INVASIONSVERSUCH

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Julius Latierre ist nicht wohl dabei, als er mit seiner jung angetrauten Frau Mildrid nach Beauxbatons zurückkehrt. Sein Geburtsland wird von dem schwarzen Magier Voldemort und ihm treu ergebener Gefolgsleute beherrscht. Seine Freunde in Hogwarts müssen mit unmenschlichen Maßnahmen rechnen. Magische Menschen, die nichtmagische Eltern haben, werden als Zauberkraftdiebe verunglimpft und von Voldemorts neuer Kettenhündin Dolores Umbridge in äußerst fragwürdigen Gerichtsprozessen abgeurteilt. Die meisten landen in Askaban, wo keine wirklichen Verbrecher mehr einsitzen. Er bekommt von Gloria Porter mit, daß sogar die neuen Hogwarts-Erstklässler gefangengenommen und verschleppt werden, während sie mit dem Hogwarts-Express zur Schule fahren, die nun von Dumbledores Mörder Snape geleitet werden soll.

Diese ganzen düsteren Dinge beschweren die Seele des jungen Zauberers, der ja selbst nichtmagische Eltern hat. Hinzu kommt noch, daß er nun stellvertretender Saalsprecher ist und daher die Einhaltung der Schulordnung und Verhaltensregeln sichern muß. Vor allem sein Klassenkamerad Hercules Moulin macht ihm diese Arbeit nicht leicht, weil dieser aus Wut und Trotz immer wieder Verletzungen der Schulregeln begeht. Daß er es sich dabei auch mit seiner Freundin Belisama verscherzt macht die Lage nicht angenehmer. Dann ist da noch ein neuer Lehrer für Magische Tierkunde, der einen hohen Anspruch an die körperliche Form seiner Schüler stellt und damit bis zu einer von den Saalsprechern durchgedrückten Entscheidung Madame Maximes Strafpunkte für mangelnde Fitness vergibt. Dabei hätte dieser Lehrer fast die ganze Schule in Gefahr gebracht, weil zwei sehr gefährliche Zaubertiere unzureichend abgesichert waren.

Madame Maxime und Professeur Faucon möchten nicht untätig zusehen, wie Voldemorts Handlanger gegen sogenannte Muggelstämmige vorgehen und beschließen die Neuauflage der Sub-Rosa-Gruppe, um heimlich die vorhandenen Kontakte nach England zu nutzen und den Verfolgten Hilfe zukommen zu lassen, auch wenn sie bis auf Julius selbst nicht dorthin reisen können. Der neuen Sub-Rosa-Gruppe gehören neben den beiden höchsten Hexen von Beauxbatons auch Gabrielle Delacour, Millie Latierre, Catherine Brickston und Julius Latierre an, sowie dessen magielose Mutter Martha, die zur ersten der wohl häufiger stattfindenden Sitzungen durch den Kamin geschmuggelt wird.

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Na komm schon! Wenn du mich willst mußt du schon schneller sein! Ich finde, dieser grobe Kerl da soll ruhig erst mal zeigen, ob er wirklich schnell und stark genug ist. Wie hat die jüngere Barbara den gerufen? Perseus. So heißt der grobe Muskelsack, der die anderen von mir weggeschubst hat und meinte, gleich auf mich draufspringen zu können. Aber ich war da noch nicht so weit. Zumindest hatte ich da echt noch keine Lust. Aber ich merk es jetzt, daß ich das jetzt will. Irgendwie ist mir die ganze Sache noch etwas widerlich. Aber ich hab mir das so ausgesucht, weil Julius sonst in diesem Körper geblieben wäre.

Muuaaauuuuuuuuu!!! Ein bißchen ruhiger hätte dieser Bursche das doch anfangen können. Aber jetzt hat er mich und ... ouuuuuh! Wußte gar nicht, wie wild ... wie grob ... wie schön .... ja! Weiter so!

Ja, er ist stark und hält gut durch. Fünfmal treffen wir uns, und jedes Mal wurde das richtig schön. Ich finde das jetzt nicht mehr unheimlich, von diesem strammen Kerl genommen zu werden. Hoffentlich verlieb ich mich nicht in den. Der hat davon ja keine Ahnung. Jetzt geht's nicht mehr zurück. Wenn ich echt jetzt zwei Jahre lang ein Kind von dem tragen muß, dann soll das eben so sein.

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Barbara Latierre, die jüngere hörte das erst schmerzerfüllte und dann richtig leidenschaftliche Brüllen, Schnaufen und Schnauben, während sie aus sicherer Entfernung zusah, wie Perseus, der drittälteste Zuchtbulle, über Artemis vom grünen Rain herfiel. Sie fragte sich dabei, was die bis dahin noch ohne Kalb gewesene Latierre-Kuh empfinden mochte. War es nur der reine Paarungsdrang, oder mochte Artemis die Zusammenkunft mit Perseus wie menschliche Liebe empfinden? Merkwürdigerweise regte sie dieser Gedanke angenehm an. Sie erschrak fast, als ihr klar wurde, daß sie in diesem Moment zum ersten Mal darüber nachgedacht hatte, wie aufregend und urtümlich es sein mochte, sich wie eine Latierre-Kuh fortzupflanzen. Keine großen Beziehungsdebatten. Keine langen Vorreden. Keine Absprachen für davor, dabei und danach. Sollte sie diejenige, die unerwartet in Artemis Körper eingezogen war um diesen massigen Leib beneiden oder sie bedauern?

"Babs, wo steckst du?" Hörte sie die Gedankenstimme ihrer Schwester Béatrice ziemlich stark in ihrem Kopf.

"Westweide. Perseus hat Artemis gerade soweit gekriegt, daß sie ihn an sich ranläßt."

"Ja, dann laß du mich jetzt mal ran, um zu sehen, ob sich bei dir alles wieder auf Normalumstand eingepegelt hat", schickte Béatrice zurück. "In fünf Minuten in deinem Schlafzimmer!"

"Wie heißt das?" Schickte Barbara Latierre ungehalten zurück.

"In fünf Minuten in deinem Schlafzimmer, Babs", wiederholte Béatrice. "Sonst schicke ich Hipps Schwiegermutter zu dir."

"Diese viel zu kurze Alte? Unverschämtheit! Du hast gewonnen, Trice." Barbara grummelte mißmutig. Sich von der jüngeren Schwester rumkommandieren lassen zu müssen, weil sie gerade vor fünf Monaten Zwillinge geboren hatte und diese langsam entwöhnen wollte, wo Trice selbst noch nicht einmal eine Beziehung mehr als ein halbes Jahr überstanden hatte ... Sie disapparierte von der Westweide und hoffte, daß Temmie zumindest mehr als reine Lustbefriedigung empfinden mochte.

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Strandaufsicht. An dieser Zuteilung hing eine Menge dran, wußte Julius Latierre. Doch der kräftige Wind, der von See her über den Strand fegte, hielt viele davon ab, den ersten Oktobersonntag am Meer zu verbringen. Zwar stand die Sonne gleißendhell und von keiner Wolke abgedeckt am Himmel. Doch die Temperaturen waren sichtlich heruntergegangen. Zudem donnerten die aufgewühlten Wellen wie gigantische, graue Pferde mit weißen Mähnen so ungestüm auf den Strand und schleuderten beim Brechen große Ladungen Salzwassertropfen weit über den Sand. Außer Julius, der ungeachtet des schlechten Badewetters hier aufzupassen hatte, saßen einige unermütliche an herbeigezauberten Strandtischen und schwatzten gegen Windgebraus und Wellenrauschen an. So hatte er sich seine erste Strandaufsicht als Träger einer Saalsprecherbrosche zwar nicht vorgestellt, war aber auch nicht unglücklich darüber. Er würde wohl noch häufig genug hinter sich balgenden Jungs herlaufen oder schwimmen müssen oder aufpassen, daß keiner sich übernahm und sich in gefahr brachte. Seine Frau Mildrid saß bei Caro und Leonie und besprach wohl mit ihr die nächsten Schulstunden. Pierre Marceau hatte aus alten Zeitungen und einer hundert Meter langen Schnur einen Drachen gebaut und freute sich, diesen bei diesem Wind aufsteigen lassen zu können. Gabrielle Delacour hatte ihr seidenweiches, blondes Haar zu einem Zopf geflochten, um es sich nicht vom Wind ins Gesicht blasen zu lassen. Sie bestaunte Pierre und zwei andere Muggelstämmige, die ihre Windvögel mit spielerischer Leichtigkeit führten und munter an der Brandungsgrenze entlang liefen. Manchmal prusteten sie zwar, wenn eine besonders hohe Welle ihr oberes Drittel über sie ergoß. Doch solange sie ihre Drachen an der strammen Schnur im Flug halten konnten, machte es ihnen wohl nichts aus. Julius lief erst hinter ihnen her, als sie dabei waren, den für Beauxbatons reservierten Abschnitt zu verlassen.

"Pierre, so schön das auch echt ist, einen Drachen steigen zu lassen, darfst du jetzt nicht mehr weiter in die Richtung rennen. Da hört unser Bereich auf!" Rief er leicht abgehetzt klingend.

"Und was ist dahinter?" Fragte Pierre, der die Rollle mit der daran befestigten Drachenschnur fest in der rechten Hand hielt.

"Das wissen wir nicht. Da gibt es eine magische Barriere, die unseren Abschnitt vom Rest der Küste trennt. Sonst könnten sich Leute aus der nichtmagischen Welt hierher verirren."

"Ist das wie beim Holodeck, wo du gegen 'ne unsichtbare Wand knallst, wenn du nicht von den Sicherheitskraftfeldern umgelenkt wirst?" Fragte Pierre und mußte fester zupacken, weil sein Windvogel von einer besonders starken Böe ergriffen wurde.

"Neh, du tauchst dann wie appariert an dem Strand auf, wo unser Strandabschnitt endet. Könnte sein, daß da gerade jemand ist, der das bestimmt komisch fände."

"Dann könnte der uns doch sehen, wenn wir im Meer sind", meinte Pierre.

"Für die gibt es unseren Abschnitt nicht. der Strand hier ist eingeschoben worden. Das ist dann so wie die Rue de Camouflage, die ohne gefunden zu werden zwischen zwei Pariser Straßen langläuft, ohne auf einer Karte oder einem Satellitenbild gesehen zu werden."

"Achso, dann überspringen die andren den Abschnitt hier, ohne das mitzukriegen, wenn sie keine Zauberer sind", vermutete Pierre. Julius nickte. Dann winkte er dem Jungen, ihm zu folgen und rannte los. Pierre eilte ihm nach und schaffte es dabei, seinen Drachen weiter in der Luft zu halten.

"Ist schon 'n komisches Spiel, alte Zeitungen zu so'nem Fliegeding zu machen", sagte Antoine Lasalle aus dem grünen Saal, als Julius Pierre wieder in sicheren Abstand von der Begrenzung gelotst hatte. "Der Kleine könnte hier doch auf 'nem Besen rumfliegen und dabei mehr Spaß haben als mit diesem magielosenPapierding da."

"Der ist das erste Jahr hier, Antoine", sagte Julius. "Für Jungs aus der Muggelwelt gibt's im Herbst nichts schöneres als Kastanien einsammeln und Drachensteigen. Dafür bin ich mit meinem Onkel häufig aufs freie Land rausgefahren, weil mein Vater zu oft wegen seiner Arbeit nicht konnte." Julius fühlte, daß diese Erinnerung seine frohe Stimmung eintrübte. Sein Vater hatte viel zu wenig Zeit mit ihm verbracht. Und sein Onkel Claude hatte sich mit seiner Mutter verkracht, weil die ihm nicht erzählen durfte, daß ihr Sohn ein Zauberer war und die Trennung von Richard Andrews nur deswegen passiert war.

"Was soll an diesem Muggelding denn so toll sein?" Fragte Antoine. Stephanie Binoche, seine feste Freundin aus dem weißen Saal, blickte ihn leicht verdutzt an. Sie war halbmuggelstämmig, wußte Julius von Debbie Flaubert und Belisama Lagrange. Ihr Vater war ein Konzertpianist und ihre Mutter eine Angestellte in der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit des Zaubereiministeriums. So sagte sie:

"Mein Vater hat mit seinen Brüdern früher auch Drachen aufsteigen lassen, Antoine. Nur weil da keine Magie drinsteckt muß das nicht langweilig sein. Im Gegenteil. Weil das ganz ohne Zauberei geht ist das ja um so spannender."

"Wieso kommt das dann, daß ich in den sechs Jahren, die ich bald schon hier bin, noch keinen von den Muggelstämmigen hier mit diesen Flatterdingern habe rumspielen sehen können?" Wollte Antoine wissen.

"Weil du sonst bei dem Wetter nicht herfindest", erwiderte Stephanie schlagfertig. Darauf konnte ihr Freund offenbar nichts brauchbares antworten. Julius verabschiedete sich bis auf weiteres und kehrte auf seinen Posten zurück, um den Strand zu überblicken. Er fragte sich, was gerade in Hogwarts los war. Seit fünf Tagen hatte er nichts mehr von Gloria Porter gehört. Die Liste der Muggelstämmigen, die Professeur Faucon aus England bekommen hatte, wurde von seiner Mutter und Catherine Brickston durchgearbeitet, um die darauf stehenden nach Möglichkeit außer Landes zu bringen, bevor sie ohne Widerstand aus der Bevölkerung zur offenen Jagd freigegeben wurden. Er dachte an Robin Hood, die Heldengestalt aus England. Der war ein Geächteter gewesen. Das hieß, er hatte keine Rechte und konnte von jedem, der sich eine Belohnung seines Herrschers ausrechnete, gefangengenommen oder getötet werden. Vogelfreie hießen solche Leute im Mittelalter auch. Man konnte sie wie die Vögel im Wald totschießen, wenn einem danach war. Galt das bereits für die Muggelstämmigen? Oder glaubte diese Giftkröte Umbridge wirklich an das Märchen von der gestohlenen Zauberkraft. Sicher, Julius hatte auch von sowas mal gehört, daß jemand Lebenskraft oder gar die Seele eines anderen Menschen stehlen konnte. Vielleicht hatte Voldemort selbst solche Geschichten gehört, als er bei Muggeln aufgewachsen war. Vielleicht war es an der Zeit, sich zu überlegen, was dieser Größenwahnsinnige so alles gehört oder getan hatte, als der nicht älter war als Julius Latierre gerade. Professeur Faucon hatte rausgelassen, daß Voldemort eine Hexe zur Mutter hatte und sein Vater ein wohl nicht gerade armer Muggel gewesen war. Die Mutter hatte ihn in einem Waisenhaus zurückgelassen. Also kannte Voldemort alle Muggelmärchen und -sagen. Womöglich hatte er dann, als er doch mal erfahren hatte, daß er ein Zauberer war, ausprobiert und nachgeforscht, was von den Geschichten stimmte oder doch nur erfunden war. Zumindest aber konnte er seine Helfershelfer aus der Mysteriumsabteilung dazu bringen, solche Lügen in Umlauf zu bringen, das unbescholtene Menschen an Zauberer heranschleichen und denen einen Teil ihrer Magie wegnehmen konnten.

"Monju, du sollst die Kleinen beaufsichtigen und nicht trübselig rumgrübeln", flüsterte ihm jemand unvermittelt ins rechte Ohr. Jetzt erst merkte er, daß er die Augen halb geschlossen hatte, um wohl besser nachdenken zu können. Er sah seine Frau neben sich.

"Ist ja nicht viel los, Mamille", grummelte er zurück. "Die meisten die hier sind hängen nur in der Sonne rum, wenn die sich durch die Wolken drängelt."

"Callie und Pennie sind gerade durch das Portal gekommen. Die wollen schwimmen, Monju", sagte Millie. Julius blickte sich um und sah seine angeheirateten Cousinen in Badeanzügen auf die heranrollenden Wellen zulaufen. Er stand auf und eilte zu ihnen hinüber.

"Mädels, ihr seid ziemlich stark. Aber wenn euch diese Wellen richtig packen, schmeißen die euch herum wie sie wollen", sagte er zu Calypso und Penthisilea Latierre. "Und ich kriege dann nicht nur Ärger mit eurer und meiner Saalvorsteherin, sondern vor allem mit euren Eltern. Also vergeßt es bitte, bei dem Seegang da rauszuschwimmen!"

"Wir waren schon bei so Wind im Meer, Julius. Oben bei den Normannen", widersprach Callie Latierre trotzig. Ihre Zwillingsschwester nickte und meinte: "Da waren die Wellen sogar noch mal so hoch wie jetzt hier. Und wir hatten keinen Sandstrand, sondern Felsen."

"Callie und Pennie, auch wenn ihr mir dafür die goldene Spaßbremse am Bande verpassen wollt sage ich euch, daß ihr jetzt nicht da rausschwimmt. Bildet euch bitte nicht ein, nur weil wir jetzt um zwei Ecken verwandt sind hättet ihr bei mir mehr Rechte als die anderen!"

"Und wenn wir jetzt doch da rausgehen, Monsieur Latierre, was machen Sie dann?" Fragte Pennie provozierend.

"Abgesehen davon, daß ich euch zum einen mit einem Rückholzauber wieder einkriegen kann müßte ich euch wegen mutwilliger Selbstgefährdung und Verstoß gegen die Anweisung des mit der Strandaufsicht betrauten Saalsprechers je mindestens fünfzig Strafpunkte geben und euch bis auf Widerruf durch Madame Maxime, Professeur Fixus oder Professeur Faucon Strandverbot erteilen", sagte Julius, der sich bei dieser Sache nicht so toll fühlte, aber sich von den beiden Mädchen auch nicht vor allen anderen auf der Nase rumtanzen lassen wollte. Callie sah Pennie an, die wieder zurückblickte und dabei auch Millie ansah, die einige Schritte abseits stand und nur abwehrend den Kopf schüttelte. Dann zogen die beiden ziemlich starken Junghexen murrend ab. Daß Julius ihnen in Zauberkraft überlegen war hatten sie ja schon längst mitbekommen. Ihn körperlich anzugreifen wäre die Sache nicht wert, zumal sie dafür nicht nur wegen seiner Saalsprecherbrosche, sondern wegen des silbernen Pflegehelferarmbandes einen ziemlich prallen Sack Strafpunkte aufgeladen bekämen. So gingen sie wieder zum Tor zurück.

"Oh, die schicken dir aber jetzt erst mal keine Weihnachtsgrüße mehr", feixte Millie. Julius sah sie an und erwiderte:

"Die wollten es probieren, Millie. Die wollten wissen, ob ich die zurückhalte oder da rausschwimmen lasse. Dann hätten sie mir alle zurecht vorgehalten, daß ich denen was durchgehen lasse, weil die jetzt angeheiratete Cousinen sind. Ich finde es schlicht zum kotzen, wenn Leute wegen ihrer Verwandtschaft Sonderrechte kriegen, genauso, wenn sie deswegen noch mehr zur Schnecke gemacht werden, damit nicht der Eindruck rüberkommt, die hätten Sonderrechte. Ich mußte jetzt zwischen kleinerem und größerem Übel aussuchen, Millie. Keine Weihnachtskarten von denen zu kriegen ist das kleinere."

"Würde mich nicht wundern, wenn Bernie die beiden angespitzt hätte, die könnten schwimmen gehen, weil du denen ganz bestimmt keine Strafpunkte geben würdest, wenn die Wellen zu hoch sind, Monju. Die war vor zehn Minuten ja auch da und hat alleine schön weit weg gelesen."

"Ich habe es gesehen, Millie", grummelte Julius. "Aber wenn die Leute aus ihrem Saal dazu anstiften würde, einen Saalsprecher zu testen, ob der aufpaßt oder tatenlos zuguckt, dann hätte ich die Intelligenz von der total überschätzt. Callie und Pennie meinen, wegen der vielen Latierre-Kuhmilch allem überlegen zu sein, wenn's nur mit Stärke zu tun hat. Aber ich habe genug Nachrichten gesehen, wo Leute bei solchem Wetter ertrunken sind, obwohl die gut schwimmen konnten." Wusch! Eine mindestens vier Meter hohe Welle preschte heran und überschüttete das junge Ehepaar mit kaltem Salzwasser. Millie sprang zurück, als die Woge brach und mit lautem Rauschen auch noch ihre Füße tränkte. Julius fühlte den Sog des ins Meer zurückstrebenden Wassers, konnte ihm aber noch mit fest in den nassen Sand gestampften Füßen widerstehen. Dann war die Welle erledigt.

"Komm, Monju, ich mach uns trocken", sagte Millie, als die beiden weit genug weg von den brausenden und klatschenden Wellen entfernt waren. Mit ihrem Zauberstab ließ sie einen Strahl warmer Luft über ihren Mann hinwegstreichen und wandte dann noch einen schnelltrocknungszauber an. Gut das Julius in Badesachen war, um möglichst jemanden aus dem Wasser zu holen, falls doch jemand reinging.

"Ich trau es Bernie zu, daß sie so hinterhältig ist und die beiden gegen dich angestachelt hat", knurrte Millie. "Das wäre doch ein gefundenes Fressen für die gewesen, zwei Klatscher mit einem Schläger, Monju."

"Klar, weil die zum einen bewiesen hätte, daß ich von euch vereinahmt werde und daher kein zuverlässiger Saalsprecherstellvertreter bin und zum zweiten, daß ich und damit du dann noch Strafpunkte abräumen würde. Und falls den beiden trotz ihrer Superkraft was passiert wäre, hätte ich noch Ärger mit Schwiegertante Babs und Schwiegeronkel Jean. Aber ich denke nicht, daß Bernadette sich das rausnimmt, wenn die beiden hätten sagen können, daß die ihnen dazu geraten hätte."

"Die hätte denen nur sagen müssen, daß die zu schwach für das bißchen Wellen sind, Monju. Das hätten die nicht auf sich sitzen lassen. In der Hinsicht sind die beiden Mädchen so bescheuert wie viele von euch Jungs", grummelte Millie, während Julius sie aus kurzer Entfernung mit Trockenzaubern vom Meerwasser befreite.

"Du meinst, Bernadette hat sich jetzt voll auf dich eingeschossen?" Fragte Julius.

"Nicht mehr so heftig wie am Anfang, weil unsere Saalvorsteherin die mal gefragt hat, ob wirklich alles nötig gewesen sei, was die mir ans Bein hängen wollte, Monju. Aber die ist stinksauer, daß wir beide zusammen sind und du stellvertretender Saalsprecher geworden bist. Wenn ich's nicht besser wüßte, würde ich meinen, die hätte auch was von dir gewollt, Monju."

"Die kann mich nicht ab, weil ich, ohne daß ich das wollte, vom ersten Schultag an Sachen gebracht habe, die sie noch nicht kann, Mamille. Dann hat sie gemerkt, daß sie nicht alles aus Büchern lernen kann, genau wie ich auch. Nur daß ich schon häufiger Sachen so ausprobiert habe", erwiderte Julius.

"Genau, und deshalb sind wir beide jetzt verheiratet, Monju. Die fragt sich doch die ganze Zeit, warum ich von dir noch kein Kind im Bauch habe, Monju. Die kann sich doch nicht vorstellen, daß wir beide ..." Julius schnitt seiner Frau das Wort ab. Zwei der Blauen gingen gerade auf Pierre losund wollten ihm den Drachen wegnehmen. Er startete durch und wetzte über den Strand dahin. Im Laufen hob er den Zauberstab und belegte die beiden Rüpel ungesagt mit dem Bewegungsbann.

"Habt ihr feigen Säue euch eingebildet, daß der Strandwächter zu sehr mit seiner Holden turtelt und ihr kleinen Jungs die Spielsachen wegnehmen könnt?" Fragte Julius ziemlich genervt. "Pech für euch, daß ich trotzdem hingeguckt habe. Das macht dann mal eben zwanzig Strafpunkte für jeden von euch beiden, Gilbert Dumont und Olivier Bleuchamp. Zudem dürft ihr jetzt ein paar Minuten hier rumstehen und drüber nachdenken, wie feige das ist, zu zweit auf einen loszugehen, der einen Kopf kleiner ist. Angenehmen Nachmittag noch."

"Die haben gemeint, ich sollte dieses blöde Muggelding doch mal loslassen, um zu sehen, ob es auch so fliegt", sagte Pierre Marceau. "Als ich denen sagte, daß der dann wegfliegen und irgendwo bei denen außerhalb vom Abschnitt runterklatschen könnte wollten die mir was. Aber ich hätte mich bestimmt gut gewehrt."

"Gegen zwei zugleich, Pierre. Du bist hier nicht in der Armeeschule, wo die wissen wollen, wie draufgängerisch du sein kannst", sagte Julius ruhig und führte Pierre weg.

Die beiden bestraften Jungen standen noch eine halbe Stunde so da. Keiner löste den Bewegungsbann. Die meisten empfanden eine gewisse Schadenfreude, weil sie für ihre Feigheit bestraft worden waren, auch die Blauen. Corinne, die sich zwischenzeitlich auch mal auf den windumtosten Strand wagte, gratulierte Julius dafür, daß er den beiden gleich bei seiner ersten Wache gezeigt hatte, wo das Ende des Zauberstabs war. Erst kurz vor dem Abendessen hob Julius den Bewegungsbann wieder auf. Die beiden Jungen setzten an, auf ihn loszugehen. Doch Julius blickte sie unverdrossen an und stand da, um ihren Angriff aufzufangen. Das reichte den beiden. Sich noch wegen der neuen Pflegehelferregelung dreihundert Strafpunkte einzufangen war selbst ihnen für einen Tag zu viel.

Nach dem Abendessen übernahm Debbie Flaubert die Strandaufsicht. Julius fand Zeit, sich mit einigen Jungen aus den unteren Klassen über Kräuterkundesachen für Professeur Trifolio zu unterhalten. Das lenkte ihn von seinen Grübeleien über Hogwarts ab. Hinzu kam noch, daß sich in wenigen Tagen jener Zwischenfall jährte, der ihn in die Festung der Morgensternbrüder gebracht und Claire aus ihrem Körper getrieben hatte. Sicher würden sich die, die letztes Jahr schon hier gewesen waren daran erinnern. Wie sollte er damit umgehen? Das fragte er sich, als er im Bett lag. Er wollte gerade die Gedanken fortscheuchen, als Millies Gedankenstimme in seinem Kopf klang:

"Monju, meine Verbindung nach Hause hat gerade gemeldet, daß Temmie mit Perseus Liebe gemacht hat oder wie das jetzt bei der genannt werden soll. Könnte sein, daß die davon trächtig wird. Aber Tante Babs wird dir das wohl noch in einem Brief offiziell mitteilen, wenn es klar ist.""

"Überall neue Kinder", schickte Julius zurück. "Wie Temmie sich dabei wohl gefühlt hat? Ich meine, das ging doch dann ziemlich ruppig ab."

"Vielleicht war es das heftigste Mal ihres ganzen Lebens, Monju. Und für Temmies Körper war es eh das erste Mal, wenn Tante Babs das richtig erwähnt hat. Dann wird das wohl nix mehr mit der superschnell fliegenden Kuh, die sich unsichtbar machen und sogar apparieren kann."

"Ist wohl im Moment auch nicht nötig, Millie. Im Moment bin ich hier gut aufgehoben. Da kann Temmie ruhig die Freuden der Liebe auskosten."

"Die glückliche", gedankenknurrte Millie zurück.

"Nur keinen Neid, Mamille! Könnte ja sonst meinen, du wolltest lieber eine Latierre-Kuh sein und zwei Jahre lang Kälber mit dir rumschleppen."

"Stimmt, zwei Jahre ist ziemlich lang", erwiderte Millie. Dann wünschte sie Julius noch eine gute Nacht.

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"Was heißt das, die Kobolde in Gringotts Paris nehmen keine Auszahlungsanweisungen von euch an, Bogrod?" schrillte die aufgebrachte kleine, füllige Hexe im rosaroten Tüllumhang. Der alte Kobold sah sie mit einem Ausdruck großer Unsicherheit an und verneigte sich abbittend.

"Mein Kollege Miromec in Paris hat gesagt, daß die nichts nach London rausgeben oder von London reinlassen wollen. Die haben sich mit den Zauberstabträgern da wohl auf was geeinigt, daß deren Gold bei denen bleibt und wir nur das Gold von denen hier aufbewahren sollen", sagte Bodrod leise. Seine nicht unbedingt willkommene Besucherin verzog das Gesicht und glich damit noch mehr einer Kröte als ohnehin schon. Dann sagte sie mit einer zuckersüßen Kleinmädchenstimme:

"Seit wann laßt ihr euch denn dreinreden, mit wem ihr geschäfte machen dürft und mit wem nicht, Bodrod. Gringotts wird doch von euch geführt. Zumindest haben du und deine beiden Stellvertreter das Minister Thicknesse gegenüber so großspurig behauptet. Also wieso wollen deine Artgenossen in Paris kein Gold mehr herausgeben, wenn ihr darum bittet?"

"Weil die eben finden, daß hier in London nicht mehr alles so läuft wie sonst", erwiderte Bodrod leise. Er wußte, daß er zwischen zwei Stühlen hing. Seine Koboldehre, ja der Stolz seiner Rasse gebot ihm, vor dieser mal keifenden und dann honigsüß schmeichelnden Zauberstabträgerin nicht zu kuschen. Andererseits wußte er genau, wer eigentlich das Sagen im Zaubereiministerium hatte. Die da vor ihm war auch nur eine kleine Gehilfin dessen, der von seinem Volk Ratakarnack genannt wurde, der Vielschlächter. Bodrod wußte, daß Gringotts nur noch ihm und seinen Angestellten zur Verfügung stand, weil zu viele reine Koboldzauber in den Gängen und Hallen, Verliesen und Tresoren lauerten, als daß Ratakarnack es wagen würde, die Kobolde zu vertreiben. Denn dann würden sämtliche Verliese und Zugänge unaufsperrbar verriegelt. So hatte Bodrod sich mit Ratakarnack und seinen Untergebenen darauf geeinigt, einander in Ruhe zu lassen. Der Vielschlächter hatte daraufhin Leute mit Spürgeräten vor dem Portal hinstellen lassen, die die Kunden untersuchten, bevor die eintraten. Er hatte es mit seinen hochempfindlichen Ohren einmal mitbekommen, wie jemand von diesen Türstehern gefangengenommen und dann mit diesem Schmerzzauber gequält worden war. Wer noch zu ihm kam, der war von diesen Leuten geschickt oder für harmlos genug befunden worden. Daß jetzt diese Krötenfrau da zu ihm kam und ihn zusammen mit den beiden Türstehern von seinem Platz am Hauptschalter getrieben und in sein Büro befohlen hatte war eine Schmach. Doch wenn er daran dachte, daß einer seiner Enkel von Ratakarnack gefangengenommen worden war und dieser für jeden leisen Widerstand Bodrods bestraft würde, so mußte er dieser Zauberstabträgerin da gehorchen, weil sie ihm gesagt hatte, daß sie für Thicknesse arbeitete, und damit für den Vielschlächter.

"So, dein Kollege Miromec findet also, daß hier in London nicht mehr alles so läuft, wie es soll, Bodrod", säuselte die Besucherin nun gefährlich. "Wie kommt der darauf?"

"Wir haben nur erzählt, daß wir hier einen neuen Zaubereiminister haben, der besser mit uns zusammenarbeiten will, Madam. In anderen Ländern läuft das ja auch, wie bei den Russen oder den Deutschen, oder auch bei den Norwegern, obwohl da diese stinkenden Saufbärte noch in die Geschäfte reinreden. Aber irgendwie meinte Miromec, wir hätten Gringotts in London an die Zauberstabtr..., Äääähm, das Zaubereiministerium verkauft und damit unsere Ehre verhökert, Madam. - Das sage nicht ich, Madam. Das sagt Miromec." Die Besucherin hatte ihren Zauberstab gezückt und drohte damit. Doch dann ließ sie ihn wieder in ihrem rosaroten Tüllkleid verschwinden. Bodrod unterdrückte ein Zittern.

"Könnte es sein, daß einer von deinen Untergebenen dem dieses Märchen erzählt hat?" Fragte die Besucherin.

"Eeeeh, nein, keiner von uns. Wenn Miromec denkt, hier läuft's nicht mehr wie es soll, dann hat er das bestimmt von einem anderen Menschen und nicht von uns, Madam. Ja, und der muß das ihm so erzählt haben, daß der das glaubt, Madam. Ich hab' versucht, ihm klarzumachen, daß wir immer noch in Gringotts zu sagen haben und das Ministerium uns nicht hier rausgetrieben hat. Aber der glaubt das nicht, Madam. Der schreibt, daß er ganz genau weiß, daß Gringotts in London von Zauberstabträ.., äähm, dem Zaubereiministerium übernommen worden ist. Ich würde dem doch nicht erzählen, daß er recht hat, wo ..."

"Minister Thicknesse deinen einzigen Enkelsohn zu einem Ausbildungsjahr im Koboldverbindungsbüro eingeladen hat", säuselte die Besucherin mit leichter Gehässigkeit. Bodrod krümmte sich für einen Moment zusammen. Doch dann straffte er sich und sagte:

"Und ich werde nichts tun, um die Ausbildung meines Enkels zu stören, Madam. Aber ich kann Miromec nicht überzeugen. Der schreibt, daß ich ja von überall her schreiben könnte und das Zaubereiministerium alle Geschäftsbriefpapiervorräte und die Tinte eingezogen haben könnte und so weiter. Ich kann Ihnen diesen Brief gerne zeigen. Aber seien Sie dann bitte nicht wütend auf mich!" Er verneigte sich unterwürfigst. "Der Brief ist nicht schön. Öhm, und er ist in unserer Sprache."

"Eure Sprache ist uns bekannt", schnaubte die krötengesichtige Besucherin. "Dann rück den Brief mal heraus!" Schnarrte sie, jede Süße aus der Stimme verdrängend. Bodrod fingerte an seinem Schreibtisch und löste dabei eine Schublade aus der Verbindung mit dem Holz. Er kramte einige Sekunden in der Schublade herum und schnippte seiner Besucherin einen kobaltblauen Umschlag zu, auf dem das Wappen von Gringotts mit einem F für Frankreich in der Mitte prangte. Sie nahm den Umschlag und versenkte ihn in ihrer Handtasche. Dann sagte sie leise:

"Wir können also die bald dreißigtausend Galleonen, die da vor zwei Jahren außer Landes geschafft wurden, nicht so einfach wiederkriegen. Ist deinem Kollegen nicht bewußt, daß er Diebesgut beherbergt?"

"Wir sind eine Bank, Madam. Unsere Diskretion unseren Kunden gegenüber hat absoluten Vorrang. Wir fragen nicht danach, was und wieviel jemand in unsere Verliese legen möchte. Wir hüten nur Verliese, für die die Kunden bezahlen, Madam. Ob etwas gestohlen wurde, bevor es zu uns gebracht wurde, wollen wir nicht wissen. Wir passen nur auf, daß es nicht von hier gestohlen wird. Wenn Sie sagen, das jemand dem Ministerium Gold weggenommen hat, dann klären Sie das doch mit dem französischen Zaubereiminister. Der kann dann das entwendete Geld einem Ihrer Boten übergeben, der das dann bei uns oder wo immer unterbringt."

"Bodrod, ich höre wohl nicht richtig. Du meinst, mir und dem Minister Vorschläge machen zu können. Bildest du dir etwa ein, wir hätten das nicht schon längst versucht?" keifte die Besucherin. Bodrod fuhr unter dieser wütenden Stimme zusammen wie unter Peitschenhieben. "Offenbar sind diese Lügner, die behaupten, Gringotts in London sei verkauft worden, auch zu Minister Grongtschappo gegangen und haben ihm geraten, nichts mehr mit Minister Thicknesse zu tun haben zu dürfen."

"Ähm, wohl auch zu den Deutschen", sagte Bodrod unvorsichtig. "Mein Kollege von da hat auch schon gefragt, ob wir noch alles hier alleine machen dürfen."

"Es ist eine Unverschämtheit", schrillte die Besucherin. Dann wurde sie auf einmal wieder ganz ruhig. Ein triumphierendes Lächeln umspielte ihren Mund, als sie leise sagte: "Wenn das so ist, daß in Paris oder einer anderen Stadt mit Gringotts-Filiale keiner mehr was nach London überweisen kann oder von hier abbuchen kann, bleibt das von anderen unter Vortäuschung falscher Voraussetzungen gestohlene Gold eben hier. Und damit ihr langfüßigen Spitzohren wißt, wer alles unrechtmäßig Gold hier eingelagert hat, wirst du diese Liste hier an deine Untergebenen verteilen und anweisen, daß geprüft wird, wer darauf in den letzten zwei Monaten hier ein Verlies aufgesucht hat. Außerdem werdet ihr, um die ungestörte Ausbildung deines Enkels und der beiden Söhne deiner Stellvertreter wegen keinem auf dieser Liste erlauben, in eines der Verliese hinunterzufahren. Ihr werdet sie sofort unseren Wächtern vor dem Portal anzeigen, falls diese die fraglichen Subjekte nicht schon so festgenommen haben sollten. Wir haben denen viel zu viel Zeit gelassen." Bodrod verstand und übernahm zwanzig Kopien der Liste. Als die Besucherin zufrieden die Bank verließ dachte er daran, wie viele von denen, die auf dieser Liste standen vielleicht schon tot sein konnten. Er wußte nicht, was diese Zauberstabträger miteinander verband. Doch wenn diese Handlangerin sie auf ein langes Pergament geschrieben hatte, waren sie durch irgendwas Feinde von Ratakarnack geworden. So konnte das auch mit diesem Julius Andrews sein, dessen Mutter vor zwei Jahren viel Gold abgehoben hatte. Er selbst hatte nachgesehen, ob die Goldanforderung seines französischen Kollegen erfüllt werden konnte. Er hatte alle Gold-, Silber- und Bronzemünzen sorgfältig gezählt und dann die Übertragungsanordnung abgeschickt, damit die Kollegen aus den bankeigenen Verliesen die gezählte Summe in das Verlies überführen konnten. In welches, das wußte Bodrod nicht. Für ihn war es nur ein Leerräumen des besagten Verlieses mit einer schriftlichen Erlaubnis des Besitzers gewesen. Dann hatte er nur schreiben müssen, daß Gringotts London die Summe in Besitz genommen habe, Gringotts Paris wie angefordert diese Summe überschrieben und die Bestätigung erhalten, daß die Übertragung anstandslos verlaufen sei. Als er nun die gebuchte Summe von seinen Pariser Kollegen zurückforderte, weil das Ministerium das Gold wiederhaben wollte, hatte Miromec ihm diesen Brief geschrieben und klargemacht, daß er kein Gold mehr nach London überschreiben würde, solange Thicknesse im Amt sei und dieser wohl Gringotts übernommen habe. Miromec hatte sogar geschrieben, daß er sich schäme, mit einem solchen Schwächling wie Bodrod zusammengearbeitet zu haben. Schließlich durfte Bodrod seinem Kollegen nicht schreiben, daß sein Enkelsohn in der Gewalt des Vielschlächters sei. Das hätte die Kollegen in Frankreich und anderswo dazu gebracht, einen neuen Koboldaufstand anzuregen. Das würde dann in einem Krieg enden, nach dem es - da war sich Bodrod absolut sicher - keinen Kobold mehr geben würde.

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Martha Andrews blickte auf den Computerbildschirm. Sie hatte das Programm jetzt so weit, daß es ihr zu einer Adresse die nächstgelegenen Bahnhöfe und Flughäfen ausspuckte. Catherine Brickston saß bei ihr, ihre jüngste Tochter auf den Knien. Joe Brickston war in seiner Firma und jonglierte da mit Wetterdaten herum, die die Kunden für überlebenswichtig ansahen. Martha hatte dafür nur ein leicht abfälliges Grinsen übrig. Was wußten diese Leute schon, die nach brandaktuellen Wettervorhersagen gierten, was überlebenswichtig war. Wenn sie sich die Liste ansah, die sie vor zwei Wochen von Professeur Faucon bekommen hatte, war es für jeden, der da draufstand überlebenswichtig, daß er oder sie gewarnt und in Sicherheit gebracht wurde.

"Ich komme mir vor wie dieser Oskar Schindler, der in der Zeit der Nazi-Diktatur mehrere tausend verfolgte Juden vor dem Vernichtungslager gerettet hat", seufzte sie, als sie die ganzen Namen noch einmal durchging. Da war ein Ehepaar Preston, Timothy und Vivian, die beide mit einem M für Muggelstämmig gekennzeichnet waren. Wie schnell mochten sie vor diese unwürdige Kommission zitiert werden? Waren sie noch zu retten?

"Die hier, Timothy und Vivian Preston, sehen so aus, als müßten wir die am ehesten kontaktieren. Die sind beide auf dieser Abschußliste des Wahnsinnigen", sagte Martha. Vielleicht sind die auch schon deportiert worden."

"Sind sie nicht, Martha. Tim Preston ist Heiler. Der hat die erste günstige Gelegenheit genutzt, sich mit seiner kleinen Familie vom Acker zu machen, wie man so salopp sagt. Béatrice Latierre hat mir erzählt, daß er in Marokko war und da auch mit Aurora Dawn zusammengetroffen sei."

"Nett, daß Béatrice dir sowas erzählt und nicht mir", knurrte Martha. "Immerhin bin ich ja dank Julius jetzt auch irgendwie mit ihr verwandt", sagte sie laut und dachte noch für sich: "Hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte mich als eine ihrer jüngsten Schwestern wiedergebären lassen."

"Sie hat die Runde gemacht, gucken, was die ganzen Mütter aus dem Club der guten Hoffnung so tun. Da hat sie es mir erzählt, daß die Prestons wohl von Marokko aus nach irgendwo hingereist sind. Immerhin haben sie zwei Kinder. Irgendwer hat diesen Burschen wohl früh genug gewarnt."

"Vom Alter her könnte der ein paar Jahre später als Aurora Dawn nach Hogwarts gekommen sein."

"Das stimmt wohl. Seine Frau hat wohl in der Zeit, wo er die Ausbildung gemacht hat, in der englischen Quidditchliga gespielt. Zumindest ist mir der Name Vivian noch geläufig. Damals hieß sie eben noch Acer."

"Ich denke, ich sollte mal mit Aurora Dawn telefonieren und sie fragen, wer so alles bei der Heilerkonferenz war, weil ich mir Sorgen um Julius' Freunde mache", schlug Martha vor.

"Besser nicht, Martha. Du kennst die Vereinbarung."

"Ich will ihr nicht die Liste vorlesen, Catherine, sondern nur fragen, wer aus England alles dabei war und ob nicht einige wegen der Lage umgezogen sind. Ich bin doch kein Baby mehr." Sie deutete auf Claudine

"Oh, sag sowas nicht, Martha. Immerhin verdankst du es Claudine, daß du zweimal bei Madame Maxime warst, ohne daß Elternsprechtag war", erwiderte Catherine.

"Ja, und deine erhabene Frau Mutter hat bemerkt, daß ich durchaus damit rechnen könnte, alle bisherigen Geburtstage wieder auf null zurückgedreht zu bekommen, sollte ich so darauf fliegen, in einem Babykörper zu stecken, wenngleich mir die erste Art dann doch als kleineres Übel vorkommt. Allein bei dem Gedanken, diese Transportart wiederholen zu müssen wird mir schon anders."

"Du hast dem zugestimmt, Martha", sagte Catherine. "Das ist der zuverlässigste Weg, dich aktionsfähig zu halten, wenn wir wieder nach Beauxbatons müssen."

"Wenn ich nicht wüßte, daß wir damit hunderte von Leuten retten können", knurrte Martha. Da wurden sie von einem fröhlichen "Hallo Martha! Bist du zu Hause? unterbrochen.

"Bin in meinem Arbeitszimmer, Camille! Ich komme sofort rüber", sagte die Wohnungsinhaberin und sicherte schnell das neue Programm. Catherine blieb ruhig mit Claudine im Arbeitszimmer sitzen.

im Kamin saß der Kopf einer Hexe mit langen, schwarzen Haaren, die leicht gewellt waren. Die braungetönte Haut deutete an, daß sie Vorfahren aus dem Orient besaß. Das Gesicht wirkte ein wenig runder als Martha es beim letzten Mal in Erinnerung hatte.

"Ich dachte erst, du seist im Ministerium. Aber Madame Grandchapeau meinte, du hättest von ihr aufbekommen, in diesem Internet nach Hinweisen zu suchen, was in England los ist. Ich hoffe, ich störe dich nicht bei was wichtigem."

"Ich habe nur ein Suchprogramm fertigzuschreiben. Das läuft jetzt, Camille. Wie geht es dir und deiner Schwägerin?"

"Ist schon nicht leicht für mich, mit der ersten Schwangeren Hexe der Welt unter einem Dach zu wohnen, Martha. Die meint jeden Tag, daß sie das Kind kriegen müsse. Hera hat sie schon zusammengestaucht, daß das keine Krankheit, sondern eine Segnung sei und mich dabei angesehen, weil ich mit ihrem zukünftigen Neffen oder ihrer noch kommenden Nichte noch keinen solchen Umstand mache wie sie. Sie meinte dann gemeinerweise, daß sie ja zwei Wochen Vorsprung habe. Ich fürchte, der liegt dieser Urlaubsspaß schwerer im Bauch als das Kleine. Macht schon einen Unterschied, ob man so einen kleinen Wonneproppen haben will oder nicht. Hera meinte zwar zu mir, ich sollte mich etwas mehr zurücknehmen als früher schon, weil ich so lange Pause gemacht hätte. Aber du kennst sie ja."

"Sagen wir es so, daß ich mir vielleicht doch eher eine Hebamme aussuche, die nicht in Millemerveilles wohnt, sollte ich noch mal meinen, ich müßte wen neues in die Welt setzen", lachte Martha.

"Mit wem lästerst du da schon wieder über mich ab, Camille", drang eine hohl klingende Frauenstimme aus der Richtung des Kamins.

"Mit Martha Andrews, Uranie. Die beneidet dich darum, daß du die erste Frau bist, die ein Kind selbst ausbrütet, wo wir unsere ja alle wohl vom Regenbogenvogel in die Arme gelegt bekommen haben!" Rief Camilles Kopf nach hinten gewandt.

"Mach dich nur lustig über mich, Camille. Natürlich findest du das jetzt toll, daß die alte Jungfer doch noch was Kleines zum ausbrüten zugesteckt bekommen hat, ohne zu heiraten."

"Ja, da müßtest du deinen Eltern böse sein, daß die dir erzählt haben, daß du erst ein Kind bekommen kannst, wenn du verheiratet bist", feixte Camille. "Aber das habe ich dir mindestens schon viermal gesagt."

"Was willst du denn von Julius' Mutter?" Fragte Uranie Dusoleils Stimme aus dem unergründlichen Verbindungsschacht zwischen zwei Kaminen.

"Wissen, ob sie mit ihrer Arbeit klarkommt und sie für nächste Woche zu uns einladen. Du weißt doch was für ein Tag dann ist, Uranie."

"Echt komisch, daß dich das so unbeschwert läßt", grummelte Uranie. Camille hörte nicht darauf. Sie fragte Martha, ob sie herüberkommen wolle. Sie sollte von einem Ministeriumsauto abgeholt werden. Martha überlegte, ob das so günstig war. Doch dann sagte sie zu. Camille lächelte sie an. Dann verschwand ihr Kopf wieder aus dem Kamin.

"Geh ruhig zu ihr hin, Martha. Ich denke schon, daß wir bis auf weiteres noch sicher sind. Wenn der Massenmörder einen Angriff auf uns geplant hätte, hätte er diesen schon vor fünf Wochen starten müssen, wo die meisten hier noch glaubten, er sei noch nicht an der Macht in England."

"Na ja, merkwürdig ist es schon, zu Claires Todestag eingeladen zu werden und ihre Mutter dabei mit einem neuen Kind unter dem Herzen zu sehen, Catherine. Andererseits hat die sich mit Julius ja darauf eingeschworen, daß Claire solange lebt, solange die beiden leben. Ich hoffe nur, sie denkt nicht, daß Claire in diesem Kind wiedergeboren wird."

"Ist schon sehr schwer für Camille gewesen, Martha. Aber ich denke auch, daß sie sich auf ihr neues Kind freut und nicht daran denkt, es wäre ein Ersatz für Claire oder gar ihre Wiedergeburt, auch wenn es ein Mädchen werden sollte", sagte Catherine zuversichtlich.

"Ich habe von völkern gelesen, deren Religion sagt, daß die Seelen der Verstorbenen in den nächsten Kindern wiedergeboren werden, sich aber nicht bewußt an ihr letztes Leben erinnern können. Würde ich dieser Religion folgen müßte ich darauf hinarbeiten, daß meine Mutter oder mein Vater durch mich wieder zur Welt kommen."

"Da du dieser Religion jedoch nicht anhängst, siehst du im Moment wohl keinen Bedarf, auch noch einmal Mutterfreuden entgegenzuwachsen", erwiderte Catherine lächelnd. Martha antwortete jedoch nicht sofort darauf. Sie sah merkwürdig nachdenklich aus. Dann sagte sie:

"Ich denke, in meinem Alter sollte ich derartige Pläne nicht mehr andenken, Catherine. Und bevor du mir damit kommst, daß Ursuline Latierre da keine Probleme mit hat, erinnere ich dich daran, daß sie eine Hexe ist und langsamer altert."

"Falls du doch noch jemanden findest, mit dem du dein Leben teilen möchtest, Martha, dann solltest du keine Angst davor haben, dich auf ein Kind einzulassen, falls es das ist, was ihr beide in dieses gemeinsame Leben einbringen wollt. Denkst du, ich bekäme das nicht mit, wie nachdenklich du bist, wenn Claudine und ich oder Hippolyte mit ihrer Miriam in deiner Nähe sind? Ich denke, Julius würde auch nichts dagegen haben, wenn du ... Geht mich ja nicht unbedingt was an."

"Gut, daß du es erkannt hast, Catherine. Ich hätte mich ungern mit dir darüber gestritten, ob ich mir von dir oder Line ein zweites Kind aufschwatzen lassen will oder nicht. Außerdem ist die Welt da draußen im Moment nicht gerade einladend. Dieser Frieden hier ängstigt mich mehr als ein untrügliches Zeichen, daß jemand dort draußen herumläuft, der Leute wie Julius umbringt. Auch diese Liste hier stimmt mich da nicht zuversichtlicher. Aber wenn es das ist, was ich tun kann, um diesem Massenmörder potentielle Opfer zu entreißen, dann mache ich das."

"Das wissen wir alle, Martha. Gut, daß Nathalie dir die Zeit läßt, diese Recherchen zu machen."

"Ich hoffe nur, daß sie was bringen", sagte Martha.

"Wenn auch nur ein Menschenleben dadurch gerettet wird ist es die ganze Mühe wert, Martha." Julius' Mutter nickte dazu nur. Sie hoffte es auch.

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Wie Millie ihm zur guten Nacht angekündigt hatte bekam Julius einen Tag später einen Brief seiner Schwiegertante Barbara, daß es zwischen der ihm geschenkten Latierre-Kuh Artemis und dem zehnjährigen Bullen Perseus mehrmals zur Paarung gekommen sei. Sie versicherte ihm, daß sie sich weiterhin um Artemis kümmern wolle und sie im Fall einer Trächtigkeit so gut es ging betreuen und versorgen wollte. Julius schrieb ihr einen Dankesbrief zurück und bot ihr an, die anfallenden Pflegekosten zu übernehmen.

Hercules Moulin ging Julius immer sehr weit aus dem Weg. Vor allem dann, wenn Quidditch trainiert wurde. Weil er wegen seiner Riesenmenge Strafpunkte im letzten Jahr unter den fünf undiszipliniertesten Schülern des Schuljahres gelandet war, durfte er keinen Freizeitkurs mitmachen und mußte sich wie seine vier Mitbestraften an Aufräum- und Putzarbeiten beteiligen, die Schuldiener Bertillon kommandierte. Julius wollte nicht daran denken, daß Hercules ihm die Schuld daran gab, weil er mit Millie zusammen war. Quidditch und die Blechbläsergruppe gehörten zu Hercules' großen Leidenschaften. Deshalb machte sich Hercules auch immer als erster aus dem Staub, wenn die Dienstagnachmittagsstunden um waren.

Mittlerweile konnten alle Jäger und die neue Hüterin Yvonne Pivert das Dawn'sche Doppelachsenmanöver fliegen. Dafür hatten sie allein die ersten beiden Übungsnachmittage verbraten. Die haushohe Niederlage gegen die Roten hatte sie alle bestärkt, sich gegen jede Mannschaft so stark sie konnten einzusetzen. Außerdem war ihnen klar, daß auch ihre ärgsten Gegner, die Roten, Julius' eingebrachtes Flugmanöver trainierten. Giscard hatte ihn zwar einmal gefragt, ob das denn wirklich sein mußte, daß Millie die Doppelachse auch fliegen konnte. Julius hatte nach kurzem Durchatmen erwidert, daß er seiner amerikanischen Gastgeberin für ihre Mannschaft dieses Manöver zeigen wollte und Millie nicht abgehalten werden konnte. "Was nützt einem ein dolles Manöver, wenn bald jeder das fliegen kann", hatte Giscard nur geseufzt, aber sonst nichts mehr dazu eingewendet.

Am Mittwoch überraschte Professeur Pivert seine ZAG-Klasse. Anstatt sie im Vorbesprechungsraum zu informieren, welches Tierwesen sie nun nach den riesenhaften Abraxas-Pferden behandeln würden, hing an der Tür ein Schild. Darauf stand in saphirblauen Buchstaben:

ZAG-Klasse in Badekleidung zehn Minuten nach Stundenbeginn am Strand antreten!
DQ-Regelung für Unterricht außer Kraft!
Jede halbe Minute Verzögerung kostet zehn Strafpunkte
Professeur Maurice Pivert

"Ist das nicht herrlich?" Feixte Gaston Perignon. "Dem fällt doch immer wieder was ein, um uns Strafpunkte reinzudrücken." Julius tat so, als habe er das überhört. Bernadette kommentierte jedoch:

"Muß man dem schon lassen. Professeur Pivert ist sehr kreativ."

"Ohne durch den Palast zu rennen in zehn Minuten am Strand zu sein ist doch ziemlich schwierig", meinte Belisama. Bernadette sah sie herausfordernd an und meinte: "Du kannst doch mit dem Silberbändchen in deinen Saal rüberschlüpfen, Belisama. Ihr habt doch diesen tollen Vorteil."

"Das geht auch ohne Wandschlüpfen, Bernadette", wandte Millie ein und ging mit weit ausgreifenden Schritten davon. Rennen durften sie ja nicht. Julius winkte seinen Saal-Kameraden und marschierte auch los. Bernadette blickte Millie perplex hinterher und sah dabei nicht, wie ihre Saalkameradinnen der rotblonden Mitbewohnerin nacheilten. Weil nun alle unterwegs waren trat sie ebenfalls den schnellen Marsch zum eigenen Schlafsaal an.

Der hätte uns das echt gestern schon sagen können, daß wir heute ans Meer gehen", knurrte Hercules Moulin. "Der will wohl irgendwelche Wassertiere vorführen, Hippocampi oder Leuchtaale."

"Was? Hippocampi? Das wäre voll genial", meinte Gaston Perignon dazu. "Auf so'nem Tiergeschöpf bin ich mal mit meinen Eltern geritten, als wir die Zauberersiedlung Kallagora auf Kreta besucht haben. Da leben superschöne Meermenschen, blonde Fischschwanzmädels und Wassertypen mit pechschwarzen Haaren und algengrünen Augen, die hellblaue Körper haben. Manche von denen sind sogar leuchtendrot."

"Das sind doch diese Hybriden aus Pferd und Fisch", wandte Julius ein. "Das könnte echt sein, daß Professeur Pivert uns die vorstellen will."

"Die schwimmen nicht gerne an der Oberfläche rum", streute Hercules etwas von seinem Wissen ein. "Wenn Professeur Pivert die echt gekriegt hat, tauchen die gerne schnell unter. mein alter Herr wäre mal fast mit so'nem störrischen Wasserkläpper abgesoffen, weil der gerne ganz unter Wasser wollte. Dann sollte Pivert aber was mithaben, um die Viecher am Tauchen zu hindern."

"Große Reifen voll Luft reichen aus", sagte Gaston. "Mit dem Airinflatus-zauber sind die im Handumdrehen aufgeblasen."

"Hört hört!" Knurrte Hercules verdrossen. Julius zog das Tempo an, ohne in richtiges Laufen zu verfallen. Er wollte seinen Kameraden zeigen, daß er ohne Hilfe des Wandschlüpfsystems zum grünen Saal hingelangen und sein Badezeug anziehen konnte.

Mit den angezogenen Badesachen unter den Arbeitsumhängen verließen die Jungen der fünften Klasse ihren Schlafsaal und eilten in Richtung Hauptportal. Julius gab ohne Kommando das Tempo vor, wobei er weit ausgreifende Schritte machte, ohne in unerlaubtes Rennen zu verfallen. Hercules blickte ihm dabei trotzig hinterher, während die anderen versuchten, ohne zu laufen mitzuhalten. Sie verließen den Palast durch den Pausenhofausgang, weil das Hauptportal während der Schulstunden verschlossen blieb. So mußten sie fast um das halbe Gebäude herum, wobei sie nun richtig schnell laufen konnten. Als sie an der Stelle für das Teleportal ankamen trafen sie auf Millie, Caro und Leonie aus dem roten Saal. Bernadette fehlte. Millie winkte ihrem Mann zu und wartete, bis dieser bei ihr war.

"Bernadette wollte uns glatt zwanzig Strafpunkte wegen Rennens durch die Gänge aufladen. Da hat Leonie gesagt, daß sie damit nicht durchkäme, weil Professeur Fixus das locker nachprüfen könne, ob wir echt gerannt sind oder nicht. Sie meinte dann, daß sie sich nicht mehr auf dieses Getue von Professeur Pivert einlassen wolle und die letzte Stunde bei ihm verbracht habe. Sie hätte da eine Sonderregel gefunden, die Saalsprechern erlaubt, innerhalb eines Vierteljahres ein in der dritten genommenes Wahlfach abzubrechen und nicht wie wir anderen bis zum Schuljahresende warten zu müssen. Mit anderen Worten, die kommt nicht mehr raus. Weil ich angeblich alle zum unnötigen Laufen angestiftet habe, grüßte sie mich noch mit zehn Strafpunkten. Die wird langsam lästig, Julius.""

"Mag sein, aber ich kann den Lehrern nicht vorschreiben, wen die als Saalsprecherin nehmen. Sonst hätte ich denen die Silberbrosche gleich wieder zurückgereicht", knurrte Julius. Dann erkannte er, daß ihn alle anblickten. Das Teleportal zum Strand war nicht da. Pivert mußte es nach seinem durchqueren verschlossen haben. Nur Lehrern und Saalsprechern war es erlaubt, es heraufzubeschwören. So hatte Julius die Aufgabe, das magische Durchgangstor wie aus durchsichtigem Licht aufzurufen. So trat er nahe an den Punkt, wo das Tor erscheinen mußte und wirkte mit den von Giscard vermittelten Zauberstabgesten und ungesagten Formeln den Aktivierungszauber. Als das Teleportal stand winkte er seine Klassenkameraden hindurch und wartete auf die Mitschüler aus dem weißen Saal.

Knapp eine halbe Minute vor Ende der Frist keuchten Belisama, Estelle und ihr Klassenkamerad Plato heran. Julius winkte sie wortlos durch und folgte ihnen unverzüglich. Dann ließ er das Teleportal verschwinden. Sie standen nun am Strand.

Ein merkwürdiges Schnauben und Rasseln klang vom östlichen Strandabschnitt. Das Klirren schwerer Ketten übertönte das rhythmische Rauschen der Brandung. Julius sah Pivert, der seine Taschenuhr hochhielt. Als alle bei ihm waren blickte er die Schülerinnen aus dem roten Saal an und fragte:

"Wo haben Sie Ihre Mitschülerin Bernadette Lavalette gelassen, die Damen?"

"Die hat in ihrer Eigenschaft als stellvertretende Saalsprecherin befunden, daß sie auf die ZAG-Prüfung in Ihrem Fach verzichten möchte", sagte Leonie Poissonier ohne Bedauern in der Stimme. Professeur Pivert verzog das Gesicht und winkte Julius zu sich.

"Ist Ihnen als Stellvertretendem Saalsprecher eine Regelung bekannt, die Ihnen erlaubt, während des laufenden Schuljahres die Teilnahme an einem gewählten Unterrichtsfach abzubrechen, Monsieur Latierre?"

"Nicht aus dem Stand, Professeur Pivert", erwiderte Julius. "Aber ich habe die Schulregeln in verkleinertem Zustand mit, falls Sie eine Prüfung wünschen."

"Nicht hier und jetzt", knurrte der Lehrer. "Ich prüfe es in der Mittagspause", schnarrte er noch. Dann sagte er, daß sie alle pünktlich eingetroffen waren und deutete auf sieben Eisenpfähle, die tief in den weichen Sand hineingerammt worden waren. An jedem Pfahl war eine Kette mit fingerdicken Gliedern befestigt, die mehr als zwanzig Meter weit ins im Moment ruhig wogende Meer hinauslief. Am anderen Ende der Kette wand sich ein Geschöpf, dessen Vorderkörper der eines Pferdes war und dessen Hinterleib in einem kräftigen Fischschwanz auslief. Er sah ein elfenbeinfarbenes Wesen, drei Korallenrote und drei silbergraue. Die magischen Geschöpfe wandten ihre Köpfe mit langen Mähnen um und prusteten laut. Eines gab ein Geräusch wie eine mittelhohe Orgelpfeife von sich. Ein anderes schnarrte unheimlich klingend.

"Wir hätten Wetten sollen", warf Hercules unaufgefordert ein.

"So, worum denn?" Fragte der Lehrer immer noch ungehalten.

"Daß Sie uns Hippocampi zeigen möchten, Professeur Pivert", preschte Hercules vor.

"Zehn Bonuspunkte für das Erkennen und zehn Strafpunkte für unaufgefordertes Sprechen, Monsieur Moulin. Gerade im Bereich magischer Tierkunde ist eine gute Selbstbeherrschung ungemein, um nicht zu sagen lebenswichtig", erwiderte Pivert. "Wer außer Monsieur Moulin kennt diese Wesen und möchte beschreiben, woher sie stammen und wie sie leben?" Hercules zeigte auf, auch wenn er wohl nicht aufgefordert würde. Ebenso zeigten Gaston, Millie, Caro, Leonie und Julius auf. Gaston sollte sprechen.

"Der Hippocampus ist vor wohl dreitausend Jahren auf der griechischen Insel Kreta gezüchtet worden, als ein Zauberer namens Melampos Triton den Auftrag des Königs hatte, Reittiere zu erschaffen, die zwischen den Inseln benutzt werden konnten. Zusammen mit einer Meereskönigin namens Thalassa hat er dann aus zwanzig Kriegspferden und ebenso vielen Fischen die zehn Urpaare gemacht. Doch die neuen Tiere waren nicht so gut zu bändigen. Sie wollten immer untertauchen und brachten dabei die auf ihnen sitzenden Krieger um, die nicht schwimmen konnten und in ihren Rüstungen eh leicht untergingen. Melampos sollte darauf hingerichtet werden. Er bekam das jedoch mit und verfluchte die gerade schwangere Königstochter, daß sie nur noch Kinder von Stieren bekommen würde und floh mit einem Tauchzauber in Thalassas Reich. Angeblich kannte er ein Mittel, selbst zum Meermenschen zu werden. Aber genaueres weiß keiner. Die verfluchte Königstochter bekam fünf Kinder, die ersten erwähnten Minotauri."

"Soweit alles richtig, Monsieur Perignon. Zehn Bonuspunkte dafür. Madame Latierre, bitte schildern Sie uns allen das, was Sie über Größe und Erscheinungsform der Hippocampi wissen!"

"Ein männlicher Hippocampus, der auch als Wasserhengst bezeichnet wird, kann ausgewachsen vier Meter lang werden. Das Weibchen, also die Wasserstute, wird bis zu drei Metern groß. Ausgewachsen sind diese Tiere mit drei Jahren. Die vom Pferd stammenden Vorderbeine tragen statt Hufe Paddelflossen, mit denen sie Richtung, Neigung und Seitenlage steuern oder auch zusätzliche Geschwindigkeit erreichen können. Sie kommen nur in den drei Farben vor, wie die sieben haben, die Sie gerade am Strand festgemacht haben", sagte Millie und deutete auf die angeketteten Geschöpfe.

"Zutreffend, Madame Latierre. Auch für Sie zehn Bonuspunkte. Wer weiß was über die Fortpflanzung der Hippocampi? Madame Latierre hat ja schon erwähnt, daß sie sich in Männchen und Weibchen untergliedern lassen." Millie, Leonie und Hercules zeigten auf, ebenso Julius. Leonie sollte nun antworten.

"Die Hippocampi können wohl mit zweieinhalb Jahren Nachkommen haben, wobei die Körperfarbe unterschiedlich vererbt werden kann. Wenn eine Wasserstute erfolgreich begattet wurde, trägt sie drei bis vier Eier in ihrem Hinterleib, bis die darin gewachsenen Meeresfohlen anfangen, sich zu bewegen. Das löst die Mutterwehen aus. Die Stute legt die knapp vierzig Zentimeter großen Eier in einer vom Vater bewachten Zone des Meeresgrundes ab. Die Eier sind weich und durchsichtig, so daß die darin heranwachsenen Fohlen gut zu sehen sind. Die Eihaut ist jedoch wasserdicht und umschließt die darin enthaltene Nährflüssigkeit ähnlich einer Fruchtblase bei Säugetieren. Sie ist jedoch ein eigenständiger Organismus, der vom Meerwasser lebt und damit sein Wachstum und die Nahrung für das Fohlen ermöglicht. Die Fohlen sehen zuerst wie nicht behaarte Normalpferde aus. Erst drei Wochen vor dem Schlüpfen verwachsen die Hinterbeine. Das wird als Kindswehen bezeichnet. Wenn die Schwanzflosse entstanden ist, schlägt diese so oft hin und her, bis die Eierschale aufreißt und das darin liegende Fohlen endgültig freikommt. Es frißt die zerrissene Eihaut und taucht dann mit seiner Mutter zur Oberfläche, wo es Seetang frißt. Hippocampi werden nicht wie Pferde gesäugt. Sie haben beim Schlüpfen schon Zähne, um Seetang zu zerbeißen. Später kommen noch Zähne dazu, um kleine Fische oder Krebse zu fressen. Je größer der Hippocampus wird, desto größer ist seine Nahrungsauswahl. Allerdings frißt er nur kaltblütige Wirbeltiere und Muscheln."

"Auch dafür zehn Bonuspunkte. Monsieur Moulin, dann Schildern Sie uns abschließend die Einstufung der Hippocampi, sowie die Verwendbarkeit und Haltung!" Erteilte der Zaubertierkundelehrer nun Hercules Moulin das Wort.

"Diese Tierwesen sind stark und können als Zugtiere für Schiffe oder Flöße genutzt werden. Allerdings schwimmen sie nicht gerne an der Oberfläche, obwohl sie Luft atmen können. Daher tauchen sie sofort unter, wenn sie nicht mit entsprechenden Zügeln oder Führketten zurückgehalten werden. Da sie nur im Wasser leben können werden sie eher von Wassermenschen als Reittiere gezähmt. die Zaubereiministerien der Länder, die an das Mittelmeer grenzen, haben vor fünfzig Jahren eine gemeinsame Betreuungs- und Zuchtverordnung für Hippocampi unterzeichnet, darunter auch Frankreich. Das war deshalb nötig, weil die nach der Urzüchtung im Meer verstreuten Wesen wilde Kolonien gebildet haben und Muggelseeleute immer wieder welche auftauchen sahen. Allerdings konnten sie nie einen Hippocampus einfangen oder mit Schußwaffen töten, weil die wie Landpferde Gefahren spüren und sehr schnell schwimmen können. Sie tauchten sofort unter. Allerdings wurde einmal ein Hippocampusei von einem Sturm ans Land gespült. Das führte zur Vorstellung, daß böse Kräfte im Spiel seien. Daher wurde die Hippocampus-Patrouille gegründet, die aus Zauberern der Mittelmeerländer und Meerleuten besteht. In den Unterwasserreichen gibt es kleinere Herden, heißt es aus der Tierwesenbehörde." Alle grinsten. Hercules hätte doch gleich sagen können, daß sein Vater ihm das mal erzählt hatte. Millie nickte jedoch. Offenbar hatte ihre Tante Barbara auch schon mal so was erwähnt. Hercules verzog kurz das Gesicht. Auch als Millie ihm aufmunternd zulächelte konnte er den verärgerten Ausdruck nicht ablegen und knurrte: "Ich kann nur sagen, was ich über diese Wesen gehört oder gelesen habe, Leute. Selbst habe ich die Ställe von da unten noch nie gesehen. Die ganzen Muggelschiffe haben ja viele Meervölker tiefer ins Meer hinausgetrieben."

"Das genügt, Monsieur Moulin. Ebenfalls zehn Bonuspunkte für Sie", würgte Pivert das Knurren ab. "Ich bestätige sehr gerne, daß diese unterseeischen Gestüte existieren, Monsieur Moulin. Ich habe selbst mal eines besichtigt. Das ist auch der Grund, warum ich Ihnen hier und Heute sechs Stuten und einen Hengst vorführen kann. Merret, der Besitzer des Gestüts fünfzig Kilometer südlich von Marseille, erlaubte mir, diese Wesen für den Unterricht herzubringen. Ich mußte mein Ehrenwort geben, daß den Tieren nichts zustößt. Im Moment sind die Meerleute uns Zauberern gegenüber etwas mißtrauisch gesinnt. Ich weiß nicht warum. Aber ich bitte Sie alle hier, die Tiere mit allem Respekt zu behandeln, ebenso wie Merrets Söhne, die sie hergebracht haben." Pivert deutete auf das Meer hinaus. Doch außer den an ihren Ketten zerrenden Hippocampi war nichts zu erkennen. Das elfenbeinfarbene Exemplar stieß ein zorniges Gebrüll aus, das irgendwie wie zu langsam von Band abgespieltes Pferdewiehern anmutete. "Benutzen Sie die beiden Umkleidekabinen, um ihre Landgarderobe abzulegen und finden Sie sich in Ihrer Badekleidung in zwei Minuten wieder ein!" Befahl Pivert. Die Schüler gehorchten. Ohne Tuscheln und Schwatzen legten sie ihre Überkleidung in die Fächer der beiden Umkleidekabinen und kehrten an den Strand zurück. Die Sonne war immer noch stark genug, obwohl es bereits Oktober war. So froren die Schüler nicht, als sie ihrem Lehrer wieder gegenüberstanden. Pivert trug nun eine smaragdgrüne Badekluft, die einem kurzärmeligen Schlafanzug glich. Er fragte, ob sie alle schon den Kopfblasenzauber konnten. Außer Mildrid, Belisama und Julius hatte den aber noch keiner gelernt. So sollten die drei Pflegehelfer dem Lehrer helfen, die anderen Schüler mit dem schützenden Atemluftzauber auszuhelfen. Danach teilte er die Klasse in Gruppen ein. Millie und Julius sollten, weil Pflegehelfer, mit zwei Kameraden auf einem der Wasserpferde reiten. Estelle Messier wandte ein, daß sie schon damals nicht auf einem Hippogreifen hatte reiten wollen, weil ihr große Tiere nicht geheuer waren. Durch die Kopfblase klang ihre Stimme hohl wie aus einem verschlossenen Kessel. Pivert holte sie in die von ihm geführte Gruppe. Dann half er den Schülern auf die vom Wasser leicht rutschigen Rücken der Tierwesen, die die Last der Reiter mit leisem Murren und Schnauben kommentierten. Dann ging es los. Pivert löste mit einem Zauberstabwink die Halteketten, worauf die sieben Hippocampi sofort lospreschten, bevor die ungeübten Reiter die aus Seetang geflochtenen Zügel ergreifen und sie zurückhalten konnten. Keine fünf Sekunden später schlug das Meerwasser über den in die schützenden Blasen gehüllten Köpfen zusammen.

"Zügel nehmen und die Tiere so damit ziehen, daß Sie mir nachfolgen!" Dröhnte Piverts Stimme wie aus einem hausgroßen Fass klingend. Offenbar hatte er den Sonorus-Zauber angewendet. Denn seine Kopfblase zitterte bedrohlich, als er das rief. Julius, der mit Gaston Perignon und Plato Cousteau zusammen auf einer der silbergrauen Meeresstuten ritt, mußte seine Erinnerung durchwühlen, um sich das Reiten auf einem Pony zurückzurufen. Das war schon sieben Jahre her. Moira Stuard hatte damals ein richtig großes Pferd ausleihen dürfen. Julius hatte sich darauf eingelassen, mit ihr zusammen auszureiten und hatte dieses winzige Pony hingestellt bekommen, wo er bald schon mit den Füßen links und rechts abbremsen konnte. Daran dachte er jetzt, während er das magische Mischwesen unter Wasser in den Griff zu bekommen versuchte. Immer noch glitten die fünf Wasserwesen hinab in die Tiefe. Das über ihnen verwirbelte Sonnenlicht wurde langsam schwächer.

Er sah zwei schlanke Körper vor sich wie große Fische mit langen Schwanzflossen. Erst beim Näherkommen erkannte er, daß es Meermenschen waren, Wassermänner mit braunen Haaren und blassblauen Körpern. Sie machten Pivert einige Zeichen. Er antwortete mit einer Hand. Die Meermänner wedelten nach links und rechts und warteten, bis die Unterwasserreiterei an ihnen vorbeizog. Offenbar war die Meeresstute, auf der Julius mit seinen Begleitern hockte, auf den vor ihr schwimmenden Hengst eingepegelt, dachte Julius. Denn sie folgte diesem ohne seine Zügelkommandos. So ließ er sie schwimmen und beobachtete, wie sie mit den wie große Paddel aussehenden Füßen ruderte. Wie schnell konnte so ein solcher Meereshottemax sein? Die Frage hatte keiner gestellt. Aber im Moment kam es ihm so vor, als könnten diese Tiere sich unter Wasser genauso leicht bewegen wie Vögel in der Luft. Selbst die auf ihnen eher hockenden als thronenden Beauxbatons-Schüler machten den Hippocampi nichts aus. Aber wo wollten sie eigentlich hin? Julius hoffte nur, daß sie nicht zu tief abtauchten, oder er durch irgendwas in Panik geriet. Denn das konnte bewirken, daß sein Geist in den Körper der Meeresstute überwechselte, wie er es in den Osterferien bei nun seiner Latierre-Kuh Artemis erlebt hatte. Er dachte vorsorglich seine selbstbeherrschungsformel und sah beruhigt, wie Pivert seinem Reittier mit energischen Zügelbewegungen eine etwas ruhigere Gangart aufzwang. Julius warf immer wieder einen Blick auf seine vollkommen wasserabweisende Armbanduhr und las so ab, daß sie eine halbe Stunde durch das Mittelmeer brausten, bis sie in der Nähe einer mit Muscheln besetzten Sandbank ankamen. Aus der Ferne war jenes verlangsamte Wiehrn, sowie rhythmisches Klicken und Knarren zu hören. Julius staunte nicht schlecht, als er einen Wall aus Meereskieseln sah, hinter dem sich große Seetangfelder erstreckten, die von mehreren Hippocampi durchpflügt wurden. Vier Meermenschen mit stumpfen Speeren und rasselnden Rohren hielten die Herde zusammen. Das war also das Unterwassergestüt, von dem Pivert gesprochen hatte. Plateau Cousteau, der hinter Gaston saß und sich an den aus Fischschuppen gebildeten Riemen des Dreiersattels festhielt, blickte staunend aus seiner Kopfblase heraus, die unter Wasser wie ein nahtloser Kugelhelm aus Glas aussah.

Pivert warf einem der Meermenschen, die ihnen, wie Julius jetzt sah, auf zwei weiteren Hippocampi nachgeritten waren, die Kette seines Reittieres zu. Dann saß er ab und bedeutete seinen Schülern, es ebenso zu tun. Danach holte er etwas aus der Außentasche seiner Badekleidung, das wie kleine Scherben aussah. Mit mehreren Stupsern ließ er diese zu großen Tontafeln anwachsen, auf denen etwas geschrieben stand. Mit erleuchtetem Zauberstab deutete er auf die erste Tafel. Darauf stand: "Dies ist das Unterwassergestüt von Wasserhüter Merret und seiner Familie. Wer Fragen hat, bitte die zwei leeren Tafeln mit der Unterwasserkreide beschreiben, die ich gleich austeile!"

So verlief nun eine Halbe Stunde Unterricht unter Wasser, in der sie alle noch mehr über die Hippocampi erfuhren. Merret, ein mindestens zwei Meter langer Meermann mit bereits silbergrauem Haar, trug ihnen sogar eines der bereits erwähnten Eier hin, in dem sich ein rosiges, völlig nacktes Fohlen bewegte, dessen Stummelschwanz durchaus auch einmal richtige Schweifhaare ausbilden konnte. an den Fohlen in den Eiern konnten die Schüler wie bei gewöhnlichen Tieren bereits das Geschlecht erkennen, wo es bei den Erwachsenen Tieren nur durch die Größe und Gestalt zu bestimmen war. Als es nur noch zwanzig Minuten bis zum Ende der Stunde waren, gebot Pivert seiner Klasse, wieder auf die sieben Reittiere zu klettern. Dann preschten diese schneller als vorhin mit der Klasse zurück an den Schulstrand. Dort befreiten sich die Pflegehelfer von den Kopfblasen und halfen auch den Mitschülern, sie loszuwerden. Danach hieß es, die Badesachen blitztrocknen und wieder Schultauglich umziehen.

"Ich bedanke mich recht herzlich für Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit, Ihren Mut und ihre Mitarbeit", verabschiedete Pivert die Klasse und gab für die nächste Stunde auf, sich aus den einschlägigen Büchern über die Geschichte der Hippocampi alles zu notieren und zu einem umfassenden Bericht zusammenzufassen.

"Diese Meeresleute sind echt spannend", sagte Plato in Julius' Hörweite. "Ich würde die gerne genauer kennenlernen."

"Die sind ziemlich mißtrauisch. Zauberstäbe mögen sie nicht sonderlich", sagte Hercules. Professeur Pivert räusperte sich und warf ein:

"Zudem muß wohl vor geraumer Zeit was zwischen Meerleuten in Griechenland und Zauberern passiert sein. Der griechische Meerkönig Bathos wollte alle Unterwasservölker im Mittelmeer zu einem Vergeltungskrieg gegen die Landmenschen anstacheln", sagte der Lehrer. "Unser Glück, daß unser Ministerium mit den vor Frankreich lebenden Meerleuten bisher immer sehr respektvoll umgegangen ist. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Nachmittag!"

"Der guckt jetzt erst mal die Regel nach, die Bernie gefunden haben will", feixte Millie, als sie mit Julius zusammen durch den Pausenhofeingang den Palast betrat.

"Bernadette ist überkorrekt, Millie. Die zieht sowas nicht durch, wenn sie nicht sicher ist, daß ihr dabei nichts passieren kann."

"Wo steht denn das in den Schulregeln, Julius?" Fragte Millie.

"Guck ich heute Abend mal nach. Jetzt ist erst einmal Alchemie-AG. Wahrscheinlich wird Bernadette da wieder auftrumpfen. Schön, daß ich nicht in deren Arbeitsgruppe bin."

"Findest du also auch, daß die zu überheblich ist", grummelte Millie.

"Weil ich genug damit zu tun habe, meine eigenen Sachen nicht zu heftig überheblich rüberkommen zu lassen, Mamille."

"Das du von denen hier vorangetrieben wirst hat echt jeder kapiert, vom Erstklässler bis zu denen von der UTZ-Klasse, Monju. Ja, und weil wir beide jetzt offiziell zusammen sind hat es auch jeder kapiert, daß du hier nicht für's Lernen lebst."

"Ich liebe dich auch, Madame Latierre", erwiderte Julius darauf nur. Jetzt zu sagen, daß sie recht haben mochte, fand er nicht angebracht.

Nach der Alchemie-AG und dem Abendessen durften Julius und Céline in der Holzbläsergruppe ein Duett einüben, daß sie bei einem Schulkonzert vortragen konnten. Julius dachte daran, daß sich am nächsten Montag der verhängnisvolle Ausflug in die Festung des alten Wissens jährte. Er wollte Camille gleich nach der Musik-AG einen Brief schreiben und mit seiner Schleiereule Francis losschicken.

Als er Camille in zehn sorgsam formulierten Sätzen seine Anteilnahme versichert hatte, schlug er in den Schulregeln nach, was ein Saalsprecher noch so alles durfte. Tatsächlich fand er eine Regelung, die besagte, daß ein Saalsprecher oder Stellvertreter ein in der dritten Klasse gewähltes Fach noch innerhalb des gerade laufenden Schuljahres abbrechen konnte, wenn die sonstigen Fächer darunter litten und/oder durch die Aufgaben des Saalsprechers eine zu große Belastung auftrat. Außerdem galt es für einen Saalsprecher, seinen eigenen DQ hoch genug zu halten, um jederzeit zur Strandaufsicht eingeteilt werden zu können. Da lag wohl der Hase im Pfeffer, dachte sich Julius. Bernadette fürchtete, daß unnötige Strafpunkte von Pivert ihren DQ versauten. Dann konnte sie sich natürlich von dem Fach lossagen. Allerdings war da eine Kleinigkeit, die Bernadette offenbar nicht gut genug nachgelesen hatte. Der Verzicht auf die weitere Teilnahme an einem Wahlfach mußte dem zuständigen Lehrer und dem saalvorsteher vierundzwanzig Stunden vor der nächsten Stunde in diesem Fach schriftlich bekanntgemacht werden. Die Bekanntmachung mußte vom Saalvorsteher abgezeichnet werden.

"Tja, Bernie, da hast du dir vielleicht ein kleines aber gemeines Eigentor geschossen", schnarrte Julius so leise, daß keiner es hören konnte. Er ging zu Yvonne, Céline und Giscard hinüber und besprach Bernadettes übereilten Unterrichtsverzicht.

"Da wird Professeur Fixus ihr aber wohl noch was ans Bein binden", sagte Céline nicht ohne Schadenfreude. "Wußte die das schon, als ihr bei der die Zaubertrank-AG hattet, Julius?"

"Ich gehe davon aus, daß sie es da noch nicht wußte oder die Sonderregel nicht kannte, daß jemand das schriftlich ankündigen muß, daß er oder sie keine Lust mehr auf weitere Stunden Arithmantik, Runen, Muggelkunde, Tierwesen oder Wahrsagen hat."

"Vielleicht brodelt bei denen im roten Saal gerade der große Kessel, in dem Bernadette von Professeur Fixus geschmort wird", feixte Céline. Yvonne räusperte sich tadelnd und zischte ihrer Stellvertreterin was zu, was diese mit einem Schulterzucken abwetterte. Julius warf ein, daß Professeur Fixus ihrer Musterschülerin wohl unter Ausschluß der Öffentlichkeit die Meinung geigen würde. Er vermutete über dies, daß sie für die absichtlich versäumte Nachmittagsstunde die dafür fälligen Strafpunkte kriegen würde, die dann womöglich sogar verdoppelt wurden, weil sie eine stellvertretende Saalsprecherin war. Das trieb Céline eine unverhohlene Schadenfreude ins Gesicht. Yvonne versuchte zwar, sie zurechtzuweisen. Doch sie ließ sich nicht abbringen.

Abends im Bettschickte er noch einen Gutenachtgruß an Millie. Diese mentiloquierte ihm über ihren Herzanhänger zurück:

"Über Bernies strahlendes Licht steht jetzt eine ziemlich dunkle Wolke, Monju. Fixie hat die nach dem Essen vor uns allen runtergemacht, daß ich mich wundere, daß Bernie nicht dabei zusammengeschrumpft ist. Wußtest du, daß diese Sonderregel nur dann zieht, wenn einer von euch Broschenträgern das vorher schriftlich reinreicht, daß er oder sie die nächste Stunde nicht mehr mitmachen will?"

"Hab's heute gelesen, Mamille. Wahrscheinlich hat Bernadette das nicht gut genug gelesen."

"Die hätte sich lieber die Punkte von Pivert einhandeln sollen. Jetzt hängt die mit satten vierhundert Strafpunkten voll im Sumpf. Die geht diese Woche nicht mehr ans Meer", vernahm er Millies lautlosen Triumph.

"Da bin ich mal auf den nächsten Samstag gespannt, wenn die SSK läuft", schickte Julius zurück. "Nachher müssen die noch wen neues zur Stellvertreterin von euch machen."

"Vergiss es, Monju! Ich melde mich bestimmt nicht freiwillig für den Krempel."

"Hat deine große Schwester bestimmt auch mal so gesagt", schickte Julius zurück.

"Brunie wird Renée aus ihrer Klasse empfehlen, sollte das echt passieren, Monju. Möglich ist es. 'ne Saalsprecherin darf sich nicht so'n Kaventsmann von Strafpunkten abholen. Das hat Fixie ja auch fast ohne Besen hochgehen lassen. Brunhilde hat nur dabeigesessen und zugesehen, ein total versteinertes Gesicht zu machen. Könnte mir vorstellen, daß die sich sogar freuen würde, wenn Bernie die Brosche wieder abgeben darf."

"Was gleichbedeutend mit einem weiteren Sack Strafpunkten ist. Die gerne als solche bezeichnete Maman Beauxbatons wird sich das nicht bieten lassen, daß ihre Disziplinarhüter so danebenhauen. Ich hoffe nur, die zieht dich, Caro und die anderen aus ihrer Klasse nicht mit in den tiefen Modder rein, Mamille. "

"Im Bett bin ich wenigstens Sicher, Julius. Außerdem hängt die jetzt noch da unten rum und diskutiert mit Brunhilde."

"Dann bis morgen früh, Mamille!"

"Mußt du morgen wieder wecken?"

"Mal wieder, Mamille."

"Dann sehen wir uns wohl in der großen Pause wieder. Bis dann, Cherie!"

Julius dachte noch eine Weile über alles nach. Fast hatte er vergessen, was gerade in England los war. Seine Mutter hatte ihm ja geschrieben, daß bereits die ersten Muggelstämmigen von der Liste das Land verlassen hatten und jetzt erst einmal unter falschem Namen in der Muggelwelt lebten. Zum Glück hatten die Kobolde in Gringotts Paris die Auszahlungsanweisung vom Zaubereiministerium in London abgelehnt. Aber wie lange würde das möglich sein? Dagegen war das, was Bernadette sich heute geleistet hatte echt Kinderkram. Mit diesen Gedanken schlief er ein.

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"Minister Thicknesse, wir können die Stanfords nicht finden. Als unsere Truppe bei denen ankam, war das Haus verlassen. Es fehlen Gepäckstücke und persönliche Sachen", sagte der bullige Zauberer Runcorn, als er Zaubereiminister Thicknesse gegenüberstand.

"Die können nicht einfach weg sein", schnarrte der Minister. "Das wäre schon die siebte Schlammblüterfamilie, die sich erfolgreich um die Vorladung gedrückt hätte. Abgesehen davon, daß Dolores immer noch meint, daß Sie die zwanzig Angeklagten befreit haben, zusammen mit Mafalda Hopfkirch. Haben wir von denen denn schon wieder welche eingefangen?"

"Keinen einzigen. Die sind wohl sofort in der Muggelwelt untergetaucht, Sir. Aber die kriegen wir über deren Verwandte, die nicht zaubern können. Außerdem habe ich Dementoren und freiwillige Helfer ins Land geschickt, die die verdammten Schlammblüter jagen sollen. Und wenn wir dabei diese Bastarde kriegen, die mich außer gefecht gesetzt haben ... die sah aus wie Mafalda. Aber ich denke, daß war eine vom Phönixorden, die ins Ministerium reinwollte. Vielsaft-Trank, Herr Minister."

"Was Sie nicht sagen", schnarrte Thicknesse. Runcorn lächelte innerlich. Sollte er jetzt vor dieser Marionette da kuschen? Andererseits diente sie dem dunklen Lord als Hör- und Sprachrohr. Wenn er keine Erfolge vorweisen konnte, würde der dunkle Lord es erfahren. So sagte er: "Diese Muggel haben Fernsprechfelotone, mit denen sie wie bei Kontaktfeuer miteinander quatschen können. Kann sein, daß wer die verwandten dieser Zauberkraftdiebe warnt und sagt, daß sie verduften sollen."

"Unfug, Runcorn. wir haben zu wenig Leute im Einsatz. Lassen Sie alle auf der Liste festnehmen und vorführen!"

"Die Liste ist lang, Minister Thicknesse. Wenn die Schlammblüter wissen, daß wir sie endlich aus dem Verkehr ziehen könnten die ... Ich sehe zu, daß ich mehr Leute drauf ansetze. Steht die Sache mit Dawlish, daß seine Kameraden mithelfen?"

"Das ist sicher", bestätigte der Minister. Runcorn nickte und wollte gehen. Da sagte der Minister noch: "Kann sein, daß die Banditen über den Kanal nach Frankreich oder Belgien rüber sind. An den Flughäfen kamen zumindest keine durch, weil ich die Registratoren da verdreifacht habe. Dann müssen die entweder durch diesen Muggeltunnel durch, wo wir auch Leute haben oder übers Meer. Das können wir leider nicht so kontrollieren. Ich habe den Ministern von Frankreich, Belgien, Holland und Deutschland schon geschrieben, sie möchten es melden, weil das gefährliche Verbrecher sind." Runcorn grinste. Er wußte doch, daß die von Muggelbrütigen durchsetzten Zaubereiministerien auf dem Kontinent ihresgleichen nicht als das sahen, was sie waren, Unrat und auszurottendes Geschmeiß. Offenbar wußte es auch der Minister. "Ich schrieb noch, daß wenn sie uns nicht helfen würden, wir unsere eigenen Leute rüberschicken würden, da wir ja dann von gezielten Angriffen auf uns ausgehen dürften. Die wissen schon, wen wir da meinen." Er lächelte überlegen. Runcorn grinste verächtlich. Dann würden die Ausländer bald lernen, welcher Wind wehte. Er verabschiedete sich und verließ das Büro des Ministers.

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"Das müssen wir ernstnehmen", seufzte Armand Grandchapeau, der französische Zaubereiminister, als er seiner Frau, seiner Tochter und dem Schwiegersohn einen Brief aus England vorgelesen hatte. Belle seufzte auch, wohl auch wegen der anderen Umstände, die sie noch etwas mehr als vier Monate begleiten sollten. "Einige von den Muggelstämmigen, die sie auf ihre schwarze Liste gesetzt haben, sind wohl noch rechtzeitig entwischt und um ihre Überwacher herumgekommen. Wie Sie gehört haben verdächtigen die uns, denen bei der Flucht geholfen zu haben. Sie erdreisten sich, mir und anderen Kollegen ein Ultimatum zu stellen. Wir sollen denen helfen, diese Flüchtlinge einzufangen und sie zurückschicken. Dabei wissen die ganz genau, daß wir das ganz bestimmt nicht tun, solange ich hier Minister bin."

"Weiß Monsieur Chevallier von diesem Ultimatum, Herr Minister?" Fragte Belle förmlich.

"Natürlich, genauso wie die Amtskollegen aus Deutschland, Belgien und den Niederlanden. Heinrich, ich meine Zaubereiminister Güldenberg, hat die Lichtwächter an der Nordseeküste zusammengezogen. Der knabbert noch dran, daß der Unnennbare in Sachsen eine Mutter mit zwei Kindern umgebracht hat, einfach so."

"Waren das nicht die, bei denen der alte Gregorowitsch vor dreizehn Jahren noch gewohnt hat?" Fragte Belle. "Ich kann mich entsinnen, daß einer aus der Durmstrang-Gruppe während des trimagischen Turniers erzählt hat, er habe seinen Zauberstab noch in Deutschland kaufen müssen."

"Dann sucht er den wohl", vermutete Madame Nathalie Grandchapeau.

"Davon geht Herr Güldenberg auch aus und läßt nach ihm suchen. Allerdings ist Gregorowitsch wohl wieder in Osteuropa unterwegs. Zaubereiminister Arcadi hat geschrieben, daß sie im Moment in Rußland Probleme mit versprengten Vampiren haben, die nach Bokanowskis Verschwinden aus ihren Löchern gekrabbelt sind. Ich werde unsere Desumbrateure anweisen, die Kanalküste zu beobachten."

"Die müssen auch die Normandie überwachen, Herr Minister", sagte Belle. "Sie wissen doch noch, was Madame Andrews uns über den zweiten Weltkrieg der Muggel erzählt hat."

"Nur mit dem kleinen Unterschied, daß wir nicht genug Leute haben, um die Atlantikküste zu überwachen, und das wissen diese Verbrecher", schnaubte Minister Grandchapeau.

"Wenn Sie nicht auf das Ultimatum eingehen, Minister Grandchapeau, dann möchten Sie sich wohl auf eine direkte Auseinandersetzung mit der neuen Macht in Großbritannien einrichten", sagte Nathalie Grandchapeau. Ihr Ehemann nickte heftig. Die beiden Hexen sahen ihn betrübt an. Sie wußten, daß sie einen neuen Angriff aus England zu erwarten hatten. Er, dessen Namen sie nicht nennen mochten, fühlte sich offensichtlich nun stark genug, seine Nachbarn zu bedrohen. Und er konnte sich sicherfühlen, weil niemand seine Inseln betreten konnte, der nicht selbst dort geboren war.

"Belle, hat Martha noch was gesagt, ob das mit dem nächsten Montag so bleibt wie verabredet?" Fragte Nathalie Grandchapeau ihre Tochter.

"Sie möchte dort hinreisen, Maman. Ich fahre sie am Samstag schon nach Millemerveilles. Die Eheleute Dusoleil haben ihr ja angeboten, sie bis Dienstag morgen zu beherbergen."

"Am Besten fährt Adrian da auch hin und bleibt mit euch dreien da. Ich veranlasse es, daß das Gästehaus des Ministeriums für euch bereitgemacht wird. Am Besten hebst du einige Galleonen ab oder läßt die nach Gringotts in Millemerveilles überweisen. Ich denke, wenn wir wirklich angegriffen werden, dann wird er alles aufbieten, was er kann. Da werde ich mich wesentlich sicherer fühlen, wenn du in einem absoluten Schutzbereich weiterwohnen kannst."

"Am besten verlegen wir das Ministerium nach Millemerveilles", sagte Belle und atmete kurz durch, um das leichte Unwohlsein zu überstehen, das sie gerade überkam.

"Das wäre das verkehrte Mittel, Belle. Wenn wir uns jetzt schon einigeln verlieren die Hexen und Zauberer das Vertrauen in uns. Bei der Gelegenheit, über das Ultimatum darf niemand was erfahren. Das ist nämlich der Punkt, daß dieser Massenmörder eine Panik schüren will. Seine willigen Vollstrecker sind ja noch in aller Erinnerung."

"Ja, aber wenn ihr schon hier alle die Stellung halten müßt, dann holt alle her, die diese Kreaturen effektiv zurückschlagen können", schlug Belle vor. Ihre Mutter nickte nur.

"Dann ist es klar, daß du bis auf weiteres nach Millemerveilles reist, meine Tochter."

"Damit wir beide beruhigt sind, Maman", seufzte Belle.

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"Wenn du vor lauter Frust und Wut nichts besseres zu tun hast, als deine Mitschüler runterzumachen oder die Schulregeln zu mißachten, holt dich Tante Agrippine zu sich!" Hörte er die Stimme seines Vaters wieder, nachdem er erneut aus einem leidenschaftlichen Traum aufgewacht war. Diesmal war es ganz abgedreht gelaufen. Er war von Madame Maxime in ihr Sprechzimmer gerufen worden, die ihm gesagt hatte, daß er für jeden Strafpunkt, den er in diesem Schuljahr kassiert hätte eine Minute mit ihr Liebe machen sollte. Als er sich dann echt darauf eingelassen hatte, hatte sie ihm auffordernd zugeraunt, er solle richtig zu ihr kommen. Da war sie unvermittelt immer größer geworden, und er war mit einem lauten Angstschrei in ihren Körper hineingezogen worden. Er hatte sich dann in seinem eigenen Bett wiedergefunden, keuchend vor Angst und angeheizter Lust. Offenbar hatte er noch einmal rechtzeitig den Absprung geschafft, bevor er es nicht mehr hätte zurückhalten können. So ging das schon seit seinem fünfzehnten Geburtstag. Es hatte mit solchen Träumen angefangen und war nun zu einer Mischung aus Begierde, Wut, Versagensangst und Angewidertheit geworden. Außerdem waren seine Sinne in den letzten Monaten immer schärfer geworden. Er konnte Leute in mehreren Dutzend Metern Entfernung normal sprechen hören, ja bei völliger Stille sogar die Herzen direkt vor ihm stehender Leute schlagen hören. Seine Nase war immer empfindlicher geworden. Die Flut von Parfüms und Schweißspuren trieb ihn fast zum Wahnsinn. Er konnte bei Dunkelheit immer besser sehen. Außerdem konnte er normalgroße Buchstaben auf Buchseiten lesen, wenn das Buch drei Meter von ihm fortlag. Er konnte feinste Wärmeunterschiede erspüren. Das alles machte ihm ziemlich zu schaffen. Er wußte, daß er eigentlich damit schon längst zu Madame Rossignol hätte gehen müssen. Denn normal war das bestimmt nicht. Er mußte sich sogar schon arg konzentrieren, nicht aufzufallen. Eigentlich wünschte er sich die Nacht herbei, damit seine nun überempfindlichen Ohren zur Ruhe kamen. Denn durch die Bettvorhänge drang nicht das leiseste Geräusch. Er war dann mit seinem Herzschlag und Atem alleine. Doch wenn er einschlief, überfielen ihn die wilden Träume wie eine Horde dieser Abgrundstöchter, mit denen Julius, der sich jetzt unverschämterweise Latierre nennen durfte, mal zusammengerasselt war. Konnten diese Monsterbräute echt nicht bis zu ihm kommen? Doch nein, die würden ihn dann total auspumpen. Außerdem würde er dann ja immer nur von derselben träumen. Vielleicht würde der Meldezauber auch losgehen, wenn ein menschenähnliches Frauenzimmer, das nicht Madame Rossignol oder eine der Lehrerinnen war, in diesen Schlafsaal eindrang.

Er mußte daran denken, was seine Eltern heimlich miteinander geplaudert hatten. Sie wußten nicht, daß er sie schon aus mehreren Metern Entfernung belauschen konnte. Seine Mutter hatte geseufzt und gesagt, daß sie Angst hätte, ihr Sohn könne das Erbübel ihrer Familie ausbrüten. Sein Vater hatte sie dann gefragt, was sie damit meinte. Doch sie sagte es ihm nicht. Darüber wurde sein Vater ziemlich wütend. Dann war noch seine Großtante Agrippine gekommen, hatte einen Klangkerker gemacht und ihn damit am Lauschen gehindert. Er hatte dann erst wieder was gehört, als die Tür aufging und sie ihn zu sich gewunken hatte. Dann hatte sein Vater ihm gesagt, daß sie ihn sofort abholen käme, wenn er in Beauxbatons aus der Spur laufen würde. Und Agrippine, diese alte Sabberhexe, die mit ihrer leicht grünlichen Hautfarbe fast sogar wie eine aussah, hatte genickt und ihm geraten, sich bloß zu beherrschen. Denn wenn sie ihn holen müsse, würde er den Rest seines Lebens von aller Welt fortgehalten. Das hatte ihm trotz der Wut, die ihn immer wieder übermannte gerade so noch davon abgehalten, alles und jeden hier anzugreifen oder sich über die Mädchen herzumachen, die er bisher nur in seinen wilden Träumen hatte nehmen können. War er vielleicht ein Werwolf? Er hatte doch gelernt, daß diese Krankheit auch angeboren werden konnte. Doch was hatte er noch gelernt? Werwölfe konnten nur geboren werden, wenn sie von zwei Werwölfen gemacht worden waren. Es hatte wenige Fälle gegeben, wo Werwölfe mit gesunden Zauberern oder Hexen Kinder hatten. die hatten keine Werwut im Körper. Außerdem war es ihm egal, was für ein Mond schien. Eher fühlte er sich etwas ausgelaugt, wenn er geduscht hatte, egal ob er warm oder kalt duschte. Ähnlich war es ihm am und im Meer, als würde er mindestens zwei Kilometer schwimmen. Als wenn ihm das fließende Wasser Kraft aus dem Körper spülte, wie es bei Vampiren passierte. Doch die Sonne schmerzte ihm nur, wenn sie sehr hell schien und er fast geblendet wurde. Aber sonst tat sie ihm nichts an. Doch irgendwas fieses mußte in ihm stecken, daß er bisher nicht kannte. Er beschloß, beim nächsten wirklichen Ausraster doch zu Schwester Florence zu gehen, damit die ihn untersuchte, egal, was dabei rumkam. Wenn sie ihn dafür in die Delurdes-Klinik einwies war das besser als von seiner biestigen, irgendwo alleine lebenden Großtante Agrippine abgeholt zu werden.

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Julius hatte die Weckrunde überstanden. Mittlerweile wußten selbst die UTZ-Jungs, daß er locker mit ihren Zaubern mithalten konnte.

Als sie beim Frühstück saßen, fiel Julius auf, daß Hercules irgendwie verunsichert zu Madame Maxime hinüberstarrte, als wolle diese ihn gleich angreifen oder auffressen. Robert und Gaston hatten es davon, daß sie gleich im Zauberkunstunterricht den Schweigezauber einüben sollten. Da sie beide wußten, daß Julius den schon zu genüge konnte, hatten sie sich nur einmal von ihm das wesentliche erklären lassen. André Deckers saß und aß ruhig und genüßlich.

Die Posteulen kamen. Eine davon brachte Julius einen sehr großen Umschlag. Der wohl mit einem Muggel-Postdienst von England nach Frankreich hinübergeschafft worden war. Als Julius den Umschlag entgegennahm las er auf diesem, daß er ihn besser erst öffnen sollte, wenn er genug Zeit hatte, sich wieder zu beruhigen oder den Inhalt gleich bei Professeur Faucon abgab. Welche Teufelei hatten Voldemorts Marionetten ausgeheckt. Er überlegte, wann er denn so viel Zeit hatte, um das zu studieren. Dann beschloß er, das Päckchen mit der noch wartenden Eule an Professeur Faucon weiterzuschicken. Robert fragte ihn, warum er es nicht aufmachte.

"Könnte sein, daß mir dann der ganze Tag versaut ist, Robert", seufzte Julius. "Wenn da Richtlinien zur ordentlichen Muggelstämmigenjagd drin sind, könnte das echt ein Problem mit der Selbstbeherrschung geben."

"Dann schreib denen doch, daß du diesen Mist nicht mehr haben willst", warf Hercules leicht verächtlich ein. "Kannst ja eh nix dran drehen, was da gerade läuft."

"Das ist eben die Frage, ob ich das könnte, wenn ich alles wüßte, was da läuft", seufzte Julius. "Aber im Moment weiß ich nur, daß keiner, der nicht in England oder sonstwo auf den britischen Inseln zur Welt gekommen ist, einen Fuß auf britischen oder irischen Boden setzen kann, ohne gleich wie eine Granate in der Luft zu explodieren. Monsieur Unnennbar hat einen echt mächtigen Fluch über die Inseln gelegt. Allein schon das zu wissen hat einigen Leuten hier wohl das Leben gerettet."

"Klar, ein Fluch, der jeden umbringt, der eine große Insel betritt", spottete Hercules. "Ihr-wißt-schon-wer ist schon schlimm genug. Da müssen die's nicht noch übertreiben."

"Nichts für ungut, Hercules. Aber ich kann mir das echt vorstellen, daß er, dessen Name nicht genannt werden darf, so'n Fluch kennt", pflichtete Robert Julius bei. Hercules grummelte verdrossen. Dann sah er wieder zum Lehrertisch hinüber.

"Hast du Angst, unsere Schulleiterin schmeißt dich heute noch raus, Culie?" Feixte Gaston Perignon.

"Du hältst dein ungewaschenes Maul, oder ich probiere den Schweigezauber schon mal bei dir aus", fauchte Hercules. Julius räusperte sich und sah Hercules an:

"Es hätte auch gereicht, ihm zu sagen, daß er sich um seine eigenen Sachen kümmern soll, Hercules. Zwanzig Strafpunkte wegen Bedrohung, und du, Gaston, mußt leider zehn Strafpunkte wegen Provokation mitnehmen."

"Ist im Moment das einzige was du kannst, Julius", schnarrte Hercules. "Jetzt bist du ja voll drin in diesem Broschenzirkus."

"Den ich mir nicht ausgesucht habe, Hercules. Fang nicht wieder davon an, ich hätte es ja drauf angelegt!"

"Wenn du das eh weißt, brauche ich es nicht zu sagen", schnarrte Hercules. Dann wurde er ganz still. Professeur Faucon war aufgestanden und kam an den grasgrünen Tisch herüber. Sie steuerte Julius mit einer rosaroten Broschüre an, die von weitem wie eine Zeitschrift für Barbie-Fans aussah.

"Ich gehe davon aus, daß Mrs. Porter davon ausgeht, daß Post, die Sie betrifft, auch von Ihnen zur Kenntnis genommen wird", wandte die Lehrerin sich an Julius. Dabei überreichte sie ihm die Broschüre, auf dessen Titelblatt eine merkwürdige Darstellung prangte. Eine rote Rose mit pausbäckigem Gesicht, das ziemlich verängstigt dreinschaute, wurde gerade von einem ziemlich dunkeln, abstoßend aussehenden Gewächs eingeschnürt. Darunter stand der anpeitschende Titel: "SCHLAMMBLÜTER und die Gefahren, die sie für eine friedliche reinblütige Gesellschaft darstellen"

"Ach, haben wir die Stufe jetzt auch erreicht, wo ein Schimpfwort zum offiziellen Ausdruck erhoben wurde", schnaubte Julius, und knüllte an der Broschüre herum. "Lassen sie mich raten, Professeur Faucon! Dieses Schmierblatt hier erklärt alle Muggelstämmigen zu Verbrechern oder wilden Tieren und fordert auf, sie alle einzufangen oder umzubringen. Womöglich soll jeder achso anständige Zauberer sofort beim Ministerium auflaufen, der solche Personen kennt oder denkt, sie wohnten in seiner Nachbarschaft."

"Im wesentlichen trifft dies zu, Monsieur Latierre. Sie haben also damit gerechnet, ein derartiges Machwerk zu lesen zu kriegen?" Fragte Professeur Faucon.

"Problem nur, daß dieses Machwerk eine Lizenz zum Töten ist. Wer meint, der Zaubererwelt drohe von Muggelstämmigen her Gefahr, könnte meinen, der Welt einen großen Gefallen zu tun, Muggelstämmige gleich umzubringen und das dann wie Notwehr hinzustellen."

"Die Gefahr ist wesentlich größer, Monsieur Latierre. Durch dieses Hetzblatt wird der allgemeinen Verunglimpfung Tür und Tor geöffnet, und die These, dernach ein Rufmord einem körperlichen Mord vorausgeht, könnte ihre furchtbare Bestätigung finden", sagte Professeur Faucon. Hercules sah sie leicht verächtlich an, während Robert, Gérard und Gaston sie verdutzt anblickten. Julius nickte ihr zu.

"Achso, Sie meinen, das könnte dann wie bei den so genannten Hexenprozessen im ausgehenden Mittelalter laufen, wo Leute ihre Nachbarn der bösen Zauberei beschuldigt haben, auch und vor allem, wenn diese was hatten, was die neidischen Nachbarn nicht hatten, oder wenn vermögende Leute nicht so einfach sterben wollten."

"Genau diese Art von Hetze wird mit diesem Geschmiere in Gang gesetzt, Monsieur Latierre. - Ich wüßte nicht, was es da so abschätzig zu grinsen gäbe, Monsieur Moulin."

"Entschuldigung, Professeur Faucon. Wir hatten es gerade davon, daß wir denen da drüben eh nicht helfen können, wenn da echt so'n Fluch über den Inseln hängt, der alle plattmacht, die nicht auf diesen Inseln aus dem Mutterleib gehüpft sind. Was sollen wir also mit diesen ganzen Sachen?"

"Möchten Sie Ihrem Klassenkameraden die Frage beantworten, Monsieur Latierre?" Schnaubte Professeur Faucon. Doch Hercules sah Julius provozierend an, nach dem Motto: "Sie ruft, und du springst." Doch der Träger der silbernen Brosche des Grünen Saales sah seinen Klassenkameraden ruhig an und sagte:

"Zwischen denen und uns liegt nur ein schmaler Meereskanal, Hercules. Wenn die eines Tages zu uns rüberkommen wollen, sollten wir vorher schon wissen, was die hier wollen und was die vorher schon angestellt haben." Das wirkte jedoch nicht so, wie Julius es erhofft hatte. Hercules meinte nur:

"Sagt Professeur Faucon, weil ihr Angetrauter von ein paar Leuten von dem Unnennbaren umgebracht wurde."

"Möchten Sie mich hier und jetzt verärgern, Monsieur Moulin?" Schnarrte Professeur Faucon. "Dann seien Ihnen halt vierzig Strafpunkte wegen Respektlosigkeit mir gegenüber zugeteilt. Hercules verzog einen Moment das Gesicht. Das hätte er doch eigentlich wissen müssen. "Und wenn Sie schon auf diesen sehr unliebsamen Zwischenfall zurückkommen, der nicht nur mich sehr stark betroffen hat, so sollten sie diesen als ernste Warnung in Erinnerung behalten. Denn wie Monsieur Latierre richtig erklärt hat, liegt Frankreich nicht so weit von den britischen Inseln entfernt, als daß wir so tun dürfen, als ginge uns was dort geschieht nichts an. Im Gegenteil. Wir müssen wissen, was genau dort vor sich geht und wie weit dieser Verbrecher sich stark genug fühlt, um einen Angriff auf Frankreich zu wagen. Am besten sprechen wir im Unterricht nachher über Dementoren. Einige von Ihnen haben mit diesen Unwesen bereits unangenehme Bekanntschaft machen müssen, und ich entsinne mich, daß einige von Ihnen, die bei der Jubiläumsfeier in Millemerveilles meinen Vortrag in den Schattenhäusern verfolgt haben, nicht schlecht gezittert haben, als sie sich vergegenwärtigten, wie gefährlich diese Kreaturen sind, über die unsere Feinde gebieten. Zudem besteht die Möglichkeit, daß er Werwölfe und Vampire in seinen Dienst stellt, die in Frankreich wohnhaft sind und nur warten, daß er ihnen das Zeichen zum Losschlagen gibt."

"Wenn der wirklich so mächtig ist, daß er von seiner Insel runter kann, warum hat er uns dann nicht schon längst beharkt?" Fragte Hercules.

"Merken Sie sich bitte diese Frage gut! Die werden wir nachher im Unterricht diskutieren", erwiderte Professeur Faucon. Dann kehrte sie an den Lehrertisch zurück.

"Sag mal, hast du sie noch alle, der vor die Birne zu knallen, was mit ihrem Mann damals gelaufen ist, Culie?" Schnarrte Gérard.

"Und hast du sie noch alle, mich "Culie" zu nennen. Wie hat Millie dich denn genannt, bevor sie dich abgelegt hat, ey?" Polterte Hercules.

"Das wissen nur sie und ich, und so bleibt das auch", grinste Gérard überlegen. Julius nickte ihm zu. Es war nicht gerade freundlich, jemanden anzugrunzen und dabei den Kosenamen zu gebrauchen, den die Exfreundin verwendet hatte. So war es auch kein Wunder, daß Hercules Gérard weiterhin finster anblickte. Doch keiner der beiden wagte mehr zu sagen. Das fand Julius auch ganz in Ordnung. Denn ihm gefiel es absolut nicht, andauernd Strafpunkte aussprechen zu müssen. Robert fragte dann noch: "Und was machst du jetzt mit diesem Heft, wenn du eh weißt, was für ein Drachenmist da drinsteht?"

"Ich gebe es Professeur Faucon wieder, damit die es in ihr Archiv für alles reintun kann, was mit dem neuen Zaubereiministerium in England zu tun hat. So wie die Seiten aussehen könnte die alte Kröte Umbridge diesen Dreck verbrochen haben", erwiderte Julius höchst verächtlich.

"Da soll's doch so'n Zauber geben, der die Schreiber von was sichtbar macht, wenn du eine Schriftprobe hast", meinte Gérard zu Julius.

"Zum einen dürfen wir hier im Speisesaal eh nicht zaubern. Zum anderen geht das nur bei Handschrift. Das hier ist gedruckt worden. Dann klappt das nicht, weil die Spur der Schrift nicht auf ein Lebewesen zurückgeht."

"Von der hatten wir's ja auch schon", knurrte Robert verächtlich. Julius nickte, blätterte kurz durch die Broschüere, wobei er eher seine Selbstbeherrschungsformel dachte als die auf Papier gepreßten Unverschämtheiten zu studieren. Als er bis zur letzten der fünf Seiten vorgedrungen war, wo stand, daß Mitglieder der magischen Gemeinschaft dem Ministerium den Aufenthaltsort von "Schlammblütern" anzeigen sollten, erkannte Julius, wie heftig diese Hetzschrift wirken mußte. Damit ließ sich wirklich ein Verfolgungswahn erster Ordnung heraufbeschwören, der es verdammt schwer machte, kampfkräftige Gruppen gegen das neue Regime zu bilden. Denn so konnte niemand mehr dem Nachbarn vertrauen. Ja, er oder sie mußte sich jetzt vor den eigenen Nachbarn verbergen, damit diese nicht fanden, er oder sie sei ein zum Abschuß freigegebener Muggelstämmiger. Er erkannte, wie wichtig es war, daß Madame maxime eine neue Sub-Rosa-Gruppe aufgelegt hatte. Immerhin hatte die ja schon einige Muggelstämmige aus dem Sumpf herausgezogen, in dem Voldemorts machtgieriges Pack sie versenken wollte.

Nach dem Frühstück gab er Professeur Faucon die Broschüre zurück. Danach ging er mit den anderen zurück in die Wohnsäle, um sich für den Unterricht bereitzumachen.

"Silencio! Verdammt noch mal!" Schnaubte Hercules, als er seinen Zauberstab vorstieß, um den laut krächzenden Raben den Schweigezauber zu verabreichen.

"Verrdammt noch mal!!" Krakehlte der schwarze Vogel so laut, daß alle in der Klasse von heftigen Ohrenschmerzen getroffen zusammenfuhren. Doch besonders Hercules empfand diese Antwort des Rabens sehr schmerzhaft. Er krümmte sich und stieß einen kurzen Aufschrei aus. Julius blickte verdutzt auf den Raben, der erneut "Verrdammt noch mal schrie. Hercules ließ seinen Zauberstab aus der Hand fallen und stieß sich die Zeigefinger in die Ohren, während der Rabe schon wieder "Verrdammt noch mal!!" schrillte.

"Silencio!" Stieß Julius mit auf den Raben zustoßendem Zauberstab aus. "Vrrrg!" Würgte der Rabe noch überlaut aus. Dann klappte sein Schnabel auf und zu, ohne daß ein Laut herausdrang.

"Monsieur Moulin! Die Finger aus den Ohren!" Blaffte Professeur Bellart. "Haben Sie beim Zaubern etwa geschimpft?"

"Häh? Ja", schnarrte Hercules. "Konnte nicht wissen, daß das Vieh da sprechen kann."

"Was haben Sie gerade von mir gelernt, Monsieur Moulin. Der physikalische Schweigezauber ist auch eine gefühlsmäßige Vorgehensweise. Wenn Sie dem zum Schweigen anzuhaltenden Wesen innerhalb einer Sekunde nach Ausruf des Zauberwortes eine Beschimpfung entgegenschleudern, während Ihr Zauberstab noch darauf gerichtet ist, stößt es diese Beschimpfung mit fünffacher Lautstärke aus, bis der Zauber korrekt vollzogen oder seine Umkehrung vorgenommen wurde. Für diese Unbeherrschtheit von Ihnen muß ich Ihnen zehn Strafpunkte aussprechen, Monsieur Moulin. Lernen Sie es doch endlich, daß Zauberei keine Unbeherrschtheiten duldet! Je mächtiger der von Ihnen zu wirkende Zauber, desto verheerender wirkt sich eine Unbedachtheit oder Gefühlswallung aus, die zeitgleich damit geschieht."

"Das Geschrei von dem Vieh war schlimmer als die Strafpunkte", knurrte Hercules, als die Lehrerin sich den übrigen Schülern widmete. Julius hatte derweil zehn Raben und zehn Ochsenfrösche stumm gezaubert. Daß er dafür wohl nicht viele Bonuspunkte bekommen würde war ihm jedoch klar. Hercules indes wiegte den Kopf hin und her, als wisse er nicht, wie er ihn halten sollte. Julius fragte ihn besorgt, ob er immer noch Ohrenschmerzen habe.

"Langsam hört's auf zu klingeln", schnarrte Hercules. "Nix wofür ich zu deiner Truppenführerin hingehen müßte."

"Das wollen wir hoffen", grummelte Julius. Er wunderte sich. Zwar war das Geschrei des fehlerhaft verzauberten Rabens ziemlich laut gewesen. Doch nach dem ersten Schock hatte er sich darauf eingestimmt. Hercules behauptete aber, Ohrenklingeln bekommen zu haben. War der denn näher an dem Raben drangewesen als Julius, der gleich neben ihm saß?

"Sie haben das alle geschafft, den Zauber zu wirken", lobte Professeur Bellart die Klasse. "Für jedes erfolgreich verstummte Tier erhält außer Monsieur Latierre jeder zehn Bonuspunkte. Bei Monsieur Latierre muß ich wie zuvor von der bereits verfügbaren Leistung ausgehend nur einen Bonuspunkt pro Erfolg zuerkennen." Julius nickte ergeben. Was konnte er jetzt dagegen sagen? "Was den Zwischenfall mit Monsieur Moulin angeht, so haben Sie ohne meine Absicht auch gelernt, daß unbeherrschtes Zaubern und Beschimpfungen des Ziels während der Bezauberung auf den Zaubernden selbst zurückfallen können. Das ist auch eine erinnerungswürdige Erfahrung." Hercules preßte die Lippen zusammen, um bloß kein falsches Wort hervorbrechen zu lassen. "Bis Nächste Woche schreiben Sie mir bitte einen kurzen Aufsatz über physikalische Zauber im allgemeinen und den Schweigezauber im besonderen. Ich gehe davon aus, daß zwei Pergamentrollen dabei möglich sind, ohne Füllwörter einfügen zu müssen." Alle im Raum verzogen die Gesichter. Hatten sie nicht schon genug zu schreiben? "Unterstehen Sie sich, diese Aufgabe als zu schwer zu beklagen! Wenn Sie in der theoretischen ZAG-Prüfung Zauberkunst sitzen, werden Sie froh sein, die dort gestellten Fragen schon einmal erörtert zu haben, um sie ohne großen zeitverlust beantworten zu können. Bis zur nächsten Stunde, meine Herrschaften!" Die Schüler antworteten folgsam im Chor, wie sie es alle hier gelernt hatten und verließen den Zauberkunstraum. Hercules war einer der ersten, der auf dem Flur in Richtung Kursraum für die Abwehr dunkler Künste abbog. Gaston rief ihm nach:

"Huch, Culie, so scharf auf Professeur Faucons Unterricht?! Wie kommt's?!"

"Halt's Maul, Sohn einer Trollin!"

"Wenn ich 'ne Trollin zur Mutter hätte könnte ich dir voll auf den Kopf spucken", wetterte Gaston die Beleidigung lässig ab. Julius überlegte, ob er für diese Bemerkungen Strafpunkte aussprechen sollte, fand aber, daß er im Moment darauf verzichten konnte. Was Gaston und Hercules gegeneinander hatten konnte durch Strafpunkte nicht ausgeräumt werden. Das hatte ihn schon vor einem halben Jahr frustriert, wo er noch keine Saalsprecheraufgaben zu erledigen hatte. Tatsächlich beließen es die beiden ständigen Zankhähne zunächst dabei. Hercules lief nun genauso schnell wie die übrige Klasse.

Tatsächlich besprach Professeur Faucon mit ihren Schülern die Erscheinung und Wirkung von Dementoren. Hierzu tauchte sie die Klasse einmal in undurchdringliche Dunkelheit, indem sie ein magisches Pulver in die Luft warf, worauf sich schlagartig düsterste Dunkelheit ausbreitete. Dann wurde es auch noch eiskalt im Raum. Julius ahnte, daß sie in der Pause einen großflächigen Gefrierzauber eingerichtet hatte, um die rein physischen Wirkungen eines Dementorenangriffs zu verdeutlichen. Laurentine und Julius, die den Angriff von vor einem Jahr und drei Monaten in Millemerveilles miterleben mußten, waren ein wenig gefaßter als der Rest der Klasse. Hektisches "Lumos!" und "Obscuritas recanto!" drang durch die eisige Finsternis. Es mochten wohl weniger als null Grad Celsius sein, womöglich sogar weniger als null Fahrenheit, dachte Julius, der versuchte, das Kältezittern zu unterdrücken.

"Das sind die harmloseren Auswirkungen dieser Kreaturen", drang Professeur Faucons Stimme durch die Dunkelheit. "Immerhin könnten sie in dieser Aura der eiskalten Finsternis noch ein magisches Licht entzünden. Gewöhnliches Feuer, Lampenschein und das Licht der Gestirne werden völlig verschluckt. die schlimmeren Auswirkungen eines Dementorenüberfalls werde ich Ihnen nun einzeln verdeutlichen."

"Wieso geht kein Zauberlicht, verflixt noch mal!" Bibberte Gaston.

"Eine besondere Eigenschaft des Pulvers", entgegnete Professeur Faucon. "Seine Erfinder haben alchemistische Entsprechungen aller Verdunkelungs- und Lichtlöschzauber darin einfließen lassen, so daß die Luft undurchdringlich schwarz wird und jedes Zauberlicht im Keim erstickt. Aber jetzt zur eigentlichen Lektion!" Unvermittelt begann jemand zu wimmern. Julius erkannte, daß es Céline Dornier war. Es klang so, als durchleide sie gerade einen wüsten Alptraum. Julius ahnte, daß hier der Depressissimus-Fluch zum Einsatz kam, unter dem er damals mit der Ferienklasse den vorher gelernten Patronus aufrufen sollte. Noch jemand geriet unter den Verzweiflungsfluch. Julius ahnte, daß er gleich selbst drankommen würde und beschloß, seiner Lehrerin ein Schnippchen zu schlagen, indem er den Auracalma-Zauber wirkte, mit dem er die meisten Gemüts- und Gefühlsveränderungszauber von sich fernhalten konnte. Tatsächlich fühlte er bald, wie eine äußere Gewalt um ihn herum pulsierte. Er hörte Professeur Faucon schnarren: "Quod erat expectandum, Monsieur Latierre." Er nickte. Mittlerweile fühlte sich sein Körper so steif und kalt an wie aus Metall geschmiedet. Nur das Zittern und das in seinen Ohren klopfende Herz zeigten ihm, daß er noch nicht komplett tiefgekühlt war. Während um ihn herum die Schüler wimmerten, weil eine unbändige Verzweiflung sie übermannt hatte, bedauerte Julius, den Kältewiderstandstrank aus der von Aurora Dawn geschenkten Reiseapotheke nicht getrunken zu haben. Er zielte mit dem Zauberstab auf seinen Brustkorb. Denn er hatte gelernt, daß Unterkühlung nicht durch heißes Wasser oder Heißluft von außen bekämpft werden konnte, weil das unterkühlte Blut aus den Gliedmaßen dann in Herz und Lungen einströmte und diese erstarren lassen konnte. Also mußte er den Rumpf erhitzen, um die Glieder mit warmem Blut zu versorgen. Wieder vibrierte die Luft um ihn. Noch hielt die schützende Aura den Verzweiflungsfluch von ihm fern. "Sanguinem califico!" Dachte Julius so konzentriert er konnte und hielt den Zauberstab dabei genau auf den Bereich zwischen Brustkorb und Bauch. Als würde jemand ihm heißes Wasser direkt in die Adern kippen, fühlte er, wie sein Blut sich erhitzte. Doch dabei mußte er heftig ein- und ausatmen. Das war die Nebenwirkung des Bluterwärmungszaubers, den er in den Pflegehelferstunden erlernt hatte. Doch er wirkte. Von seinem Oberkörper aus fühlte er, wie seine Arme und beine auftauten. Das wilde Zittern ebbte ab, und Julius meinte, in einer erfrischend kühlen Herbstbrise zu stehen. Solange Professeur Faucons Tiefkühltruhenzauber vorhielt, konnte er dagegenhalten. Bei echten Dementoren war das jedoch nicht möglich, weil deren Kälte nicht nur körperlich wirkte, wußte er.

"Das ist aber jetzt ein wenig unfair Ihren Klassenkameraden gegenüber", flüsterte Professeur Faucon ihm ins rechte Ohr. "Aber ich verstehe, daß Sie nicht tatenlos ... Unterstehen Sie sich, Monsieur Moulin!" Rief sie hinter Julius Rücken. Er vermeinte noch, das Wort Stupor gehört zu haben. Da blitzte einen Moment ein schwaches, rotes Licht auf wie eine brennende Zigarrette bei Neumond. Die Lehrerin schnaubte nur das Zauberwort für den Verzweiflungsfluch. "Darüber werden wir gleich noch zu reden haben", zischte sie sehr ungehalten. Dann hörte Julius sie nicht mehr neben sich. Dem stellvertretenden Saalsprecher war klar, daß die Lehrerin wohl eine Art Infrarotbrille aufgesetzt hatte, um trotz der Dunkelheit noch alles und jeden genau sehen zu können. Er selbst hatte ja von Florymont Dusoleil eine solche Nacht-und-Nebel-Sehhilfe geschenkt bekommen. Warum hatte er die eigentlich nicht immer dabei? Sollte er sich vielleicht angewöhnen. Eine halbe Minute später fühlte er, wie die schützende Aura durchlässig wurde. Sofort riss er den Zauberstab hoch. Die blutwärmende Magie klang ab. Doch für eine Minute würde sein aufgeheizter Kreislauf der Kälte wohl noch widerstand entgegenbringen. Er fühlte jedoch, wie die Verzweiflung ihn erfaßte. Schnell dachte er an glückliche Erlebnisse, vor allem die Nacht bei den Mondtöchtern und den ersten gemeinsamen Ausflug nach Viento del Sol und rief: "Expecto Patronum!" Ein silbernes Licht waberte aus seinem Zauberstab hervor. Erneut rief er: "Expecto Patronum!", als er gerade ein Erinnerungsfragment von sich und Millie in innigster Vereinigung im Bewußtsein hatte. Was hatte ihm Viviane Eauvives Bild erzählt? Ein Liebesakt konnte genauso für die Erzeugung eines Patronus herhalten wie ein anderes, glückliches Erlebnis. Da schoß etwas aus dem Zauberstab heraus. Julius erinnerte sich, daß er eigentlich prüfen wollte, ob sein Patronus immer noch wie Ammayamiria aussah. Dann würde jetzt eine nackte Frau aus Silberschein im Raum ... Doch tatsächlich entstand ein riesenhaftes Geschöpf mit Flügeln, das bis zur Zimmerdecke reichte und mit lautem Muhen auf die jetzt als grauer Schemen sichtbare Professeur Faucon zulief, die erschrocken zurücksprang, während das rechte Vorderbein der silberweißen Leuchterscheinung nach dem Zauberstab schlug. Die Lehrerin konnte wohl gerade so zwischen den Vorderbeinen hindurchtauchen. Mittlerweile war das Ungetüm aus Magischer Energie so groß, daß es die halbe Klasse ausfüllte. Doch niemand wurde dadurch bedroht. Julius betrachtete den Patronus und erkannte, daß er eine mondlichthelle Ausgabe Temmies hervorgebracht hatte. Also stimmte es doch, daß durch die magischen Beziehungen, die er mit diesem Wesen geknüpft hatte, ein neuer Patronus sein eigen wurde, groß, stark, gewandt und gutmütig, im Besitz all dessen, was er mit Hingabe und Liebe, Entschlossenheit und Mut in Verbindung brachte. Die Temmie-Patrona stand noch zwei Sekunden da. Dann erlosch sie übergangslos und tauchte die Klasse wieder in totale Dunkelheit.

"Das wollte ich eigentlich erst sehen, wenn ich Ihren Kameraden die geistigen Auswirkungen der Dementoren verdeutlicht hatte, Monsieur Latierre!" Rief Professeur Faucon. "Aber offenbar befanden Sie, zu prüfen, ob Ihr neuer Familienstand und die damit einhergehenden Erlebnisse Ihren Patronus verändert haben. Das konnte ich überdeutlich erkennen." Julius atmete ruhig immer noch schnell ein und aus. Gleich würden seine Lungen die einströmende Kaltluft nicht mehr gut verkraften, wenn er sich nicht wieder mit dem Bluterwärmungszauber behandelte. Doch in diesem Moment schwand die Eiseskälte. Ein Fenster klappte auf. Als würde eine Sonnenfinsternis zu Ende gehen, dämmerte neues Licht in der Klasse auf. Ein wilder Warmer Wind fegte nun durch den Raum. Die übrigen Fenster klappten auf. Sofort erfüllte das Licht eines schönen Oktobertages den ganzen Raum. Julius sah noch, wie Stäubchen des merkwürdigen Pulvers hinausgeblasen wurden. Dann war alles wieder taghell. Hercules hielt sich die Augen zu und machte ein verkrampftes Gesicht, als müsse er einen heftigen Schmerz niederringen. Sicher, das einfallende Licht hatte einen winzigen Moment lang in die Augen gestochen. Doch weil Professeur Faucon es erst durch ein Fenster wieder hatte hereindringen lassen, hatten sich die Augen schnell wieder daran gewöhnen können. Jetzt sah Julius, wie die Lehrerin eine leichte Brille mit dunklen Gläsern von der Nase nahm und fortpackte.

"Oh, hätte ich Sie vorwarnen sollen, Monsieur Moulin?" Fragte Professeur Faucon. "Haben Sie Anpassungsprobleme mit den Augen? Dann stellen Sie sich gleich nach der Stunde bei Madame Rossignol ein, damit diese das untersuchen und behandeln kann!"

"Ich habe nur genau in dieses Fenster reingeglotzt, als Sie es aufgemacht haben", knurrte Hercules. Julius erkannte jedoch eher Schmerz als Ärger in diesen Worten.

"Bist du Vampir oder was, daß du so voll auf Tageslicht reagierst?" Stichelte Gaston.

"Monsieur Perignon, ich glaube nicht, daß Sie derlei Unterstellungen äußern sollten", schnarrte Professeur Faucon. "Deshalb muß ich Ihnen dreißig Strafpunkte zuteilen. Was mit Monsieur Moulins Augen ist betrifft zunächst einmal ihn, dann Madame Rossignol und dann vielleicht erst uns alle anderen. Außerdem erachte ich diese Unterstellung als Ignoranz bereits erlernter Tatsachen. bei mir haben Sie alle gelernt, was die körperlichen und geistigen Eigenschaften von Vampiren sind. Daher diese vielen Strafpunkte, Monsieur Perignon." Der soeben abgemahnte sackte fast in sich zusammen. "Sitzen Sie gefälligst gerade, wenn ich mit Ihnen spreche!" Fauchte die Lehrerin noch. "Was sollen denn Ihre Klassenkameraden von Ihnen halten?" Das wirkte. Gaston straffte sich wieder. "Wie Sie bis auf Monsieur Latierre, der diese Übung schon einmal vor zwei Jahren im Sommer bei mir absolviert hat, unschwer erkannt haben, wirken sich Dunkelheit und Kälte nicht so stark aus, solange nicht noch tiefe Verzweiflung hinzukommt. Dabei habe ich nur simulieren können, wie die Kräfte der Dementoren wirken. wer möchte mir schildern, wodurch Dementoren so gefährlich werden und welches Mittel existiert, sie sich vom Hals zu halten?" Außer Julius zeigten noch Laurentine, Céline und Robert auf. Laurentine sollte antworten und schilderte die vollständige Wirkung der Dementoren, auch daß sie alle glücklichen Erlebnisse aus dem Bewußtsein ziehen und nur die schlimmsten Erinnerungen zurücklassen konnten, ja sogar einem Menschen die Seele entreißn konnten. Die anderen stimmten durch Nicken zu. Professeur Faucon vergab dafür dreißig Bonuspunkte an Laurentine.

"Und diese Wesen, die in einem Akt verantwortungsloser Unachtsamkeit zu Gefängniswärtern von Askaban gemacht wurden, sind nun auf der Seite jenes brutalen und größenwahnsinnigen Zauberers, der seit nun wieder zwei Jahren körperlich existiert und seit August diesen Jahres das britische Zaubereiministerium beherrscht. Ich befürchte, daß diese Kreaturen in nächster Zeit erneute Angriffe auf unser Land durchführen werden, wenn ihr Herr und Meister sich seiner Herrschaft sicher fühlt und die Nachbarländer bedrohen kann. Da die männlichen Mitglieder Ihrer Jahrgangsstufe heute Morgen Zeugen wurden, wie Monsieur Moulin die Behauptung in den Raum warf, uns beträfe es nicht, was derzeit in Großbritannien geschieht, zumal wir es eh nicht unterbinden könnten, befand ich, Ihnen noch einmal die Gewalt der Streitmacht nahezubringen, die unser aller Widersacher aufbieten kann. Wissen ist der erste Schritt zur erfolgreichen Gefahrenabwehr. Eine erkannte Gefahr ist in den meisten Fällen nur halb so groß wie eine unerkannte Gefahr. Natürlich werden Sie alle sagen, daß Sie diesen Ungeheuern nicht wirklich etwas entgegensetzen können, so hilflos, wie sich die Mehrheit von Ihnen während meiner Simulation gefühlt haben wird. Aber Sie haben soeben erleben dürfen, wie mächtig ein Patronus ausfallen kann, wenn er von einem geübten Zauberer mit großer Willensstärke beschworen wird. Mademoiselle Hellersdorf und Monsieur Latierre haben es vor einem Jahr und drei Monaten erleben dürfen, daß mit vollgestaltlichen Patroni mehrere hundert Dementoren vertrieben werden konnten. Ebenso konnte ein neuerlicher Angriff dieser Bestien um Ostern diesen Jahres herum durch geübte und entschlossene Zauberer und Hexen zurückgeschlagen werden. Es liegt im Ermessen der Lehrkraft, die die Protektion gegen destruktive Formen der Magie unterrichtet, ob der Patronus noch vor den ZAGs erlernt wird oder den UTZ-Kandidaten vorbehalten bleibt. Meine Vorgängerin Tourrecandide war der Ansicht, daß dieser Zauber bereits von ZAG-Kandidaten erlernt werden kann. In den allermeisten Fällen schaffte sie es, ihre Schüler vor den ersten Hauptprüfungen mit diesem Zauber zu vertrauen. Ich pflege mir zunächst die durchschnittsleistung der Schüler anzusehen, ob die Unterweisung mehr Zeit beansprucht als es der restliche, nicht zu vernachlässigende Lehrstoff erlaubt. Doch in vielen Jahren vorher habe ich Fünftklässler wie Sie erfolgreich mit der Ausführung des Patronus-zaubers vertraut machen können. Leider mußte ich aber auch Klassen unbeschult in die ZAGs lassen, weil der zeitliche Aufwand zum Erlernen den übrigen Lehrplan gestört hätte. Aber in den UTZ-Klassen ist er Pflicht, Mesdemoiselles et Messieurs. Doch drängt die gegenwärtige Situation in Großbritannien dazu, diesen Zauber womöglich allen Klassen über der dritten beizubringen. Monsieur Latierre, der damals noch als Monsieur Andrews zu uns kam, erwarb sich diese Kenntnisse bereits als Drittklässler, weil seine Zauberkraft dies erlaubte und er durch Erlebnisse, bei denen ein Patronus gerufen wurde, darauf brannte, ihn zu erlernen." Julius hob die Hand.

"Öhm, wie war das damals mit Jeanne Dusoleil. Die hatte den doch da noch nicht gelernt."

"Das trifft zu. Einige der UTZ-Klässler zeigten noch Defizite bei der direkten Fluchabwehr und haben die ZAGs gerade so mit "Erwartungen übertroffen" bestanden. Außerdem werden in den beiden UTZ-Klassen ungesagte Zaubereien einstudiert, und darauf zunächst der Schwerpunkt gelegt. Aber spätestens mit dem UTZ haben die meisten hier den Patronus erlernt, wie Sie, Monsieur Latierre, erfahren durften, als Sie einige Tage am Unterricht der siebten Klasse teilnehmen durften." Die Mädchen machten verlegene Gesichter, während die Jungen schmunzelten. Julius hätte fast gesagt, daß er ja am Unterricht teilnehmen mußte und sich das nicht ausgesucht hatte. Doch weil er dabei viele interessante Sachen gesehen und ausprobiert hatte, nahm er das lächelnd hin.

"Ja, und Monsieur Latierres Patronus ist eine Latierre-Kuh", warf Hercules spöttisch ein. "Kommt wohl daher, daß der schon auf einer drauf war."

"Das wäre interessant, ob der Ritt auf einer Latierre-Kuh diese gleich zu einem persönlichen Patronus erhebt", schnarrte Professeur Faucon, während die anderen Jungen grinsten und die Mädchen sich überlegten, ob Hercules das nicht anders gemeint hatte. Julius mußte sich zusammennehmen, nicht laut loszulachen. Wenn Hercules wüßte, das er nicht nur auf mindestens einer Latierre-Kuh gewesen war, sondern mit seinem Bewußtsein sogar schon in einer solchen gesteckt hatte und ohne Darxandrias Hilfe wohl heute noch darin stecken würde. "Soweit ich mich erinnere waren Sie im letzten Schuljahr Teilnehmer an der Arbeitsgemeinschaft magische Tierwesen und erlebten folglich auch die Vorführung der als Transporttier ausgebildeten Latierre-Kuh Demeter mit. Dann haben Sie wohl auch auf dem Rücken dieses imposanten Tieres einen kurzen Rundflug genießen dürfen. Wenn wir den Patronus einstudieren werden wir ja sehen, ob Ihr Patronus auch eine Latierre-Kuh ist." Alle anderen grinsten leise. Julius sah Hercules an und fragte sich, ob dieser gleich noch was dazu sagen würde. Doch Hercules Moulin schwieg. Zumindest bekam er keine Strafpunkte.

"Wie lange würde es dauern, uns anderen hier diesen Superzauber beizubringen, Professeur Faucon?" Wollte Céline wissen.

"Ob wir das einen Superzauber nennen dürfen möchte ich jetzt nicht genauer ausführen. Aber er ist wichtig. Für diszipliniert mitarbeitende Schülerinnen und Schüler mit durchschnittlichen Zauberkräften veranschlage ich mindestens drei ganze Schulstunden zur Trockenübung. Üblicherweise - Monsieur Latierre wird es Ihnen gerne bestätigen - prüfe ich die erfolgreichen Schülerinnen und Schüler danach, ob sie ihn auch unter Einwirkung des Depressissimus-Zaubers vollbringen können, wie ich ihn vorhin an Ihnen ausgeübt habe, um die geistigen Begleiterscheinungen einer Dementorenpräsenz zu demonstrieren." Julius nickte der Lehrerin zu. Dabei kam ihm erst richtig zu Bewußtsein, daß er bei Einwirkung des Verzweiflungszaubers eben nicht so schwer hatte kämpfen müssen, um seinen Patronus zu erschaffen. Mochte es sein, daß der Herzanhänger und damit Millies geistiger und gefühlsmäßiger Beistand ihn beschützt und die Kraft seines Zaubers verstärkt hatte. Immerhin hatte er an sie gedacht, und sieh da, tatsächlich eine Artemis-Patrona heraufbeschworen. Sollte er das Professeur Faucon auf die Nase binden? Andererseits konnte die sich das wohl auch denken. Also ließ er das besser auf sich beruhen. Jedenfalls befand Professeur Faucon, daß die jetzige ZAG-Klasse den Patronus-Zauber erlernen sollte, egal ob Grüne, Rote, Gelbe, Violette, Weiße oder Blaue. Gut, bei den Blauen konnte das mit der Disziplin ein Problem sein. Aber viele von denen wußten ja, wie gefährlich diese Wesen waren und sie abwehren zu können sicherlich sehr wichtig war. Julius dachte an Jacques Lumière, der ja selbst bei diesem Angriff der Dementoren mitten drin gewesen war. Sie besprachen nun die bisherigen Auftritte der Dementoren, wobei Julius seine Erlebnisse in Hogwarts schildern sollte und Laurentine die Ereignisse in Millemerveilles noch einmal zusammenfassen durfte. Céline fragte dann, ob das mit Julius' Patronus wirklich von seiner Heirat mit Millie herkam, weil er jetzt ja den Nachnamen trug. Professeur Faucon legte dar, daß der Patronus eines Zauberkundigen bei voller Entfaltung eine Form annehmen konnte, die für den Anwender eine besonders positive Bedeutung hatte. Das konnte ein Tier sein, dessen Eigenschaften der Zauberkundige hoch schätzte, ja sogar jene innewohnende Tiergestalt sein, die durch den Charakter des Zauberkundigen als Animagus-Form angenommen werden konnte. Auch konnten es Helden oder sehr starke, geliebte Personen oder deren mit einem Tierwesen verknüpfte Eigenschaften sein. "Ich präsentiere Ihnen meinen Patronus", kündigte sie an und konzentrierte sich, um die wirkungsvollste Erinnerung für diesen Zauber in ihr Bewußtsein zu rufen. Dann rief sie "Expecto Patronum!" Aus ihrem Zauberstab schnellte eine silberne Lichtkugel, die zum Kopf eines majestätischen Greifvogels wurde, dessen Körper wie aus vom Stab aufgeblasen folgte. Innerhalb nur einer Sekunde löste sich ein überlebensgroßer Adler vom Zauberstab und stieg mit einem lauten Aufschrei bis zur Decke, die für diesen würdigen Vogel jedoch zu niedrig war, um seine Flugkünste wirklich auszuspielen. Er blieb noch zwei Sekunden. Dann war er einfach wieder weg. Alle applaudierten enthusiastisch. Julius durfte dann noch einmal seinen Patronus hervorbringen, wobei er diesmal eine sexlose Erinnerung auswählte, das Gefühl der Zuversicht und des Beistandes, das er im Wirkungsbereich von Adrian Moonrivers Heilsstern empfunden hatte. Wieder erschien Artemis, die geflügelte Riesenkuh und stand für zwei Sekunden so hoch wie der Raum da. Dann erlosch auch diese Erscheinung übergangslos. Laurentine sah Julius bewundernd an, ebenso Céline und Jasmine. Robert nickte ihm anerkennend zu. Gérard war wohl mit der Erscheinung des Patronus nicht so glücklich. Gaston warf einen verächtlichen Blick auf Hercules, der Julius verkniffen anstarrte. Er deutete auf Julius und sah dann Professeur Faucon an. Diese blickte ihn auffordernd an.

"Könnte es sein, daß dieses Patronus-Tier nur deshalb erscheint, weil Julius dieses rote Herzding da um hat?" Fragte Hercules. Alle sahen Julius fragend an. Julius straffte sich und bat ums Wort:

"Interessante Frage, Hercules. Habe ich mir auch schon überlegt, ob's daran liegt. Können wir ja mal probieren, ob das ohne den Anhänger auch klappt." Mit dieser spontanen Antwort hatte Hercules offenbar nicht gerechnet. Die anderen sahen Julius verdutzt an. Julius ging zu Professeur Faucon und nahm den roten Anhänger ab. Leise flüsterte er: "Sie wissen, wie sehr der mir geholfen hat. Deshalb gebe ich Ihnen den für das Experiment zur Aufbewahrung." Professeur Faucon nickte und nahm den nun nicht mehr pulsierenden, steinharten Anhänger an sich. Julius trat in die Mitte des Kursraumes zurück und hob den Zauberstab. Er fühlte sich etwas merkwürdig. Als fehle ihm etwas. Natürlich, denn der Herzanhänger hatte unter seinem Hemd weiterpulsiert und ihm zusätzliche Kraft gegeben. Die fehlte jetzt. Aber er konnte schon früher einen Patronus rufen. Dann mußte das jetzt auch gehen. "Expecto Patronum!" Eine Menge Silberlicht quoll aus dem Zauberstab. Zunächst sah es so aus, als wollte es unvollendet wieder verschwinden. Doch dann formten sich die Konturen der Latierre-Kuh wieder und gewannen die Endform. Dann wuchs die Patrona wie aufgeblasen an und stand knapp vier Sekunden nach dem Ausruf des Zaubers vollendet da. Doch keine Sekunde später erlosch sie schon wieder.

"Sie sehen, es funktioniert auch ohne den Anhänger, wenn vielleicht auch ein wenig langsamer", stellte Professeur Faucon fest. Julius nickte und ging zu ihr hin. Wie bei einer Ordensverleihung hängte sie ihm seinen Herzanhänger wieder um, der sofort wieder warm und weich anlag und beruhigend pulsierte. "Nun, das wird wohl auf lange Zeit ihr Patronus sein, Monsieur Latierre", bekräftigte sie noch einmal, was er nun dreimal geschafft hatte. Und es klang nicht abschätzig oder verärgert, sondern höchst zuversichtlich, fand Julius. Er steckte sich den Herzanhänger wieder unter die Kleidung und genoß einige Sekunden dieses stetige Pulsieren, die warmen Ströme, die wie zusätzliches Blut in seinen Körper flossen. Dann kehrte er auf seinen Platz zurück. Er bemerkte nicht, daß Hercules hinter ihm eine sehr verächtliche Grimasse schnitt.

Die restliche Unterrichtszeit besprachen sie noch, welche nützlichen und mächtigen Abwehrzauber gegen böse Wesen außer den bereits erwähnten Vampiren existierten. Dann läutete die Glocke zur großen Pause. Professeur Faucon kündigte an, daß sie wegen der Nachfrage nach den inneren Tiergestalten den ersten Teil der Verwandlungsstunde am Nachmittag herausfinden wollte, welche inneren Tiergestalten die ZAG-Schüler besaßen, falls sie irgendwann doch Animagi werden wollten. Womöglich waren die Animagus-Verwandlungen und die daran hängenden Gesetze sogar Bestandteil der theoretischen ZAG-Prüfung Verwandlung. Dann verabschiedete sie ihre Schüler, die im Chor zurückgrüßten. Sie verließen den Klassenraum. Als Hercules schnell durch die Tür schlüpfen wollte hielt ihn Professeur Faucon mit einem kurzen Kommando zurück. Auch Julius sollte bleiben. Sie schloß noch einmal die Tür.

"So, Monsieur Moulin, bevor ich Monsieur Latierre ersuche, Sie zu Madame Rossignol zu geleitten, um sicherzustellen, daß Sie sich der Untersuchung Ihrer Augen nicht verweigern, möchte ich von Ihnen wissen, seit wann Sie wissen, daß Sie im dunkeln so gut sehen können wie ein Vampir oder eine Sabberhexe?"

"Wie kommen Sie darauf, ich könnte im dunkeln sehen?" Blaffte Hercules zurück. Professeur Faucon deutete auf die leicht ausgebeulte rechte Tasche ihres mauvefarbenen Umhangs, wo sie die Brille für Nacht- oder Wärmesicht verstaut hatte.

"Erdreisten Sie sich ja nicht, mich verulken zu wollen, Monsieur Moulin! Ich habe den Unterricht vorbereitet und das Verdunkelungspulver sowie einen Kältezauber eingerichtet. Als ich die vollständige Dunkelheit hergestellt habe, setzte ich die Brille auf, die ich bei Wiederherstellung der natürlichen Beleuchtung abnahm. Sie verlieh mir das Sehen von Wärmequellen. Und ihre Augen waren nicht durch eine Brille abgedeckt. Dennoch konnten Sie mir viermal ausweichen, als ich Sie mit dem Depressissimus-Fluch zu belegen versuchte. Das ging aber nur, wenn Sie bei dieser völligen Lichtlosigkeit immer noch etwas sehen konnten, sei es Wärmeausstrahlung oder der Vampiren und Sabberhexen eigenen Dunkelsicht, die ohne einen Funken Licht auskommt. Als ich dann zu Monsieur Latierre trat, weil dieser vorsorglich einen Wehrzauber gegen Depressissimus wirkte, wagten Sie einen Schockzauber gegen mich, den ich jedoch abwehren konnte. Allein schon dafür muß ich Ihnen dreihundert Strafpunkte zuteilen, Monsieur Moulin. Denn durch den Angriff haben Sie verraten, daß Sie in völliger Dunkelheit zielen können. Das war sehr dumm von Ihnen. Also seit wann wissen Sie das mit ihren Augen?"

"Seit heute", blaffte Hercules zurück. Julius dachte nach. Konnte das angehen, daß nicht nur die Augen des aufmüpfigen Klassenkameraden übernormal funktionierten?

"Das bezweifel ich, Monsieur Moulin. Eine derartige Sehbefähigung kommt nicht von einem Moment auf den Anderen. Nur mit Scotopsin hätten sie ohne Brille bei vollkommener Dunkelheit noch etwas sehen können. Aber dann hätten sie arge Probleme mit dem Sonnenlicht bekommen. Daß sie bei Wiederbeleuchtung des Raumes für einige Momente geblendet wurden ist ja allen offenbart worden. Also seit wann wissen Sie, daß Ihre Augen für das sehen im Dunkeln geeignet sind?"

"Habe ich heute erst mitgekriegt", erwiderte Hercules trotzig. "Wenn Madame Rossignol klärt, woher das kommt, kriegen Sie von der ganz sicher 'ne bessere Antwort als ich Ihnen geben kann."

"Dann soll dies wohl so sein, Monsieur Moulin", fauchte Professeur Faucon. "Monsieur Latierre, bitte geleiten Sie Monsieur Moulin in den Krankenflügel!" Julius bestätigte den erhaltenen Befehl und winkte Hercules, der ihm folgte. Julius fühlte, daß es in seinem Kameraden wirklich heftig brodeln mußte. Er war kein Legilimentor oder Naturtelepath wie Professeur Fixus. Doch irgendwie spürte er, daß Hercules gerade kurz vor einer Explosion stand. Das konnte auch Einbildung sein, weil Hercules gerade eben so abgebürstet worden war. Mal wieder dreihundert Strafpunkte einzufangen war ja nicht wirklich lustig. Deshalb beschloß Julius, Hercules per Wandschlüpfsystem in Madame Rossignols Sprechzimmer zu bringen. Das würde diese ihm sicher durchgehen lassen und ...

Es war wohl ein Reflex, gepaart mit der Alarmstimmung, die er schon empfand. Jedenfalls duckte er den Faustschlag ab, der ihn sonst am Hinterkopf erwischt hätte. Hercules stürzte mit verengten Augen auf ihn los. Es war wie ein Déja Vu, wie damals der Angriff von Brutus Pane. Julius sah die vor blinder Wut funkelnden Augen. Nein, das war keine Wut, sondern Haß. Kalter, abgrundtiefer Haß, der da im Gesicht des Mitschülers zu sehen war. Julius tauchte einem weiteren Schlag aus dem Weg und übersah dabei die Hand, die nach seiner Halskette langte, an der das Herz hing. "Das blöde Ding mach ich jetzt kaputt, du überzüchtetes Schlammblut!" Schrillte Hercules. Julius hatte einen Moment zu lange gezögert. Hercules zog die Kette über seinen Kopf und schleuderte den Anhänger gegen die Wand. Doch dieser prallte klackernd ab und schlidderte auf dem Boden davon. Hercules sprang hinterher, um das nun leblose, harte Schmuckstück zu zertreten. Julius sprang hinter ihn und riß ihn am rechten Arm. Da passierte etwas merkwürdiges. Hercules stieg vom Boden hoch wie von einem Schwebezauber angehoben. Innerhalb von zwei Sekunden waren sie schon auf zwei Metern Höhe. Julius sah die noch einmal zwei Meter über ihnen liegende Decke und entschied sich, nicht weiter mit aufsteigen zu wollen. Er ließ sich fallen, konzentrierte sich darauf, beim Aufprall eine Rolle zu machen und kullerte, nachdem er den Aufprall aufgefanen hatte herum. Hercules krachte in diesem Moment mit dem Kopf gegen die Decke und trudelte einen Moment. Dann sackte er durch. Julius zog seinen Zauberstab. Daa hörte er schon von hinten: "Cadelento!" Hercules wurde gebremst und landete weich.

"Damit hätte ich rechnen müssen", schnaubte Professeur Faucon. "Ich hätte Sie begleiten müssen, Monsieur Latierre. Nach dem ich ihm offen ins Gesicht sagte, daß mir seine merkwürdigen Seheigenschaften aufgefallen sind, hätte ich damit rechnen müssen, daß er sich der Untersuchung entzieht. Da hinten liegt ihr Talisman, Monsieur Latierre. Ich hoffe, er ist tatsächlich gegen alle Elemente gefeit, wie die Werbung es so vollmundig behauptet." Julius vertat keinen Moment damit, über diese Billigung nachzudenken. Nach den Osterferien hatte Professeur Faucon wie die anderen auch auf den Anhänger gestarrt wie der Stier auf das rote Tuch. Er hechtete zu dem entrissenen Anhänger, prüfte, ob die Kette noch ganz war und hängte sie sich wieder um. Keinen Moment später pulsierte das Schmuckstück wieder. Er atmete erleichtert auf. Seine Verbindung zu Millie war nicht zerstört worden. Immerhin verdankte er dieser Verbindung sein Leben. Das wußte Professeur Faucon. Und genau deshalb lächelte sie ihn an, als sie sah, wie das rubinrote Kleinod wie ein kleines Herz aus Fleisch und Blut pulsierte. Es war das Lächeln einer liebenden Großmutter, nicht das anerkennende Lächeln einer zufriedenen Lehrerin. So empfand es Julius, als er den Anhänger wieder unter sein Unterhemd schob. Dann rief der in ihn eingeprägte Pflegehelfer ihm zu, daß Hercules vielleicht bewußtlos war. Da zitterte sein Pflegehelferarmband. Er sah Hercules an, auf dessen Kopf gerade eine sickelgroße Platzwunde klaffte, aus der Pulsschlag für Pulsschlag kleine Blutfontänen quollen. Er tippte sich schnell an den Pflegehelferschlüssel und stellte eine Verbindung zu Millie her.

"Wo bist du gerade, Julius?" Fragte sie sehr ungehalten.

"Wollte gerade Hercules Moulin zu Madame Rossignol bringen, weil Professeur Faucon seine Augen zu gut für totale Dunkelheit hält. Dann wollte der mir eine überziehen und hat mir den Herzanhänger weggerissen. Geht aber immer noch, wie du merkst. Außerdem ist Hercules vom Boden gestiegen und zur Decke hochgeschwebt. Ich mußte mich von ihm lösen, um nicht aus viereinhalb Metern runterzuplumpsen. Magische Beine habe ich ja doch nicht und leg's auch nicht unbedingt drauf an, welche zu kriegen." Professeur Faucon räusperte sich und stellte sich so, daß Millie sie sehen konnte.

"Das gibt Anlaß zur Besorgnis, Madame Latierre. Offenbar äußert Monsieur Moulin Eigenschaften, die für einen Menschen, auch wenn er mit Magie begabt ist, nicht gewöhnlich sind. Ihr Ehegatte wird ihn jetzt meiner Anweisung gemäß zu Madame Rossignol bringen. Sie verbleiben bitte auf dem Pausenhof. Wir haben die Lage nun im Griff."

"Sie meinen Hercules Moulin, Professeur Faucon", forschte Millie nach. Professeur Faucon nickte.

"Gut, Julius. Du bringst deinen strafpunktesüchtigen Kameraden zu Madame Rossignol und fragst, ob du bei ihr bleiben mußt. Falls nicht, kommst du eben noch mal zu uns raus. Gérard, Robert und Céline stehen schon bei mir."

"Dann lass dir bitte von denen schon mal die Sache erzählen, die sie mitbekommen haben, Mildrid! Bis später dann!"

"Wollten sie durch das Wandschlüpfsystem?" Fragte Professeur Faucon. Julius bejahte es. "Gut, dann richten Sie Madame Rossignol aus, ich käme nach der dritten Doppelstunde zu ihr und erwarte einen ersten Bericht. Bis dahin soll sie Monsieur Moulin entschuldigen, sofern dies noch was bedeuten mag. Denn durch den tätlichen Angriff auf Sie hat er sich gemäß der neuen Regelung noch einmal dreihundert Strafpunkte zugezogen. Bitte teilen Sie Madame Rossignol mit, daß ich diese disziplinarische Bewertung bereits ausgesprochen habe!" Julius nickte. Dann besah er Hercules' Kopf. Der Klassenkamerad stöhnte. Er kam wohl gerade wieder zu sich. Julius wollte es gar nicht erst auf eine zweite Runde ankommen lassen. mit "Incarcerus" fesselte er ihm Arme und Beine. Erst als er sicher war, daß sein Klassenkamerad nicht noch einmal zuschlagen würde, holte er aus seinem magischen Brustbeutel das Kästchen mit den wichtigsten Salbenund Heiltränken. Dann reinigte er die Wunde und verschloß diese restlos. Erst danach suchte er das nächste Wandstück, das mit dem Wegesystem verbunden war. Professeur Faucon sah ihm und Hercules nach. Mochte es angehen, daß der bisher eher als aufsässig aufgefallene junge Zauberer zum einen nichts für seine Bosheiten konnte und zum anderen eher zu bedauern als zu verdammen war? Doch das wollte sie nicht jetzt beantworten, bevor sie nicht heilkundliche Fakten von Madame Rossignol zur Hand hatte.

Julius erschien bei Madame Rossignol. Diese hatte offenbar den kurzen Zwischenfall im Flur mitbekommen und dann das Gespräch zwischen ihm und Mildrid mitgehört.

"Ich hätte besser sofort zu dir runterkommen sollen. Aber als Professeur Faucon so zuversichtlich bekräftigte, die Lage unter Kontrolle zu haben, mußte ich nur noch warten", begrüßte sie Julius und betrachtete Hercules, der sich ungebärdig in den Fesseln wand und zappelte.

"Habe ich das richtig gehört, daß er dich angegriffen hat, um dir den kleinen Herzanhänger wegzunehmen?" Wollte die Heilerin wissen.

"Ja, hat er. Professeur Faucon hat ihm schon dreihundert Strafpunkte dafür ausgesprochen", antwortete Julius. "Außerdem bittet sie darum, nach der dritten Doppelstunde von Ihnen einen ersten Bericht zu erhalten, wenn sie zu Ihnen kommt."

"Du sagtest zu deiner Frau was, daß er in völliger Dunkelheit gesehen habe. Was habt ihr im Unterricht gemacht?"

"Wir nehmen jetzt die Dementoren richtig durch. Professeur Faucon hat deren Dunkelheit- und Kälteaura simuliert und jedem den Depressissimus-Zauber aufgeladen."

"Außer dir natürlich, weil ich das sonst registriert hätte", sagte die Heilerin. "Statt dessen hast du erotische Reminiszenzen bemüht. Hast du deinen Patronus gerufen?" Julius nickte. Hercules wurde nun richtig wach und blaffte:

"Dieses Dreckstück hat alles gekriegt. Superzauberkräfte, 'ne liebe Kleine und jetzt noch 'ne heiße Braut zum drüberklettern. Dir stecken die echt alles in den Arsch rein."

"Vor allem ihre Füße, so wie du, Hercules", knurrte Julius zurück. "Oder denkst du, ich hätte mir das alles ausgesucht? Meinst du, das macht mir Spaß, immer vorgeführt zu werden? Kuckt mal was unser Sohn kann. Kuckt mal, wie toll der rechnen, schreiben, zaubern kann! Ich habe mir das mit meiner Zauberkraft nicht ausgesucht, genauso wie du dir deine Ohren und Augen nicht ausgesucht hast."

"Halt's Maul!" Schnarrte Hercules. "Du hast alles gekriegt, was du haben wolltest. Dafür lohnt sich die Männchenmacherei ja doch, oder?"

"Ist klar", versetzte Julius. Madame Rossignol legte ihre Finger auf ihren Mund. Er schwieg.

"Eh, ihr macht mir jetzt die Fesseln ab. Dann soll der Typ da verschwinden und seiner Bettwärmerin erzählen, daß ich ihn und ihren blöden Eheschmuck nicht kaputtgekriegt habe." Bei diesen Worten stieg Hercules wieder vom Boden auf und schwebte nach oben zur Decke hin. Madame Rossignol sah es mit großem Erstaunen. Julius hatte das eben ja schon einmal erlebt. Er sah Hercules genau an. Er sah normal aus wie andere europäische Jungen, die Hautfarbe, die Haare, die Augen. auch Hände und Füße waren völlig normal gebildet. Aber wieso konnte er dann ohne zauberstabgebrauch vom Boden aufsteigen. In einem Bild hinter Madame Rossidnols Schreibtisch stand Serena Delourdes, eine der Gründerinnen von Beauxbatons und die allererste Schulheilerin der Akademie. Neben ihr stand die für dieses Bild entsprechend geschrumpfte Ausgabe Aurora Dawns, die besorgt auf den gerade frei schwebenden Jungen blickte, der nun grinsend unter der Decke hin und her glitt wie auf einer unsichtbaren Schaukel. Julius stand einen Moment dabei und staunte. Madame Rossignol hob ihren Zauberstab und rief: "Terra Firma!" Doch es knisterte nur, als würde sich um Hercules herum elektrische Energie in unsichtbaren Funken entladen. Er blieb weiterhin im freien Schweben.

"Kannst du das regeln, daß du wieder herunterkommst?" Fragte die Heilerin gefaßt klingend.

"Ist voll stark. Das kannst du wohl nicht, Monsieur Latierre."

"Verbunden mit deinen Superaugen und -ohren und mit dem Haß, den du mir eben entgegengeschleudert hast muß ich das auch nicht können", erwiderte Julius unbekümmert. Hercules grinste. Das war doch nicht mehr der sonst so kameradschaftliche Junge, mit dem er zwei Jahre eine Schulfreundschaft gepflegt hatte.

"Julius, geh in die Pause und konzentrier dich ganz auf den Unterricht!" Riß ihn die Heilerin aus seinen Überlegungen. "Ich komme schon an den dran."

"Der hängt unter der Decke. Mit dem Schwebe-Aufhebungszauber kam er nicht mehr runter."

"Weil der nur auf von außen gewirkte oder durch alchemistisch gespeicherte Zauber anspricht. Wer sich selbst zum schweben bringen kann ist gegen diesen Zauber natürlich immun. Aber ich bekomme ihn schon auf den Untersuchungstisch, Julius. Also geh bitte!"

"Wie Sie wünschen, Madame", sagte Julius widerwillig. Er wollte jetzt erst recht wissen, was da vor sich ging. Wieso schwebte Hercules wie ein Dementor oder eine Sabberhexe durch die Luft? Der sah doch ganz normal aus, gar nicht grünlich. Und seine Augen besaßen keine gelben Pupillen. Doch er wollte jetzt keine Strafpunkte riskieren. Als stellvertretender Saalsprecher bekäme er das wohl früh genug mit, was hier vorging.

So wandschlüpfte Julius zum Hinterausgang des Palastes, wo der große Pausenhof war. Dort kam ihm Professeur Laplace entgegen, die zusammen mit Sandrine Dumas die Pausenaufsicht machte.

"Gérard hat sowas erzählt, du müßtest Hercules zum Krankenflügel bringen, weil irgendwas mit seinen Augen nicht stimmt", sagte die Pflegehelfer- und Saalsprecherkollegin von Julius. Dieser erwiderte:

"Die kiste ist voll merkwürdig, Sandrine. Der wollte mir im Flur vor dem Protektionsraum eine überziehen und mir den Herzanhänger kaputtmachen, den ich mit Millie teile. Dann stieg der einfach zur Decke hoch wie von einem Schwebezauber gehoben. Da knallte er dann gegen und fiel runter. Ich brachte ihn zu Madame Rossignol. Die untersucht den jetzt."

"Professeur Faucon kam gerade heraus und teilte es mir mit, daß Sie Monsieur Moulin in den Krankenflügel zu verbringen hätten, da er befremdliche Eigenschaften geäußert habe", sagte die Arithmantiklehrerin. Julius nickte und schilderte kurz, was passiert war, wobei er den Hof überwachte.

"Der kann im dunkeln sehen und hat empfindlichere Ohren?" Fragte Sandrine. Julius nickte. "Oh, dann könnte er Erbanlagen eines Kobolds haben."

"Die können nicht schweben", knurrte Julius und starrte seine Mitschülerin wie vom Donner gerührt an.

"In Ordnung, Mademoiselle Dumas. Für Spekulationen sind wir beide jetzt nicht zuständig, und Monsieur Latierre auch nicht", bemerkte die Arithmantiklehrerin. "Setzen wir unsere Pausenaufsicht fort, bevor ein paar Opportunisten des Chaos ihre Chance wittern!" Sandrine nickte. Folgsam, wie fast alle aus dem gelben Saal trottete sie hinter der Lehrerin her. Julius eilte hinüber zu Millie, die mit Gérard, Céline und Robert zusammenstand.

"Na, wollte Culie nicht zur Tante Heilhexe?" Stichelte Gérard. Julius befand, daß "Kein Kommentar" im Moment die beste Antwort sei und fügte dem noch an, daß er nicht mit irgendwelchen Vermutungen rumwerfen wollte, bevor nicht Madame Rossignol oder Professeur Faucon damit rüberkamen, was los war.

"Hat unsere Saalkönigin dem noch Strafpunkte hinten drauf gepackt, weil der diesen Schockzauber versucht hat?" Wollte Robert wissen. Julius nickte. Das konnte er ruhig sagen.

"Aua, das reißt ein hausgroßes Loch in sein Bonuspunktekonto. Kann der DQ auch unter null gehen?"

"Interessante Frage. Dann müßte der Wert der in einer Woche erhaltenen Bonuspunkte oder der Wert der erhaltenen Strafpunkte bereits kleiner als null also minus sein. Da das aber immer über null ist, geht das wohl nicht", sagte Julius.

"Eben, weil die beiden Summen ja nicht Minus sind", warf Céline ein. "Die Summe der Bonuspunkte durch die Summe der Strafpunkte teilen, so geht der DQ. Desto mehr Strafpunkte du kriegst, desto kleiner wird der. Aber der kann dann nur auf null runtergehen ... oder nicht?"

"Nur wenn du in einer Woche unendlich viele Strafpunkte kriegst, Céline", warf Julius ein. Gérard grinste.

"Da war Bernies Ex doch auf dem besten Weg hin."

"Ähm, und wenn du in einer Woche keinen Strafpunkt kassierst?" Fragte Robert. "Ich habe mal gelernt, daß man nichts durch null teilen kann."

"Ich lese uns zwei nachher noch einmal die DQ-Regel vor, Süßer", säuselte Céline. "Wenn du keinen Strafpunkt kriegst, wird die Bonuspunktesumme einfach durch eins geteilt. So blöd sind die ja nun auch nicht."

"Ihr seid echt lustig. Da hängt Hercules jetzt oben bei Madame Rossignol, und ihr quatscht nur über Zahlen", grinste Millie. "Abgesehen davon weiß ich nicht, warum man nichts durch null teilen kann. Julius, warum ist das so, bevor ich mich bei meiner Schwiegermutter voll blamiere."

"Ganz einfach, weil beim Teilen immer wieder mit dem Endwert und dem Teilwert Malgenommen der Ausgangswert herauskommt. Teilst du sechs durch drei, hast du zwei. Wenn du sechs durch zwei teilst, kommt drei raus. Wenn du also drei mal zwei oder zwei mal drei rechnest, kommt immer wieder eine sechs raus. Wenn du aber jetzt zwei durch null teilen willst, müßte ja null mal zwei oder zwei mal null zwei ergeben."

"Ja, und das geht nicht, weil wenn du eine Zahl mit null malnimmst kommt null raus", sagte Céline. "Deshalb geht das mit dem teilen nicht."

"Ups, ist ja echt einfach", stellte Millie fest. "Ich habe schon befürchtet, daß du mir jetzt ein Gesetz von irgendeinem uralten Rechenkünstler runterbeten mußt. Zwei mal nix ist nix und bleibt nix."

"Wie auch immer, Leute, meinte Robert. "Wenn Hercules jetzt sechshundert Strafpunkte mehr drauf hat ist sein DQ bestimmt unter eins, weil der in dieser Woche gerade mal einhundert gekriegt hat."

"Genau wie Bernies", grinste Millie schadenfroh. "Die hat doch echt versucht, mir auch noch Strafpunkte wegen schlecht gekämmter Haare einzuschenken. Aber Brunie hat gemeint, daß das mit einem Handstrich locker erledigt sei und Bernie damit ihre Schau gestohlen", erwiderte Millie. "Ist aber schön, daß unsere neue Hauskuh Temmie dein Patronus ist, Julius. Da wird sich Tante Babs freuen, daß sie uns was wirklich nützliches geschenkt hat."

"Das habe ich nie bezweifelt", erwiderte Julius. So verplauderten sie die Pause mit dem Unterrichtsstoff der letzten zwei Stunden. Dann hieß es, zur Kräuterkundestunde anzutreten. Belisama fragte Julius, als er mit Céline und Robert vor der heutigen Übungspflanze stand, was jetzt mit Hercules sei.

"Könte sein, daß Madame Rossignol ihn in die Delourdesklinik schickt. Der hat Sachen gebracht, die nicht normal für einen magischen Jungen sind."

"Achso, und deshalb wird man gleich in ein Krankenhaus eingewiesen?" Fragte Belisama schnippisch. Julius erkannte, daß er da gerade wohl etwas unpassendes gesagt hatte und fügte hinzu: "Wenn Madame Rossignol rausbekommt, daß es eine Krankheit ist. Wenn es was angeborenes ist, was schon Jahrhunderte lang weitergereicht wurde, dann werden sie wohl nur klären, ob er bei uns bleiben kann. Aber wenn ich den Haß in seinem Blick bedenke, als der mir einen drüberhauen wollte ... Ich weiß echt nicht, womit ich mir den verdient haben soll."

"Er hat sich ausgerechnet eine Bücherhexe unter den Roten ausgesucht. Als er dann mehr als schmusen wollte wollte sie nicht. Ja, und irgendwie ist das echt dumm gelaufen, wie Hercules und ich zusammengekommen sind. Waren schon schöne Wochen und Tage, vor allem die Walpurgisnacht. Deshalb ist das ja so traurig, daß es so auseinandergebrochen ist."

"War nicht deine Schuld", sagte Julius zu belisama. Dann mußten sie sich auf ihre Arbeit konzentrieren, weil der Blaustrunk was dagegen hatte, daß seine Außentriebe abgeschnitten werden sollten. Er schlug mit den Ranken nach den Schülern, bis Julius einen Gefrierzauber auf die Zweige sprach. "Hat mir Madame Dusoleil mal gezeigt, daß wilde Zauberpflanzen so für ein paar Minuten beruhigt werden können."

"Die hätten die als Lehrerin hier anstellen sollen", schnaubte Belisama, die beim Ringkampf mit dem Blaustrunk ein paar Haare eingebüßt hatte. Schnell trennte sie die äußeren Triebe ab. "Trieb um Trieb, Haar um Haar", knurrte sie. Céline bot ihr an, ihr die Haare gleich richtig zu machen. professeur Trifolio kam herüber und betrachtete die Ernte.

"Das ist der Grund, warum ich jeder mit langem Haar anrate, ein Kopftuch zu tragen, um derartige Verunstaltungen zu verhindern", sagte der Kräuterkundelehrer tadelnd, als er Belisamas leicht ramponierte Frisur betrachtete. Diese nickte nur. Sagen wollte sie dazu nichts. Trifolio hätte ihnen echt erklären können, wie diese wilden Ranken schnell betäubt werden konnten.

Nach dem Unterricht ging es zum Mittagessen. Der Versuch von Julius, mehr über Hercules zu erfahren schlug fehl, weil Professeur Faucon nicht im Speisesaal war und Madame Rossignol nichts über das Armband weitergeben wollte. Sie sagte nur, daß sie Madame und Monsieur Moulin informiert habe. Das reichte Julius schon, um weitere Überlegungen anzustellen. Womöglich würde Hercules nicht mehr zum Unterricht kommen, wenn sie nicht wußten, wie sie die fremde Natur, die in ihm erwacht war kontrollieren konnten. Denn anders als bei Werwölfen wie Remus Lupin war das Problem ja nicht auf eine Nacht im Monat beschränkt. Auch war die Frage, warum er bisher nicht aufgefallen war. Hatte das was mit dem Alter zu tun oder mit der Entwicklung der Zauberkräfte? Vielleicht konnte er ruhiger schlafen, wenn er wußte, daß Hercules nicht mehr im Schlafsaal übernachten würde. Vielleicht konnte er aber auch nicht schlafen, solange er nicht wußte, was da in dem Jungen vorging, der vor einem Jahr noch ein richtiger Kumpel gewesen war. War es eine Krankheit oder ein Fluch? War es ein angeborenes Phänomen oder von außen zugefügt? Das wollte er noch wissen, bevor er sich auf den Nachmittagsunterricht konzentrieren konnte.

Als habe ihn Madame Rossignol erhört, meldete sie sich um halb zwei am Nachmittag über das Armband und bestellte ihn und Giscard in den Krankenflügel. Als sie dort eintrafen, waren auch Madame Maxime und professeur Faucon anwesend. Daneben sah Julius noch Hercules, der auf einem Stuhl saß, mit Armen und Beinen gefesselt. Unter dem Stuhl schimmerte ein Brocken aus einem weißen Mineral. Julius bekam große Augen. Auch Giscard starrte auf diese Anordnung.

"Steinsalz?" Fragte Julius auf den Mineralbrocken unter dem Stuhl deutend. Professeur Faucon nickte. Madame Maxime räusperte sich. Hercules funkelte alle anwesenden böse an wie ein gefangenes Tier. In gewisser Weise ging es ihm ja auch genau so.

"Wir warten noch auf Monsieur Moulins Eltern", sagte Madame Maxime.

"Die Alte da soll mich in die Klinik schicken, damit die mir was geben, um das klarzukriegen", blaffte Hercules und deutete mit seiner Nase auf Madame Rossignol.

"Ich habe es dir vorher schon gesagt und wiederhole das gerne, wo deine ehemaligen Mitschüler dabei sind. Dagegen gibt es keine Heilung oder Unterdrückung. Du hättest nichts davon, andauernd mit Steinsalz am Bein herumzulaufen, um nicht aus Versehen zu schweben und müßtest andauernd überwacht werden, damit du nicht doch irgendwann wen wieder so angreifst wie Julius Latierre."

"Verdammt! Für die Bubies, die von diesen Biestern vernascht werden gibt's doch auch Hilfe."

"Moment, Leute! Soll das heißen, Hercules ist der Nachfahre einer Sabberhexe?" Fragte Giscard beklommen. Hercules lachte laut und fauchte zurück:

"Mann bist du schnell, Giscard. Aber klar, als Treiber muß man das ja sein. Die Rossignol hat rausgekriegt, daß irgendwo in meiner langen Ahnenreihe so'ne grüne Pestbeule reingefuhrwerkt haben muß. Komisch, daß meine Eltern mir sowas nie erzählt haben. Jetzt ist mir auch klar, warum 'ne Großtante von mir so grün im Gesicht ist."

In diesem Moment fauchte es im Kamin, und Monsieur Moulin purzelte aus einem grünen Flammenwirbel.

"Ich habe echt gehofft, daß die menschlichen Anteile nun stark genug sind", sagte er statt einer Begrüßung. Dann sah er, wer alles da war. Sein Blick blieb an Julius Latierre hängen. "Was soll er hier?"

"Als stellvertretender Saalsprecher und Pflegehelfer ist er befugt, die ganze Wahrheit zu erfahren. Immerhin hätte Ihr Sohn ihn heute morgen fast niedergeschlagen", wandte Professeur Faucon ein. Wieder fauchte es im Kamin, und Madame Moulin erschien. Ihr war anzusehen, daß sie gerade eben noch geweint haben mußte. Sie begrüßte leise die Anwesenden und deutete dann auf ihren gefesselten Sohn. Als sie den Brocken Steinsalz unter dem Stuhl sah, schossen ihr erneut Tränen in die Augen. Julius konnte es nachempfinden, wie sich Madame Moulin fühlen mochte. Da hatte jemand herausbekommen, daß ihr Sohn wegen weit zurückliegender Verbandelungen mit einer nicht gerade menschenfreundlichen Kreatur aus der Spur geraten war. So ähnlich mochten sich Eltern fühlen, deren Kinder drogenabhängig waren oder sich eine unheilbare Krankheit eingehandelt hatten. Ihr Mann sah sie mißmutig an, als habe sie ihn schwer enttäuscht. Da mutmaßte Julius für sich, daß die fremdartigen Erbanteile von der Mutter stammten.

"Meine Schwiegertante kommt gleich noch", sagte Monsieur Moulin. Das war für Hercules wie ein Hammerschlag auf den Kopf. Angst trat in die gerade eben noch von Trotz erfüllten Augen des gefesselten Mitschülers.

"Zu welchem Zweck sollte Ihre Schwiegertante uns beehren?" Fragte Madame Rossignol. "Bei allem Respekt vor Ihnen, Madame und Monsieur Moulin. Aber wenn ich Ihren Sohn richtig verstanden habe ist sein Verhältnis zu jener Großtante sehr getrübt", sagte Madame Rossignol. "Ich hatte vor einigen Wochen die Gelegenheit, mit Hercules über seine Verwandtschaft zu sprechen, da der Erwartungsdruck oftmals eine Verhaltensänderung bewirken kann. Hätte ich damals schon gewußt, was ich jetzt erst weiß, wäre die Angelegenheit anders geklärt worden."

"Ja, und hätte der Hund nicht einen Haufen machen müssen, hätte er den Hasen erwischt", knurrte Monsieur Moulin. Da fauchte es wieder im Kamin, und eine kleine, knorrige Frau in buntem Umhang fiel aus den Flammen. Sie besaß dunkelbraunes, zu einem strengen Zopf geflochtenes Haar. Ihre Augen waren golden wie Honig. Julius erstarrte fast. So ähnlich hatten Hallittis Augen ausgesehen. Doch besonders merkwürdig war der leichte Grünstich der ansonsten blassen Haut, die nicht zu einer Menschenfrau paßte. Hercules kämpfte gegen seine Fesseln an. Doch er kam nicht frei.

"Schick die Alte weg, Papa. Ich will nicht zu der! Ich hab's doch versucht, klar zu bleiben!" Zeterte Hercules. Julius fühlte sich an ein Tier auf dem Schlachthof erinnert oder an einen Mann, den sie gleich am Galgen aufhängen oder unter das Fallbeil der Guillotine legen würden.

"Ruhe!" schnarrte die Besucherin. Dann sah sie Madame Moulin an, die ihr Gesicht in einem immer nasser werdenden Taschentuch vergraben hatte. "Das wußtest du doch, daß das passieren kann. Die Waldfrauenanteile lassen sich nicht so einfach wegzüchten. Hast gedacht, die siebte Generation, da wird schon nichts mehr übrigbleiben. Aber nichts war es."

"Entschuldigen Sie, Agrippine", aber Sie sollten zunächst einmal höflich sein und die Anwesenden begrüßen", stellte Madame Maxime unumstößlich klar. Die knorrige Frau mit dem leicht grünen Gesicht schnarrte nur "Tach zusammen!" Dann setzte sie sich unaufgefordert auf einen freien Stuhl. Monsieur Moulin sah seine Frau an. Doch diese war tief in einer Tränenflut gefangen. So sagte er:

"Meine Frau und ich wissen, daß wir keine andere Möglichkeit haben. Wir müssen Hercules in die Obhut meiner Schwiegertante geben. Sie trägt, wie Sie alle sehen können, die Natur der Waldfrauen in sich. Daher wird sie mit der unseligerweise in ... Hercules ... aufgekeimten Natur umgehen können. Ich habe mit Leuten von der DK gesprochen. Gegen Auswirkungen von außen ginge was. Aber gegen die Erbanlagen gibt es nichts. Offenbar sind diese Erbanlagen geduldig und können die Generationen überdauern, auch wenn äußerlich nichts mehr darauf hinweist, daß da mal eine Sabberhexe drin verwurstelt war."

"Nicht dieses Wort, Cyrus", knurrte die Frau, die Agrippine genannt wurde. Doch Monsieur Moulin ließ sich nicht den Mund verbieten oder berichtigen.

"Wenn deine Nichte, meine Frau, mir früh genug erzählt hätte, was mit deiner Haut nicht stimmt und unsere Kinder vielleicht auch mal wie diese grünen Waldfrauen durch die Gegend schweben können, hätte ich mich nicht darauf eingelassen, mit ihr einen Sohn zu haben." Hercules blickte seinen Vater ungläubig und verzweifelt an. Hatte der gerade gesagt, daß er ihn besser nicht gezeugt hätte? Ähnliches hatte Julius' Vater doch gerne vom Stapel gelassen.

"Wir gingen alle davon aus, daß mit jeder neuen Generation das alte Erbe versiegt", sagte Agrippine. "Allerdings wußten wir von meinem Onkel Bruno vor hundertfünfzig Jahren. Der schlug auch nach seinem Urahnen."

"Die damen und Herren Besucher. Bitte klären Sie uns nun endgültig und ohne ausstehende Fragen auf, mit was wir es hier zu tun haben. Und, Monsieur Moulin, Ihr Sohn kann wirklich nichts für seine Existenz", schnarrte Professeur Faucon. Daraufhin begann Hercules' Großtante eine unheimliche Geschichte zu erzählen.

Es geschah wohl im Zeitraum zwischen 1450 und 1506, daß eine Waldfrau einen Sohn bekam, den sie nicht wie üblich tötete, sondern über die Stillzeit hinaus großzog. Als der dann alt genug war und anfing, eigene Zauberkräfte zu entfalten, hat sie ihn weit fort von ihrem Heimatwald ausgesetzt. Er wohnte in einem Wald südlich von Avignon und lebte als Herr der wilden Tiere da. Doch das reichte offenbar nicht. Er kundschaftete Waldsiedlungen aus und raubte junge Mädchen, die er mit roher Gewalt nahm oder durch die angeborenen Zauberkünste zur Hingabe verführte. Mehrere dieser Mädchen wurden schwanger und gebaren. Doch die meisten Kinder wurden als Mißgeburten verstoßen, ausgesetzt oder wie Ratten ersäuft. Doch irgendwie muß dieser Waldfrauenbursche eine echte Hexe gefunden haben. Damals galten Kinder schon als unantastbar, vor und nach der Geburt. Diese Hexe brachte eine Tochter zur Welt, die dann als Waldfrauenmischling erkannt wurde und von anderen Hexen und Zauberern verjagt wurde. Irgendwie schaffte sie es, einen Jüngling für sich zu begeistern, von dem sie in Folge ein Dutzend Kinder empfing, elf Töchter und einen Sohn. Den Sohn tötete sie, weil sie befürchtete, daß er stärker als sie selbst werden könnte. Die Töchter verstreuten sich in die Wälder. Nur zwei kehrten in die Welt der weißhäutigen Menschen zurück. Eine pflanzte sich mit Muggeln fort. Die zweite fand einen Jungen, der nicht wußte, daß er Magie im Leib hatte und blieb in seiner nähe, bis er mannbar, also geschlechtsreif war. Da diese Tochter nur noch wenig mit dem Äußeren einer Waldfrau gemein hatte, willigte er ein, sie zu heiraten. So kamen weitere vier Kinder, drei Töchter und ein Sohn, auf die Welt. Die Töchter konnten in Beauxbatons zur Schule gehen, so unauffällig sahen sie nun aus. Der Sohn zeigte aber mit Erreichen seiner Geschlechtsreife ein immer aufsässigeres Verhalten und wurde auch Gewalttätig. Seine Eltern mußten ihn von der Schule nehmen und alleine ausbilden. Doch er kam mit der Zivilisation nicht zurecht. Und so setzten sie ihn weit ab von der Zivilisation in einem Waldstück aus. Die drei wohlgeratenen Töchter suchten sich unverfänglich Ehepartner und setzten die Ahnenreihe fort. Über mehrere Generationen wurdn nur Töchter geboren. Doch die Familiengeschichte hat den Vorfall mit dem ersten überlebenden Sohn aus dieser unglücklichen Verbindung nicht vergessen. Vor einhundertfünfzig Jahren, kam wieder ein Sohn aus dieser Linie auf die Welt. Es war mein Onkel. Auch er fiel mit fünfzehn Jahren von den anerzogenen Verhaltensmustern ab, wurde triebhaft und gewalttätig. Als meine Schwester und ich Zeugen wurden, wie er nach dem Angriff auf ein Muggelmädchen von vier Zauberern gestellt und im Kampf getötet wurde, schworen meine Schwester und ich, daß wir jeden nachgeborenen Sohn aus unserer Blutlinie sofort aus der Zaubererwelt herausholten und weit ab von dieser und der so genannten Zivilisation der Muggel behüten wollten. Ich ließ meiner älteren Schwester den Vortritt bei der Partnerwahl und blieb selbst unverheiratet und kinderlos, damit das Risiko, einen weiteren aus der Bahn geratenen Jungen in die Welt zu setzen klein bliebe. Meine Schwester gebar nur eine Tochter, Andora." Sie deutete auf Madame Moulin. Diese schluchzte ungehemmt los. Hercules funkelte seine Großtante an und schnaubte:

"Den Drachenmist läßt du doch nur ab, weil du meinst, mich in deine Altjungfern-Hütte irgendwo in den Alpen einsperren zu dürfen, Tantchen. Kann sein, daß du von 'ner Sabberhexe abstammst ..." Die knorrige Frau, die als Hercules' Großtante Agrippine vorgestellt worden war, machte eine Handbewegung, wobei sie ihre Finger in eine merkwürdige Stellung brachte. Hercules röchelte und bekam dann kein Wort mehr heraus. Julius wußte, daß reinrassige Sabberhexen mit Handzaubern Leute lähmen konnten, ohne Zauberstäbe oder Zauberformeln benutzen zu müssen. Madame Maxime forderte sie zwar auf, den exotischen Schweigezauber von dem Jungen zu nehmen. Doch Agrippine schüttelte nur den Kopf.

"Gerade Sie sollten verstehen, warum ich darauf bestehen muß, den meiner Schwester geleisteten Schwur einzuhalten, Madame Maxime. Oder empfanden Sie das etwa als unwahrscheinlich erhaben, keine reinrassige Hexe zu sein. Machte es Ihnen etwa Spaß, in immer neue Gefühlsausbrüche zu geraten? Empfanden Sie die Furcht der anderen vor Ihrer Statur als Ehrung? Hat es Sie noch mehr befriedigt, als Sie ..."

"Taceto!" Schnarrte Madame Maxime mit auf Agrippine weisendem Zauberstab. Der Sprechbann wirkte. Agrippine fischte in ihren bunten Umhang. Doch kaum hatte sie ihren Zauberstab freigezogen, fegte Madame Maximes Entwaffnungszauber ihn ihr aus der Hand. "Den lassen Sie besser dort, wo er ist, Agrippine! Sonst binde ich Sie mit der Ganzkörperklammer", bellte die Halbriesin, deren schwarze Augen gefährlich eng zusammenstanden. "Ich mag allen Anzeichen nach keine Reinrassige Hexe sein. Aber ich bin wie Sie eine vollwertige Hexe, Agrippine. Außerdem bin ich die amtierende Direktrice der Beauxbatons-Akademie, in deren Mauern Sie sich derzeitig aufhalten. Als solche bin ich hier die oberste Hausherrin und verbitte es mir sehr nachhaltig, mich von wem auch immer in diesen Mauern verhöhnen oder beleidigen zu lassen", schmetterte sie der zum Schweigen gezwungenen Hexe entgegen. "Monsieur Hercules Moulin hat sich in den letzten Monaten häufig gegen die gültigen Schulregeln vergangen, war über sein jugendliches Maß hinaus aufsässig und uneinsichtig. Sein diesjähriges Bonuspunktekonto ist bereits unter das zulässige Maß geschrumpft, und ich hätte wohl nur noch zwischen Zurückstufung oder permanenten Ausschluß vom weiteren Unterricht entscheiden können. Auch haben seine Eltern das Recht, ihn von der Akademie zu nehmen und seinen Unterricht von einer fachkompetenten Lehrperson fortführen zu lassen, um ihm im Rahmen der Schulpflicht die nötige Bildungsgrundlage zu gewährleisten. Es ist jedoch höchst fraglich, ob eine Entfernung aus aller Zivilisation legal ist. Außerdem kenne ich die Chronik unserer Schule auswendig und weiß daher zwar von den benannten zwei Fällen von untragbarer Disziplin- und haltlosigkeit. Jedoch entsinne ich mich nicht, die Begründung für diese Fälle von Insubordination gelesen zu haben, die Sie gerade ausführten. Ich erinnere mich daran, daß Sie, Agrippine, in der fünften Klasse waren, als ich eingeschult wurde. Damals sahen sie wie jedes andere junge Mädchen aus, während ich bereits größer als der größte Lehrer war. Ich kann mich nicht erinnern, daß Sie damals große Probleme mit ihren Mitschülern gehabt hätten. Wie kommt es, daß in ganz Beauxbatons keine einzige amtliche Niederschrift existiert, die die von Ihnen skizzierte Ahnenreihe erwähnt, wo Sie doch alle in den letzten fünf bis sechs Generationen Töchter hier hatten, die zu vollwertigen Hexen ausgebildet wurden? Und bevor Sie mir jetzt damit zu kommen wagen, daß über meinen Stammbaum auch nichts schriftliches existiert, so liegt dies daran, daß mein Leben und Werdegang einmalig ist. So, auf diese Fragen und Vorhalte möchte ich jetzt Ihre Antworten haben. Verbaloqui!" Mit dem letzten Wort hob sie den Sprechbann wieder auf.

"Sie haben es erwähnt, Madame, daß es wohl keinen wirklich interessiert, eine exotische Ahnenfolge öffentlich zu machen, sofern es nicht Reinblütigkeitsfanatiker wie die Lestrange oder der von diesen abgöttisch verehrte so genannte Lord Voldemort sind", sagte Agrippine. Diesmal schrak auch Julius zusammen, das erste Mal in seinem Leben. Agrippine bedachte alle mit einem verächtlichen Lächeln. Julius bangte, ob ggleich ein Erdbeben die Schule erschüttern würde wie damals, als er im Haus der Sterlings war und er dort erfahren mußte, daß ein mächtiger Zauberer seinen selbsterwählten Namen mit einem Fluch belegen konnte. Doch es gab kein Erdbeben. Keine vibrierende Luft, die zeigte, daß alle aufgebauten Schutzzauber zerstört wurden. Julius atmete auf. Professeur Faucon sah Agrippine etwas ungehalten aber erleichtert an.

"Sie meinten wohl, wenn sein lächerlicher Kampfname genannt wird, müßte er selbst wie der Teufel der Eingottreligionen in einem Blitz herab- oder in einer Schwefelwolke aus dem Boden herausfahren. Wie Sie alle hier bemerkt haben, passiert das nicht und wird es in diesem Land wohl auch nicht. Doch noch zu Ihren Fragen, Madame Maxime: Die Ausprägung meiner Waldfrauennatur erfolgte erst nach meinem sechzigsten Lebensjahr. Offenbar verschiebt sich die Phase, in der auch äußerliche Merkmale zu sehen sind mit jeder Folgegeneration immer weiter nach hinten. Möglich, daß sie irgendwann überhaupt nicht mehr sichtbar werden. Und was die Gründe für die Herunternahme der besagten zwei Söhne angeht, so wurden diese von ihren Eltern von der Schule genommen, als das damals schon existierende Bewertungssystem ihren Schulverweis unmittelbar bevorstehen ließ. Genauso ist es doch hier. Wenn ich meiner Schwester Ananke nicht den Schwur geleistet hätte, jeden Männlichen Nachkommen in meine Obhut zu nehmen, der wie unser Onkel gerät, müßten Sie Hercules spätestens dann entlassen, wenn sein Geschlechtstrieb und seine Gewaltbereitschaft das Wohl der Ihnen unterstellten Schüler bedroht. Vielleicht hätten Sie dann eine heilmagische Konsultation angeordnet. Aber die hätte wohl nur eine fehlende Selbstbeherrschung ergeben. Denn die Lebensaura einer Waldfrau, wie ich sie bei genaueren aurometrischen Untersuchungen noch äußere, würde bei einem männlichen Nachkommen in zweiter Generation wohl nicht mehr erkennbar sein, zumal ich bereits ein Nachkomme fünfter Generation bin", schnarrte Agrippine. "So werde ich ihn jetzt, nachdem meine Nichte und mein Schwiegerneffe Ihnen die entsprechende Aufforderung vorlegen, in meine Obhut nehmen, weil das von meiner Schwester, Andoras Mutter, und mir so vereinbart wurde." Professeur Faucon sah Agrippine an und fragte:

"Was gedenken Sie mit ihm zu tun, Mademoiselle Grandarbre?"

"Vordringlich werde ich ihn bei mir wohnen lassen und ihm Obdach, Nahrung und Gelegenheiten geben, sich ohne Schaden an Gut und Leben anderer Menschen anzurichten auszutoben. Er wird sich auf meinem Anwesen frei bewegen können und kann dort seine künstlerischen Fähigkeiten weiter ausüben, Sport treiben und lesen. So wie sein Geist und Körper nun beschaffen sind, ist mit zivilisatorischen Maßnahmen nicht mehr viel zu erreichen, um ihn doch noch zu einem glücklichen und nützlichen Mitglied der Gesellschaft zu machen. Die Delourdesklinik hätte ihn in die Abteilung für unheilbare Fälle eingesperrt, wo die Geisteskranken und unbeherrschten Werwölfe verwahrt werden. Ich biete ihm ein Leben, in dem er noch einen Nutzen für sich selbst erkennen kann." Hercules kämpfte gegen seine Fesseln und wohl auch gegen den Waldfrauen-Schweigezauber. Julius fühlte mit ihm. Es nervte ihn selbst, wenn Leute über ihn sprachen, wo er dabei stand. Das hatte er schon als kleiner Junge nicht vertragen.

"Mit anderen Worten, Sie verurteilen ihn zu einem Leben in Isolation, so oder so", wandte sich Prrofesseur Faucon an Agrippine Grandarbre und die Moulins. Monsieur Moulin erhob sich, während seine Frau zusammensank.

"Denken Sie vielleicht, ich fände es herrlich und schön, meinen einzigen Sohn wegzugeben? Denken Sie, mir würde es Freude machen, daran zu denken, daß meine Frau und ich unsere bisherige Ehe in dieser Ungewißheit verbracht haben und nun das bisher einzige Kind wegschicken, ohne hoffen zu können, daß es sich zu einem erfolgreichen Zauberer entwickeln darf? Doch wir tun das, weil es nicht darum geht, was meine Frau und ich für herrlich und schön halten, sondern weil es das einzig richtige für unseren Sohn ist. Sie hätten ihn doch wohl selbst bald von dieser Anstalt gewiesen. Und der Junge da", seine Hand wies auf Julius, "hätte immer wieder unter möglichen Gewaltausbrüchen und Beleidigungen zu leiden gehabt. Damit Sie nicht weiterhin einem Mißverständnis aufsitzen, Monsieur Latierre, meine Frau und ich hegen keinen Groll gegen die Wahl Ihrer Lebenspartnerin, weil es uns nichts angeht und weil wir beide wissen, daß die Latierre-Familie trotz einiger Ausschweifungen eine anständige Familie ist, und ich kein Problem gehabt hätte, wenn Hercules mit einer der Töchter aus dieser Familie zusammengekommen wäre." Hercules funkelte seinen Vater wütend an. "Ich hatte auch nichts gegen Mademoiselle Lavalette oder Mademoiselle Lagrange. Doch wenn mein Sohn zur Gefahr für sich und andere wird, müssen elterliche Wünsche hinter den Erfordernissen zurückstehen." Julius befand, daß er zumindest mal fragen wollte, ob es nicht eine bessere Lösung gebe. Er hob die Hand und sah Madame Maxime an, die Professeur Faucon ansah, die ihm dann auffordernd zunickte.

"Da ich hier als Zeuge der Verabschiedung hingekommen bin steht es mir wohl nicht zu, verbindliche Gegenvorschläge zu machen", setzte Julius an. Hercules grinste spöttisch, weil Julius sich so übervorsichtig ausdrückte. "Doch wie Sie, Monsieur Moulin, gerade betont haben, ist an einem normalen Leben als Kind eines Menschen und eines humanoiden Zauberwesens nichts auszusetzen, wie mein Schwiegervater und meine Ehefrau beweisen. Ich habe auch schon ein Jahr in Hogwars erlebt, wo ein Werwolf Unterricht gegeben hat, der mit seiner magischen Einschränkung irgendwie zurechtkam. Der im Mai verstorbene Professor Dumbledore bekundete immer wieder, daß es nicht auf die Abstammung ankäme, sondern auf die Bereitschaft, zu lernen und mit dem gelernten vernünftig umzugehen." Hercules grinste noch breiter. Julius beachtete es nicht. Er sah Agrippine Grandarbre sehr gerade heraus an. "Ich werde mir jetzt auch nicht herausnehmen, Ihnen vorzuhalten, Hercules gefangenhalten zu wollen, Mademoiselle Grandarbre. Ich möchte Sie nur fragen, ob das die einzige Alternative ist, die Sie und ihre Nichte sehen, oder ob es da noch was anderes geben kann?"

"Jungchen, was sollte das sein? Er kann nur bei mir oder jemanden wohnen, der oder die mit seiner Natur umgehen und seine erwachenden Zauberkräfte in beherrschbare Bahnen lenken kann. Außer mir und meiner Schwester wäre das nur eine reinrassige Waldfrau", erwiderte Agrippine. Hercules schüttelte den Kopf und machte ein angeekeltes Gesicht. Julius sah es zwar, ignorierte es jedoch, als er fragte:

"Was würde eine reinrassige Saylvreian denn mit ihm anstellen?" Hercules funkelte ihn zornig an. Als wenn Julius das nicht wüßte.

"Sie würde ihn als reinen Fortpflanzungspartner nehmen und ihn als solchen kultivieren. Womöglich empfände sie es als Glücksfall, anderes Waldfrauenerbgut in sich aufzunehmen", erwiderte Agrippine Grandarbre. "Darüber hinaus wäre sie ihm geistig und magisch wohl überlegen und würde ihn als eine Art Sklaven halten. Ich denke nicht, daß Sie das Ihrem Mitschüler antun wollen, junger Mann."

"Das stimmt, ein solches Leben wünsche ich ihm ganz bestimmt nicht, vor allem jetzt, wo ich weiß, warum er in den letzten Monaten so bösartig wurde", erwiderte Julius. Den gehässigen Blick seines Mitschülers wehrte er mit einem freundlichen Lächeln ab. "Und was ist mit Saylvreian, die es geschafft haben, mit der Menschenwelt in Einklang zu leben? Würden die ihm vielleicht ein besseres Leben bieten können als Sie, Mademoiselle Grandarbre."

"Wir wäre keine bekannt, die sich derartig gut mit der Zivilisation vertrüge", knurrte Mademoiselle Grandarbre. Professeur Faucon erfaßte wohl, worauf Julius hinauswollte und nickte ihm zu. Dann gebot sie ihm mit einer sachten Handbewegung, zu schweigen. Sie wollte den von ihm gespielten Ball ins Ziel bringen, weil sie hier mehr Autorität besaß und von Mademoiselle Grandarbre sicher mehr Respekt erwarten durfte als ein Schüler.

"Monsieur Latierre und ich lernten im Sommer letzten Jahres in New Orleans eine Waldfrau kennen, die im Einklang mit ihrer Natur und der magischen Menschheit zu leben gelernt hat. Ihr Name ist Aubartia. Womöglich denkt Monsieur Latierre daran, Ihren Großneffen in ihre Obhut zu geben, so daß er ein ausgeglichenes Leben mit seiner Natur führen und trotzdem die Nähe zu anderen Menschen pflegen kann. Ich selbst fand Gelegenheit, mich mit jener Waldfrau lange zu unterhalten, um ihren Lebenswandel zu ergründen, weil ich es als Fachlehrerin wider dunkle Mächte und Wesen höchst interessant und informativ finde, daß diese Zauberwesen nicht nur kindermordend und unschuldige Knaben zur Fortpflanzung zwingend leben können. Bei allem Respekt vor Ihrer Erfahrung, Mademoiselle Grandarbre, wage ich, Professeur Blanche Faucon, das, was sich Monsieur Latierre im Bewußtsein seiner bescheidenen Rangstellung hier nicht wagen wollte und biete Ihnen eine Alternative zu der von Ihnen veranschlagten Unterbringung Ihres Großneffens an. Wenn er bei jener Saylvreian Aubartia untergebracht wird, kann diese ihm unter Aufsicht der dortigen Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe und der Ausbildungsabteilung den Umgang mit seinen erwachenden Fähigkeiten beibringen, ihn aber auch die nötige Selbstbeherrschung vermitteln. Soweit ich von Kollegen aus der Thorntails-Akademie weiß, besteht sogar die Möglichkeit, das schwerkranke Schüler außerhalb der Akademie lernen können. So konnten Schüler, die von Werwölfen angefallen und mit ihrem Fluch infiziert wurden, ihren Abschluß machen, ohne die in der Akademie selbst geltenden Unterbringungsbeschränkungen für Werwölfe umgehen zu müssen. Das würde Ihrem Großneffen den Verbleib in der Zivilisation gestatten, ihm aber auch eine Rückzugsmöglichkeit bieten, wenn seine angeborene Natur ihr Recht fordert." Hercules starrte sie finster an. Sie starrte ebenso bedrohlich zurück. "Es sei denn, Monsieur Moulin, Sie legen Wert darauf, in die Obhut Ihrer Großtante überzuwechseln und darauf zu hoffen, daß diese Ihre aufkeimenden Kräfte und Gelüste zu Ihrem Wohl beeinflußt." Hercules verzog das Gesicht. Sagen konnte er immer noch nichts. Julius sah Madame Rossignol an und deutete kurz auf seinen Unterleib, ohne sich dort anzufassen. Die Heilerin sah ihn fragend an, überlegte wohl und nickte dann. Sie wandte sich an Monsieur Moulin:

"Falls stimmt, was Ihre Schwiegertante gerade erläutert hat, dann würde Ihr Sohn immer unter einem ausgeprägten Geschlechtstrieb stehen. Wie möchte Ihre Schwiegertante damit umgehen? Will sie Hercules vielleicht kastrieren?" Julius nickte. Sie hatte tatsächlich verstanden, worauf er hinauswollte.

"Das würde nichts helfen, da es in der Natur der Waldfrauen liegt, verlorengegangene Körperteile nachwachsen zu lassen. Sonst wäre dies natürlich die Alternative Nummer eins gewesen", schnarrte Mademoiselle Grandarbre. "Nein, ich werde dann wohl bei der Triebabfuhr helfen." Hercules warf sich in seine Stricke und schüttelte so wild den Kopf, daß Julius fürchtete, er würde ihm gleich vom Hals runterfliegen. Professeur Faucon wollte gerade ansetzen, was zu sagen, da sprach Madame Maxime:

"Daher weht der Wind, Agrippine. Sie suchen einen jungen, durch unstillbaren Fortpflanzungstrieb gesteuerten Liebhaber. Ich weiß nicht, ob die Delourdesklinik da nicht doch die anständigere Alternative ist." Hercules nickte ihr wild zu. Madame Moulin tauchte hinter ihrem Taschentuch auf. Ihre vom Weinen geröteten Augen fixierten ihre Tante. Monsieur Moulin sah seine Schwiegertante ebenfalls sehr perplex an.

"Das würde eher zu Ihnen passen, Madame Maxime", knurrte Agrippine. "Ich suche keinen willfährigen Liebhaber oder zwinge unschuldige Jungen zur Vereinigung mit mir wie andere so genannten Damen. Mir ging und geht es darum, Hercules davon abzuhalten, sich und andere unbeabsichtigt zu schädigen." Julius fragte sich, ob das auch den Mord an ihr einschließen würde. Doch laut sagte er das nicht.

"Was würde diese Aubartia mit ihm anstellen? Wie gut kennen Sie diese denn?" Fragte Monsieur Moulin Professeur Faucon.

"Sagen wir es so, daß ich einschätzen kann, daß sie nicht auf der Jagd nach einem Fortpflanzungspartner ist, zumal sie ja nur alle drei Monate in der entsprechenden Stimmung ist. Ausschließen kann ich das natürlich nicht. Aber ich könnte veranlassen, daß die Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe überwacht, daß Ihrem Sohn nicht das widerfährt, was Mademoiselle Grandarbre vorhin erwähnt hat. Immerhin hat diese Saylvreian einen ordentlichen Wohnsitz, soweit mir meine selige Korrespondenzpartnerin Jane Porter dies verbindlich erklärte. Immerhin wohnt Aubartia in der Nähe einer Zaubererfamilie, mit der Jane Porter verwandt war." Julius nickte. Er war ja erst in diesem Sommer dort zu Besuch gewesen. "Also wage ich es, zu behaupten, daß Ihr Sohn bei Aubartia und zu den von mir umrissenen Lern- und Lebensbedingungen besser untergebracht wäre." Hercules schüttelte zwar den Kopf, aber nichtmehr so heftig wie eben. Julius versuchte sich vorzustellen, daß sein Mitschüler gerade zwischen dem größeren oder kleineren Übel auswählte. Die Eheleute Moulin tauschten mehrere Blicke miteinander aus. Madame Maxime sah Professeur Faucon und Madame Rossignol an. Dann sagte sie:

"Wenn ich einen Schüler der Akademie verweisen muß, dann gilt es, sicherzustellen, daß er nicht eines Tages zum Schaden der Zaubererwelt wird. Da ich denke, daß Sie, Madame Rossignol, Monsieur Hercules Moulin eingehend untersucht haben frage ich zunächst Sie, welche Möglichkeiten Sie sehen, daß er ein annehmbares Leben führen kann?"

"Als Heilerin würde ich grundsätzlich für die Unterbringung in der Delourdesklinik plädieren, Madame Maxime. Dort befinden sich genügend ausgebildete Experten für magische Geistes- und Körperveränderungen. Ob damit aber eine Lebensqualität erreicht wird, die als lebenswert bezeichnet werden kann kann ich nicht mit Sicherheit sagen", erwiderte die Schulheilerin. Madame und Monsieur Moulin nickten ihr zu. Agrippine Grandarbre sah die Heilerin mißbilligend an. Dann wurde Professeur Faucon als für Hercules zuständige Saalvorsteherin befragt.

"Nun, meine Ansicht habe ich gerade verkündet, Madame Maxime. Ich sehe eine permanente Isolation als größeres Übel für Hercules Moulin an. Sicher hat er sich in den letzten Wochen und Monaten häufig danebenbenommen. Doch in Anbetracht der jetzt erst entdeckten Ursache für dieses Fehlverhalten plädiere ich weiterhin für eine freie unterbringung bei einer durch Erfahrung und Übung kompetenten Person. Falls Sie es Wünschen, Madame und Monsieur Moulin, treffe ich mit Ihnen zusammen die nötigen Vorkehrungen und Absprachen, um Ihren Sohn in die Obhut jener Aubartia zu geben, natürlich mit jederzeit ausübbarem Widerrufsrecht durch Sie als seine Erziehungsberechtigten. Außerdem gilt es, eine für die Zukunft einheitliche Regelung zu treffen, damit solche Ereignisse gleich richtig erkannt und behandelt werden. Nichts für ungut, Mademoiselle Grandarbre, aber Sie bringen nach meiner Einschätzung nicht die nötigen Voraussetzungen mit, Ihrem Großneffen ein lebenswertes Leben zu ermöglichen. Sollte die Unterbringung bei Ihnen die einzige akzeptierte Alternative zu der Verwahrung in der Delourdesklinik sein, plädiere ich eher dafür, ihn dort aufnehmen zu lassen. Womöglich fänden die Heiler sogar einen Weg, die überschießenden Gefühlsausbrüche und Aggressionen ohne das Denken zu beeinträchtigen einzudämmen." Mademoiselle Grandarbre blickte finster auf die Lehrerin, die ihr gerade Unfähigkeit unterstellt hatte. Dann warf sie vorwurfsvolle Blicke auf ihre Nichte und deren Ehemann. Julius bat bei Madame Maxime um Sprecherlaubnis. Er sah die Moulins, Eltern und Sohn an und sagte dann ganz ruhig:

"Ohne jetzt wem hier auf die Füße treten zu wollen, Sie haben hier die ganze Zeit über Hercules gesprochen, wo er dabei saß. Seine Großtante hat ihm sogar einen Schweigezauber auferlegt. Es wäre doch echt mal anständig, ihn nicht als Fall oder zu betreuende Person sondern doch noch eigenständig fühlenden und denkenden Menschen zu betrachten und ihn zu fragen, was ihm lieber wäre. Weil so wie ich das sehe möchten Sie, Madame Maxime, ihn nicht mehr hierbehalten, und Sie, Madame und Monsieur Moulin, möchten ihn gerne von der Akademie nehmen, damit er sich hier nicht doch noch was echt schwerwiegendes leistet. Also frage ich, ob Sie erlauben, daß Hercules sagt, was er lieber möchte, zu seiner Großtante, zu Aubartia oder in die geschlossene Abteilung der Delourdesklinik. Oder ginge das vielleicht mit dem Psychopolaris-Trank, die in ihm aufgewachte Natur umzukrempeln, ohne ihn total stumpfsinnig oder betäubt herumlaufen zu lassen? Andere Möglichkeiten scheint es ja nicht zu geben." Hercules starrte Julius verstört an. Offenbar kannte der den erwähnten Trank nicht. Madame Rossignol erbat sich per Blickkontakt die Sprecherlaubnis von Madame Maxime

"Ich habe auch schon überlegt, ob wir den Psychopolaris-Trank verabreichen können. Doch zum einen sind die Nebenwirkungen bei einer überhöhten Dosierung bedenklich. Zum anderen müssen wir davon ausgehen, daß der Anteil Waldfrauenerbgut sein Blut gegen magische Substanzen immunisiert und den Trank bestenfalls neutralisiert und schlimmstenfalls die Wirkung verfälscht. Daher habe ich diesen Gedanken schnell wieder fallen gelassen."

"Was ist das für ein Gebräu?" Wollte Agrippine Grandarbre wissen. Madame Rossignol sah Julius an. Madame Maxime und Professeur Faucon nickten ihm zu, daß er antworten solle.

"Dieser Trank kehrt die geistigen und seelischen Eigenheiten eines Lebewesens um, so daß ein träger, stumpfsinniger Mensch zu einem engagierten, energischen Menschen wird. Auch können Unterwürfigkeit und übertriebene Willfährigkeit umgekehrt werden oder unbeherrschtes Verhalten und Bösartigkeit in diszipliniertes und gutartiges Verhalten umgepolt werden. Ist so wie das Zeug in der Geschichte von Doktor Jekyll und Mr. Hyde, falls Sie davon mal was gehört haben", sagte Julius ruhig. "Allerdings, das meint Madame Rossignol, ist dieser Trank auch als gefährliches Rauschmittel eingestuft, und kann bei Überdosierung unumkehrbare Schäden anrichten. Deshalb komme ich auch jetzt erst drauf, danach zu fragen, ob das vielleicht was gebracht hätte." Hercules glotzte ihn sehr abschätzig an. Vielleicht, so dachte Julius, fragte der sich gerade, ob man ihm, Julius, nicht so einen Trank eintrichtern solle, um ihn zu einem "normalen Jungen" umzupolen. Doch er verdrängte diese Vermutung, als Madame Moulin meinte, daß sowas wohl auch gegen die Schulregeln sei. Madame Rossignol und Professeur Faucon bejahten es energisch.

"Bitte nehmen Sie den Schweigezauber von dem Jungen!" Forderte Madame Maxime Mademoiselle Grandarbre auf. Diese schüttelte den Kopf.

"Der Standpunkt ist eindeutig, Madame Maxime. Ich nehme ihn zu mir und betreue ihn, bis seine angeborene Natur sich beruhigt und ich ihn bis zum Lebensende. Nein, ich habe keine Angst, daß er mich ermorden könnte. Wenn er einmal bei mir ist, wird jede gegen mich gerichtete Aggression unterdrückt, ob ich wach bin oder schlafe." "

"Sie lehnen es ab, den Jungen zu befragen?" Fragte Madame Maxime. "Blanche, können Sie den Zauber aufheben?" Wandte sich Madame Maxime an Professeur Faucon. Diese nickte und hob ihren Zauberstab. Sie sprach in merkwürdig schnatternden Lauten und hielt den Stab dabei so, daß er schräg auf Hercules zielte. Laut knackend entluden sich in kurzer Abfolge vier blaue Blitze zwischen ihr und dem Jungen. Dann prustete Hercules. Agrippine Grandarbre funkelte Professeur Faucon drohend an. Diese war in dieser Kunst der wortlosen Verständigung jedoch ebenbürtig und starrte nicht minder bedrohlich zurück. Hercules blickte mit weit aufgerissenen Augen um sich und fixierte dann Julius. Dieser sah ihn ganz ruhig an. Hercules Moulin sah ihn verächtlich an. Dann sagte er:

"Meinst du, ich wollte nicht hierbleiben, Julius? Du willst mich wohl loswerden, weil du gemerkt hast, daß ich dir, Monsieur Superzauberer, körperlich überlegen bin, wie? Und die Maxime und Faucon glauben der alten Sabberhexe Agrippine da auch noch. Die is 'ne alte Jungfer, die meint, wenn ich lange genug bei der bin, könnte ich die bespringen wie 'ne junge Stute. Die will mir zeigen, ohne Krach klar zu kommen. Die ist selber rammdösig. Die hat meine Mutter mal voll auf die Schnauze gedroschen, weil die es gewagt hat, ihr zu widersprechen. Soviel zu Agrippine Grandarbre, die sonst keiner haben wollte. Ihr, meine lieben Eltern, wollt mich auch loswerden, wie? Die Penne hier hat mich ja schon voll abgemeldet. Aber wenn ich zu euch gehe, kriegt diese alte Schachtel euch noch rum, mich der doch noch auszuliefern. In die DK will ich auch nicht, wo die ganzen Irren, Spinnen fressenden Halbvampire und menschenfleischsüchtigen Werwölfe eingepfercht sind. Dann könnte ich ja gleich nach Millemerveilles in den Zauberzoo rein, als besonders kaputte Kreuzung aus Mensch und Sabberhexe. Und zu einer ganz grünen Waldfrau zieht es mich auch nicht hin. Wenn ihr zu feige seid, den Exterminatorentrupp herzurufen, der mich plattmacht, dann setzt mich auf 'ner leeren Insel aus und macht 'ne magische Wand drum herum, daß ich nicht gestört werde!" Seine Mutter warf einen hilflosen Blick nach dem anderen auf ihren Sohn. Sein Vater versuchte, ihn mit drohenden Blicken zur Mäßigung zu bringen. Doch es gelang nicht. Madame Maxime sprach dann so laut, daß Hercules sich vor Schmerz die Ohren zuhielt:

"Sie haben es alle gehört, daß Monsieur Hercules Moulin offenbar keine der hier angebotenen Alternativen begrüßt. Hierbehalten können wir ihn nicht, weil sonst die gesamte Schuldisziplin in Frage gestellt ist, und in der jetzigen Situation der Zaubererwelt jede mutwillige Störung einer bestehenden Ordnung verheerende Auswirkungen haben kann. So liegt es doch bei Ihnen, Madame und Monsieur Moulin, was Sie für Ihren Sohn wünschen."

"Professeur Faucon soll das mit diesen Leuten in den Staaten klären", sagte Monsieur Moulin. "Die Gefahr besteht durchaus, daß meine Schwiegertante genau das mit unserem Sohn vorhat, was Sie, Madame Maxime, angedeutet haben. Ich hätte mich besser doch vorher von ihren genauen Plänen überzeugen und die entsprechenden Rückfragen stellen sollen", antwortete Hercules' Vater. Seine Frau betupfte sich ihre Augen und schniefte dann:

"Dann soll er zu dieser Aubartia, wenn die wirklich gut mit Menschen klarkommt. Cyrus wird das dann mit Ihnen abstimmen, Professeur Faucon."

"Wie gesagt kann ich nicht garantieren, daß es eine erfolgreiche Alternative ist. Aber es ist eine Möglichkeit, Ihren Sohn nicht dauerhaft aus der magischen Gemeinschaft loslösen zu müssen", erwiderte Professeur Faucon. Hercules sah sie zornig an. Ebenso seine Großtante Agrippine. Monsieur Moulin sagte dann noch:

"Vor allem, weil dann nicht das dumme Gerede aufkommt, meine Schwiegertante könnte echt einen willigen Liebhaber kultivieren. Meine Anstellung ist schon sensibel genug. Falls es sich herumspricht, was für einen düsteren Ballast meine Frau trägt und an meinen Sohn weitergereicht hat, wird es sowieso schon sehr anstrengend."

"Sag's doch, daß ihr mich loswerden wollt, Papa! Ich bin nur ein blödes kleines Monster, das meine Mutter dir ausgebrütet hat", schrillte Hercules. Nun belegte Madame Rossignol ihn mit dem Sprechbann. Madame Maxime sah die Anwesenden an und sprach:

"Somit möchte ich vor den hier anwesenden Eltern des Schülers Hercules Moulin, der für ihn zuständigen Kollegin Professeur Faucon, der Schulheilerin Rossignol und den amtierenden Saalsprechern Monsieur Moureau und Monsieur Latierre feststellen, daß Monsieur Hercules Moulin vom heutigen Tage an von der Teilnahme am Unterricht der Beauxbatons-Akademie ausgeschlossen ist und bis zur endgültigen Klärung seiner weiteren Unterbringung im Krankenflügel verbleibt, von wo aus er entweder in die vereinigten Staaten von Amerika überstellt wird, um bei der Saylvreian Aubartia - die ich übrigens auch schon persönlich gesprochen habe - und ihren Kontakten aus der dortigen Zauberergemeinschaft in Obhut gegeben wird, und falls dies nicht möglich ist zur Verwahrung in der Delourdesklinik den dortigen Heilern überantwortet wird. Ich persönlich werde mich um die endgültige Klärung bemühen. Professeur Faucon, Sie möchte ich bitten, den Eheleuten Moulin die persönlichen Sachen von Monsieur Hercules Moulin zu übergeben. Denn bis zur Endgültigen Bestimmung der weiteren Unterbringung wird er den ihm zugewiesenen Saal nicht mehr betreten. Dixi!"

"Häh?" Schnarrte Hercules' Großtante.

"Das habe ich gesagt, und so wird es geschehen", übersetzte Madame Maxime. Julius murmelte leise ein "Howk" wie im Indianerfilm. Professeur Faucon sah ihn mißmutig an, beließ es aber dabei. "Monsieur Mureau und Monsieur Latierre, bitte assistieren Sie Professeur faucon bei der Zusammenstellung von Monsieur Moulins Habe!"

"Mach's gut, Hercules. Es waren zwei echt spannende Jahre mit dir in der Mannschaft und in der Klasse. Tut mir echt leid, daß du nicht mehr mitspielen kannst. Ich hoffe, die kriegen dich wieder ins Lot, egal wo du hinkommst", wünschte Julius dem nun aus Beauxbatons entlassenen Klassenkameraden. Hercules blickte ihn nur finster an. War das die Unbeherrschtheit oder echter Haß. Doch mehr Abscheu brachte er Professeur Faucon entgegen, die den beiden Broschenträgern aus dem von ihr betreuten Saal zuwinkte und "Kommen Sie, Messieurs!" zublaffte.

"Kennst du diese Aubartia auch, Julius?" Fragte Giscard, als sie auf dem für alle benutzbaren Weg vom Krankenflügel fortgingen. Julius nickte. Dann erwähnte er kurz, daß er sie kurz vor und kurz nach seinem Erlebnis mit Hallitti getroffen und ein paar Worte mit ihr gesprochen hatte.

"Ehrlich gesagt, Monsieur Moureau und Monsieur Latierre, ist mir bei der Sache nicht so ganz wohl. Aber von allen schlechten Möglichkeiten erachte ich Aubartias Obhut als die beste. Die nonverbale Aggression, die Mademoiselle Grandarbre uns entgegenbrachte, empfehlen sie nicht als gute Betreuerin für einen Halbwüchsigen, der mit einem seltenen Erbe aufwachsen muß. Und auch der Einfluß auf ihre Nichte Andora ist sehr alarmierend. Aber das behalten Sie bitte für sich!"

Im Grünen Saal wurden sie gleich von den Fünftklässlern bestürmt. Doch Professeur Faucon scheuchte alle bei Seite und führte Giscard und Julius in den Schlaftrakt für Jungen. Normalerweise hätte ein Alarmzauber anschlagen müssen, weil hier keine Hexen hinein durften. Doch für Lehrerinnen und die Schulheilerin galten Ausnahmen, die wohl magisch festgelegt waren. im Schlafsaal der ZAG-Schüler saß Robert Deloire auf seinem Bett und schrieb an einem Brief. Er sprang sofort auf, als die Saalvorsteherin eintrat. Diese sah ihn ruhig an und sagte:

"Beruhigen Sie sich, Monsieur Deloire. Ich bin nicht Ihretwegen hier. Madame Maxime hat nur verfügt, daß Ihr früherer Schulkamerad Hercules Moulin nicht mehr in den grünen Saal zurückkehren wird, bevor er abreist."

"Dann hat Madame Maxime ihn echt rausgeworfen?" Fragte Robert betroffen.

"Es haben sich umstände ergeben, die den ohnehin fälligen Verweis noch auf eine andere Grundlage gestellt haben. Näheres werde ich Ihnen und ihren übrigen Saalmitbewohnern nach dem Abendessen im Aufenthaltsraum verkünden. Es müssen noch Formalitäten geregelt werden", erwiderte die Lehrerin. Dann fragte sie Giscard, wo Hercules' Bett stand. Er deutete auf das richtige. Julius sollte es noch einmal bestätigen. Dann vollführte Professeur Faucon zu Julius', Roberts und wohl auch Giscards grenzenlosem Erstaunen mit fünf klar unterscheidbaren Zauberstabbewegungen in weniger als einer Minute einen Kofferpackzauber, löste die Bilder, die Hercules gehörten von der Wand und ließ dessen Besen in die Halteschlaufen am Koffer springen. Der Nachttisch spie alles was in ihm gestaut war aus, das wie katapultiert im Koffer landete, wo es sich säuberlich zwischen die aus dem Kleiderschrank fliegenden und sich selbst faltenden Wäschestücke einkuschelte. Julius erkannte, daß er da noch was lernen konnte. Sicher, er hatte seine Schwiegeroma Ursuline und seine Schwiegereltern auch schon Pack- und Haushaltszauber ausführen sehen können. Doch die Schnelligkeit und dabei genau eingehaltene Ordnung von Professeur Faucons Zaubern imponierte ihm. Robert stand der Mund offen, während Giscard wohl in Gedanken durchging, ob man ihm so einen Zauber in der UTZ-Prüfung abverlangen mochte. Vor allem daß Professeur Faucon vollkommen ungesagt zauberte war beneidenswert. Dann klappten der Kofferdeckel und die Schranktür zu, und die abwechselnd auf- und zugeschobenen Schubladen des Nachttisches schlossen sich richtig. Dann deutete Professeur Faucon auf das nun geräumte Bett und den Schrank und sagte mit fester Stimme: "Curriculum terminatum!" Völlig Geräusch- und Übergangslos verschwanden das Bett, der Kleiderschrank und der Nachttisch. Danach folgten Giscard, Julius und Robert ihrer Lehrerin ins Badezimmer. Nachdem die Saalvorsteherin angeklopft und nach möglichen Anwesenden gerufen hatte, betrat sie das gekachelte Zimmer mit den Waschbecken und Duschen. Julius sollte ihr dann noch zeigen, wo Hercules Pflegeutensilien aufbewahrte. Er deutete auf das Regal. Keine zehn Sekunden später waren alle Dinge, die ihm gehörten verschwunden. Danach ging es wieder zurück in den Schlafsaal.

"Ich habe alle Kosmetika und privaten Badetextilien direkt in den Koffer teleportiert. Jetzt versetze ich diesen direkt in den Krankenflügel. Madame Maxime wird dann mit den Eltern des Entlassenen ein Protokoll anfertigen, ob sämtliche Habseligkeiten von Monsieur Moulin zusammengetragen und übergeben wurden." Mit einer raschen Zauberstabbewegung ließ sie den Koffer mit dem daran hängenden Besen verschwinden.

"Das kannst du doch auch schon machen, Julius", meinte Robert zu Julius. Dieser nickte.

"Aber nur wenn ich den Zielort gut kenne. Richtig üben durfte ich das in den Ferien ja nicht. Apportieren kann ich besser, weil ich da weiß, was ich haben will und wo es gerade ist."

"Was durchaus einfacher klingt als es ist, Monsieur Deloire. Sie werden das im nächsten Jahr bei mir lernen, sofern Ihr ZAG in Transfiguration Sie zur Teilnahme an meinem Unterricht berechtigt und Sie gewillt sind, diese Möglichkeit auszuschöpfen."

"Apropos, Professeur, es sind jetzt gerade noch zwei Minuten bis zum Unterrichtsbeginn", sagte Julius. Robert grinste und formte das Wort "Streber" mit den Lippen. Doch er lächelte danach ein jungenhaftes Lächeln, daß er das so nicht gemeint hatte.

"Dann sollten Sie sich jetzt dorthin begeben, wo der Unterricht stattfindet, meine Herren", wies Professeur Faucon sie an.

Unterwegs zum Verwandlungs-Klassenzimmer versuchte Robert, aus Julius noch mehr über Hercules' vorzeitiges Schulende herauszukitzeln. Doch Julius sagte ruhig, daß dieser doch auch Professeur Faucon gehört habe und das ja auch nur fair sei, wenn sie alle zugleich von ihr erführen, was genau gelaufen und beschlossen worden sei.

"Ich meine nur, weil ihr Culies Klamotten so schnell aus dem Schlafsaal geräumt habt, als dürfe der sich nicht einmal mehr von uns verabschieden. Ist der jetzt ein Fall für die Hirnklempner in der Delourdesklinik? Oder war der einfach nur zu blöd, zu merken, wo es besser gewesen wäre, das Maul nicht so weit aufzureißen?"

"Soll ich mir jetzt die Frage aussuchen, die ich beantworte?" Lachte Julius. "Dann nehme ich die zweite und sage, daß wir alle aufpassen müssen, uns nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Warum Hercules das nicht beachtet hat verrät uns Professeur Faucon."

"Du bist echt fies, Julius. Da bist du schon ganz vorne mit dabei und läßt nichts raus", schnaubte Robert frustriert. "Ich will doch nur wissen, ob ich mich bei dem Typen entschuldigen muß, weil der nix dafür konnte, was der abgelassen hat oder der sich bei uns zu entschuldigen hat, bevor der auf nimmer Wiedersehen verschwindet, Mann!"

"Gut, daß uns zweien sonst keiner zuhört, Robert. Sonst müßte ich dir dafür Strafpunkte geben, weil du meinst, die Vertrauensstellung, die nicht nur ihr, sondern auch die Schulheilerin und die Lehrer von mir erwarten zu umgehen. Aber ich tu's nicht, weil ich das nachfühlen kann, was gerade in dir vorgeht."

"So, was wäre das?" Fragte Robert verdrossen.

"Was du gesagt hast, daß du nicht weißt, was du von Hercules' Verhalten halten sollst und deshalb nicht weißt, wie du dich selbst dabei sehen sollst", faßte Julius Roberts Äußerung von eben zusammen. Dieser nickte schwerfällig. Deshalb fügte er noch hinzu: "Wäre ich kein Saalsprecher und hätte Professeur Faucon und Giscard in den Schlafsaal reinkommen gesehen, die mir nix erzählt hätten, wüßte ich auch nicht, ob's nur an Hercules gelegen hat oder vielleicht auch an mir."

"Ja, aber du weißt jetzt, woran es mehr gelegen hat", versuchte Robert es noch einmal. Doch Julius erwiderte nur mit "Stimmt, aber ich sage dazu nicht mehr als bisher" und steuerte den Korridor an, der genau zur Klassenzimmertür führte. Da standen schon Céline und die anderen Mädchen aus dem grünen Saal. Céline wollte wissen, ob es stimme, daß Hercules wohl entlassen worden sei. Das bestätigte Julius. Laurentine fragte, was dann mit den Strafpunkten sei, die in die Saalwertung einbezogen würden. Robert sah sie zustimmend an und meinte, daß das wohl eine interessante Frage sei. Julius überlegte, was die Schulregeln hergaben und befand, daß sie das Professeur Faucon fragen sollten.

Knapp dreißig Sekunden vor dem offiziellen Stundenbeginn kam die Verwandlungslehrerin angelaufen. Hinter ihr hächelten André, Gaston und Gérard den Korridor entlang. Offenbar hatten die drei es wieder einmal auf die letzte Minute ankommen lassen.

Guten Tag, Mesdemoiselles et Messieurs", wünschte sie ihren Schülern, die folgsam im Chor zurückgrüßten. Das gehörte zum üblichen Ritual in der Beauxbatons-Akademie, genauso wie der Einmarsch an der Lehrerin vorbei und das aufstellen der Sanduhr. Das war zwar wie meistens überflüssig, weil alle verbliebenen Schüler anwesend waren und daher keine Verspätungsstrafpunkte vergeben werden mußten. Alle setzten sich hin, als Professeur Faucon sie dazu aufforderte. Dann sagte sie kurz und knapp: "Was Ihren bisherigen Mitschüler Hercules Moulin betrifft, so sah sich Madame Maxime nach Rücksprache mit Madame Rossignol, mir und seinen Eltern veranlaßt, ihn vorzeitig vom weiteren Besuch unserer Akademie auszuschließen. Über die Gründe und die möglichen Folgen für Monsieur Moulin werde ich Sie alle und die übrigen Bewohner Ihres Saales nach dem Abendessen informieren. Bis dahin bitte ich mir volle Konzentration auf den Unterricht aus!" Die Schüler verzogen die Gesichter, gaben aber keinen Laut von sich. So fuhr die Lehrerin fort: "Ich teilte Ihnen heute morgen nach der Besprechung der Dementoren und wie sie erfolgreich zurückgedrängt werden können mit, das dann, wenn jemand einen vollgestaltlichen Patronus beschwören kann, dieser meistens die Form eines mit seiner Hoffnung und Hingabe verbundenen Wesens oder der inneren Tiergestalt verbunden ist. Ausnahmen gibt es, wenn jemand Eigenschaften eines geliebten Menschen oder sehr plastische Heldengestalten im Kopf hat. Patroni, daß haben wir auch besprochen, können im Lauf eines Menschenlebens die Form verändern, abhängig davon, ob die Hexe oder der Zauberer etwas erlebt, das ihm mehr Hoffnung gibt oder jemanden kennenlernt, der oder die für sie oder ihn ein Ausdruck von Kraft, Zuversicht und Lebensfreude ist. Dabei, so sahen Sie es an Monsieur Latierres Patronus, hängt das sichtbare Geschlecht eines Patronus nicht unbedingt vom Geschlecht der Person ab, die ihn beschwört. Wie erwähnt kann damit ja auch die positive Wirkung eines vertrauten oder geliebten Mitmenschen ausgedrückt werden. Außerdem habe ich das dieser Erscheinung zu Grunde liegende Geschöpf kennenlernen dürfen und verstehe daher, warum Monsieur Latierre dieses unterbewußt als Quelle seines Patronus ausschöpft. Einige von Ihnen fragten deshalb ja, wie man vor einem Patronus-Zauber erfahren könne, welche Gestalt er besitzen mag. Ich bot daher an, Sie in dieser Verwandlungsstunde mit der ihnen möglichen, auf jeden Fall leichter als sonst erlangbaren Tiergestalt vertraut zu machen. Die meisten Animagi - und ich habe von denen, die gegenwärtig registriert sind vier selbst ausgebildet - erwählten die ihnen innewohnende Tiergestalt als ihre Animagus-Form. Ich nutze diesen kurzen Exkurs in die in der dritten Klasse erörterten Gegebenheiten, um Ihnen zu helfen, möglicherweise Ihren Patronus schneller und mit voller Wirkung beschwören zu können. Deshalb werde ich Sie alle nacheinander für wenige Sekunden bis eine Minute in jenes Tier verwandeln, daß Ihrem inneren Wesen entspricht. Keine Sorge! Ich vermag jeden problemlos wieder zurückzuverwandeln. Allerdings legen Sie bitte vorher alle magisch aktiven gegenstände ab, die Sie am Körper tragen, sowie alle überflüssigen Metallkörper wie Armbanduhren!" Mit diesen Worten beschwor sie mehrere Schachteln herauf und verteilte sie mit einem ungesagten Ausgabezauber. Daraufhin gebot sie allen, sich an der von der Tür ausgehend rechten Wand aufzustellen. Als das geschehen war, schrumpfte sie sämtliche Möbel auf ein zehntel ihrer Ausgangsgröße ein und stapelte sie mit dem Accumulus-Zauber auf einer Fensterbank. Dann fragte sie, wer sich freiwillig für die erste Vorführung meldete. Laurentine und Julius hoben die Hände. Die anderen zögerten. Nach zehn Sekunden hob auch Céline die Hand. Julius sollte zuerst. Er sagte jedoch, daß er das Armband nicht ablegen könne. Doch Professeur Faucon sah ihn zuversichtlich an und bat ihn mit seiner Schachtel nach vorne. Er legte die Armbanduhr, den Brustbeutel, den Zauberstab und zum Schluß das rote Herz an der Kette hinein. Es war immer wieder unheimlich, wie das vorher noch warm, weich und lebendig pulsierende Schmuckstück nach dem Ablegen hart und tot wie gewöhnlicher Stein wurde. Dann mußte er natürlich noch die Silberbrosche ablegen, als Professeur Faucon ihm verbindlich versicherte, daß er dadurch keine Strafpunkte bekommen konnte, weil es ja im Unterricht auf ihre Anweisung geschehe. Céline nickte beruhigt. Schließlich müsse alles getan werden, um magische Störquellen zu beseitigen und die möglicherweise verstärkte Passivtransfigurationsresistenz auf das natürlich erreichte Maß zu beschränken. Schließlich löste sie Julius noch das Pflegehelferarmband vom rechten Handgelenk. Wie das ging bekam er nicht mit, weil sie dabei kein Wort sagte. Dann vollführte Professeur Faucon den Zauber, den Julius einmal von Maya Unittamo auf sich hatte sprechen lassen. Unter grünen, roten und blauen Blitzen verschwamm seine Körperform für wenige Sekundenbruchteile, blähte sich auf und materialisierte sich zu einem stattlichen weißen Elefanten mit großen Ohren, der den großen Klassenraum fast zu drei Vierteln ausfüllte. Julius empfand alles auf einmal lauter und nahm Gerüche stärker wahr. Vorsichtig probierte er den ungewohnten Rüssel aus, trat einen zaghaften Schritt vor und dann zurück. Dann trompetete er: "Hui, ziemlich großes Tier!"

"Ups! Ein Elefant!" Rief Robert. "Heißt es von den Tieren nicht, daß sie Herdentiere sind, stark und ein Supergedächtnis haben sollen?"

"Wenn das die Charakteristika eines afrikanischen Elefanten sind, Monsieur Dornier, dann müßten diese ja irgendwie auch für Monsieur Latierre gelten", warf Professeur Faucon ein, während julius sein langes Riech- und Greiforgan vorsichtig durch die Luft pendeln ließ. Er mußte leicht in die Knie gehen, weil er sonst zwischen Boden und Decke eingekeilt wurde. Professeur Faucon befand, daß die Demonstrattion mit dreißig Sekunden lange genug gedauert hatte und gab ihm seine angeborene Erscheinungsform wieder.

"Ist schon ein komisches Gefühl, erst alles so klein zu sehen, aber dafür alle lauter zu hören und stärker zu riechen", schilderte er die Eindrücke dieses Versuches. Er hoffte nur, daß keiner der anderen ein noch größeres Tier als innere Tiergestalt besaß. Denn der Raum hier war wohl zu klein für wirklich große Tiere. Dann nahm er seine magischen Gegenstände aus der Schachtel, steckte sich erst die Brosche wieder an. Dann hängte er sich den Herzanhänger und den Brustbeutel um. Als er auch seine Armbanduhr wieder angelegt hatte, schloß Professeur Faucon das Pflegehelferarmband wieder um sein Handgelenk. Dann sollte Laurentine vortreten. Julius wich bis an die Wand zurück, an der die anderen standen. Als der Zauber aufblitzte, der die innere Tiergestalt nach außen kehrte, wurde Laurentine zu einer untersetzten, struppigen Bache. Die Jungen grinsten spöttisch, während die Mädchen befremdet auf das weibliche Wildschwein blickten, das nun da stand, wo Laurentine vorhin gestanden hatte. Von lautem Grunzen unterlegt fragte Laurentine, was sie denn geworden sei, daß sich alle amüsierten. Céline erzählte es ihr.

"Ach du meine Güte! Dann sollte ich besser keine Animaga werden", grunzte Laurentine zurück und tappste erst unbeholfen und dann sicherer durch das Klassenzimmer. "Ist schon komisch. Alles riecht wesentlich stärker als vorher."

"Falls Sie genug von diesem Versuch haben, verwandel ich Sie gerne wieder zurück, Mademoiselle Hellersdorf", bot Professeur Faucon an. Laurentine schüttelte den schwarzen Kopf mit den runden Schweineohren und probierte ihre neuen Beine aus. Dann stellte sie sich vor die Lehrerin, die ihr ihre menschliche Gestalt zurückgab. Danach trat Céline vor sie hin und verwandelte sich unter den farbigen Blitzen in eine zierliche, aber ziemlich große Libelle mit vier durchsichtigen Flügeln. Nach einer Minute ließ sie sich dann wieder zurückverwandeln. Jezt meldeten sich Gaston, André und Robert für die nächsten Runden. Die anderen haderten wohl damit, was sie werden könnten und dann von den anderen dumm angequatscht werden mochten. Professeur Faucon erkannte das wohl und stellte klar:

"Damit wir uns alle ganz recht verstehen, Mesdemoiselles et Messieurs. Keiner von Ihnen wird sich abwertend oder ehrenrührig über die sich hier zur Verfügung stellenden Mitschüler äußern, egal ob hier oder außerhalb des Klassenraumes." Alle nickten. Dann unterzog sie Gaston der Verwandlung. An seiner Stelle erschien ein rotbraunes Eichhörnchen. Außer Julius setzten alle anderen Jungen zu grinsen an. Doch Professeur Faucon räusperte sich energisch. Gaston lief durch den Klassenraum und versuchte, an der Wand hochzuturnen, konnte die scharfen Krallen jedoch nicht in das Mauerwerk hineingraben. Doch Als er einige Sprünge durch das Zimmer vollführte, empfand er diese Tiergestalt zumindest als sportlich. André Deckers erfuhr durch den besonderen Verwandlungszauber, daß seine innere Tiergestalt ein quirliger Waschbär war. Nach ihm lernten sie Roberts innere Tiergestalt kennen, einen grünen Frosch, was diesem nicht sonderlich gefiel, bis Professeur Faucon meinte, daß Frösche für ihre Ausdauer und Wendigkeit, Reaktionsschnelle und Geduld bekannt seien und er sich daher nicht schämen müsse, dieses Wesen als innere Tiergestalt zu besitzen. Gérard meinte dann leicht verächtlich:

"Zumindest können die schnell wegspringen und sind zungenfertig."

"Das werte ich jetzt als Bekundung, der nächste Proband sein zu wollen", bemerkte Professeur Faucon ziemlich harsch dazu. Als sie Robert wieder zurückverwandelt hatte winkte sie Gérard. Dieser murrte zwar, weil er eigentlich nicht zur allgemeinen Belustigung zu einem nicht ausgesuchten Tier werden wollte. Doch zum einen kannte er es, daß Professeur Faucon sehr unerbittlich sein konnte. Zum anderen wollte er vor den vier andren Jungen nicht als Feigling dastehen. So stellte er sich ruhig hin und nahm den Verwandlungszauber auf sich. Als dieser in Kraft trat fand sich Gérard im Körper eines schwarz-weißen Meerschweinchens wieder. Leise quiekend stammelte er, ob das echt die innere Tiergestalt sei. Professeur Faucon bekräftigte, daß sie nur diesen Zauber gewirkt hatte. Irene Pontier feixte:

"Das ist doch toll. Dann kann Sandrine dich auf den Schoß nehmen und streicheln."

"Blöde Gans!" Quiekte Gérard.

"Ob dies zutrifft werde ich gleich ermitteln, Monsieur Laplace. Denn ich gehe davon aus, daß Mademoiselle Pontier sich selbst zur Verfügung stellen wollte wie sie auch." Irene verzog das Gesicht. Doch machen konnte sie jetzt nichts mehr dagegen. Als Gérard wieder in seiner gewohnten Erscheinungsform zu den anderen zurückkehrte, stellte sie sich trotzig vor Professeur Faucon hin. Unter dem bunten Blitzgewitter wurde aus der immer gerne lästernden Fünftklässlerin eine braune Kuh. Alle anderen bissen sich auf die Lippen, um nicht unvermittelt loslachen zu müssen.

"Och nöh! Was haben Sie aus mir gemacht", brüllte Irene. Professeur Faucon fragte Robert, der es Irene sagte. "Ach deshalb meine ich, irgendwas komisches unten baumeln zu haben", schnaubte Irene. Dann probierte sie zu laufen und trottete einige Male durch die Klasse. Dann erlöste Professeur Faucon sie von der Tiergestalt. Jasmine trat todesmutig vor und erfuhr dadurch, daß ihre innere Tiergestalt ein Schimpanse war.

"So, damit wären wir durch, die Herrschaften", sagte Professeur Faucon abschließend. Dann fiel ihr ein, daß sie der Fairness halber noch einmal ihre Animagus-Gestalt präsentieren sollte und verwandelte sich in einen weißen Adler. Laurentine fragte die Lehrerin, ob das wegen ihres Nachnamens sei, worauf Professeur Faucon sich zurückverwandelte und meinte, daß das lange bevor sie Faucon, also Falke als Nachnamen angenommen habe, diese Tiergestalt als ihre Animagus-Form ausgewählt hatte. "Dann hätte ich meine respektable Muttersprache auch schlecht gelernt, wenn ich einen Adler mit einem Falken verwechselt hätte. Aber die Farbe des Gefieders habe ich wohl unbewußt mit meinem Vornamen asoziiert", fügte sie hinzu. Dann diskutierten sie noch einmal die Schwierigkeiten bei der Verwandlung von einem in ein anderes Lebewesen und erörterten auf Laurentines Frage, warum sie keine Zaubertiere wie Greife, Drachen oder Latierre-Kühe geworden seien, daß magische Tierwesen keine Animagus-Formen sein könnten, weil die in ihnen wirkende Magie nicht von einfachen Verwandlungszaubern kopiert werden könne. Irene wolte dann noch wissen, ob in ihre Tiergestalten verwandelte Animagi sich mit gleichartigen Normaltieren fortpflanzen könnten. Professeur Faucon bejahte es und empfahl den Mädchen, sich also gut zu überlegen, ob sie während ihrer fruchtbaren Phase im Monat länger in Tiergestalt verbleiben wollten, wenn die Möglichkeit bestand, daß dieser Lebensform angehörende Männchen in der Nähe waren. Dann sollten die Schüler wieder selbst Verwandlungsstücke einüben.

Nach dem spannenden Unterricht ging es für Julius und Céline gleich weiter mit Verwandlung für Fortgeschrittene, wo Julius jetzt mit den ersten Selbstverwandlungen experimentierte und sich gemäß seines Aufgabenzettels einmal schwarzes Haar und dann noch eine lange Nase verpaßte.

Gespannt warteten die Schülerinnen und Schüler aus dem grünen Saal nach dem Abendessen im Aufenthaltsraum auf Professeur Faucon. Auch Julius spürte eine gewisse Anspannung. Was würde die Saalvorsteherin gleich verkünden? Als diese dann durch die sich auflösende und dann wieder steinhart verfestigende Wand in den Gemeinschaftsraum eintrat verstummten alle aufgeregten Einzelunterhaltungen wie auf Knopfdruck. Alle standen auf und warteten, bis die Lehrerin sie begrüßte. Im großen Chor grüßten sie alle zurück. Dann verkündete sie: "Es hat sich leider ergeben, daß wir, also Sie und ich, uns von Monsieur Hercules Moulin aus der ZAG-Klasse verabschieden mußten, da sein Verhalten in den letzten Wochen immer unerträglicher wurde und sich zudem herausstellte, daß er in direkter Linie von einem menschenähnlichen Zauberwesen abstammt, das in den meisten Fällen skrupel- wie haltlos ist und dazu viel Gewandtheit und Schnelligkeit besitzt." Raunen ging durch den Raum. Professeur Faucon klatschte in die Hände wie ihre übergroße Vorgesetzte. "Rein äußerlich unterschied er sich nicht von Ihnen oder mir, die wir belegen können, daß wir reinrassige Menschen sind", schnarrte sie. Wieder kam Raunen auf, wurde aber mit einer schnellen Handbewegung sofort wieder abgewürgt. "Die Rede ist von dem männlichen Abkömmling einer Waldfrau, Saylvreian oder Sabberhexe, der eine Ahnenlinie aus Hexen und Zauberern begründete, die das Erbgut dieser im Wald lebenden, für Kinder und halbwüchsige Knaben ziemlich gefährlichen Geschöpfe in sich trugen. Diese Ahnenreihe wies nur bei den männlichen Nachfolgern Verhaltensauffälligkeiten auf. Die Jungen tendierten ab dem vierzehnten oder fünfzehnten Lebensjahr zu Ausfälligkeiten, Gewaltbereitschaft und Lüsternheit. Mir war bis heute nicht bekannt, daß die untadelige Geschichte von Beauxbatons bereits zwei Fälle verzeichnete, wo solche eher bedauernswerten Jungen vorzeitig ihre Ausbildung abbrechen mußten, weil sie für die Schuldisziplin, sowie die leibliche Unversehrtheit ihrer Mitschüler eine immer größere Gefahr darstellten. - Ich verstehe durchaus, daß Sie jetzt alle betroffen sind. Ich bin es auch." Tatsächlich sahen die meisten Schüler sehr betreten aus. "Mir wäre es lieber gewesen, es nur mit einem über Gebühr aufsässigen Schüler zu tun gehabt zu haben. Es hätte sich eventuell wieder einränken lassen. Aber nach dem jetzigen Stand der Dinge konnten wir Monsieur Moulin nicht in diesen Mauern weiterlernen lassen", sagte sie und machte eine die Wände überstreichende Geste. "So stellte sich die Frage, wohin wir ihn schicken konnten. Seine Eltern wollten ihn zunächst bei einer alleinstehenden Verwandten unterbringen, die aus erwähnter Ahnenlinie stammt und behauptete, ihn deshalb optimal behüten zu können. Uns fiel jedoch eine bessere Möglichkeit ein, wenngleich mir diese ebenfalls nicht so gefällt, aber von den nur schlechten Alternativen die beste darstellt. Madame Maxime und ich konnten die Eltern davon überzeugen, daß Hercules mit seiner aufgekeimten Natur zu leben und gleichzeitig seine magische Ausbildung fortsetzen solle. Dies geht jedoch nur in den vereinigten Staaten von Amerika, weil die Konstellation dort gegeben ist, ihn mit seiner Natur und der Zauberei im Einklang zu halten. Um gleich ein Mißverständnis zu verhindern: Er wird nicht nach Thorntails oder Dragonbreath umgeschult. Wenn er nach der ausgiebigen Untersuchung von den US-amerikanischen Kollegen registriert worden ist, wird er in einer teilisolierten Umgebung untergebracht, wo er unter Beobachtung des dortigen Zaubereiministeriums bei einer reinrassigen Waldfrau leben wird. Zudem wird er alle theoretischen Studien der Magie gemäß Lehrplan der Thorntails-Akademie fortführen und zwischendurch auch praktisch geprüft, um den Ausbildungsstand zu verbessern. Hoffnungsvolles Ziel ist es, ihn eines Tages wieder in der allgemeinen, magischen Gemeinschaft unterbringen zu können. Die anderen Alternativen hätten ihn nur lebenslänglich weggesperrt oder isoliert. Madame Maxime hat vor dem Abendessen mehrere Blitzeulen erhalten, die bestätigen, daß das nordamerikanische Zaubereiministerium zwar unter diversen Vorbehalten aber doch an Mithilfe interessiert zugestimmt hat. Monsieur Moulin und seine Eltern befinden sich zum jetzigen Zeitpunkt auf dem Weg nach New Orleans. Dort werden sie von Professor Forester von der Thorntails-Akademie, sowie Vertretern des Zaubereiministeriums erwartet, um die Unterbringung ordentlich zu vollenden. Wir hoffen, daß Monsieur Moulin, der - ich kann das nicht nachdrücklich genug betonen - nicht aus wirklich freiem Willen gegen die Schulregeln verstieß, doch noch ein passabler und verantwortungsbewußt lebender Zauberer wird und die Zeit in der Beauxbatons-Akademie somit gut investiert war. Für alle, die befinden, Monsieur Moulin zu schreiben, um ihm Glück zu wünschen oder finden, sie müßten sich für irgendwas entschuldigen, haben mich Madame und Monsieur Moulin gebeten, daß Sie an diese schreiben, weil zu der Adresse, die Monsieur Moulin nun besitzt, keine Posteule hinfliegt. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit." Diesmal setzte das Raunen mit fast ohrenbetäubender Lautstärke ein. Pierre Marceau wollte wissen, was denn eine Waldfrau oder Sabberhexe sei und wieso die so gefährlich sei. Gabrielle Delacour zog ihn zu sich und raunte es ihm zu. Professeur Faucon nutzte diese Szene für eine weitere Klarstellung. "Damit es nicht zu einem weiteren Mißverständnis kommt: Wenn sich magische Menschen mit menschenähnlichen Zauberwesen erfolgreich fortpflanzen und deren Nachkommen die geistigen und magischen Voraussetzungen erfüllen, sind sie alle willkommen in der Beauxbatons-Akademie, solange sie es einrichten können, sich nicht an ihren Mitschülern zu vergreifen und sich dem hier erwünschten Verhalten einzufügen. Dies sage ich, weil zurzeit die Enkeltochter einer Zwergin und die einer Veela in unseren Mauern leben und lernen und uns sehr willkommen sind. Ich wünsche Ihnen allen noch einen guten Abend!"

"Moment, wenn Hercules jetzt weg ist und vorher nichts für seine komische Art konnte, was ist dann mit den von dem gesammelten Strafpunkten?" Wollte ein Viertklässler wissen, der wohl schon darum bangte, daß der grüne Saal am Schuljahresende wieder ziemlich weit hinten rangieren würde.

"In dem Moment, wo jemand vorzeitig die Schule verläßt sind alle von ihm oder ihr errungenen Bonus- und Strafpunkte anulliert", antwortete Professeur Faucon. "Schließlich gilt diese so nützliche Bewertung ja nur, solange jemand Schüler hier ist. Es darf ja nicht der ganze betreffende Saal leiden, wenn jemand sich bis zur Entlassung gegen die bestehenden Regeln vergangen hat. Ich hoffe, damit Ihre Besorgnis zerstreut zu haben." Alle blickten sie betroffen an. Dann nickten viele. Professeur Faucon verabschiedete sich erneut und verließ den grünen Saal.

Durch die abends stattfindenden Freizeitkurse gelangte die Neuigkeit schnell durch die ganze Schule. Wie üblich verselbständigten sich die informationen. Das bekam Julius am nächsten Morgen im Unterricht und der großen Pause mit. Apollo wollte von ihm wissen, ob es stimme, daß Hercules Großvater eine Sabberhexe geschwängert habe, die dem dann das Kind vor die Tür gelegt habe. Bernadette erging sich in Angewidertheit, daß sie fast "einen Sabberhexen-Bastard" auf den Besen gehoben hätte. Millie, der Julius es am Abend vorher mit den Erlebnissen in der Verwandlungsstunde zumentiloquiert hatte, blieb ganz ruhig und sagte nur:

"Das ist fies, wenn jemand fies ist, ohne das zu wollen, Julius. Aber meine Oma Tetie hat mir hoffentlich viel mehr gute Sachen vererbt."

"Ja, handgroße Babys, wenn der Engländer echt meint, dir welche einpflanzen zu müssen", schnarrte Bernadette. Julius sah sie an und meinte:

"Falls du bis dahin keine eigenen Kinder hast, können wir dich gerne als Kindermädchen anstellen, Bernadette." Das traf, saß und wirkte. Bernadette schob mit einem angewiderten Gesichtsausdruck ab.

"Die hätte zu diesen vertrockneten Hexen in Broomswood gehen sollen, Monju. Da hätte die lernen und lernen können. Hab echt den Eindruck, daß die sich genauso für ihren Körper schämt wie diese alte Krähe Pabblenut."

"Handgroße Babys. Wäre ziemlich leicht für dich", sagte Julius scherzhaft.

"Ich denke nicht, daß ich uns lebendige Püppchen ausbrüte, Monju", hauchte Millie. "Dann wären Tine, Miriam und ich ja schon so winzig aus Ma rausgekrabbelt, und die hätte nicht so laut schreien und unter so heftigen Schmerzen stöhnen müssen." Julius nickte. Dann fragte er sich jedoch, wieso Professor Flitwick so winzig war, wo der Kobold in seiner Ahnenreihe vielleicht der Urgroßvater oder Ururgroßvater war. Doch im Grunde konnte das jetzt erst einmal egal sein, wie groß Millies und seine Kinder würden, weil ja bei Kindern Gesundheit doch wichtiger war als die Endgröße. Sicher gab es immer Probleme bei Klein- oder Riesenwüchsigen, wie Madame Maxime und Professor Flitwick ihm häufig vor Augen geführt hatten. Doch das tat ihren sonstigen Fähigkeiten ja keinen Abbruch.

"Noch Zwei Minuten bis zur Stunde!" Rief Professeur Bellart, die Pausenaufsicht machte, heute begleitet von Carmen Deleste.

Das Thema Hercules Moulin war jedoch auch in der Zauberkunststunde am Nachmittag noch gegenwärtig. Die Schüler fragten Professeur Bellart, ob die Abstammung von Zauberwesen, die auch ohne Zauberstab nach außen wirkende Zauber wirken konnten, die eigene Zauberkraft allgemein verstärkte, vor allem bei Zauberkunst. Professeur Bellart rümpfte zwar die Nase, weil das eigentlich nichts mit der Fortsetzung der physikalischen Zauber an sich zu tun hatte. Dann sagte sie ruhig:

"das gehört zwar eher in den Fachbereich Magizoologie und dort im besonderen in den Unterabschnitt humanoide, intelligente Kreaturen. Doch im Bezug auf Zauberkunst kann ich Ihnen da mitteilen, daß es durchaus möglich ist, daß die auf ein solches, menschenähnliches Zauberwesen zurückführbare Abstammung bestimmte Besonderheiten aufweisen kann. So las ich einmal von einem Schüler, dessen Mutter eine Meerfrau war. Der versagte in zwei von drei Fällen bei allen auf der Elementarkraft Feuer basierenden Zaubern. Das ging mit dem einfachen Zauberstablicht los und bezog alle Hitze-, Licht- und Feuerbeschwörungen ein. Hingegen kam er mit allen auf dem Element Wasser basierenden Zaubern exzellent zurecht. Monsieur Albericus Arno, der heute den Namen seiner Frau trägt, ist der Sohn einer reinrassigen Zwergin. Das hat seine Talente für Zauberkunst erheblich verstärkt, besonders im Bereich aller Elementarzauber. Ich hatte das Vergnügen, ihn als einen meiner ersten Schüler in Beauxbatons unterrichten zu dürfen. Dann hatten wir hier vor wenigen Jahren die Enkeltochter einer Veela, die von ihren angeborenen Zauberkräften abgesehen auch sehr gut in allen auf Zauberstabbenutzung ausgelegten Disziplinen war. Ihre Schwester, die ja zur Zeit mit Ihnen den grünen Saal bewohnt, äußert ähnlich gute Anlagen. Mein britischer Fachkollege Professeur Flitwick soll, so der Stand meiner Informationen, einen Kobold in der Ahnenlinie gehabt haben. Er ist Großmeister der Zauberkunst, hat aber eine besondere Fertigkeit mit den auf Erde bezogenen Zaubereien. In Deutschland lebt eine Zaubererfamilie, die von einer Koboldin abstammt. Diese können alle Erdzauber auch ohne Zauberstab wirken und sind, soweit ich erfuhr, auch in allen anderen Zauberkünsten mit Zauberstab herausragend. Offenbar spielt es auch eine rolle, ob der Vater oder die Mutter ein reinrassiger Mensch ist. Monsieur Moulin, der uns ja leider vorzeitig verlassen mußte, konnte ja leider nicht genauer zeigen, ob er in allen oder nur bestimmten Unterabschnitten der Zauberkunst über- oder unterdurchschnittlich gut ist. Sicher hat er den Schwebezauber und diverse Feuerzauber schnell und gründlich vorgeführt. Doch das ist noch nicht ausschlaggebend, um seiner wohl einmaligen Herkunft bestimmte Vorzüge und Nachteile zuzuerkennen. Und jetzt möchte ich Sie bitten, dort fortzufahren, wo wir gestern unterbrochen haben!"

Nach dem Ende der Stunde, wo Julius neben dem Schweigezauber auch schon höhere Elementarzauber ausführen sollte, war die Tierwesen-AG, wo Professeur Pivert die nun noch sieben Teilnehmer mit den schuleigenen Feen arbeiten ließ. Abends war wieder Duelltraining. Julius nutzte seine neuen Vorrechte als stellvertretender Saalsprecher und blieb nach der üblichen Bettkontrolle mit Yvonne, Céline und Giscard bis kurz vor Mitternacht auf. Sie sprachen über die verstrichene Woche und was morgen in der Saalsprecherkonferenz, die Julius einmal als Lagebesprechung bezeichnet hatte, dazu erwähnt würde. Céline feixte weinmal, daß Bernadette dabei wohl ziemlich übel zusammengestaucht werden würde, weil sie das mit dem Unterrichtsabbruch nicht korrekt hingebogen hatte.

"Vorher kriegen wir erst einmal die Roten gegen die Violetten zu sehen", meinte Giscard. "Ob deine Frau denen echt den Doppelachser beigebracht hat, Julius?"

"Sie wäre schön unkameradschaftlich, wenn sie es nicht täte. Das ist ein geniales Flugmanöver", seufzte Julius, der jetzt daran denken mußte, wie oft ihm Hercules das unter die Nase gerieben hatte.

"Ja, und ihre Cousinen dürfen Treiber spielen. Hoffentlich hauen die die Violetten nicht alle reif für die DK", unkte Yvonne. Da war sich Julius auch nicht ganz sicher. So sagte er:

"Die Bedingungen sind eindeutig. Die durften vor dem ersten Spiel einen Monat lang keine Latierre-Kuhmilch mehr trinken, was sie, solange sie Treiberinnen sind, auch beibehalten. Außerdem hatten wir es bei den Pflegehelfersitzungen, daß wenn rauskommt, daß Callie und Pennie ihre Kräfte nicht beherrschen können, die Seitens Madame Rossignol und Professeur Dedalus vom weiteren Turnier ausgeschlossen werden. Dem hat sogar Millie zugestimmt. Die kennt ja schließlich die Megastärke ihrer Cousinen."

"Die jetzt ja auch deine sind", mußte Céline dazu noch einwerfen. Julius nickte nur. Dann sprachen sie noch über die Lage in England, weil ja jeder mitbekommen hatte, was Julius in den letzten Wochen und Tagen mitbekommen hatte. Yvonne seufzte.

"Das uns Professeur Faucon sowas nicht erzählt ist ziemlich fies. Dabei weiß sie ganz genau, daß das, was bei deinen früheren Schulkameraden los ist jederzeit auch zu uns überspringen kann. Haben dir denn mal Leute aus Hogwarts geschrieben?"

"Wenn ich über mein Bild von Aurora Dawn nicht wüßte, daß die alle irgendwie noch am Leben sind, würde ich echt Angst haben, daß die drei Vollstrecker des Irren die schon umgebracht haben. Aber wenn jetzt sämtliche Eulenpost von dort nach anderswo kontrolliert wird wäre das ziemlich übel, wenn die mir schreiben", sagte Julius.

"Aber du hast denen doch mal geschrieben oder?" Fragte Giscard.

"Die Schuleule ist bis heute nicht zurückgekehrt", sagte Julius. "Ich fürchte, die haben die abgefangen, weil die mich auf ihrer Suchliste haben."

"Stimmt, davon hatten wir es ja bei der zweiten SSK", erinnerte sich Giscard. "Als wenn die denken, daß du dahin zurückgehst, wo du genau weißt, daß die Schweinebande an der Macht ist."

"Die kommen so nicht an mich ran", sagte Julius. "Aber ich fürchte, daß die sich an meinen Schulfreunden oder deren Familien vergreifen, um an mich ranzukommen. Das ein Schlammblut sich rechtzeitig absetzen und dabei alles angesparte Geld mitnehmen konnte wurmt die immer noch. außerdem stand das in diesem rosaroten Rotz, den ich gestern bekommen habe, daß die die Schwere der Verbrechen an der Zauberkraft messen, die ein Muggelstämmiger besitzt. Angeblich seien die Theorien von Ruster und Simonowsky hilflose Ausflüchte für die Tatsache, daß einige sogenannten Zauberkrafträuber besonders vielen Reinblütigen die Zauberkraft oder besonders potente Zauberstäbe abgezogen haben." Er tätschelte den Zauberstab im Gürtelfutteral.

"Was? Wie soll denn sowas gehen?" Wollte Céline wissen.

"Zumindest behauptet die sogenannte Registrierungskommission für Muggelstämmige, daß die Mysteriumsabteilung das herausgefunden hat. Wie die das gemacht haben läuft wohl unter dem Stempel Streng geheim. So kann man natürlich alles begründen. Wir wissen, wie es geht, aber wir sagen es keinem."

"Ja, oder so: Wer das außerhalb der Geheimabteilung weiß ist so ein böser Zauberkrafträuber. Gelegenheit macht Diebe."

"Genau", bestätigte Julius.

"Jedenfalls im Moment wohl kein schöner Ort zum Urlaub machen", stellte Yvonne fest. Julius nickte wieder.

"Monsieur Latierre, Dementoren in Paris. Sie haben versucht in den Sanctuafugium-Schutz einzudringen!" schlug Viviane Eauvives Warnung wie ein Blitz aus nicht mehr ganz so heiterem Himmel in die Unterhaltung ein. Die im Aufenthaltsraum verbliebenen Siebtklässler, sowie die vier Broschenträger schraken heftig zusammen. Die gemalte Ausgabe der Gründungsmutter blickte sichtlich beunruhigt aus dem Julius nächsten Bild heraus. Das auf ihrer Schulter sitzende Knieselweibchen schaute so, als müsse es sich gleich entscheiden, anzugreifen oder wegzulaufen. Der goldene Schweif des Katzenwesens vollführte leicht zitternde Pendelbewegungen. Es bog seinen Rücken immer wieder nach oben durch. Es fehlte wohl nicht viel, und es würde herunterspringen.

"Wie viele!" Rief Julius, der wohl mit einer ähnlichen Nachricht gerechnet hatte.

"Nach Aussage Madame Brickstons haben sie einen Ring aus Dunkelheit um den abgesicherten Bereich gelegt. Aber sie können nicht weit genug vordringen, um das Haus mit ihrer Kraft zu durchdringen. Selbst die mit Elektrolicht betriebenen Straßenlampen leuchten noch. Allerdings kommt keiner dieser pferdelosen Wagen mehr durch."

"Verdammt!" Fluchte Julius. Sie griffen tatsächlich an, Voldemorts bisher gefährlichste Gehilfen. Für wie gefährlich hielt der Herr der Todesser ihn denn? Oder war es auf Umbridges Mist gewachsen, daß die Dementoren ihn so jagten. Dann fiel ihm ein, daß diese Kreaturen wohl nicht nur wegen ihm nach Paris gekommen waren, aber die Gunst der Stunde nutzen wollten. So rief er schnell:

"Bitte forschen Sie nach, ob die nur wegen meiner Mutter angreifen oder auch anderswo zuschlagen, Magistra Eauvive!"

"Habe ich schon getan, Monsieur Latierre. Das Zaubereiministerium erhielt mehrere Alarmmeldungen aus Paris, Lyon, Avignon, Nizza, Marseille und St. Tropez. Offenbar sind die Dementoren sowohl über die Nordsee, als auch über den Atlantik und aus dem Mittelmeerraum eingedrungen und haben sich verteilt. Die Abwehrzauberer und -hexen konnten die Invasoren nicht zurückwerfen, weil sie zu weit gefächert anrückten. Nur wenige Dementoren konnten mit dem Patronus-Zauber vertrieben werden. Offenbar haben diese Kreaturen sich in den letzten Jahren und Monaten deutlich vermehrt."

"Über das Mittelmeer? Dann mußten die ja ganz um Westeuropa rum", warf Julius ein. Dann fiel ihm ein, daß die Dementoren auch gut über Osteuropa zum Mittelmeer gelangen konnten. Er dachte mit Entsetzen daran, daß sie so auch problemlos den Schulstrand von Beauxbatons überfallen könnten. So sagte er sichtlich beklommen:

"Mit anderen Worten, unser Strand ist nicht mehr sicher." Yvonne, Céline und Giscard nickten. Die übrigen Siebtklässler starrten auf das Bild, das eben die schreckliche Nachricht übermittelt hatte.

"Am Tag kommen die meistens nicht, weil die die Sonne nicht vertragen", versuchte Hubert, ein Kamerad Giscards, die Alarmstimmung im Aufenthaltsraum zu mindern.

"Ich versuche, näheres zu erfahren und werde es dann weitermelden, Monsieur Latierre. Versuchen Sie, ein wenig Schlaf zu finden. Ihre Mutter und alle, die Ihnen wichtig sind, befinden sich in Sicherheit", versuchte Viviane, Julius zu beruhigen. Doch Céline stieß aus:

"Und was ist mit der Rue de Camouflage?! Was ist mit meinen Eltern?!"

"Dazu fehlen mir noch nötige Meldungen", sagte Vivianes gemaltes Ich. Die anderen im Aufenthaltsraum blickten die abgemalte Hexe im wasserblauen Umhang an. Doch diese verließ nach rechts das Bild und huschte ohne weiteres Wort durch zwei weitere Gemälde, bevor sie aus dem Aufenthaltsraum heraus war.

"Die ist lustig", knurrte Hubert. "Die knallt uns so'ne Schweinerei vor den Kürbis und haut dann wieder ab."

"Das hatten wir doch schon mal", versuchte Giscard abzuwiegeln. "Letzte Osterferien, ihr wißt das doch. Da haben diese Monster doch auch versucht, Paris zu überrennen. Und denen in der Rue de Camouflage ist nix passiert, weil die sofort in ihre Häuser gegangen und die magisch fest verriegelt haben und das Ministerium vierzig Desumbrateure in der Straße hatte, die alle den Patronus gemacht haben. Seitdem hat uns Professeur Faucon ja so voll drauf getrimmt, den zu können."

"Wir sollen den jetzt auch lernen", seufzte Céline. Mein Vater kann den hoffentlich auch."

"Wenn die alle in den letzten dreißig Jahren hier in der Schule waren hat Professeur Faucon den ihnen wohl beigebracht", bemühte sich Julius, Céline zu beruhigen. "Du hast doch gehört, daß alle spätestens in der UTZ-Klasse den Patronus gelernt haben."

"Ja, aber Maman hat den nötigen ZAG in dem Fach nicht erreicht, Julius. Und papa hat sich hauptsächlich auf Zauberkunst festgelegt."

"Ich gehe davon aus, daß Minister Grandchapeau seit dem ersten August mit dieser Invasion gerechnet hat. Das Problem war ja, daß die gleich über alle Küsten ins Land gekommen sind. Vielleicht wollten die sogar über Belgien, Deutschland und Luxemburg eindringen. Oder welche hängen jetzt auch in Deutschland herum und versuchen da das gleiche Chaos anzurichten wie hier."

"Wenn mich das jetzt beruhigen sollte ist das voll danebengegangen", schnaubte Céline. Und du bist ja selbst auch nicht so recht überzeugt, daß die Leute in der Rue de Camouflage sicher sind. Immerhin wohnen Millies Eltern und ihre Schwestern da ja auch." Julius nickte. Wenn er ihr jetzt erzählte, daß die sich beim letzten großen Dementorenangriff über einen Verschwindeschrank ins Sonnenblumenschloß abgesetzt hatten. Erstens durfte er das nicht erzählen, und zweitens würde es Céline nicht beruhigen, sondern gegen ihn aufbringen.

"Wenn die in Avignon sind wollen die was von meinen Eltern", warf Hubert ein. Giscard fuhr ihn ziemlich laut an:

"Mach jetzt nicht so'n Geschrei, Hubert! Die greifen an, um den Minister und Monsieur Chevallier fertigzumachen. Wenn die portraitierte Ausgabe von Viviane Eauvive nicht befunden hätte, Julius zu melden, daß die auch das Haus umstellen wollten, in dem seine Mutter wohnt, hättest du genauso wenig davon mitgekriegt wie er, Céline oder ich. Tun können wir ja doch nichts."

"Ja, aber wenn die wen packen, saugen sie dem die Seele aus. Dann laufen die rum wie Inferi, völlig Antriebslos", ereiferte sich Hubert. "Du hast das ja auch im Unterricht bei der Faucon gelernt, Giscard. Denkst du, ich will morgen in der Zeitung lesen, daß meine Eltern jetzt zu seelenlosen Hüllen geworden sind?"

"Du nicht, Yvonne nicht und ich ganz bestimmt auch nicht", blaffte Giscard. "Mann, reiß dich zusammen. Angst und Schrekcken sind genau die Sachen, die der Unnennbare verbreiten will. Wenn du dich nicht einkriegst, hat er dich besiegt."

"Saalsprecher oder nicht, Giscard, aber mach mich nicht mit Sachen an, die du selbst nicht einhalten kannst!" Versetzte Hubert. "Aber Bayonne war ja auch nicht auf der Liste der Städte, die Vivi Eauvive erwähnt hat", legte er noch nach.

"Was hätten die davon, wenn die an deine Mutter rankämen?" Wollte Yvonne von Julius wissen.

"Über sie meinen sie, an mich ranzukommen. Außerdem könnte sie deren neuer Auffassung nach die Zauberkräfte geklaut haben, mit denen ich rumlaufe. Außerdem hat sie sich bisher erfolgreich von diesen Bastarden ferngehalten, und das mögen machtbewußte Menschen nicht, wenn man sich ihnen verweigert", schnarrte Julius.

"Machtbewußte Menschen, Julius, die haben es nicht nötig, Leute zu entführen oder andere zu erpressen. Die kriegen durch Kontakte und Überzeugung was sie wollen", erwiderte Giscard. "Aber es ist wohl nicht zu leugnen, daß die Verbrecher in England gerade mehr Macht haben, als uns bewußt ist."

"Wir waren noch nicht fertig, Giscard", schnaubte Hubert.

"Stimmt, ich muß dir für deine Respektlosigkeit noch fünf Strafpunkte geben", knurrte Giscard. "Sei froh, daß ich deine Angst als mildernden Umstand werte, sonst wären es mindestens zehn geworden."

"Wie gnädig", schnarrte Hubert.

"Dann eben noch mal fünf Strafpunkte für Sie, Monsieur Dubois", erwiderte Giscard genervt.

"Es ist jetzt gleich Mitternacht", stellte Yvonne fest. "Alle Mädels die noch hier sind mir nach zum Schlafsaal!"

"Echt, du meinst, wir könnten jetzt schlafen, wo diese Kreaturen wieder im Land herumlaufen?" Fragte eine von Yvonnes Klassenkameradinnen.

"Ich kann Julius auch darum bitten, daß Madame Rossignol uns allen einen Schlaftrunk rüberbringt", sagte die Saalsprecherin. Offenbar war sie auch ganz gut in ihre neue Aufgabe hineingewachsen, dachte Julius. Ohne auf eine entsprechende Aufforderung zu warten entblößte er das silberne Armband mit dem weißen Stein.

"Besser nicht", grummelte Yvonnes Bettnachbarin und wandte sich dem Eingang zu den Mädchenschlafsälen zu.

"In Ordnung, Jungs, wir sollten dann auch dahin gehen, wo wir uns besser erholen können", sagte Giscard. Da rauschte es in der Eingangswand. Sie zerfiel wie ein Wall Kieselsteine und machte Professeur Faucon Platz, die im bonbonrosa Morgenrock mit kleinen Blumen drauf hereinkam.

"Wie ich soeben erfuhr wurde Ihnen allen der groß angelegte Angriff von Dementoren gemeldet, die in Paris und anderen größeren Ortschaften eingefallen sind, Mesdemoiselles et Messieurs", sagte sie. "Es hat mich auch sehr erschüttert, zu hören, daß diese Kreaturen wieder eingedrungen sind, obwohl das Zaubereiministerium mit einer derartigen Invasion gerechnet hat. Ich empfinde es bedauerlich, daß Magistra Eauvive Sie hier in offensichtliche Unruhe versetzt hat. Eigentlich hätte Sie Ihnen diese Mitteilung nicht überbringen müssen. Sie hatte wohl den Auftrag von Madame Andrews, ihrem Sohn zu sagen, daß sie in Sicherheit sei, sofern dieser noch wach sei. Ich möchte Sie nun alle bitten, in ihre Schlafsäle zurückzukehren. Monsieur Latierre, Sie verhalten sich dabei so leise wie möglich!"

"Was passiert, wenn diese Monster welche von unseren Verwandten küssen?" Fragte Hubert die Lehrerin.

"Zunächst einmal wird das Ministerium alle personellen und magischen Resourcen aufbieten, um das zu verhindern, Monsieur Dubois. Und falls doch jemand diesen Bestien zum Opfer fällt, wird er oder sie in der Delurdesklinik aufgenommen. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen."

"So, mehr können Sie nicht sagen", schnarrte Hubert. "Dann sage ich Ihnen mal was: Wenn diese Monster meine Familie angreifen, weil Grandchapeau und die ganzen Desumbrateure gepennt haben oder zu schwach sind, geh ich rüber auf die Insel, wo dieser Kerl wohnt und mach alle von seinen Leuten platt, die ich da auffinden kann."

"Zum einen dürfte es Ihnen mehr Ärger als Genugtuung einbringen, dafür die Akademie abzubrechen, Monsieur Dubois. Zum anderen würden Sie auf den britischen Inseln keine Minute lang leben, ohne auch nur einem der Handlanger des Wahnhaften begegnen zu müssen. Oder brachten Ihre Eltern sie auf britischem Boden zur Welt?"

"Was hat denn das damit zu tun? nein, die haben mich in Avignon gekriegt", erwiderte Hubert. Professeur Faucon sah Julius an und nickte ihm zu. Er sah es wohl als Aufforderung, was zu sagen und stellte sich kerzengerade vor Hubert hin.

"Hubert, wenn jemand, der nicht in England, Schottland oder Irland geboren wurde da hinzukommen versucht, bringt ihn ein großflächiger Fluch um. Was meinst du, warum der sich in London oder wo immer der gerade seine schwarzen Fäden spinnt so sicher fühlen kann?"

"Woher willst du denn das wissen, Julius? Wann warst du denn das letzte Mal da?" Schnaubte Hubert.

"Wir waren beide dort", antwortete Professeur Faucon. "Ich verspürte die Auswirkungen eines mörderischen Zaubers, während er unbehelligt blieb. Mehr müssen Sie nicht wissen, Monsieur Dubois. Es stand ja auch in der Zeitung, falls Sie sich erinnern mögen."

"In der Zeitung stand auch, daß wir hier keine Angst vor Dementoren haben müssen, Professeur Faucon", stieß Hubert verächtlich aus. Die Lehrerin sah ihn dafür sehr zornig an. Dann meinte sie:

"Jedenfalls wird alles getan, um Ihre Familienangehörigen zu schützen, Mesdemoiselles et Messieurs. Sie hingegen können derzeit nicht mehr tun, als ihre Schlafsäle aufzusuchen und auf genug Schlaf zu hoffen. Es sei denn, Sie möchten einen Schlaftrunk aus dem Sortiment von Madame Rossignol einnehmen." Hubert schüttelte den Kopf. Dann ging er Giscard nach, der auf den Eingang zum Jungenschlaftrakt zuhielt. Julius stand noch einige Sekunden unschlüssig da, bis die Lehrerin ihm bedeutete, er solle auch schlafen gehen. So folgte er den älteren Mitschülern mit gemischten Gefühlen. Sicher, seine Mutter, die Brickstons und wohl auch Millies Familie waren in Sicherheit. Doch was brachte das, wenn eine Horde Dementoren nun im Land herumstrolchte oder gezielt unschuldige Menschen, Muggel wie Zauberer, mit ihren Kräften überfiel? Was Hubert gesagt hatte nagte ebenso an ihm. Was passierte denen, die von den Dementoren geküßt wurden? Das war eine grauenvolle Vorstellung, daß seelenlose Menschen ohne Anflug von Eigenpersönlichkeit wie Zombies oder Leute im tiefsten Koma herumlagen, solange Herz und Hirn noch ihre Arbeit machten. Doch Professeur Faucon hatte recht. Hier und jetzt konnten sie alle nicht mehr tun als zu hoffen, daß den Lieben außerhalb der Schule nichts zustieß. Er suchte noch einmal das Badezimmer für Viert- und fünftklässler auf. hier war es totenstill. Keiner hatte einen Wasserhahn tropfen lassen. Einige Momente stand er nur da im Schein einer kleinen Öllampe über einem Waschbecken. Er dachte daran, daß er jetzt wohl seelenruhig schlafen würde, wenn er kein Saalsprecher mit dem Recht zum länger aufbleiben wäre. Einerseits wollte er sofort erfahren, wenn was passierte. Andererseits fragte er sich doch, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn Viviane ihm das morgen früh erzählt hätte und zwar so, daß nur er es mitbekommen konnte. Was mochten die Siebtklässler jetzt denken? Sie hatten doch gehört, daß die Dementoren einen Ring um das Haus Rue de Liberation 13 gezogen hatten, wo seine Mutter wohnte. Die anderen Broschenträger wußten doch auch, daß Voldemorts Marionetten seine Mutter und ihn wieder nach England zurückbeordert hatten. Hoffentlich kam keiner auf die Idee zu denken, daß die Dementoren nur deshalb in Frankreich eingefallen waren, um sich an Grandchapeaus Ministerium dafür zu rächen, daß es ihn, das "Schlammblut mit Superzauberkräften", vor der "gerechten Bestrafung" beschützt hatte. Oder ging es Voldemort darum, den europäischen Kontinent zu unterwerfen? Womöglich hatte Umbridge ein paar Dementoren instruieren dürfen, ein bestimmtes Ziel in Paris besonders anzugreifen. Denn falls seine Mutter und er dabei überwältigt und sogar nach England zurückgebracht würden, konnten die Marionetten des Irren lautstark verkünden, daß sie jeden fänden, der ihnen davonzulaufen versuche. Er war zwar kein Psychologe. Aber er erfaßte, wie demoralisierend diese Nachricht sein würde. Doch sie hatten seine Mutter nicht und würden sie wohl auch nicht kriegen, falls sie keinen Weg fanden, den Sanctuafugium-Zauber zu durchbrechen. Und soviel er nun über diesen Zauber wußte, war er mit über 99,9 Prozent unbrechbar, weil mindestens x hoch drei Zauberer nötig waren, die den kannten, wenn der von x Zauberkundigen errichtet wurde. Doch Dementoren waren vor mehr als dreihundert Jahren auch nach Millemerveilles reingekommen, um Sardonia zu stürzen. Doch jetzt kam dort keiner mehr hinein. Somit war Millemerveilles der einzige Ort der französischen Zaubererwelt, wo weder Dementoren noch Todesser hin konnten. Sollte er seiner Mutter vorschlagen, bis auf Widerruf da zu bleiben? Der Muggelabwehrbann-Hemmtrank könnte sie dort problemlos weiterleben lassen. Sicher würde es so bald wie möglich eine neue Sub-Rosa-Sitzung geben. Es sei denn, die Invasion war erfolgreich. Dieser Gedanke jagte ihm einen heftigen Schreck ein. Sein Herz klopfte unvermittelt mit doppeltem Tempo. Was wäre, wenn die Dementoren jeden Widerstand niederwarfen und Todesser nachrückten, um wie in Großbritannien auch in Frankreich eine Marionettenregierung einzurichten?

"Monju, hast du schlecht geträumt?" Drang Millies Gedankenstimme in sein aufgewühltes Bewußtsein. Er wußte, daß er hier beim Zurückdenken das rote Herz an die Stirn drücken mußte. So verließ er das Badezimmer, betrat dafür eine der separat liegenden Toilettenräume und schloß sich in eine Kabine ein. Dann nahm er die von ihm getragene Hälfte des rubinroten Zuneigungsherzens und drückte es an die Stirn. "Schön wäre es", dachte er zurück. "Aber wenn ich dir das jetzt sage, kannst du nicht mehr schlafen."

"Super, dann sag's mir besser auch", gedankenknurrte Millie zurück. "Ist was mit deiner Mutter oder meinen Eltern passiert?" Forschte sie nach.

"Ich hoffe nicht. Dementoren sind in Paris. Einige versuchen, bei uns ins Haus reinzukommen. Doch der Schutzzauber hält sie ab. Könnte sein, daß in der Rue de Camouflage auch welche sind. Jedenfalls sind welche in Avignon und Marseille gesichtet worden. Die kamen sogar übers Mittelmeer, Mamille."

"Verdammt, Monju! Das hieße ja, daß die problemlos um das Land rumgekommen sind, um ..." gedankenseufzte Millie. "Aber was hat dich jetzt so erschreckt, daß mich das aufgeweckt hat?"

"'tschuldigung, Mamille, war nicht meine Absicht", schickte Julius sein Bedauern zurück.

"Weiß ich", hörte er die Stimme seiner Frau unter der Schädeldecke schnauben. "Also was war's noch?"

"Ich habe einen blöden Moment dran gedacht, was wäre, wenn diese Monster es schaffen, alles plattzumachen, was dem Unnennbaren und seinen Marionetten gefährlich werden könnte. Dann wären nur noch Orte mit Sanctuafugium oder Millemerveilles sicher genug."

"Wie Oma Lines Schloß, Monju. Am besten frage ich meine Eltern, ob die jetzt da sind. Wir waren da ja schon mal, als diese Biester angegriffen haben. Hoffentlich sind diese Schlangenmonster, von denen du und Darxandria erzählt habt noch nicht wach. Dann könnte das noch ekliger werden."

"Und ich dachte schon, ich hätte die schlimmsten Gedanken", seufzte Julius mentiloquistisch. An die wiedererweckten Skyllianri hatte er lange nicht mehr gedacht. Was wäre, wenn Voldemort sie schon aufgeweckt hatte und die Dementoren nicht mehr als eine Vorhut, ein Aufklärungs- und Pioniergeschwader sein mochten?

"Ich denke, das hätte mir Darxandria beziehungsweise Temmie schon längst erzählt", schickte er eine bange Hoffnung zurück.

"Jetzt wo ihr wißt, daß du dieses Ailanorar-Ding erst im Winter holen kannst?" Schickte Millie eine Frage zurück. "Damals hat sie gedacht, du könntest die Monster sofort damit fertigmachen. Aber so mußt du noch warten, egal, ob sie schon wach sind oder noch in ihrem Versteck liegen."

"Mein Mädchen, du hast ein wunderbares Talent darin, mich zu beruhigen", sandte Julius zurück.

"Hast du nicht mal gesagt, es sei nicht so gut, sich etwas einzureden?"

"Das war meine Mutter, Millie", schickte Julius zurück. "Da ging's um längst klare Tatsachen, die endlich anerkannt werden sollen. Doch wenn der Irre die Schlangenmonster wirklich schon geweckt hätte, würde er die wohl gleich schicken, um zu zeigen, daß er sie angeworben hat. Dementoren sind ja schon länger bei ihm auf der Lohnliste."

"Auch wieder richtig, Monju. Wo bist denn du jetzt gerade?"

"Auf'm Klo im Jungentrakt", schickte er zurück.

"Dann geh besser ins Bett, bevor Madame Rossignol findet, daß du ihr die Kiste auch noch erzählen sollst", erwiderte Millie. "Nachher kommt die noch auf die Idee, du würdest mit mir heimliche Spielchen treiben, wo wir so anständig weit voneinander getrennt sind."

"Wenn das was brächte, die Dementoren aus dem Land zu jagen", gedankengrummelte Julius zurück.

"Wäre echt genial, Monju. Aber ich denke, jetzt solltest du vielleicht zusehen, daß du schläfst. Deine Maman ist bestimmt im Schutz des Safu-Zaubers sicher, und meine Familie hat sich wohl auch wieder ins Schloß abgesetzt."

"Dann noch mal Entschuldigung für's Wecken, Mamille. Vielleicht sollte ich meinen Anhänger nach Saalschluß nicht mehr tragen."

"Untersteh dich! Dann wüßte ich ja nicht, ob du auch wirklich brav ins Bett gehst, wo du mit den ganzen großen Mädchen im Saal sitzen darfst."

"Und Giscard dabeisitzt", schickte Julius zurück. Das beruhigte Millie. Sie wünschten sich noch eine erholsame Nacht. Dann schlich Julius leise in den Fünftklässler-Schlafsaal. Als er im Bett lag und noch einen Blick auf das große Portrait Aurora Dawns warf, konnte er dort Viviane Eauvive sehen. Die eigentliche Bildbewohnerin war nicht zu Hause.

"Deine Mutter wollte es, daß du bescheid weißt. Professeur Faucon hat mich zwar sehr ungehalten zurechtgewiesen, daß ich derartige Neuigkeiten nicht gerade vor der Schlafenszeit überbringen möge, sofern du oder jeder andere Mithörer nichts dagegen unternehmen könne. Doch du bist wie deine Mutter eines meiner Kinder und daher trotz deines neuen Nachnamens immer noch für mich wichtig. Deiner Mutter geht es gut. Der Zauberschutz hält die Kreaturen wirkungsvoll zurück. Catherine hat ihren magischen Beschützer beschworen und wider die Angreifer geschickt. Schlaf also jetzt und entschuldige, daß ich dich und deine Mitschüler derartig beunruhigt habe!"

"Ich muß morgen wecken gehen. Falls die Mexikaner nicht durchmarschieren, kann mich dann jemand um spätestens halb sechs aufwecken?"

"Bin ich dein persönlicher Wecker, Julius? Verlang das bitte nicht von mir. Du würdest es sehr schnell bereuen."

"Reden wir besser nicht vom Bereuen!" Seufzte Julius. Viviane nickte ihm zu und verließ das Bild.

__________

Belenus Chevaillier sah dem silbernen Hengst nach, der mit donnernden Hufen mitten in den Pulk düsterer Schatten hineingaloppierte. Er hatte Mühe gehabt, seinen Patronus heraufzubeschwören. Doch jetzt war er da und räumte mit den Angreifern auf. Der oberste Beamte der Abteilung zur Durchsetzung magischer Gesetze ärgerte sich, daß alle Wach- und Schutzmaßnahmen nichts geholfen hatten. Zwar hatte er hunderte von Desumbrateuren an den nördlichen Küsten stationiert. Doch als die Warnzauber für dunkle Auren anschlugen hatten sie sich zu schnell auf einen Punkt konzentriert. Das hatten die Angreifer ausgenutzt, um durch die so entstehenden Lücken einzudringen. Und die, die den Alarm ausgelöst hatten, waren mit der todesmutigen Beharrlichkeit im Krieg liegender Ameisenarmeen durchgebrochen. Auf jeden Desumbrateur kamen an einigen Stellen zehn Dementoren. Zwar reichten die beschworenen Patroni, mit mehr als hundert Dementoren zugleich fertig zu werden. Doch wenn es genügte, für die übrigen Invasoren Löcher in die Abwehr zu reißen ... Dann waren noch Alarmmeldungen aus dem Mittelmeerraum gekommen. Auch dort hatten sich Dementoren ins Land geschlichen. Damit hatten sie nicht gerechnet. Und genau das ärgerte Chevallier am meisten. Sie hatten mit einem Vorstoß vom Atlantik oder der Nordsee her gerechnet. Doch das zeitgleich eine Invasion vom Süden her verlief brachte die Verteidigung in arge Bedrängnis. Diese Ungeheuer mußten über Spanien oder Italien, vielleicht auch aus dem Balkangebiet an das Mittelmeer gelangt sein. Dann lief womöglich auch eine Invasion in Spanien oder anderen Nachbarländern ab. Falls dies stimmte, dann war der Unnennbare stärker geworden, als sie es hier alle befürchtet hatten. Alleine in Frankreich mochten es jetzt über fünfhundert Dementoren sein. Diese Kreaturen hatten sich demnach wie Ratten und Mäuse vermehrt. Sie hatten ja auch keine wirklich gefährlichen Feinde auf der Welt.

Der silberweiße Hengst, der gut und gern einem vollgepanzerten als Streitroß hätte dienen können, preschte in die Horden der Angreifer. Chevallier fühlte die Eiseskälte und strengte seine Augen an, um durch diese unerträgliche Dunkelheit hindurchzublicken. Kampfeslustig wiehernd walzte der Patronus die ersten nieder. Die Reihen lichteten sich sofort. Links und rechts schwenkte das wie aus Mondlicht bestehende Pferdewesen und fegte die riesenhaften Gestalten in ihren weiten Kapuzenumhängen fort. Belenus Chevallier blickte sich um. Ja, von hinten kamen auch welche. Er pfiff laut auf den Fingern, und der Patronus machte kehrt, wobei er die letzten anrückenden Reihen zersprengte. Im gestreckten Galopp jagte der silberne Hengst an seinem Beschwörer vorbei und ging zum Angriff auf die von hinten anrückenden Dementoren los, ohne ein Kommando dafür zu benötigen. Dann erkannte er in der Ferne weitere silberne Lichter und wußte, daß seine Leute ebenfalls ihre Patroni gerufen hatten. Bei manchen Kollegen war das nicht so leicht zu erwarten. Sie kamen nicht über breite Lichtstrahlen hinaus. Doch jetzt konnte er einen Elch erkennen, den seine Kollegin Britta Gautier beschworen hatte, eine Hexe, deren Mutter aus dem hohen Norden Europas stammte. Dann sah er noch einen Habicht, der einen lauten Schrei ausstoßend über vereinzelten Dementoren niederging. Dann tauchte noch eine Schildkröte auf, die alles andere als schwerfällig und langsam auf die Dementoren zutrippelte und diese bei bloßer Annäherung verscheuchte. Langsam überwog die Anzahl beschworener Patroni die der Dementoren. Chevallier rief mit Hilfe des Sonorus-Zaubers seine Leute zum Angriff auf die verstreuten Dementoren zusammen. Er wollte wenigstens einen von denen endgültig vernichten, um den anderen zu zeigen, daß man sich nicht mehr damit begnügte, sie wegzuscheuchen. Da sah er die nächste Front der Unheimlichen. Es war zunächst nur wie eine rabenschwarze Mauer, die langsam herankroch. Doch in wenigen Sekunden mochten die Sterne wieder verschwinden und die gerade erst zurückweichende Eiseskälte mit neuer Macht über sie hereinbrechen. Chevallier wandte sich um und sah seinen Patronus, der immer noch in von hinten anrückende Reihen und Haufen hineinstieß. Diese Angriffswellen zerstoben zwar sofort. Doch offenbar hatte der Feind eine erdrückende Übermacht an Dementoren ins Land geschickt. Wenn das so weiterging, wurden sie doch noch alle überrollt. Dann war die Rue de Camouflage völlig schutzlos. Noch hielten die vom Ministerium errichteten Barrieren vor um die Häuser. Doch wenn diese Bestien die Verteidiger überrannten ... Das durfte und wollte er nicht denken! Er deutete auf den Habicht-Patronus, der soeben den letzten Dementor attackierte, der dann wie davongeschleudert verschwand. Er rief dem wendigen Greifvogel zu, hochzusteigen. Er wußte, daß Patroni anderer Zauberer nicht auf seine Kommandos hörten, wenn sie nicht mit denen ihrer Beschwörer zusammenfielen. Doch zu seiner Erleichterung gehorchte der Habicht und stieg schnell empor. Nur das wollte er ja haben. Denn sofort konnte der Patronus, der alle Eigenschaften seines Vorbildes aus Fleisch und Blut mehr als ausreichend besaß, die neue Front erkennen und schwirrte mit einem raumfüllenden Schrei auf dem Schnabel davon.

Plopp! Minister Grandchapeau apparierte neben seinem obersten Strafverfolger. "Lennie, wie steht's?" Fragte er salopp.

"Nicht gut, Armand. Der Wahnsinnige hat wohl ein ganzes Tausend dieser Monstren vorrätig gehabt. Die Patroni jagen die zwar weg. Aber es kommen immer wieder neue nach. Ist als wenn du drei Hydren gleichzeitig bekämpfen willst", sagte Chevallier. Dann fiel ihm auf, daß der Minister besser nicht mitten im Kampfgetümmel stehen sollte. "Armand, bleib besser bei deiner Frau! Wenn wir die wider aller Hoffnung nicht packen mußt du dich mit ihr absetzen. Wenn der Wahnsinnige uns überrennt und du dabei draufgehst, kann der hier genauso schalten und walten wie auf seinen zwei Inseln."

"Lennie, man hat mich nicht zum Minister ernannt, weil ich bei jeder kleinen Gefahr den Schwanz einklemme und wegrenne", schnaubte Armand Grandchapeau. "Meine Tochter ist mit ihrem Mann und meinem Enkel in Sicherheit. Da will ich wissen, wie die Dinge liegen."

"Ich bin der Draufgänger von uns beiden, Armand. Ich habe in Fixies Stall gewohnt", knurrte Chevallier."

"Was kein Freibrief für einen sinnlosen Tod ist", schnaubte der Minister und rückte seinen Zylinder zurecht, ohne den er nie in der Öffentlichkeit auftrat.

"Da sage ich doch mal dito, Armand. Also mach dich wieder zu deiner Frau rein!"

"Belenus Chevallier, nur weil wir gute Freunde sind überhöre ich das jetzt mal. Ich bin immer noch dein Vorgesetzter", schwang Grandchapeau den Hierarchie-Hammer. Dann richtete er seinen Zauberstab auf die neue Angriffswelle Dementoren aus und rief: "Expecto Patronum!" Ein silberner Lichtstrahl fegte heraus und traf auf den nächsten Angreifer, der sofort zurückwich. Noch einmal rief der Zaubereiminister "Expecto Patronum!" Ein muskulöser Stier mit langen Hörnern, die wie Krummsäbel gebogen waren, brach aus dem Zauberstab und galoppierte sofort auf die Dementoren in seiner Ausrichtung los.

"Ole! El Torro!" Rief Chevallier lachend.

"Ja, ich weiß, das hat meinen Kollegen Pataleón auch amüsiert, als er behauptet hat, den größeren Patronus zu besitzen. Gegen seinen Löwen konnte mein schnuckeliger Stier locker mithalten."

"Ihr hattet euch mal wegen der Größe eurer Patroni gekäbbelt?" Wunderte sich Chevallier, nicht mehr so ganz beunruhigt, weil um sie herum Dementoren angriffen.

"Über was hätten wir uns denn sonst käbbeln sollen, Belenus. Du kennst doch die Machistas der alten Schule", sagte Grandchapeau.

"Er hat drei Söhne und zwei Töchter, wo du gerade mal eine Tochter hingekriegt hast, Armand", scherzte Chevallier.

"Das hatten wir beim vorletzten Treffen", stellte der Minister immer noch amüsiert fest. Dann fiel ihm wieder ein, daß sie hier gerade zwischen zwei Fronten standen und doch besser aufpassen sollten, nicht von durchbrechenden Dementoren überrascht zu werden.

Es wurden dreißig lange Minuten, während denen der Hengst, der Stier, der Habicht und der Elch mehrmals zusammengerottete Dementoren auseinandertreiben mußten. Einmal mußte der Minister seinen Stier sehr schnell zurückrufen, weil fünf Dementoren auf einmal anrückten. Doch das gehörnte Lichtwesen sprengte die Gruppe in weniger als drei Sekunden auseinander. Mit Besorgnis sahen die beiden hohen Zauberer, wie ihre Patroni langsam zusammenschrumpften. Lange würden sie nicht mehr bleiben, selbst wenn es immer noch Dementoren gab, deren Nähe sie vor Ort hielt. Denn für gewöhnlich reichten wenige Sekunden bis eine Minute, um die Angreifer zu verjagen. Um so erleichterter blickten sich Grandchapeau und Chevallier an, als kein neuer Angriff mehr stattfand. Wenige Sekunden nach dem letzten Dementor lösten sich alle beschworenen Patroni auf. Unvermittelt fühlten der Minister und Chevallier, wie ihre Konzentration nachließ und ihre Gedanken träger wurden. Mit dem Verschwinden der Patroni war ihnen eine Menge geistiger Ausdauer abgezogen worden.

"Was is'n jetz los", grummelte Chevallier. "Als hätte mir wer drei Flaschen Champagner direkt ins Blut gezaubert."

"Wo du vier oder fünf vertragen willst", grummelte der Minister und fühlte, wie er die Körperbeherrschung zu verlieren begann. "Ich kann mich nicht mehr auf's Apparieren konzentrieren. Die Patroni waren zu lange aktiv."

"Dafür sind wir alle Demm-mentoren loscheworden", lallte Chevallier. Er fühlte sich wirklich wie volltrunken. "Mann, das gibs'och nich'."

"Geh'n wer rein!" quälte sich der Minister eine Anweisung ab. Chevallier nickte wie mit einem zentnerschweren Kopf. Zwar konnte er noch gut sehen. Doch seine Reaktionen und Bewegungen glichen nun eher denen einer langsam geführten Marionette mit unsichtbaren Fäden. Steif und um das eigene Gleichgewicht ringend torkelte er hinter dem ebenso angeschlagen schwankenden Minister her. Chevallier hoffte, daß sie keinen Kater haben würden.

__________

Catherine Brickston blickte immer wider aus dem Fenster. Nachdem sie ihren Patronus, eine kräftige Löwin, aus dem Schlafzimmerfenster auf die Straße geschickt hatte, sah sie sich immer wieder sorgenvoll um. Wenn die Nachbarn auch keine Dementoren sehen konnten vermochten sie doch einen Patronus zu sehen, warum auch immer. Doch die Tochter Blanche Faucons hatte sich nicht anders zu helfen gewußt. Außerdem blockierten diese Ungeheuer seit nun fünf Minuten beide Zugänge der Straße und auch die Gassen zwischen den Häusern. Zwar hielt der Sanctuafugium-Zauber die Kreaturen auf Abstand und ließ ihre Kräfte nicht durchdringen. Doch auf kurz oder lang konnten Autofahrer von der plötzlichen Dunkelheit und Kälte überfallen und dann im Strudel der schrecklichen Erinnerungen unaufmerksam werden und irgendwo gegenfahren. Diese Dämonen hatten sich genau den passenden Ort ausgesucht, um heilloses Entsetzen heraufzubeschwören. Da mußte sie den Patronus beschwören. Das würde sie auch vor dem Zaubereiministerium aussagen. Sie war froh, daß Babette bereits im Bett war und Dementoren fast lautlos vorrückten. Das bedrohliche Rasseln ihres Atems konnte man nur hören, wenn man das Pech hatte, näher als zehn Meter an einen heranzukommen. Doch im Moment drängten diese Unwesen gegen die stabile Barriere des Sanctuafugium-Zaubers. Es mochten über hundert von ihnen sein.

"Ich sehe diese Biester nicht, von denen Martha und du es hattet", knurrte Joe. "Aber was ist das für eine Scheißdunkelheit? Das ist ja, als wenn wer eine turmhohe Wand um unser Haus gezogen hätte."

"Die "Scheißdunkelheit", Joe, ist die Licht- und Wärme entziehende Aura der Dementoren", sagte Catherine und sah gerade, wie ihre Patrona mit einem Riesensatz in den Ring aus Dunkelheit hineinsprang. Sofort klaffte die schier undurchdringliche Dunkelheit auseinander, bekam eine immer größere Lücke und zerfloß langsam, während die Löwin aus silberweißem Licht angriffslustig hin und her sprang.

"Damit haben sie nicht gerechnet, daß sie nicht zu uns vordringen können und ich meinen Patronus unbehindert aufrufen konnte", knurrte Catherine. "Ich hätte ihn sofort rufen sollen."

"Woraus ist diese Raubkatze. Die muß ja ziemlich mächtig sein", staunte Joe, Lautes Gebrüll erscholl, als die Löwin den aufgesprengten Ring nun nach links hinweg mehr und mehr zerstreute. Die von ihr berührten Dementoren flohen wie davonschwirrende Fliegen vor der Fliegenklatsche. Es dauerte keine halbe Minute, da hatte sie alle Dementoren vertrieben.

"Hoffentlich waren das die einzigen", seufzte Catherine.

"Ich sehe die nicht. Sind die für sogenannte Muggel unsichtbar?" Wollte Joe wissen.

"Leider, Joe. Du siehst und fühlst nur ihre Aura. Aber jetzt sind sie hoffentlich verjagt. Der Schutzbann um unser Haus hält sie zurück. Aber ich fürchte, die werden nachts immer wieder anrücken und dann, wenn die Sonne nicht scheint. Die Dunstglocke über Paris könnte sie noch begünstigen, weil die Sonnenstrahlen von ihr abgeschwächt werden."

"Dann sind das Supervampire?" Fragte Joe.

"Vampire, auch die mächtigsten, sind vergleichsweise Harmlos gegen Dementoren", bekräftigte Catherine.

"Was wollten diese Monster hier?" Fragte Joe, der glaubte, was seine Frau sagte.

"Was wohl, uns angreifen, festnehmen oder die Seele aussaugen. Denn das ist das schlimmste, was sie machen können."

"Die Seele aussaugen?" Fragte Joe und fühlte Catherines Hand auf seinem Mund, weil er sehr laut sprach und sie nicht in Catherines Klangkerker-Arbeitszimmer saßen.

"Du hast mich vollkommen richtig verstanden, Joe. Dementoren sind gemeingefährliche Ungeheuer, Dämonen, wenn du es besser verstehst. Sie verbreiten Angst und Verzweiflung und können einem, der von ihrem Meister dazu verurteilt wurde oder sie unzureichend zu bekämpfen gewagt hat die Seele entziehen. Der Körper lebt dann zwar noch, aber jeder Wille und jede Gefühlsregung sind dann vernichtet."

"Willenlos? Gefühllos? Zombies?" Fragte Joe erschüttert.

"nicht ganz, Joe. Zombies oder auch Inferi - ist fast dasselbe - kann man anleiten und für bestimmte Aufgaben einteilen. Von dementoren entseelte Wesen können nichts mehr wahrnehmen und keine Befehle mehr ausführen, Joe. Sie sind nur noch atmende Hüllen ohne Verwendungszweck."

"Möchtest du, daß ich diese Nacht wieder schlecht träume?" Fragte Joe verärgert.

"Du wolltes es wissen, Cherie", erwiderte Catherine ruhig.

"Und es gibt keinen Weg, die ... denGeist von denen wieder zurückzuholen? Ich meine, du und Blanche habt sowas doch studiert."

"Du denkst an die Märchen, wo böse Wesen die Seelen ihrer Opfer in Töpfchen oder Flaschen einsperren. Aber in den meisten Fällen sind die dazu passenden Körper dann durch schwarze Magie oder herbeigeführte Todesarten ums Leben gekommen. Hier ist aber der Körper noch am Leben, und die Seele wurde in einen fremden Organismus eingesogen. Es gibt zwar vermutungen, daß sie mit der Vernichtung des betreffenden Dementorrs wieder freikommen und sofort in den angestammten Körper zurückkehren kann. Doch bisher kenne ich keinen konkreten Fall, wo das passiert ist und ob nicht auch eine Frist abläuft, in der das möglich ist. Deshalb sollte man es nicht erst darauf ankommen lassen, daß sie einem die Seele aussaugen."

"Mit anderen Worten, wenn ich aus diesem Schutzzauber heraustrete und diese Dementoren mich erwischen ..." setzte Joe beklommen an, brach den Satz jedoch ab.

"Der Sanctuafugium-Zauber schützt dich auch am Arbeitsplatz. Das habe ich für alle, die mir lieb sind so eingerichtet, Joe. Deshalb kann dir und Martha nicht so schnell was passieren, zumindest nicht bei Tag. Ob der Arbeitsplatzschutz bei Abend oder komplett verhangenem Himmel lange vorhält weiß ich nicht. Was für Wetter kriegen wir in den nächsten Tagen?"

"Meine Vorgesetzten haben was vom ersten richtigen Herbststurm erzählt, der sich vom Atlantik her entwickelt. Zumindest gehen sie von einer Wahrscheinlichkeit größer als fünfzig Prozent aus", sagte Joe. Seine Firma, ein privater Wetterdienst, bezog von angemieteten Satelliten und mehreren hundert Wetterstationen in Frankreich, Nordafrika und den überseeischen Besitzungen die aktuellen Daten. Er hatte Programme geschrieben, die daraus eine Wettervorhersage errechneten und Sturmtiefs verkündeten, die bis dahin nur laue Lüftchen über den Ozeanen waren.

"Wann genau soll dieses Sturmtief kommen?"

"Sturmtiefs sind keine Eisenbahnzüge, Catherine. Kann sein, daß uns das Unwetter übermorgen erreicht oder den Tag nach übermorgen. Meinst du, wenn die Wolken kommen können diese Monster mich angreifen?"

"Dich und jeden anderen, der sie nicht sehen kann, Joe."

"Glaubst du, die setzen sich im Land fest und warten darauf, wen angreifen zu können?"

"Die ich verjagt habe werden mindestens einen Tag zurückgeschlagen. Aber dann könnten sie wiederkommen, Joe. Ich hoffe nur, das Ministerium kann sich halten. Dann können wir bessere Schutzmaßnahmen ergreifen."

"Tolle Aussichten. Ich wußte doch, daß das mir mehr Ärger als Ruhe bringt, mit einer Hexe ..." Catherine kniff ihm eher spielerisch als Ernst in den Bauch.

"Die greifen nicht nur die Ehemänner von Hexen an, Joe. Die greifen wenn sie hungrig sind auch ahnungslose Muggel an, die bis dahin überhaupt nichts von der echten Zaubererwelt wußten. Also gib das Lamentieren dran, Joe! Ich sorge schon dafür, daß wir alle vor diesen Monstern sicher bleiben. Und falls es zu viele sind, modifiziere ich das Gedächtnis deiner Arbeitgeber und bewirke, daß sie davon ausgehen, daß du von einer anderen Firma abgeworben wurdest und zieh mit dir nach Millemerveilles um. Dahin kommen sie jetzt nicht mehr."

"Schön nur, daß deine Leute Millemerveilles mit diesem Zauber belegt haben, der die ach so ignoranten Muggel draußen halten soll."

"Was uns im Sommer nicht daran gehindert hat, einige interessante Tage dort zu verbringen, zusammen mit Martha und den Eheleuten Hellersdorf, die auch nicht zaubern können", widerlegte Catherine den Einwand ihres Mannes. "Ich brauche Eleonore und Maman nur zu sagen, daß ich will, daß du dort leben kannst, und sie werden dafür sorgen, daß immer genug von dem Abwehrbann-Hemmtrank vorrätig ist."

"Toll, wo deine Mutter und andre Dörfler mich total bescheuert anglotzen, wenn ich meinen Laptop oder mein Mobiltelefon raushole, als würde ich splitternackt auf deren Hauptplatz stehen und mit eigenem Wasser deren Blumen gießen", knurrte Joe. "Oder findest du, ich sollte wieder im Mittelalter leben und vergessen, was ich gelernt habe? Wovon sollen wir bitte schön leben, wenn ich meinen Job aufgeben muß, ey?"

"Du könntest interessierten Bewohnern Englischstunden geben, über die nichtmagische Welt referieren und denen, die merken, daß sie gut rechnen können müssen mathematische Tricks beibringen, die in Beauxbatons nur selten gebraucht wurden. Julius hat einmal über Überschallflugzeuge gesprochen und denen erklärt, wie grausam Atombomben sind. Eleonore unterhält sich häufig mit Martha über die beiden Welten. Immerhin kommt sie ja häufig zum Schach herüber. Und ich hatte auch nicht den Eindruck, daß du bei Hippolytes Eltern und Verwandten wirklich schlecht angekommen bist. Das war nur am ersten Tag, weil du meintest, alles miesreden zu müssen."

"Ja, und dann überkam mich dieser Wunsch, mit dir richtig doll Liebe zu machen, und das Ergebnis davon liegt da im Kinderbett", erwiderte Joe.

"Was nur zeigt, daß wir beide noch jung genug sind für was neues", bog Catherine diese Bemerkung zurecht. Dann küßte sie Joe inbrünstig.

"Und was ist mit Martha und Julius, wenn wir umziehen sollten? Denkst du, Martha möchte ihren Job aufgeben, auch wenn sie jetzt für euch arbeitet?" Fragte Joe nach einer halben Minute.

"Ich denke, sie ist da nicht so stur wie du, Joe. abgesehen davon hat Martha mir genau das erzählt, daß Eleonore Delamontagne ihr angeboten hat, für den Dorfrat von Millemerveilles zu arbeiten, falls wir in Paris nicht mehr frei atmen können. Außerdem funktionieren Computer und Mobiltelefone, wie du selbst ausprobiert hast. Es wäre also kein Rückschritt ins Mittelalter, wie du behauptest."

"Nur, daß die Strom brauchen, Catherine. Dann sind die Akkus irgendwann leer und nichts geht mehr", knurrte Joe. "Dann war es das mit der fortschrittlichen Technik."

Catherine wußte darauf erst einmal keine Antwort. Sie blickte aus dem Fenster in die Nacht hinaus. Es waren keine Dementoren mehr im Anmarsch. So sagte sie beruhigt: "Die bösen Monster sind weg, Joe. Wir können jetzt schlafen."

"Und wenn das ganz kleine Monster da die Windeln voll hat werden wir geweckt", knurrte Joe.

"Na, du hast kein Monster erschaffen. Du bist nicht dieser Frankenberg oder wie dieser Stümper hieß."

"-stein, Catherine. Franken-stein", berichtigte ihr Mann sie. Als er im dämmerlicht der straßenlaterne ihr mädchenhaftes Lächeln sah erkannte er, daß sie ihn gefoppt hatte. Sie hatte ihn wieder erwischt, diese kleine, schwarzhaarige, saphiräugige Hexe, der er sein Leben und die Mutterschaft seiner Kinder gewidmet hatte. Sie schloß das Fenster und zog den Vorhang zu. Sie wußte jetzt, daß der Schutzzauber wirklich so viele Dementoren auf einmal abhielt. Claudine quängelte ein wenig. Catherine trat zu ihr und sang ihr ganz leise eine englische Popballade, die Joe erst amüsierte, dann irgendwie wohlig anregte. Doch heute war nicht so eine Nacht, befand er. Solange Claudine nicht in einem eigenen Zimmer schlief, sollten er und Catherine besser nicht so schnell die Jugend ihrer doch schon langen Ehe erforschen. Claudine schlief ein. Catherine ging zu Bett und winkte ihrem Mann, sich neben sie zu legen. Händchenhaltend lagen beide noch eine Weile wach. Einmal hörte Catherine, wie in der Wohnung über ihr die gemalte Viviane mit Martha sprach und wie Julius' Mutter dann ebenfalls zu Bett ging.

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"Arrrrrriba!!" Trällerte der Anführer der wandernden Mariachis über Julius' Kopf, daß der Jungzauberer vor Schreck fast unter den Betthimmel aufschoss. Sofort setzten die Trompeter und Fidler mit einem schnellen Stück an. Julius wandte sich den gemalten Mexikanern in ihren bunten Kostümen mit den obligatorischen Sombreros zu. Der Zugführer winkte ihm zu und rief: Buenos Días muchachito! Quisiste estar despertado Señora Viviana dijó!"

"Häh?!" Entfuhr es Julius. Dann kam sein Verstand auf Touren. Der Mexikaner hatte "Viviana" gesagt. Also mochte das heißen, daß sie von Viviane beauftragt worden waren, ihn zu wecken. So antwortete er nach zwei Sekunden: "Öhm, Sí gracias Señores!"

"De nada, muchachito", erwiderte der Zugführer und ließ seine Leute weiterspielen, bis das Stück beendet war. Dann, oh wunder, zogen die Mexikaner völlig leise aus dem Bild Auroras ab, ohne in den anderen Bildern außerhalb der Vorhänge weiterzumusizieren. Das hatte es bisher nur wenige Male gegeben, daß diese Wanderkapelle die anderen schlafen ließ. Julius fragte sich, warum diese SombreroCombo noch kein einziges Wort Französisch gelernt hatte, wo sie schon so lange bei Millies Cousinen wohnte. Mit dem winzigen Rest Spanisch, den er von seinem Urlaub übrigbehalten hatte konnte er den Mexikanern keine Anweisungen geben. Aber was sollte es? Dann fiel ihm wieder ein, daß diese Nacht ein Dementorenangriff stattgefunden hatte und erschreckte ihn erneut.

"Jetzt hast du mich schon wieder wachgemacht", gedankenquängelte Millie. Hast du jetzt schlecht geträumt?"

"Ich habe nur dran gedacht, was jetzt in der Welt los ist, weil die Dementoren angegriffen haben. Ich hoffe, du konntest gut schlafen", schickte Julius mit dem Herzanhänger zurück.

"Ging soo, Julius. Habe noch den Schmetterling zu Ma und Pa geschickt. Die sind echt im Château. Wie geht's Martha?"

"Muß fragen", schickte Julius zurück und blickte auf das Portrait Aurora Dawns. Die eigentliche Bewohnerin kam gerade von irgendwoher zurück.

"Dann haben dich diese Rundhüte echt geweckt?" Fragte sie lächelnd.

"Wie bestellt, Aurora. Guten Morgen oder wie die da sagen, wo du gerade herkommst."

"Kam von meinen Eltern rüber. Ich hörte was von einer Dementorenarmee, die Frankreich zu überrollen versucht hat."

"Wenn sie es nur versucht hat ist gut", atmete Julius auf. "Ich wollte Magistra Eauvive fragen, ob es meiner Mutter gut geht."

"Ja, geht es. Sie hat mich kurz vor meiner Reise nach Australien noch leise informiert, als du schliefst. Der Spuk um euer Haus war nach fünf Minuten vorbei. Catherine hat ihren Patronus gerufen. Sonst wären die da wohl nicht vor dem Morgenrot abgezogen oder hätten sogar den ganzen Tag verdunkelt."

"Oha, der Patronus. Den können Muggel glaube ich sehen."

"Ja, aber die vom Ministerium sind darauf vorbereitet, mehrere Gedächtnisveränderungen durchzuführen, hat Viviane erwähnt. Aber wenn die jetzt wirklich immer wieder kommen und durch Frankreich stromern wird's ziemlich gefährlich."

"Vor allem leidet dann das Zaubereiministerium darunter, daß diese Wesen Leute heimsuchen", stellte Julius fest.

"Müssen wohl sehr viele gewesen sein, wo einer allein schon einer zuviel ist", seufzte Aurora Dawns Bild-Ich. Julius nickte. Dann blickte er auf seine Uhr und befand, daß er sich jetzt fertig für eine Runde Frühsport machen wollte.

Um kurz nach sechs traf er Millie unten beim Stadion zusammen mit Patricia, Callie und Pennie.

"Die drei wissen noch nichts davon, Julius", flüsterte Millie. "Ich wollte uns nicht den Tag verderben."

"Verstehe", erwiderte Julius leise. Immerhin wollten die Roten heute gegen die Violetten gewinnen. Allerdings, wenn Laertis Brochet wieder deren Sucher war bekämen die Violetten wohl die Schnatzfangpunkte. Der Gedanke amüsierte Julius.

"Woran denkst du, Süßer?" Fragte Millie.

"Das die Violetten wohl den Schnatz fangen, egal wie viele Tore ihr denen reinhaut."

"Ach ja? Dann freu dich auf die Partie, Julius!" Erwiderte seine Frau und trieb ihn an, hinter den beiden superstarken Zweitklässlerinnen herzulaufen.

"Immer in Form bleiben, Julius. Du willst ja schließlich gegen die gelbe Gurkentruppe gewinnen. Außerdem sind ja bald schon wieder Weihnachtsferien." Das Letzte Wort sprach sie mit einer derartig verheißungsvoll klingenden Betonung, daß Julius nicht nachzufragen brauchte, was dann von ihm erwartet wurde. Wenn er ehrlich zu sich selbst war wolte er das auch. Wer hatte da behauptet, daß Arbeit und Vergnügen zwei getrennte Dinge seien?

Millies Wunsch respektierend sagte er nichts über den Dementorenangriff. Womöglich würden sie alle das aus der Zeitung erfahren. Das würde dem Wort Morgengrauen eine neue Bedeutung verleihen. Er hoffte nur, daß außer seiner Mutter, den Brickstons und den Latierres auch alle anderen mit dem reinen Schrecken davongekommen waren. So verebbte die leichte Erheiterung über den Gedanken an das Morgengrauen wieder. Nach außen hin ließ er sich jedoch nicht anmerken, daß er bereits etwas wußte, was den anderen Angst machen konnte.

Auch als er die Weckrunde durch die Schlafsäle machte behielt er die Routine der letzten Wochen. Die Siebtklässler fragten ihn jedoch, ob er über seine Bilderbrücke schon mehr wüßte.

"Die konnten mir nur sagen, daß meiner Mutter und meinen Schwiegereltern nichts passiert sei", sagte Julius darauf.

"Klar, und meine Eltern, mein kleiner Bruder und meine Oma?" Schnarrte Hubert Dubois. "Ich habe kein Auge zugekriegt, weil ich immer diese düsteren Kerle in ihren Umhängen gesehen habe." Das hätte uns die alte Eauvive echt ersparen können, wenn wir eh nix dagegen tun konnten, Mensch!"

"Ist etwas dumm gelaufen, Hubert. Aber ich gehe davon aus, daß wir das heute in der zeitung lesen können, was passiert ist", sagte Julius.

"Klar, wenn die das ganze Ministerium aufgemischt haben", knurrte Hubert. Giscard schrittt ein:

"Hubert, Julius kann nichts dafür, daß Dementoren in Frankreich eingedrungen sind. Er kann auch nichts dafür, daß wir hier nichts gegen sie ausrichten können. Mach ihm bloß nicht zum Vorwurf, daß Magistra Eauvive uns das mitgeteilt hat."

"Langsam glaube ich, der Sabberhexerich Hercules hatte recht, daß Julius mehr erlaubt und zugemutet wird als dem Rest von uns", knurrte Hubert.

"Na, sprich nicht so über wen, der nicht mehr da ist und sich nicht wehren kann, Hubert!" Sagte Giscard, während Julius ruhig danebenstand und überlegte, was er Hubert jetzt antworten sollte, das weder zu lässig noch verärgert rüberkam.

"Wieso kriegt der dann bitte schön alle brandheißen Neuigkeiten, während wir auf die Zeitung warten müssen, Giscard?" Wollte Hubert wissen.

"Jetzt übertreib mal nicht", sagte Giscard. "Alle brandheißen Neuigkeiten wird Julius wohl auch nicht kriegen. Da wird Professeur Faucon schon was gegen haben. Gut, daß heute Samstag ist und kein Unterricht."

"Stimmt, ich kriege längst nicht alles serviert, was wichtig sein könnte", pflichtete Julius Giscard bei. "Und was die Infos angeht, Hubert, brauchst du dir nur das Bild von Leuten ins Zimmer zu hängen, die anderswo ein Portrait von sich haben. Dann kommst du auch an brandheiße Neuigkeiten dran. Auch wenn's jetzt wie'n Rückzug aussieht, Leute, ich muß die Runde zu Ende bringen. Bis dann!" Julius war froh, sich auf etwas wichtiges herausreden zu können. So zog er weiter, wobei er seine übliche Morgenschau veranstaltete, wenn er Weckdienst machte.

Im Speisesaal war die Stimmung wie vor jedem Quidditchspiel zwischen erwartungsvoll, zufrieden und verächtlich. Die Violetten hielten ein Spruchband hoch, auf dem in tanzenden Buchstaben Stand: "die Besten Jäger auf dem Platz haben die Roten. Doch ihr fangt nie einen Schnatz, ihr Idioten."

"Einrollen!" Bellte Madame Maxime, die gerade in den Speisesaal kam und deutete auf das Spruchband. Golbasto Collis, der dieses Jahr sein letztes Jahr in Beauxbatons verbrachte, winkte mit dem Zauberstab und ließ das Band in einem Augenblick zu einer handlichen Rolle zusammenwirbeln.

"Wenn die Heidenreich den Brochet wieder bringt gehen die gegen Collis' Club eh baden", grinste Robert Deloire. Julius fand es erfrischend, daß sie im Moment nur Quidditch im Kopf hatten. Doch was passierte, wenn die ersten Morgenzeitungen ankamen?

"Die wird den Brochet nicht mehr suchen lassen, Robert. Wo sie wegen dem die letzte Saison vermasselt haben", warf Gaston Perignon ein. "Ist doch logisch, Julius."

"Rein logisch hätte sie Brochet schon drei Spiele vor dem gegen uns nicht mehr bringen dürfen, Gaston", sagte Julius dazu. "Aber ich hörte was läuten, daß Brochet diese Saison nicht mehr sucht."

"Hat deine heiße Quelle vielleicht behauptet, ihre Tante Patricia würde suchen?" Fragte Robert amüsiert. Julius überlegte und kam zu dem Schluß, daß das durchaus passen mochte, so geheimnisvoll wie Millie getan hatte.

"Gesagt hat sie es nicht, aber möglich ist es", sprach er es dann aus. Das schlug gut ein. Robert murrte dann was, daß der Latierre-Clan dann gleich die ganze Mannschaft übernehmen könne. Julius grinste und erwiderte, daß das in zwölf Jahren bestimmt passieren mochte, wenn alle Kinder im roten Saal landeten, die im Frühling geboren worden waren.

"Dann sollte ich zusehen, daß Céline erst in achtzehn Jahren mein erstes Kind kriegt", stöhnte Robert. Gérard meinte dazu:

"Als wenn die wartet, bis ihre Nichte aus Beaux raus ist, bevor sie ihr den passenden Cousin ausbrütet, Robert. Und wenn du ihn nicht bei ihr reintust macht's wer anderes."

"Ey, suchst du Streit, Mann? Sag jetzt bloß nicht, du hättest auch Sabberhexenblut im Leib, ey!"

"Ich hoffe mal nicht", knurrte Gérard. "Dann müßten die meine Mutter ja feuern, und wir würden verhungern, weil Sabberhexen nicht in Beauxbatons unterrichten dürfen, wegen der vielen unschuldigen Burschen hier."

"Ihr habt echt Sorgen", erwiderte Julius. Er wußte ja, daß die faustdicke Überraschung schon bald auf sie alle herabsausen würde wie das Fallbeil einer Guillotine.

"Also, wenn deine Schwiegertante Pattie Nixfänger Brochet ablöst und die echt diesen Doppelachser gelernt haben können wir die Saison wohl abschreiben", murrte Gérard Julius zugewandt.

"Interessant, wie schnell aus einer Vermutung eine sichere Annahme wird", meinte Julius nur darauf.

"Dann hat sie es dir echt so erzählt?" Wollte Gérard wissen. Julius schüttelte den Kopf. Robert verzog das Gesicht, sagte aber nichts. Nachher waren sie alle noch von Millie verschaukelt worden, und Brochet war doch wieder Sucher.

Das Frühstück verlief wie sonst auch. Dann kam das Posteulengeschwader. Julius rechnete auch damit, daß die Dusoleils ihm eine Antwort auf seinen Brief schickten. Er fühlte keine Reue mehr und eher eine Beruhigung als Trübsal. Claire war nicht wirklich tot. Sie war nur in eine andere Daseinsform übergegangen, wie eine Kaulquappe zu einem Frosch oder eine Raupe zu einem Schmetterling wurde. Tatsächlich trudelten drei Posteulen ein, die ihm was mitbrachten. Eine beförderte die Morgenzeitung. Die zweite brachte einen Brief von Camille Dusoleil. Die Dritte brachte einen Brief von Jeanne Dusoleil. Diese beiden Schreiben steckte er schnell fort und widmete sich der Zeitung, deren Mehrlingsgeschwister wohl gerade für einen jähen Stimmungsabfall sorgten. Auf der Titelseite stand in fingerlangen Lettern:

INVASIONSVERSUCH VON IRLAND UND BRITANNIEN


DIVISION VON DEMENTOREN DRINGEN INS LAND VOR


FRANKREICH KNAPP DEM UNTERGANG ENTRONNEN


MINISTER GRANDCHAPEAU IN DER KRISE

"Was schreiben die da?" Erschrak Robert, der auch eine Zeitung erhalten hatte. "Das kann doch nicht angehen. Ich dachte, Minister Grandchapeau hätte was gegen diese Ungeheuer gemacht."

"Lies den Artikel!" Schlug Julius vor. Er wollte mit gutem Beispiel vorangehen. Doch Madame Maxime hatte sich schon erhoben und forderte lautstark "Ruhe bitte!" Beklemmendes Schweigen breitete sich aus. Dann sprach die Schulleiterin:

"Mesdames, Mesdemoiselles et Messieurs, ich bin wie Sie alle hier erschüttert von dieser Zeitungsmeldung. Um sicherzustellen, daß alle, auch die, die kein Exemplar des Miroir Magique beziehen, den Wortlaut des betreffenden Artikels erfahren, verlese ich diesen für Sie alle." Dann begann sie den Aufmacher dieser Ausgabe laut vorzulesen. "In den späten Abendstunden des vergangenen Freitags, wo bereits viele rechtschaffene Hexen und Zauberer zur wohlverdienten Nachtruhe liegen mochten, drangen von allen Küstenstreifen unseres Landes mehr als eintausend Dementoren in unser großes Land ein und überfielen Calais, Paris, Nizza, Avignon, Lyon, Marseille und St. Tropez. Auch in kleineren Ortschaften wurden diese Furcht und Dunkelheit verbreitenden Geschöpfe gesichtet. Sie glitten durch die großen Straßen wie durch schmale Gassen, breiteten ihre weithin gefürchtete Dunkelheit und Kälte aus und erzeugten unter den Muggeln eine lähmende Unruhe bishin zu einer Panik. Denn die Muggel, die in den Einfluß dieser übermächtigen Streitmacht gerieten, konnten nicht wissen, wie ihnen geschah. Nach einer bisher weder bestätigten noch widerlegten Annahme aus Kreisen des Ministeriums für Zauberei kam es bei dem großangelegten Überfall zu mehreren nachhaltigen Zusammenstößen zwischen Dementoren und Muggeln, in deren Folge mutmaßlich einhundert Muggel von den Ungeheuern geküßt und somit ihrer Seelen beraubt wurden. Besonders in den Städten Paris und Marseille liefen mindestens fünfhundert dieser Wesen Amok und versuchten, über arglose Passanten herzufallen. Das es nicht zu tausenden von seelenlosen Muggeln kam kann nur als Wunder bezeichnet werden. Denn die eigentlich zur Abwehr einer derartigen Bedrohung abkommandierten Ministerialbeamten waren angesichts der überwältigenden Zahl von Angreifern so gut wie hilflos. Das begann schon damit, daß Minister Grandchapeaus Sicherheitszauberer nicht auf einen Einfall vom Mittelmeer her vorbereitet waren. Hinzu kam die Breite der Atlantikküste, sowie mehrere Wellen über den Kanal vorstoßender Dementoren, die die auf sie wartenden Desumbrateure förmlich überrannten. Mindestens zehn Zauberer und zwei Hexen verloren dabei ihre Seele oder auch ihr Leben. Als endlich eine geordnete Gegenwehr aufkeimte, gingen die Eindringlinge bereits zum Angriff auf die größeren Ansiedlungen über. Eine Umgruppierung der Ministerialzauberer dauerte beinahe eine halbe Stunde. In dieser Zeit riskierten beherzte Hexen und Zauberer aus den betroffenen Orten eine mutige Abwehrschlacht und konnten die Ausgeburten der Finsternis von weiteren Muggel-Entseelungen abhalten. Zu erwähnen seien hier Arminius Chevallier aus Millemerveilles und Odette Dubois aus Avignon, sowie ihr Ehemann Argo, ebenso wie Mitglieder der Liga gegen die dunklen Künste, wie die ehrenwerte Austère Tourrecandide und Phoebus Delamontagne. Auch konnte ein Pulk Dementoren erfolgreich vertrieben werden, daß in Paris mehrere Minuten lang eine kleine Straße von den Hauptverkehrswegen abschnitt. Augenzeugen wollen eine silberne Löwin gesehen haben, die die Ungeheuer erfolgreich zurücktrieb. Die Rue de Camouflage in Paris zählte zu den Brennpunkten des Sturmlaufs auf Paris. Hier dauerte die Abwehrschlacht knapp dreißig Minuten an. Glücklicherweise waren die Dementoren nicht darauf aus, in Häuser und Wohnungen einzudringen. Die Katastrophe wäre ungleich größer ausgeartet. So gelang es den nach dem Schock des schnellen Vorstoßes wiederversammelten Desumbrateuren, die übermächtige Streitmacht im zähen Ringen zurückzuwerfen. Doch uns allen dürfte mit diesem nächtlichen Überfall klar sein, daß unser Land an einem tiefen Abgrund steht. Haben wir vor drei Wochen noch verkündet, daß Minister Grandchapeau der von Großbritannien ausgehenden Bedrohung Herr ist, so müssen er und seine Sicherheitsbeamten sich jetzt die besorgte Frage gefallen lassen, ob ihnen klar ist, mit welcher Macht sie es da zu tun haben und wie sie einen neuerlichen Angriff besser abwehren können. Wir vom Miroir Magique raten nur jedem anständigen Mitglied der Zauberergemeinschaft dazu, sich vor allem nachts mit wirksamen Schutzzaubern zu umgeben und die Sicherheit seiner oder ihrer vier Wände nicht mehr vor dem Morgenrot zu verlassen. Außerdem wird sich der amtierende Zaubereiminister heute noch einer Befragung stellen, ob und wie der Angriff hätte verhindert werden können und ob wir alle in Zukunft damit zu rechnen haben, daß diese dämonischen Geschöpfe uns jederzeit heimsuchen können. Auch ist bis jetzt nicht eindeutig sicher, daß wirklich alle Invasoren zurückgeschlagen werden konnten. Daher bleiben Sie auf der Hut. Sobald Dunkelheit und Kälte über Sie hereinbrechen, und Sie eine verhüllte Gestalt sehen, die auf sie zugleitet, disapparieren Sie, solange sie noch können, egal wo sie hin wollten!" Madame Maxime blätterte um, um die Fortsetzung zu lesen. "Kurz nach dem Großangriff der Dementoren wurden mehrere Dutzend Vergissmichs in Marsch gesetzt, die eine großangelegte Gedächtnismodifikation vornehmen sollten, wie sie es um die Ostertage herum bereits tun mußten. Für die ihrer Seelen beraubten Muggel, Hexen und Zauberer kann nichts mehr getan werden. Auf die Frage, ob diese Muggel als plötzlich erkrankt oder lebendige Tote eingestuft werden, wurde dem Miroir Magique bis zu dieser Stunde jede Auskunft verweigert. Offenbar ist man im Ministerium selbst schockiert und gelähmt im Angesicht des wahr gewordenen Alptraums. Ein auf Anonymität bestehender Informant aus der Abteilung für magische Strafverfolgung wies auf ein an das Ministerium ergangenes Ultimatum hin. Ziel dieser Drohung sei es, das Ministerium dazu zu bringen, im Land lebende Hexen und Zauberer aus dem Ausland zu registrieren und sie in ihre Herkunftsländer abzuschieben. Besonders ginge es um Hexen und Zauberer aus dem britischen Hoheitsgebiet. Eine Liste mit Namen soll auch dabei sein, so unser Informant. Allerdings würde diese getrennt von der Drohschrift aufbewahrt. Monsieur Belenus Chevallier, der Leiter besagter Abteilung, verweigerte auf die Frage nach der Echtheit dieser Information jede Stellungnahme und betonte, daß er mit Verbrechern keine Geschäfte machen würde. So müssen wir wohl weiterbangen, ob der nicht erklärte Krieg, den die Entsender der Dementoren gegen uns führen, rasch und für uns erfolgreich beendet werden kann oder wir einem Winter des Horrors entgegensehen müssen. Näheres zu den Dementoren entnehmen Sie bitte dem Artikel: "Wächter und Vollstrecker, Dementoren, die Diener der dunklen Seite, den wir bereits in unserer Osterausgabe brachten."

"Verdammt, die haben nicht erwähnt, was aus den Leuten geworden ist, die gegen diese Brut gekämpft haben!" Rief Hubert Dubois durch den Speisesaal. Madame Maxime klatschte in ihre Hände und stellte damit wieder absolute Ruhe her.

"Ich verlese gleich eine Liste der im Einsatz für uns alle geschädigten Hexen und Zauberer, von denen ich weiß, daß einige von Ihnen hier mit ihnen verwandt sind, um Sie zu informieren und auf mögliche unangenehme Tage vorzubereiten, so ungern ich das tue. Wessen Name nicht auf der Liste steht ist auch kein Opfer. So bedrückend es ist, mit dieser Art von Angriff konnten wir nicht rechnen. Aber wie damals zur Osterzeit, wo sich bereits mehrere Angriffe ereigneten, versichere ich Ihnen allen, daß Sie hier in Beauxbatons selbst so sicher sein können, wie es durch Magie überhaupt möglich gemacht werden kann. Teilen Sie Ihren Familien bitte mit, daß Sie sich keine Sorgen um Sie zu machen brauchen, falls es geboten sein sollte, schnell zu flüchten und einige Zeit fortzubleiben. Wir hier in Beauxbatons können für Ihre Sicherheit garantieren."

"Dann lesen Sie die verdammte Liste vor!" Schimpfte Golbasto Collis vom violetten Tisch her.

Madame Maxime tat es. Julius erfaßte bei jedem Namen das greifbare Grauen. Sieben Schüler hatten Angehörige zu beklagen, als dann noch ein Parvo Collis aus Lyon erwähnt wurde, sank der ohnehin schon kleinwüchsige Golbasto fast unter dem Tisch. "Mein großer Bruder ist ... tot!" Rief er. Madame Maxime beendete die Verlesung der Liste. Julius erkannte nun, um wie viel schrecklicher eine schlimme Nachricht wurde, wenn sie mit Namen und Personen verbunden wurde. Wie oft hatte er im Fernsehen von Kriegen, Anschlägen, Unfällen oder Verbrechen hören müssen. Doch das war ihm irgendwann nicht mehr so unheimlich vorgekommen. Irgendwann hatte er das ganze wie eine Reihe von bedauerlichen Ereignissen ohne weitere Bedeutung aufgenommen. Hier und jetzt mitzubekommen, wie bei einem Überfall jemand aus der Familie eines Mitschülers verstorben oder zumindest seines eigenen Lebens beraubt war, wirkte in ihm nach. Er fühlte beinahe diese tiefe Wehmut, die er nach Claires Körperlichem Ableben empfunden hatte. Für Golbasto war der Tag, vielleicht sogar die ganze Woche gelaufen. Würde er unter den Umständen Quidditch spielen? Einer aus dem gelben Saal fragte schüchtern, wie die Dementoren über das Mittelmeer hatten kommen können, wo die britischen Inseln doch in der Nordsee lägen. Madame Maxime konnte nur vermuten, daß dieser Teil der Angriffsmacht einen großen Bogen über Osteuropa hinunter nach Griechenland und Jugoslawien gemacht habe. Auf die Frage eines Drittklässlers der Violetten, ob Dementoren apparieren könnten erwiderte Professeur Faucon:

"Diese Kunst beherrschen sie zu unser aller Glück nicht. Jedoch können sie sehr schnell bis in einer Höhe von zweihundert Metern dahinfliegen, solange es dunkel ist, um die eigene Dunkelheitsaura zurücknehmen zu können. Denn wenn sie fliegen, brauchen sie ihre Kraft für den Flug. Um so schlimmer wirken sie, wenn sie länger über den Boden gleiten und dabei Kraft aus dem Glück und der Fröhlichkeit anderer Wesen saugen können."

"Na toll, glück und Fröhlichkeit", ereiferte sich Golbasto. "Nur die, denen sie dann einen Besuch abgestattet haben sind dann nicht mehr so fröhlich, wie?"

"Da muß ich Ihnen wohl bedauerlicherweise zustimmen", pflichtete Professeur Faucon dem Saalsprecher der Violetten bei.

"Die können nur nachts angreifen wie Vampire?" Fragte Pierre Marceau leicht beklommen.

"Für derartige Übergriffe muß es dunkel genug sein", sagte Madame Maxime darauf. "Sie verbreiten eine weite Aura aus Dunkelheit und Kälte. Diese wird nur vom Sonnenlicht stark genug durchdrungen, daß sie dabei Kraft aufwenden müssen, um sie stark genug auszuprägen. Daher gelangen diese Wesen nicht in tropische Breiten und meiden jede offene Ebene, in der tagsüber viel Sonnenlicht auftrifft."

"Ach, in der Sahara ist man dann vor denen sicher?" Fragte Pierre nun etwas unbekümmerter. Golbasto schoss von seinem Stuhl hoch und ballte die Faust.

"Für dich ist das wohl nur eine spannende Geschichte, wie? Aber mein Bruder wurde von diesen Monstern erwischt, weil Grandchapeau zu blöd war, genug Leute an den Stränden hinzustellen oder die da standen nix gescheites konnten, außer sich diesen Kreaturen als Futter anzubieten."

"Ey, zu denen, die du meinst gehört auch dein Bruder und eine meiner Tanten", fauchte Laertis Brochet. "Die konnte was. Stell du dich mal hundert Dementoren gleichzeitig in den Weg, Winzling!"

"Hallo, Monsieur Brochet und Monsieur Collis, ich verbitte mir jede Auseinandersetzung. Und was Monsieur Marceau angeht, so erachte ich seine Frage nicht als Beleidigung, sondern als Interesse", schritt Madame Maxime ein. "Ja, Monsieur Marceau, Dementoren dringen nicht in Wüstengebiete oder tropische Gefilde ein. Allerdings werden wir dieser Kreaturen wegen niemandem empfehlen, in die Wüste auszuweichen."

"Noch mal Entschuldigung an die, die sich wegen mir blöd angequatscht fühlen. Aber kann die Sonne die umbringen?" Wollte Pierre wissen.

"Sie schwächt sie sehr stark", beantwortete Professeur Faucon die Frage und sagte dann noch: "Am besten schlage ich vor, daß alle jüngeren Schüler ihre Saalsprecher fragen, was diese über Dementoren wissen. Sicher können wir dadurch jede reine Sensationssucht ausschließen und alle die neue Situation mit dem gebotenen Ernst betrachten."

"Ich soll den Kleinen erzählen, was Dementoren sind, wenn ich immer dran denken muß, daß die meinen Bruder ...", stieß Golbasto Collis aus und vergrub sein Gesicht in den Händen.

"Ey, krieg dich wieder ein, sonst fällst du nachher noch vom Besen", spottete einer der Blauen.

"Du miese Ratte!" Schimpfte Golbasto unter Tränen. "Findest das wohl auch noch lustig, wie?" Dann fiel ihm etwas ein: "Auf keinen Fall werde ich heute so tun, als wenn nichts wäre. Ich spiele heute nicht Quidditch. Und wenn hier nur einer aus den Mannschaften einen Funken Anstand im Leib hat, dann verzichtet jeder hier auf das Spiel heute."

"Wie, das könnt ihr nicht bringen!" Rief einer der Violetten aus den unteren Klassen. Auch die Roten sahen sich perplex um, was ihre Saalvorsteherin wohl sagen mochte. Dann sprangen Golbasto alle Mannschaftskameraden bei und verkündeten, heute und in der nächsten Woche nicht zu spielen. Brunhilde stand auf und sagte:

"Ich muß die Haltung unserer heutigen Gegner respektieren und erkläre daher, daß wir die Begegnung auf einen späteren Zeitpunkt verlegen. Wir möchten nicht von der Trauer wichtiger Mannschaftsmitglieder profitieren oder den Eindruck erwecken, uns beträfe diese Angelegenheit nicht. Immerhin gab es in der Mannschaft des roten Saales ja auch einen, der einen Angehörigen zu betrauern hat. Diese Art von Lebensende wünscht man seinem schlimmsten Feind nicht. Daher verzichten wir auch auf die Partie heute." Betretenes Schweigen breitete sich aus. Die tolle Stimmung vor dem Frühstück schien lange Jahre her zu sein. Alle blickten sich mitfühlend oder traurig an. Die Siebtklässler am grünen Tisch blickten auf Julius Latierre. Robert fragte ihn deshalb, ob er das womöglich schon vorher gewußt hatte. Er nickte und erklärte sofort, Madame Maximes offizielle Bekanntmachung abwarten zu wollen.

"Und dann stehst du auf, als wenn nichts gewesen wäre? Die waren in der Rue de Camouflage, Julius. Da wohnen viele von unseren Familien", warf Robert ein. Julius nickte und stieß aus:

"Ich habe diese Biester nicht gerufen, Robert. Denkst du, ich finde das toll, daß zehn anständige Hexen und Zauberer jetzt seelenlose Hüllen sind? Meine Mutter wurde fast von diesen Monstern in den Wahnsinn getrieben, als die vor einem Jahr den Sommerball von Millemerveilles gestürmt haben und wäre diese Nacht wohl auch von denen geküßt worden, wenn Madame Brickston nicht ihren Patronus gewirkt hätte. Also erspare dir und mir jeden sinnlosen Vorwurf! Ich konnte nix machen. Du konntest auch nix machen. Also ist es doch unwichtig, ob du es erst jetzt erfahren hast oder ich dich und die andren mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen hätte."

"Is' ja gut, Julius", versuchte Robert, die aufkommende Spannung zwischen ihm und Julius wieder abzubauen. "Das war jetzt nur, weil wir so ahnungslos Juppheidiheida zum Frühstück marschiert sind und anderswo Leute um verlorengegangene Verwandte trauern, ohne deren Körper begraben zu können. Es sei denn, Grandchapeau erklärt die Entseelten alle für tot."

"Ob er das sollte weiß ich nicht", sagte Julius darauf nur. "Und denke bitte auch an die ganzen Muggel, die jetzt mit total willenlosen Angehörigen auskommen. Die denken womöglich, die hätten einen Schlaganfall erlitten und lägen jetzt im tiefen Koma. Die trauern auch. Das sind auch Menschen mit Namen und Gesichtern, die lachen und weinen können, Robert. Und davon sind es womöglich hundert Stück. Und dann denke auch daran, daß in England wohl auch viele Hexen und Zauberer gerade jetzt um Angehörige trauern, weil der, der uns diese Höllenbrut auf den Hals gehetzt hat, ein unheilbar kranker Psychopath ist, der meint, die Welt nach seinem Willen umkrempeln zu müssen. Die können sich nicht ans Zaubereiministerium wenden", predigte Julius. Robert wollte schon ansetzen, aufzubegehren, als Gaston meinte:

"Bringt echt nichts, uns jetzt noch darüber zu zoffen, wer was wann mitgekriegt hat, Leute. Ich bin nur heilfroh, daß meine Eltern und Verwandten nichts abbekommen haben. Was die geküßten Muggel angeht, Julius, das stimmt wohl. Wir jammern über unsere Angehörigen und verdrehen den Muggeln durch Gedächtniszauber das Hirn, damit die nicht wissen, was genau passiert ist. Ist auch nicht gerade 'ne faire Sache."

"Hab's kapiert, Gaston", schnarrte Robert. "Solange dieser Kerl in Julius' Heimatland diese Monster rumkommandieren kann, kann der uns jede Nacht damit beharken."

"Die Frage ist, warum er das jetzt erst tut und nicht schon früher damit angefangen hat", murmelte Julius. Ihm ging nämlich durch den Kopf, wieso Voldemort und seine Marionette Thicknesse die große Streitmacht jetzt erst nach Frankreich geschickt hatten. War es wirklich dieses merkwürdige Ultimatum? Oder hatten die Dementoren wirklich nur eine Mission zu erfüllen, die vorbereitet werden mußte? Der Gedanke an mögliche Folgen dieses Angriffs, die über die entseelten Muggel hinausgingen, erschütterte ihn. Mochte es sein, daß Voldemort mit dieser versuchten Invasion mehr erreicht hatte als sie ahnten? Sicher, die Stimmung war jetzt gegen den Minister gerichtet, weil der sie alle in Sicherheit gewiegt hatte. Aber war das wirklich alles? Falls nicht, dann stand womöglich noch ein größerer Angriff bevor, ein Angriff, gegen den man sich nicht mehr wehren konnte. Er mußte unbedingt mit Professeur Faucon alleine sprechen, noch vor der Saalkonferenz. Da erscholl noch einmal Madame Maximes Stimme.

"Da sich herausgestellt hat, daß der Mittelmeerstrand wohl auch zum Einfallsgebiet der Dementoren gehörte, erkläre ich den Schulstrand von Beauxbatons ab heute für geschlossen. Ich werde nicht riskieren, Schülerinnen und Schüler einem unnötigen Risiko auszusetzen, sollten sich in der Nähe des Strandes noch Dementoren herumtreiben. In meiner Eigenschaft als amtierende Schulleiterin kann ich das vorzeitige Ende der Strandbesuchssaison beschließen, wenn ich durch Wetterlage oder andere Gefahren die Sicherheit dort als nicht mehr gegeben anerkennen muß. Bitte respektieren Sie diese, meine Entscheidung! Sie ist zu Ihrer aller Sicherheit."

"Toll, kein Quidditchspiel, kein Strand mehr. Was kommt noch?" wollte ein Spiler aus der Mannschaft der Blauen wissen.

"Ich habe noch nichts wegen Quidditch gesagt", schnarrte Madame Maxime. "Ich achte die Entscheidung von Kapitän Collis, wegen des Trauerfalls in der Familie nicht in eigener Person zu einem Spiel antreten zu wollen und respektiere die Solidarität seiner Mannschaft und lobe den sportlichen Verzicht der heutigen Opponenten aus dem roten Saal, auf das Spiel zu verzichten. Ob und wie weit das ganze Turnier dadurch ausfällt werde ich mit den Saalsprechern und den für die Saalbetreuung zuständigen Kollegen um zehn Uhr in der Saalsprecherkonferenz erörtern. Bis zum Ergebnis dieser Konferenz bitte ich Sie alle, Ruhe zu bewahren und sich weder in Streitigkeiten noch in Untergangsszenarien zu ergehen. Es ist jetzt halb neun. Um zehn Uhr bitte ich sämtliche Saalsprecher und ihre Stellvertreter um pünktliches Erscheinen in meinem Sprechzimmer. Vielen Dank!" Wieder raunte es laut im Speisesaal. Dann befanden alle, daß sie für diesen Morgen genug gehört und geredet hatten. Seltsamerweise war wegen der Grobheiten kein einziger Strafpunkt ausgesprochen worden. Offenbar verstanden die Lehrer, daß man damit keine Trauer niederhalten konnte. Zum Schluß bat Madame Maxime um eine Schweigeminute für alle Opfer des Dementorenangriffs. Die Minute dauerte wirklich eine Minute lang.

Nach der Schweigeminute bat Madame Maxime alle darum, gesittet ihre Säle aufzusuchen. Die Saalsprecher wies sie an, sich für anstehende Fragen zu den Dementoren bereitzuhalten und es so einzurichten, daß sie um zehn Uhr zur Konferenz antreten konnten. So ließ Julius die Briefe von Jeanne und Camille Dusoleil zunächst einmal in seinem magischen Brustbeutel, aus dem nur er sie herausholen konnte.

Tatsächlich wollten viele jüngere Schüler von Yvonne, Céline, Giscard und ihm alles über Dementoren hören, was sie wußten. Julius berichtete Pierre und den anderen, wie er, nicht älter als sie, als frischgebackener Hogwarts-Schüler auf der Fahrt dorthin mit dem ersten Dementor seines Lebens Bekanntschaft machte. Er berichtete von jenem Quidditchspiel, wo die draußen wachenden Dementoren auf das Spielfeld gerannt waren. Er schilderte, was er über diese Wesen gelernt und wie er den Patronus-Zauber erlernt hatte. Pierre fragte ihn, ob er ihm den beibringen könne. Julius verwies darauf, daß er dazu erst Professeur Faucon fragen müsse, weil noch nicht jeder Zauberschüler diesen mächtigen Zauber aufrufen könne. Céline rief einmal herüber, ob Julius den Mädchen seinen Patronus vorführen könne. Das wollten dann natürlich auch die Jungen sehen, und Julius stellte sich so, daß genug Platz im Raum war. Dann versuchte er an ein glückliches Ereignis außerhalb irgendeines Bettes zu denken und nahm den Moment, wo er den Haßdom gesprengt hatte und ihm dabei reine Zuversicht und Lebensfreude zugeflossen war. "Expecto Patronum!" rief er. Da brach sie aus seinem Zauberstab hervor, Temmie, die geflügelte Riesenkuh. Und hier, mitten im Gemeinschaftsraum, konnte sich das silberweiße Wesen richtig ausdehnen. Giscard und die anderen Jungen aus der Siebten Klasse staunten Bauklötze, als die geflügelte Temmie ein paar Schritte voraustrabte, verharrte und dann übergangslos verschwand.

"Das war Temmie, vollständig Artemis. Mildrid und ich bekamen sie von ihrer Tante Barbara zu unserer Hochzeit geschenkt. Sie verbindet Mildrid und mich und ist über dies stark, wendig und schön. Im Original ist sie schneeweiß. Daher kommt mein Patronus, den ich jetzt habe", erklärte Julius dem staunenden Publikum.

"Ey, könnt ihr Größeren alle so'n Riesenteil machen?" Fragte Pierre sichtlich beeindruckt. Giscard versuchte, seinen Patronus zu rufen, kam aber nicht über ein paar silberne Lichtwolken hinaus. Yvonne versuchte es und schaffte es, einen kleinen, flink flatternden Vogel zu rufen. "Ein Grünspecht, wie unser Familienname", erklärte Yvonne Pivert, als der Vogel-Patronus auf Antoine Lasalle zuflatterte und Anstalten machte, den Schnabel auf seinen Kopf niedersausen zu lassen, doch kurz davor verschwand.

"Hast noch mal Glück gehabt, Antoine. Spechte klopfen gern an hohlem Holz rum", feixte einer seiner Klassenkameraden.

"Wie überaus witzig. Was sollte das denn, Yvonne?" Knurrte Antoine, während die anderen sich amüsierten.

"Habe ich nicht so ganz raus, warum der das macht, Antoine. Aber Patroni können Menschen nichts antun."

"Weiß ich. Aber blöd hätte das echt ausgesehen, wenn mir dein Grünspecht-Patronus auf der Birne rumgetrommelt hätte."

"Hätte sich vor allem schon hohl angehört, wie ein großes Xylophonholz", stichelte Antoines Klassenkamerad.

"Keinen Zank, die Herrschaften!" Rief Giscard. Dann kamen sie alle noch einmal auf die Abwehr von Dementorengruppen. Julius meinte, daß ein Patronus mehrere Dutzend Dementoren verjagen könne, wie er es in Hogwarts und Millemerveilles erlebt hatte. So sprachen sie über eine Stunde von Dementoren, Patroni und die diesen zu Grunde liegenden Tiere. Hubert Dubois, dessen Familie nicht zu den Opfern gehörte, meinte dann:

"Schreibt euch das besser auf! Wenn Professeur Faucon sagt, ihr sollt das jetzt schon wissen, kommt die euch bald mit einer Hausaufgabe, alles zu beschreiben, was ihr jetzt gerade zu hören gekriegt habt."

"Könnte ihr glatt einfallen", pflichtete Antoine Lasalle dem älteren Mitschüler bei.

Kurz vor zehn schlossen die Saalsprecher die improvisierte Kursstunde. Pierre meinte dann: "Jetzt hab ich raus, daß die echt keinen Spaß machen, Leute. Hoffentlich ist das bei denen, deren Verwandte von diesen Dingern geküßt wurden, nicht echt blöd rübergekommen." Alle Anwesenden schüttelten die Köpfe. Gabrielle meinte nur schelmisch lächelnd:

"Hast ja noch ein paar Sachen frei, weil du Muggelstämmiger bist, Pierre."

"Möchtest du einen strammgedrehten Zopf, Gabie?" Fragte Pierre.

"Neh, will ich nich'", knurrte Gabrielle. Julius hörte nicht hin, er klaubte seine Schreibsachen zusammen. Die Saalsprecherkonferenz konnte heftig werden. Denn es waren ja in einer Woche viele Dinge Passiert, über die zu reden war.

Wie so oft zankten der König und die Königin im Zugangsbild. Gerade stand der kleinwüchsige Golbasto Collis mit wutverzerrtem Gesicht davor und hieb dem streitlustigen König vor den bildflachen Bauch. "Ich habe das Passwort gesagt, du bekronter Blödian. Also mach schon!"

"Erweise er uns den gebotenen Respekt und spreche er uns entsprechend an!" Entgegnete der König. Seine Gemahlin funkelte ihn von der Seite her an und zeterte:

"Ihr seid zerfressen von eurer Eifersucht. Nimmer trage ich ein sündhaft empfangenes Kind unter dem Herzen. Dies sagt Ihr doch nur, um Eure eigene Triebhaftigkeit zu verhüllen."

"Ich triebhaft. Was wollen diese da noch?" Stieß der König aus. Julius trat vor und sagte das Passwort: "Radices Mundi Eure Majestäten. Wir sind in Verzug und erbitten Durchlass."

"So sei es, um den lauschenden Pöbel zu entfernen", schnarrte der König. "Und Ihr, meine untreue Gattin, gebt gleich den Namen des lüsternen Burschen preis, dessen Leibesfrucht ihr empfangen habt!"

"Häh?! Seit wann können gemalte Weiber schwanger werden?" Lachte Brunhilde Heidenreich, die soeben um die Ecke kam.

"Überhaupt nicht, weil seine Majestät dann sämtliche jungen Hexen in der Galerie zu Müttern gemacht hätte", erwiderte Julius.

"Unverfroerener Bengel, wagt er es, uns zu beleidigen. So sei ihm der Zutritt verwehret."

Reicht mir Eure Hand, Junker Julius", strahlte die Königin ihn an. Normalerweise half sie den Saalsprecherinnen und weiblichen Besuchern durch das Bildertor. Doch Julius sah keinen Regelverstoß in der Ausnahme und gab der Königin die Hand, die ihn aufmunternd lächelnd ergriff, wobei er sie als dreidimensionale Gestalt sah und zog ihn mit einer Hand wie aus Fleisch und Blut an sich heran, daß er mit hoher geschwindigkeit in das Bild hineinflog. Er meinte noch, ein zartes Streicheln über die linke Wange zu verspüren und daß eine kräftige Männerhand versuchte, ihn am rechten Fuß zu packen. Doch der Sog der Transpictoralmagie, die ein Raumtor durch zwei Gemälde öffnete, war zu stark für den portraitierten König, der sich um seine Vergeltung geprellt sah. Julius flog durch einen bodenlosen Raum aus Farben und Geräuschen auf einen hellen Lichtpunkt zu und sauste über einer mit Herbstblumen bewachsenen Wiese hinweg aus dem Gegenstück des Eintrittsbildes heraus und fing sich auf dem Teppich im sechseckigen Empfangsraum ab. Er lief schnell weiter, weil er davon ausging, daß die anderen nachrückten. Im großen Salon und Konferenzraum Madame Maximes traf er bereits die kompletten Broschenträger der Blauen, Weißen und Gelben.

"Och, hat euch das bekloppte Königspaar durchgelassen?" Feixte Boris Binoche, der neue Saalsprecher der Blauen. So wie das aussah, wollten die gerne noch drei Stunden ungestört über der Königin runden Bauch streiten."

"Hast du dem König etwa eingeredet, seine Frau hätte von irgendwem ein Kind empfangen?" Wollte Giscard wissen.

"Das hat der so gedacht, als ich sagte, daß Ihre Majestät wohl gerundet aussähe und ich mich für sie freue."

"Klar, und der frißt sowas dann auch", knurrte Yvonne Pivert, die gerade hereinkam. Madame Maxime war wohl gerade nicht in den öffentlichen Räumen. Auch sollten ja sämtliche Saalvorsteher herkommen. Schließlich polterte es dumpf jenseits des hufeisenförmigen Korridors, und sie hörten die großen Füße Madame Maximes, die für ihre stattliche Statur ziemlich leise gehen konnte. Hinter ihr plumpsten mehrere andere größere Leute aus dem Zugangsbild heraus. Als die Schulleiterin die sechs Saalvorsteher hereinführte. Alle Saalsprecher standen auf und grüßten höflich. Madame Maxime nahm die Begrüßung huldvoll entgegen und gebot allen, sich hinzusetzen. Dann begann die Konferenz, bei der heute Sandrine Dumas das Protokoll führen sollte. Die vier Tagesordnungspunkte waren der Umgang mit Saalsprecherprivilegien, was wohl das offene Donnerwetter für Bernadette Lavalette verhieß, dann die Entlassung von Hercules Moulin und die Konsequenzen daraus. Als dritter Tagesordnungspunkt stand die zurückgeschlagene Invasion in Frankreich auf dem Programm und dann noch das Quidditchturnier, das heute hätte anfangen sollen. Der Saalsprecher der Blauen glubschte bei der Verlesung Brunhilde Heidenreich und Golbasto Collis an, die beiden Kapitäne der eigentlich heute antretenden Mannschaften. Bernadette straffte sich kampfbereit, um den ihr geltenden Entrüstungssturm hinzunehmen.

Professeur Fixus erhielt von Madame Maxime das Wort und erwähnte noch einmal alle bestehenden Saalsprecherprivilegien, zu denen es gehörte, daß überforderte oder bei ihren Hauptfächern in Leistungsrückstand zu geraten drohende Saalsprecher vor den ZAG-Prüfungen ein Wahlpflichtfach von sich aus beenden konnten. Allerdings habe dies dem zuständigen Saalvorsteher und dem Fachlehrer einen Tag vor der nächsten Fachstunde schriftlich mitgeteilt zu werden. Bernadette wurde noch einmal gefragt, was sie dazu bewogen habe, den Zaubertierkundeunterricht bei Professeur Pivert zu beenden und warum sie nicht die vorgeschriebene, fristgemäße Mitteilung eingereicht habe. Sie erläuterte dann trotzig, daß sie die schikanöse Art, wie Professeur Pivert seinen Unterricht führte, nicht mehr mit ihren Lernzielen vereinbaren könne und sich nicht zu einer Lauf- und Springhexe dressieren lassen wolle. Sie habe das Fach Magizoologie damals gewählt, um ein weiteres Praxisfach zu belegen, wo sie mit Studium der nichtmagischen Welt noch ein Theoriefach belegte. Dies sei auch zwei Jahre lang sehr gut gelaufen und hätte ihr sicherlich auch einen passablen ZAG eingebracht. Doch Piverts Unterrichtsstil sei nicht auf das Fach, sondern auf reine Körperkraft bezogen, auch wenn er immer das Gegenteil behaupte. Brunhilde Heidenreich konnte sich ein gewisses, überlegenes Grinsen nicht ganz verkneifen. Als Bernadette dann noch auf Julius deutete und behauptete, er sei wohl durch kraftfördernde Mittel übermäßig gestärkt worden, sah Madame Maxime den stellvertretenden Saalsprecher der Grünen auffordernd an und nickte ihm zu. "Welchen Übungen zur Körperertüchtigung unterwerfen Sie sich, Monsieur Latierre?"

"Zum einen habe ich schon sehr früh im Leben viel Sport gemacht und daher eine ungefähre Vorstellung, für wieviel Kraft ich wie gut trainieren muß. Ich habe Fußball gespielt, wo man viel Ausdauer braucht. Habe ein Jugendschwimmabzeichen erschwommen und die japanische Kampfkunst Karate bis zur Auszeichnung brauner Gürtel erlernt", begann Julius ruhig. "Dann habe ich einen einjährigen Tanzkurs besucht, wo viel Disziplin und Körperbeherrschung erwartet wird." Alle Anwesenden nickten. "Dann verwende ich einen Schwermacher. Damit kann ich meinem Körper eine langsam steigende Belastung auferlegen, ohne mit mechanischen Übungsgeräten wie Hanteln oder Laufmaschinen zu arbeiten. Mittlerweile kann ich bis zu einer Stunde täglich damit trainieren. Zum anderen geriet ich, wie Mademoiselle Lavalette wie viele andere in der Zeitung nachlesen konnte, unter einen Fluch, der mich innerhalb von einigen Sekunden um zwei Jahre älter gemacht hat, so daß mein Körper dadurch noch mehr Muskelmasse bekam als vorher. Ja, und hier in der Akademie mache ich jeden Morgen mindestens eine halbe Stunde Frühsport, was Mademoiselle Lavalette sicher längst mitbekommen hat, weil sich dort auch viele Bewohner ihres Saales aufhalten. Ich nehme sonst nichts zu mir, was meine Kräfte übermäßig fördern würde. In den Ferien habe ich mal mehrere Tage verdünnte Latierre-Kuhmilch getrunken. Aber deren Kraftfördernde Wirkung bezieht sich wohl nur auf Hexen vor der Menarche."

"Der was?" Fragte Bernadette. Deborah und Sandrine mußten grinsen. Brunhilde sah Bernadette perplex an und antwortete:

"Die erste Regelblutung, Mademoiselle Lavalette. Das erstaunt mich jetzt, daß Sie diesen Fachausdruck nicht kennen." Die Jungen grinsten frech. Die Mädchen blickten leicht irritiert auf Brunhilde und Bernadette und dann auf Julius. Madame Maxime räusperte sich und holte sich das Wort zurück, das sie nur Julius hatte geben wollen.

"Mit anderen Worten, Sie tun nichts, was gegen die Gesetze zur Einnahme körper- und geistverändernder Zaubertränke wäre, Monsieur Latierre. Da wir die Unterrichtsauffassung von Professeur Pivert bereits erörtert haben frage ich Sie, Mademoiselle Lavalette, warum Sie sich nicht an die vorgeschriebene Prozedur zur Abwahl eines Wahlfaches halten wollten?"

"Es war eine spontane Entscheidung, die ich aber nicht mehr zurücknehme", erwiderte Bernadette trotzig. "Wenn Professeur Pivert findet, er unterrichte ein Sportfach, dann möge er es bitte auch als solches deklarieren! Die von uns durch Abstimmung beschlossene und von Ihnen genehmigte Verfügung, keine Körperkraftbewertungen mehr auszusprechen, umgeht er nun mit der Regel gegen die Verschleppung des Unterrichts. Am Mittwoch war das Maß für mich voll, als er uns ohne vorankündigung zum Strand zitierte. Sie unterstellen mir Versäumnisse bei der korrekten Abwahl, Madame Maxime, und den niedergeschriebenen Regeln nach haben Sie vollkommen recht. Doch dann wage ich es, Professeur Pivert zu unterstellen, eine Verzögerung des Unterrichts provoziert zu haben, indem er versäumte, uns bei der vorhergehenden Stunde darauf hinzuweisen, daß wir Wasserlebewesen am Meer begutachten sollen. Soweit ich die Schulregeln kenne, sind sämtliche Lehrer gehalten, den zügigen Ablauf einer Unterrichtsstunde zu gewährleisten, indem sie bei besonderen Vorbereitungen auf die Stunde in der vorhergehenden Stunde ankündigen, welche Vorbereitungen zu treffen sind und zu welchem Zweck. Professeur Armadillus hat dies immer getan. Und auch Sie, Madame Maxime, haben in seiner Vertretung stets angekündigt, mit welchem Thema wir uns in der kommenden Stunde befassen würden, sofern wir hierzu nicht im Vorbereitungsraum verbleiben sollten. Professeur Pivert hat lediglich einen Aushang an der Tür des erwähnten Raumes befestigt, der uns innerhalb von zehn Minuten mit Badekleidung zum Schulstrand befahl. Dabei galt es ja wohl, die innerhalb des Palastes gültigen Laufgeschwindigkeitsbeschränkungen einzuhalten. In diesem Fall hätte unsere Vorbereitung und der Hinweg zum Strand mehr als zehn Minuten gedauert, womit er dann meinte, uns Strafpunkte erteilen zu dürfen. Ich bleibe dabei, daß Professeur Pivert seinen Unterricht nach Sympathien für Leistungssportler ausrichtet. Solange dies der fall ist, werde ich seinem Unterricht nicht mehr beiwohnen."

"Sie erhielten für die Nachlässigkeit und das unerlaubte Fernbleiben vom Unterricht vierhundert Strafpunkte, Mademoiselle Lavalette. Empfinden Sie das als vorbildlich für eine stellvertretende Saalsprecherin?" Fragte Madame Maxime.

"Ich sehe es eher als ein längst nötiges Beispiel für Zivilcourage, Madame Maxime. Es ist vollkommen richtig, daß wir hier alle einem System von Regeln unterliegen, die ein friedliches Miteinander und klare Vorgaben zwischen Lehrern und Schülern schaffen. Aber Willkür darf von diesen Regeln nicht gedeckt werden. Sollte dies durch mein Verhalten überdacht und entsprechend abgewogen werden, war mein Verhalten Beispielhaft für alle Saalsprecher, die über ein reines Funktionsdenken hinausagieren", antwortete Bernadette sehr überzeugt.

"Was ist bitte Zivilcourage?" Fragte Madame Maxime in die Runde und winkte ab, als Bernadette zu antworten ansetzte. Sie sah alle an, bis Julius sich meldete.

"Soweit meine Mutter mir das mal an einem erklärt hat, der in london zwei Weiße davon abbringen wollte, einen Pakistani zusammenzuschlagen, ist das der Mut, für bestimmte Werte einzutreten, auch wenn man dabei riskiert, körperlich oder gesellschaftlich geschädigt zu werden. Soll auch heißen, daß ungerechte Behandlung von amtlichen Leuten angeprangert wird, auch wenn der, der das macht, dafür belangt oder verachtet wird, auch von denen, denen er helfen wollte."

"Wie kam Ihre Mutter darauf, Ihnen dieses Prinzip zu erläutern?" Wollte Professeur Faucon wissen.

"Weil ich ja Karate erlernt habe und da immer in der Versuchung sein könnte, jemanden mit anzugreifen, obwohl das nach den Regeln dieses Sports so nicht gemeint ist. Aber wenn ich finde, jemand wird von überlegenen Leuten gefährlich verletzt, oder ich selbst werde waffenlos angegriffen, darf ich mich damit verteidigen. Deshalb meinte meine Mutter wohl, mir zu erklären, was Zivilcourage ist", erläuterte Julius. Madame Maxime nickte. Dann herrschte sie Bernadette an, daß sie als stellvertretende Saalsprecherin nicht allein zu befinden habe, wie ein Lehrer seinen Unterricht ausübe. Falls sie der Meinung sei, daß bestimmte Fächer nur nach einseitigen Bewertungsmustern unterwiesen würden, sei sie wohl bei der Zuteilung der Saalsprecherwürde von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Dann knallte sie ihr noch vor, daß Professeur Pivert den Abbruch des Unterrichts ohne vorhergehende Ankündigung als grobe Respektlosigkeit empfinde und sie daher nicht mehr in seinem Fach zu sehen wünsche, und solange er hier Lehrer sei auch nicht wünsche, daß sie an seinem Freizeitkurs magische Tierwesen teilnehme. Bernadette wetterte diesen lautstarken Bescheid lässig ab. Als Madame Maxime jedoch androhte, daß andre Lehrer ähnlich reagieren könnten, wenn sie in den Leistungen nachließe, ebenso grobe Respektlosigkeit und Mißachtung der Unterrichtsregeln ansehen und sie ohne große Ankündigung für immer von ihrem Unterricht ausschließen könnten, drang das doch durch Bernadettes unsichtbaren Panzer durch. Professeur Fixus bat ums Wort und sagte:

"Nun, ich habe mein Strafmaß bewußt in der Mitte der Möglichkeiten gehalten, Madame Maxime, weil ich bei einer größeren Summe Strafpunkte den Status von Mademoiselle Lavalette in Frage stellen müßte. Bisher hat sie sich in den Unterrichtsleistungen immer vorbildlich erwiesen." Einige sahen Professeur Fixus verdutzt an. Doch diese sagte dazu nicht mehr. So kamen sie zu Punkt zwei der Tagesordnung, das Verhalten von Hercules Moulin und seine vorzeitige Entlassung. Professeur Faucon verlas hierzu eine amtliche Erklärung von Madame Rossignol, in der sie von ihren Untersuchungen auf Grund erkannter hypersensitiver Auffälligkeiten und immer stärker ausufernden Aggressionen schrieb, bis sie durch einige Tests, unter anderem Mit reinem Steinsalz, die in Hercules erwachenden Eigenschaften einer Waldfrau oder Sabberhexe nachweisen konnte. Erwägungen, zur Behebung der dadurch auftretenden Verhaltensstörung Psychopolaris-Trank zu verabreichen, habe sie rasch verworfen, weil sie festgestellt habe, daß Hercules' Blut auf bestimmte, magische Essenzen mit einer Abwehr reagiere, die den Psychopolaris-Trank bestenfalls unwirksam und schlimmsten falls tödlich wirken lassen konnten. Dann sollten Julius und Giscard kurz schildern, was im Sprechzimmer Madame Rossignols abgelaufen war. Anschließend sprachen sie davon, ob sich jetzt jeder, der übermäßig rauflustig oder aufsässig sei auf Hercules herausreden könne. Die Blauen blickten dabei besonders angespannt. Madame Maxime sagte dazu nur:

"Soweit ich von Madame Rossignol erfahren habe ist es ihr bei den Untersuchungen gelungen, eine Mixtur zusammenzurühren, die menschliches Blutals solches anzeige und bei Mischrassigkeit eine abweichende Reaktion auslöse. Allerdings wird die bisherige Behandlung von Disziplinlosigkeit nicht geändert. Erst wenn eine Verhaltensauffälligkeit nicht durch Maßnahmen wie Strafpunkte oder Arrest oder Verwandlung beseitigt werden kann, wird eine Untersuchung klären, ob es um einen ähnlichen Fall geht." Dann spielte Madame Maxime noch ein As aus. "Ich habe recherchiert und keinen weiteren Fall von Waldfrauenabstammung gefunden, der gegenwärtig in Beauxbatons unterrichtet wird. Damit ist die Ausrede, ebenfalls Sabberhexenvorfahren zu haben, von vorne herein als Lüge zu ahnden." Julius fragte dann noch, ob Hercules wohlbehalten in den Staaten angekommen sei. Er hatte ja am Donnerstag abend noch einen Eilbrief an die Redliefs geschrieben, daß die sich nicht wundern mögen, wenn demnächst jemand in ihrer Nachbarschaft einziehen würde.

"Ich habe heute morgen einen Brief von Professeur reigt erhalten, daß die betreffenden Behörden zähneknirschend die Einwanderung von Monsieur Hercules Moulin gestattet und dessen Status als Korrespondenzschüler von Thorntails gemäß der Vereinbarung zur Beschulung von Minderjährigen mit magischen Kräften und schwerwiegenden Erkrankungen oder Besonderheiten, die nicht in der Akademie selbst beschult werden könnten bestätigt. Der neue Zaubereiminister, Lucas Wishbone, pflegt eine Politik der Abschottung. Der fliegende Holländer, mit dem die Familie Moulin übergesetzt hat, verkehrt nur noch einmal in der Woche. Alle Passagiere müssen drei Stunden im Hafen bleiben und sich Befragungen und magischen Tests unterziehen, um mögliche Unruhestifter rechtzeitig zu erkennen."

"Hui, da hatten die aber mit Hercules wohl was zu tun", stöhnte Julius. Madame Maxime nickte. Dann bestätigte sie, daß Hercules an seinem neuen Wohnort eingetroffen sei. Sie wiederholte, daß alle von diesem in diesem Schuljahr erhaltenen Bonus- und Strafpunkte auf null gesetzt worden seien und die durchschnittliche Bewertung des grünen Saales jetzt auf der Basis von einem Schüler weniger ermittelt würde.

Als alle Fragen zu Hercules Moulin geklärt waren gingen sie noch einmal den Einfall der Dementoren durch. Julius fand, das er jetzt und an diesem Ort vor den Saalvorstehern und den Sallsprechern rauslassen wollte, was er befürchtete. Wie die damit umgingen war dann zweitrangig. Als sie über die Auswirkungen bei den Mitschülern gesprochen hatten und daß sie wohl bis auf unbestimmte Zeit nicht mehr ans Meer gehen durften, meldete sich Julius zu Wort.

"Ich hoffe, Sie alle hier halten mich nicht für paranoid. Aber ich fürchte, der Angriff der Dementoren war nur ein Vorspiel oder vielleicht ein Ablenkungsmanöver. Ich habe mir die Sache gut überlegt. Wenn die Dementoren wirklich auf maximalen Erfolg ausgegangen wären, hätten sie es nicht beim Bestürmen gelassen, sondern alles und jeden geküßt, der in ihren Einfluß geriet. Der Miroir Magique schreibt, daß bis zu tausend Dementoren unterwegs waren. Einer würde schon reichen, eine kleine Muggelarmee kampfunfähig zu machen, wenngleich ich nicht weiß, ob Muggelwaffen die nicht doch töten können. Jedenfalls hätten die zehntausende küssen können, Muggel wie Magier. Sie haben sich offenbar die rausgepickt, die ihnen ... sagen wir es mal so ... vorzügliches Futter geboten haben. Außerdem haben sie nach dem Einfall in die Städte den Fehler begangen, in Gruppen herumzulaufen. Sie hätten sich weit verteilen können, so daß die Gegenwehr auseinandergezogen worden wäre. Es ging also um was anderes. Sicher ist das eine, daß Minister Grandchapeau nun mit dem Rücken an der Wand steht, oder wie es in der Zaubererwelt heißt, die Wichtel auf allen Dächern sind. Seine Aussagen werden nun nicht mehr richtig geglaubt. Die Sicherheitsmaßnahmen haben nicht richtig gegriffen. Und die Dementoren haben einige von den Abwehrzauberern unheilbar geschädigt. Die fallen also jetzt aus, falls die nächste Invasionswelle herüberschwappt. Könnte aber auch sein, daß die Dementoren nur auskundschaften sollten, wer wie und was gegen Angriffe von außen aufbietet, um die wirklich gefährlichen Angreifer, also die Todesser des Unnennbaren, nicht in hingehaltene Schwerter reinrennen zu lassen. Oder die Dementoren haben den Boden für in ihrem Schatten angerückte Angreifer bereitet, die sich heimlich, still und leise im Land verteilt haben und nun als sogenannte Schläfer ausharren, bis der Meister mit dem unnennbaren Namen ihnen klare Anweisungen erteilt. In den Kriegen der Muggel haben Geheimagenten und Kampfkommandos häufig Schlachten benutzt, um heimlich hinter die Linien zu kommen und dort Sabotage oder Spionage zu betreiben. Im zweiten Weltkrieg griffen Kriegsflugzeuge Stellungen der deutschen Besatzungstruppen in Frankreich an und brachten Soldaten mit Fallschirmen auf den Boden, die die Invasion eines großen Kriegsheeres am nächsten Tag vorbereiten sollten. "Sub sole non novum", habe ich mal einen lateinischen Spruch gelesen. Unter der Sonne gibt es nichts wirklich neues. Womöglich hat jener total unmenschliche Magier mit dem in England zumindest verfluchten Namen ähnliches vor. Aber vielleicht bin ich von den ganzen Ferienstudien, die ich mit meiner Mutter betrieb, zu sehr verängstigt, und die Dementoren sollten eben nur Angst und Schrecken verbreiten. In dem Fall konnten sie vermelden: "Auftrag erfolgreich ausgeführt!" Ob da noch was nachkommt, kann ich nicht wirklich behaupten. Aber wir hier sollten das zumindest befürchten, um nicht ziemlich grausam auf die Nase zu fallen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit."

"Höchst interessante These", warf Professeur Faucon ein. "Meine ehrenhafte Vorgängerin Professeur Tourrecandide hat mir gegenüber gerade ähnliches geäußert, als sie auf eine kurze Einladung zu mir herüberkam. Jedoch möchte sie nicht den Minister davon in Kenntnis setzen, da wir nicht wissen, ob solche Schattenkrieger - so nennen wir sie einmal - nicht schon in Wartestellung lauern und durch unsere Nachforschungen gewarnt werden könnten. Was uns in Beauxbatons betrifft, so können wir mit großer Wahrscheinlichkeit ausschließen, daß im Lärm des Dementorenangriffs irgendwelche Feinde hier eingedrungen sein könnten. Selbes gilt für Millemerveilles oder die Elfenbeininsel. Letztere hat sich seit Jahrzehnten in mehrere Zauber eingehüllt, die nur jene, die da selbst geboren sind und auf schon dort geborene Großeltern zurückblicken können, befähigt, sie zu finden, zu betreten oder zu verlassen. Zumindest behauptet es Professeur Tourrecandide, die bis vor zwanzig Jahren noch Kontakte dorthin pflegte, bis eine ultraisolaationistische Regierung an die Macht kam und alle Brücken in die Welt einriß. Also gilt, daß wir auf der Hut sein sollten. Ich persönlich halte Sie nicht für einen Paranoiker, Monsieur Latierre. Denn Sie haben in Ihrem jungen Leben schon sehr einschneidende Erfahrungen gemacht, die das Gefühl für mögliche Gefahren verstärkt haben dürrften. Doch solange wir nur mutmaßen können, reicht es nicht zu einem konkreten Vorgehen."

"Was ist mit dieser rosaroten Broschüre, die Julius vor einigen Tagen bekommen hat?" Fragte Céline Dornier. "Müssen wir damit rechnen, daß Leute des Unnennbaren, womöglich Dementoren, hier gezielt nach Leuten suchen, die er als Zauberkraftdiebe verachtet?"

"Das könnte auch ein Motiv der zurückgeschlagenen Invasion gewesen sein, mögliche Wohnorte flüchtiger Muggelstämmiger auszukundschaften", wandte Professeur Faucon ein. "Natürlich ist es den neuen Machthabern ein Gräuel, daß Leute, die sie für menschlichen Unrat halten, der ihrer Meinung nach korrekten Behandlung entzogen haben. Kein brutaler Machthaber nimmt es hin, daß seine erklärten Feinde sich seinem Zugriff entziehen können. Sie werden zu Helden und könnten anderswo einen Widerstand gegen ihn organisieren. Monsieur Latierre wies auf die Muggelkriege hin. In vielen Fällen erwuchs der Widerstand in besetzten Ländern durch ins Ausland geflüchtete Gegner, die erst über Rundfunk und ausländische Presse und später durch Gefolgsleute die Machthaber unter Druck setzten. Der Psychopath und die von ihm gelenkten Subjekte haben verlautbart, daß es keine Menschen mit angeborenen Zauberkräften gibt, sofern die Eltern selbst nicht beide schon angeborene Zauberkräfte besitzen. Nun wissen wir alle, die in einer vernünftigen, freiheitlichen Welt aufgewachsen sind, daß Magie nicht wie ein Trank eingenommen oder durch den Zauberstab als solchen übertragen werden kann. Muggelgeborene Kinder äußern spontane Zauberkräfte, bevor sie überhaupt wissen, wie rum herum ein Zauberstab gehalten werden muß. Es hat Muggelfrauen gegeben, die im Verlauf ihrer Schwangerschaft magischen Phänomenen ausgesetzt waren, weil ihre ungeborenen Kinder in bestimmten Stresssituationen unbewußt und ungerichtet gezaubert haben. Wer behauptet, irgendein mysteriöses Mittel zu kennen, sich Zauberkräfte anzueignen, die er vorher nicht besessen hat, lügt. Und auf Basis dieser Lüge richtete der bösartige Tyrann seine Anti-Muggelstämmigen-Propaganda aus. Er läßt Angst schüren, aber auch Hoffnung, die Welt besser zu machen, wenn alle Muggelstämmigen daraus verschwunden sind. Angst und Hoffnung sind die größten Triebfedern der menschlichen Gesellschaft. Sämtliche Religionen basieren auf diesen zwei Grundempfindungen. Viele Gesetze wirken durch Strafandrohungen oder die Aussicht, gesellschaftlich erfolgreich zu werden, wenn bestimmte Regeln eingehalten werden. So kann jener, der sich Voldemort nennt, seinen ganzen wahnhaften Plan solange ins Werk setzen, bis er von einem mächtigen Gegner gestoppt wird oder, was wesentlich wahrscheinlicher ist, über seine eigene Machtgier stolpert und einen Akt der Selbstzerstörung begeht." Bei dem gefürchteten Namen hatten alle zusammengezuckt. Julius erwartete wieder vibrierende Luft oder ein Erdbeben. Doch nichts geschah. Das Tabu wirkte offenbar nur auf die britischen Inseln.

"Ja, aber die Leute in England hoffen doch nicht darauf, daß sie nach der Auslöschung aller Muggelstämmigen eine bessere Welt haben können", warf Golbasto Collis ein und sah an Julius' Gesicht, daß er da gerade was ziemlich erschreckendes gesagt hatte. Doch Julius nickte ihm aufmunternd zu. Denn nichts anderes hatte Voldemort ja vor. Erst alle nach Askaban und nur die umbringen, die sich zu gut wehrten. Dann, vielleicht in einem Jahr, wenn das Gefängnis überquoll, eine Welle von Hinrichtungen oder anderer Vernichtungsmethoden.

"Es ist wohl unstrittig, Monsieur Collis und Monsieur Latierre, daß die Bevölkerung der britischen Inseln in ständiger Angst gehalten wird, vor allem die Angst um die geliebten Angehörigen dürfte sie relativ gefügig halten. Außerdem mögen sich viele in die Vorstellung flüchten, daß es besser andere ereilt als sie selbst", warf Professeur Faucon noch ein. "Insofern sollte jeder von uns sein Gewissen daraufhin überprüfen, was er oder sie zu tun bereit wäre, um sich oder geliebte Angehörige vor einem grausamen Schicksal zu schützen. Die vermeintliche Schwäche macht sich der Tyrann zu Nutze. Aber es ist keine Schwäche, sondern unsere wahre Stärke. Eine Stärke, die er und seine Marionetten nicht besitzen und daher nicht sehen können, welche Gefahr von dieser Gefühlshaltung für sie ausgeht. Denn wer nichts mehr zu verlieren hat und weiß, daß seine Lieben in akuter Gefahr schweben, der kann auch todesmutig aufbegehren und die Peiniger angreifen. Nur solange jeder in der dumpfen Angst gehalten wird, ihm oder einem geliebten Mitmenschen könnte etwas schlimmes widerfahren, solange wird er sich hüten, offen aufzubegehren. Doch das werden diese brutalen, lebensverachtenden Kreaturen niemals begreifen, das Mitmenschlichkeit keine Schwäche, sondern eine unschätzbare Stärke ist."

"Sie sagten, wir alle würden in dieser Angst Sachen machen, die wir sonst nicht machen würden", wandte Deborah Flaubert ein. "Würden Sie einen Unschuldigen töten, um ihre Tochter und Ihre Enkeltöchter zu schützen?" Professeur Faucon sah Deborah erst verärgert und dann nachdenklich an. Dann sagte sie:

"Meine Tochter würde in ewiger Schande leben, sich Tochter einer Mörderin nennen lassen zu müssen und lieber sterben, als mich zur Mörderin werden zu lassen. Doch ich bin keine Göttin, die über alle menschlichen Tiefen erhaben ist. Ich möchte es nicht absolut ausschließen. Doch die Wahrscheinlichkeit, lieber selbst den Tod zu wählen oder zuzusehen, wie jemand stirbt, der mich nicht zur Erfüllungsgehilfin krimineller Elemente werden sehen will, ist ziemlich groß", antwortete Professeur Faucon.

"Ich finde, wir gleiten jetzt zu sehr in theoretische und gesellschaftsphilosophische Themen ab", wandte Madame Maxime ein. "Ich nehme das, was Monsieur Latierre und Sie, Professeur Faucon, gerade angemerkt haben, zur Kenntnis. Hoffen wir, daß der Zaubereiminister die passende Antwort auf die Dementorenangriffe findet und sie damit als Druckmittel neutralisiert." Damit gingen sie zum schuleigenen Thema Quidditchturnier über. Nach einer halben Stunde Besprechung, wobei immer wieder eingewandt wurde, daß jede Woche jemand aus den Familien der Mannschaften sterben oder seine Seele verlieren könnte, erklärte Madame Maxime:

"Solange wir nicht mit mehr als neunzigprozentiger Sicherheit sagen können, daß unser Land auf jeglichen Übergriff von Großbritannien aus vorbereitet ist, und solange wir in der Gewissheit leben müssen, daß während der Zeit, die ein Spiel dauert, geliebte Mitmenschen sterben können, setze ich das diesjährige Quidditchturnier aus. Es ist zwar bedauerlich, daß viele Spieler, die dieses Jahr ihr letztes Schuljahr hier zubringen, dann wohl nicht mehr zum Einsatz kommen, sollte aber als Akt der Solidarität mit unseren Angehörigen gesehen werden. Unsere Angehörigen leben nicht alle in sicheren Zonen. Sie können nicht einfach in den Schutz starker Zauber flüchten oder mal eben das Land verlassen. Daher sollten wir keine wie ignorant wirkenden Vergnüglichkeiten organisieren. Ich entsinne mich, daß in der dunklen Ära zwanzig Jahre lang kein Quidditchturnier in Beauxbatons veranstaltet wurde. Wollen wir hoffen, daß wir nicht so lange warten müssen!"

"Spielen die in Hogwarts Quidditch?" Fragte Céline Julius. Dieser überlegte, was er rausrücken durfte. Dann fiel ihm ein, daß Aurora Dawn ihm gesagt hatte, daß die Mannschaften von Ravenclaw und Hufflepuff nach den Erlassen von Snape, keine vom Direktor genehmigten Clubs oder Vereinigungen zu unterhalten, aus Solidarität mit den Gryffindors, die wegen des fehlenden Kapitäns Harry Potter die Teilnahme am Turnier boykottiert hatten, auch keine Zulassung mehr erbitten wollten. Somit fand in Hogwarts auch kein Quidditchturnier statt. Snape konnte den Quidditchpokal auch nicht in sein Büro stellen, weil eine Schulregel besagte, daß mindestens zwei Mannschaften einmal gegeneinander gespielt haben mußten, um den Pokal auszuspielen. Damit stand es fest, daß auch Beauxbatons dieses Jahr keinen Quidditchpokal ausspielen würde. Madame Maxime betonte dann noch, daß der Unterricht und die Freizeitkurse weitergingen, weil sie alle es ihren Eltern, Freunden und Verwandten schuldig seien, die Zeit hier so gut es ging auszunutzen. Dem stimmten alle zu. Damit war die Saalsprecherkonferenz beendet. Die Saalsprecher sollten es ihren Mitbewohnern beibringen, daß dieses Jahr keine Mannschaft den Pokal erspielen würde. Was würde Millie dazu sagen oder seine angeheirateten Cousinen? Die Frage war echt nicht schwer zu beantworten.

"Soso, da habt ihr euch also darauf geeinigt, daß wir beide nicht mehr gegeneinander spielen, Monju", knurrte Millie, als Julius sie im Pavillon im Ostpark traf. "Wer hat da alles zugestimmt?"

"Alle vorhandenen Mannschaftskapitäne, also Brunhilde, Golbasto, Giscard und Corinne. Außerdem steht's echt in den Bulletins de Beauxbatons. Ich hab's gerade nachgelesen. Die Akademie setzte von 1567 bis 1589 das schuleigene Quidditchturnier aus, weil in der Zeit sehr blutige Kämpfe zwischen Sardonia und ihren Widersachern tobten. Dann war ja erst einmal ruhe, und Sardonia befahl die Fortführung des Turnieres, um die angehenden Hexen im Umgang mit Rennbesen fit zu halten. Möchtest du dir befehlen lassen, Quidditch zu spielen, Mamille?"

"Dann würde es keinen Spaß mehr machen, Monju. Genauso würde ich mir nicht ohne Imperius-Fluch befehlen lassen, von jemandem schwanger zu werden, nur weil dessen Familienstammbaum wem in den Kram paßt. Oder würdest du wie Ares, Perseus oder Poseidon die dir ausgesuchte Zuchthexe besteigen, Monju?"

"Wenn ich Ares, Perseus oder Poseidon wäre ganz bestimmt, Millie. Dafür leben die doch schließlich. Muuuuh!"

"Das war jetzt klar, das du mir so kommst. Okay, wenn ich Temmies Schwester wäre würde ich das auch sehr gerne haben, wenn mich wer richtig wildes richtig doll rannimmt, bis mir die Flügel abfallen oder der Eingang meiner ganz privaten Stube zerbröselt wird, Monju. Aber ich bin nicht Temmies Schwester, und du bist nicht Ares oder Poseidon", säuselte Millie und lächelte Julius an, daß er merkte, wie er sich nach einer liebevollen Berührung sehnte. Doch sie hatten ja diese verdammte Sonderregel zu beachten, daß sie sich nicht innig umarmen oder küssen durften. Nachher spannte irgendwer in den Parks und verpfiff sie. Sie mußten auf die Ferien hoffen und vor allem, daß sie dann zu jemanden hinfahren konnten, der ihnen ein Dach über dem Kopf und ein breites Bett für die Nacht bot. Doch im Moment waren sie beide neben den anderen Latierres die Glücklichen, die das zuversichtlich hoffen durften. Die anderen mochten jetzt in einer dumpfen Furcht leben, ob sie ihre verabschiedeten Eltern und Geschwister jemals gesund an Leib und Seele wiedersehen konnten. Laertis Brochet konnte das schon nicht mehr hoffen. Sein Bruder war von einem der Dementoren geküßt und entseelt worden. Voldemort, dessen Name hier nicht so verheerend wirkte wi im Haus der Sterlings, hatte einen langen, dunklen Schatten über Frankreich geworfen, ganz so wie einen pechschwarzen Mantel, der das Sonnenlicht blockierte.

Um sich von der trüben Stimmung abzulenken sprach er mit seiner Frau über die Konferenz. Sie bedauerte es, daß Bernadette nicht noch heftiger runtergemacht worden war. Da sie ja auch schon bei den Redliefs war, wollte Millie wissen, wie diese Aubartia denn so gestrickt war, daß selbst Professeur Faucon ihr mehr vertraute als Hercules' Großtante. Julius wandte dann noch ein, daß die wohl eher auf einen nützlichen Hausknecht und Bettwärmer spekuliert habe. Bei Aubartia konnte er das zwar nicht kategorisch ausschließen. Doch die Sabberhexe stand in Kontakt mit dem bärengleichen Grizwald Paddington und wurde wohl auch vom Zaubereiministerium überwacht. Agrippine Grandarbre hatte keinen derartigen Vertrauensbeweis vorgelegt.

"Überleg mal, Julius, du bist ein Ruster-Simonowsky, ich bin eine Viertelzwergin, meine Cousinen und meine Tante Patricia sind durch Latierre-Kuhmilch schön stark, und bei euch wohnt eine Viertelveela."

"Ja, und eine Halbriesin schmeißt den Laden. Das ist ein richtiger Mutantenstall hier. Ich denke, wir sollten die Newtons anschreiben, ob sie ihre Söhne nicht auch hierher schicken möchten, dann hätten wir noch einen Formwandler und einen lebenden Computer hier."

"Dann sollte Lino aber hier unterrichten. Dann wäre das echt interessant, abzuschreiben", wandte Millie ein.

"Na klar, sich als Lehrerin anstellen lassen würde genau der Job sein, den die sich immer schon gewünscht hat", grummelte Julius. Seine Frau nickte und grinste dabei.

"Was machen wir heute nachmittag?" Wollte Millie wissen. "Strand ist ja nicht mehr. Quidditch fällt auch flach."

"Wir könnten Sachen von der Zauberkunst-AG trainieren", schlug Julius vor. Millie wollte eher über Zaubertränke sprechen, über die sie in den Hausaufgaben was schreiben sollten. Julius ging darauf ein. Außerdem wollte er zu Goldschweif, um sich anzusehen, wie es ihren vier Jungen ging. So verabredeten sie sich für die Zeit nach dem Mittagessen vor dem Eingang zu den Zaubertiergehegen.

Julius benutzte seinen Pflegehelferschlüssel, um im grünen Saal zu verschwinden. Im Schlafsaal erwartete ihn Aurora Dawn mit einer Eilmeldung aus Hogwarts.

"Kevin Malone hat sich gestern abend mit vier Leuten aus Dumbledores Armee zu einer Aktion gegen die Carrows getroffen. Sie wollten den beiden einen auf ihren Namen bbbasierten Bannfluch aufhalsen. Doch die beiden haben wohl mit etwas dergleichen gerechnet. Betty und Jenna Hollingsworth haben nicht mitgemacht. Gloria hat es ihnen in letzter Minute ausgeredet. Kann sein, daß Kevin Nachsitzen erhält. Und was das heißt weiß du ja leider."

"Drachenmist! Schwarze Magier mit schwarzer Magie anzugreifen ist ja wohl ziemlich kurzsichtig", knurrte Julius. Er hatte schon davon gehört, daß die UTZ-Klassen in der Handhabung des Cruciatus-Fluches unterrichtet und gegen Mitschüler aufgehetzt wurden, die unter dem neuen Dreiergespann straffällig geworden waren. Er fragte, wie es Gloria ginge.

"Snape hat sie wieder zu sich in den Direktorenraum gerufen um sie zu verhören, weil er wissen will, wieso keine Posteule dich findet. Sie behauptet, daß er ihr keine Information entlockt hat. Mein Hogwarts-Bild-Ich ist bisher nicht verdächtigt worden, mit Dir Kontakt zu haben. Aber wenn Snape Gloria Veritaserum verabreicht ..."

"Wird sie ihm nur sagen, was meine Schwiegergroßmutter nicht zur Geheimsache erklärt hat", grummelte Julius. Line Latierre hatte es geschafft, seine Namensänderung zum Familiengeheimnis zu erklären, damit niemand in Großbritannien es erfuhr. Ob das lange hielt wußte er nicht. Doch wenn er damit Subjekte wie Voldemort, Snape und Umbridge ärgern konnte, sollte es so sein. Dann rückte Aurora noch mit einer ihm seltsam anmutenden Geschichte heraus.

"Julius, in Hogwarts geht das Gerücht um, daß jemand dort heimlich bedrängten Leuten hilft. Es war keiner von der DA oder der PP. Ich habe es einmal mitgekriegt, wie drei Slytherin-Fünftklässler einen Zweitklässler der Gryffindors terrorisieren wollten. Die wollten dem gerade üble Flüche aufhalsen, da hat es die innerhalb von zwei Sekunden von irgendwoher niedergeworfen. Der bedrängte Schüler stand dann da, als überarbeite jemand sein Gedächtnis und ging dann ganz ruhig weg. Die drei Rüpel sind dann langsam aufgewacht. Ich, also mein Hogwarts-Bild-Ich, ist dann ganz schnell abgerauscht. Zu sehen war überhaupt keiner."

"Dann war es wohl jemand, der sich unsichtbar machen oder einen Tarnumhang benutzen konnte", vermutete Julius. "Und vor allem muß der Jemand ungesagt zaubern können."

"Dann kann es nur wer aus den oberen Klassen sein", führte Aurora die Vermutung fort. Ich habe Gloria auf jeden Fall gebeten, dich so bald sie eine günstige Gelegenheit findet wieder anzurufen. Sie meinte dann was von Montag um Mitternacht eurer Zeit."

"Okay, werde zusehen, daß ich da im Bett liege", sagte Julius. Dann fragte er nach Adrian Moonriver.

"An den trauen sie sich nicht ran, Julius. Die Carrows empfinden wohl starke Schmerzen, wenn sie ihm näher als zwei Meter kommen. Ich habe es mal gesehen, daß sie dann ihren linken Arm verkrampfen, als wenn etwas sie dort piesacke."

"Ganz sicher tut es das", grummelte Julius, mußte dabei aber schadenfroh grinsen. "Die tragen da sein Zeichen, wohl ein eingefluchtes Stigma."

"Verstehe, Julius. Mittlerweile wissen wir ja, wer Adrian Moonriver ist. Ich bleibe dem gerne aus dem Weg. Der konnte mich schon seit dem ersten Tag in Hogwarts nicht sehen. Jetzt weiß ich ja auch warum", erwiderte Aurora mit überlegenem Lächeln. "Ich habe damals auf Roy Fieldings Vorschlag hin mit Dumbledore gesprochen, wie der Fluch aufzuheben sei. Womöglich verachtet er mich jetzt dafür, daß er noch mal ganz neu aufwachsen mußte."

"Tja, und das tolle ist, die Carrows können ihm seinen Stern nicht wegnehmen", zischte Julius. Auroras gemaltes Ich nickte. Er wurde dann gefragt, was er am Montag tue. Er antwortete darauf, daß er an dem Tag wohl nicht freikriegen würde und seinen üblichen Schultrott durchziehen würde. Aurora nickte betreten. Dann sagte sie noch, daß Viviane ihr erzählt hatte, daß Julius' Mutter wohl heute in Millemerveilles ankomme und bis Dienstagmorgen bliebe. Julius nickte. Dann sagte er ihr noch, daß er zwei Briefe bekommen habe, die er jetzt noch lesen wolle. Aurora nickte und verschwand aus ihrem Bild. So nahm Julius die beiden Briefe aus dem Brustbeutel. Er las erst den Jeannes. Sie schrieb:

Hallo Julius!

Schmeckt dir die Ehe noch gut. Obwohl ich jeden Tag, den Viviane Aurélie nun schon auf der Welt ist und immer größer und schwerer wird, richtig viel Stress habe, schlafe ich immer wieder mit dem herrlichen Gefühl ein, jetzt ein richtiger, erwachsener Mensch zu sein und was erreicht zu haben.

Du ahnst wohl, daß ich dir wohl auch deswegen schreibe, weil am Montag der Tag ansteht, wo Claire uns alle verlassen hat. Maman hat gemeint, wir sollten diesen Tag nicht als Todestag feiern, sondern als Tag, um an Claires Leben zu denken, uns zu freuen, daß wir sie um uns hatten und daß sie ja irgendwie immer noch bei uns ist. Bruno hat mal ziemlich blöd gemeint, daß Maman sie gerade ja wieder durchlaufen läßt. Das fand ich nicht so doll. Hätte er unsere Kleine da nicht gerade auf dem Arm gehabt, hätte ich ihm vielleicht eine runtergehauen. Ist ja schon irgendwie interessant, daß ich im Mai nächsten Jahres ein Geschwisterchen kriegen soll, nachdem zehn Jahre lang niemand neues bei uns ankam. Denise weiß nicht so genau, ob sie sich auf ein Geschwisterchen freuen soll oder nicht. Noch wissen wir nämlich nicht, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird. Wenn es ein Mädchen wird, freut sie sich wohl, weil sie dann nicht mehr die jüngste ist. wenn es ein Junge wird hat sie Angst, daß papa und Maman sie dann nicht mehr so richtig lieben können. Bruno meinte auf die Frage einmal zu mir, wir hätten dann besser noch ein Jahr warten können, damit Vivi und ich seinen Nachnamen angenommen hätten. Offenbar kriegt er immer noch Druck von seinen Eltern, daß er meinen Namen annehmen mußte. Aber da könntest du dich ja mit ihm austauschen, ob du dich mit einem anderen Namen mies oder gut fühlst. So wie ich dich im August erlebt habe, findest du es wohl er schön, Martines Nachnamen zu tragen. Die hat mich vor drei Wochen besucht, meinte sowas, daß sie besser die Grenzstation des Flohnetzes zumachen sollten, wo es in England so ruhig geworden ist. Maman erzählt mir so, was deine Ausgabe von Aurora Dawn über Hogwarts weitermeldet. Warum ist Gloria nicht wieder zu euch nach Beaux gekommen? Ich dachte, die wäre so klug. Ich hoffe, ihr und deinen anderen Freunden von früher geht's gut. Kevin sah ja wirklich wie ein armes Elend aus.

Maman sagte, daß sie dir auch einen Brief schreiben würde. Dann will ichnicht viel mehr rauslassen, was sie dir vielleicht noch erzählen möchte. Nur noch so viel: Seraphine und ihr Mann sind in Millemerveilles geblieben. Sie hatten Krach mit ihren Schwiegereltern. Die haben immer darauf gelauert, wann sie mit ihrem Mann im Bett liegt und was sie dann da machen. Entweder wollen die auf Biegen und Brechen ein Enkelkind oder eben das bloß noch nicht. Jedenfalls ist sie doch wieder bei uns im Dorf. Virginie hat es echt geschafft, in der Hochzeitsnacht wen Neues bei sich einziehen zu lassen. Ich hab's von Barbara, die es von ihr erzählt bekommen hat. Also die Welt wächst weiter, Julius. Denke bitte immer daran, was für Nachrichten du auch immer kriegst! Ich soll dich dann noch schön von Bruno grüßen. Vielleicht schreibt ihr Jungs euch ja auch mal und tauscht die Klagen über eure Ehefrauen aus. Ist schon komisch, daß du jetzt schon verheiratet bist. Sehe dich immer noch alleine und neugierig durch Millemerveilles laufen, als du das erste Mal bei uns zu Besuch warst.

Bestelle deiner Frau schöne Grüße!

Jeanne Dusoleil

Julius grinste erheitert. Jeanne war immer noch fröhlich, trotz Ehe und Kind. Doch sie war ja auch ein Muttertier, hatte er am eigenen Leib erfahren dürfen. So freute er sich für sie und weil sie an einem der sichersten Orte der Welt wohnen durfte. Virginie hatte gleich in der Hochzeitsnacht Neuzuwachs aufgenommen? Wenn Millie das hörte ärgerte die sich vielleicht. Andererseits wollte sie ja auch erst einmal mit der Schule durch, bevor sie wen neues in die Welt tragen wollte. Er nahm Camilles Brief und las mit gewisser Erheiterung:

Hallo Julius!

Ich hoffe, dir geht es so weit gut, und Millie und du kommt immer noch gut miteinander aus, obwohl ihr nicht im selben Zimmer schlafen dürft. Uns beiden, also mir und dem Neuen, was noch nicht zeigen wollte, was es ist, geht es von den üblichen Begleiterscheinungen abgesehen wunderbar. Dafür stöhnt mir Uranie andauernd was vor, als wenn sie bereits im neunten Monat wäre und schon die ersten Senkwehen hätte. Leider hat sie keine Zwillinge im Bauch. Ich hätte es ihr so gegönnt. Sie zankt sich immer mit Hera Matine und meint, wenn ich so gerne Kinder kriegen würde, würde sie mir ihres gerne abgeben. Hera meinte dann mal zu ihr, daß sie froh sein sollte, daß sie überhaupt ein Kind bekommen könne, wo es Jahre lang so aussah, als ginge das nicht. Uranie wollte sich dann einen anderen Heiler suchen. Aber Hera hat das Hebammenmonopol hier bei uns, und wegziehen will sie nicht. Der nette Typ aus St. Tropez hat ihr eine Kiste mit zehntausend Galleonen geschickt, für jedes bis zum siebzehnten Lebensjahr fünfhundert, inklusive der Schwangerschaftsmonate. Der hat doch glatt 'nen Brief dabeigetan, daß er weder wissen will, wann das Kleine geboren wird, noch wie es heißt. Er hat ihr vorgehalten, ihn wegen seines guten Berufes und Geldes reingelegt zu haben und ihn jetzt mit "dem Balg" an sich binden wolle. Sie solle mit den Galleonen schön haushalten. Denn mehr gäbe es nicht. So ein unverschämter Kerl. Flory, Hera und ich haben dem gleich drei Heuler zugeschickt. Könnte sein, daß der die hat, während du diesen Brief liest, Julius. Uranie mußte sich bei Hera sozusagen stationär behandeln lassen. Die begluckt die jetzt noch bis morgen, wenn deine Maman zu uns kommt. Catherine bringt sie mit der Sphäre rüber. Eigentlich wollte sie mit der jungen Madame Grandchapeau rüberkommen. Doch deren Vater hat sie und ihren Mann schon am Freitag zu uns herübergeschickt. Wir haben dann mal kurz eine Plauderstunde zwischen zwei werdenden Müttern abgehalten. Sie wird wohl mehrere Monate hierbleiben. Kann sein, daß Hera Minister Grandchapeaus Enkel dann auch in die Welt helfen darf. Achso, deine Mutter! Sie übernachtet dann bis Dienstag bei uns. Leider hat Madame Maxime meine Bitte ja zurückgewiesen, dich für den Montag freizustellen, damit wir Ammayamirias Geburtstag feiern können. Florymont, Jeanne, Denise und ich haben beschlossen, das so zu nennen. Ich wollte dir nur sagen, daß wir alle immer noch für dich da sind. Natürlich hast du jetzt noch wen bei dir, die ganz sicher auch für dich da ist. Komm bloß nicht auf die Idee, die auch mit einer Kiste Galleonen abzuspeisen, wenn ihr so was schönes, wenn für uns Frauen auch manchmal sehr anstrengendes, zusammenbekommt! Hera kommt übrigens auch zu uns. Ich weiß, daß deine Schwiegereltern mit ihr Krach hatten, weil sie was gegen Millies kleine Großmutter gesagt hat. Irgendwie meinte sie auch, du hättest dich von den falschen Leuten einwickeln lassen. Ich seh das zwar nicht so. Aber Hera ist nun einmal eine sehr sture Hexe. Sonst wärest du jetzt kein Pflegehelfer und hättest schon mal sehen dürfen, wie ein Kind geboren wird. Wie geht es eigentlich der kleinen Cythera? Sage Céline ruhig, sie dürfe mir immer noch schreiben. Oder soll ich ihr einen Brief schicken? Jedenfalls ist hier Lebenin der Bude.

Ach ja, du erinnerst dich, daß bei unserer Rückkehr von der kleinen Weltreise gesagt wurde, ich könne jetzt in einen Club schwangerer Großmütter eintreten. Blanches Schwester muß das irgendwie mitbekommen haben. Ich habe sie und Ursuline mit den Ehegatten und ganz kleinen Kindern für das nächste Wochenende eingeladen. Bin ja mal gespannt, wie die beiden lustigen Hexen sich benehmen. Die wohnen dann mit ihren Ehegatten bei mir. Ursuline hat schon darauf bestanden, da zu schlafen, wo deine Mutter und du die Ferientage bei mir übernachtet habt. - Ui, es bewegt sich doch schon ziemlich spürbar. - Lassen wir das! Ich mach dich sonst noch neidisch, das ich was kann, was Blanche dir niemals beibringen kann.

Wie gesagt, sei am Montag bitte nicht traurig oder mach dir irgendwelche Vorwürfe! Claire hat dir eine neue Hexe an deine Seite gestellt. Also macht sie dir auch keine Vorwürfe. Feier mit ihr schön!

Alles liebe der Welt wünscht dir

Camille Dusoleil

Julius steckte den Brief wieder ein. Den konnte er Millie zu Lesen geben. Aber vorher wollte er Céline so behutsam es ging beibringen, daß sie Camille wieder schreiben dürfe. Der Brief stammte irgendwie aus einer Zeit, wo noch keine Division von Dementoren durch das Land gefegt war. St. Tropez. Lebte der Zauberer, der mit Uranie Dusoleil ein paar flotte Wochen verbracht hatte nicht dort? Ein leichter Schauer lief ihm über den Rücken. Gehörte der vielleicht zu den drei geküßten Zauberern, die dort von den Dementoren überrannt worden waren? Er glaubte nicht an sowas wie göttliche Strafgerichte oder einen Teufel, der sich die Seele eines Menschen holte. Zumindest konnten Dementoren den gehörnten Höllenfürsten aber gut darstellen. Aber irgendwie wollte ihn der Gedanke nicht loslassen, daß der Vater von Uranies ungeborenem Kind für seine Ablehnung bestraft worden war. Doch nein! Diese Art von Strafe sollte er niemandem gönnen. Außerdem war es unlogisch, jemanden so zu bestrafen, daß er seine Untat nicht mehr bereuen konnte. Also war und blieb es eine Grausamkeit, egal, ob es einer der drei entseelten Zauberer war oder nicht. Wollte er das jetzt auch wissen? Falls er dabei war, und Uranie erfuhr davon, würde sie es verkraften? Oder würde sie in ihrem jetzigen Zustand einen Zusammenbruch erleiden? Er hoffte, daß Hera Matine ihr nach der Sache mit der Goldkiste nicht gleich alle Zeitungen zu lesen gab. Dann fiel ihm wieder ein, daß Ammayamirias Entstehung im Grunde auch sein zweiter Geburtstag war. Das erkannte er jetzt erst so richtig. Hätte er nicht gegen Ashtarias Behütung angekämpft und sich aus ihrem aus magischer Energie bestehendem Körper herausgewunden, wäre er wohl heute nicht da wo er war. Und womöglich würde er sich auch keine Sorgen darum machen, was in der Welt vorging. Aber dann hätte er so vieles nicht erlebt, was auch schön war. Diese Erkenntnis hob seine Stimmung wieder an. Er war da. Er atmete. Er konnte sich freuen, sorgen, lachen oder weinen. Er war da! Julius Latierre, ein Muggelstämmiger Zauberer, und aus Trotz gegen Leute wie Dolores Umbridge und ihren Gönner Voldemort mächtig stolz darauf.

So verbrachte er mit Millie einen schönen Nachmittag, dachte nicht an das, was gerade einen Tag her war. Erst abends im Bett übermannten ihn die Gedanken an das, was da vor nun vierundzwanzig Stunden passiert war.

__________

Sie haben Angst und sind traurig in dem großen Steinbau. Julius hat mir das erzählt, als ich ihn abends in seiner Schlafhöhle besucht habe. Hercules ist nicht mehr da. Irgendwas in dem ist aufgewacht und hat ihn anders gemacht. Ich habe das gemerkt, als sie alle wieder zu uns kamen. Aber jetzt haben sie alle Angst vor was, das böse ist und ihren Lieben weh tut. Julius hat jetzt einen anderen Familiennamen, hat er mir erzählt. Das heißt, daß ihn die Eltern des Weibchens Mildrid jetzt beschützen dürfen. Aber er soll bei diesem einen Weibchen bleiben und nur mit der Junge haben. Sie will schon welche. Aber irgendwie hat sie Angst, dann nicht alles lernen zu können, was die Großen ihr hier beibringen können. Ich fühle wieder die Stimmung. Nach dem meine kleinen nicht mehr bei mir trinken und die Knubbel kleiner geworden sind, will ich wieder los, mir einen suchen. Doch was ist dann mit Julius? Ich muß auf ihn aufpassen. Als ich die letzten Jungen hatte, konnte ich nicht bei ihm sein. Wenn er wieder kämpfen muß könnte wer ihn totmachen. Außerdem muß ich nicht immer Junge haben. Aber die Stimmung! Ich muß die rauslassen. Ich kann das nicht einfach weglassen wie die Zweifußläufer, die sagen, daß das nicht so wichtig ist. Und wenn die Stimmung kommt, wachsen wieder Junge in meinem Bauch. Warum hat Armadillus, dieses böse Männchen, die Schwarzbauchbrüder nicht dagelassen. Dann könnte ich mit denen die Stimmung rauslassen und hätte dann keine Jungen im Bauch. Der neue, der wie ein Vogel heißt - Lecker! - hat schon mit der ganz großen, Olympe, darüber gesprochen, daß ich vielleicht doch ganz bei Julius in der Schlafhöhle bleiben sollte, da ich ja jetzt meine Nachfolgerin bekommen hätte. Was soll das denn sein, Nachfolgerin? Ist das was böses? Brauchen die mich dann nicht mehr? Muß ich Julius fragen.

Jetzt liege ich vor seiner Schlafhöhle auf dem weichen Stein, wo sein Geruch dran ist. Irgendwo quängelt Leonardo, der sich mit einem von Weißohrs Jungen streitet. Zeig ihm, wer dich im Bauch hatte! zeig, daß du groß und stark geworden bist! O, schon aus. Offenbar wollten die nur spielen und nicht zeigen, wer stärker ist. Ich passe hier auf. Ich fühle dieses ganz liebe, warme Etwas, das Julius vor dem oberen Körper hat. Es klingt zusammen mit seinem Klopfer, Herz, wie er sagt. Ich fühle auch das andere Ding, das bei Millie ist. Sie sind zusammen, auch wenn sie in zwei anderen Schlafhöhlen liegen. Das beruhigt mich.

ENDE

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