leute, die mehr von der Welt wissen wollten. Andererseits hing sie an ihrem Leben. Und der Interviewteil, wo sie über eigene Kinder gesprochen hatte, ließ sie daran denken, daß sie in diesem Leben noch nicht alles ausgeschöpft hatte, um es jetzt schon wegen einer sturen Eigensinnigkeit zu riskieren. Also formulierte sie einen Artikel, wo sie eines der seltenen Male nicht auf eindeutig belegbare Quellen einging und schrieb, daß die Mora-Vingate-Bande sich wohl mit skrupellosen Hexen und Zauberern zusammengetan habe, die ihr bereits einmal recht nahe gekommen waren, sie dem Minister jedoch nichts davon hatte berichten können. Sie führte aus, daß sie sich als Hexe vom Minister alleingelassen fühle, wie so viele andere auch und darauf hoffe, daß sie bald einen sicheren Ausweg fände.

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Anthelia nächtigte in den nächsten Tagen Bei Louisette Richelieu, wobei sie peinlich genau darauf achtete, daß das Wohnhaus gegen unsichtbare Eindringlinge abgesichert war. Donata hatte ihr ja erzählt, daß Daianira es herausgefunden hatte, daß Tyche überwacht wurde. Von Sonntag bis Dienstag brachte sie die Entomanthropen dazu, die Krieger der Vorzeit zu jagen. Hierbei nutzte sie das Seelenmedaillon und eine Phiole mit dem isolierten Gift, um die Eigenschwingung zu verstärken. Tatsächlich erwischte sie einen Schlangenmann in Menschengesttalt in der Nähe der französisch-schweizerischen Grenze. Das war Ideal. Denn damit hatte sie ein Ausrichtungsobjekt, eine Witterungsprobe wie bei der Ausbildung von Bluthunden. Durch das Schwarmdenken der in Frankreich lebenden Entomanthropen war es nun möglich, alle Einzelwesen des Schwarmes in kürzester Zeit auf die klaren Anzeichen einzustimmen. "Findet jene, die so beschaffen sind! Hebt sie so hoch, daß mehr als hundert ihrer Längen zwischen Ihnen und dem Boden liegen. Dann durchbohrt sie, wenn sie schwach werden!" Diese Anweisung gab sie wieder und wieder aus. Den Königinnen beließ sie nicht mehr nur sieben, sondern zehn Aufpasser und Futtersucher. Ihnen schärfte sie ein, immer weiter Eier zu legen, um den Bestand zu vergrößern.

Tatsächlich kehrte sie erst am Mittwoch abend Kalifornischer Zeit in die Daggers-Villa zurück, wo sie wie angekündigt ein Testament verfaßte, nur um zu sehen, welche Möglichkeiten sie noch anbieten konnte. Den Mantel der Panzerung vererbte sie Donata, da diese nach dem Duell vielleicht wieder ins Ministerium zurückkehren mochte. Innerlich grinste sie jedoch. Sollte Daianira sie wahrhaftig töten können, würde ihre Seele ganz in das Seelenmedaillon zurückströmen und auf den ersten warten, der es umhängte. Falls Daianira das war, würde es für die lebensmüde Hexe ein übles Erwachen geben. Doch sie würde nicht gewinnen. Dessen war sich Anthelia so sicher, daß sie Daianira den silbernen Kerzenleuchter vermachte, der früher einmal ein Räuberhauptmann namens Emilio gewesen war. Existierte sein Geist noch? Oder hatte der sich in der Dauer der Verwandlung verflüchtigt? Falls nicht, sollte Daianira den ruhig bei sich hinstellen. Dann sprach sie den zauber aus, mit dem das Testament erst dann wieder auftauchen sollte, wenn sie von heute an einen Monat und einen Tag nicht in die Daggers-Villa zurückgekehrt war.

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"Hochmut kommt vor dem Fall, Anthelia vom Bitterwald", dachte Daianira. sie war sich sicher, daß die Feindin nur ihren Mantel zu Hause lassen und jedes leicht zu versteckende Ding mitbringen würde. Da konnte sie gut mithalten. Sie nahm ein Zehntelliter ihres Blutes und mischte es mit dem eines peruanischen Vipernzahns in einem kleinen Silberkrug zusammen. Mit einer ausschließlich ihr vertrauten Litanei bezauberte sie das Gemisch, bis es zu einer fast durchsichtigen, grünen Flüssigkeit geworden war. Dann füllte sie die Mixtur in eine Kristallphiole um, die sie bereits einen Tag zuvor mit einem bestimmten Zauber besprochen hatte. Als sie die Phiole schloß, sagte sie nur: "wenn das Wort Antinoos gedacht, sei was in dir steckt vollbracht!" Sie wiederholte die Anweisung, bis das innere der Phiole wie schwarzer Rauch aussah. Sie verbarg den winzigen, mit Blei und Wachs versiegelten Behälter sorgfältig so, daß er bei einem Sturz nicht zerbrechen würde. Dann ging sie schlafen. Hier, in ihrem Fidelius gesicherten Geheimversteck, war sie unauffindbar für Mensch oder Geist. Morgen würde Anthelias letzter Tag auf dieser Welt sein. Und wie immer sie sich in das zweite Leben gemogelt hatte, sie würde dafür sorgen, daß sie kein drittes Leben in gestohlener Hülle würde führen können.

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Anthelia wirkte gelassen, eher schon erfreut, als sie am nächsten Abend im Weinkeller der Daggers-Villa auf Donata wartete. Zwar drückte das Seelenmedaillon etwas unangenehm gegen ihre Haut unter dem engen Mieder, und der Gürtel der zwei Dutzend Leben lag auch etwas fester an als ohnehin schon. Aber in ihrem wallenden, rosaroten Umhang fühlte sie sich so, als ginge sie zu einem Ball und nicht zu einem Duell auf Leben und Tod. Donata hingegen machte ein sorgenvolles Gesicht. Sie hatte es natürlich nicht vergessen, wie Daianira sie mit einem Schmelzfeuerzauber beinahe getötet hätte. Ihr leben und das Anthelias waren nun untrennbar miteinander verbunden. Noch konnte sie zurückziehen. Doch was dann. Anthelia würde nachholen, was Daianira versäumt hatte, weil Donata sich ihr so entschieden verweigerte. Dann hätte sie es zumindest hinter sich. Doch als Anthelia sagte: "Dann wollen wir mal!" wischte Donata ihre düsteren Vorahnungen aus dem Bewußtsein. Anthelia konnte bestimmt mehr Dinge als Daianira. Sie war länger auf der Welt gewesen und hatte mehr überstanden. So ergriff sie Anthelias Hand und verschwand mit ihr aus dem Weinkeller. Dunkelheit und Stille legte sich über den Raum, der mehr als ein Jahrhundert lang von keinem lebenden Wesen betreten worden war.

"Hic sum. Venite Sorores!" Hörten sie gerade eine Frau aus einer matt blauen Dämmerung herausrufen. Anthelia sah sich in der Tropfsteinhöhle um. Hier also trafen sich die gegenwärtigen entschlossenen Schwestern. Von einer Säule aus erstrahlte blaues Licht und verteilte sich nun über die Wände. Es ploppte und krachte vernehmlich in der Höhle. Mit jeder, die eintraf, wurde die Lichtwand breiter, bis alle Höhlenwände bedeckt waren. Daianira stand vor der Säule. Dann ließ sie aus dem Nichts einen Kreis aus Sitzbänken und einen hochlehnigen Stuhl auftauchen. Mit einem Wink der zauberstabfreien Hand bedeutete sie allen, sich zu setzen. Dann sprach sie weithallend:

"Ich habe euch, treue und ein wenig vom Wege abgekommene Schwestern, heute abend zu dieser späten Stunde einberufen, weil ich euch Anteil an der Lösung eines andauernden Konfliktes nehmen lassen möchte. Wie ihr alle wißt haben wir schon seit mindestens einem Jahr und einigen Monaten eine weitere Schwesternschaft in diesem unserem Lande, die im Ansatz ähnliche Ziele verfolgt wie wir. Wußten wir zu Beginn nicht, mit wem oder was wir es zu tun haben, so ergab sich im Laufe der Monate ein klares Bild. Vor allem aber mußte ich erkennen, daß trotz der hier herrschenden Magie der Aufrichtigkeit gegenüber einer ordentlich anerkannten Sprecherin, welche von euch befunden haben, den Treueid auf mich nicht mehr befolgen zu müssen. Ich werde jetzt nicht noch einmal darauf hinweisen, daß ich ein derartiges Fehlverhalten zu tiefst mißbillige und diejenigen, die meinen, ich könne das hohe Ziel nicht erreichen, die Welt unter der mütterlichen Führung der Hexen zu einen, eines besseren belehren. Ich erfuhr, wer da meint, unsere Schwesternschaft unterwandern zu müssen. Ich erhielt Kenntnis darüber, daß diese neue Gruppe dem Ziel nachjagt, die Welt wie zur Zeit Sardonias neu zu erschaffen. Genauso gelangte mir zur Kenntnis, daß diese Anführerin, der ein Teil von euch sich in grober Mißachtung des schwesterlichen Eides "Semper Sorores" angeschlossen hat, tatsächlich die Wiederverkörperung jener Hexe ist, die damals schon an Sardonias Seite in Frankreich gestrittenund dann ihr Werk in England fortgesetzt hat. Ja, es ist Anthelia, die Nichte Sardonias vom Bitterwald, die es irgendwie vollbracht hat, ihren ersten Tod zu überdauern, ohne als Geist in dieser Welt zu verbleiben oder wie die allermeisten Verstorbenen in die uns lebenden unerreichbaren Gefilde wechselte. Sie maßte sich an, Sardonias Schandtaten zu wiederholen und erschuf jene Kreaturen neu, die wir als Entomanthropen kennen. Sie behauptet steif und fest, damit gegen eine Heerschar des Emporkömmlings streiten zu müssen, die da selbst aus dem alten Reich stammen soll. Dies kann und werde ich jedoch nicht glauben. Da ich fürchten muß, daß sie außer den uns scheinbar so verbundenen Mitschwestern Pandora und Patricia ... und Schwester Donata noch weitere von euch auf ihre Seite zu locken vermochte und nicht nur mich, sondern alle anderen auch ins Verderben stürzen will, appellierte ich an ihre Entschlossenheit, mit ihrem Leben für das einzustehen, was sie angerichtet hat und noch anrichten will. Sie ist sich ihrer Sache offenbar sehr sicher, daß sie darauf einging, heute abend vor uns alle hinzutreten. Ja, und offenbar hat sie uns als Beweis ihrer Macht die schon für verstorben geglaubte Schwester Donata mitgebracht." Einige lachten. Andre grinsten nur. Daianira blieb jedoch so kühl wie ihre bisherige Ansprache. "So frage ich dich, Schwester Donata, ob du deiner neuen Anführerin einen ordentlichen Bericht erstatten konntest, wie es im Totenreich zugeht, wie du offenkundig vieles aus den Sitzungen dieser erhabenen Sororität berichtet hast."

"Ich war nicht tot", sagte Donata mit belegter Stimme. Dann stieß sie laut aus: "Anthelia hat deinen feigen Schmelzfeuer-Mordanschlag früh genug erkannt und vereitelt."

"Du wagst es, mir ins Gesicht und vor aller Ohren Feigheit zu unterstellen? Nennen wir es besser das, was es ist, nämlich die gerechtfertigte Strafe für dein beispielloses Fehlverhalten, Schwester Donata. Aber da du dich aus deinem Mauseloch hervorgewagt hast möchte ich anerkennen, daß du die Chance auf Gnade verdient hast. Und du, Besucherin, wer bist du?"

Anthelia erhob sich und sprach laut und deutlich: "Ich bin die Wiederverkörperung von Anthelia, Tochter der Nigrastra, Nichte der großen Sardonia vom Bitterwald, Stuhlmeisterin der entschlossenen Schwestern Britanniens zwischen den Jahren 1630 und 1710."

"Du hast deinen Tod also überdauert. Wie denn bitte?"

"Dies war, ist und bleibt mein Geheimnis bis zu meinem Tode", erwiderte Anthelia sehr schroff aber ohne jede Aufregung. Daianira sah sie verdrossen an. "Dann sage hier vor mir und allen anderen, was du hier willst!" Daianiras Herausfordernder Blick heftete sich auf Anthelia. Diese stand jedoch ganz ruhig da und sagte laut und unüberhörbar:

"Lady Daianira Hemlock, da Ihr offenbar nicht im Stande seid, eurer Schwesternschaft eine zielbewußte Führerin zu sein und euch nur darauf beruft, stark und unbarmherzig zu sein, aber von der Welt außerhalb dieser Staatengemeinschaft weder Ahnung noch Wertschätzung habt, ist es offenbar Zeit, daß Ihr die Führung an jemanden abgebt, die sowohl ein klares Ziel verfolgt, als auch mehr als ein einziges Land im Auge behält. Da Ihr nicht gewillt wart, den mir im Vertrauen auf den Wert Eures Wortes geleisteten Schwur zu erfüllen, und mich wie eure auswärtigen Mitschwestern meiner Führung anzuvertrauen, und Ihr zudem eine Lügenkampagne wider mich betrieben habt, die meine Handlungsfreiheit einschränken soll, bleibt mir nur, euch zur Entscheidung zu fordern, wer von uns beiden diese erhabene Schwesternschaft als einheitliches Gefüge weiterzuführen vermag. Somit nehme ich Euch beim Wort und setze mein Leben gegen das Eure, auf das wir im magischen Zweikampf entscheiden mögen, wer die mächtigere von uns beiden ist, auf daß die obsiegende Ruhe vor der unterliegenden haben wird."

"Ihr habbt es gehört, liebe Schwestern, daß diese da gekommen ist, um mich vor euer Augen zum Duell zu fordern. Da ich keine andere Wahl habe, wenn ich nicht zusehen will, wie du mir weitere Schwestern abspenstig machst und womöglich in den Tod treibst, nehme ich deine Herausforderung an, Anthelia, Tochter der Nigrastra. Wie es der althergebrachte Brauch gebietet, findet ein Duell vor dem Plenum der Schwesternschaft ohne Sekundanten statt. Daher ist es Sitte und Brauch, daß jede der widereinander antretenden Duellantinnen vor der Ziehung des Begrenzungskreises einen Wunsch für den Fall der Niederlage aussprechen darf, der eindeutig erfüllt werden muß, was es auch sei. Da du mich herausforderst, äußere deinen Wunsch, Anthelia!"

"Zunächst einmal möchte ich wissen, ob die in Eurer Obhut genommene, nicht in diesem Kreis beheimatete Tyche Lennox wohl auf ist", schob Anthelia die Fortführung der Duellvorbereitungen hinaus. Daianira deutete auf eine Nische in der Ecke, wo nun ein Stuhl zu sehen war, auf dem Tyche Lennox saß und ruhig atmete. Sie schlief. Anthelia nickte, als sie die schlafende mit einem Untersuchungszauber auf Lebendigkeit und Echtheit des Körpers überprüft hatte. Dann sagte sie entschlossen: "Ich wünsche mir, daß, sollte ich dieses Duell verlieren, alle sich zu mir bekennenden Schwestern meines Ordens, auch wenn sie aus diesem Orden zu mir kamen, weder an Leib, noch Seele noch Gedächtnis versehrt und ihre Freunde, Verwandte und Nachkommen nicht von Euch behelligt werden, auf welche Weise auch immer."

"Dies sei also dein letzter Wunsch vor dem Duell", sagte Daianira. "So will ich meinen Wunsch äußern. Sollte ich diesen Zweikampf verlieren und durch deinen Zauber aus dem Leben gestoßen werden, so erbitte ich von dir die Vernichtung sämtlicher bestehenden und entstehenden Entomanthropen, sowie deine endgültige Abreise aus Nordamerika, auf das meine hier lebenden Schwestern nicht weiter von dir belangt und gelockt werden mögen." Anthelia verzog zwar das Gesicht. Doch erstens hatte sie das erwartet. Zweitens mußte sie genauso zustimmen wie Daianira ihrem Wunsch zustimmen mußte. So sagte sie nur: "Ich gelobe, diesen Wunsch zu erfüllen, sobald aller Grund nichtig ist, diese Wesen fortbestehen zu lassen." Nun verzog Daianira das Gesicht. Doch sie konnte auch nichts mehr ändern. Der Wunsch war gewährt worden. Das er bedingungslos gewährt wwerden mußte stand so nicht in den Regeln. Und Anthelia kannte diese wohl auch sehr gut.

"So werden wir uns nun miteinander messen. Schwestern, zieht den Kreis der Begrenzung!" Zwölf Mitschwestern bildeten einen Kreis. Daianira und Anthelia schritten ihn von außen und von innen ab. Dann zeichnete Daianira einen Kreis aus silberner Zaubertinte, in den sie die Runen für Begrenzung, Schutz und Beständigkeit schrieb. Die aufgestellten Schwestern sprachen nun im Chor: "Circus protectivus protege nos spectatrices!" Diese Anrufung wiederholten sie viermal, während aus den Zauberstäben silberne Funkenschauer regneten und sich über dem Tintenkreis verdichteten. Dann schossen silberne Begrenzungswände bis zur Decke empor. Der nun fünfzehn Meter durchmessende Kreis war die magische Arena, in der sich gleich zwei sehr von ihren Fähigkeiten und Ansichten überzeugte Hexen messen würden.

Donata setzte sich mit gemischten Gefühlen zu May Tylor. Sie wagte es nicht, weiter herumzublicken, um die anderen Spinnenschwestern in dieser Runde nicht zu verraten, bevor das Duell vorbei war. Die Silbernen Wände wurden immer durchsichtiger. Dann hatten sie alle freien Blick auf das Innere des Kreises.

"Gemäß den auch dir vertrauten Regeln, Anthelia, darf keine von uns über die Begrenzung hinaustreten. Wer dies tut bezeugt Feigheit und Unehre und verliert damit das Duell. Ich verkünde hiermit als herausgeforderte Stuhlmeisterin, daß ich, Lady Daianira Hemlock, in dem Moment von einer von euch zu töten frei bin, wenn mir ein solcher Akt der Feigheit unterläuft." Alle sahen sie an. Doch keine wagte, etwas zu sagen. Dann verbeugten sich beide voreinander. Totale Stille trat ein. Keine bewegte sich. Daianira zählte an: "Eins! zwei! Drei!" Anthelia warf sofort einen großen Schild zwischen sich und Daianira, die ebenfalls die Eigensicherung bevorzugte. Beide Hexen sagten dabei kein Wort. Dann ging es richtig los. aus Daianiras Zauberstab schossen blaue Flammen, die im Fluge zu einem Gewimmel kleiner Feuerbälle wurden. Anthelia zog eine violette Feuerwand zwischen sich und Daianira, an der die kleinen Feuerbälle zerplatzten. Fast im gleichen Augenblick flogen zwei unterschiedliche Flüche auf die Duellantinnen zu, prellten sich aus der Bahn und krachten wie Paukenschläge in die Begrenzung. Die beiden versierten Hexen ließen der Gegnerin keine Atempause. Anthelias Schild mußte zwei addierte Zauber schlucken, wodurch er schon sichtlich erzitterte. Im Gegenzug versuchte Anthelia, Daianira den Zauberstab mit Telekinese aus der Hand zu schlagen. Doch sie mußte feststellen, daß Daianira bei ihrer Vorbereitung keinen Schild gegen Flüche, sondern gegen Fernlenkzauber aufgebaut hatte. Da die amtierende Stuhlmeisterin der entschlossenen Schwestern Nordamerikas keinen großen Wert auf Verteidigung legte, ging Anthelia davon aus, zwischen den sich bietenden Lücken gute Angriffszauber zu platzieren. Doch Daianira wischte die ihr entgegenfliegenden Flüche mit lässigen Zauberstabbewegungen zur Seite, so daß sie krachend, knisternd oder prasselnd in der Begrenzung vergingen. Keine der Hexen auf den Bänken vermochte genau zu sagen, welche Flüche genau aufgerufen wurden. Denn in den meisten Fällen hexten die Zweikämpferinnen ungesagt aufeinander ein. Mal tauchte eine grüne Qualmwolke auf, die jedoch von Anthelia sofort mit silbernen Blitzen zerstreut wurde. Mal wirbelte Anthelia, von einer bläulichen Aura umhüllt herum und ließ eine Flammenwelle aus sich herausschießen. Diese wurde jedoch kurz vor Daianira von einer rötlichen Lichtwand abgefangen und brach zusammen. Anthelia taumelte. Diesen Zauber hatte sie eigentlich als stärkste Waffe anbringen wollen. Doch Daianira war in Elementarzaubern sehr bewandert und hatte einen Flächenhemmzauber gegen ausgreifende Elementarzauber gewirkt, als sie Antehlia herumkreisen sah. Keine legte wert auf einen wirklich heftigen Fluch, der verbal und in mehreren Sekunden aufgerufen werden mußte. Noch einmal versuchte Anthelia einen Flächenzauber, eine blaue Lichtwolke, die wie aus tausenden wirbelnder Sterne bestand. Daianira fühlte bereits eine Wirkung dieses Zaubers, als sie mit einer schnellen Bewegung eine Dreierkaskade bunter Blitze nach oben feuerte und einen von oben nach unten fauchenden Feuerstoß heraufbeschwor. Die blaue Wolke explodierte um beide herum in die Begrenzung, die laut wummernd silbern aufleuchtete. Dann konnten die Zuschauerinnen wieder sehen, wie die Duellantinnen mit schnellen Körperverunstaltungsflüchen agierten. Sie liefen dabei umeinander herum, versuchten, einen Toten Winkel der jeweils anderen zu finden. Doch alle Vorstöße scheiterten am Reaktionsvermögen der Gegnerin, die immer mit einem passenden Abwehrzauber oder Gegenstoß aufwartete. Immer wieder griff Daianira mit Elementarflüchen wie aus dem Boden fahrenden Lavafontänen, Eishämmern oder Feuerschlingen an. Anthelia machte aus einer Feuerschlinge einen Schwarm Hornissen, der auf Daianira zusurrte, jedoch in einer unsichtbaren Flammenaura zerplatzte. Ein Erdstoß auf Anthelias Seite sollte sie zu Fall bringen. Dafür erfüllte ein unheimlicher Heulton die Höhle, der Daianira sichtlich erschrocken zusammenzucken ließ. Es sah so aus, als würde sie zerfließen. Knapp vor der vollständigen Auflösung durchzuckte sie ein blauer Blitz, und sie stand keuchend wieder da. Dafür brauste ein bläulicher Lichtfächer auf anthelia zu, an dessen Rand Eiskristalle in der Luft auftauchten. Das war der Atem des ewigen Eises, der lebende Wesen schockgefror, ohne sie zu töten. Anthelia ließ einen breiten Flammenfächer hervorschnellen und traf den Eisfächer, der mit dem Feuerstoß verschmolz und zu einem gelblich-grünen Nebel wurde. Mit einem lauten Plopp verschwand dieser Dunst, als er die Begrenzung erreichte. Beide Kontrahentinnen hatten wohl keinen Vorstoß im Nebel gewagt. Daianira wirkte bereits etwas angeschlagen. Aber auch Anthelia mußte sich anstrengen, aufrecht stehen zu bleiben. Aus Daianiras Zauberstab flog ein Speer aus Licht, der von Anthelia mit einem großen Schild abgefälscht wurde und in der Begrenzung auseinanderbrach und erlosch. Donata fragte sich, ob Anthelia ihren Avatar rufen würde. Hatte sie den eigentlich gespeichert?

Eine die Augen verwirrende Serie von schnellen Flüchen wechselte von einer zur anderen. Schildzauber oder breitbandgegenflüche fingen sie ab oder lenkten sie in die Begrenzung, wo sie die wilde Musik zu diesem Lichtspiel machten. Anthelia setzte einmal an, einen magischen Gesang anzustimmen. Doch Daianira stieß mit dem Zauberstab vor und rief: "Silencio!" Anthelia wurde dadurch jedoch nur für zwei Sekunden am Sprechen gehindert. Sie verpaßte ihrer Gegnerin den Deterrestris-Fluch und nutzte die Pause, um ihre eigene Stimme wiederzubekommen. Daianira kam nicht dazu, den die Schwerkraft umkehrenden Fluch umzukehren, weil Anthelia sie nun von unten her mit Flüchen beharkte, und Daianira andauernd Gegenflüche wirken mußte, um nicht noch mehr abzukriegen. Erst als sie Anthelia von oben einen Schwall grüner Säure entgegenschleuderte, und Anthelia gerade noch soeben den Desacidius-Zauber zur Beseitigung magisch hervorgestoßener Ätzmittel aufrufen konnte, konnte Daianira sich selbst mit "Terra Firma" wieder auf festen Boden absenken.

Nun entstanden auch noch Phantome aus grünem Rauch, rotem Feuer oder blauem Nebel. Anthelia versuchte Inverse Wirbelstürme zu zaubern, die Daianira über die Kreisbegrenzung schleudern sollten. Doch diese fing Daianira auf und federte sie wie eine Gummiwand zurück in den Kreis. Anthelia versuchte Entwaffnungs-, Schock- und Lähmzauber, Erstarrungs- und Bewegungsdrangflüche. Daianira spielte ihr breites Band an Elementarflüchen aus, ließ weißblaues Drachenfeuer aus dem Zauberstab schlagen, einen Gebündelten Hitzestrahl auf ihre Gegnerin zurasen, den sie mit einem Contracalora-Zauber wie an einer Glaswand in flimmernde Luftwirbel zerfasern ließ. Auch versuchten sich beide mit Horritimor oder Megeuphoria aus der emotionalen Balance zu bringen. Der erste löste Panik aus, der zweite einen unkontrollierbaren Glückszustand, der Geist und Körper überfordern konnte. Doch die beiden Hexen hatten sich schon früher in Auracalma-Schutzzaubern eingehüllt. Von diesen Zaubern bekamen die Zuschauerinnen nichts mit, weil sie nicht in farbigen Leuchterscheinungen oder merkwürdigen Schwirr-, Sirr- und Fauchlauten transportiert wurden. Nur wenn wieder ein Zauber ohne hör- und sichtbare Randerscheinungen an der Begrenzung zersprang, zerklang und verhallte, wußten die Schwestern, daß wieder was unsichtbares unterwegs gewesen war.

Auch wenn Anthelia immer wieder daran scheiterte, Flächenzauber zu wirken und davon selbst gut ausgezehrt wurde, zeigten sich bei Daianira doch schon die ersten Ermüdungserscheinungen. Doch keine der Hexen griff ein. Alle starrten gebannt auf den Kreis, in dem die beiden Widersacherinnen einander malträtierten. Anthelia versuchte die immer trägeren Bewegungen Daianiras auszunutzen und ihr den Zauberstab doch noch mit dem Entwaffnungszauber abzujagen. Ähnliches versuchte Daianira auch. Doch Anthelias silberner Zauberstab schien ihr in der Hand zu kleben und die auf ihn zielenden Entwaffnungszauber um sich herumzulenken. Nun versuchte Anthelia Zauber aus der Heilkunst wie Lentavita oder Spinastato, um Daianira aus dem Konzept zu bringen. Tatsächlich erwischte sie die Gegnerin mit dem Körperverlangsamungszauber und ging nun daran, einen entscheidenden Fluch laut zu formulieren, den Vitricorpus-Fluch. Doch Daianira ließ sich einfach nach hinten überfallen. Der Bewegungsansatz war gruselig. Sie hob langsam beide Füße an und kippte einen Moment, bevor sie langgestreckt hinschlug. Der Vitricorpus-Fluch sirrte über sie hinweg und rüttelte dreimal an der Begrenzung. Damit hatte Anthelia nicht gerechnet, daß die verlangsamte Lady die immer noch normal wirkende Schwerkraft zum Ausweichen nutzen konnte. Sie versuchte noch einmal den Entwaffnungsfluch, verfehlte das Ziel jedoch um eine halbe Handbreit. Laut klirrend zerstob der scharlachrote Entwaffnungsblitz an der Begrenzung. Dann war Daianiras Verlangsamung vorbei. Anthelia hatte nur gesehen, wie der Zauberstab der Gegnerin leicht auf ihr Gesicht zuwippte. Aus der Bodenlage herausfeuerte Daianira nun eine Dreiersalve Flüche auf Anthelia ab, die nur einen Schildzauber dagegenstemmen konnte. Dann erhob sich Daianira, von bunten Flammenwolken umtanzt, die alle mit einer Zauberstabgeste auf Anthelia losflogen. Das war Volinguignis, der Fluch der fliegenden Feuerzungen, ein meisterzauber der Elementarmagie. Anthelia war auf die buntenFlämmchen nicht so sicher vorbereitet. Einige fraßen sofort an ihren Haaren und ihrem Umhang. Doch ein Schwarm bunter Blitze in alle Richtungen löschten die fliegenden Feuerzungen aus.

Daianira fühlte mehr und mehr, wie das bereits in die fünfte Minute gehende Duell sie auszehrte. Anthelia indes war noch gut auf den Beinen und konnte wirklich viel austeilen und abfangen. Selbst einige neuere Zauber wie der Terrelastis-Zauber, der selbst Granitboden wie ein aufgespanntes Trampolin durchfedern ließ, waren für Anthelia nur für eine Sekunde überraschend. Sie griff dann mit Verunstaltungsflüchen an oder versuchte, Daianira aus ihrem Körper zu treiben. Als ihr dann unvermittelt vier flammende Dolche in Kreuzformation entgegenschossen, war ihr klar, daß sie ein Duell auf Materialisationsbasis nicht mehr lange durchhalten würde. Sie schaffte es gerade so mit dem Muuroventus-Zauber, eine Mauer aus erhärteter Luft zwischen sich und Anthelia zu errichten, in der die Dolche zitternd steckenblieben, bis sie in Rauch aufgingen. Anthelia hatte derweil schon den nächsten Fluch ungesagt formuliert. Was es war erkannte Daianira erst, als die ferkelrosa Schaumblase aus dem Zauberstab platzte und sie sich gerade noch hinfallen lassen konnte. Fast hätte diese eher infantil aussehende Kugel sie getroffen und dann in eine zähe und nur durch einen vom Urheber aufgerufenen Gegenzauber lösbaren Masse eingeschnürt. Wer hatte dieser Hexe bloß den ekligen Zauber beigebracht? So klatschte die rosarote Blase gegen die Begrenzung, flog wie ein Gummiball zurück in den Kreis, passierte Anthelia, die ihrem eigenen Geschoß gerade so ausweichen konnte und klatschte wieder gegen die Begrenzung. Dann traf die Kugel den Boden und zerplatzte mit einem Klatschendn und schmatzenden Geräusch, wobei sich rosaa Schleim über den Boden ausbreitete, der sofort zu einer kautschukartigen Masse trocknete. Anthelia schickte erst noch eine Dreiersalve Flüche gegen Daianira, bevor sie mit einer fegenden Bewegung den Rrosa Überzug vom Boden löste und ihn zu einem unförmigen Klumpen zusammendrücken ließ, der in dem Moment verging, als Daianira Anthelia mit einem Cruciatus-Fluch erwischen wollte. Jetzt kamen sie also zu den Unverzeihlichen. Anthelia versuchte eine passende Antwort mit "Imperio" zu geben. Doch Daianira ließ sich wieder hinfallen. Anthelia befand, daß sie sie jetzt einschnüren konnte. "Reticum!" Zishte sie, um den Zauber auch ja richtig hervorzubringen. Doch Daianira parierte das über sie fallende Netz mit "Renihilis". Dann stand sie auch schon wieder. Doch das linke Bein knickte ihr ein. anthelia versuchte noch einmal ihr Glück mit Telekinese. Doch immer noch hielt der Bann gegen Bewegungszauber. Das Duell ging weiter.

Donata Archstone atmete langsam ein und aus. Daianira war sichtlich angeschlagen. Sie hielt sich nur mühevoll auf den Beinen, während Anthelia immer noch schnelle Bewegungen ausführte und den ihr entgegenkommenden Flüchen geschickt wie eine Ballerina auswich. Sie begann zu hoffen, daß Anthelias Selbstsicherheit auf ehrlichem Fundament aufbaute und Daianira sich zu viel auf ihre Elementarflüche eingebildet hatte. Wieder mußte Daianira einem Schockzauber ausweichen. Der ehemaligen Strafverfolgungshexe war klar, daß es nur noch eine Minute dauern mochte, bis ihr Leben wieder sicher war. Zwar würde Anthelia Daianira töten müssen, um das Duell endgültig zu entscheiden. Aber so wie die sonst so gefürchtete Lady Daianira Hemmlock sich bewegte, würde sie die Mitternachtsstunde nicht mehr erleben. Sie schwitzte, keuchte und wankte. Doch sie fiel nicht um. Wieder parierte sie zwei schnelle Flüche. Doch sie bekam keinen Gegenangriff mehr zu Stande. Donata hoffte nur, daß sie nicht diesen schnellen Incapsovulus-Fluch bringen würde, den Patricia erwähnt hatte. Sie versuchte es noch einmal mit Expelliarmus, Anthelia zu entwaffnen. Wieder schien es so, als bliebe der Zauberstab in ihrer Hand kleben und der scharlachrote Blitz zerfasere daran. Dann vollführte Anthelia den Schlag mit der Flammengeißel. Daianira versuchte, den Zauber mit einer Zauberstabbewegung abzuschmettern, verlor dabei jedoch das Gleichgewicht und schlug auf den Boden hin. Der Fluch Anthelias zerstob mit lautem Paff an der Begrenzung. Daianira hatte beim Hinfallen ihren Zauberstab verloren. Er schlidderte aus ihrer unmittelbaren Reichweite auf die Begrenzung zu und blieb wenige Zentimeter davor liegen. Das war es wohl.

"Lady Daianira. Ihr habt Euren Zauberstab verloren und scheint nicht gerade im Stande, ihn euch in den nächsten fünf Sekunden wiederzuholen. Gebt Ihr auf?" Fragte Anthelia. Sie kannte die Regeln, nach denen eine Entwaffnete fünf Sekunden hatte, um den Zauberstab wiederzubekommen oder aufgeben konnte. Bei weniger dramatischen Duellen wurde dem Besiegten dann der Zauberstab wiedergegeben, wenn er die Bedingung eingelöst hatte, die vor dem Duell ausgehandelt worden war, falls es kein Gefechtsduell war. Dann war mit dem Verlust des Zauberstabs auch gleich das Leben futsch.

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Sie war gut und gewandt, stark und entschlossen. Jetzt hatte sie es erfaßt, daß Anthelia keinen Mantel gegen Flüche brauchte. sie hatte eigentlich gedacht, mit den heftigen Elementarzaubern siegen zu müssen. Doch Anthelia hatte schnell die passenden Gegenzauber gefunden. Und jetzt lag sie am Boden und fühlte ihre Beine wie Bleigewichte. IN ihrem Kopf schwirrte es wie in einem Bienenstock, und ihr Zauberstabarm war träge wie eine Holzstange geworden. Sie dachte an ihren Zauberstab. Wenn sie ihren kristallenen Joker ausspielen wollte, sollte sie zumindest in der Nähe des Zauberstabs sein, um nicht von den anderen für eine Betrügerin gehalten zu werden. So robbte sie unbeholfen wie ein Baby im Krabbelalter auf ihren Zauberstab zu. Sie hatte wohl nur noch vier Sekunden, bevor Anthelia ihr den letzten Fluch aufbraten würde. Wie sie sie einschätzte würde die es sich nicht nehmen lassen, einen gravierenden Fluch auf sie zu schleudern. Um das zu provozieren schrillte sie um Luft ringend:

"Solange ich eigenständig einen Zauberstab in die Hand nehmen kann, gebe ich mich dir nicht geschlagen. Und ich kriege ihn!" Es waren jedoch noch gute vier Meter, weil der Stab nach rechts von ihr fortgeschliddert war.

"Was du nicht sagst", lachte Anthelia. "Das kann aber sehr lange dauern." Dann sprach sie das erste von neun Wörtern eines Fluches, der ihr wohl bei Daianiras erbärmlicher Krabbelei und ihrem schrillen Zetern eingefallen war. Daianira strengte sich an, den Zauberstab zu erreichen. Noch waren es sieben Wörter, dann sechs, fünf, und nur noch vier. Mit einem Ruck warf sie sich nach vorne, erwischte den Zauberstab, hob ihn mit der Spitze gegen Anthelia und dachte dabei "Antinoos!" Das geschah gerade in dem Augenblick, in dem Anthelia das letzte Wort ausstieß. Zeitgleich mit dem konzentrierten Gedanken fühlte Daianira, wie die kleine Kristallphiole ruckte. Dann warf etwas einen Schatten über sie. Sie hatte es wohl noch geschafft.

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"Wie ein hilfloses, dummes Baby krabbelt sie da", dachte Anthelia. Die fünf Sekunden waren um. Daianira keifte ihr wohl in letztem Aufbäumen entgegen, daß sie sich nicht geschlagen geben würde, solange sie einen Zauberstab in die Hand bekam. Anthelia verwischte den Gedanken, den nun aus Daianiras Reichweite liegenden Zauberstab telekinetisch in die Höhe zu heben und unter der Decke schweben zu lassen. Doch ihr fiel was besseres ein. Sollte Daianira ruhig schreien, bis ihr die Luft wegblieb und irgendwann mal wieder ans Krabbeln kommen. Inbrünstig und mit ganzem Willen, die Widersacherin für lange Zeit außer Gefecht zu setzen, sprach sie den aus neun Wörtern bestehenden Infanticorpore-Fluch, die Einleitung, die vom Rückkehr zum Anfang kündete, dann den Mittelteil, der die verstrichene Lebenszeit in den anderen Körper zurückbeschwor, und den Schluß, daß dies alles bei erhaltenem Geiste geschehen sollte. Als sie das letzte, auslösende Wort rief, sah sie den Sieg keine Sekunde mehr entfernt. Doch was war das? Als sie das lezte Wort sprach, richtete sich Daianiras Zauberstab mit der Spitze auf sie. Im genau selben Augenblick verstellte eine matt glänzende, nachtschwarze Wand ihr die Sicht, doppelt so breit und so hoch wie Daianira von den Füßen bis zum Haarschopf aufragte. Diese plötzliche Erscheinung lähmte Anthelias Reaktionsvermögen. Sie verpaßte damit die entscheidende Gelegenheit, den Zauberstab anderswohin zu richten. der von ihren Worten aufgebaute Fluch entlud sich gleißend golden aus ihrem Zauberstab und schlug lärmend gegen die schwarze Wand, als würde sie selbst im Inneren einer tonnenschweren Bronzeglocke stehen. Im Selben Moment explodierte vor ihr und um sie herum die Welt in einem gleißenden, weißen Blitz.

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Patricia Straton saß in ihrem Gästezimmer und lauschte der Musik aus dem kleinen Radio, daß Virginia ihr geliehen hatte. sie spielten langsame Musik aus einer Zeit, die Patricia nicht zuordnen konnte. In Gedanken war sie weit fort von hier, in der Höhle der Versammlung. In wenigen Minuten war Mitternacht. Bis dahin würde sich entscheiden, ob sie nun weiterhin versteckt bleiben oder mit den übrigen Schwestern zu einer großen Gemeinschaft zurückkehren würde.

"Wirst du mich morgen, wirst du mich morgen, wirst du mich morgen noch lieben?" Fragte eine Sängerin zu einer langsamen Klavierbegleitung. Das Klavier beschloß dann das Lied mit zwei verschnörkelt von oben nach unten durchgespielten Durtonleitern und klang aus. Die Frage war wohl berechtigt. Würde man sie morgen noch lieben? Da kam das dreimalige kurze und einmalige lange Piepsignal für die volle Stunde. Jetzt schrieben sie den sechzehnten November.

"Patricia, ich gehe jetzt schlafen. Machst du bitte die Musik ein wenig leiser?" Fragte Virginia Hencock durch die Tür. Patricia bejahte es schnell und drehte den runden Knopf für die Lautstärke ein wenig mehr zur Nullstellung hin. Mit wem würde sie ab heute leben müssen, mit einer noch übermütigeren Anthelia oder einer triumphierenden Lady Daianira? Der Name Daianira klang komischer weise Doppelt in ihrem Kopf wie von einem Echo. Dann erklang Donatas Gedankenstimme klar verständlich: "Patricia, bleib bloß wo du bist. Daianira hat gesiegt."

Der Schock der unerwarteten Neuigkeit ließ Patricia einen Moment ihre Umgebung vergessen. Daianira hatte gesiegt? Irgendwie konnte sie das nicht fassen. Doch dann kehrte ihr Verstand zurück. Ruhe bewahren hieß nun die Devise. Vielleicht, so überlegte Patricia auch, war es auch besser so, daß Anthelia die Verliererin gewesen war.

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Der Blitz war für Daianira nicht so Hell. Doch das metallische Dröhnen wie von einer schweren Glocke rüttelte an ihren Trommelfellen. Für einen winzigen Moment sah sie etwas an der Innenbegrenzung vorbeihuschen. Dann war ihr, als entlade sich etwas wohlig warmes in ihrem Körper. Gleichzeitig meinte sie, von einer nie zu vor erlebten Munterkeit erfüllt zu werden. Auf einmal war alle Erschöpfung fort. Sie konnte sich hinstellen. Noch immer stand der schwarze Spiegel dort, wo ihr Fluchspeicher ihn im allerletzten Moment hingestellt hatte. Sie ließ ihn zerfallen. Da, wo Anthelia vorhin noch gestanden hatte, lagen nur noch ein rosaroter Kapuzenumhang auf einem Paar Schuhe, einem Knäuel Unterwäsche und etwas, das sie nicht erkennen konnte. Daneben lag der silbriggraue Zauberstab Anthelias. Es sah so aus, als wäre Anthelia ohne jeden Gegenstand an ihrem Leibe disappariert. Dann wurde ihr klar, was passiert sein mußte. Antthelia hatte sich mit dem Infanticorpore-Fluch, der von ihrem aufgebauten Schwarzen Spiegel auf das fünffache verstärkt zurückgeprellt worden war aus der Welt geschleudert, sich wohl fünfmal so viele Lebensjahre jünger gezaubert wie sie körperlich alt war. Das hieß, sie war eindeutig fort. Und der Schauer und die Munterkeit kamen daher, daß die überschüssige Lebenszeit frei herumgeflogen war und sich im ganzen Kreis ausgebreitet hatte. Das hieß dann ja, daß sie mit einem Schlag verjüngt worden war. Um wie viele Jahre? Aber sie erinnerte sich noch an alles. Sicher, das war ja der Effekt des Infanticorpore-Fluches, Verjüngung ohne Wissensverlust. doch das eigentlich wichtige war jetzt doch, daß sie gewonnen hatte. Sie hatte Anthelia kalt erwischt. Im Augenblick ihres Triumphes war sie in ihre, Daianiras letzte Falle getreten und von der Überraschung so gelähmt gewesen, daß sie nicht rechtzeitig zur Begrenzung zielen konnte, um den Fluch unschädlich verpuffen zu lassen. Damit war Sardonias Nichte über die eigene Überheblichkeit gestolpert. Diese Erkenntnis versetzte Daianira in eine ungeahnte Euphorie, daß sie zunächst einmal nur laut loslachen und Freudentränenbäche vergießen konnte. Doch dann erkannte sie, daß sie noch etwas zu tun hatte. Sie hob ihren Zauberstab und murmelte: "Per fortem stellarum securus in Globo." Aus ihrem Zauberstab stob ein silbrigweißer Funkenstrom, der Anthelias Habseligkeiten einhüllte und diese anhob, bis sie im Zentrum einer Kugelschale schwebten, die aussah wie ein Netz aus versponnenen Sternen, die wie eine Abbildung der Galaxis das umschlossen, was sie zunächst vor dem Zugriff anderer verbergen mußte. Dann wandte sie sich den perplex dasitzenden Schwestern zu. Viele von ihnen riben sich noch die Augen oder Ohren. Offenbar hatte die geballte Wucht des zurückgeschmetterten Fluches ihre Sinne betäubt, hoffentlich nicht für immer. "Könnt ihr mich hören!" Rief Daianira und erkannte, daß sie selbst wohl für einen Moment weniger Hall in der Höhle hörte. Das leise Piepen in beiden Ohren klang jedoch schon wieder ab, und die Vielfalt aller Töne, die sie vorher hören konnte, kehrte zurück. "Ich hoffe, ihr könnt alle sehen, daß dort, wo ich den Sternenschutzkäfig hingezaubert habe, Anthelias ganze leblosen Habseligkeiten zusammengehäuft sind. Sie war sich ihres Sieges zu sicher. Sonst hätte sie mich zuerst geschockt und dann versucht, den Fluch auf mich zu legen, der ihr endgültig den Garaus gemacht hat. Damit hat sie die gegen mich erstrittene Entscheidung verloren. Wie es unsere Regeln gebieten, werde ich ihren letzten Wunsch erfüllen. Das hatte ich sowieso vor. Denn nun, wo sie und ihre wahnhafte Idee von der Wiedererrichtung von Sardonias Reich gescheitert ist, bin ich bereit, den Schwestern unter euch zu vergeben, daß sie meinten, lieber ihr als mir zu folgen. Es ist bedauerlich, daß dafür erst welche von euch sterben mußten. Aber ich bin zuversichtlich, daß ihr nun wißt, warum ihr mir die Treue gelobt habt und daß ihr dies hier und gleich wieder tun werdet, um mit eurem Blut im Weihestein die Sünden eurer Untreue abzuwaschen." Sie schritt wie mit Flügeln an den Beinen aus und verließ den für natürliche Materie durchlässigen Begrenzungskreis, der nun, wo kein lebender Duellant mehr in ihm stand, mit lautem Pfft in silbernen Rauch aufging. Die Sternenkugel mit Anthelias Sachen schwebte nun drei Meter nach oben. Kein Aufrufezauber, kein Fluch und keine Materie konnten nun von außen eindringen. "Schwester Donata, bist du bereit, deine Verfehlung zu bereuen und dich mit deinem Blut vom Schmutz deiner Untreue zu reinigen?" fragte Daianira. Alle die sie sahen meinten, daß sie wesentlich jünger aussah. Irgendwas war da passiert.

"die Blutweihe?" Fragte Donata.

"Sie war beim ersten Mal wohl nicht ausreichend, Schwester Donata. Wenn du zustimmst, haben wir Frieden. Falls du jedoch alle Vergünstigungen der Schwesternschaft verlieren möchtest, ziehe deines Weges! Aber kreuze nie wieder meinen Weg oder falle mir in irgendeiner Weise unangenehm auf!" Daianira klang jetzt auch kräftiger, eben jünger. Sicher, sie war mit ihren 67 Jahren nicht alt für eine Hexe. Aber wer da zu ihnen sprach war eine Frau, die gerade ihren festen Platz im Leben gefunden hatte. Sie klang im Grunde wie Anthelia, nur nicht mit dieser warmen Altstimme, sondern einer gestrengen, halbhohen Stimme, die eine junge Lehrerin besitzen mochte, die sich gegen den Lärm einer Schulklasse durchsetzen muß. Donata nickte Daianira zu. Was sollte es jetzt noch? Ob sie jetzt wenige Minuten nach Anthelia von der Bildfläche verschwand oder nicht war einerlei geworden. Sie trat vor. Aus einem dunklen Nebenstollen der Höhle schwebte ein marmorner Block mit einer kreisrunden Aushöhlung darin herbei. Daianira gebot Donata, sich mit einer Silbernen Klinge am Arm zu ritzen und ihr Blut in die Höhlung tropfen zu lassen. "Per Sanguinem tuum intras. Per sanuguinem tuum Excedebis!" Deklamierte Daianira die uralte Formel der entschlossenen Schwestern herunter. Donata fühlte, wie etwas in ihr Kraft wegnahm. Sie keuchte und wanke. Beim ersten Mal war das nicht so anstrengend geworden. "Spüle mit dem Saft deines Lebens deine Schandtaten aus, Schwester Donata! Bereust du, dich von deiner rechtmäßig anerkannten Führerin Abgewandt und einen andren Weg beschritten zu haben?"

"Ja, ich bereue das aufrichtig", stöhnte Donata, die meinte, gleich tot umfallen zu müssen.

"Und gelobst du, künftig wieder und ausschließlich deinen Mitschwestern und deiner anerkannten Herrin zu folgen?"

"Ja, ich gelobe das", preßte Donata hervor.

"Dann empfange zum Willkommen im Schoße der Gemeinschaft entschlossener Schwestern den Segen des Blutes!" Daianira ritzte sich nun mit dem Messer und legte Donata den blutigen Unterarm an die Stirn. Sofort ließ dieses saugende Gefühl nach, und Donata konnte wieder unbeschwert atmen.

"Hast aber wahrlich eine schwere Bürde lassen müssen, Schwester Donata. Behalte es also nun im Kopf, daß du zu uns und nur uns gehörst. Jede weitere Intrige gegen mich wird hart bestraft." Donata nickte nur noch. Dann trat sie schön weit fort von dem Blutweihestein und heilte ihre Schnittwunde. Sie nutzte es aus, daß Daianira mit den weiteren Schwestern beschäftigt war, um Patricia Straton die traurige Nachricht zuzumentiloquieren. Sie hoffte, nicht schon dafür bestraft zu werden. Die Bekräftigung der Verbundenheit dauerte bis zwei Uhr Nachts. Dann gebot Daianira allen, in ihre Häuser zurückzukehren. Tyche schlief immer noch. Daianira wollte ihr morgen im Laufe des Tages anbieten, sie bei Lady Roberta vorzustellen. Sie könne sich dann ja überlegen, ob sie bei den entschlossenen oder unentschlossenen Schwestern verweilen wolle.

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"Und es ist wirklich ein Wertiger gewesen?" Fragte Thicknesse Yaxley.

"Sir, drei Muggel und einer von uns haben das beobachtet. der Bursche hat sich in einen übergroßen Tiger verwandelt, bevor er in den Wald davongestürzt ist. Dann war da noch so'n Biest. Ich dachte, die gäb's nur in Indien.""

"Wenn die wollen können die als ganz normale Menschen herumlaufen", sagte Thicknesse. "Aber das gefällt mir gar nicht, daß wir jetzt Wertiger im Land haben. Kriegen sie raus, woher das Biest gekommen ist und wohin es unterwegs ist!"

"Schon aus ganz eigenem Interesse", knurrte Yaxley. Als der Minister alleine war überlegte er, ob er es in die Zeitung setzen oder verheimlichen sollte. Immerhin wußten sie, wie man Wertiger bekämpfen konnte, die sonst gegen jede Art von Magie gefeit waren.

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"Schönes rotes Haar hast du", säuselte die spindeldürre Hexe mit der kastanienbraunen Lockenmähne und den ebensobraunen Augen, als sie der jungen Schwiegertochter durch den feuerroten Schopf fuhr. Iridanus, der stolze Bräutigam, strahlte die Hexe im weißen Kleid an, die weder traurig noch glücklich aussah. Der Zeremonienmagier im goldenen Gewand strich sich seine pechschwarze Struwelmähne aus dem Gesicht. Es war heute die erste von drei am gleichen Ort stattfindenden Hochzeiten, die er durchführte.

"Die hatte ich schon immer, Mrs. Gisborne", sagte die Braut. "Jetzt kannst du mich doch Mum nennen, Kind", säuselte die spindeldürre Hexe scheinheilig, während ihr Angetrauter lachend mit fünf Freunden an einem Tisch stand und über die alten Zeiten scherzte. Die junge Hexe, die als Brigid Barley mit Iridanus Gisborne vermählt worden war, blickte nur suchend umher, als vermisse sie etwas oder jemanden. Ein wenig getrübt war die Stimmung schon. Denn Brigids Mutter Ceridwen war nur bei der Trauung dabei gewesen. Das Fest bei den Gisbornes wollte sie nicht mitmachen, angeblich weil sie bei der Hochzeitsfeier ihrer jüngsten Tochter Galatea dabei sein mußte. Ihr Ehemann Darrin wurde nicht vermißt. Denn er war ein Muggel. Das war für die sonst so auf Reinblütigkeit erpichten Gisbornes, die ihre Linie bis ins zehnte Jahrhundert zurückverfolgen konnten ein Makel. Doch Aurearcus Gisborne hatte es ohne Murren hingenommen, daß sein Erstgeborener mit der Erstgeborenen der Barleys verbandelt wurde, obwohl sich beide vorher nie gesehen hatten. Denn Iridanus war stolze fünfzehn Jahre älter als seine Angetraute. Morgause Gisborne, die Mutter des Bräutigams, hatte der Verbindung auch nur zugestimmt, weil sie darauf hoffte, die mit Nebenzweigen in der Normandie verwandte Sippe mit der ebenso alten schottischen Sippe McFusty zu verschmelzen. Ob die von Brigid zu erwartenden Kinder dann als Viertelblüter oder größtenteils reinblütig bezeichnet wurden war reine Auslegungssache.

Brigid hatte den Schwiegereltern am Tag vor der Hochzeit, wo sie Morgauses Hochzeitskleid anprobieren sollte gesagt, sie tue das auch nur wegen des lieben Friedens, um ihrem Vater nicht Unannehmlichkeiten zu bereiten und ihren Geschwistern keine Sorgen zu machen. Natürlich wußten die Gisbornes das auch, daß weder Iridanus noch Brigid wirklich heiraten wollten. Doch die neuen Familienstandsgesetze ließen es nicht zu, daß alleinstehende Hexen und Zauberer aus größtenteils reinblütigen Familien kinderlos blieben. Längst nicht alle, die offen mit Thicknesses Politik und dem dahinterstehenden Herrn und Meister sympathisierten, waren hellauf begeistert von der Vorstellung, selbst mit ihnen feindlich gesinnten Leuten verkuppelt zu werden oder ihre Kinder mit irgendwelchen Bälgern andrer Familien zusammensprechen zu lassen. Doch meistens reichte ein Besuch von einem aus dem innersten Kreis um den dunklen Lord, falls nicht damit gedroht wurde, daß die unverheirateten Töchter von Fenrir Greyback geküßt würden. Deshalb war auch verständlich, warum die stolze Ceridwen, die walisische und schottische Wurzeln besaß, diesen aufgezwungenen Hochzeiten fernblieb. Hauptsache die volljährigen Hexen und Zauberer fanden sich vor Corax Leech ein, der nach der Unauffindbarkeit von Logophil Nodberry Zeremonienmagier im Dienste des Zaubereiministeriums geworden war. Nachdem er die beiden unter einem dürftigen Schauer goldener und silberner Funken vereint hatte, war der struwelhaarige Ministeriumsbeauftragte auch schon weitergezogen. Er hatte noch vier Hochzeiten durchzuführen.

Aurearcus Gisborne, der im Gegensatz zu seiner Frau faßrund und goldblond war, versuchte immer wieder die Stimmung anzuheizen und stimmte Lieder an. Dennoch wurde die Feier nicht gerade rauschend. Es war und blieb eine Zweckveranstaltung, bei der die Anwesenden nur mitmachten, um weiterhin in Frieden leben zu können. Nur wenige Teilnehmer, Morgause eingeschlossen, sahen in dieser Verbindung etwas erhabenes, freudiges. So trieb das Fest gemächlich dahin, bis es Mitternacht wurde. Die männlichen Festgäste wünschten Iridanus ein gutes Durchhaltevermögen, während die weiblichen Festgäste der Braut eine erfolgreiche Zeit wünschten.

Das Hochzeitsgemach war mit sich ringelnden Luftschlangen und großen, weißen Kerzen ausgeschmückt. Ein blütenweiß bezogenes Doppelbett mit vielen Federkissen und einer breiten Daunendecke erwartete das junge Paar. Der Geruch von anregendem Parfüm und Bienenwachs schwebte im Zimmer umher und kitzelte angenehm die Nasen der beiden. Iridanus war nicht sonderlich darauf aus, sich hier und jetzt vor der rothaarigen Hexe auszuziehen, die seine Frau geworden war. Doch irgendwann überwand er seine Scheu. Sie hingegen empfand nichts dabei, ihr geliehenes Brautkleid loszuwerden. Zehn Minuten später begann ihre wahrhaftige Hochzeitsnacht.

Iridanus fühlte sich berauscht, während seine Braut schier unersättlich war. Doch als sie voneinander abließen, um einige Verschnaufminuten zu haben, fühlte er, wie die Welt um ihn herum zu taumen begann. Er verspürte ein merkwürdiges Ziepen in der Haut und sah, wie aus Brigids Armen braune Federn wuchsen, während das Bett um sie herum immer rascher anschwoll. Dann meinte er, von einem violetten Blitz durchzuckt zu werden. Dann fand er sich auf dem Laken kauernd, mit schuppigen Beinen und Füßen, an denen vorne drei und hinten eine biegsame Zehe saßen. Unter seinem Kopf fühlte er etwas merkwürdiges, ebenso auf seinem Kopf. Neben ihm hockte so groß wie er selbst, ein braunes Huhn mit weißen Tupfern und schönen, langen Beinen und einem einladend aufgereckten Hinterleib. Dann hörte er das Huhn leise gurren und verstand es:

"Oh, hat mich der Fluch meiner Urahnin doch erwischt. Sie sprach einen Bann, daß alle ihre Töchter, Enkeltöchter und Urenkelinnen niemals einen Mann heiraten sollen, den sie nicht mit dem Herzen begehren und der sie auch nicht liebt. Passiert dies, müssen beide als Henne und Hahn die Nächte teilen. Und wenn einer von beiden verrät, was geschehen ist, müssen beide auch die Tage als Hahn und Henne zubringen. Nur der Tod kann das beenden."

"Verdammtes Miststück, daß hättest du sagen müssen", stieß Iridanus aus. Sein Ruf klang fast wie ein Krähen. Brigid stieß ihn mit dem rechten Flügel an und gackerte leise: "Nicht so laut, oder man erwischt uns so. Dann vergessen wir beide alles bisher erlebte und fühlen uns nur als Hahn und Henne."

"Du glaubst doch nicht, daß ich nachts als Hahn rumlaufen will. Verdammt! Wie kann man diesen Fluch umkehren?"

"Hat bisher keiner geschafft", erwiderte Brigid. "Wenn du oder ich verraten, was wir beide jetzt mit uns herumtragen, werden wir ganz und für immer zu Hahn und Henne. Ich wollte keine Henne sein. Deshalb konnte ich es dir nicht erzählen."

"Deine verdammte Mutter hätte das aber erzählen können. Die ist doch wohl glücklich verheiratet, mit diesem Muggel."

"Ja, aber dann wären alle ihre unverheirateten Töchter sofort zu Hühnern geworden. Mutter sagt, daß der Hof, auf dem sie lebt, deshalb Hühnergrund heißt, weil dort die Nachkommen all der lieblos geehelichten Töchter leben."

"Das ist der blanke Wahnsinn", stieß Iridanus aus. Dann beruhigte er sich wieder. Irgendwas in ihm rührte ihn an, diese Henne da vor sich nicht zu verlassen, bei ihr zu bleiben und zu beschützen.

"Meine Urahnin wollte allen das Schicksal ersparen, daß ihre eigene Mutter erdulden mußte. Der Fluch geht ganz sicher erst vorbei, wenn einer von uns beiden tot ist.Iridanus erkannte, daß er nun die Wahl hatte, mit Brigid die Nächte auf einer Hühnerstange zu verbringen, aber dann wohl nie die erhofften Kinder in die Welt setzen würde, oder sie oder sich zu töten. Denn wenn er irgendwem von dem Fluch erzählte, würde er alles bisher erlebte vergessen. Er zweifelte keinen Moment daran, daß Brigid ihm die volle Wahrheit gesagt hatte. Er hatte es in der Hand. Aber sie hatte ihn auch in der Hand. Sie konnte ihm alles abverlangen, was sie wollte. Denn es würde reichen, seinen Eltern oder deren Freunden davon zu erzählen. Blieb dann wirklich nur noch der Tod? Nein! Er wollte leben. So blieb ihm nur die Hoffnung, daß niemand herausbekam, was Brigid und er nun aufgeladen bekommen hatten.

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Malchius Bugminster, der unbedingt mit Megan Barley zusammengesprochen werden wollte, war ein stumpfsinniger, herrischer Kerl. Zur befohlenen Trauung war außer dem Struwelkopf Leech keiner aus seiner Verwandtschaft erschinen. Er hatte es nicht einmal für nötig befunden, seine Eltern zu informieren. Bevor er mit ihr in die Nacht der Nächte eintrat, nahm er sie unter den Imperius-Fluch, um sich von ihr alle Gefälligkeiten angedeihen zu lassen, die er von einer ihm aufgedrängten Mitesserin verlangen konnte. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte der dunkle Lord ihm nur die passenden Weiber hinstellen müssen, um diese wie ein rassiger Zuchtbulle mit Bälgern zu beladen. Warum ausgerechnet heiraten und mit diesem Weib dann die ganze Zeit die gemütliche Wohnung teilen?

Er genoß es, wie sie ihm voll und ganz zu Willen war. Doch als er sich im Körper eines Hahnes wiederfand, war der Spaß für ihn vorbei. Als Megan ihm dann noch was von einem Fluch der ganzen weiblichen Ahnenlinie auftischte, hätte er diese Ceridwen Barley am liebsten aus der Ferne verflucht. Doch wenn die von diesem Fluch nix erzählen durfte ... Er wollte auf keinen Fall jede Nacht ein Hahn sein. Das sollten die von der Abteilung für magische Familien ihm büßen, ihn mit einer über Generationen verfluchten Hexe zusammenzubinden. Was hatte Megan ihm gesagt. Wenn er starb, konnte sie wieder als Hexe die Nächte durchschlafen, bis sie einen liebenden Mann fand. Ebenso konnte er als Mann wieder mit anderen Frauen das Bett teilen, wenn sie tot war. Zwar drängte es ihn danach, mit der Henne zusammenzubleiben. Doch sein in zwanzig Jahren gereiftes Eigenständigkeitsbedürfnis hielt dagegen. Er wollte weder in der Nacht noch am Tag ein Hahn bleiben. Morgen früh mußte die verfluchte Braut dran glauben, wenn er wieder Hände hatte und einen Mund, mit dem ein bestimmter Fluch ausgerufen werden konnte.

Er wachte in der nacht, während Megan, die gerade eine Henne war, am Fußende des Bettes festgekrallt hockte und schlief. Er unterdrückte das Verlangen, das herannahende Morgenrot mit einem lauten Ruf zu begrüßen. Das gelang ihm nur, weil er mit seinem Schnabel fest in das Kissen biß. Dann, endlich, fühlte er die Rückverwandlung. Megan rollte vom Fußende auf das Bett und erwachte. Malchius nahm seinen Zauberstab vom Nachtschrank. Megan räkelte sich.

"Krepier du verfluchtes Miststück", dachte er, bevor er inbrünstig "Avada Kedavra" rief. Als der Todesfluch Megans Körper traf, fühlte er einen Ruck durch seinen eigenen Körper gehen. Doch außer daß Megan nun als Leiche auf dem Bett hingestreckt lag war nichts passiert. "Das erzähle ich denen vom Ministerium", schnaubte er wütend.

Er ließ Megans toten Körper ins Badezimmer schweben, wo er sie in einen Leinensack steckte. Dann frühstückte er erst. Gegen neun lud er sich die tote Braut über die Schulter. Irgendwie begann der Kadaver wie Hühnermist zu stinken. Doch das war wohl einbildung. Er apparierte in jenes Toilettenhäuschen, von dem aus es ins Ministerium ging. Das geschäftige Treiben kam abrupt zur Ruhe, als der bullige, schwarzhaarige Malchius Bugminster aus dem Kamin fauchte und als Bündel Wut und Entschlossenheit zu den Aufzügen stampfte. Was in dem grauen Leinensack steckte konnte hier jeder sehen. Yaxley kam angelaufen und starrte Bugminster an.

"Mal, was soll der Auftritt. Ich dachte, die Kleine hätte dir endlich gezeigt, wofür du noch zu gebrauchen bist."

"Die Kleine war mit einem uralten Fluch vergiftet", schnarrte Bugminster. "Ich mußte sie abmurksen, um nicht als Brathahn zu enden. Wenn Montague noch mal so tolle Ideen hat darf er gerne zum Duell gegen mich antreten."

"Ey, jetzt erst mal abkühlen. Was soll mit der sein. Du hast die umgebracht? Das war dir nicht erlaubt."

"Ach neh, Yax, das war mir nicht erlaubt", schnaubte Bugminster verächtlich. "Klar, ich sollte die mit möglichst vielen Bälgern beladen, um die von den Schlammblütern dankenswerterweise freigemachten Plätze in der Zaubererwelt zu besetzen. Aber das hätte eh nicht geklappt."

"tote kriegen keine Kinder, ist klar", knurrte Yaxley und ließ per Zauberstabwink den Sack aufreißen. Megans Körper plumpste heraus. Der Gestank nach Hühnermist wehte durch das Atrium. Mit einer weiteren Zauberstabgeste ließ Yaxley die Tote verschwinden. Dann ergriff er Malchius Bugminster mit der Todesser eigenen Brutalität. Malchius, härter im Austeilen als im Einstecken, verzog schmerzhaft das Gesicht, als er ruppig durch die angstvoll zur Seite hastende Menge geführt wurde.

Im Büro Yaxleys pflanzte Yaxley Bugminster auf einen Stuhl, aus dem sofort goldene Ketten herausfuhren und ihn fesselten.

"Bist du denn des Wahnsinns, hier mit einer Leiche im Sack über der Schulter aufzukreuzen?!" Polterte der Strafverfolgungsleiter des britischenZaubereiministeriums. "Montague hat für heute fünf Hochzeiten angesetzt. Die Paare sind teilweise schon da. Der dunkle Lord will, daß wir die magische Welt wieder reinigen. Reinigen heißt, reinblütige Hexen und Zauberer zusammenzubringen, um die Blutsverräter und Muggelstämmigen endlich aus der Welt zu kriegen. Du hast seit zwanzig Jahren dein Haus. Da kannst du zehn Bälger drin großziehen. Und die mittelgroße Barley hätte die Schande ihrer Mutter wettmachen können. Was sollte das gerade?"

"Die nette Ceridwen und ihre Vorfahren waren alle mit einem fiesen Fluch belegt, Yax. Wenn deren Töchter oder Nichten mit Männern zusammengesprochen werden, die sie nicht wollen, werden die in der Brautnacht zu Hennen, und die Bräutigame werden zu ... Kikereki!" Yaxley traute seinen Augen nicht. Kaum war Bugminster diese unglaubliche Sache über die Lippen gegangen, knallte es, und ein schwarz-roter Hahn mit zornig geschwollenem Kamm hockte auf der Sitzfläche. Die goldenen Ketten klirrten und rasselten auf der Suche nach dem Körper, den sie festhalten sollten. Der Hahn flatterte vom Stuhl. Yaxley sah die in sein Büro geschickte Tote. Dort, wo sie gelegen hatte, lag nur noch eine schlaffe, tote Henne herum. Yaxley sah den nun wild im Zimmer herumflatternden und laufenden Hahn. Dann löste sich die tote Henne auch noch in Luft auf.

"Verdammt, entweder hat uns die Blutschänderin ein riesengroßes Ei gelegt oder ihre Brut ist wahrhaftig verflucht", knurrte Yaxley. Das mußte er sofort Montague von der Familienstandsbehörde erklären. Zumindest gab es für die Tote genug Zeugen.

Die Nachricht, daß Malchius Bugminster einem heimtückischen Familienfluch zum Opfer gefallen war machte rasch die Runde. Die Gisbornes und Steedheads erhielten noch am selben Tag Besuch von Ministeriumszauberern. Dies führte dazu, daß die beiden andren Brautpaare unter dem Imperius-Fluch gezwungen wurden, das Geheimnis zu verraten. Dabei wurden jedoch nicht nur die beiden zu Hähnen und Hennen, sondern alle, die die erzwungene Offenbarung mit anhören konnten. Das Resultat war, daß die Steedheads aus York, die Gisbornes aus Lancaster und zehn zu den Todessern gehörende Ministeriumszauberer auf einen Schlag verschwanden, und statt ihrer aufgeregt gackernde Haushühner herumliefen und verstörte Hähne wild durcheinanderkrähten. Ceridwens Hühnerhochzeit war voll und ganz aufgegangen.

Bellatrix Lestrange, die in Abwesenheit Voldemorts die Todesserriege führte, fegte wie eine Furie auf der Jagd in Montagues Büro hinein.

"Du blöder Idiot, hast ausgerechnet die Barleys mit guten Familien zusammenpferchen wollen. Der Hühnerfluch ist nämlich schon einmal aufgetreten. vor zweihundertfünfzig Jahren wurde eine Ururgroßtante dieser Blutschänderin Ceridwen Barley mit Faunus Larkrest verheiratet, obwohl sie ihn nicht wollte. In der Hochzeitsnacht wurde sie zur Henne und er zum Han. Erst auf dem Sterbebett schrieb Larkrest dieses Geheimnis auf, weil der Fluch sie beide sonst für ein natürliches Hühnerleben in dieses Federviehzeug verwandelt hätte. Offenbar ist dieser Fluch immer noch wirksam. Jetzt sind zwei reinblütige Familien ausgelöscht, zehn Mitkämpfer krähen jetzt jeden Morgen nach der Sonne und Bugminster landet womöglich demnächst auf dem Hof eines Muggelbauern, weil er alles menschliche von sich vergessen hat. Mach dich drauf gefaßt, daß der dunkle Lord dich sofort sehen will, wenn er wieder im Land ist!"

Mrs. Lestrange, Sie haben kein Recht, mich in meinem Büro derartig anzukeifen", polterte Montague bedrohlich. "Der dunkle Lord und Zaubereiminister Thicknesse wollen haben, daß wir die reinblütigen Hexen und Zauberer in diesem Land wieder vermehren. Er will kein Durcheinander, sondern ordentliche Stammbäume. Das wissen Sie genauso wie ich. Und ich hatte den Auftrag, die Töchter dieser Barley - Bescheuerter Muggelname - mit passenden Jungs zusammenzutun. Konnte ich wissen, daß diese Weiber alle verflucht sind, nur mit denen gut zu leben, die sie auch haben wollen? Also beherrschen Sie sich gefälligst, wo Sie selbst doch bisher überhaupt nichts mit Hand und Fuß hinbekommen haben. Ich habe immerhin eine Tochter und einen Sohn. Und meine Tochter Rax ist seit sieben Jahren gut vermittelt, und mein Sohn hat sich selbst gerade verlobt."

"Sie wagen es?!" Schrillte Bellatrix und zog den Zauberstab. "Ich habe vom dunklen Lord selbst die klare Anweisung, seinen Willen in diesem Land zu vollstrecken. Ich bin seine Augen, Ohren, sein Mund und seine strafende Hand. Crucio!" Montague wurde von seinem Sitz gerissen und unter unerträglichen Schmerzen laut aufschreiend in der Luft gehalten. Erst dreißig Sekunden später gab Bellatrix ihn wieder frei. "Vergiss nicht, wem du dienst, kleiner Bastard!" Schnarrte sie. Dann sagte sie: "Alle Hochzeiten sind bis auf weiteres verschoben, bis die Familiengeschichten der Brautleute lückenlos auf ungewöhnliche Magie oder Ereignisse geprüft wurden. Wir können es uns nicht leisten, noch mehr reinblütige Familien zu verlieren."

"Wie Sie wollen, Mrs. Lestrange. Sollte er mich deshalb erneut tadeln, werde ich ihm sagen, ich hätte auf Ihren Befehl gehandelt."

"Dem sehe ich sehr gelassen entgegen", schnarrte Bellatrix verächtlich. Dann verließ sie Montagues Büro wieder. Dieser schickte sofort Eulen aus, die angesetzten Hochzeiten abzusagen oder den Brautleuten zu befehlen, bis auf weiteres getrennt von Tisch und Bett zu leben.

Bellatrix Lestrange mußte sich sehr zusammenreißen. Fast hätte sie Montague mit einem Fluch in tausend Stücke zerfetzt. Wie konnte der es wagen, ihr zu unterstellen, sie hätte sich nicht um reinblütigen Nachwuchs bemüht? Ähnliches hatten ihr Lucius und Narzissa schon vorgehalten. Niemand durfte wissen, daß diese Wiederkehrerin, Anthelia, mit magischer Brutalität ein Kind aus ihrem Leib gezerrt und dieses in einem verfluchten Baum eingesperrt hatte. Damit war sie bis auf weiteres unfruchtbar. Hinzu kamen die Jahre in Askaban, wo sie dergleichen auch nicht ausführen konnte. Tja, und außer einigen Liebesnächten mit Rodolphus, um ihren Hunger nach männlicher Nähe zu stillen, empfand sie ihn auch nicht unbedingt als den Zauberer an ihrer Seite. Doch der, den sie eigentlich verehrte, ja abgöttisch liebte, hatte sich jede Annäherung unmißverständlich verbeten. Hätte die oberste Todesserin Großbritanniens gewußt, daß ihre Angstgegnerin Anthelia bereits durch eigenes Verschulden vom Angesicht der Welt verschwunden war, womöglich hätte sie eine spontane Feier angesetzt.

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Daianira hatte eine Stunde gewartet, bis alle Schwestern, deren Blut sie aufgefangen hatte, die Höhle der Versammlung verlassen hatten. Sie hatte sie noch einmal eindringlich daran erinnert, daß ihr Gruß "Semper Sorores" bedeutete, daß sie für immer Schwestern waren. Jetzt stand sie alleine in der Höhle. Irgendwie fühlte sie sich so, als wandere sie durch einen feuchtheißen Dschungel. Eine Hitzewallung trieb ihr den Schweiß aus allen Poren. Das war doch nicht normal. Oder war es das innere Nachbeben der Freude, daß sie die gefährliche Gegenspielerin endlich los war? Anthelia hatte aus purer Überheblichkeit versäumt, sie kampfunfähig zu machen, bevor sie den Infanticorpore-Fluch ausrief. Das würde sie sich notieren, daß dieser Fluch gegen einen schwarzen Spiegel den lebendigen Körper des Uhrhebers restlos auflöste. Jetzt wollte sie die Beute heimbringen. Zwischen Anthelias Kleidungstücken schimmerte eine goldene Gürtelschließe heraus, und sie konnte eine im magischen Schutzglobus baumelnde Silberkette zwischen den Schließen des engen Mieders erkennen. Hatte dieses Flittchen sich doch nicht an die Übereinkunft gehalten, dachte Daianira zornig. Doch dann überwog wieder der Triumph, der schlagartig in eine Euphorie umschlug, die sie sehr lange nicht mehr empfunden hatte. Da war sie gerade erst achtzehn und von ihrer Großmutter Eileithyia vor Lady Gladia Gemmecrest geführt worden. Endlich durfte sie dazugehören, zu den erhabenen Schwestern. Ein ähnliches Hochgefühl war das jetzt, was sie erfüllte und ihren Herzschlag beschleunigte. Sie hatte Anthelia dazu gezwungen, sich mit ihr zu messen und war Siegerin geblieben. Dennoch war da etwas, was ihrer Siegesstimmung einen leicht bitteren Beigeschmack versetzte. Anthelia hatte sich aus der Welt geflucht, sie mit überschüssiger Lebenszeit womöglich verjüngt. Aber sie hatte vorher gute Mitschwestern auf ihre Seite gezogen, Pandora, Patricia und Donata. Womöglich waren es viele mehr, die dieser widernatürlichen Wiedergeburt auf den Leim gekrochen waren. Aber nein, ins Netz gegangen waren sie ihr. War es nicht eine schwarze Spinne gewesen, die auf dem Bekennerbrief prangte, in dem sie die Zergliederung Patricias gestanden hatte? Das sah einer von Sardonia erzogenen Kreatur ähnlich. Sie hatte der Schlange der Todesser eine Spinne entgegengestellt, einen Fallensteller und Lauerjäger. Sogesehen kein schlechtes Symbol für eine Schwesternschaft, die weltweit agierte und Heimlichkeit und günstige Gelegenheiten über jeden blindwütigen Aktionismus und brutale Gewalt setzte.

Die Sachen Anthelias waren bestimmt verflucht und nur für sie zugänglich gewesen. Wenn sie wissen wollte, wie diese widerliche Wiederkehrerin sich so überlegen fühlen konnte, ja vielleicht auch, wie sie ihren ersten Tod überdauert hatte. Sie mußte höllisch aufpassen. Es gab Flüche, die wirkten bei Berührung des Gegenstandes unverzüglich und tödlich. Andere drangen in arglose Menschen ein wie ein schleichendes Gift und formten deren Geist und Seele um. Andere übertrugen eine Verwandlung auf den, der die damit behexten Sachen anfaßte. Doch gegen sowas alles konnte sie sich schützen. Zuerst mußte sie die immer noch schlafende Tyche Lennox in ihr geheimes Haus zurückbringen. Morgen würde sie sie wecken, um sie zu fragen, ob sie der Schwesternschaft beitreten würde. Auch wenn dann die Gefahr bestand, daß sie lediglich den Unentschlossenen beitrat, sollte sie die Gelegenheit nutzen, eine Muggelstämmige mehr in die erlauchte Sororität zu holen.

Nachdem sie Tyche vor ihrem Haus abgelegt und mit einem Weckwort aus dem magischen Schlaf geweckt hatte, holte sie aus ihrem Haus im geheimen Garten, in dem ehemalige Feinde von ihr als Bäume und Büsche herumstanden, armlange, silberne Handschuhe, die innen mit Drachenhaut gefüttert waren und mit einer Anzahl von Fluchabweise- und Fluchhemmungszaubern belegt waren. Dazu nahm sie einen Sack aus Drachenhaut, der ebenfalls mit Fluchunterdrückungszaubern belegt war. Brechen würde sie die eingelagerten Zauber nur, falls sie diese nicht kontrollieren konnte. Doch erst als sie wieder in der Höhle stand und die immer noch frei in der Luft schwebende Zaubersphäre betrachtete, zog sie einen der Handschuhe über. Wieso meinte sie eigentlich, daß ihre Beine etwas schwerer waren als sonst? Womöglich forderte der Körper trotz der Verjüngung seinen Preis für das lange Duell. Doch zuerst wollte sie die Beute in Sicherheit bringen. Sie ließ die Kugel herabschweben und bei Bodenberührung in Nichts aufgehen. Dann zog sie sich beide Handschuhe an, klappte die Kiste auf und sammelte unbekümmert ein, was Anthelia als letzte Beweise für ihre Anwesenheit hier zurückgelassen hatte. Dabei erkannte sie ein Medaillon aus fünf segmentartig zusammengeschmiedeten Metallen und einem augenförmigen Rubin im Zentrum. Der grüne Gürtel mit der goldenen Schließe war mit druidischen Zeichen verziert, die für Dauerhaftigkeit, Unverwüstlichkeit und Gewährung standen, aber so angeordnet waren, daß sie wohl eher dunkler Magie als Fokus dienen sollten. "Soso, damit hast du dich also unverwundbar gefühlt", dachte Daianira. Das Medaillon wirkte auf sie, als blicke das Rubinauge sie an. Außerdem schien es dagegen anzukämpfen, in ihrer behandschuhten Hand zu liegen. Verfluchte Gegenstände taten dies oft, wenn sie ergriffen wurden. Sie kümmerte es nicht. Als sie die beiden Schmuckstücke und den silbergrauen Zauberstab im Sack hatte, prüfte sie die Kleidung auf Flüche oder andere Zauber. Doch die Kleidung war magiefrei. Sie fragte sich, ob sie den Umhang und die andren Sachen einfach verschwinden lassen sollte. Dann besann sie sich, daß sie den Umhang gerne wie die anderen Gegenstände als Beweise für den Sieg über Anthelia den restlichen Stuhlmeisterinnen präsentieren wollte. So nahm sie den Umhang mit. Nun war die Höhle wieder leer und still.

Daianira verstaute den Sack in ihrem geheimen Haus mit Garten und legte sich selbst dort zu Bett, nachdem sie einige Fernfluchabweiser verstärkt hatte. Es mochte immerhin sein, daß einige der Anthelianerinnen außerhalb der Schwesternschaft sie zu verfluchen versuchten. Als sie im Bett lag überkam sie eine große Müdigkeit. Es dauerte keine Minute, da war die Siegerin über Anthelia eingeschlafen.

Als sie wieder erwachte, schien bereits die Sonne, und sie fühlte sich irgendwie unwohl, als habe sie etwas verdorbenes gegessen. Sie schaffte es gerade noch in das kleine Seitenhäuschen, in dem eine Toilette und eine Waschschüssel standen, bevor sie ihr leichtes, aber nahrhaftes Abendessen zum größten Teil verdaut ausspie. Daianira erschrak, weil sie nach dem Duell diese merkwürdigen Empfindungen hatte. Erst die überwältigenden Gefühle wie in ihrer Jugend, die schweren Beine und die Hitzewallungen. Jetzt auch noch eine sich vorher nicht ankündigende Übelkeit am Morgen. Konnte das wirklich nur die ganze Aufregung und Anstrengung sein? Das mußte sie klären, bevor sie sich in etwas hineinsteigerte. Sollte sie ihre Großmutter aufsuchen? Nein, die würde sie erst wieder sprechen wollen, wenn Daianira den Entschlossenen den Rücken kehrte. blieb also nur ihre Cousine mütterlicherseits, Leda Greensporn. Die war ja gestern auch beim Duell dabei und ihr tatsächlich auch immer treu geblieben. So apparierte sie nach einem sehr umfangreichen Frühstück, das ihren Verdacht nochmehr bestärkte, in ihr offizielles Wohnhaus, wo sie die Apparitionssperre unterbrach und ihrer Cousine mentiloquierte, sie wolle sie noch einmal sprechen.

"Ich dachte mir schon, daß Ihr mich gerne noch mal sehen wolltet, Lady Daianira", begrüßte Leda Greensporn ihre Cousine. Leda war fünf Jahre jünger als Daianira. Doch jetzt wirkte sie fast so, als sei sie ihre Mutter. Wie die Führerin der entschlossenen Schwestern Nordamerikas besaß Leda haselnußbraunes Haar, jedoch keine hellgrauen, sondern dunkelgrüne Augen wie viele aus ihrer Familie.

"Okay, Leda, du bist eine der wenigen, die privat auf meine formelle Anrede verzichten dürfen", erinnerte sie Daianira an das, was sie nach dem Duell gegen Morgaine beschlossen hatten. "Wieso dachtest du dir, daß ich dich noch einmal sprechen wollte?"

"Anthelia hat dich mit Infanticorpore anzugreifen versucht, und du bist dabei jünger geworden. An und für sich wollte ich dich diese Nacht schon darauf ansprechen, daß da noch mehr passiert sein könnte."

"Einen gewissen Verdacht habe ich wirklich. Gestern hatte ich übermäßige Gefühlswallungen, fliegende Hitze und leicht schwere Beine. Heute morgen mußte ich mich erbrechen. Außerdem fühle ich ein merkwürdiges Spannen im Unterbauch und hier an den Brüsten", sagte sie und deutete auf ihre Oberweite. "Ich wollte jedoch ganz sichergehen, mich nicht in diese Empfindungen hineinzusteigern. Prüf bitte nach, ob oder ob nicht!"

"Oha, wenn das zutrifft, habt ihr beiden ein neues Kapitel in bioregenerativer Zauberei geschrieben", erwiderte Leda und holte aus ihrer Heilertasche einen Einblickspiegel und ein Vergrößerungsglas. Vorher machte sie jedoch mit dem Zauberstab einige Bewegungen vor Daianiras Unterleib. Sie runzelte die Stirn und fragte dann: "Hattest du in den letzten Monaten geschlechtlichen Verkehr mit einem Mann oder dir auf irgendeine Weise dessen Samen zugeführt?"

"Nein, habe ich nicht", schnaubte Daianira. "Du weißt selbst, daß meine letzte sexuelle Begegnung vor mehr als zehn Jahren stattfand und ich es nicht für nötig halte, mir die Saat eines fernen Mannes einzuflößen. Dann stimmt es also."

"Normalerweise müßte ich dich jetzt beglückwünschen, Daianira. Meine Untersuchung zeigt, daß du mindestens schon acht Wochen schwanger bist. Mal sehen, ob ich schon was genaues erkennen kann."

"Verdammt, dieses Weib hat sich mit dem Fluch direkt in meinen Bauch versetzt?" Keuchte Daianira. Leda machte Schschsch, um sich auf die Untersuchung mit dem Einblickspiegel zu konzentrieren. "Ja, ein ordentlich eingenisteter Embryo, auf dem Weg zum Fötus. Offenbar hat der Rückstoß des Fluches sie erst wiederverstofflicht, als sie einen geeigneten Körper zum Einnisten fand. Warst wohl zufällig auch gerade empfängnisbereit. Die spontane Verjüngung hat dich so umgewandelt, daß du sie im Zustand des Ungeborenen übernommen hast."

"Abbekommen, willst du wohl sagen. Eingefangen oder zugesteckt bekommen", schnarrte Daianira. Aus ihren Augen traten Tränen, Tränen der Wut, aber auch wegen der unerwarteten Lage. Sie war mit dem Gefühl ins Bett gegangen, das nichts lebendiges mehr von Anthelia übriggeblieben war.

"Überschwengliche Gefühle sind leider auch die Begleiterscheinungen", grummelte Leda. Daianira holte mit der rechten Hand aus, um der Cousine eine Ohrfeige zu versetzen. Doch diese fing die Hand ab und hielt sie fest. Mit der anderen Hand verstaute sie den Einblickspiegel wieder. "Na, das ist aber nicht förderlich, die Heilerin und Hebamme zu schlagen."

"Du glaubst doch nicht im Ernst, daß ich jetzt - wieviele Wochen noch? - mit diesem Überbleibsel Anthelias in mir herumlaufe, es füttere und fühle, wie es in mir anschwillt, sich bewegt und dann unter allen Schmerzen aus mir rausdrängt. Ich weiß wie der Trank der folgenlosen Freude geht, den manche Hexe trinkt, wenn sie mehr als eine Woche nicht an Kontrazeptivelixiere herangekommen ist. Damit werde ich dieses Stück Fleisch schnell wieder los und ..."

"Oh, mit solchen Ankündigungen darfst du weder mir noch einem anderen Heiler kommen. Jetzt, wo ich weiß, daß du ein Kind trägst, muß ich dafür sorgen, daß es auch wohlbehalten heranreift und geboren wird. Außerdem wissen wir nicht, ob Anthelias Geist in diesem Winzling überhaupt verblieben ist. Er könnte sich verflüchtigt haben. Dann würdest du ein unschuldiges, menschliches Wesen ermorden. Gut, das wäre dann wohl nicht das erste Mal, fürchte ich. Aber wenn du mich schon herzitiert hast, um dir diese offenbar nicht so freudige Nachricht zu übermitteln, hoffe ich doch mal, daß du das Baby als einmalige Chance siehst."

"Einmalige Chance, daß ich alte Schachtel noch ein Balg in die Welt setze und dieser französischen Massenmutter altersmäßig überlegen bin?" Schnarrte Daianira sarkastisch.

"Nicht alle, die Anthelia gefolgt sind waren oder sind Mitglieder unserer Schwesternschaft. Sie hätten also kein Problem damit, sich an dir zu rächen, wenn sie erfahren, daß du sie aus der Welt getrieben hast. Solange sie glauben mmüssen, daß sie durch ihren verpatzten Fluch aus dir neu geboren werden kann, ist das Baby deine Lebensversicherung. Zweitens könnte das Baby ohne Anthelias Wissen und Erfahrung wiedergeboren werden. In diesem Winzling ist noch nicht genug Gehirnmasse, um einen erwachsenen Verstand aufzunehmen. Das ginge erst bei Neugeborenen. Dann könntest du sie als deine Tochter zur Welt bringen und mit deinen ganz eigenen Werten und Ansichten prägen, ohne daß sie je wieder auf Sardonias Pfaden wandeln will. Und falls ihr Geist doch irgendwie in ihr erhalten bleibt, wie es Infanticorpore ja bewirkt, könntest du sie dir trotzdem gefügig halten, weil sie nur durch dich wieder ins Leben zurückkehren konnte."

"Ich denke nicht, daß sie mir danken wird, falls sie wiedererwacht und erfährt, daß ich, ihre Todfeindin, sie neu ausgebrütet habe. Sie hätte sich garantiert eine andere dafür ausgesucht", schnaubte Daianira.

"Womöglich bist du auch nicht die, die sie neu empfangen sollte, Daianira", wandte Leda ein. "Ich vermute, der Begrenzungskreis hat die Form, in der sie außerhalb deines Körpers verwandelt war nicht nach draußen gelassen. So bliebst nur du als geeigneter Auffangbehälter übrig." Daianira schnaubte. "War mir klar, daß dich das jetzt verärgert. Aber rein Ablaufsmäßig bist du das, sofern du dich und den ultrajuvenilierten Rest ihres Seins als mehr siehst als als lästiges Zusammensein. Ihr habt ja jetzt schon was gemeinsames. Sie will nicht deine Tochter werden, und du willst nicht ihre Mutter werden."

Daianira ärgerte zwar die lockere Haltung Ledas. Doch dann fiel ihr ein, daß es vielleicht gar nicht so schlecht war, von den körperlichen Beschwerden und Strapatzen abgesehen. Wenn sie Anthelia wiedergebar, vollendete sie erstens ihr zweites Leben und konnte zweitens mit einem Zauber vor der Geburt sicherstellen, daß Anthelia mit oder ohne ihr früheres Bewußtsein keine Gefahr mehr für sie darstellen würde. Allerdings empfand sie den Umstand, mit Anthelias zurückverjüngtem Körper in anderen Umständen zu sein auch als eine merkwürdige Laune des Schicksals, eine Art Strafe. Und als wenn Leda diesen Gedanken gerade selbst dachte sagte diese:

"Sollte Anthelia mit ihrem Bewußtsein wiedergeboren werden kannst du ihr ja erzählen, daß es die gerechte Strafe für ihre maßlose Überheblichkeit war und sie sich bloß als braves Mädchen verhalten solle, um nicht wem anderen noch einmal untergejubelt zu werden, vielleicht Nirvana Purplecloud."

"Ich habe dir offenbar zu viel aus meinem Leben anvertraut, Leda. Aber ich vermute, daß ich Anthelias Körper nur einmal so weit wiederverjüngen kann. Falls sie mit ihrem Bewußtsein da unten rauskommt", wobei sie ihren Unterleib berührte, "hätten sie und ich ganz ungewollt eine andere Methode des Iterapartio-Zaubers gefunden. Und bei dem, liebe Leda, geht es ja genau darum, den Geist eines magisch schwerkranken in einem lebendigen Körper zu halten."

"Ich sage es noch einmal, jetzt, wo ich weiß, daß du ein Kind trägst, werde ich darauf achten, daß es auch zur Welt kommt. Hast du nicht einmal gesagt, daß wir von der Schwesternschaft selbst die Gefährtin eines Feindes nicht anrühren dürfen, wenn sie dessen Kind trägt?" Daianira nickte. In ihrem Kopf rotierten gerade diverse Zahnräder. Dann sagte sie entschlossen:

"Ich stimme zu, Leda. Falls Anthelia wie bei Iterapartio ihren Geist in diesem Körper behält, soll sie das als sehr einschneidende Lektion erkennen, sich nicht noch einmal derartig hochmütig mit anderen Leuten anzulegen."

"Es freut mich das zu hören. Im Gegenzug verspreche ich dir, daß du während der noch bald sieben Monate so gut und beschwerdefrei wie es geht gehalten wirst."

"Ich möchte dich nur bitten, es nicht der Heilerzunft auf die Nase zu binden. Ich möchte nicht haben, daß irgendwer außerhalb der Schwesternschaft davon erfährt. Für die restliche Welt ist Anthelia spurlos verschwunden."

"Ich fürchte, Großmutter Thyia wird das nicht so einfach hinnehmen, daß ihre Enkeltochter ihre letzte Duellgegnerin in aller Heimlichkeit zur Welt bringen will, wo sie gute Aussichten hat, zur Leiterin der Honestus-Powell-Klinik zu werden, falls Wishbones Hexenablehnung nicht auch die Heilerzunft infiziert. Dann gebe es weltweit drei Hexen als Chefinnen ihres Hauptheilzentrums. Ich gehe sogar davon aus, daß Lady Roberta bereits über Umwege von deinem Duell erfahren hat. Du hast nämlich versäumt, alle zum Stillschweigen anzuhalten. Und wenn es Lady Roberta weiß, erfährt es auch Oma Eileithyia."

"Ich war offenbar zu siegestrunken", schnaubte Daianira.

"Da du dier aber deinen Heiler aussuchen kannst und mich damit beauftragt hast, dich sicher zu betreuen, kann Oma Thyia nichts dagegen einwenden. Vielleicht ist sie auch froh, wenn sie die Sache so weit wie möglich unter Verschluß halten kann. Es muß auch keiner wissen, das Anthelia sich selbst bei dir eingenistet hat und jetzt bangt, ob du sie mit diesem verwerflichen Trank in den Abfluß spülst oder ihr verzeihst, daß sie böse zu dir war und ihr hilfst, ein besseres Leben zu führen."

"Sardonias Weg der gewaltsamen Herrschaft ist der falsche", erwiderte Daianira. "Ich scheue nicht davor zurück, gegen Feinde zu kämpfen, wenn es sich nicht vermeiden läßt. Aber ich will unsere Welt als eine Welt der Überzeugung und nicht der Unterdrückung. Vielleicht war es dieser Unterschied, der Donata und die Stratons in die Arme dieser lebensanhänglichen getrieben hat."

"Das wir nur reden und nicht machen", seufzte Leda. "Ich hoffe nur, daß die meisten Schwestern verstanden haben, daß die Welt nicht mit geflügelten Monstern verbessert werden kann."

"Sie behauptete ja andauernd, sie hätte diese Bestien wegen dieser anderen Monster nachgezüchtet. Aber sie hat unschuldige Mädchen dafür geopfert, die vielleicht wünschten, besser tot zu sein als so weiterzuleben."

"Ich weiß nicht so recht, Daianira. Ich hörte da Gerüchte aus Frankreich und Italien, daß dort wirklich solche Schlangenwesen herumlaufen sollen, die gegen Magie und Gewalt immun sind. Der Emporkömmling ist ein Parselmund. Er könnte sie leicht unter Kontrolle halten wie einen Basilisken. Ich höre mich gerne noch einmal um."

"Wenn in Frankreich was dergleichen herumläuft finde ich das schneller heraus als du, Leda. Ich spreche einfach mit Schwester Peggy."

"Oh, zu der wollte ich auch hin. Larissa ist ja richtig schnell auf die Beine gekommen." Die beiden Hexenschmunzelten. Denn ihnen war beiden klar, warum Larissa sich so schnell entwickelte.

"Ich gehe dort hin und frage nur wegen der Schlangenmenschen, die Anthelia angeblich bekämpfen wollte. Mehr muß Schwester Peggy im Moment nicht wissen", sagte Daianira. Leda verstand. Dann holte sie ein kleines buntes Buch heraus, das eine bereits hochschwangere Hexe zeigte und "Gemeinsame Monate - Leitfaden für die junge Hexenmutter" hieß. "Das verteilen wir kostenlos. Apropos Wiederverjüngung, weißt du zufällig, wie alt Anthelias Körper war, als ihr euch Duelliert habt?"

"Wenn sie wahrhaftig Barty Crouch Juniors Körper übernommen hat zwischen dreiunddreißig und vierunddreißig. Wieso?"

"Weil du dann um genau diese Jahre jünger geworden bist. Dann bist du ganz und gar im gebärfähigen Alter. Muß ich schließlich genau beachten, weil Erstgebärende altersabhängig gut mit der Schwangerschaft und Geburt zurechtkommen. Ansonsten wäre es das für die Anamnese, also die Erörterung über deinen Gesundheitszustand, Daianira. Ich komme dann in einer Woche wieder zu dir, falls sich keine unverschuldeten Beschwerden einstellen und du mich früher benötigst. Finger weg vom Trank der folgenlosen Freude!"

"Verschwinde, bevor ich finde, dein Gedächtnis zu verändern und diesen Trank ohne dein Wissen zu nehmen!" Knurrte Daianira. Da verschwand Leda.

"Dann bin ich dich also nicht ganz losgeworden, Anthelia. Aber du mich auch nicht", dachte Daianira verdrossen. Doch um ihren Mund lag ein triumphales Lächeln. Sie hatte Anthelia in ihrer Gewalt, ob sie ihren Geist behalten hatte oder nicht.

Unter dem Vorwand, ihren Großneffen Roderic zu besuchen reiste sie am Samstag nach Viento del Sol. Bei der Gelegenheit suchte sie Peggy Swann auf, die sie bereits aufgeregt empfing.

"Lady Daianira, ich fürchte, die Wiederkehrerin hatte recht, was diese Schlangenmonster angeht. Madame Eauvive vermeldete mir heute morgen, daß um Millemerveilles welche aufgetaucht sind und die denen ähneln, die vor Halloween auch versucht haben, in das Haus Catherine Brickstons einzudringen", mentiloquierte Peggy auf Sicht, bevor sie die Besucherin in das abhörsichere Wohnzimmer führte, wo die kleine Larissa gerade noch ein dickes Buch unter einem Kissen verschwinden ließ und kleinkindmäßig singend herumsprang. Daianira fühlte, wie die Mitteilung neue Gefühlswallungen in ihr auslöste. Sie mußte dagegen ankämpfen. Mochte es vielleicht doch stimmen, was Anthelia die ganze Zeit behauptet hatte. Sie war verunsichert, aber auch zornig. Denn sollte es so sein, daß Peggy von der Magieresistenz dieser Bestien schon länger wußte, hätte sie das gestern bestätigen können oder schon vor drei Wochen. Peggy fühlte, daß Daianira auf diese Nachricht sehr gereizt reagierte und berichtete schnell, was sie wußte. Es war so, wie Daianira vermutet hatte. Peggy hatte bereits vor mehreren Wochen erfahren, daß es diese Schlangenmonster wirklich gab. Larissa trällerte derweil ein Kinderlied. Das regte Daianira auf. Sie fauchte Peggy an: "Sag deiner Mutter, sie kann mit diesen Albernheiten aufhören. Ich weiß ja eh bescheid, verdammt noch mal!" Larissa verstummte, scheinbar weil Daianiras Stimme so laut und erzürnt klang. Peggy grinste nur und sagte belustigt: "Oh, wenn du da nicht die Rollen verwechselst. Die Frau, die gebiert ist die Mutter, und das Mädchen, das geboren wird ist die Tochter."

"Sofern sie nicht ihre Rollen tauschen, weil die Mutter von einem schweren Fluch erkrankt ist und ihre Tochter sich aufopfert, ihr neues Leben zu geben", schnarrte Daianira. "Ich bin absolut nicht in der Stimmung, eure nach außen so nötige Scharade mitzumachen, Schwester Peggy. Du hättest mir wesentlich früher sagen müssen, daß in Frankreich solche Bestien aufgetaucht sind. Dann hätte ich mit der Wiederkehrerin vielleicht eine Übereinkunft getroffen. Ich fürchte nämlich, daß dieses Weib recht hat und nur fliegende Wesen diesen Geschöpfen etwas anhaben können. Und jetzt ist die einzige, die diese Entomanthropen kontrollieren kann nicht mehr da."

"Es muß andere Möglichkeiten geben, Lady Daianira", erwiderte Peggy.

"Ich pflichte dir bei, daß die Opferung von unschuldigen Mädchen, um die Königinnen zu erschaffen, unzulässig war. Aber jetzt sind diese Wesen da. Und bevor wir sie restlos auslöschen, hätten wir sie gegen diese Schlangenwesen einsetzen können. Das geht jetzt nicht mehr."

"Du hast mit Anthelia gestern das Herausforderungszeremoniell gemacht. Niemand hätte dir oder ihr da hereinreden dürfen, Lady Daianira."

"Nun, das Kind liegt im Kessel", erwiderte Daianira und stutzte, weil das im Bezug auf Ledas Bemerkung vom Auffangbehälter ja gerade paßte. "Ich hoffe, die französischen Mitschwestern können einen Weg finden, diese Kreaturen in Schach zu halten."

"Didier heizt allen ein. Es ist schwierig, frei zu atmen. Man könnte meinen, er will Thicknesses Marionettenregime übertreffen."

"Dann rege ich bei Lady Roberta an, daß wir eine Vollversammlung aller Stuhlmeisterinnen einberufen. Hast du sie darüber informiert, was du weißt?"

"Möchtest du ihr erzählen, daß du Anthelia im Duell vernichtet hast?" Wollte Peggy wissen.

"Eher so, daß diese über ihre eigene Überheblichkeit gestolpert ist", sagte Daianira überlegen lächelnd. "Das wird sie freuen."

Als Daianira immer noch erzürnt das runde Haus mit dem Silberdach verlassen hatte sagte Larissa zu ihrer Mutter: "Du könntest doch recht haben, Mom. Wenn die Wiederkehrerin ihren eigenen Infanticorpore fünfmal so stark um die Ohren bekommen hat, könnte Daianira als einzige im Begrenzungskreis verfügbare Hexe sie aufgefangen haben und jetzt mit ihr unter dem Herzen herumlaufen. So unbeherrscht kenne ich die gute Daianira ja nicht."

"Dann bliebe nur die Frage, meine Tochter, ob Anthelias Persönlichkeit in Daianira neu heranreift oder sie ein wirklich unschuldiges Baby zur Welt bringt, das sie als eigenes Kind großziehen kann, ohne sich von diesem anmeckern lassen zu müssen, wie blöd das ist, dauernd herumgetragen und gewickelt werden zu müssen."

"Dann hätten die einen dunklen Weg gefunden, wo wir beide uns einander anvertrauen mußten, Mom", erwiderte das kleine Mädchen, in dem bereits der gereifte Geist einer älteren Hexe wohnte. "Tja, und wenn Anthelias Geist doch in diesem neuen Körper steckt hoffe ich mal, daß sie die Zeit in der guten Daianira richtig genießt und ihren hochmut verliert, bevor Daianira sie wieder rauslassen muß."

"Redn wir besser nicht drüber, Larissa! Es könnte ja auch sein, daß wir uns irren."

Daianira saß nun bei sich im geheimen Haus und untersuchte die von Anthelia "geerbten" gegenstände. Dabei stellte sie fest, daß der Zauberstab mit Einhornblut imprägniert war und auf einen bestimmten Träger abgestimmt worden sein mochte. Als sie damit zu zaubern versuchte, gelang ihr überhaupt nichts. Der Gürtel schien zu leben, wenngleich er sich nicht von selbst bewegte. Irgendeine schlummernde Kraft steckte in ihm und schwang ganz sacht im magischen Rhythmus. Die vielen zugenähten Taschen gabenihr ein Rätsel auf. Was war darin. Selbst mit einer Durchblickbrille konnte sie das nicht sehen, weil die Verzierungen in der Gürtelschnalle jeden Durchdringungszauber abwiesen. Wenn der Gürtel wahrlich Unverwundbarkeit vermittelte, so mußte er vielleicht auch auf den Träger eingestellt werden. Sie untersuchte ihn auf ihr bekannte Flüche. Zwar war ihr das Geflecht von Zaubern innerhalb des Gürtels nicht geheuer. Sie erkannte jedoch keinen eindeutig schädlichen Fluch. Das mochte nichts heißen. Lieber ließ sie ihn erst einmal unangetastet. Das Medaillon erschien ihr als Magiekonzentrator und beherbergte fünf ineinandergreifende Hauptkräfte, die durch den Rubin im Zentrum gebunden und zentriert wurden. Hier fand sie auch das, was ihr damalss, im ersten Duell mit Anthelia, den wertlosen Sieg beschert hatte. In dem Rubin war eine Essenz gefangen, die eindeutig aus dem Blut von Vampiren gewonnen und durch Flüche und Zauber eingeschlossen wurde. Deshalb mochten sich das Sonnenmedaillon und dieses Medaillon auch nicht. Der vampirische Anteil darin übertrug sich wohl beim Umhängen auf den Träger und wurde verstärkt. Das war also das Geheimnis, warum Anthelia das Sonnenmedaillon floh oder von diesem vertrieben wurde. Aber wozu das? Konnte sie damit ihre Alterungsgeschwindigkeit verzögern ... oder war das eine andere Form von Horkrux? Nach den Schilderungen über Horkruxe wußte sie, daß die mit Splittern aus der Seele eines Schwarzmagiers belegten Objekte beim längeren Gebrauch pulsierten wie schwarzmagische Vorläufer der Zuneigungsherzen. Tatsächlich ging von dem Medaillon ein eindeutig schwarzmagisches pulsieren aus. Solange sie es mit den Antifluch-Handschuhen hielt, konnte der Zauber nicht auf sie einwirken. Es versuchte nur, sich dagegen zu stemmen, allerdings zu schwach. Anthelia war ohne Umweg über Neuempfängnis und Geburt in einen anderen Körper eingezogen. Womöglich hing das mit dem Medaillon zusammen. Sie setzte es vorsichtig verschiedenen Einflüssen aus. Sie versuchte es zu erhitzen. Es blieb unbeeindruckt. Säure tropfte ohne einen Hauch von Verätzung zu hinterlassen daran herunter. Schläge mit einer Axt machten nur die Axt kaputt, und zerquetscht werden konnte es auch nicht. Also war es unzerstörbar gemacht worden, vielleicht von Kobolden, womöglich aber auch innerhalb eines druidischen Steinkreises. Sie wußte aus den vielen Büchern, die sie gelesen hatte, daß die Druiden ihre Steinkreise als Magiekonzentratoren verwenden konnten, um mächtige Zauber auf Menschen, Dinge oder Landschaften zu legen. Wo konnte Anthelia dieses Ding herhaben? Hatte sie es schon in Frankreich bekommen oder erst in England? Schade das Pandora nicht mehr lebte. Die hätte es ihr womöglich erklären können. War sie es am Ende doch sogar gewesen, die dieses Ding gefunden und Anthelia damit den zweiten Körper ... was für ein Verrat an der Schwesternschaft wäre das gewesen, dachte Daianira und fühlte Wut in sich aufwallen. Sie mußte sich wieder in die Gewalt bekommen. Diese ihr aufgezwungene Schwangerschaft durfte sie nicht wie ein halbausgegorenes Schulmädchen reagieren lassen. Sie hatte siebenundsechzig Jahre erlebt. Gut, ihr Körper war durch Anthelias letzten Fluchversuch nur noch halb so alt. Das war wohl die Mietvorauszahlung, dachte Daianira sarkastisch. Dann konzentrierte sie sich wieder auf das Medaillon. Wenn Anthelia ihre Seele darin hatte zwischenlagern können, war es jetzt wohl ungefährlich, weil Anthelias Seele ja in Barty Crouches umgewandelten Körper übergewechselt sein mußte. Ob es ein Fluch war, was in dem Medaillon steckte wußte sie nicht. Aber sie ritt der Teufel, es umzuhängen. Wenn sie dabei starb, nahm sie eben alles mit, was von Anthelia übrig war. Falls nicht, vielleicht konnte sie es dann als Entschädigung für das geraubte Sonnenmedaillon und die Umstellung ihres Lebens behalten. Sie prüfte noch einmal die silberne Kette. Dabei stellte sie fest, daß diese doch mit einem Fluch imprägniert war. Wer diese Kette trug verband seinen Körper mit der Magie des Medaillons, die dann ohne Widerstand wirken konnte. Doch sie war an einem Punkt angekommen, wo sie nicht mehr ohne Ausprobieren herausfinden konnte. So hängte sie sich das Medaillon um.

__________

Die Geduld hatte sich ausgezahlt. Tage lang waren die Wertiger durch das Land gelaufen. Tagsüber als Menschen, nachts in Tigergestalt. Sonnenglanz kannte die typischen Schwingungen des Nagabapu-Stabes. So konnten sie am sechzehnten November das Lager der Schlangenkrieger aufstöbern. Sie hätten zwar gerne auch den Stab selbst gefunden. Doch er und der, der ihn gestohlen hatte war unaufspürbar. Offenbar war er zu weit fort von hier, irgendwo auf dem Festland. Alle außer den Wellingfords, die als Brückenkopf in London bleiben sollten, umringten nun das Lager. Die Nacht brach an, die Zeit für die gestreiften Jäger. Auf einen Gedankenbefehl hin verwandelten sich alle in Tiger, wobei Sonnenglanz und Feuerkrieger auf einer Anhöhe Aufstellung nahmen, um die nun bevorstehende Vernichtungsschlacht überblicken zu können. Sie konnten das verfallene Haus sehen, in dem sich wohl die Krieger Nagabapus versteckt hielten. Feuerkrieger sah mit seinen geschärften Augen genau hin. Da kam einer von diesen Schlangenmenschen heraus. Offenbar suchte er nach Essen. Feuerkrieger gab den telepathischen Befehl, das Reptilienmonster zu viert anzugreifen und auseinanderzureißen. Selbst diese unverwüstlichen Schlangenkrieger konnten nicht gegen alles immun sein.

Sofort stürmten vier neue Mitbrüder los. Es zeigte sich wieder, daß die nach der Geburt mit dem Keim versehenen Clanmitglieder wesentlich blutrünstiger waren als jene, die mit dem Keim im Körper geboren wurden. blitzartig packten sie zu und versuchten, den Schlangenmenschen zu vierteilen. Dieser war jedoch wie Gummi. Die Monsterkatzen zerrten und rannten rückwärts. Doch der überwältigte Krieger wurde nur lang und breit gezogen. Weitere Nagabapu-Krieger stürmten aus der Behausung, um ihren Kameraden zu helfen. Feuerkrieger schickte weitere Pulks seiner Mitbrüder los, um anzugreifen. Da zerriß der erste endlich, nachdem sein ganzer Körper mindestens dreißig Meter in die Länge gezogen worden war. Dabei schlugen blaue Blitze aus dem zerfetzten Leib, der wie ein gerissenes Stahlband auf die Vierteiler zurückschlug.

"Das geht tatsächlich", schickte Sonnenglanz Feuerkrieger zu. Die ersten Angreifer mußten sich aus der blutigen Masse herauswinden und stürzten sofort auf einen weiteren Schlangenkrieger los, der gerade aus dem Lager kam. Da die Vierteilungstaktik tatsächlich erfolgreich war, gab es innerhalb von zwanzig Sekunden nur noch sechs Schlangenkrieger. Eine halbe Minute später waren es nur noch drei. Denn bei jedem vernichteten Schlangenkrieger wurden vier weitere Tigerclanbrüder frei. Doch dann tauchte diese Frau mit den dunklen Haaren auf und schleuderte einen Feuerball. Dieser zerplatzte jedoch wirkungslos im Pulk der Tiger, die gerade den vorletzten Schlangenkrieger angingen. Der letzte wühlte sich in die Erde und grub sich wie ein Regenwurm ein. Da kamen Männer auf Hexenbesen angeschwirrt, die große Behälter daran hängen hatten. Einige trugen sogar Raketenwerfer, wie Feuerkrieger mit Entsetzen erkannte.

"Die kommen uns mit Brandbomben!Rückzug! Alle weg da! Zerstreuen! Weg in alle Richtungen!" schickte er telepathische Befehle aus. Da explodierten auch schon die ersten nichtmagischen Feuerbälle und legten innerhalb von zwei Sekunden einen Flammenteppich über das Gelände.

"Habt ihr Auswurf reudiger Katzen euch echt eingebildet, hier im Land des Dunklen Lords ungestraft zu jagen!" Schrillte die Unbekannte, bevor sie mit einer Bewegung ihres Zauberstabes ein Gerät mit einem Rohr und einem Tank aus dem Nichts holte. Die anderen Tiger versuchten schon, sie anzugreifen. Doch der Brandbombenangriff hatte sie bereits in wandelnde Fackeln verwandelt. Die ersten Todesschreie gellten bereits. Sonnenglanz zuckte zusammen, weil die letzten geistigen Impulse sterbender Mitbrüder sie trafen. Feuerkrieger sah sich schnell um. nur zwei Mitbrüder waren dem Feuerangriff entgangen und flohen in verschiedene Richtungen. Doch sie wurden von Leuten auf Besen verfolgt, die gerade die Raketenwerfer ausrichteten.

"Die Dinger kenne ich, mit Infrarotsucher. Haken schlagen!" Kommandierte Feuerkrieger. Die beiden entfliehenden befolgten den Befehl sofort. "Um die Feuerquelle rumlaufen! Jetzt!" Rief er seinen Brüdern noch zu. Da feuerten die Besenreiter auch schon Raketen ab. Die beiden Tiger wichen den heranschwirrenden Geschossen aus, die nun, wo sie das eigentliche Ziel verloren hatten, genau in die lodernden Flammen hineinfuhren.

"Das kennen die nicht", triumphierte Feurkrieger und lotste die beiden fliehenden Brüder so, daß sie immer in der Nähe des Feuers blieben, aber genug Platz zum ausweichen hatten. Bald hatten die Raketenschützen ihre Munition sprichwörtlich verfeuert. Dann kamen wieder welche mit Brandbomben. Feuerkrieger befürchtete, daß es Napalm war, der berüchtigte Bombenbrennstoff, der vor allem in Vietnam zur schrecklichen Berühmtheit gelangt war. Die beiden letzten Brüder schafften es jedoch, dem zweiten Abwurf zu entgehen und in der Dunkelheit unterzutauchen. Sonnenglanz behielt die Besenreiter im Auge. Sie kreisten in immer weiteren Spiralen über den Brandherden. Die Hexe mit dem Flammenwerfer ließ sich von vier Fliegern mit Flammenwerfern absichern. Ein Überraschungsangriff war also nicht möglich. Sie warteten noch etliche Minuten, bevor die Flieger und die Hexe verschwanden. Der Schlangenmensch blieb unter der Erde. Sonnenglanz fühlte, wie er sich schnell entfernte. Offenbar kam er unter der Erde genauso schnell voran wie darauf. Um ihn einzuholen müßten sie durch das immer noch lodernde Feuer laufen. Das war jedoch keine gute Idee, fand Feuerkrieger. So versuchten sie um die Flammen herumzuhetzen und den flüchtenden zu jagen. Doch dieser hatte bereits zu viel Abstand gewonnen und war sogar nun unter massivem Gestein. Da kamen sie nicht mehr an ihn heran. So befahl Feuerkrieger, die Verfolgung aufzugeben und sich am Treffpunkt zu sammeln. Offenbar waren sie hier in eine Falle geraten. War ja auch nicht so schwer zu erraten gewesen, wo die Wertiger zuschlagen wollten.

"Der Viererangriff ist gut, Feuerkrieger. Damit können wir sie kriegen. Irgendwann werden sie sich wieder aus ihren Löchern trauen", schnurrte Sonnenglanz, als sie mehrere Dutzend Kilometer entfernt das Auto erreichten, das Wellingford beschafft hatte. Sie verwandelten sich wieder in Menschen und stiegen ein.

"Die haben das raus, daß Magie bei mehreren von uns auf einem Haufen nicht mehr zieht. Die schwarze Hexe hat 'nen Flammenwerfer hergezaubert. Die sind also von diesem Typen informiert worden.

"Die vermehren sich wohl wie wir", seufzte Sonnenglanz, während Feuerkrieger den Wagen auf der linken Fahrbahnseite auf eine Autobahn steuerte.

"Dann müssen wir uns auch wieder vermehren. Vielleicht kriegen wir diesen Voldemort-Typen doch noch zu fassen, wenn du den Stab wieder spüren kannst." Ein komisches Knistern erfüllte den Wagen. Mehr passierte nicht. Feuerkrieger fuhr mit 80 Stundenkilometern weiter. Da sah er im Rückspiegel sechs vermummte Männer mit Zauberstäben auftauchen. Sie blickten sich um und gerieten dabei fast unter einen Lastwagen. Deshalb mochten sie den nun davonbrausenden Rover nicht beachtet haben.

"Mist, wo kamen die denn her?" Fragte Feuerkrieger verdutzt.

"Weiß nicht. Die kamen, als du den Namen dieses Magiers genannt hast."

"Ach, läuten dann bei dem die Alarmglocken? Ey, dann probier ich mal was", sagte Feuerkrieger, beschleunigte und fuhr solange schweigend, bis sie eine Gruppe Lastwagen überholten. Als sie einige Dutzend Meter vor ihnen fuhren sagte Feuerkrieger "Voldemort, wo bist du?" Wieder knisterte es. Er trat noch mehr aufs Gas. Tatsächlich materialisierten sich keine vier Sekunden später sechs verwegen aussehende Leute ... und wurden in jeder Hinsicht platt, als einer der im Convoy fahrenden 40-Tonner sie fast ungebremst erwischte.

"Reevanche für die Feuerfalle, ihr Saftheinis", frohlockte Feuerkrieger. Das da mal eben sechs Männer getötet worden waren berührte ihn nicht. Auch der Schock des Lastwagenfahrers ließ ihn kalt. Er hatte sechs Feinde erledigt, ohne selbst kämfen zu müssen. Hirn über Muskeln.

"Sind die tot?" Fragte Sonnenglanz.

"Dafür haben die fünfzehn Brüder von uns weggeputzt, Sonnenglanz. Mal sehen, ob wir das diese Nacht wieder ausgleichn können."

"Die werden lernen und weiter vor uns auftauchen", sagte Sonnenglanz.

"Dann müssen wir diesen Antimagieblock machen."

"Das führt die aber auch zu uns nach London", entgegnete Sonnenglanz. Das mußte Feuerkrieger dann doch einsehen. Aber die Erkenntnis, daß sie bei Nennung des komischen Namens Voldemort sechs Zauberer herbeirufen konnten war sorgfältig im Kopf zu behalten. Auf diese Weise konnten die verbliebenen Wertiger auch neue Brüder gewinnen oder Beute machen. Denn daß die Zauberer in den Kapuzenumhängen ihre Feinde waren setzte sie auf die Speisekarte der Jagdtouristen aus dem indischen Dschungel.

__________

Das Dröhnen und der Blitz waren so abrupt zu einem schwarzen weiten Raum geworden, daß sie nicht einmal hätte sagen können, ob sie das nicht alles geträumt hatte. Im Moment fühlte sie nur ein sachtes Pochen in sich, konnte sich aber nicht bewegen, weder sehen noch hören. Sie war hier gefangen. Dann fühlte sie Widerwillen, wollte von etwas weg, was nicht greifbar war. Dann, mit einem Schlag, fand sie sich in ihrem Körper wieder. O Nein, es war nicht ihr Körper. Vor allem bewegte dieser sich ganz ohne ihr Zutun. Sie stemmte sich gegen die fremden Bewegungen. Doch ihre Willenskraft fand keinen Halt. Sie war eindeutig nicht mehr in ihrem Körper, erkannte sie. Daianira hatte sie tatsächlich besiegt, durch ihre, Anthelias, eigene Vermessenheit, nicht zuerst einen Bewegungsbann oder Schockzauber auf sie zu legen, um sie von ihrem Zauberstab fernzuhalten. Sie hätte ihr doch den Stab wegnehmen und in die Luft steigen lassen sollen. Doch jetzt half alles Lamentieren nichts. Sie war aus ihrem vernichteten Körper in das Seelenmedaillon zurückgekehrt. Oder doch nicht ganz. Normalerweise hätte sie jetzt den anderen Körper bewegen und peinigen können, sofern Daianira nicht von sich aus auf sie eingehen würde. Doch diese Kraft fehlte ihr. Jeder versuchte Schmerzangriff verpuffte wie ein Schlag in leere Luft. Einige Sekunden wußte sie nicht, ob sie jetzt Daianira unterworfen war oder nicht. Dann versuchte sie, mit ihr zu kommunizieren. Verbale Gedanken strömten aus dem Medaillon direkt in Daianiras Geist ein. "Gratulation, Daianira. Du hast mir das Medaillon und den Körper weggenommen, weil ich zu siegessicher war. Chapeau!" Sie fühlte, wie Daianiras Hand nach dem Medaillon griff. Irgendwie hatte Anthelia das Gefühl, nicht genau in diesem Artefakt zu stecken.

"So, du hast deinen Geist darin verankert. Dann werde ich das Ding besser wieder ablegen", schnarrte Daianira. Anthelia fühlte schon, wie der Kontakt mit der Hexenlady verschwamm, als sie noch ein "Warte bitte" an sie absetzen konnte. Der Kontakt stabilisierte sich. Doch Anthelias Macht war nur auf Wahrnehmung und worthafte Gedanken beschränkt.

"So, worauf, daß du versuchst, mich geistig zu übernehmen. So hast du doch bestimmt diejenige benutzt, die dir den Körper Barty Crouches verschaffen sollte, nicht wahr?"

"Das war nicht nötig. Sie wollte mit mir Kontakt haben", sprudelte es aus Anthelias gefangenem Bewußtsein. Sie fühlte jene unterdrückte Platzangst, die sie seit ihrer ersten Geburt wie ein düsterer Schatten verfolgte und immer wieder von ihr zurückgedrängt werden mußte. Sie hatte keine Macht über Daianiras Körper und damit keine Handlungsmöglichkeit.

"So, wer war es denn?" Schnarrte Daianiras Gedankenstimme.

"Dreimal darfst du raten, Daianira", schickte Anthelia zurück.

"So, dreimal. Können ja nur drei sein, von denen ich weiß, daß sie dir ins Spinnennetz gegangen sind. Donata hatte die letzten zehn Jahre dauernd hier zu tun. Gleiches gilt für Patricia Straton. Kann also nur die selige Pandora gewesen sein, die für dich ihr Leben gelassen hat."

"Und für dich und Nyx", schickte Anthelia zurück. "Wie hast du es angestellt, das Medaillon zu kontrollieren?"

"Ich habe es mir nur umgehängt, nachdem ich ermittelt habe, daß der in der Kette wirkende Verbindungsfluch keine unmittelbare Gefahr darstellt." Anthelia hhörte Daianiras Lachen mit den Ohren der Hexenlady. "Du hast also versucht, mich zu unterwerfen, und es ist dir nicht gelungen. Pech für dich."

"Das Medaillon ist bezaubert, daß nur ich seine ganze Macht ausschöpfen kann. Wer es gegen meinen Willen trägt, kann von mir gequält werden", ließ Anthelia heraus und versuchte es noch mal. Wieder blieb ihr Angriff wirkungslos. Daianira lachte nur. Dann sagte sie mit körperlicher Stimme.

"Soso, gegen deinen Willen. Sind wohl schlechte Nachrichten für dich, wie. Dann habe ich eine gute für dich: Ich habe alle deine Sachen aus der Höhle mitgenommen und gut verstaut, den Gürtel, den du wieder unsere Vereinbarung mitgebracht hast, genau wie das Medaillon, daß dir die Zähigkeit eines Vampirs verliehen hat und deinen silbernen Zauberstab. Achso, übrigens, in ungefähr zweiunddreißig Wochen darfst du Mom zu mir sagen, oder auch Maman, wenn dir das besser liegt. Dein nettes kleines Abschiedskunststück hat dich nämlich in ein Ungeborenes im zweiten Monat zurückverwandelt, das verzweifelt nach einer es annehmenden Momma gesucht hat und bedauerlicherweise bei mir hängengeblieben ist. Wahrscheinlich kannst du mir deshalb nichts, weil dein Körper jetzt zu meinem dazugehört. Also sei hübsch brav, sonst werfe ich dein Schmuckstück weg und trinke den Trank der folgenlosen Freuden."

"Was? Ich bin -? Du bist mit mir -?"

"Geschwängert worden, ja", stieß Daianira aus. "Öfter mal was neues. Ich ging davon aus, zu viel um die Ohren zu haben, als die entsprechende Vorarbeit dazu machen zu können. Aber meine Hausheilerin hat mir bestätigt, daß dein Körper gut bei mir eingezogen ist. Ich denke, dein Geist wird wieder richtigen Halt in deinem Körper finden, wenn er weit genug dafür entwickelt ist und du Sinneseindrücke mit ihm verspüren kannst."

"Verstehe. In Ordnung, Daianira. du hast gewonnen. Leg das Medaillon ab und spül meinen ungereiften Körper mit dem Trank der folgenlosen Freuden aus dir heraus. Dann kannst du verkünden, daß du das Duell gegen mich gewonnen hast."

"Das habe ich bereits verkündet. Morgen werde ich Lady Roberta einen Besuch abstatten und ihr erzählen, daß du keine Gefahr mehr für die Welt bist. Wer hat schon angst vor einem Ungeborenen?"

"Dann lösch diesen kleinen Rest meines Lebens auch aus!" Stieß Anthelia aus. Sie fühlte diese Platzangst wieder. Sich vorzustellen, in Dunkelheit in einem immer engeren Raum festzusitzen und zu allem Übel noch durch einen viel zu engen Kanal gedrückt zu werden erschien ihr als Alptraum. sie wußte, daß ihre erste Geburt sie fast getötet hätte, weil sie in Steißlage auf die Welt wollte. Auch die Vorstellung, Daianiras Körpergeräusche hören zu müssen und ganz und gar von ihr abhängig zu sein behagte ihr nicht. So stieß sie nach: "Den Duellregeln nach mußt du mich endgültig töten, wenn ich verloren habe. Ja, und ich habe verloren. Ich gebe zu, daß mich die Vorstellung berauscht hat, dich als wimmernden Säugling zu sehen. Erweise mir bitte mehr Gnade!"

"So, du würdest den Tod als Gnade empfinden", lachte Daianira. "Gut zu wissen. Das erleichtert meine Entscheidung, dich neu auf die Welt zu bringen, damit du das zweite Leben, das du durch einen Trick bekommen hast, anständig anfangen kannst. Aber wo wir beide schon eine gewisse Verständigungsgrundlage haben, Anthelia: Wie gedachtest du die Schlangenmenschen mit den Entomanthropen zu töten. Das es sie gibt weiß ich jetzt. Ich habe es aus einer vertrauenswürdigen Quelle."

"Das hättest du schon lange vorher haben können. Dann müßten wir beide uns jetzt nicht derartig zur Last fallen", gedankenschnaubte Anthelia. Ihr Versuch, auf die alten Regeln hinzuweisen war genauso nach hinten losgegangen wie der Fluch, der ihren Geist jetzt zum großen Teil im Seelenmedaillon festhielt und zu einem winzigen Teil in einem nur wenige Zentimeter großen Geschöpf, das irgendwann mal ein Mensch sein würde.

"Den Gedanken hatte ich auch", erwiderte Daianira. "Aber so können wir beide alle aufgeworfenen Streitpunkte klären und als Mutter-Kind-Gespann gegen den Emporkömmling bestehen. Immerhin hat er diese Schlangenmonster geweckt."

"Du brauchst mich nicht mehr", versuchte Anthelia erneut, die ihr drohende Wiedergeburt abzuwenden. "Meine Entomanthropen bekämpfen sie schon. Ich erteilte ihnen den Auftrag dazu, bevor ich mich auf das Duell einließ."

"Soso, dann wolltest du sie nicht vernichten, wenn ich die Unterlegene gewesen wäre?"

"Doch natürlich, wenn es keinen Grund mehr für ihre Existenz gibt. Dies gelobte ich."

"Wie kontrollierst du die, die es schon gibt?" Fragte Daianira.

"du brauchst sie nicht mehr. Ich habe sie gut abgerichtet."

"Gut, da du dich offenbar schon an eine Rolle als ungezogenes Mädchen herantastest werde ich das Medaillon ablegen und es erst in sagen wir mal sechs Monaten wieder anlegen, sofern du bis dahin nicht von selbst zu Bewußtsein gekommen bist. Es sei denn, du bleibst in diesem Medaillon gefangen. Dann stimmt es. Dann brauche ich dich nicht mehr. Weil dann werden diese Schlangenmenschen wohl die ganze Welt erobert haben, ohne, daß ich was dagegen hätte ausrichten können. Ich weiß nämlich, daß deine Lieblinge nicht winterfest sind. Wenn es wirklich viele von diesen Schlangenwesen gibt, muß ich sie gezielt angreifen können, wenn ich sie finde. Wenn deine Entomanthropen vor kälte nicht mehr ausschwärmen können werden sich diese Echsenungeheuer wohl ungehindert ausbreiten können. Wolltest du das wirklich?""

"Offenbar wolltest du das, weil du mich bedroht und Tyche entführt hast. Wo ist sie?"

"Wieder bei sich zu Hause. Ich habe sie gestern noch einmal besucht. Sie wollte mir glatt was antun. Aber ich habe ihr nur angeboten, sie bei Lady Roberta vorzustellen und ihre Fürsprecherin zu sein. Sie hat abgelehnt. Da bin ich gegangen. Schade. Eine Muggelstämmige hätte uns und nicht nur den Entschlossenen, viel über die magielose Welt zeigen können."

"Ich verstehe, was du meinst", erwiderte Anthelia. Dann teilte sie Daianira mit, daß sie zur Kontrolle der Entomanthropen einen bestimmten Bernstein benutzen sollte, den Anthelia im Versteck des Spinnenordens aufbewahrte. Was sollte es jetzt. Denn Ihr eigentliches Ziel war vorerst unerreichbar geworden. Sie würde die Weltordnung nicht so schnell ändern, nicht, solange sie auf die Geborgenheit dieser doch eher zögerlichen Hexe angewiesen war.

So betrat am Nachmittag des siebzehnten Novembers eine haselnußhaarige Hexe die Vorhalle der alten Daggers-Villa, die dort eigentlich auf gar keinen Fall willkommen sein sollte. Sie holte den Entomolithen aus einem Schlafgemach. Weil Daianira ohne Anthelias Aufforderung den Menschenfindezauber ausführte, entging ihr der einzelne Mensch in einem anderen Schlafgemach nicht. Anthelia erzählte ihr auf dem Weg zurück in das Geheimversteck der Hexenlady, daß es Dido Pane war. Da Lady Daianira wußte, wer zu den Panes gehörte und keine Dido dabei war, grinste sie verhalten. Anthelia fühlte die Gesichtsregung.

"Contrarigenus, nicht wahr. Du wolltest unbedingt eine dir ergebene Schülerin aus der Pane-Sippschaft haben, wie", erkannte Daianira. "Nun, ich denke, ich werde sie nach dem Europaausflug aus dem Zauberschlaf wecken und in deinem Namen weiter unterrichten. Ich gehe davon aus, daß du sie nicht nach Thorntails schicken wolltest."

"Nein, das habe ich nicht vor."

"Die haben auch genug um die Ohren in Thorntails", erwiderte Daianira.

Sie schrieb Leda Greensporn, daß sie wegen der Entomanthropen und Schlangenmenschen nach Frankreich reisen wolle, wo sie bei der Mitschwester Louisette Richelieu logieren wolle, falls die neue Stuhlmeisterin der Entschlossenen sie nicht in ihrem Gästehaus beherbergte. Dann besuchte sie noch Lady Roberta Sevenrock, die von den Ereignissen der letzten Tage wahrhaftig schon gehört hatte. Dort traf sie auch ihre Großmutter Eileithyia Greensporn.

"Mädchen, du machst echt sachen", sagte die nun einhundertsechzehn Jahre und zwei Tage alte Hexe. "Du schickst mir eine Eule zum Geburtstag und duellierst dich an diesem Tag mit einer höchstgefährlichen Hexe und kannst nur von Glück reden, daß sie zu übermütig war und sich selbst für die nächsten Monate aus der Welt geschafft hat. Ich habe dir immer schon gesagt, daß du den falschen Weg gewählt hast. Aber du wolltest ja nicht auf mich hören."

"Ob euer zögerlicher Weg besser ist bezweifle ich, Oma Thyia. Aber ich weiß jetzt zumindest, daß es richtig war, Morgaine zu entmachten. Denn wenn ich nicht erst auf sie gehört hätte, wäre Anthelia heute mit ihr verbündet. Die hätte der Wiederkehrerin doch glatt aus der Hand gefressen. So trage ich jetzt die Verantwortung, daß Sardonias Erbe nicht zu einer neuen verachtenswerten Tyrannei führt", sagte Daianira. Sie hatte das Medaillon nicht mitgenommen. So würde Anthelia es nicht mitbekommen, was sie sagte und hörte. "Nenne es vorsehung, Schicksal oder Glücksfall, Großmutter und Schwester. Weil ich bin, was und wie ich bin, haben wir jetzt nur noch einen großen Widersacher auf der Welt. Die unberechenbare Feindin schlummert nun in mir ihrer Neuwerdung entgegen."

"Leda wird auf dich aufpassen, Daianira. Aber versprich mir, daß du die Fehler Anthelias nicht wiederholen und kein Regime der Angst aufbauen wirst."

"Ich hätte Morgaine bestimmt nicht zum Duell gefordert, wenn ich dies wirklich vorhätte", entgegnete Daianira. Lady Roberta wünschte ihr viel Erfolg im Kampf gegen die Schlangenwesen und eine störungsfreie Schwangerschaft. Dann verließ Daianira das Anwesen Lady Sevenrocks.

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Tim Abrahams war beunruhigt, als er von den Wertigern hörte. Auch das sie nun in Großbritannien waren gefiel ihm nicht. Im Moment wohnte er noch bei Sophia Whitesand im Whitesand Valley, genau wie seine Frau und seine zwei Schwägerinnen. Zumindest hatte er erfahren, daß der Trick mit der Hühnerhochzeit geklappt hatte. Das hatte dazu geführt, das die Ehezwangfanatiker Voldemorts ihre Verkupplungspläne einstweilen auf Eis legen mußten. Immerhin waren durch Schwiegermutter Ceridwens tolldreisten Trick zwei fanatische Todesserfamilien ohne Mord und Totschlag ausgelöscht worden. Blieben also nur noch die Wertiger und die Umbridge-Kommission, die weiterhin Muggelstämmige jagte und verurteilte. Er bedauerte es sehr, in diesem langsam winterlich werdenden Tal herumzusitzen und nichts tun zu können. Er wäre sofort bereit gewesen, auch unter Einsatz seines Lebens, Martha Andrews und dieser Muggelstämmigenhilfstruppe weiterzuhelfen. Er fragte sich, wie es den vier Schülern ging, die jetzt in den Staaten weiterlernten. Was machte der Bursche, der seine Freunde aus Hogwarts herausgeholt hatte, jetzt wo es wohl auch in Frankreich immer dunkler zuging? Wie lange würden sie sich noch verstecken müssen, bis sie wieder hinaus durften, aus Sophia Whitesands verstecktem, stillen Tal?

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"Wir haben beschlossen, dich aufzunehmen. Wenn du einverstanden bist, schreibe ein Ja auf den Zettel. Falls nicht, schreibe ein Nein", las Linda auf einem kleinen Zettel, der um sieben Uhr am Morgen des 20. Novembers von einem Sperlingskauz gebracht worden war. Linda Knowles mußte nicht mehr überlegen. Seit Tagen spukten ihr die Liste, Nachstellungen der Wiederkehrerin und deren Entomanthropen durch den Kopf. So schrieb sie ein Ja auf die Rückseite des Zettels und hängte ihn der Winzeule an. sie wollte ihn gerade loslassen, um dem Vogel den Rückflug zu ermöglichen, als dieser und sie am Zettel festklebend in einen Farbenwirbel hineingerissen wurden. Linda hatte schon einige Male Portschlüsselreisen gemacht und kannte die sicht- und fühlbaren Randerscheinungen, wie das Ziehen an ihrem Nabel und den Sturz durch eine Flut von Farben. Dann schlug sie der länge nach hin. Ihre Finger kamen von dem Zettel los. Die Eule sauste erschreckt piepsend davon.

Sie war mitten in einem rechteckigen Saal gelandet, der mindestens zwanzig Meter lang, zwölf Meter breit und vier Meter hoch war. Mannshohe Fenster auf halber Höhe der Wände ließen das noch spärliche Tageslicht hereinfallen. Sie hörte schlagende Herzen, Luft ein- und ausatmende Lungen und sah mindestens zwanzig Hexen in unterschiedlichen umhängen an einem langen Tisch. Hinter ihr erhob sich ein Eichenholzportal. Ihr gegenüber, vor Kopf des langen Tisches, saß eine Hexe in dunkelblauem Seidengewand, die Linda Kannte. Das war Roberta Sevenrock. Die Reporterin erhob sich und verdrängte den Wunsch, sofort zu disapparieren. Von Rechts trat ihr eine Hexe entgegen, die sie vor wenigen Tagen erst gesprochen hatte, Eileithyia Greensporn. Überhaupt erkannte sie einige Hexen am Tisch. May Tylor, Donata Archstone, und auch Eva Gladfoot. Die meisten anderen waren ihr jedoch unbekannt. Irgendwie hatte sie erwartet, auch Daianira Hemlock in dieser Runde zu treffen. Doch die war nicht hier.

"Lady Roberta, wie ich Euch verhieß, möchte sich diese Hexe, Linda Knowles, unserer erhabenen Gemeinschaft anschließen", sagte die hundertsechzehnjährige Heilerin. "Wenn sie dich aus ehrlicher Überzeugung und freiem Willen darum bittet, bitte ich dich als ihre Fürsprecherin darum, sie aufzunehmen." Sie legte Linda die Hand auf die rechte Schulter.

"Führe sie bitte zu mir, Schwester Eileithyia", sagte Roberta Sevenrock. Das war also die Oberste der Schweigsamen, dachte Linda. Sie sah freundlich und einladend herüber, keineswegs streng oder verbittert. Linda ließ es geschehen, daß die Heilerin, die für sie gesprochen hatte, vor den thronartigen Stuhl der rundlichen Hexe führte. Dort fragte Roberta Sevenrock sie nach ihrem vollen Namen, was sie von Beruf war und warum sie dieser Gemeinschaft beitreten wollte. Dann fragte Roberta die anderen, ob sie Einwände hätten. May und Donata sahen einander an. Womöglich mentiloquierten sie auch. Keine der wohl zwanzig Hexen erhob einen Einwand. Im Gegenteil, einige schienen mit der Aussicht wunderbar zurechtzukommen, die neugierige, langohrige Linda Knowles in dieser Runde einzuschwören und damit alle Aktivitäten geheimhalten zu können.

"Linda Knowles, da keine meiner vertrauten Mitschwestern einen Grund vorbrachte, dir nicht die Frage zu stellen, ob du aus freien Stücken und ehrlicher Überzeugung zu uns kommen möchtest, frage ich dich jetzt: willst du unserer geheimen Gemeinschaft von Hexen aus allen Zweigen der Magischen Gesellschaft angehören?"

"Ja, ich will", erwiderte Linda. Sie kam sich vor wie vor dem Zeremonienmagier bei einer Hochzeit.

"Und wirst du jedes Wissen um das, was in dieser Gemeinschaft geschieht, sowie die Kenntnis ihrer schwesterlichen Mitglieder bewahren und nicht in Wort, Schrift, Bild oder Gedanken zum Zwecke der Enthüllung und Zerstörung der Gemeinschaft preisgeben?

"Ja, das will ich", sagte Linda. Sie fühlte, wie der Boden unter ihr leicht erwärmt wurde.

"Wirst du dein Wissen und deine Erkenntnisse den sich dir offenbarenden Schwestern überlassen, wenn sie dich darum bitten?" Linda zögerte ein wenig. Dann beantwortete sie auch diese Frage mit "Ja, das will ich."

"So heiße ich dich willkommen, Schwester Linda. Sei fortan eine von uns! Genieße das Wohl und den Schutz unserer Gemeinschaft! Erweise dich des Vertrauens deiner Fürsprecherin, Schwester Eileithyia, immer und überall würdig. Verrate sie nicht! Verrate mich nicht! Verrate auch keine der anderen!" Mit diesen Worten wedelte Roberta Sevenrock mit dem Zauberstab vor Linda, die von sich aus auf die Knie fiel, was bei den anderen ein amüsiertes Lachen auslöste.

"Das war zwar nicht wirklich nötig, Schwester Linda. Aber ich erkenne deine Respektsgeste wohlwollend an. Steh bitte wieder auf. Ich kann mich eher nach oben strecken als runterbeugen", erwiderte Roberta Sevenrock. Dann wies sie der eingeschworenen Novizin einen Platz am Tisch zu. Linda wandte zwar ein, daß es bald acht Uhr sei und sie da schon in ihrem Büro sein müsse. Doch Lady Roberta erwiderte darauf nur: "Du solltest auch nur Platz nehmen, damit der Saal dich als zutrittsberechtigte anerkennt. Schwestern, wir treffen uns dann heute Abend um zehn Uhr wieder. Seht zu, daß ihr eure Männer und Kinder, sofern vorhanden, da alle ins Bett bringt. Ich denke, wir haben mit unserer neuen Schwester eine Menge interessanter Dinge zu besprechen."

Als die Gemeinschaft sich per Disapparition aus dem Saal entfernte fragte Linda Roberta, was ihr passieren würde, wenn sie doch ausplauderte, wo sie war.

"Dann wirst du alles vergessen, was du soeben miterlebt hast, auch das Interview mit Eileithyia, da diese dich zu uns brachte, Schwester Linda."

"Nur noch zwei Fragen, falls ich darf." Die Lady der Schweigsamen nickte. "wie könnt ihr mich vor der Wiederkehrerin schützen. Sie hat mich schon mehrmals heimgesucht."

"Zu diesem Punkt möchte ich dir erst am Abend ausführlich berichten", vertröstete Lady Roberta die neue Schwester.

"Dann möchte ich nur noch wissen, ob eine gewisse Daianira Hemlock auch zu dieser Gemeinschaft gehört."

"Ja, tut sie. Doch sie ist im Moment im Ausland. Näheres auch am Abend", vertagte die Lady der Schweigsamen auch diese Antwort.

Linda verbrachte den Tag mit Artikeln über die Außenpolitik Wishbones und was die Spieler der Windriders ihr nach dem letzten Spiel erzählt hatten. Diesmal hatte sie auch ein Interview mit Brittany Forester erhalten, die als Vorgeberin in die Stammauswahl der Windrider vorgerückt war.

Am Abend tauschten die Schwestern, zu denen jetzt auch Linda Knowles gehörte, ihre Informationen aus. Linda erfuhr dabei auch, was in den letzten Tagen so welterschütterndes passiert war und wurde darin bestätigt, daß sie wohl ein Köder Wishbones sein sollte, um sie und die anderen zu unbedachten Handlungen zu verleiten. Wohl auch deshalb, und weil längst nicht klar war, wie die Wiederkehrerin mit ihr umgesprungen wäre, wenn Linda ihr spärliches Wissen über die Liste vorher preisgegeben hätte, war sie so schnell aufgenommen worden. Das übrige hatte Mrs. Greensporns Bericht besorgt. Immerhin hatte sie Linda einen ganzen Arbeitstag genauso befragen und studieren können wie diese sie. Erst gegen eins konnte Linda in ihr kleines Haus in Viento del Sol zurückkehren und den benötigten Schlaf finden.

ENDE

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