NEUORDNUNGEN

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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Französisches Zaubereiministerium


7. September 2002

Flucht nach vorne hieß die Devise, die sich Ornelle Ventvit und Julius vorgenommen hatten. Gilbert Latierre hatte per Eule den Erhalt der eigentlich geheimen akten gemeldet und gefragt, was er mit dem Material machen sollte. Der Miroir hatte diesbezüglich noch nichts gemeldet. Womöglich würde die Zaubererzeitung die Akten auch unverwertet zurückschicken oder ohne weitere Vorankündigung als "Die Sensation" des Jahres verkünden.

Dexamenus Montpelier hatte über Nacht das Land mit unbekanntem Ziel verlassen. Auf die Befragung der Untersuchungszauberer hatte ein Nachbar ausgesagt, dass er sich in der Nacht ein regelrechtes Duell mit seiner Frau geliefert habe, als dieser wohl klar geworden war, dass er vor neunzehn Jahren tatsächlich eine kurze Affäre mit einer anderen Frau gehabt hatte. Auch diese Frau, Yvette Dubois, war verschwunden, zusammen mit fünfzigtausend Galleonen aus Montpeliers Gringotts-Verlies. Ganymed hatte jede Beihilfe zur Flucht und Verdunkelung abgestritten, klagte vielmehr auf Schadensersatz wegen massiver Rufschädigung. Colbert hatte in einem Rundschreiben verkündet, dass im Fall, dass der Handels- und Handwerksrat der Hanndelsabteilung der Forderung stattgab, ein Loch von wohl fünf Millionen Galleonen im kommenden Haushalt klaffen und daher viele laufende Zahlungen reduziert oder ganz einbehalten wurden.

"Der saubere Monsieur Louvois ist noch nicht gewählt und hat schon einen massiven Schaden angerichtet", seufzte Ornelle Ventvit.

"Er wird sich darauf berufen, dass Montpelier sich das selbst zuzuschreiben hat", sagte Julius. Worauf er und seine Vorgesetzte sich berufen wollten hatten sie sich schon zurechtgelegt: Frieden statt Gewalt, einvernehmliche Zustimmung der beteiligten Zauberer, das nicht bekannt wurde, wer der Vater von Meglamoras Zwillingen sein würde. Mittlerweile wussten sie auch, dass es zwei Mädchen werden würden, Mademoiselle Maximes kleine Cousinen. Wäre deren Mutter keine ungeschlachte, unbeherrschte Riesin, so wäre das doch ein Grund zur Vorfreude.

Was Julius noch mehr Anlass zur Besorgnis gab, obwohl es nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fiel, war die Meldung von verschwundenen Hexenund Zauberern aus aller Welt, alles alleinstehende oder verwitwet und kinderlos gebliebene Leute. Irgendwie musste er dabei immer an diesen korpulenten Rüpel George Bluecastle denken, der seit März verschwunden war. Auch hatte Millie bei der Pressekonferenz mit Shacklebolt damals aufgeschnappt, dass dieser von Vita Magica aufgefordert worden sein sollte, selbst für Nachwuchs zu sorgen. Diese Babymacherbanditen wurden immer dreister, und bisher war nicht der kleinste Hinweis eingegangen, wer dazugehörte.

Gegen Mittag, am Ende des Ultimatums, wurde Ornelle alleine zu Monsieur Vendredi gerufen, wohl um zu erwähnen, wie sie mit einer möglichen Enthüllung der Geheimakten umgehen würde. Julius machte derweil Mittagspause, wobei er Barbara Latierre traf.

"Hast du auch schon gehört, dass Louvois sein endgültiges Wahlprogramm verabschiedet hat, Julius?" Er bestätigte das. "Verschmelzung der Abteilungen, Personalabbau, Vereidigung aller Mitarbeiter auf lebenslange Treue zum Ministerium ohne Rücksicht auf das Wohl der eigenen Familie. Ich glaube, Didier hatte einen Sohn, von dem wir bis heute nichts wussten."

"Das wäre auch ein Knüller für die Zeitungen, falls sowas passiert sein sollte", erwiderte Julius darauf.

"Das zielt gegen uns ab, die Latierres, Lagranges, Eauvives, Lesauvages und Grandchapeaus. Er hat auch eine Familienquote erwähnt, weil er mehr Leute aus bisher unterrepräsentierten Familien und mehr Muggelstämmige anstellen will."

"Das mit den Muggelstämmigen kann er gerne machen. Aber dass er Tine den Arbeitsplatz wegnehmen könnte, nur weil sie gerade in der Babypause ist könnte ihm von der Gesellschaft vereinigter Hexenmütter übel angekreidet werden, zumal er bisher auch keine Kinder gezeugt hat."

"Ja, das ist wohl sein Ziel, weniger Familienmenschen einstellen, damit die nur für's Ministerium da sind. Wir sehen trüben, um nicht zu sagen sehr dunklen Zeiten entgegen", flüsterte sie dann noch. Julius hatte seine Schwiegertante bisher immer als sehr auf Anstand und Benehmen festgelegt erlebt. So besorgt wie sie jetzt war kannte er sie selten.

"Der Miroir hat Post aus Viento del Sol bekommen. Zwei Akten", sagte Ornelle. "Colbert hat es abgelehnt, eine pauschale Rückkaufsumme zu zahlen. "Wir zahlen kein Lösegeld und auch kein Schweigegeld", hat er Monsieur Vendredi gesagt. So machen wir zwei das, wie besprochen, wenn der Miroir es wirklich wagen sollte, mit geheimen Akten herauszukommen. Anhangg sieben, also die Aufhebung von Geheimhaltungsstufen bei eindeutiger Beeinträchtigung von Freiheit und Leben unbescholtener Menschen, ist auf unseren Fall nicht anwendbar. Im Gegenteil, weil wir Meglamora zu einer neuen Schwangerschaft verholfen haben, haben wir unschuldige Menschen geschützt."

"Sie wissen, dass da draußen noch zu viele Leute sind, die Zauberwesen, die stärker, schöner oder magisch mächtiger als sie sind grundweg ablehnen, vor allem nach den Schlangenmenschen und dem, was diese Abgrundstöchter so treiben."

"Haben Sie von denen noch einmal was gehört, Julius?" wollte Ornelle wissen.

"Bis jetzt nicht, und das darf auch gerne so bleiben", sagte Julius.

Am Nachmittag geschah dann, was sie seit gestern befürchten mussten. Der Miroir Magique brachte ein Extrablatt heraus. Die Schlagzeile lautete:

VERSTECKTE HALBRIESENZUCHT


MINISTERKANDIDATIN UND JUNIORMITARBEITER SCHWÄNGERTEN EXILRIESIN MIT ZAUBERERKINDERN

"Wau, die gelbe Presse hat eine neue Zeitung erobert", bemerkte Julius dazu und las sich den sehr provokativen Artikel durch, wo wirklich alles erwähnt wurde. Das hierbei aus Geheimen Akten zitiert wurde stand nur im ersten Satz: "Wie wir aus sehr verschwiegener Quelle erfuhren ..."

"Ich werde hier als skrupellose Hexe dargestellt, die vorhat, eine neue Rasse von Übermenschen zu züchten und dass mir das wunderbar zu Pass käme, dass wir eine reinrassige Riesin in Frankreich wohnen haben", knurrte Ornelle. "Ja, und der werte Chefredakteur des Miroirs ist sich auch nicht zu schade, ein Roulette zu erwähnen, das auswählte, welcher Zauberer Vater der neuen Halbriesenkinder werden darf, ohne die Mutter näher als hundert Kilometer an sich heranlassen zu müssen. Genau das, was ich befürchtet habe. Julius, Sie begleiten mich zu der Notfallkonferenz mit Vendredi. Er hat alle Vertreter der Presse und des Rundfunks eingeladen. Wollen doch mal sehen, was dabei herumkommt."

Die Pressekonferenz, bei der auch Gilbert Latierre mitwirkte, geriet zu einem Spießrutenlauf der Worte. Vendredi schaffte es doch wahrhaftig, sich aalglatt aus der Verantwortung rauszuschlängeln, weil er behauptete, dass er lediglich abgesegnet habe, was Mademoiselle Ventvit, Maxime und Julius ausgeknobelt hatten. Julius wurde Kurzsichtigkeit und Übereifer bei der Umsetzung nicht auf ihre ethischen Auswirkungen geprüfter Ideen unterstellt, ihm aber die Hauptverantwortung abgesprochen, da er ja nur Befehle ausgeführt habe. Dagegen wurde er heftiger kritisiert, weil er es nicht geschafft hatte, Euphrosyne Blériot von ihrem Beutezug abzubringen. Ja, ihm wurde glatt unterstellt, er habe sie mit Aron Lundi ziehen lassen, um nicht selbst von ihr unterworfen und zu Fortpflanzungszwecken herangezogen zu werden. Julius musste auf diese Unverfrorenheit eine klare Antwort geben, und dies tat er dann auch.

"Ich habe während meiner Ausbildung gelernt, mich gezielt gegen Veelaeinflüsse abzuschotten. Können Sie das? Wenn nicht, dann muss ich Ihre abwegige Anschuldigung dahingehend auslegen, dass Sie in meiner Lage nicht lange gezögert hätten, für Euphrosyne nicht nur den willigen Liebhaber und Befruchter zu stellen, sondern auch für sie jeden ermordet hätten, auf den sie gezeigt hätte. Sie wollte nur diesen Aron Lundi, weil er ein übernatürlich begabter Sportler ist. Mehr kam für sie nicht in Frage. Mir zu unterstellen, ich würde nur deshalb Veelabeauftragter sein, weil mich Léto oder ihre weiblichen Nachkommen als Auffrischer ihres Erbguts beanspruchen könnten, ist eigentlich zu lachhaft, als beantwortet zu werden. Aber ich mach das trotzdem: Ich bin glücklich verheiratet. Madame Léto und ihre Töchter und Enkeltöchter wissen das, zumal die meisten von denen auch verheiratet sind, jetzt auch Euphrosyne. Das sie nicht länger als ein Jahr von ihrer Heimaterde wegdarf erfuhr ich erst, als es darum ging, ob Euphrosyne für unbestimmte Zeit aus Frankreich verbannt bleiben sollte. Das mit der Blutrache für jeden gewaltsam gestorbenenAngehörigen ist zaubereigeschichtlich nachgewiesen und in Instituten wie dem Zaubereiministerium Frankreich, Bulgarien, Russland und Österreich, wo die Unterlagen über die Balkankolonien der früheren Habsburgermonarchie lagern ausführlichst dokumentiert. Es empfiehlt sich also nicht, eine Veela mutwillig zu töten, es sei denn, Sie sind ihres Lebens und ihre eigene Familie überdrüssig. Weil wir alle , die wir mit Euphrosyne zu tun haben, eigene Familien oder Brüder und Schwestern haben, will es natürlich keiner Riskieren, diese Drohung auf Erfüllung zu testen. Wie erwähnt, dazu gibt es mehr als ausreichend Literatur, unter anderem vom Rachefeldzug von Flamedorée, , Létos Großmutter. Die Behauptung vom Kandidaten Monsieur Louvois, alle an Euphrosynes Einbürgerung in Frankreich beteiligten seien von ihr mit magischer Ausdauer und längerem Leben angereichert worden, weil sie sich für die Freiheit und den Verbleib von Aron Lundi an ihrer Seite bedanken wollte, kann nur sie beantworten. Ich weis nur, dass sie sich seit ihrem von uns aus und nur von uns aus krriminellzu nennenden Hochzeitsfeldzug wieder in Frankreich angesiedelt hat, führt sie ein friedliches Leben. Wie sie als Familienmutter sein wird gehört in den Bereich von Kristallkugeln und Teeblattausdeutungen. Ich weise auf jeden Fall jede tätige Unterstützung als böswillige Unterstellung zurück, die dazu angetan ist, meine Arbeit als friedlicher Vermittler zwischen Menschen und Veelas zu verderben. Sollen diese Anschuldigungen andauern werde ich daraus die für mich einzig sinnvollen Konsequenzen ziehen."

"Welche wären das?" fragte der Redakteur vom Miroir.

"Die, die auf Grund fortgesetzter Undankbarkeit erfolgen. Mehr sage ich dazu nicht."

"So erwarten Sie Dankbarkeit?" wollte Gilbert Latierre wissen. Julius hatte mit ihm schon einige Interviewfragen geklärt.

"Anerkennung würde mir schon reichen. Aber Dankbarkeit derer, die ein friedliches Leben führen dürfen, weil Leute wie ich unsere Arbeit machen, ist der höchste Ausdruck des Respekts, der höchste. Ich würde mich aber auch mit ausreichendem Respekt begnügen, sofern ich ihn erhalte."

"Noch einmal zu Meglamora, Monsieur Latierre: haben Sie dieser Riesin nicht auch aus der Ferne geholfen, Mutter werden zu können, weil Sie sich Mademoiselle Maxime immer noch verbunden fühlen?" wollte der Miroir-Mensch wissen.

"Verpflichtet ja, weil sie mir das Leben gerettet hat, als es sonst niemand mehr hätte tun können. Dazu haben Sie, soweit ich mich recht gut erinnern kann, eine ausführliche Stellungnahme erhalten, als ich in ihrer Obhut war und mich mit den durch ihre Blutübertragung aufwallenden Gefühlsstürmen zurechtzufinden hatte. Und wo wir schon mal dabei sind: Wäre Mademoiselle Maxime nicht bereit, ihre Tante und ihren Cousin zu beaufsichtigen, hätten die Zauberwesenforscher und diverse Schulklassen aus Beauxbatons keine so umfangreichen Erkenntnisse über das Leben von Riesinnen erhalten."

"Umfangreich ist wohl jetzt noch zutreffender", meinte Gilbert und erntete damit allgemeines Lachen. Dieser Miroir-Mensch fragte ihn doch glatt, ob er, wenn er so darauf bedacht war, dass Meglamora ihren Fortpflanzungstrieb befriedigen könne, einer der Freiwilligen gewesen sei, die ihren Samen für die Befruchtung gespendet haben. Darauf sagte Julius, dass sein Ehevertrag mit Madame Mildrid Ursuline Latierre beinhalte, dass nur sie seine Kinder bekommen dürfe, sonst keine andere Frau. Darauf wurde doch glatt von einem Reporter der belgischen Zaubererzeitung Echoe EEnchanté behauptet, dass Riesinnen keine Frauen seien, wie ja Elefantenkühe auch keine Frauen seien.

"Sie kann sprechen, hat ihre Laktationsorgane vor dem Oberkörper und geht aufrecht. Wer das alles hat und tut ist keine Kuh, Messieursdames et Mesdemoiselles. Das nämlich unterscheidet die Zauberwesen von den Tierwesen und damit meine Arbeit von der von Madame Barbara Latierre."

"Sie beharren also beide darauf, der Menschheit einen Dienst zu erweisen, wenn Sie die Fortpflanzungsbedürfnisse dieser und anderer Riesinnen und Halbriesinnen auf diese Weise befriedigen?" fragte der Reporter vom Miroir Mademoiselle Ventvit.

"Ja, das ist so. Oder wollen Sie von einer auf Befruchtung ausgehenden Riesin ergriffen und vergewaltigt werden?" Keine Antwort. "Dann haben wir das richtige getan. Dass es von uns nicht als Ruhmestat verkauft wurde liegt daran, dass wir genau die von Ihnen gezeigtenReaktionen vermeiden wollten. Es gibt vieles, dass in Ihrem Sinne getan werden muss und dennoch geheim ist, weil die Kenntnis der Lage nicht immer ausreicht, um die Richtigkeit der Handlungen zu verstehen. Sie wollen gerne alles erzählen, was Sie zu hören und zu lesen kriegen. Sie müssen sich dabei nie die Frage stellen, wem es nützt und wem es schadet, was Sie erzählen. Es gibt unter Ihnen welche, die sich durchaus die Frage nach den Folgen stellen und daher auf solche Sensationsmeldungen verzichten. Die geraten aber leider immer wieder ins Hintertreffen, wenn andere mit ihren Riesenknüllern großen Lärm machen und eine Menge Ruhm und Gold einheimsen möchten. Mehr gibt es von meiner Seite aus nicht zu erwähnen", beendete Ornelle ihre ausführliche Antwort.

"In einer Woche wird gewählt. Trauen Sie sich jetzt noch, Ihre Kandidatur aufrechtzuhalten?" wollte der belgische Reporter wissen.

"Darf ich die Frage so auslegen, ddass Sie es mir nicht mehr zutrauen?" Konterte Mademoiselle Ventvit. "Solange kein rechtlicher Hinderungsgrund vorliegt, der meine Kandidatur verbietet, halte ich sie aufrecht. Das war es aber nun von meiner Seite."

"Monsieur Latierre, besteht die Möglichkeit, die Veelas zum Verzicht auf ihre Blutrache zu bewegen?" Wollte der Reporter der belgischen Zaubererweltzeitung noch wissen.

"Ja, die besteht. Verzichten Sie darauf, einer Veela oder Veelastämmigen nach dem Leben zu trachten. Dann gibt es keine Blutrache", sagte Julius noch. Danach war aber auch für ihn Schluss mit diesem rhetorischen Hindernislauf.

"Gilbert lässt ausrichten, dass er jetzt auf diese Geschichte antworten muss", teilte Millie ihrem Mann wenige Minuten später mit. "Aber sehr richtig, dass du meine ExklusivenRechte an deinen Kindern betont hast. Vielleicht dürfen wir ja demnächst ganz offiziell Nummer drei ankündigen."

"Ja, aber dann muss ich wohl woanders Gold herkriegen, um das auch noch satt zu kriegen", erwiderte Julius über die Herzanhängerverbindung. Im Moment saß er in einer Toilettenkabine.

"Wenn es danach geht kann ich Oma Lines letzten Streich problemlos jetzt schon nachmachen und uns vier auf einmal zurechtfüttern", erwiderte Millie unverkennbar zuversichtlich. Julius fühlte kleine Tränen in die Augen steigen. Dass Millie ihm so viel zutraute und ihm sogar vier Kinder auf einmal gebären wollte rührte ihn doch heftiger an, als er das je gedacht hätte.

"Im Moment fühle ich nicht dasselbe wie bei Aurore und Chrysie. Das muss aber nichts heißen, hat Tante Trice gesagt. Mein Körper kann sich an das Schwangerwerden gewöhnt haben. Deshalb warte ich noch, bis ich über die Zeit bin", schickte Millie ihm noch eine Gedankenbotschaft. Julius bestätigte das. Dann fand er, dass es Zeit war, wieder in sein Büro zurückzukehren.

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In Büro von Mademoiselle Ventvit, Französisches Zaubereiministerium


8. September 2002

Julius rechnete mit einer Welle der Entrüstung. Doch diese blieb aus. Lediglich die eindeutigen Anhänger von Égisthe Louvois schickten Protestbriefe, dass jemandem, die solche Maßnahmen durchführe, kein Ministeramt zugetraut werden dürfe. Unter denen, die ihre Ablehnung dieses Vorgehens bekundeten war auch der russische Zauberwesenbehördenleiter, der seinen Brief auf Französisch abgefasst hatte. Offenbar hielt der es mit Louvois, dass Mademoiselle Ventvit und ihre Mitarbeiter künstlich eine Generation Halbriesen heranzüchten wollten. Die Welteroberungspläne, die sie angeblich damit verfolgte, waren Gegenstand einer Unterredung zwischen Ornelle und dem noch verbliebenen Kandidaten Louvois. Lesfeux, der gehofft hatte, man könne seinen Gegenkandidaten nachweisen, dass die gegen ihn erhobenen Vorwürfe erfunden und durch gefälschte Beweise abgesichert waren, scheiterte bei Monsieur Champverd vom Gamot mit seiner Anfechtung. Ihm sollte nach der Wahl der Prozess gemacht werden. Lesfeux' Anwalt verlautbarte deshalb in einer spontan einberufenen Pressekonferenz, dass er die Ministerwahl umgehend für ungültig erklären lassen würde, sollte sich auch nur ein Zweifel an der Schuld seines Mandanten offenbaren. Denn dann sei klar, dass man ihn gezielt von einer fairen Bewerbung um das Ministeramt abbringen wollte. Julius rechnete damit, dass auf Grund dieser Ankündigung die Wahl an sich aufgeschoben würde. Doch zu seinem Erstaunen folgte nach der Mittagspause eine offizielle Stellungnahme Champverds, der von Montpelier das Amt des zeitweiligen Zaubereiministers übernommen hatte. "Ich hätte die Wahl sofort auf unbestimmte Zeit verschoben, wenn sich nicht schon im Vorfeld der Untersuchung klare Hinweise auf eine mögliche Schuld des Beklagten gezeigt hätten. Inwieweit diese als Beweise gelten dürfen kann und wird nur die offizielle Verhandlung erbringen. Natürlich ging ich auch zunächst von einer weiteren böswilligen Verleumdung aus, da es sich zu einem unrühmlichen Vorgehen bei diesem Wahlgang entwickelt hat. Doch als ich die bis zur Verhandlung nicht im einzelnen zu erwähnenden Hinweise gesichtet habe, musste ich diese Haltung aufgeben. Ich stehe mit den US-amerikanischen Kollegen in ständigem Blitzeulenkontakt, um die Ermittlungsergebnisse tagesaktuell zur Verfügung zu haben. Sollte sich bis zur Wahl doch noch ein Hinweis auf eine ungerechtfertigte oder gar böswillig angestrengte Anschuldigung ergeben, werde ich die Wahl zu einem späteren Zeitpunkt wiederholen lassen." Julius fragte sich, warum Champverd nicht auf eine Verschiebung der Wahl einging. Als Ornelle ihm sagte, dass er hierfür die Zustimmung aller Kandidaten haben müsse war ihm aber klar, dass Louvois es eben jetzt wissen wollte. Und nach der Sache mit der Geheimaktenveröffentlichung stand er eigentlich schon als sicherer sieger fest. Julius war davon so überzeugt, dass er, als Ornelle wegen einer neuerlichen Befragung vor den Ausschuss zur Beseitigung gefährlicher Geschöpfe zitiert wurde, seine Kündigung schrieb. Er zitierte die Paragraphen, denen nach er als Amtsanwärter bei klarer Erkennung von Vertrauensverlusten der einen oder der anderen Seite, sowie der unrechtmäßigen Einschrenkung seiner Möglichkeiten, das Recht auf fristlose Kündigung beanspruchen könne, was er hiermit tue. Er zählte dann noch auf, inwieweit er mit Égisthe Louvois in Schwierigkeiten geraten sei und er sich deshalb keine konstruktive oder gar vertrauensvolle Zusammenarbeit vorstellen könne. Er verstaute das Pergament in seinem Brustbeutel, als Pygmalion kurz zur Toilette ging. Er brauchte ihn nur noch zu unterschreiben und in das Dattumgsfeld den Tag vor der Ministerwahl einzutragen. Bevor Louvois ihn noch zwangsverpflichten konnte, wollte er ihm von der Schippe springen.

Wo er weiterarbeiten wollte musste er sich noch überlegen. Einerseits hätte er bei Camille einen sicheren Posten, was Arbeitsbedingungen wie Unterbringung anging. Andererseits wollte er das, was er bisher für das Ministerium gemacht hatte, weitermachen, also die Welt soweit er konnte vor den Auswirkungen der dunklen Hinterlassenschaften aus dem alten Reich schützen. Da kamen dann aber eben nur Catherine Brickston oder Florymont Dusoleil in Frage. Oder wollte er mithelfen, dass künftige Generationen von Hexen und Zauberern mehr Verständnis von der technischen Welt hatten? Dann konnte er entweder Laurentines Job in Millemerveilles antreten, damit diese nach Beauxbatons wechselte oder er selbst zum Lehrer für das Studium der nichtmagischen Welt werden. Das allerdings wollte er nur, wenn er nach jedem Schultag nach Millemerveilles zurückkehren durfte. Nach längerer Überlegung entschloss er sich, Catherines Vorschlag anzunehmen und mit ihr ein Zwei-Leute-Unternehmen zu betreiben, dunkle Artefakte oder Dokumente zu finden und sie aus dem Verkehr zu ziehen.

Gegen vier Uhr nachmittags wurde Julius selbst noch einmal zum Ausschuss zitiert. Es ging denen jetzt darum, wieso er damals die Tötung Nals verhindert hatte und wieso er mitgeholfen hatte, dass Meglamora noch einmal Nachwuchs bekommen durfte. Bei der Gelegenheit wurde er auch gefragt, ob er die Unterlagen an die Presse weitergereicht habe, weil er nun doch ein schlechtes Gewissen habe.

"Ich glaube, ich wäre vom Fleck weg verhaftet worden, wenn es nur einen glaubhaften Hinweis gegeben hätte, dass ich diese Akten an die Presse geleitet hätte", sagte Julius. Monsieur Grichaud, der derzeitige Vorsitzende des Ausschusses und Schulkamerad von Arion Vendredi bemerkte dazu: "Da rufen Sie gerade einen großen Drachen, Monsieur Latierre. Die Überprüfung, wer Zugriff auf die Unterlagen hatte und wem eine unrechtmäßige Veröffentlichung nützen würde, ist noch nicht abgeschlossen. Aber was Sie angeht, so dürfen Sie davon ausgehen, dass wir in Zukunft genauer überwachen werden, was in der Zauberwesenbehörde abläuft. Bisher haben wir uns zu sehr mit den nicht denkfähigen Tierwesen befasst. Das war offenbar ein Fehler. Den werden wir korrigieren. Betrachten Sie diese Ankündigung als zu beachtenden Hinweis", sagte Grichaud. Julius hielt es für überflüssig, auf diese offene Drohung eine Antwort zu geben. Er nickte nur, damit alle wussten, dass er die Belehrung gehört und verstanden hatte.

Als er erst um sieben wieder zu Hause war meinte Millie, dass sie froh sei, dass er überhaupt noch gekommen war. Sie hatte schon damit gerechnet, dass sie ihn wegen angeblichen Geheimnisverrats in Gewahrsam nehmen oder ihm gleich das Gedächtnis löschen würden. Denn das würde dem bevorstehen, der die Unterlagen veröffentlicht hatte. Julius war auch froh, dass er bisher nicht belangt worden war. Doch er erwähnte, dass Louvois nun wohl seine Leute sammeln und schon mal für die entsprechenden Posten vormerken würde. Bei demokratischen Wahlen war das sogar üblich, dass Kandidaten der Regierungsopposition ihre Auserwählten für die Minister- oder Staatssekretärsposten benannten. Schattenkabinett wurde sowas genannt. Doch wer zu Louvois' Schattenkabinett gehörte wusste Julius nicht. Er konnte nur von denen ausgehen, die er schon mitbekommen hatte. Irgendwie hatte er dabei das Gefühl, dass posites Champverd zu diesen Unterstützern und möglichen Mitarbeitern Louvois' gehörte. Doch beweisen konnte er das nicht.

Um sich vom derzeitigen Getöse um die anstehende Wahl abzulenken ging er nach dem Abendessen in den Geräteschuppen und fuhr Computer und Modem hoch. Dabei prüfte er auch seine irgendwo in Frankreich stehende Anrufbox auf eingegangene Telefonanrufe. Eigentlich konnten nur Brittany, Aurora Dawn, die Porters oder seine Mutter diese Box besprechen, und die hatten das gerade durch die Armreifen aus der Villa Binoche nicht mehr nötig, ein schnödes Telefon zu benutzen. Dennoch wollte er das wissen, weil er schon vierzehn Tage nicht mehr nachgeprüft hatte. Als er dann von der digitalisierten Frauenstimme der Anrufbox erfuhr, dass er "eine neue Nachricht" erhalten hatte, die noch dazu vom siebten September stammte, wunderte er sich doch ein wenig. Der Verwunderung folgte dann aber schlagartig großes Unbehagen und das Gefühl von Belauerung. Denn die Stimme der Anruferin kannte er, auch wenn sie jetzt ein wenig jünger klang als damals, wo er sie zum letzten Mal gehört hatte.

"Hallo, Julius. Hier spricht deine Tante und das in jeder Hinsicht. Ich habe deine Telefonnummer über gewisse Umwege erfahren, da du ja aus verständlichen Gründen nicht mehr mit mir in Kontakt standest, seitdem dein Onkel Claude Streit mit deiner Mutter bekam. Ich möchte dir auch nur mitteilen, dass wir, meine Töchter und ich, beschlossen haben, dass du wegen der Sache vom letzten Jahr nichts zu befürchten haben wirst. Denn auch wenn du der Sohn meiner Schwester bist und damit grundsätzlich zum Streit gegen mich und deine Basen angetrieben bist, habe ich dir das mit meinen beiden Töchtern verziehen, auch wenn ich mir gut vorstellen könnte, dass du mir dafür zwei neue Töchter zu verschaffen hast. Da wir nicht blutsverwandt sind und ich von deinem Onkel nie ein Kind hatte wäre das noch nicht mal die große Inzucht. Aber ich weiß dass du uns so wie du gerade beschaffen und beschäftigt bist, mehr helfen und nützen wirst. Daher habe ich mit vier meiner Töchter beschlossen, dass wir Frieden mit dir halten, solange du nicht von dir aus gegen mich oder eine der vier kämpfst. Die jüngste meiner Töchter ist zwar sehr erzürnt, dass du mir geholfen hast, mich von ihr zu lösen, aber im Moment ist sie sehr geschwächt. Das wird zwar nicht so bleiben, aber derzeit hast du von ihr nichts zu befürchten. Wir anderen helfen dir jedenfalls, auch wenn du das ganz entschlossen ablehnst. Du hast mir geholfen, wieder freie Entscheidungen treffen zu können. Du wirst damit leben lernen, dass wir deshalb auch weiterhin unsere Freiheit verteidigen werden.

Ich erwarte keinen Rückruf von dir, zumal diese Nummer einem guten Kunden meiner Tochter Loli gehört und ich sein Fernsprechgerät benutzen durfte, solange ich kein eigenes habe. Ich wollte dir eben nur mitteilen, dass ich wieder da bin und dass wir dich und die deinen nicht bedrängen oder gar vernichten wollen. Es ist das leidige Los von Verwandtschaft, dass jemand sich seine Verwandten nicht aussuchen kann und mit den Verwandten zu leben hat, auch wenn er sich schön weit von ihnen fernhält. Ich muss damit leben, dass du einer der Söhne meiner Schwester bist und du wirst dich daran gewöhnen, dass es mich und meine Töchter gibt. Mehr kann und will ich auf diesem Weg nicht . Ich, deine Tante, grüße dich mit Leib und Seele."

"Monju, was war los?" fragte Millie, als Julius nach diesem Anruf ins Apfelhaus zurückkehrte. Er erwähnte, dass seine Tante Alison angerufen habe. Das reichte Millie zunächst als Antwort. Denn sie wusste ja, was mit seiner Tante Alison passiert war, beziehungsweise, sie wusste nur, dass sie von Itoluhila unterworfen und vielleicht getötet worden war.

Für Julius stand jetzt fest, dass er ob im Ministerium oder außerhalb die leidige Sache mit den Abgrundstöchtern nicht abschütteln konnte. Ihm war auch klar, was der Anruf sollte. Er hatte mitgeholfen, Lahilliotas in Errithalaias Körper eingesperrten Geist freizusetzen, und Itoluhila hatte diesen irgendwie in Alison Andrews' Körper verpflanzt, damit er wieder leibhaftig und von Errithalaia frei weiterbestehen konnte. Das hatte die jüngste der Abgrundstöchter also geschwächt. Dass die deshalb stinkwütend auf ihn war verstand er zu gut. Dass die anderen ihn aber sozusagen jetzt aus Dankbarkeit für die Befreiung ihrer Mutter beschützen wollten gefiel ihm nicht. Gut, wenn das stimmte, was die Anruferin behauptet hatte, dann würden sie ihm und seinen Gefährten nichts tun, solange sie nicht offen gegen sie kämpften. Doch dass er dadurch zulassen musste, dass sie weiterhin ihre Raubzüge nach menschlichen Seelen fortsetzten war ein ziemlich hoher Preis für diese Unterstützung. Ja, jetzt wohnte die, die sich deshalb seine Tante nannte, weil sie Ashtarias Schwester war, im Körper seiner natürlichen Tante Alison. Würde sie diesen Körper einsetzen, um als Alison Andrews zwischen den ahnungslosen Menschen zu leben? Er wusste es nicht.

"Jeder Erfolg, der durch einen Kampf errungen wird, legt den Keim für den nächsten Kampf", hörte er Temmies Gedankenstimme. "Du konntest nicht anders handeln, nicht damals in der Höhle der dem Wind verbundenen Vaterlosen und erst recht nicht, als du gegen Errithalaia kämpfen musstest. Hättest du die gesegneten Worte nicht benutzt, so hätte sie dich oder andere getötet."

"Da wirst du wohl recht haben, Temmie. Aber trotzdem finde ich das fies, dass ich mitgeholfen habe, dass die jetzt weiter so in der Welt herumziehen dürfen."

"Wie gesagt, Julius, Träger meines Siegels, du konntest in den beiden Lagen nicht anders handeln, wenn du als freies Wesen überleben wolltest." Julius konnte und wollte dem nicht widersprechen.

Zur selben Zeit im kleinen Haus von Ornelle ventvit bei Lyon

Man hatte ihren Rückzug von der Kandidatur gefordert. Grichaud persönlich hatte ihr vorgeworfen, dass sie nicht entschlossen genug gegen Meglamora vorgegangen sei. Anstatt ihr zu einer neuen Trächtigkeit, noch dazu mit Zaubererkindern, zu verhelfen, hätte sie den Ausschuss um Rat fragen sollen. Dieser hätte dann womöglich entschieden, ob eine triebgesteuerte Riesin wirklich noch in Frankreich hätte leben dürfen. Sie jedoch sollte ihre Kandidatur widerrufen, wenn sie nach der Wahl noch irgendeinen Posten bekleiden wollte. Ab da war ihr völlig bewusst, wie viele Louvois-Unterstützer in diesem Ausschusss saßen. Sowas wie eine Verhaftung hatten sie ihr noch nicht angedroht. Das lag wohl daran, dass sie ja nichts von der Veröffentlichung hatte. Zumindest ließen sie diesen logischen Grund gelten, erkannte Ornelle. Doch wenn in den nächsten Tagen doch noch ein Sturm der Entrüstung über sie hereinbrach war es sicher, dass sie ihre Kandidatur zurückziehen musste, um das Amt nicht in Verruf zu bringen.

Sie saß in ihrem gemütlichen Wohnzimmer vor dem Kamin, der gerade nicht brannte. Sie beschlossen, bis zum Wahlende keine Flohpulververbindungen zu benutzen. Sie wollte gerade an einem Paar Socken für ihren Neffen Maurice weiterstricken, als eine Eule von draußen gegen das Fenster klopfte. Ornelle Prüfte schnell mit einem Zauber, den ihre Nichte Adrastée erfunden hatte, ob die Eule einen bösen oder gutartigen Brief beförderte. Sie konnte keine Wutaura eines Heulers und auch keine Anzeichen für Gift ermitteln. Sie ließ die Eule herein.

Als sie der Eule einen dicken Umschlag vom Bein abgenommen hatte staunte sie, dass gleich fünf Siegel auf dem Umschlag prangten. Noch mehr staunte sie jedoch über den auf vier Seiten geschriebenen Inhalt von fünf verschiedenen Schreiberinnen und Schreibern und einer langen Unterschriftenliste. Sie las den brief dreimal. Dann beschloss sie, zu tun, was darin vorgeschlagen wurde.

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zwischen dem 11. und 13. September 2002

In den Kommenden Tagen kam der Miroir Magique mit weiteren Artikeln und scheinbaren Spontaninterviews der Kandidaten heraus. Lesfeux' Verteidiger hatte angekündigt, das Erbgut von John Goodwin, dem angeblichen Sohn seines Mandanten, genauer prüfen zu lassen, um die Möglichkeit einer magischen Manipulation zum Zwecke böswilliger Vortäuschung einer strafbaren Handlung nachzuweisen. Denn, so der Anwalt, es sei schon sehr merkwürdig, dass erst 20 Jahre nach dem beklagten Vorfall eine Anzeige erstattet wurde, so als habe jemand nur darauf gewartet, dass sein Mandant ihm oder ihr im Weg sein würde, um ihn dann gesellschaftlich zu vernichten. Er dürfe nicht ausschließen, dass hier jemandes anderen Leiche im Keller ausgegraben worden sei, um sie seinem Mandanten unterzujubeln.

Weiterhin schrieb der Miroir, dass Mademoiselle Ventvit uneinsichtig sei, was die Auswirkungen des von Vendredi abgedeckten Vorgehens bei Meglamora betreffe. Vendredi hatte dazu noch gesagt, dass er sich nicht mit der Frage nach dem Umgang mit den von Meglamora geborenen Kindern beschäftigt habe, da er davon ausginge, dass diese Nachkommen eh nicht für immer in Frankreich blieben. Was die nun heranreifenden Halbriesen anginge, so verwies er auf die nutzbringende Tätigkeit von Mademoiselle Maxime und anderen bekannten Halbriesen in Europa. Louvois hatte Vendredi dann aber unterstellt, er wolle sicher nur Mademoiselle Ventvit und Julius Latierre decken, weil ihm unter Vermittlung von Julius Latierre eine magische Stärkung der eigenen körperlichen und seelischen Fähigkeiten durch Léto in Aussicht gestellt wurde, damit ihre Enkelin Euphrosyne weiterhin unbehelligt in Frankreich leben könne. Da Julius nur noch der Temps de Liberté Fragen beantwortete, die er von seiner Vorgesetzten her beantworten durfte, schoss sich der Miroir darauf ein, dass der junge Amtsanwärter offenbar als sehr willkommenes Werkzeug sowohl der Veelas als auch Mademoiselle Ventvits im Bezug auf eine Zucht von übermenschlich starken Halbriesen missbraucht werde und dies nach der Wahl dringend aufgeklärt werden müsse, woher Julius seine Berufung zum Veela-Menschen-Vermittler erhalten habe und an welche Bedingungen diese besondere Stellung geknüpft sei. Ebenso behauptete ein Louvois nahestehender Zaubertierexperte namens Laurent Bouvier, dass Julius sicher zu einem der nächsten Samenspender für "den nächsten Wurf Halbriesen" herangezogen würde, wenn "der erste Wurf" erfolgreich aufwachsen würde. Julius antwortete auf diese Behauptungen nur mit dem Satz: "Es ist nicht meine Aufgabe, mich an irgendwelchen Spekulationen zu beteiligen." Außerdem erwähnte er immer wieder die Geheimhaltungsstufe der Akten.

Als ein Reporter versuchte, sich Meglamora zu nähern, um sie um ein Interview über die Empfängnis ihrer Kinder zu bitten, musste er feststellen, dass die Riesin, ihr reinrassiger Sohn und ihre halbriesische Hüterin nicht mehr an dem Ort waren, der bis dahin als Unterbringungsort der Riesin bekannt war. Auf die darauf folgende Behauptung, jetzt sei Meglamora wohl ganz ohne Aufsicht unterwegs, erhielten der Miroir und die Temps am 13. September einen Brief Mademoiselle Maximes, in dem sie unter Berufung auf eine Vollmacht des Zaubereiministeriums zur sicheren und geschützten Unterbringung ihrer Schutzbefohlenen eine kurzfristige und nur der Zauberwesenbehörde bekannte Umsiedlung vorgenommen habe. Gilbert interviewte daraufhin Julius, der offiziell als Kontakt zu Mademoiselle Maxime geführt wurde. Dieser bestätigte "mit überlegener Miene" die Umsiedlung, um Meglamora nicht zur ihr aufgebürdeten Schwangerschaft noch den Stress für sie selbst belangloser Interviews aufzuerlegen. Als Ossa Chermot vom Miroir ihn deshalb anschrieb, warum er ihr diese Auskunft nicht gab antwortete er, dass sie erst einmal klären solle, auf wessen Gehaltsliste sie stehe, auf der der magischen Öffentlichkeit oder Égisthe Louvois'.

Wirklich schlimm, so empfanden es die immer weniger scheinenden Anhänger Ventvits, erwies sich das Verschwinden von Zauberwesenexperte Germain Ballard, der Zugriff auf die Akte "Freudenspender" hatte, wie die künstliche Befruchtung Meglamoras bezeichnet wurde. Ballard gehörte zwar nicht zu den vier freiwilligen Samenspendern, aber zu den Leuten, die Schweißproben ablieferten, um den künstlichen Befruchter natürlichen Männergeruch aufprägen zu können. Zudem war er als Zaubertrankexperte auch auf die Extraktion von Bestandteilen tierischer und pflanzlicher Körperflüssigkeiten spezialisiert. Jetzt hieß es, dass Ventvit diesen Mitarbeiter habe beseitigen lassen, weil er als Geheimnisverräter aufgeflogen sei. Ornelles Aussichten stürzten innerhalb von nur einem Tag sehr heftig ab. immer wieder durchgeführte Wahlumfragen per Eulenpost sahen sie nur noch bei einem Prozent. Louvois erhielt hingegen eine Zustimmung von 95 Prozent, während der Rest der Befragten angab, nach der Ministerwahl wohl den Wohnsitz zu wechseln, weil die politische Atmosphäre und die Aussicht, demnächst mit noch mehr Gemischtrassigen leben zu müssen, ein dauerhaftes Wohnen in Frankreich verderbe. Das wiederum verbuchte Louvois als Zustimmung zu seiner Bewerbung als Zaubereiminister, womit er und sein Pressesprecher ihm neunundneunzig Prozent Wählerstimmen sicher glaubten.

Als dann am Vortag vor der Wahl Gilbert Latierre in der Temps die Frage aufwarf, ob die magische Menschheit morgen nicht einen Befürworter magisch erzwungener Geburten das Vertrauen aussprechen würden, weil Louvois nach der Weltmeisterschaftsparty auf Martinique angeblich nicht genug zur Aufklärung der Herkunft jenes dubiosen Regenbogentänzer-Cocktails unternommen habe, kam der Miroir am Abend noch mit einem Extrablatt heraus, dass Louvois gerade dadurch, dass er auf Martinique die Zeit gehabt hätte, genug Informationen über die Urheber dieses als Genussmittel getarnten Zaubertrankes gesammelt habe, der Minister davon aber nichts habe hören wollen, weil auf der Liste, die Louvois natürlich nicht öffentlich machte, auch alte Freunde Grandchapeaus standen.

"Schweinepriester. Macht der Gilberts Vorstoß glatt noch zum Sprungbrett, um morgen das letzte Prozent auch noch zu kriegen", sagte Julius nach dem Lesen dieses Artikels zu seiner Frau. Diese nickte. Julius zeigte ihr daraufhin die bereits ausführlich formulierte Kündigung. "Ich unterschreibe das gleich noch und schicke das noch vor Mitternacht an die entsprechenden Stellen im Ministerium. Unter so einem Gangster werde ich garantiert nicht arbeiten. Dann wäre ich genau das, was der mir durch seine Sprechtröten unterstellt hat, ein williges Werkzeug für irgendwelche menschenverachtenden Vorhaben." Millie nickte. "Und zu wem gehst du dann hin?" fragte sie. Er sagte nur einen Namen: Catherine Brickston Millie verstand. Mit Catherine Brickston konnte er auch als Veelabeauftragter weiterarbeiten.

Julius hatte gerade die Unterschrift und das Datum in das Kündigungsschreiben eingefügt und wollte es viermal kopieren, als Antoinette Eauvives Kopf im Kamin der Wohnküche erschien. "Julius, ich hörte von Viviane, dass du das Ministerium verlassen möchtest. Ich kann dich sogar verstehen. Da du nicht damit rechnest, dass Louvois die Wahl verliert, willst du seinem Ehrgeiz und seiner Abneigung entgehen. Aber ich bitte dich, warte noch bis zum Wahlausgang. Die Zustimmung zu Louvois sind nur Aussagen, keine verbindlichen Zustimmungen. Warte noch ab!"

"Wenn der übermorgen Minister ist kann der durch Verordnungen alle Beamte und Anwärter zwangsverpflichten und dann genüsslich die aussuchen, die für ihn durch alle brennenden Reifen und über alle Säuregruben wegspringen sollen. Wenn ich die Kündigung noch vor Mitternacht im Ministerium unterkriege bin ich für den nicht mehr verfügbar."

"Jetzt könnte ich sagen, dass du damit ein Schuldeingeständnis ablieferst, dass du doch mehr mit dieser leidigen aber nötigen Sache zu tun hattest, was Meglamoras Kinder angeht. Aber ich habe eine wesentlich bessere Begründung für dich: Denke daran, dass Louvois ganz offen und unbedacht gegen das jahrhundertelange Gefüge innerhalb der französischen Zaubererwelt angehen will. Glaubst du ernsthaft, dass meine Familie, deine Schwiegerverwandten oder die Pierres, Lagranges oder Rochers sich das einfach so gefallen lassen?"

"Offenbar doch, weil ja diese Wahlumfragen Louvois uneinholbar vorne sehen."

"Wie erwähnt sind das nur Aussagen. Die Befragten mussten weder auf einen Eidesstein schwören noch unter Veritaserum aussagen, wen sie wählen würden", sagte Antoinettes Kopf im Kamin. "Die können also schreiben, was sie wollen."

"Ja, was sie wollen. Also was brächte es, was anderes zu schreiben, als das, wen sie wählen wollen?" fragte Julius.

"Weil die Zeitungen unbedingt diese Umfragen bringen wollten. Hätten sich da alle geweigert, eine Aussage zu machen, dann hätte Louvois sicher behauptet, man wolle das Volk unterdrücken. Also warte bitte noch bis morgen ab und geh ja zur Wahl!"

"Das eine Prozent, dass für Ornelle Ventvit stimmt wohnt ja in Millemerveilles", scherzte Julius. "Dann ist da wohl noch Catherine Brickston und die Damen Grandchapeau. Alle anderen werden Louvois wohl wählen, weil sie glauben, dass sie dann Ruhe haben."

"Ich vergesse immer gerne, dass du mit den Machenschaften und Schauveranstaltungen der Wahlwerbungen in der Muggelwelt aufgewachsen bist, wo Umfragen vor den Wahlen und die sogenannten Hochrechnungen ja schon als heilige Texte angesehen wurden. Aber bedenke eben die beiden Punkte, die ich genannt habe. Die Umfrageergebnisse sind nur Angaben, keine Entscheidungen, und Louvois legt sich offen mit allen Zaubereifamilien an. Diese zwei Hinweise sollen dir genügen, die richtige Entscheidung zu treffen."

"Entschuldigung, Antoinette", schaltete sich Millie ein, die gerade mit Chrysope unter ihrem Umhang auf der gepolsterten Küchenbank saß. "Wieso sollte Julius nicht hinschmeißen und zu Catherine Brickston gehen? Bei der könnte er genau das weitermachen, was er sowieso schon aufgeladen bekommen hat, eben nur außerhalb dieses trollhirnigen Beamtenapparates."

"Na, Mildrid Ursuline, das ist aber nicht gerade aufmunternd, deinem Mann zu unterstellen, die letzten zwei Jahre für Trollhirne gearbeitet zu haben und würde auch eine Beleidigungsklage erlauben, wenn Ornelle Ventvit oder Arion Vendredi dich hätten hören können, geschweige denn die Damen Grandchapeau und ihr aus der Welt gegangener Verwandter. Aber ich möchte deine Frage gerne beantworten: Bei Catherine Brickston hätte er eben nur sie und sich als Informationsquellen und Unterstützung. Das würde schwieriger, seine Aufgaben zu erfüllen. Im Ministerium hat er bisher immer den gewissen Rückhalt und den Zugriff auf genug ausgebildete Unterstützer gehabt. Darauf zu verzichten wäre sehr unbesonnen."

"Wieso, Catherine und ihre Mutter sind Mitglieder der Liga gegen dunkle Künste. Das ist ein weltweites Netzwerk von ausgebildeten Experten. - Moment, achso, ich verstehe, Antoinette. Wenn ich bei Catherine anfange müsste ich mich wohl der Liga verpflichten, weil ich diese um Hilfe bitten könnte. Dann wäre ich für euch Heiler nicht mehr verfügbar, so schrieb es Madame Rossignol. Verstehe. Aber zu deiner Beruhigung, das, was du vorhin gesagt hast hat mich davon abgebracht, die Kündigung jetzt schon rauszuschicken. Warte ich also ab, ob die angesehenen Zaubererfamilien Louvois alles durchgehen lassen oder nicht."

"Ich habe gehofft, dass du das so siehst", sagte Antoinette. "Und was die Liga angeht, so muss ich dir wohl zustimmen und darauf aufbauend daran erinnern, dass diese Leute durchaus auch tödliche Magie anwenden, wenn sie der festen Überzeugung sind, ein großes Übel durch das kleine Übel einer Tötung beheben zu können. Zwar haben Catherine und du diese alten Abwehrzauber gelernt, die nur von denen ausgeführt werden können, die noch nie bewusst und willentlich einen Artgenossen getötet haben. Aber ob Catherine nicht eines Tages davon ausgeht, nur dadurch eine große Gefahr von der Welt abwenden zu können kann ich nicht sicher behaupten."

"Ich kann das auch nicht mit Sicherheit ausschließen", sagte Julius darauf, um nicht als leicht zu beeindruckender Wicht dazustehen. Antoinettes Kopf ruckte kurz vor und zurück. Dann sagte die Sprecherin aller Heilmagier Frankreichs:

"Solange du das, was du gelernt hast immer als bessere Alternativen zum Töten benutzen kannst wirst du diese Entscheidung nicht treffen müssen. Bedenke, dass du bei der Liga leichter als Unsicherheitsquelle eingestuft werden kannst, wenn du nicht in deren Sinne handelst, selbst wenn du noch so viele Gründe für dein Verhalten anführst! Und deshalb, ja werte Madame Latierre, erneuere ich mein Angebot, dass Ihr Gatte, wenn sich anders als von mir erwartet doch ein Minister Louvois ergeben sollte, besser zu uns Heilern kommt. Was seine Aufgabe als Veelabeauftragter angeht, so habe ich bereits mit allen Sprechern und Sprecherinnen der magischen Heilzunft darüber verhandelt, dass dadurch kein Interessenskonflikt zum Heilerethos aufkommt, wenn jemand als Vermittler zwischen verschiedenen Zauberwesenrassen tätig ist. Im Gegenteil, eben weil ja vollkommen Rechts- und Fortpflanzungsfähige Nachkommen entstehen können ist ein Vermittler zwischen den humanoiden Zauberwesen sogar ein Gewinn für die Heilerzunft. Das nur für den Fall, dass meine begründete Ansicht, Louvois könne nicht Minister werden, sich leider doch als Irrtum erweisen sollte."

"Gut, ich sehe deiner zuversichtlichen Miene an, dass du glaubst, was du sagst, Antoinette. Deshalb halte ich die Kündigung noch bis zum Wahlergebnis zurück", willigte Julius ein. Antoinettes Kopf ruckelte wieder vor und zurück.

"Ich danke für deine Vernunft und deine Geduld, Julius. So, und jetzt muss ich wohl meine Kniegelenke mit Erholungssalbe bestreichen, damit ich morgen aufrecht zur Wahl gehen kann, nachdem ich jetzt zwei Stunden vor dem Kamin gekniet habe."

"Zwei stunden? Aber nicht bei uns", sagte Julius. Die Matriarchin des Eauvive-Clans, Directrice der Delourdesklinik und Sprecherin der französischen Heilmagier lächelte großmütterlich. Dann sagte sie: "Die zwei Stunden hätte ich dir gegönnt, wenn dabei das rausgekommen wäre, was schon nach fünf Minuten möglich war. Gute Nacht euch vieren und Grüße an Rorie!"

"Nacht, Antoinette", sagten Millie und Julius.

"Was sollte der Auftritt jetzt, Monju?" mentiloquierte Millie, weil Viviane Eauvives Bild-Ich erwartungsvoll lauschend in einem Zaubererbild in der Küche stand.

"Ich bin mir nicht sicher. Aber so wie das rüberkam haben Antoinette, Oma Line und andere Clan-Chefs und -chefinnen was angeleiert, dass Louvois vielleicht noch übel aufstoßen wird. Entweder passiver Widerstand, wenn er seine Politik durchziehen will, oder dass er nach der Wahl mit Sachen bombardiert wird, die bisher noch in irgendwelchen geheimen Archiven rumlagen und nur um das Amt nicht zu beschädigen nicht so früh rausgeholt wurden. Aber besonders hat mich ihre Bemerkung von den Wahlumfragen überzeugt. Es sind eben nur Angaben, Mamille, keine verbindlichen Wahlentscheidungen."

"Und das mit Catherine?" wollte Millie wissen.

"So ganz unrecht hat sie leider nicht. Aber Antoinette weiß, dass Catherine genau wie du und ich zu den Altmeistern hingehen können und Catherine ja auch Ianshiras Zauber gelernt hat."

"ja, aber genau darauf könnte die Liga scharf sein, wenn du bei denen mitmachen musst", mentiloquierte Millie. Dann deutete sie auf die Küchenuhr. Es waren noch zwei Stunden bis zum vierzehnten September. Er nickte. Noch konnte er die Eule mit den Kündigungsschreiben losschicken. Doch er verzichtete darauf und verstaute das Schreiben wieder im Brustbeutel. Sollte Antoinette recht haben, musste außer Millie keiner was davon wissen.

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Im Haus der Eheleute Hamton in Columbus, US-Bundesstaat Ohio


In der Nacht vom 12. auf den 13. September 2002

Da war ein Geräusch, das nicht hierher gehörte. Vera Hamton war sofort hellwach. Hatte sie nur geträumt? Es hatte sich wie das laute Öffnen einer Champagnerflasche angehört. Ihr Mann schnarchte selig neben ihr. Der konnte selbst in einem Saloon bei einer Schießerei noch schlafen, solange den keine Kugel traf, hatte er mal behauptet.

Vera Hamton lauschte in die Nacht. Seitdem sie den alten Zeigerwecker ausrangiert hatte gab es hier nichts mehr, was außer ihnen einen Laut von sich gab. So stellten sich ihre Ohren immer mehr auf die umgebende Stille ein. Dann hörte sie wieder was, ein leises Stöhnen von einer Frau. Kam das von draußen? Sie setzte sich im Bett auf. Ja, sie hörte das Stöhnen. Das kam nicht von draußen! Dann ploppte es noch einmal wie ein aus der Flasche springender Korken. Jetzt wusste sie, was das war. Sie erhielten ungebetenen Besuch.

"Lennie, wach auf. Einbrecher!" zischte sie so leise sie konnte ins rechte Ohr ihres Mannes. Sie rüttelte ihn. Doch er wachte nicht auf. Da flog die Tür auf. Vera riss den Mund zum Schrei auf, als ein lautes Wort in die Stille schnitt: "Stupor!" Das vorerst letzte, dass sie sah, war ein roter Blitz, der vor ihr aufstrahlte. Dann war ihr, als durchfahre sie ein tödlicher Stromschlag. Sie sackte auf die Matratze zurück. Das ihrem Mann dasselbe passierte bekam sie schon nicht mehr mit.

"Das ist an und für sich total feige, was wir hier machen", zischte eine Frauenstimme in Richtung Wohnzimmer, von wo ein leises Knurren wie von einem großen Hund zurückkam. "Hoffentlich sind wir hier überhaupt richtig", sagte die Unbekannte leise. Dann ließ sie aus der Dunkelheit heraus ein kleines aber helles Licht aufleuchten. Das Licht riss eine Frau mit kaffeebrauner Haut und schwarzen Zöpfen aus der Dunkelheit. Sie trug einen sehr knappen korallenroten Badeanzug und am rechten Arm ein schmales Gliederarmband aus Silber. In der Hand hielt sie einen etwa zehn Zoll langen Zauberstab.

"Gut, Schwesterchen, komm rein!" schickte die Hexe im roten Badeanzug eine Gedankenbotschaft in ihrer Muttersprache los. Zur Antwort trabte ein sehr zierliches Wesen in das Schlafzimmer. Von der Form her konnte es leicht mit einem Schäferhund verwechselt werden. Es verströmte einen leichten Raubtiergeruch. Seine kurze Schnauze schwenkte von links nach rechts. Die spitzen Ohren standen aufrecht und bewegten sich leicht nach vorne und hinten. Was das vierbeinige Wesen von einem Schäferhund unterschied war das einheitlich pechschwarze, struwelige Fell und die kurze, buschige Rute, die leicht hinund her zitternd nach schräg oben ausgerichtet war. "Hast du den Antispürstein auch wirklich aktiviert, Schwester?" schickte die Hexe im roten Badeanzug eine Gedankenfrage aus. Keine Sekunde später bekam sie die Antwort:

"Genau wie du den Eingestaltlerrückwerfstein, große Schwester. Los, lege den beiden die Botschaften und die Armbänder hin, und dann wirf diesen roten Fetzen weg und hilf mir!"

"Wieso? Die zwei schaffst du doch alleine, hast du zu Lunera gesagt", gedankensprach die Hexe im Badeanzug. Zur Antwort knurrte das hundeartige Geschöpf. Dann bekam die ungebetene Besucherin die Gedankenantwort:

"Ich weiß, du gefällst dir in diesem aufreizenden Zeug. Aber die zwei da haben nichts davon, wie du gerade rumläufst, und Lunera hat gesagt, dass jede von uns einen von denen anknabbern soll. Also los, auch wenn's dir schwerfällt."

"Gut, damit wir das hinter uns haben", gedankengrummelte die Hexe im Badeanzug. Dann förderte sie aus dem Oberteil eine kleine Ledertasche hervor. Aus dieser nahm sie zwei zusammengefaltete Papierbögen und zwei ähnliche Silberarmbänder, wie sie es am Arm und das schwarzpelzige Wesen am linken Vorderlauf trug. Dann lauschten beide. Außer den Atemgeräuschen der beiden betäubten Hausbewohner war da ein ganz leises, feines Sirren zu hören, für Normalmenschenohren zu leise und zu hoch. Es kam vom Fenster her und näherte sich durch die Luft dem vierbeinigen Wesen.

"Mist, diese Biester sind echt überall. Hoffentlich hat Fino recht. Sonst kriegt uns der weiße Tod noch zu fassen", hörte die im Badeanzug die Gedankenstimme ihrer Schwester. Im Schein ihres Zauberstablichtes konnte sie jetzt ein winziges Insekt um die Schnauze und den Hals der Begleiterin schwirren sehen, eine winzige Mücke, die versuchte, einen Ort zum Landen zu finden. Doch wie von einer gläsernen Barriere um die Vierbeinige herum prallte das Kerbtier ab, schlug Salti und fiel fast auf den Boden. Nach drei vergeblichen Anläufen flog es auf die Hexe im Badeanzug zu, die nun breit grinsend dastand und zusah, wie das Winztier auf ihr Gesicht zujagte, keine zwanzig Zentimeter davor von einem unsichtbaren Hindernis abprallte, dann die freien Arme aufs Korn nahm und wieder wie von einem unsichtbaren Hindernis zurückgeprellt wurde. Dann flog es Richtung Wand, verfolgt vom Zauberstablicht. Anders als übliche Nachtinsekten geriet der geflügelte Eindringling dadurch aber nicht aus der Orientierung oder machte Anstalten, auf die Lichtquelle zuzufliegen, sondern setzte seinen Weg unbeirrt fort, um knapp unter der Decke an der Wand zu landen und sich dort mit den Beinen festzuklammern.

"Bichazo!" fluchte die im Badeanzug. Sie zielte mit dem Zauberstab auf das wohl wartende Kerbtier und zischte "Iovis Maxima!" Von einer knisternden Funkenwolke begleitet schlug ein blauer Blitz zur Wand über und traf das Ziel. Das Insekt glühte kurz auf, sprühte Funken und fiel dann von der Wand herunter. Beim Aufprall zerbarst es in einem kurzen, hellblauen Blitz, der den beiden ungebetenen Gästen in den Augen brannte.

"Mach's Fenster zu, bevor noch so'n Mistvieh dieser Babymacherbande reinkommt!" hörte die im Badeanzug ihre Begleiterin gedankensprechen. "War doch gut, dass ich noch zwei gebrauchsfähige Hände habe, nicht wahr, kleines Schwesterchen?" schickte sie eine biestige Antwort zurück und ging zu den Fenstern. Nachdem sie beide geschlossen hatte lauschte sie. Doch das einzige was sie hörte, waren vier kurze und schnelle Zuschnappgeräusche. Als sie sah, dass die beiden Hausbewohner an den Armen bluteten wusste sie, dass sie sich nicht mehr verwandeln musste. Ihre kleine Schwester hatte tatsächlich in nur zehn Sekunden beide Hausbewohner gebissen.

"Buää, diese Muggelnachtcreme schmeckt echt zum kotzen", bekam die Hexe im Badeanzug eine höchst angewidert gestimmte Gedankenbotschaft. Sie musste grinsen. "Los, weck sie auf. Sonst dauert das zu lange. Du weißt das im Schockzauber liegende Leute mehr als zehn Minuten brauchen, bis ihr ganzes Blut verändert und ihr Körper nicht mehr davon freizumachen ist."

"Wieso, wir haben doch Zeit, Schwesterchen. Der Antispürstein und mein Eingestaltlerrückwerfesteinchen halten uns die anderen vom Hals, und die zwei da können im Moment nichts machen."

"Ich will aber nicht zehn Minuten hier herumsitzen und warten, dass die ganz zu uns gehören. Ich habe im Gegensatz zu dir noch was vor", empfing sie die Gedankenantwort. Dann erfolgte ein gequältes Winseln und Röcheln. Das vierbeinige Wesen krümmte sich und schüttelte sich unter Krämpfen. Dann begann es, sich zu verwandeln.

Als die schwarzen Haare bis auf eine ungebändigte Mähne am Kopf kaffeebrauner Haut gewichen waren und aus dem hundeartigen Wesen eine zierliche junge Frau geworden war sagte die zurückverwandelte in ihrer Muttersprache:

"Gut, wie du meinst. Dann kann ich mir diesen blöden Nachtcremegeschmack aus dem Mund waschen, oder besser, ich plündere deren Alkoholvorräte, wenn die welche haben."

"Mach das. Ich bleibe solange hier und ... Aaaiii!" Der letzte Laut war eine Schmerzäußerung. Deshalb meinte die Zurückverwandelte:

"Ups! Wollte jemand direkt zu uns hinspringen und hat dabei deine kleine Einbauwohnung durchgerüttelt?"

"Mach du noch Witze, blöde Gans! Das ziept ganz ordentlich. Wie haben Rabiosos Gogotänzerinnen das immer wieder ausgehalten?"

"Frage besser, wieso jemand versucht, zu uns hinzuspringen. Hier im Umkreis wohnen sonst keine Eingestaltler-Zauberer und Hexen.

"Mistvieh! Diese Mücke muss einen Rufzauber ausgelöst haben. Deshalb hat das auch so hell geblitzt", erkannte die Hexe im Badeanzug.

"Okay, wir ziehen uns mit denen hier zurück. Am Ende passiert denen das, was mit Rafi in Frankreich passiert ist."

"Stimmt, könnten die Erfinder dieser Seuchenmücken sein, die da ... Aaaiii! O mann, hätte ich besser nicht zu weit reinschieben sollen. Dann wäre das noch herrlich anregend."

"Du bringst mich da auf eine gute Idee", sagte die kleine Schwester der Hexe im Badeanzug und lief schnell in Richtung Wohnzimmer.

"Ich lasse den Antispürstein hier. Der löst sich von selbst auf, wenn ich weiter als fünfzig Meter von dem weg bin."

"Gut, dann machst du das mit den beiden. Ich nehme die Botschaften und Bänder wieder ... Oh, langsam solltet ihr das wissen", stieß die Hexe im Badeanzug aus.

Um Zeit zu sparen übernahm Lunadora, die ältere der beiden, die schnelle Umwandlung der beiden geschockten. Die Bisswunden von Carmenlunas, der jüngeren Schwester, würden trotzdem ihre Wirkung vollenden, wenn die zwei wieder menschliche Formen hatten.

"Joh, genau passend", sagte Carmenlunas, als sie mit ihrem Zauberstab zurückkam. "Na, mal sehen, ob Patablancas Trick echt Funktioniert. Cunnattractus!"

Als beide wussten, dass dieser nur von Hexen ausführbare Zauber wirklich klappte zog sich Carmenlunas mit dem Schnellumkleidezauber ein grasgrünes Kurzkleid und schwarze hochhackige Schuhe an. Mit einem Zauberstabwink ließ Lunadora die Fenster aufklappen. Da hörten sie das näherkommende Brausen von Wind in Reisigbündeln und wussten, sie hatten keine Sekunde mehr zu verschenken. In einer von ihnen hundertfach erprobten Synchronbewegung disapparierten sie. Zurück blieb ein leeres Schlafzimmer. Deshalb konnte auch niemand hören, wie keine Sekunde nach der magischen Flucht etwas mit lautem Knall zerbarst.

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Zur gleichen Zeit im geheimen Hauptquartier der Gruppierung Vita Magica

"Ja, es müssen die Mondheuler sein. Aber die haben diesen verflixten Rückprellbannzauber aufgeboten, den die von Lykotopia schon benutzt haben", hörte Mater Vicesima die Gedankenstimme ihrer Tochter Renalda. "Wird Zeit, dass wir rausfinden, wie der aufzuheben ist."

"Sind deine Vettern mit den Besen schon dran am Haus?" gedankenfragte Mater Vicesima.

"Ja, schon in Reichweite."

"Gut, die sollen die Mondheuler festnehmen und ihnen das abnehmen, was sie gegen unsere Todesboten abschottet, damit wir denen die fällige Dosis verabreichen können", schickte Mater Vicesima zurück.

Als sie dann eine Minute sppäter erfuhr, dass in dem Haus keiner mehr war beorderte die wegen zwanzig geborener Kinder höchstangesehene Ratssprecherin der Vita Magica ihre Außentruppe zurück. Sie ärgerte sich, dass sie keine dieser Rückschaubrillen von Florymont Dusoleil hatten abstauben können. Dann könnten sie jetzt sehen, was die Werwolfbrut in dem Haus getan hatte. Doch das konnte ihr Neffe Pitt ungefähr nachvollziehen. "Ich habe Blut auf beiden Seiten des Ehebettes gefunden und Pfotenabdrücke auf dem Flur. Ich konnte sogar zwei schwarze Haare sicherstellen. Könnte sein, dass wir rauskriegen, wer die Leute da behelligt hat. Jedenfalls sind die wohl überfallen und gebissen worden. Kampfspuren gab es keine. Die wurden wohl im Schlaf überrascht, womöglich mit Schockzaubern gelähmt."

"Oh, dann hätten die ja Cartridges Leute mitalarmiert", meinte Renalda, die auch bei der Besprechung war.

"Na und!" meinte Pitt und deutete auf seinen Gürtel, an dem ein längliches Gerät hing.

"Vielleicht haben die aber auch heraus, wie sie weiter fort bereitliegende Spürsteine außer Kraft setzen können. Die Brut hat sehr begabte Hexen und Zauberer in ihren Reihen."

"Wir doch auch", meinte Pitt und deutete auf sich. Dann grinste er und griff in seine linke Hosentasche. Als seine Hand wieder zum Vorschein kam streute er damit ein gräuliches Pulver auf den Tisch.

"Ich verkünde hiermit, werte Tante, dass mein Artefaktrestesammelzauber funktioniert. Diesen Staub habe ich sichergestellt, als ich ihn in jedem Zimmer angewendet habe. Könnte die Spürsteinaustricksvorrichtung gewesen sein."

"Nur dass wir das Ding nicht mehr zusammensetzen können, weil vollständige Zerstörungszauber wie Confringo oder Dissolvetus oder Reducto keine Reparaturzauber mehr wirken lassen", sagte Renalda.

"Zumindest das Material kriege ich untersucht, Kratzbürste."

"Gut, das machst du. Rodney soll dafür ins Karussell."

"Ey, wieso ich? Ich dachte, der nicht mehr ganz so dicke hat noch zwanzig Stationen vor sich", sagte ein anderer der Einsatztruppe, ein Sohn von Pater Duodecimus.

"Weil ihr drei zu langsam unterwegs wart und du neben Pitt der einzige unverpartnerte von der Truppe bist. Pitt brauche ich noch für die Nachuntersuchung. Los, ab, gründlich duschen und dann erfülle meinen Auftrag!"

"Kannst da selbst gerne einsteigen", grummelte Rodney.

"Pass mal auf, dass dich Pitt nicht gleich reinitiert. Abgesehen davon werde ich das noch tun, wenn der Gentleman, den du erwähnt hast, nur noch eine Station vor sich hat. Von ihm zu empfangen wird mir eine sehr große Ehre und Genugtuung sein."

"Wo wir es davon haben, Mutter, sollen wir diesen jungen Dumas-Burschen noch weiter nach uns suchen lassen, oder finden wir ihn endlich?"

"Willst du seine Kinder haben, Renalda? Du kennst unsere Statuten, denen nach ein bereits mit einer Hexe zusammenlebender Zauberer nur dann gewaltsam hergeschafft werden darf, wenn er eindeutig jemanden aus unseren Reihen an Freiheit oder Leben bedroht oder bereits der Freiheit oder des Lebens beraubt hat. In dem Moment, wo wir wissen, dass er sowas vorhat wird er unser Gast sein. Aber dann wirst du ihn dir mit Mademoiselle Lerouge teilen, weißt du sicher."

"Ich weiß. Aber die hatte vor kurzem schon Nachwuchs."

"Wissen wir schon, wer unseren Agenten im Zaubereiministerium erpresst hat, die Sache mit der Riesin und der Viertelveela an die Zeitungen zu schicken?" wollte Pater Sexta Decimus wissen, ebenfalls ein hochrangiges Ratsmitglied der Vita Magica.

"So billig das klingt, ein Mann im schwarzen Anzug mit Stehkragen, Vollbart und Schlapphut. Von irgendwoher muss dieser Schlapphutträger gewusst haben, dass unser Mann den Regenbogencocktail erfunden hat und seit zwölf Jahren in Paris arbeitet", erwiderte Pitt.

"Ein Mann mit Schlapphut!" knurrte Mater Vicesima. Sie dachte sich ihren Teil.

"Das zielt gegen Mademoiselle Ventvit und gegen Julius Latierre. Also ist es einer der beiden Ministerkandidaten, der die Unterlagen haben wollte. Wenn er damit nicht erpressen, sondern eine Konkurrentin loswerden will kriegen wir ihn."

"Ja klar, wir schicken unsere Rasselbande hin und lassen den vor den Augen der Öffentlichkeit abführen, weil der unseren Agenten hätte auffliegen lassen", sagte Rodney verdrossen.

"Okay, das reicht. Renalda, du darfst an ihm üben", sagte Mater Vicesima. Rodney griff sofort an seinen Gürtel, um seinen Reinitiator freizuziehen. Doch im gleichen Moment legte sich ein rotes Leuchten darüber. Er konnte die gefürchtete Waffe der VM-Truppen nicht anfassen. Dafür hielt Mater Vicesima aus dem Nichts einen solchen Apparat in der Hand, zielte ansatzlos und löste den zwei-Komponenten-Zauber aus. Erst wurde Rodney von einem goldenen Licht getroffen und darin aufgelöst. Als er dann als laut plärrender Neugeborener aus dem Licht herausfiel traf ihn für drei Sekunden ein blaues, flirrendes Licht.

"Dafür, dass er mich für trollbalgdumm gehalten hat. Merkt euch das gefälligst alle, dass ich mir von keinem sowas unterstellen lasse", sagte Mater Vicesima, bevor sie ihren Reinitiator im Nichts verschwinden ließ.

"Öhm, hättest du das auch mit mir gemacht, wenn ich diesen Spruch gebracht hätte?" wollte Pitt wissen.

"Ja, aber ohne dir die Gnade eines erinnerungsballastfreien Wiederaufwachsens zu gewähren. Denn dein Wissen brauchen wir noch, vor allem wenn wir rausfinden wollen, wie wir diese Werwolfseuche doch noch eindämmen und deren Antiapparierbann durchdringen wollen. Also los, geh an deine Arbeit!"

"Wie du möchtest, Mater Vicesima", sagte Pitt und verließ den Raum. Renalda nahm ohne dazu aufgefordert zu sein den körperlich und geistig auf Neugeborenen zurückgeführten Ex-Kameraden und verließ mit ihm nach einem einwilligenden Nicken ihrer Mutter den Raum.

"Louvois oder Lesfeux, wenn wir wissen, wer von euch das mit den Dokumenten angerichtet hat plärrst du auch bald in einer unserer Wiegen", grummelte Mater Vicesima. Dann dachte sie daran, jemandem die seit Jahren fällige Botschaft zu schicken, die nur deshalb noch nicht bedacht worden war, weil sie bereits Nachwuchs bekommen und dieser sich erfolgreich weitervermehrt hatte. Doch langsam wurde es Zeit, dachte Mater Vicesima. Das wäre doch ein gelungener Streich, wenn sie zwei ausgewisene Nachwuchsverweigerer zusammenbringen konnte. Diese Gedanken verflogen aber in dem Moment, als über eine Gedankensprecherkette eine Botschaft aus England an sie weitervermittelt wurde:

"Mater Vicesima, es kam zu noch einem Übergriff dieser Mondheuler. Sie haben versucht, Dorian Pancroft und seine Familie zu infizieren."

"Ist die Familie im Stande, die Angreifer zu identifizieren?" schickte Mater Vicesima über die Gedankensprecherkette zurück.

"Nein, können sie nicht, weil die Biester in Wolfsgestalt über sie herfielen. Ihnen blieb nur die Flucht in die Disapparition", erhielt sie zur Antwort.

"Dranbleiben!" lautete der Befehl der Ratshexe von Vita Magica. Und wo die Verbindung gerade benutzt wurde fragte sie noch, ob weitere Einzelheiten zum Übergriff der Abgrundstöchter vom 26. August bekannt geworden seien. Dazu lagen der Kontaktperson in London keine weiteren Kenntnisse vor. So verwarf Mater Vicesima ihren Gedanken von eben vollkommen. Denn der eine mochte bei der Koordination der Jagd auf die Abgrundstöchter wichtig sein, die andere kannte sich mit diesen Wesen von Berufswegen her sehr gut aus, um vorerst anderweitig beschäftigt zu werden.

"Okay, Kleines, noch ein Jahr Schonzeit. Vielleicht findest du ja doch noch mal wen, der dich zur Mutter macht", dachte sie mit gewissem Ingrimm.

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In der alten Daggers-Villa bei Dropout, Mississippi


13. September 2002, 08:00 Uhr Ortszeit

"So, Schwester Romina. Jetzt erzähl mir das bitte in den nötigen Einzelheiten. Was ist mit deinen Eltern passiert?" fragte Anthelia.

"Ich habe heute morgen versucht, mit meinen Eltern zu telefonieren. Wie mit ihnen vereinbart habe ich meine Stimme mit Varivox auf die Stimme meines Vetters Remo umgestimmt. Das war verdammt gut so. Denn am anderen Ende der Leitung war ein Sonderagent Leroy Huggins vom FBI. Der hat mich gefragt, wer ich sei und ich habe ihm den Namen meines Vetters genannt. Da ich für die Muggelwelt offiziell für tot erklärt wurde ... Aber die wichtigen Sachen. Er hat mich gefragt, warum ich um diese frühe Stunde anrufe. Ich erwähnte, dass ich darauf keine Antwort geben müsse, wenn kein dringender Verdacht auf eine Straftat bestehe. Da hat der mir um die Ohren geknallt, dass die Hamtons wohl aus dem Haus entführt wurden. es seien Blutspuren am Ehebett gefunden worden und keine Anzeichen, dass sie bekleidet und wohlgeordnet das Haus verlassen hätten. Die Nachbarn hätten aber keine Hilferufe oder dergleichen gehört. Die Untersuchung läuft."

"Moment, die könnten doch trotzdem freiwillig das Haus verlassen haben, Schwester Romina", sagte Anthelia.

"Im Nachtzeug?" fragte Romina. Außerdem waren alle Papiere, Schlüssel und sonstigen Wertgegenstände noch da."

"Dann stellt sich die Frage, wer einen Grund für so eine Tat hat. Da du offiziell nicht mehr lebst kann keiner auf die Idee kommen, über dich an mich heranzutreten. Es sei denn ..." Anthelia sprach was immer sie dachte nicht weiter aus. Romina sah sie sehr verängstigt an, als hinge über ihr ein Fallbeil, das durch Anthelias nächstes Wort auf sie herabsausen würde.

"Was hat dieser Agent von der Bundesbüttelbande der Unfähigen gesagt? Es war Blut am Bett?"

"Ja, nicht so viel, aber genug, um deren Bluterkennungsverfahren zu kitzeln, höchste Schwester. Womöglich sind sie von Betäubungsgeschossen getroffen worden."

"Oder gebissen worden", grummelte Anthelia. "Wo genau waren die Blutspuren?"

"Das habe ich nicht gefragt, zumal dieser Fed mir das sicher nicht erzählt hätte", erwiderte Romina leise. Dann erkannte sie, worauf Anthelia hinaus wollte: "Vampire oder Werwölfe, höchste Schwester?"

"Das hängt davon ab, wie weit das Blut vom Kopfkissen entfernt war. Leider können wir es jetzt wohl nicht mehr nachprüfen, weil die Gesetzeshüter der Unfähigen bestimmt alles mitgenommen haben, auf dem Spuren nachzuweisen sind."

"Und was soll ich jetzt tun?" fragte Romina Hamton immer noch höchst verängstigt, zumal die höchste Schwester ihr offenbar nicht helfen konnte oder wollte.

"Regina Hudson geht heute ihrer täglichen Arbeit nach. Die Eltern von Romina Hamton haben ja auch die Telefonnummer ihres Tragbarfernsprechers. Sollten sie darüber anrufen, von wo auch immer, rufst du mich unverzüglich. Womöglich haben die Entführer sie erst einmal in ihr Versteck gebracht, um dort das eigentliche Vorhaben umzusetzen. Wenn es um Vampirifizierung geht, dann müssen sie die nächste Nacht abwarten. Bei den Mondheulern bin ich mir da nicht sicher."

"Du meinst also, meine Eltern sind auf jeden Fall verloren, höchste Schwester. Das kann doch nicht wahr sein!" brach es aus Romina heraus, weil Anthelia diese grausame Enthüllung so eiskalt ausgesprochen hatte.

"Mädchen, wer immer deine Eltern angegriffen hat wollte dich angreifen. Wenn du hier und jetzt die Beherrschung verlierst, dann werden sie erfolg haben."

"Du hast gesagt, die wollen meine Eltern zu Vampiren oder Werwölfen machen oder umbringen. Da bleibe ich doch nicht ruhig bei. Das sind meine Eltern. Klar kannst du darüber so eiskalt reden, wo deine Eltern schon vor Jahrhunderten zu Staub zerfallen sind."

"Kommt darauf an, von welchem Körper die leiblichen Eltern. Ja, von meinem ersten Körper die sind schon seit über dreihundert Jahren tot. Die von meinem zweiten Körper starben im Abstand von mehr als zehn Jahren, der Vater im Jahre 1995, also noch nicht solange her. Und wenn du die von meinem dritten Körper meinst ..."

"Hör auf!!" schrillte Romina und machte Anstalten, Anthelia anzuspringen. Doch diese blickte sie nur konzentriert an. Eine unsichtbare Kraft packte die schon im Flug befindliche Hexe und schleuderte sie erbarmungslos auf den Stuhl zurück und hielt sie dort wie in einer unsichtbaren Schraubzwinge fest. "So, Schwester Romina. Zwei Sachen, die du dir sehr gut einprägen sollst", setzte Anthelia mit einer sehr unheilverheißenden Stimme an. "Erstens versuche nie wieder, mich in irgendeiner Weise anzugreifen. Ich könnte das als Untreue und offene Feindschaft auslegen. Und in diesem Haus ist kein Platz für meine Feinde. Aber im Regal im vorderen Weinkeller stehen noch genug Flaschen herum, wenn deine Seele dem Fluch des alten Urwaldmagiers unterworfen werden und zum Geisterdasein in diesen Mauern gezwungen werden sollte. Das prägst du dir zu erst ein. Zweitens werde ich mir von diesen Blutsaugern und Mondanheulern nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Sollten die wahrhaftig deine Eltern als Köder gegen dich und dich dann als Köder gegen mich verwenden, werde ich ihnen beikommen, ob mit oder ohne Fidelius-bezaubertes Hauptquartier. Was ich bei Lykotopia geschafft habe wird mir auch bei den in ihrer Zuflucht ausharrenden Mondgeschwistern gelingen, und das wissen die auch. Was die Vampire angeht, so kriegen wir die über ihre Abgesandten. Also lasse dich nicht zu irgendwelchen Verzweiflungstaten treiben! Wenn deine Eltern sich auf irgendeine Weise bei dir, also Regina Hudson, melden, dann rufst du mich, egal wo du gerade bist! Hast du das verstanden? - Ja, das hast du verstanden", sprach Anthelia die telekinetisch auf ihrem Stuhl gebannte Mitschwester an. Romina nickte. Anthelia ließ ihre Verbündete wieder frei und sagte dann: "Wir sollten auch herausfinden, warum es doch auf eine Entführung hinauslief. So hättest du arglos mit deinen Eltern kontakt gehalten, bis sie dich in eine Falle hätten locken können, ohne dass ich dir noch rechtzeitig hätte helfen können.

"Stimmt, sogesehen haben diese Entführer zu panisch gehandelt", stellte Romina fest. "Sonst hätten sie die blutbesudelte Bettwäsche noch entsorgt und andere Spuren verwischt, von denen mir dieser Fed nichts erzählt hat. Hmm, heißt das, sie sind aufgeflogen und mussten schnell abrücken?"

"Ich bewundere immer wieder diese neumodische Ausdrucksweise von euch Kindern ohne magische Eltern", erwiderte Anthelia, jetzt eher erheitert als unheilverheißend. "ja, so und nicht anders muss es sich verhalten. Die Übeltäter wurden bei ihrem Tun gestört und zwar so schnell und so drastisch, dass sie nur noch ihr Heil in der Flucht sahen, aber nicht auf ihre Opfer verzichten wollten. Damit können wir die Vampire sogar ausschließen, weil von denen nur sehr wenige so starke Zauberkräfte behalten können, dass sie apparieren können. Außerdem müssen sie was gemacht haben, das sie zumindest vor apparierenden Feinden geschützt hat. Da fällt mir nur dieser Zauber von Rabiosos Werwölfinnen ein, den auch meine auskunftsfreudige Dauergefangene kannte."

"Dann besteht die Möglichkeit, sie zu retten?" fragte Romina mit einem Anflug von Hoffnung. Anthelia wiegte den Kopf. Dann sagte sie: "Nicht mit unseren Mittelnund Kenntnissen. Die einzige Möglichkeit, sie zu heilen kennen die Töchter des Mondes, die in Frankreich auf ihrer versteckten Burg wohnen. ich weiß, dass die Tochter einer Mitschwester Sardonias damals von ihrem Auserwählten gebissen und dadurch zur Werwölfin gemacht wurde. Damals passierte sowas noch aus Versehen. Die besagte Tochter durfte die Mondburg betreten und wurde dort geheilt. Sie war zu dem Zeitpunkt gerade achtzehn Jahre alt. Allerdings verlangten die Mondtöchter von ihr, dass sie ihrer Mutter raten sollte, Sardonias Weg abzuschwören. Doch Sardonia und ich bekamen das mit, und als die Mutter dieser jungen Hexe allenernstes versuchte, Sardonia aus Millemerveilles herauszulocken, um sie dem gegen sie kämpfenden Trupp sogenannter Friedensschaffer auszuliefern starb die Mutter unter Sardonias Todesfluch. Ihre Tochter trat den Mondtöchtern bei, worauf eine von diesen den Kreis der ewigen Wiedergeburt verlassen und ihre Seele auslagern durfte, soweit ich die Legenden um diese Schwesternschaft deuten muss."

"Kreis der ewigen Wiedergeburten? Samsara?"

"Im alten Reich nannten sie es Mirdolamiri, die Last, die von Leben zu Leben getragen wird. Kann sein, dass die französischen Mondschwestern dieses alte Geheimnis noch kennen und verwenden. Weil es immer sechsunddreißig von ihnen sein sollen. Vielleicht sollten wir die Eheleute Mildrid und Julius Latierre dazu befragen. Die waren schließlich dort."

"Gut, ich gehe zurück und warte auf einen Anruf. Ich rufe dich dann, wenn ich weiß, wohin ich gehen soll."

"Ja, mach das!" sagte Anthelia.

Romina disapparierte aus der Daggers-Villa. Anthelia/Naaneavargia dachte daran, dass jetzt, wo die Entführung enthüllt war oder aufgeflogen war, wie sich Romina ausgedrückt hatte, die Eltern von ihr eigentlich wertlos geworden waren. Denn die Entführer konnten sicher davon ausgehen, dass Romina genau darauf lauerte, von ihren Eltern kontaktiert zu werden. Aber ihre Eltern kannten ihren Decknamen. Dann brauchten die Lykanthropen um die wohl gerade von ihrem Kind entbundene Lunera nicht ihre Eltern zu schicken, sondern jeden X-beliebigen aus ihrer Bande auf sie anzusetzen. Sie hoffte nur, dass Romina und sie früh genug merkten, wenn diese Bande zuschlug.

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Millemerveilles, Frankreich


14. September 2002

Die Latierres aus dem Apfelhaus gehörten zu den ersten im Gemeindehaus von Millemerveilles, wo Eleonore Delamontagne zusammen mit zwei Herren aus der Registraturabteilung des Zaubereiministeriums die Wahlzettel entgegennahm. Natürlich hatte sie auch schon gewählt, wenngleich sie keinem sagte, wen genau. Julius erinnerte sich an die letzte Wahl eines Zaubereiministers, wo er Olympe Maxime, die damals noch Madame ladirectrice von Beauxbatons war, per Briefwahl abgestimmt hatte, weil sie da gerade durch Walpurgisnachtringe mit ihm verbunden war. Außerdem wollte sie sich nicht in für sie viel zu kleinen Kabinen hineinquetschen. Er konnte das vollkommen nachempfinden. Denn die aufgebauten, gegen magische Durchdringung bezauberten Kabinen, maßen in der Höhe gerade einmal einen Meter und siebzig, waren gerade einen Meter breit und dito tief. Das war schon eher eine Transportkiste für Hunde als ein Raum zur Ausübung demokratischer Grundrechte, dachte Julius. Deshalb beeilte er sich auch, mit der unbezauberbaren Schreibfeder und der unveränderlichen smaragdgrünen Tinte sein Kreuzchen zu machen. Es gab ja nur noch zwei Kandidaten und ein Feld "Keinen benannten". Doch einige schienen wirklich Zeit zu brauchen, sich zu entscheiden. Für Julius war die Sache nach nur einer Viertelminute durch. Er setzte beim Namen "Melle. Ornelle Ventvit" sein Kreuzchen hin und faltete den Pergamentzettel von außen nach innen, um seine Wahlentscheidung zu verbergen. Wie bei den Muggeln auch kam der Zettel in einen unadressierten Umschlag. Diesen brachte er zu Eleonore Delamontagne. Sie nickte ihm zu und deutete auf den Beisitzer. Dieser kreuzte den Namen Julius Latierres in einer Liste der bereits befragten Wähler an. Dann ließ er Julius den Umschlag in die Urne einwerfen.

"So, jetzt haben wir unser Stimmrecht ordnungsgemäß zu Grabe getragen", meinte César Rocher, der eine Minute nach den Latierres vor das Gemeindehaus kam. "Auf dass wir morgen noch auf Übermorgen hoffen dürfen", sagte Jeanne, die zeitgleich mit César aus dem Haus kam. Julius konnte den beiden nur zustimmen.

Vor dem Gemeindehaus standen Gilbert Latierre und ein Kollege vom Miroir. Die beiden fragten die Wähler, ob sie eine Aussage über ihre Wahl machen wollten. Wer das nicht erwähnen wollte wurde gefragt, wessen Glaubwürdigkeit er oder sie höher einschätzte. Einige gaben darauf Antwort. Julius sagte nur dazu: "Monsieur Latierre, wenn ich Ihnen das erzählen würde könnte ich ja gleich sagen, wen ich gewählt habe. Netter Versuch!" Dann ging er mit seiner Frau und der im Tragetuch auf ihrem Rücken schlummernden Chrysope zurück zum Apfelhaus, wo Béatrice Latierre und Aurore auf der Wiese spielten. Wie schön war das, diesen ganzen schmutzigen Wahlkampf jetzt für einige Stunden zu vergessen, dachte Julius .

Da es in der Zaubererwelt keine Hochrechnungscomputer und auch keine Wahlprognosen gab hieß es für die Kandidaten und Wähler, bis zum offiziellen Wahlergebnis zu warten. das sollte dann um Mitternacht bekanntgegeben werden. Julius unkte schon, dass die Wahlurnen aus Millemerveilles unterwegs verlorengehen könnten, weil Louvois' Agenten genau wussten, dass die Mehrheit dort für Ornelle Ventvit oder "Keinen Benannten" gestimmt hatte. Julius fragte sich einmal mehr, was der Sinn von Demokratie war, wenn es zum einen nur darum ging, wer was in den nächsten nur vier oder fünf Jahren machte und zum zweiten mit so widerlichen Tricks und Anschuldigungen die Gegenkandidaten aus dem Rennen bombardierte. Dass die Presse, eigentlich als neutrale und auch kritische Beobachterin, sich auch in der französischen Zaubererwelt vor den Karren des einen oder des anderen spannen ließ ärgerte ihn jedoch mehr. Zwar hatte Gilbert bis auf die Frage nach den Ermittlungen gegen die Vita-Magica-Gruppe keinen für den einen oder den anderen Kandidaten sprechenden Artikel geschrieben. Doch dafür war ihm im Miroir und dem alteingesessenen Rundfunk Verantwortungslosigkeit und ein Sprechverbot seitens seiner Familie unterstellt worden.

Der Abend kam und damit die Spannung, wer gewonnen hatte. Julius sprach über die Armbandverbindung mit seiner Mutter. Diese durfte ja nicht mehr in Frankreich wählen, weil sie US-Bürgerin geworden war.

"Und den dreien geht's auch noch gut?" fragte er.

"Ja, geht es. Aber mir gehen langsam die passenden Kleider aus, vor allem die Unterwäsche", grummelte seine Mutter. "Wenn ich wüsste, wer Lucky und mir diesen Cocktail untergejubelt hat würde ich die ganzen Rechnungen für Umstandskleidung und die fünfzehn Reisewindeln bei Gericht einklagen."

"Kann ich verstehen. Gérard und Sandrine hatten das auch vor", sagte Julius. Dabei fiel ihm ein, dass Gérard mal wieder geschäftlich unterwegs war und dachte auch an die Warnung der mit Babykopfmasken verkleideten Kampftruppen von Vita Magica, dass Gérard aufpassen sollte, sich nicht zu weit vorzuwagen.

Die Mitternachtsstunde kam. Da Gilbert als akreditierter Reporter die Bekanntgabe des Wahlergebnisses mitverfolgte bestand für die Latierres sogar die Möglichkeit, über ihre Pappostillon-Bilder direkt nach Veröffentlichung des Ergebnisses zu wissen, woran sie waren. Zudem hatten sie auch noch das große Zaubererweltradio eingeschaltet, dass Julius im Jahr des Didier-Regimes zu Weihnachten bekommen hatte. Jetzt trat Monsieur Nicholas Beaumot, der von allen Kandidaten akzeptierte Leiter der Wahlkommission, vor die Schallansaugtrichter der versammelten Rundfunkberichterstatter. "Mesdames et Messieurs, in meiner Eigenschaft als Sprecher der Wahlauswertungskommission für die Wahlen zum Zaubereiminister Frankreichs habe ich schon zehn Wahlgänge begleitet und die Ergebnisse verkünden dürfen. Wie Sie alle ging ich davon aus, nach der um 23:00 Uhr abgeschlossenen Auszählung aller abgegebenen Stimmen ein verbindliches Ergebnis präsentieren zu können. Sicher, eindeutig ist es. Doch muss ich zum ersten mal in meiner ehrenamtlichen Tätigkeit einräumen, dass das Ergebnis nicht die im Vorfeld entstandenen Erwartungen erfüllt hat und daher noch einmal einer ausländischen Prüfungskommission zur Bewerrtung vorgelegt wird. Demnach gilt im Moment unter demVorbehalt, dass das Ergebnis für Rechtskräftig erklärt werden muss, folgende Stimmenverteilung:

keinen benannten Kandidaten wählten drei Prozent der Wählerinnen und Wähler. Auf den Kandidaten Égisthe Louvois entfielen drei Prozent aller abgegebenen Stimmen ... und auf die kandidatin Ornelle Ventvit entfielen vierundneunzig Prozent aller abgegebenen Wählerstimmen. Gemäß den im Vorfeld veröffentlichten Wahlumfragen stellt dieses Ergebnis eine totale Umkehrung dar. Deshalb musste ich die Stimmzettel und die Listen der Wählerinnen und Wähler an das für solche Unstimmigkeiten zuständige Büro der internationalen Zaubererkonföderation, Abbteilung Ministerialpolitik, weitergeben. Deren Ergebnis wird nicht vor morgen zwölf Uhr Mitternacht erwartet, da hier nicht nur die abgegebenen Stimmen gezählt werden, sondern die Unterlagen auf vorangehende magische Manipulation geprüft werden müssen, sowie die Wahlkabinen einer Untersuchung unterzogen werden, ob in diese das Abstimmungsverhalten beeinflussende Flüche eingewirkt wurden. Dies, so betone ich mit größter Missbilligung, ist das erste mal in der geschichte der durch freien Wahlen bestimmbaren Zaubereiverwaltung, dass eine derartige Nachprüfung für Frankreich nötig wurde. Zu erläutern, wie es zu diesen Ergebnissen kam obliegt im Moment dem Prüfungsbüro. Ich hoffe, Sie alle hier im Presseraum des Zaubereiministeriums und Sie dort draußen an den Rundfunkempfängern nicht enttäuscht zu haben, dass Sie noch kein verbindliches Ergebnis von mir erfahren durften. Ich wünsche Ihnen allen eine gute Nacht."

"Öhm, wie ging denn das jetzt?" fragte Millie ihren Mann. Dieser grinste breit.

"Dass du Familienwesen das nicht begreifst wundert mich jetzt. Du hast doch Antoinette gehört. Als die was von Familienzusammenhalt und Louvois Angriffen auf die althergebrachten Gefüge erzählte hat es bei mir Klick gemacht. Irgendwann haben sich die Eauvives, unsere Familie und andere Clans zusammengesetzt und beraten, was sie ihren Angehörigen für Empfehlungen aussprechen sollen. Vielleicht haben auch unsere Angehörigen nachgefragt, ob sie überhaupt wählen gehen sollen, wenn da solche Schlammschleudern und Riesenzüchter zur Wahl standen. Kann mir vorstellen, dass Hera sogar als eine der wenigen für Louvois gestimmt hat, weil sie das mit Meglamora ablehnt. Aber die meisten anderen haben wohl drauf gehört, was ihre Chefs und Chefinnen empfohlen haben. Und blaub's mir, dass Oma Line oder Uroma Barbara sicher nicht für einen Rassisten wie Louvois gestimmt haben, wo in deiner Blutlinie irgendwo eine Halbriesin steckt und deine Oma Lutetia eine reinrassige Zwergin ist."

"Heftig, aber so könnte das gelaufen sein, Monju. Außerdem könnten da, wo Hexen die Familiensprecherinnen sind, Sympathien für die einzige Hexe bei den Kandidaten mitspielen."

"Also, ich gehe davon aus, dass das Ergebnis rechtmäßig ist", sagte Julius. "Tja, was heißt das dann? Wir erleben dann die Wiedereinführung der Aristokratie in Frankreich, keinen König oder eine Königin, aber zumindest eine Gruppe von Familienoberhäuptern, die bestimmen, wer unter ihnen Zaubereiminister sein darf. Ich weiß nicht, ob mir das auf die Dauer so gefällt. Aber ich habe das Lied "Gott schütze die gnadenvolle Königin" ja aus beiden Mutterbrüsten in mich eingesogen. Mit der guten alten Ellie Windsor fahren die Briten ja immer noch besser als mit so manchem Fünf-Jahre-Präsidenten in Sonst-wo."

"Und wenn Belle-Maman Martha damals schon so ergiebig war wie sie jetzt aussieht hast du deine Verehrung für das britische Königshaus sicher in Rorie, Chrysie und deren noch in mir wartende Geschwister weitergegeben", setzte Millie Julius' Anspielung noch eins drauf. Er nickte nur.

Draußen klang Jubelgeschrei auf, Tröten und Flöten ertönten. Eigentlich war das gegen die Gemeinderegeln, nach Mitternacht noch so laut zu sein. Aber Julius war sich sicher, dass in dieser Nacht kein Dorfrat dagegen einschritt, ja sogar bei dem Lärm mitmachte.

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In den Räumlichkeiten des Magazins "Heute ist Morgen" in Nassau, Bahamas


14. September 2002, 10:20 Uhr Ortszeit

"So, mein Taxi wartet, Regina. Wenn Dr. Lieberman von CCE anruft sage ihm bitte, dass unser Boss mit seinen Bedingungen einverstanden ist und ich übermorgen bei ihm in San Francisco zum vereinten Termin vorsprechen kann!" sagte die rassige Latina, mit der sich Regina Hudson das Büro teilte. Die Frau hätte vor zehn Jahren noch jeden Laufsteg von New York bis Mailand erobern können. Doch die aus Kolumbien stammende Reporterin, die ihre Eltern bei einem Bombenanschlag verloren hatte, war jetzt sicher nicht mehr für sowas kurzlebiges wie Mode zu begeistern.

"Ich habe deinen vorläufigen Artikel gelesen, Anita. Schon faszinierend, was die von CCE da entwickelt haben. Ich dachte erst, ich lese eine Geschichte aus 2040 oder später. Aber wenn die echt soweit sind ist das genau eine Story für uns."

"Will ich wohl meinen. So, bis dann, Chica. Hasta mañana!"

"Hasta mañana, Muchacha", erwiderte Regina Hudson. Dann sah sie der kaffeebraun getönten Kollegin mit der schwarzen Löwenmähne zu, wie sie das Büro verließ. Jetzt war sie allein, allein mit ihren ganz eigenen Sorgen und Ängsten.

Anthelia und sie hatten es sehr gut hinbekommen, dass sie hier als Regina Hudson arbeiten konnte, vor allem, weil sie hier das tun konnte, was vorher Cecil Wellington alias Ben Calder erledigt hatte. Hier hatte sie die schnellstmögliche Internetverbindung und vor allem, weil sie hier nicht auf dem Hoheitsgebiet der USA waren, durften sie auch die maximale Verschlüsselungssoftware benutzen. Nachdem einige gut versteckte Hintertürmodule so umgebaut worden waren, dass sie nur das an ihre geheimen Mitleser rausließen, was die Redaktion wollte, waren sie auch von CIA und NSA größtenteils unabhörbar. So konnte Regina auch mit Patricia Straton weiter in Kontakt bleiben, die nach dem Tod vieler männlicher Sonnenkinder beim Sturm auf ein von dementoren verseuchtes Schiff die Rolle der Muggelweltkontakterin übernommen hatte. Hier konnte sie zwischendurch E-Mails über eine der vier Phantomadressen verschicken, die sie eingerichtet hatte. Doch was brachte das alles noch? Ihre Eltern waren entführt worden, womöglich von den Lykanthropen der Mondbruderschaft. Man hatte sie nicht zurückgeschickt, aber auch keine Forderungen erhoben. Sollte sie das jetzt eher beruhigen oder noch mehr beunruhigen?

Das Telefon trällerte. Regina Hudson alias Romina Hamton sah an der Rufnummernanzeige, dass der Anruf aus der Bundesrepublik Deutschland kam. Sie konnte kein Deutsch. Außerdem kannte sie die Nummer nicht. Sie überlegte, ob sie den Anruf erst an die Zentrale zurückschicken und den Anrufer dort überprüfen lassen sollte. Doch nach dem fünften Klingeln nahm sie das schnurlose Telefon und drückte auf die Gesprächsannahmetaste.

"Redaktion "Heute ist Morgen", Sie sprechen mit Regina Hudson, guten Morgen!" leierte sie die übliche Meldearie herunter.

"Claudia Brunner von der Firma Heliomotive GmbH in Kassel, Bundesrepublik Deutschland. Wir sind ein in vier Ländern aufgestelltes Unternehmen der Solarzellentechnik für den Mobilen Einsatz und haben vor kurzem ein photovoltaisches Element entwickelt, mit dem wir die Zukunft des Personenverkehrs, der heimischen Stromversorgung und der Kommunikation erheblich verändern werden, zum guten versteht sich. Mein Chef, Dr. Wiesehügel, lädt daher Journalisten der für technische Fach- und Populärpublikationen zuständigen Medien zu einer Vorführung am 16. September 15:30 Uhr Mitteleuropäische Zeit ein. Uns wurde mitgeteilt, dass Sie als Vertreterin Ihres Magazins im Bereich Energieerzeugung und Transportverfahren besonders erfahren und engagiert sind. Daher darf ich neben der in diesem Moment an Ihren Chefredakteur gefaxten Einladung auch persönlich fragen, ob Sie bereit sind, unserer Vorführung beizuwohnen und darüber zu berichten."

"Heliomotive GmbH? Sie unterhalten keine Außenstelle oder Partnerschaft in den USA, richtig", sagte Regina Hudson behutsam. Sie wollte nicht gleich behaupten, von dieser Firma noch nie etwas gehört zu haben.

"Das ist richtig, wir sind bisher nur auf dem europäischen Festland vertreten. Um so mehr sind wir daran interessiert, mit unserer Neuentwicklung auf den nordamerikanischen Markt vorzustoßen, sofern wir Partner oder Niederlassungen dafür gewinnen können. Aber das dürfen Sie gerne mit meinem Chef selbst besprechen, wenn die Vorführung vorbei ist und Sie und andere Journalisten Fragen an ihn richten dürfen."

"Steht in dem erwähnten Fax auch drin, was genau Sie vorzuführen wünschen?" fragte Regina Hudson zurück.

"Soweit es unser Betriebsgeheimnis nicht verletzt ja. Aber natürlich wollen sie wissen, weshalb Sie von uns ausgewählt wurden. Sie haben vor drei Monaten in Ihrem Magazin einen Artikel zur Miniaturisierung von Solarzellen für Armbanduhren, Taschenlampen und Mobiltelefonen geschrieben. Dabei erwähnten sie, dass der geringe Wirkungsgrad von gegenwärtigen Solarzellen eine weitere Verkleinerung unmöglich mache. Meine Firma kann Ihnen da jetzt verbindlich versichern, dass dieses Problem schon bald der Vergangenheit angehören wird. Wenn Sie darüber berichten wird dies eine Ihnen sicher sehr willkommene Ergänzung des Artikels sein." Regina nickte. Sie hatte wirklich über die räumlichen Untergrenzen von Solarzellen geschrieben. Doch um sicher zu gehen, dass die Dame am anderen Ende ihr nichts vormachte fragte sie noch nach dem Namen des Artikels. Als dieser korrekt wiedergegeben wurde und auch von Frau Brunner bestätigt wurde, dass er im Einladungsfax erwähnt wurde, erklärte sich Regina Hudson bereit, die Einladung und ihren Terminplan zu überprüfen und in jedem Falle in einer Stunde zurückzurufen. Damit war die Gesprächsteilnehmerin einverstanden. Dann fragte Regina noch, woher die deutsche Anruferin ihre Durchwahl habe, weil die auch eine Art Betriebsgeheimnis sei.

"Wir unterhalten eine sehr gute Beziehung zu einem globalen Mediennetzwerk, das sämtliche Kontaktmöglichkeiten von Journalisten ergründet und für seriöse Interessenten bereithält. Daher konnten wir Ihre sonst nur wenigen bekannte Durchwahl erfahren."

"Gut, dann verbleibe ich bis in einer Stunde", sagte Regina Hudson alias Romina Hamton. Die Anruferin bestätigte das.

Nachdem die Verbindung getrennt war rief Regina Hudson sofort im Vorzimmer des Chefredakteurs an und erfuhr, dass dort wirklich schon ein fünfseitiges Fax aus Kassel eingetroffen war. Dieses Fax wurde ihr umgehend auf den eigenen Drucker kopiert. Wahrhaftig ging es dabei um die als mögliche Revolution in der Photovoltaik ausgegebene Entwicklung einer Solarzelle, deren Wirkungsgrad bei 95 Prozent lag, also fast genau die gleiche Menge Energie bereitstellte, die im auftreffenden Sonnenlicht übermittelt wurde. Dabei sollte die dabei entstehende Wärme noch in Strom umgewandelt werden, woraus sich ein bis gestern noch total utopischer Wirkungsgrad von 99,92 % ergab. Dieses Element könne im Moment Zellen von einem Quadratzentimeter Fläche hervorbringen. Es werde aber an flexibel einbaubaren Zellen von nur einem Quadratmillimeter gearbeitet, womit der Verwendbarkeit keine natürliche Grenze mehr entgegenstehe, zumal die Verkleinerung durch noch bessere Herstellungsvorgänge weiter fortschreiten könne und sogar ganze Photovoltaikfolien als Überzug für Gebäudewände, Autos oder Mobilfunkgeräte möglich werden könnten. Das klang voll nach Zukunftsmusik und war deshalb bei "Heute ist Morgen" goldrichtig angebracht. Allerdings musste gerade deshalb genau überprüft werden, ob dahinter nicht ein gigantischer Schwindel steckte, um Investitionen zu erschleichen und Käufer zu locken, die Millionen für wertlosen Schrott ausgaben. Auch das gab es leider immer wieder, wusste die angebliche Reporterin. Vieles war eben nur durch Magie möglich, und da wurde Dank der Ideen aus der Muggelwelt gerade neunzig Prozent Wirkungsgrad bei Sonnenlichtwandlern erzielt, die elektrische Geräte in Gegenden ohne Anschluss an das Stromnetz ermöglichten.

Die Stunde bis zum angekündigten Rückruf verbrachte Regina mit einer ausgiebigen Internet- und Telefonrecherche, um zu klären, was es mit der Firma auf sich hatte. Dabei erfuhr sie, dass es diese Firma schon seit 1997 gab und sie im Rahmen der Solarförderung der von Sozialdemokraten und Grünen geführten Bundesregierung eine gute Ausgangsposition auf dem internationalen Markt erreicht hatte. Sie war kein Börsenunternehmen, sondern eine Gesellschaft mit beschrenkter Haftung, an der jedoch drei Technikkonzerne beteiligt waren. Auf jeden Fall bekam Regina auf diese Weise einen umfassendenÜberblick über Geschäftsleitung und Jahresumsätze seit der Gründung. Wenn diese Firma wirklich eine bahnbrechende Verbesserung des Wirkungsgrades erzielt hatte, dann waren deren Anteilsinhaber Milliardäre und in zwanzig Jahren fuhr dann kein benzingetriebenes Fahrzeug mehr herum, und Kohle- und Atomkraftwerke waren dann Dank für jedes Gebäude selbst verfügbarer Sonnenenergie Geschichte. Schön wäre das, wenn das schon jetzt ginge, dachte Romina Hamton alias Regina Hudson. Denn genau deshalb, um die Umweltverfehlungen ihrer Mitmenschen zu beenden, war sie zu Anthelias Hexenorden gegangen, weil Anthelia diese Entwicklung stoppen wollte.

Als sie die Nummer in Kassel anrief, die auf den Internetseiten als Vorzimmer des Pressesprechers aufgeführt war, verkündete sie, dass sie von Ihrem Chef die Genehmigung hatte, der Vorführung beizuwohnen, sofern diese wie im Fax erwähnt, auf Englisch stattfand.

Nach dem Telefonat lehnte sich die als Spionin in der Muggelwelt arbeitende Hexe zurück und konzentrierte sich auf Anthelia. "Höchste Schwester, wurde vorhin zu einer Vorführung neuer Sonnenlichtumwandlungsvorrichtungen eingeladen. Die Vorführung ist übermorgen. Ich werde dort hingehen", schickte sie los und fühlte, wie sich ihr Kopf erwärmte.

"Wo soll das sein?" vernahm sie Anthelias Gedankenstimme. Sie teilte es mit.

"An und für sich erfreut es mich, dass die Magieunfähigen von ihrem bisherigen Weg der Kraft- und Lichterzeugung abrücken wollen. Aber ich würde da gerne noch mehr wissen. Hast du Unterlagen über Ort und Leute?" Regina bejahte es. "Dann erstelle Kopien davon, wenn du alleine bist und führe den Praeparo-Apportus-Zauber aus. Der dürfte schwach genug sein, deine Elektromaschinen nicht zu stören."

Romina tat, wie ihr geheißen war und meldete Anthelia den Vollzug des Befehls. Keine Sekunde später waren die kopierten Unterlagen verschwunden.

"Kannst du eine Stunde fort, ohne vermisst zu werden", fragte Anthelia sie dann.

"Nach dem Mittagessen habe ich mindestens eine Stunde Zeit. Dann ist die Nachmittagskonferenz, wo bestimmt auch über die Einladung gesprochen wird. Meine Kollegin hat sich bis morgen verabschiedet. Die ist rüber aufs Festland, um da ein Interview mit wem zu führen. Da ginge was.

"Gut, dann komm sobald du kannst zu mir."

Nach dem Mittagessen apparierte Regina Hudson aus der Damentoilette in die Daggers-Villa, die von hier aus gute tausend Kilometer entfernt war.

"Wir müssen davon ausgehen, dass jede Aufforderung, dich weit genug von deinen üblichen Orten zu entfernen, eine Falle sein kann", kam Anthelia sogleich auf den Punkt ihrer Einbestellung. "Allein schon, dass diese Claudia Brunner deine Direkte Durchwahl hatte, die sonst nur dein Chefredakteur, deine Eltern und Patricia Straton haben, verrät mir, dass sie eigentlich keine Dritten in diesen Vorgang einbeziehen wollte. Sie hätte dieses elektrisch gemachte Fac Simile doch auch ohne dich anzufernsprechen verschicken können. Sie wollte aber hören, wie du darauf reagierst."

"Höchste Schwester, bei allem Respekt. Aber die Firma existiert doch. Genau deshalb habe ich das ja geprüft, um nicht auf irgendeinen Schwindler hereinzufallen. Alles da, Eintrag ins deutsche Handelsregister, Jahresabschlüsse, öffentlichkeitsrelevante Angaben über die Firmenleitung und wichtige Mitarbeiter."

"Ja, alles da. Aber ihr habt keine Bestätigung, das andere Zeitungen und Berichterstattungsgruppen diese Einladung erhalten haben."

"Woher auch. Wir rufen doch nicht bei der Konkurrenz an und fragen die, ob die eine Einladung gekriegt haben. Wer kommt ist halt auch eingeladen worden", sagte Romina Hamton.

"Ich will, dass du einen wörtlich auslösbaren Portschlüssel mitnimmst oder noch besser, dich auf eine mögliche Begegnung mit den Entführern deiner Eltern vorbereitest. Da sie international und durch Magie auch weltweit antreffbar sind können sie dir überall auflauern."

"Soll ich jetzt mit einer Mondsteinsilberwaffe dahin?" fragte Romina. "Wird schon schwer sein, meinen Zauberstab mitzunehmen."

"Da wir davon ausgehen müssen, dass diese Bande sich gegen die Werwolfsblutzersetzungsseuche abschotten müssen nutzen wir das aus. Du bekommst von mir morgen früh ein entsprechend bezaubertes Silberarmband. Die Abstoßungskraft desselben dürfte mit der der von den Lykanthropen verwendeten Schutzartefakte wie mit gleichen Polen zueinander zeigenden Magneten wirken. Dieses Armband musst du tragen, egal wo du bist."

"In Ordnung, höchste Schwester. Aber ich kann morgen Früh nicht erst bei dir vorbeikommen und um neun schon bei der morgentlichen Redaktionskonferenz dabeisein."

"Deshalb wirst du die Nacht hier verbringen, Romina, bei mir."

"Wie du es möchtest, höchste Schwester", erwiderte Romina und dachte, dass sie im Grunde außer Fernsehen oder Computern am Abend nichts anderes vorhatte. Außerdem musste sie zugeben, dass Anthelia recht haben mochte. So ging sie darauf ein, nach Redaktionsschluss um sieben nicht wie üblich mit einem Bus zu ihrer angeblichen Wohnung zu fahren, sondern gleich nach Verlassen des Gebäudes eine unbeobachtbare Ecke zu nutzen, um zu disapparieren.

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In der Villa 500 Meter von der französischen Atlantikküste entfernt


15. September 2002, 05:30 Uhr Ortszeit

"Wir müssen diese Leute finden und entsprechend behandeln, dass die das Ergebnis für ungültig erklären, Jean. Wenn die das durchgehen lassen sind wir alle geliefert", zischte Égisthe Louvois. Seine Augen waren angstgeweitet. Seine Haut war blass. Kalter Schweiß perlte von seiner Stirn. Sein Helfer Jean Legris sah ihn besorgt an.

"Die haben sich an einem mit Fidelius-Zauber belegten Ort zurückgezogen, Égisthe. Selbst unsere treuen Spione kommen da nicht hin, weil sie eben nicht wissen, wo sie hin müssen."

"Ja, und wenn die das Ergebnis haben wird es wohl wieder per Portschlüssel verschickt. Da ist dann nichts mit Abfangen von Eulen oder Flohnetzbesuchern. Aber wenn die das Ergebnis für gültig erklären bin ich einen Tag später tot", stieß Louvois aus.

"Nein nicht den Tag drauf, sondern erst, wenn diese Riesenzüchterin Ventvit als Ministerin vereidigt werden sollte", sagte Legris.

"Also in drei Tagen, zum großen schwarzen Drachen noch eins. Aber die soll nicht Ministerin werden. Vielleicht sollte ich die von unserem Spionelfen handlungsunfähig machen lassen."

"Ja, und damit klarstellen, dass Sie kein Recht auf das Amt haben, Monsieur Louvois. Denn wenn ein aussichtsreicher Kandidat getötet wird, werden die Kandidaturen der anderen solange ausgesetzt, bis der Auftraggeber oder Täter selbst ermittelt ist. Das sollten Sie eigentlich wissen."

"Wieso, es wird einfach behauptet, die habe sich abgesetzt, weil sie den Betrug begangen hat." Legris schüttelte den Kopf. Dann sagte er was, das Louvois auch selbst hätte erkennen müssen: "Es war ein tödlicher Fehler, diesen Vertrag zu unterschreiben."

"Das wird sich noch zeigen", knurrte Louvois. "Ich lasse die Wahl anfechten und wiederholen. Solange kein anderer zum Minister ernant wurde kann ich das noch hinkriegen, dass ich den Vertrag erfülle."

"Lass unsere Rechtsverdreher nachsuchen, ob ein derartiger Unterschied von Wahlumfragen und -ergebnissen eine Anfechtung der Wahl gerechtfertigt!" sagte Louvois. jean nickte. Doch dann sagte er: "Wahlumfragen sind keine verbindliche Festlegung, weil die Wahlen an sich frei und geheim ablaufen müssen. Wer zu Wahlumfragen was sagt tut das, weil er oder sie das will, ganz frei. Abgesehen davon wurden ja nur zwanzig Prozent der Wähler gefragt, wie Louis vom Miroir mitgeteilt hat."

"Das heißt, achtzig Prozent der Wähler haben dazu nichts gesagt?"

"Genau so ist es", sagte Legris.

Eine halbe Stunde später hatte Louvois das Ergebnis seiner eigenen Anfrage. Demnach galten Wahlumfragen eben daher, dass sie nicht bei allen durchgeführt werden mussten und jeder sich freiwillig dazu äußern konnte, als nicht verbindliche Aussage für den Ausgang einer Wahl. Darauf begründete Anfechtungen hatten keine Chance auf Erfolg.

"Posites Champverd soll das Ergebnis doch verwerfen. Er hat das Recht dazu", sagte Louvois.

"Öhm, den Brief von Ihnen hat er noch?" fragte Legris Louvois. Dieser nickte heftig.

"Ich probiere es aus", sagte Legris.

"Weiß Ballard, wer das mit seiner Zugehörigkeit zu VM rausbekommen hat?" fragte Louvois, ein anderes Thema anschneidend. Legris schüttelte den Kopf. "Wir haben unseren Boten vorgegaukelt, er sei im Auftrag von Montpelier unterwegs gewesen. Wenn sie den Boten kriegen werden sie den durch Legilimentik nur darauf kommen lassen, dass er von Montpelier beauftragt wurde."

"Dann bin ich zumindest nicht der einzige, der über die Klinge springt, wenn Ventvit bestätigt werden sollte."

"Die von VM lassen keinen über die Klinge springen. Die schrumpfen einen zu kleinen Hosenscheißern zurück, damit die später mal weitere kleine Hexenund Zauberer machen können, wenn sie wieder groß sind", sagte Legris. Louvois stutzte. Davon hatte er noch nichts gehört, und er hatte eigentlich gedacht, genug Informanten im Ministerium zu haben.

"Woher haben Sie das denn, Jean?"

"Ist einem Werwolfsuchkommando passiert, als das mit Lykotopia richtig heftig wurde", sagte Legris." Louvois ließ sich dann berichten, was Legris wusste und fragte ihn dann, wieso er davon nichts erfahren hatte. "Weil Ballard das natürlich nicht verraten wollte. Aber ich habe vor zehn Tagen noch einen Informanten angeworben, der Zugang zu Vm hat, aber nicht genannt werden darf. Nenne ich ihn doch, wirkt ein in mir eingelagerter Infanticorpore-Fluch. Die haben diesen Zauber mittlerweile so vielseitig aufrufbar gemacht."

"Öhm, und denen wird auch das Gedächtnis genommen?" fragte Louvois.

"Die wissen dann auch nicht mehr, wer die vorher waren, sind eben völlig zurückverjüngt, körperlich und geistig."

"Interessant", sagte Louvois. "Das heißt, dann würde sich auch niemand dran erinnern, dass er oder sie einen magischen Vertrag unterschrieben hat?"

"Das kann ich nicht sagen, weil ich nicht weiß, ob da nicht auch der lebende Körper eine Rolle spielt und nicht nur das Bewusstsein, was getan zu haben." Louvois nickte. Also war das auch nichts für ihn. Zudem musste er dann auf sein Gedächtnis verzichten.

"Gut, versuchen wir, die Wahl anfechten zu lassen", sagte der Ministerkandidat von Martinique. "Erinnern Sie den guten alten Posites Champverd an seine vielen ganz exklusiven Urlaubsreisen auf unsere paradiesische Insel!" sagte Louvois.

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Leitartikel der Temps de Liberté vom 16. September 2002


ORNELLE VENTVIT ALS NEUE ZAUBEREIMINISTERIN BESTÄTIGT


WAHLPRÜFUNGSKOMMISSION DER INTERNATIONALEN ZAUBERERKONFÖDERATION ERKENNT UNERWARTETES WAHLERGEBNIS AN

Nachdem Wahlkommissionsleiter Nicholas Beaumot am 14. September das den vorausgegangenen Wahlumfragen des Miroir Magique total entgegenstehende Ergebnis verkündete, dass Ornelle Ventvit trotz der Diskussion über die aus gestohlenen Geheimakten entnommenen Maßnahmen das Vertrauen der überwiegenden Mehrheit aller französischen Hexen und Zauberer zuerkannt bekam, mussten sämtliche Wahlunterlagenund Kabinen einer intensiven Überprüfung unterzogen werden. Die internationalen Wahlprüfer tagten in einem durch Geheimhaltungszauber abgeschirmten Haus, um frei von nachträglicher Einflussnahme das Ergebnis zu bewerten. Die Überprüfung von Kabinen, Tinte, Federn und Pergamenten, sowie der Urnen ergab, dass es keine manipulativen Zaubereien gab, die einen bestimmten Kandidaten als Sieger hätten darstellen können. Nach dreimaliger Auszählung aller Stimmen und Vergleich mit der Anzahl als Wähler registrierter Bürger steht jedoch fest, dass Ornelle Ventvit die neue Zaubereiministerin Frankreichs wird. Die Anzahl der von ihrem Stimmrecht gebrauch machenden Zaubererweltbürger lag bei satten fünfundneunzig Prozent. Damit haben wir die höchste jemals verzeichnete Wahlbeteiligung, seitdem Frankreichs Zaubererwelt durch einen in freien und geheimen Wahlen bestimmbaren Zaubereiminister vertreten wird. Gerüchte, einflussreiche Familien der französischen Zaubererwelt hätten ihre Angehörigen zu einem bestimmten Wahlverhalten gedrängt, konnten die Kommission nicht davon abbringen, das Ergebnis für rechtmäßig zu erklären. Zu den Gerüchten sagte Nicholas Beaumot: "Abgesehen davon, dass wir Franzosen sehr familienverbundene Leute sind müsste ja für eine solche konkrete Einflussnahme eine völlige Einigung zwischen allen ranghohen Zaubererfamilien erzielt worden sein. Und bei dem Konkurrenzdenken zwischen den Familien halte ich sowas für sehr sehr unwahrscheinlich."

Somit dürfen wir nun verkünden, dass Ornelle Ventvit die erst sechste legitimierte Zaubereiministerin seit der Zeit der dunklen Matriarchin Sardonia sein wird. In einer ersten Stellungnahme erwähnte sie, dass sie auch als Zaubereiministerin ihr Hauptaugenmerk auf das friedliche Miteinander von Menschen und denkfähigen Zauberwesen richten würde, da es sich gerade in den großen Krisen erwiesen habe, dass wer die Gunst mächtiger Wesen gewönne sehr viel Macht erlangen könnte. Im Sinne von Freiheit und Frieden aller magischen und nichtmagischen Menschen wolle sie dafür arbeiten, dass es keine gewaltsamen Auseinandersetzungen mit handlungsfähigen Zauberwesen gebe.

Auf die Frage unserer Reporterin Mildrid Latierre, wie die Abteilung für magische Geschöpfe nun organisiert werde sagte die designierte Zaubereiministerin: "Monsieur Vendredi wird weiterhin der erste Leiter und Sprecher der Abteilung bleiben, sofern er nicht um eine Versetzung bitten möchte, wofür ich keinen Grund sehe. Meine bisherigen Aufgaben wird Monsieur Pygmalion Delacour übernehmen. Was den jungen Amtsanwärter Julius Latierre angeht, der im Zuge des sehr wüsten Wahlkampfes immer wieder von der Presse als williges Werkzeug bezeichnet wurde, nur um ihn nicht als verantwortungsbewussten Mitarbeiter aus seiner Anstellung zu vergraulen, so darf ich Ihnen mitteilen, dass er, sofern er nicht um seine Versetzung oder Entlassung bittet, ab dem ersten Januar des kommenden Jahres die von mir einzurichtende Stelle eines Menschen-Zauberwesen-Vermittlers übernehmen wird, der auch in der magielosen Welt zwischen Menschen und Zauberwesen vermitteln soll. Die Affäre Lundi hat gezeigt, dass es in diesen Zeiten mehr Berührungspunkte zwischen den Behörden gibt als vor zwanzig Jahren noch. Allerdings hängt die Entscheidung was Monsieur Latierre angeht eben noch von diesem ab."

Nachdem die Wahl für gültig erklärt wurde wollten wir von der Temps wissen, wie sich Égisthe Louvois dazu äußert. Doch dieser hat über seinen Wahlkampfhelfer Jean Legris verkünden lassen, dass er die Wahl erst anerkennt, wenn Posites Champverd die Freiheit der Wähler bestätigt. Dieser gab auf unsere direkte Frage nach einer solchen Untersuchung zur Antwort: "Ich bin froh, dass diese Schlammschlacht endlich vorbei ist. Ich erkenne die Wahl von Ornelle Ventvit zur Zaubereiministerin an und werde keine weiterführenden Schritte zur rechtlichen Anfechtung dieser Wahl einleiten. Ich bin froh, dass es vorbei ist."

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Rhein-Main-Flughafen Frankfurt


16. September2002, 10:00 Uhr Ortszeit

"Die ist das?" fragte eine blonde Frau ihre schwarzhaarige Nachbarin. Beide trugen sie dünnrandige Brillen.

"Hmm, den Fotos nach war sie aber schlanker. Die sieht aus wie nach einer Kuchenschlacht beim Konditor. Aber bitte mit Sahne."

"Aber sie ist es. Die Fotos sind vielleicht veraltet. Sage Claudia durch, Rolf fährt gleich los", kommandierte die Dunkelhaarige.

"Geht klar", wisperte die Blonde und hielt ihre Uhr vor das Gesicht, als wolle sie die Zeit ablesen. "Claudia, dein Gast ist gerade eingetroffen. Rolf nimmt gerade Kontakt auf. Die sieht aber besser genährt aus als auf den Fotos."

"Das ist ihre Arbeitsstatur. Wir haben die Originalfotos", hörte sie eine aus der Uhr direkt ins Ohr klingende Frauenstimme.

"Wenn du meinst. Alles soweit klar. Ich kletter gleich noch mit hinten rein."

"Denk dran, dass sie mir gehört, Lena. Bring sie nur zu mir hin."

"Alles klar", Claudia!" grummelte die blondhaarige. "Grüße an deine Schwester. Ich muss jetzt los", sagte sie der Dunkelhaarigen noch und wich behände wie ein Raubtier auf Pirschgang von der Seite der Dunkelhaarigen.

"Cousinen, fast so wie Schwestern", dachte die dunkelhaarige und besah sich die gerade von einem dreißigjährigen Mann mit dunkelblondem Haar begrüßte Frau im konventionellen Kostüm aus dunklm Rock und weißer Bluse. Sie wirkte wirklich wesentlich fülliger als auf den Fotos. Gut, dass sie schwarzes Haar und dunkelbraune Augen hatte war ihr schon gesagt worden. Am Ende war die Frau noch schwanger. Die Dunkelhaarige kniff die Augen zu und lauschte. Verdammter Lärm. Überall um sie herum redeten Leute, liefenherum, plärrten Kinder von null bis fünf Jahren und rollten Gepäckwagen oder Rollkoffer über das Lenoleum. Dann gongte es auch schon wieder so laut, bevor aus den Lautsprechern eine Durchsage in diesen Geräuschebrei hineinbellte. Das konnte sie glatt vergessen, diese Frau aus hundert Metern Entfernung abzuhören, ob die gerade schwanger war. Und zu allem Überfluss fing jetzt auch noch ein aus irgendeinem der gelandeten Flieger freigelassener Köter zu winseln und zu knurren an. Sie hatte gar nicht mitbekommen, das dieser Stubenwolf in ihre Nähe gekommen war. Als sie sich umsah konnte sie einen Schäferhund sehen, der bereits mit eingeklemmter Rute im Rückwärtsgang unterwegs war. Sie hätte doch auf ihre Schwester hören und die Geruchloscreme auftragen sollen. Hoffentlich merkten diese Eingestaltler nicht, weshalb ihr spitzohriger Mitesser so verstört bis panisch reagierte. Aber wichtiger war, dass ihre blonde Begleiterin und die beiden beobachteten gerade das Flughafengebäude verließen. Offenbar hatte sich der Zoll nicht so sehr für die Tasche interessiert. Das dies daran lag, dass die Zollbeamtin zum einen den absoluten Durchblick hatte und zum zweiten ein Auge auf wen anderes geworfen hatte wusste sie nicht. Wäre sie eine von den Zauberstabschwingern, dann hätte sie vielleicht den entsprechenden Spürsinn entwickelt. Doch so gehörte sie nur zum Fußvolk, zu denen, die vermittelten und abklärten.

"Armin, Zielperson verlässt gerade das Terminal. Ja, ich habe sie noch wunderbar im Blick. Die fülligere ist übrigens eine Hexe. Sie hat einen Zauberstab in einem Geheimversteck in der Handtasche. Mag also was dran sein, dass hier ein Treffen stattfinden soll", flüsterte die Zollbeamtin in Richtung ihres oberen Uniformknopfes. Gleichzeitig wurden für sie die Wände durchsichtig und die sich entfernenden Personen wuchsen immer wieder an, obwohl sie sich entfernten. Das war der erste Feldeinsatz ihrer neuen Augen, dachte Albertine. Es war schon ziemlich kitzlig gewesen, ihren Vorgesetzten davon zu überzeugen, dass heute eine für in Deutschland operierende Lykanthropen wichtige Person ankommen würde. Dass es ihre Mitschwester aus den Staaten war hatte sie natürlich nicht verraten dürfen.

"Haben Sie immer noch Sichtkontakt, Fräulein Steinbeißer?" hörte sie eine Stimme aus ihrem rechten Ohrring.

"Ja, eindeutig. Muss mich nur immer konzentrieren, den Ranholfaktor zu erhöhen. Ah, jetzt. Sie fahren im Aufzug ins Parkhaus runter. Ich versuche mal, ob ich aufs Parkdeck komme, ohne gesehen zu werden. - Joh, geht. Im Moment kein Mensch auf der erstenEbene. Melde mich gleich wieder", sagte sie und zog sich in die kleine Kabine zurück, in der ankommende Passagierinnen bei Bedarf einer gründlicheren Leibesvisitation unterzogen werden konnten. Obwohl der Vorhang lichtabschließend war schien er für die Frau in Zolluniform nicht vorhanden zu sein. Sie peilte noch einmal weit von sich fort und durch mindestens drei Decken hindurch. Dann warf sie sich mit weit genug abgespreizten Beinen in eine Drehung. Das leise Plopp ging im allgemeinen Geräuschemuster eines betriebsamen Flughafens unter. Allerdings war der scharfe Knall der keine Sekunde später von weiter draußen zu hören war schon lauter. Ja, er bewirkte, dass die Ankömmlinge innehielten und erschrocken umherblickten. Nach dem elften September war gerade auf Flughäfen die Angst vor neuem Terror eine ungeliebte unsichtbare Begleiterin.

Albertine Steinbeißer kannte dieses Gefühl zu gut. Sie wusste in dem Moment, wo sie gegen diese blutrote Lichtwand prallte und unkontrolliert reapparierte, dass ihre Feinde von deren Feinden gelernt hatten, besser, sie hatten übernommen, was übriggelassen worden war. Mit Schmerzen in allen Fasern fand sich die Hexe mit den alles durchblickenden, in große Fernen schweifenden Augen knapp einen halben Kilometer außerhalb des Flughafenbereiches. Soweit hatte sie dieser verdammte Apparierabwehrbann abgewisen. Sie konnte bei diesem Schlamassel noch froh sein, dass sie nicht in einer festen Wand aus dem Transit gefallen war. Auf jeden Fall war sie nicht an einem unbeobachteten Punkt herausgekommen. Jetzt lag sie auf dem Boden, während ringsum Leute auf sie zueilten und gestikulierten, woher diese Frau auf einmal gekommen war.

"Drachenmist!" fluchte sie. Doch was half es. "G-Wolke ausstoßen", befahl sie einem unsichtbaren Empfänger. Sie hielt die Luft an. Da zischte es, und ein grün-blauer Dunst entwich aus ihrem mittleren Uniformknopf. Eine undurchdringliche Wolke wallte um sie herum, berührte die Menschen und ließ sie erstarren. Auch die in diesen Raum gerichteten Fernsehaugen bekamen ihren Teil ab. Sie zitterten und übertrugen nur noch dunkelgrauen Schnee. Die Menschen hier erwischte der Dunst heftiger. Sie vergaßen alles, was sie in den letzten fünf Minuten erlebt hatten.

Noch immer den atem anhaltend lief die Hexe davon, bedauernd, dass sie zu ihren neuen Superaugen nicht auch einen Satz Superbeine dazubekommen hatte. Denn nur mit solchen mochte sie die Strecke in ausreichend kurzer Zeit zurücklegen. Doch für den Fall hatte sie noch was. Sie griff in ihre rechte Jackentasche, zog einen kleinen Lederbeutel hervor, aus dem sie einen Gegenstand wie ein Streichholz so lang und so dünn herauszog. Nur hatte dieser Gegenstand keinen roten Schwefelkopf, sondern ein sich wie Pinselhaare verästelndes Ende. Sie warf das Objekt in die Luft, und siehe da, aus dem streichholzgroßen Stück Holz wurde ein veritabler Hexenbesen mit Reisigschweif. Das war der Donnerkeil Alberich, die neuste Sonderanfertigung. Im dazu passenden Beutel war er nicht größer als eben ein Zündholz. Saß jemand auf ihm auf machte er sich und seinen Reiter völlig unsichtbar wie die legendären Harvey-Besen aus den Staaten.

Derartig ausgestattet jagte die nun unsichtbare Hexe über das Vorfeld, wo immer noch die grün-blaue Dunstwolke ihre Opfer fand zurück zum Parkhaus. Gerade soeben konnte sie noch ihre Zielperson im Fond eines silbergrauen Mercedes 500 SEL sitzen sehen, die Blondine daneben. Sofort spielte sie die Nahansichtfunktion ihres rechten auges aus, während ihr linkes langsam kreiste, um die Umgebung abzusuchen. "Katja Steinkrüger. Also ist sie doch dieser Mondheulerbrut beigetreten", knurrte Albertine. Denn sie kannte die Frau von einer alten Fahndungsliste von vor neun Monaten. Sie war eine muggelstämmige Hexe, die vor fünf Jahren mit Greifennest fertig geworden war. Sie stand im Verdacht, mit Nocturnia zu paktieren, vielleicht selbst zu einer Vampirin geworden zu sein. Aber nein, sie war sicher eine Lykanthropin, eine Werwölfin geworden, warum auch immer.

"Bin durch roten Rückprallwall Marke Lykotopia erst auf denVorplatz geworfen worden. Musste G-Wolke freisetzen, um umstehende Muggel kollektiv gedächtniszubereinigen und gleichzeitig elektronische Augen zuhalten. Konnte mit DAB aufschließen und bin jetzt wieder an Objekt", sagte Albertine zu ihrem Uniformknopf.

"Katja Steinkrüger haben Sie identifiziert. Sie hat eine Base, die fast wie ihre Schwester aussieht, Claudia Brunner. Die arbeitet in einer Firma namens Heliomotive GmBH", hörte sie die Antwort. "Haben sie die aus Übersee angereiste Hexe identifiziert?"

"Negativ, sie ist mir noch unbekannt. Aber es steht zu befürchten, dass sie mit dem Lykanthropiekeim infiziert werden soll. Bleibe dran und erstatte laufend Bericht. Achso: Der Wagen ist ein Mercedes 500 SEL mit dem Kennzeichen Kassel Heinrich Theodor Viktor eins sechs zwwo neun."

"Können Sie mithalten? Ich meine, der DAB schafft im Reiseflug nur hundertfünfzig."

"Der Wagen ist noch im Flughafenbereich. Außerdem kann ich genug höhe nehmen, um ihn aus der Luft im Blick zu behalten, auch bei kleinerer Geschwindigkeit", sagte Albertine und folgte dem Fahrzeug in hundert Metern Höhe.

Nach zehn Minuten kam die Antwort: "Der Wagen gehört Heliomotive. Damit haben wir es amtlich, dass Claudia Brunner oder einer ihrer Kollegen mit in die Sache verwickelt ist. Bleiben sie um Baldurs Willen an diesem Wagen dran."

"Da kannst du Rotschneckengift drauf nehmen", dachte Albertine. Sie wusste zwar nicht, weshalb ihre Mitschwester als zwei-Zentner-Matrone unterwegs war, weil sie die Bilder von Regina Hudson nicht kannte. Aber dass sie tatsächlich von Lykanthropen abgefangen worden war stand jetzt fest. Albertine überlegte, ob sie ihre kleine Pistole gebrauchen würde, die mit Mondsteinsilberkugeln mit Dracofrigidum-Bezauberung geladen war. Die Geschosse konnten sogar die Panzerungsaura von Drachenhautpanzer-Unterkleidung durchdringen. Jetzt galt erst einmal die Verfolgung.

Sie blickte immer wieder auf den Wagen hinunter und holte sich einzelne Abschnitte von ihm heran. Zu gerne hätte sie jetzt auch gehört, was da unten los war. Dann sah sie etwas, was ihr mit einem Mal den kalten Angstschweiß aus den Poren trieb.

Auf dem Dach des Wagens, in der Mitte, flimmerte eine gerade faustgroße Kuppel. Unter der Kuppel ringelte sich etwas wie ein smaragdgrüner Aal mit spitzen Flossen und silbernen Augen. Und diese Silberaugen starrten ganz genau in ihre Richtung. Sie kannte dieses Geschöpf oder besser, dieses Objekt. Das war eine vom Thaumaturgen und Alchemisten Hagen Wallenkron gebaute Waffe, bei Außeneinsatztrupplern seit zwanzig Jahren bekannt und gefürchtet als Wallenkrons Besenbeißer.

"Gefahr! Habe soeben unter Tarnzauber versteckten Besenbeißer ausgemacht. Besenbeißer hat mich schon anvisiert. Muss jederzeit mit Angriff rechnen und ... Drachenmist! Angriff erfolgt!" rief Albertine Steinbeißer und riss den Besen herum, gerade als das vorhin noch aalartige Etwas unter der tarnenden Blase aus Magie hervorschoss und wie eine Rakete ohne Flammenstrahl auf die unsichtbare Besenfliegerin zujagte. Wenn das Ding den Besen zwischen die Zähne bekam wandelte es den Flugzauber in einen schlagartigen Hitzezauber um. Wer immer auf dem Besen saß verbrannte grausam.

Albertine hatte nur den Vorteil, dass sie den Angreifer früh genug gesehen hatte und noch ein paar Sekunden herausholen konnte. Doch als nach dem dritten Steigflugmanöver klar war, dass der Besenbeißer sich voll auf seine Beute, den Flugzauber, ausgerichtet hatte, blieb Albertine nur die Flucht vom Besen.

Sie wollte noch was versuchen. Sie zielte in Anflugrichtung und rief: "Reducto!" Grell jagte der Blitz des Zerstäubungsfluches auf den Besenbeißer zu. Dieser brachte jedoch einen fiesen Trick. Er wurde zu einer Kugel, die in die Tiefe jagte. Der Reducto-Fluch Albertines fauchte um drei Meter darüber hinweg und verflüchtigte sich in der Ferne. Kaum war die Gefahr für die rein magicomechanische Waffe vorbei, entrollte sie sich wieder, um noch schneller auf das ausgemachte Zielzuzusteuern. Albertine berechnete die Anfluggeschwindigkeit auf mindestens vierhundert Stundenkilometer. Jetzt war der Besenbeißer nur noch zweihundert Meter entfernt. Albertine sprang vom Besen herunter, wobei sie "Muss mich absetzen!" rief. Zwei Sekunden später war die gefürchtete Waffe am Besen und schnappte zu. Zwar konnte es die diamantharte Lackierung nicht durchdringen, musste sie aber auch nicht. Unvermittelt glühte der Besen rot auf, um dann in einem gleißenden, weißgelben Feuerball zu explodieren. Der Besenbeißer überstand dieses von ihm entfachte Feuer mühelos und stürzte zur Erde zurück, da er keine anderen Flugbesen ausmachen konnte. Albertine indes wusste, dass sie ihrer Mitschwester nicht weiter folgen konnte. Sie stürzte in die Tiefe, bis sie sich doch entschloss zu disapparieren. Wie sie befürchtete geriet sie erneut mit dem roten Lichtwall aneinander und fand sich beinahe übergangslos auf einem Komposthaufen in einem Vorgarten etwa einen Kilometer von der Autobahn entfernt.

"Aua, diese verdammte Rückprallbezauberung", knurrte Albertine und meldete ihr Versagen.

"Der Zugriffsversuch gegen Claudia Brunner ist auch fehlgeschlagen wegen von Ihnen erwähnter Bezauberung gegen Apparieren", hörte sie ihren Vorgesetzten. Dann wurde sie gefragt, wie der Besenbeißer genau beschaffen gewesen war. "Die haben tatsächlich Zugang zur Kammer der tausend Gemeinheiten", schnaubte Armin Weizengold. "Das muss ich unverzüglich an den Minister weitergeben. So ein Sicherheitsleck darf nicht ignoriert werden."

"Wieso, was ist denn an diesem Besenbeißer noch schlimmer?" fragte Albertine Steinbeißer.

"Das die für normale Augen unsichtbar sind. Das macht sie zu einer höchst perfiden Waffe gegen Flugbesen. Deshalb hat Hagen Wallenkron nur fünf Stück davon gebaut, bevor Minister Güldenberg es wegen dieser Heimtücke verboten hat. Nur Ihrem neuen Sehvermögen verdanken Sie Ihr Leben."

"Für irgendwas muss diese Gemeinheit mit den vielen Sonnenlichtzaubern ja dann doch gut gewesen sein. "Aber wir müssen an diese Frau ran und auch an diese Brunner. Wenn die in einer rennomierten Firma arbeitet könnte sie dort alle mit dem Werwolfkeim anstecken. Dann hätten wir nach den Vampiren noch eine Werwolfepidemie am Hals."

"Können Sie zum Flughafen zurückkehren?" fragte Weizengold.

"Ja, wieso?"

"Weil ich unseren Formel-I-Fahrer hinschicke. Vielleicht kriegen wir sie noch mal abgefangen. Warten sie auf Pitt Dohlenfuß!"

"Jawohl, Herr Weizengold."

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Sie wusste, dass sie in eine Falle gehen sollte, als sie das Vibrieren um die linke Wade fühlte. Die höchste Schwester hatte also tatsächlich recht gehabt. Der aus Silber mit dem Aequirepulsus-Zauber belegte und unacciierbare Ring, den Anthelia ihr um die Wade gelegt hatte, nachdem sie wie befohlen eine ganze Nacht bei ihr zugebracht hatte, reagierte auf gleichbezauberte Gegenstücke wie ein Magnet, der einen anderen Magneten abstieß. Das war in dem Moment spürbar geworden, als sie diese blonde Frau sah, die sich als Katja Steinkrüger, die Gastbetreuerin von Heliomotive, vorgestellt hatte. Der Mann, der sie am Flughafen mit dem Schild "Heliomotive Fahrbereitschaft", empfangen hatte, hatte nicht diese Wechselwirkung ausgelöst. Als die blondhaarige Frau ihr bis auf zwanzig Zentimeter nahekam war es, als stünde zwischen dieser und ihr eine massive, vibrierende Wand. Natürlich bemerkte die andere das wohl auch. Doch sie ließ sich das nicht anmerken.

In einem noblen Wagen mit silbergrauer Lackierung ging es vom Flughafengelände herunter. Die Frau, die alleine im Fond des Wagens saß, weil Katja Steinkrüger wohl diese ständige Abstoßung nicht länger ertragen konnte, ohne das irgendwie zu erwähnen, saß neben dem Fahrer.

"Höchste Schwester, du hattest verdammt noch mal recht. Der Silberring hat eine von denen abgestoßen. Also gehört sie zumindest zum Nachlass von Lykotopia. Der Fahrer des Wagens trägt kein bezaubertes Silber an sich. Womöglich ist er noch ein anständiger Mensch. Wie soll ich mich verhalten?" mentiloquierte sie. Die höchste Schwester wollte in der Nähe des Flughafens warten und hatte sogar erwähnt, den Exosenso-Zauber zu wirken, um durch augen, Ohren und Nase der Mitschwester mitzubekommen, was passierte.

"Verhalt dich erst einmal unbekümmert. Die Vorbereitungen dürften mehr als ausreichend sein", hörte sie Anthelias Gedankenstimme wesentlich lauter im Kopf als vorher. Das mochte an den erwähnten Vorbereitungen liegen, an die sie nur mit Schauer und Ekel zurückdachte, vor allem, weil sie im Moment nicht mehr so grazil und beweglich war, was im Gefahrenfall sicher Nachteile brachte.

"Waren Sie schon einmal in Deutschland?" eröffnete Katja Steinkrüger eine Runde belangloser Konversation.

"Ich arbeite erst seit einem Jahr für H.I.M. Davor war ich zwar schon mal in Europa, aber auf den britischen Inseln, um den Versuchsreaktor Trypower 2100 zu beschreiben und dann noch in Spanien, wo ich das Solarkraftwerk Megatorres 2010 besucht habe, das nächstes Jahr ans Netz gehen wird", sagte die Passagierin, die in ihrer Rolle als Regina Hudson nach Deutschland eingeladen oder besser gelockt worden war. Da die entsprechenden Artikel tatsächlich in dem Magazin veröffentlicht worden waren konnte sie das erzählen, ohne Betriebsgeheimnisse auszuplaudern.

"Trypower, ich hörte davon, dass die Briten versuchen, die Brennstäbe durch drei Reaktionszyklen zu bringen, also die dreifache Ausbeute bei nur einem Viertel unverwertbarem Restmüll zu erzielen. Die sind aber noch nicht so weit, dass dieser Reaktor ans Netz kann, las ich", erwiderte Katja Steinkrüger. Regina Hudson nickte. Sie fragte sich, wann genau die Falle zuschnappen würde und ob die getroffenen Vorbereitungen wirklich ausreichten.

"Schwester Romina, die haben einen Besenbeißer auf deine Bewacherin angesetzt und diese Normalmenschenrückprellbezauberung dabei! So komm ich nicht schnell genug an dich heran", mentiloquierte Anthelia. "Aber sei unbesorgt. Unsere Vorkehrungen schützen dich. Selbst wenn sie dir den Silberring wegnehmen sollten wirst du den Keim nicht ins Blut bekommen."

"Dann könnten sie auf die Idee kommen, mich zu töten, höchste Schwester", mentiloquierte Romina Hamton alias Regina Hudson.

"Du bist denen zu wichtig, sonst hätten sie dich schon getötet, als diese blonde Frau gemerkt hat, dass du einen Silberrückprellring trägst", erwiderte Anthelias Gedankenstimme. Romina wollte darauf was erwähnen, doch Katja Steinkrüger sagte da gerade, dass sie erst in das Gästehotel fahren würden. Um nicht aufzufallen ging Romina darauf ein und setzte die begonnene Konversation fort.

"Als sie über die Zubringerstraße vom Flughafen auf Frankfurt zufuhren surrte unvermittelt eine gläserne Trennscheibe zwischen Vordersitzen und Rückbank nach oben und schloss luftdicht ab. Keine Zehntelsekunde später zischte es hell und unverkennbar. Romina sah sich rasch um, wobei sie die Luft anhielt. Aus einer winzigen Düse unter der Rückbank entwich ein kaum sichtbarer Gasstrahl, der sich in der Luft sofort unsichtbar ausbreitete. "stell dich betäubt!" hörte sie Anthelias Gedankenstimme. Doch Romina wollte es nicht darauf anlegen, das Gas einzuatmen. Sie versuchte, die hinteren Türen aufzureißen. Doch zum einen raste der silbergraue Luxuswagen mit mehr als einhundert Stundenkilometern über eine Autostraße. Zum anderen waren die Türen verriegelt. Sie hieb gegen die Trennscheibe. Doch die war aus unzerstörbarem Verbundglas. Wieder durchdrang Anthelias Gedankenstimme ihre hektischen Gedanken. "Stell dich vom Gas überwältigt. Ich werde den Plan ändern und deren Zuflucht ausheben, wenn ich mehr von denen weiß. Das wird die Mondheulerkönigin mehr treffen, als dich ihren Handlangern zu entreißen. Außerdem will ich wissen, ob deine Eltern auch dort sind, wo du hingebracht werden sollst."

"Du bist lustig, höchste Schwester, mich regelrecht hinzuhängen wie einen Angelköder", gedankenknurrte Romina. Doch dann begriff sie. Wenn sie sich jetzt nicht wie vom Gas erledigt gab würden diese Bestien anhalten und sie gleich hier und jetzt erledigen, ohne dass sie Hilfe bekommen konnte. So tat sie immer kraftloser, täuschte einen heftigen Schwindelanfall vor und ließ ihren Oberkörper schlaff nach vorne überkippen. Sie hörte dumpf die Stimmen der beiden Entführer. Da diese Deutsch sprachen verstand sie sie nicht. So blieb ihr nur, sich an den Zielort fahren zu lassen. Dort angekommen wurde sie von dem Mann und einem weiteren Burschen ergriffen und in einen dumpf hallenden Raum getragen, Treppen hinuntergeschafft und dann wohl in einem Kellerraum auf einer niedrigen Holzbank abgelegt. Beinahe hätte sie ihre Verstellung aufgegeben, als sie fühlte, wie ihre Kleidung vom Körper heruntergezaubert wurde. Sie hörte die Blonde einen heftigen Fluch ausstoßen. Offenbar sah die nun den silbernen Ring um ihr Bein. Doch dann hätte sie fast geflucht, weil der Fahrer, der kein solches Artefakt am Körper trug, mit etwas an ihrem Bein hantierte. Sie fühlte ein heftiges Brennen auf der Haut und konnte nur durch Anthelias Gedankenstimme daran gehindert werden, vor Schmerzen aufzuschreien. Dann ließ das Brennen wieder nach. Kaltes Wasser ergoss sich über die schmerzende Stelle. Dann hörte sie Katja Steinkrüger etwas sagen, was sehr erfreut klang.

"Sie haben das Armband mit Säure zerstört. Darauf hätte ich achten sollen", gedankenknurrte Anthelia. "Aber den eigentlichen Schutz werden sie so nicht überwinden."

"Das will ich hoffen, wo ich zumindest schon gegen Betäubungsgas immun bin, solange deine Vorkehrung in mir wirkt", dachte Romina Hamton zurück. Dann hörte sie eine Frau stöhnen, es war nicht Katja Steinkrüger. Aus dem Stöhnen wurde ein leises Winseln, dann ein erregtes Hächeln. Dann fühlte sie, wie etwas nach ihrem linken Bein schnappte, schmerzhaft zupackte und dann mit einem kurzen Aufjaulen wieder abließ. "Damit müssen die jetzt erst mal zurechtkommen", war der gedankliche Kommentar Anthelias. "Verweile an deinem jetzigen Ort. Ich werde dir Hilfe bringen, wenn ich mehr über diese Banditen in Erfahrung bringen konnte. Sie können dir ihren üblen Keim nicht ins Blut pflanzen. Wenn sie dich töten wollen werde ich das früh genug ergründen und dich auch gegen deren Apparierabwehr zu mir hinholen. Sei also unbesorgt!" Romina hätte fast geantwortet, dass das leicht dahingedacht war. Doch sie wusste, dass ihre Anführerin keinen Widerspruch duldete. So blieb ihr erst einmal nur, abzuwarten, wie es weiterging.

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Großer Saal im französischen Zaubereiministerium


17. September 2002, 10:00 Uhr Ortszeit

Alle Mitarbeiter des umfangreichen Zaubereiministeriums waren versammelt. Hinzu kamen eingeladene Ehrengäste aus den außerministeriellen Institutionen wie der Delourdesklinik, der französischen Sektion der astronomischen Vereinigung Amici Stellarum, sowie namhafter Firmen wie die Ganymed-Werke. So konnte Julius seine Schwiegertante Uranie Dusoleil ebenso sehen wie Antoinette Eauvive und Eleonore Delamontagne. Er sah sogar Mademoiselle Maxime, die wie früher schon üblich auf drei Stühlen zugleich platzgenommen hatte. Sie trug ein schwarzes Satinkleid mit Rüschen und an jedem Finger einen Opalring, ähnlich wie Julius es damals beim trimagischen Turnier in Hogwarts schon an ihr gesehen hatte.

Als Posites Champverd den Saal betrat erhob sich zuerst seine Schwester Oleande, die als Sprecherin des französischen Herbologievereins anwesend war. Dann standen auch alle anderen auf. Julius dachte an einen altenglischen Richter, so würdevoll Posites Champverd den Saal betrat. Erhabene, erwartungsvolle Stille senkte sich über den Saal. Julius dachte an die ganzen Gottesdienste, die er als kleiner Junge besucht hatte. Da war es auch immer so still und erhaben gewesen.

"Ist Mademoiselle Ornelle Ventvit in diesem Saal anwesend?" fragte Posites Champverd im Stil eines Richters, der einen Zeugen oder Angeklagten befragen will. Ornelle Ventvit löste sich von der Seite ihrer Nichte Adrastée und hob die Hand. In ihrem grünen Kleid mit Stehkragen verkörperte sie den Neuanfang und neue Hoffnung. "Ich bin hier, Monsieur Champverd", sagte sie.

"Ist jemand in dem Saal, der bezeugen kann, dass diese Dame Mademoiselle Ornelle Ventvit ist?" Fast alle hoben die Hand. "So verkünde ich ihnen nun Kraft meines Amtes als kommissarischer Zaubereiminister, sowie Sprecher des Zaubergamots von Frankreich und Mitglied im Rate für internationales magisches Recht, dass am vierzehnten September zweitausendundzwei eine Mehrheit von fünfundneunzig Prozent der ihr Wahlrecht wahrnehmenden Bürgerinnen und Bürger der französischen Zaubererwelt Ihnen, Mademoiselle Ornelle Ventvit, das Vertrauen und den Auftrag zugesichert haben, die neue, ordentlich erwählte Zaubereiministerin von Frankreich mit allen seinen Überseebesitzungen zu sein. Weil im Vorfeld durch die eifrigen Mitarbeiter des Miroir Magique erhobenen Vorumfragen ein anderes Ergebnis erwartet wurde musste die Wahl einer internationalen Prüfung unterzogen werden. Die Prüfer befanden, dass das Wahlergebnis auf rechtmäßige Weise zustande kam. Gemäß der Richtlinien zur Einrichtung und Führung der magischen Administration von 1723, Paragraph sieben Absatz eins zur Bestimmung des amtierenden Zaubereiministers oder der amtierenden Zaubereiministerin frage ich sie nun vor allen versammelten Zeugen: Mademoiselle Ventvit, Nehmen Sie die Wahl zur Zaubereiministerin an?"

"Monsieur Champverd, Messieursdames et Mesdemoiselles, ich nehme die Wahl zur Zaubereiministerin an", antwortete Ornelle Ventvit.

"So bitte ich Sie, nun vor mich hinzutreten und Ihre Zauberstabhand auf diesen Eidesstein zu legen und mir die rechtmäßige Eidesformel nach Paragraph sieben Absatz zwei der Richtlinien zur Errichtung und Führung der magischen Administration in Frankreich nachzusprechen."

Ornelle trat vor und legte ihre rechte Hand auf einen schwarzen Steinblock. Julius kannte die Eidessteine. Er hatte zum ersten mal sowas in Aktion erlebt, als er vier Tage lang Belle Grandchapeaus unfreiwillige Zwillingsschwester gewesen war. Er blickte sich um und sah Belle mit ihrem Mitarbeiterstab. Sie erwiderte seinen Blick genauso wie die Halbzwergin Primula Arno.

"Ich schwöre", setzte Champverd an und ließ Ornelle nachsprechen, "dass ich das mir anvertraute Amt der Zaubereiministerin gewissenhaft und frei von Vorbehalten gegenüber Abkunft und Geschlecht jedes einzelnen Mitbürgers ausüben, die Rechte der magischen Mitbürger achten und schützen, das Gefüge von Frieden, Freiheit und Sicherheit der unbescholtenen Hexen und Zauberer Frankreichs achten und Verteidigen und mit meinem Körper und meinem Geist für die Einhaltung aller diesen Zwecken dienlichen Vorschriften und Gesetzen eintrete, bis der Tag kommt, wo mein Amt endet", er wartete, bis auch diese Worte nachgesprochen waren und vollendete die Eidesformel mit "Dies schwöre ich bei der Unversehrtheit meines Leibes und meiner Seele." Ornelle sprach auch diese, für den Eidesstein entscheidende Schlußzeile nach. Der Stein erglühte und vibrierte für einige Sekunden. Dann sah er wieder aus wie vorher. "Somit ernenne ich Sie kraft meines Amtes zur neuen Zaubereiministerin Frankreichs. Es lebe unsere große Nation. Es lebe Frankreich!" sagte Champverd noch. Ab jetzt war Ornelle Ventvit die neue Zaubereiministerin. Applaus brandete durch den Saal, als Champverd der vereidigten Dienstherrin aller magischen Beamten feierlich die Hand schüttelte und ihr den Siegelring des Zaubereiministers ansteckte, den nur eine ordentlich bestimmte Zaubereiministerin oder ein Zaubereiminister tragen durfte. Zudem bekam sie das Schlüsselbund für die privaten und amtlichen Räume, Schränke und Truhen des amtierenden Ministers überreicht. Ornelle konnte jetzt an alle ganz geheimen Unterlagen heran, die im Büro des Ministers aufbewahrt wurden. Julius erkannte, wie vorausschauend es von Armand Grandchapeau gewesen war, alle die Sachen aus Altaxarroi noch rechtzeitig an Catherine Brickston übergeben zu haben. Darunter war auch Darxandrias Kettenhaube.

Als der Beifall nach fünf Minuten verklang bedankte sich die frisch vereidigte Zaubereiministerin bei allen, die ihr das Vertrauen ausgesprochen hatten. "Ich werde jede Entscheidung, die ich zu treffen habe immer darauf prüfen, ob ich damit In Ihrer aller Sinne handel. Doch mögen Sie es mir zumindest in den Anfangszeiten nachsehen, wenn ich vielleicht das eine oder andere übersehe oder zu lange brauche, um eine verbindliche Entscheidung zu treffen. Bei meinen ehemaligen direkten untergebenen, die jetzt einige von fünfhundert Beamten und Amtsanwärtern sind, ich hoffe, dass meine Ernennung zur Zaubereiministerin Ihre bislang hervorragende Arbeit nicht beeinträchtigt und vertraue darauf, dass Sie alle die Ihnen zugeteilten Aufgaben auch ohne andauernde Rückfrage bei mir ausführen können. Doch ich werde weiterhin für Sie als Ansprechpartnerin zur Verfügung stehen. Dieses Angebot gilt übrigens für alle, die mit gerechtfertigten Fragen oder Anliegen zu mir kommen möchten. Des weiteren möchte ich hier und jetzt betonen, dass mir die Arbeit aller nicht ministeriellen Institutionen, Vereinigungen und geschäftlichen Unternehmen sehr wichtig ist. Sie sind die Stütze unserer magischen Gemeinschaft, Förderer von Wissen, Kultur, Lebensqualität und lebensnotwendiger Versorgungsgüter. Ich möchte jedoch auch, weil ich dies in meinen bisherigen Aufgabenbereichen erlebt habe, auf ein friedliches Miteinander der Menschen und der magisch begabten Wesen hinwirken. Der unzulässig an die Öffentlichkeit gelangte Vorgang, wie meine bisherige Behörde mit der in Frankreich lebenden Riesin Meglamora verfährt, beruht auf der Erkenntnis, dass handlungsfähige Wesen eine gewisse Form von Grundrechten haben sollen. Eines der wichtigsten Rechte überhaupt ist das Recht auf Leben und körperlich-seelische Unversehrtheit. Und wenn, meine Damen und Herren, ein weibliches Zauberwesen körperlich leidet, weil es keinen angemessenen Fortpflanzungspartner findet, und seelisch daran zu zerbrechen droht, dass es allein und ausgegrenzt leben muss, dann war und ist es unsere Pflicht, diese Nöte zu beheben, sofern dadurch niemand anderes in eine Notlage gerät. Was die Veelastämmige angeht, so belastet sie in der Tat unser bisheriges Verständnis für die Bedürfnisse denk- und handlungsfähiger Zauberwesen. Wir müssen aber auch daran denken, dass ihre Bestrafung auf uns selbst zurückfallen würde, da sie ganz gezielt die Vergeltungsgesetze für sich auszunutzen weiß, die von ihren Vorfahren als Schutz vor Hass, Gewalt und Unterdrückung ersonnen wurden. Ob diese Gesetze in der heutigen Zeit noch angemessen sind war und bleibt die Aufgabe der Zauberwesenbehörde. Und bevor Sie mir damit kommen, Mein Appell zum friedlichen Zusammenleben mit denkfähigen Zauberwesen müsste dann auch das Treiben von grünen Waldfrauen, Vampiren, Werwölfen oder jenen wenigen Geschöpfen, die sich Töchter der Lahilliota nennen und von uns als Töchter des Abgrundes bezeichnet werden billigen, so stehen diesem Wunsch die Achtung und die Verteidigung von Leben, Freiheit und Frieden der magischen Mitmenschen entgegen. Was eindeutig gegen das Gefüge einer die Mitgeschöpfe achtenden Zaubereiverwaltung angehende Organisationen angeht, so werde ich wie meine Vorgänger darauf achten, erkannte Anführer, Berater oder Helfershelfer dieser Gruppen mit allem Nachdruck magischer Rechtsprechung an ihrem unrechtmäßigen Tun zu hindern. Ich bin jedoch bereit, von diesen Organisationen abkehrende Menschen oder Zauberwesen zu begnadigen, sofern sie tätige Reue zeigen, ihre Taten abbüßen und helfen, den von Ihnen angerichteten Schaden zu beheben. Ob und wie weit ich dazu bereit bin, mit außerministeriellen Organisationen fragwürdiger oder gar gesetzeswidriger Ausrichtung zu verhandeln oder gar Vereinbarungen zu treffen mache ich dies davon abhängig, ob die Führung solcher Gruppen bereit ist, von ihren gesetzeswidrigen Handlungen Abstand zu nehmen. Ich bin jedoch bereit, Vertretern solcher Organisationen Einblick in die umfangreichen magischen Gesetze zu gewähren, um mögliche Unkenntnisse dieser für unser Zusammenleben so fundamentalen Grundlagen zu beheben. Ich sehe es bei einigen von Ihnen, wie sie grinsen, weil Sie davon ausgehen, dass solche Gruppierungen schon wissen, was ungesetzlich ist oder nicht. Ich muss jedoch darauf hinweisen, dass gerade durch die Entwicklung in der nichtmagischen Welt und durch die Erfahrungen mit eigensüchtigen, auf Macht ausgehenden Leuten Gruppen entstanden sind, die sich verpflichtet fühlen, alles magisch und mit Menschenkraft mögliche zu tun, um dagegen vorzugehen und die uns vom Zaubereiministerium für zu sehr an Vorschriften gebunden ansehen, als dass wir die von diesen Gruppen für nötig erachteten Schritte unternehmen würden. Diese Gruppierungen sollten daher Einblick in die Gesetze erhalten, die sie als hinderlich ansehen, damit sie wissen, dass diese Rechte und Vorschriften nicht aus Willkür, sondern aus Notwendigkeit entstanden sind. Mehr möchte ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht dazu sagen. Da geben Sie mir bitte erst ein paar Wochen zur Einarbeitung, um da genaueres drüber erwähnen zu können!" Alle Pressevertreter nickten einwilligend.

"So ist meine Arbeit vollendet, und ich bin froh, dass wir alle eine neue Ministerin haben", sagte Posites Champverd. Dann sah er seine Schwester Oleande an. "So kann ich nun in Würde und Frieden gehen, bevor jemand, der meine Ehre, meine Freiheit und meine Loyalität verachten will, doch noch durch mich Schaden anrichtet."

Julius fühlte sich urplötzlich alarmiert, weil Champverd so sprach, als müsse er gleich tot umfallen, weil er Ornelle zur Ministerin erklärt hatte. Als er dann sah, wie Champverd in die rechte obere Tasche seines Umhangs griff und blitzartig eine Phiole herauszog und ansetzte fühlte er, wie seine Hand zum Zauberstab griff. Der wollte doch nicht ehrlich ... "Accio Phiole!" rief Oleande Champverd. Doch es blitzte nur kurz auf. Die Phiole war Contramotus-bezaubert und somit für jede Magische Bewegungsform einschließlich rein gedanklicher Telekinese unbeweglich. Als Champverd die Phiole ansetzte und wohl den Korken abbiss, um was immer zu schlucken rief Julius "Lentavita!" Wieso er den Zauber rief und nicht einen Lähm- oder Erstarrungszauber wusste er nicht. Jedenfalls war er nicht der einzige, der genau diesen Zauber ausrif. Denn Hera Matine und Antoinette Eauvive riefen ihn zeitgleich aus. So passierte es, dass drei Lebensfunktionsverzögerungszauber zugleich auf den offenbar zum Suizid ansetzenden Zauberer einwirkten. Jeder zauber für sich verlangsamte Stoffwechsel und Körperabläufe auf ein Zehntel. jeder weitere Zauber verlangsamte den Wert auf ein Zehntel und so weiter. Drei auf einmal verzögerten Champverds Körper- und Sinnesfunktionen auf ein Tausendstel. Das war hoffentlich genug, um das Gift noch an der Wirkung zu hindern. Denn was es war wussten sie nicht.

Die gerade noch feierliche Erwartung war einer bangevollen Erstarrtheit gewichen. Nur die beiden berufsmäßigen Heilhexen und Julius liefen zu dem gerade zu Boden fallenden Posites Champverd. Hera ergriff ihn mit der linken Hand, nicht ruppig, sondern eher beruhigend zärtlich.

"Wie bist du auf den Lentavita gekommen?" fragte die Heilerin von Millemerveilles.

"Weil ich gesehen habe, dass die Phiole nicht bewegt werden konnte. Weil ich nicht wusste, was für eine Substanz er da schlucken wollte habe ich lieber den Stoffwechselbremser gezaubert. Dann wirkt es nicht so schnelll, und man kann noch was machen", flüsterte Julius etwas, was die Heilerin eh wusste, weil er es genau von ihr so und nicht anders gelernt hatte. Deshalb erntete er auch ein sehr wohlwollendes Lächeln von ihr, während Antoinette Eauvive sich über den erstarrten patienten beugte und ihm die zu zwei Dritteln geleerte Phiole aus dem Mund zu ziehen versuchte. Jetzt konnte er eine orangerote, leicht glühende Flüssigkeit erkennen.

"Agito Orem apertum!" hörte er Antoinette murmeln. Langsam öffnete sich der Mund des am Boden liegenden. Dabei hielt sie die Phiole so, dass nicht noch mehr von ihrem sicher tödlichen Inhalt ausfloss. Julius schnupperte und nahm ein ihm sehr wohl bekanntes Parfüm war. Als er sich kurz umsah erkannte er, dass Millie ihm über die Schulter sah. Hera bemerkte sie auch, scheuchte sie aber nicht weg. Immerhin war sie auch Pflegehelferin.

"Julius, sag mir bitte nicht, dass du auch eine orangerote Flüssigkeit in der Phiole siehst." Julius konnte ihr den Gefallen nicht tun. Doch so wie sie es sagte klang es sehr alarmierend.

"Öhm, das ist Denysius' Drachentau, das mit abstand übelste Gift unter der Sonne", wisperte Millie. "Wie ist der da drangekommen. Dafür brauchst du mindestens den Speichel von drei ausgewachsenen Drachen und noch diverses andere Zeugs, das mir meine Pflegehelferausbilderin nicht nennen wollte."

"Sieht wahrhaftig so aus, Mildrid", sagte Hera. "Ich habe dieses tückische und rasant wirksame Elixier nur in der Ausbildung kennengelernt und beschlossen, nichts damit zu schaffen haben zu wollen."

"Deshalb kenne ich das nicht", vermutete Julius. Dann fragte er, ob es dagegen was gab. Alle drei Hexen um ihn schüttelten den Kopf. Antoinette, die gerade die zu zwei Dritteln leere Phiole aus dem sich in Zeitlupe öffnenden Mund freiziehen konnte blickte in die Mundhöhle. Sie leuchtete bereits im orangeroten Licht.

"Das ist echt das übelste Zeug überhaupt. Es heizt den Körperstoffwechsel an, Julius, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Die Stoffwechselprozesse werden im Verhältnis von einer Milliunze des Gebräus zu einem Pfund Lebendfleisch auf das tausendfache des gesunden Wertes hochgetrieben. Was das heißt brauche ich dir dann nicht zu sagen."

"O Mist! Dann hat der Dreifachstoffwechselbremser gerade einen Ausgleich geschaffen."

"Leider nicht ganz. Offenbar hat unser Selbstmordkandidat hier die dreifache Dosis für sein gegenwärtiges Körpergewicht einnehmen wollen. Da gilt dann die dreitausendfache Beschleunigung der Stoffwechselvorgänge", sagte Antoinette.

"Das heißt, sein Stoffwechsel ist jetzt auf dem dreifachen Wert", sagte Julius. Kann man das nicht antagonisieren."

"Doch kann man", sagten Millie und Antoinette. "Aber nur wenn tatsächlich ein solcher Zufallstreffer gelandet wird und drei Lentavita-Zauber zugleich gewirkt werden. Einen weiteren Lentavita zu wirken kann ich nicht empfehlen, weil dadurch Ablagerungen von Nahrungs- und Giftstoffen in den Blutgefäßen eintreten. Wir müssen ihn runterkühlen und mindestens eine Woche lang so aufbewahren, weil das Gift sich erst mal mit dem Körper abreagieren muss. AD 999 hilft da nicht gegen, Julius", sagte Antoinette. Woher hatte sie gewusst, dass Julius dieses Gegengift erwähnen wollte? Wohl, weil sie wusste, dass er es immer dabei hatte.

"Der wäre uns also hier voll in Flammen aufgegangen oder mit lautem Knall zu Asche zerfallen", grummelte Julius. Millie sah die zwei Heilhexen an. Julius fühlte es beinahe körperlich, wie es in ihr arbeitete. So mentiloquierte er: "Kann ein Unfeuerzauber das aufhalten?"

"Ja, kann er, weil ich Kailishaia genau nach diesem gemeinen Gebräu gefragt habe. Sie hat mir den Zauber beigebracht, der alles, was über einen normalen Stoffwechsel hinausgeht für eine Stunde sozusagen in die freie Luft ableiten kann. Sind nur ein paar Leute zu viel hier, um den zu bringen."

"Darf ich den von dir lernen?" fragte Julius.

"Nur wenn du Kailishaia hundert Nächte lang liebst, und da habe ich was gegen", mentiloquierte Millie zurück. "Oder darfst du mir alle Erdzauber beibringen, die du aus Madrashmirondas Wundertüten eingesogen hast?"

"Dann müsstest du von ihr ausgebrütet, gelegt und gehegt werden", konterte Julius.

"Da hätte Ma aber was gegen", schickte sie zurück. Trotz dieser intensiven Gedankenverständigung bekamen sie beide mit, wie Antoinette erst eine gläserne Wanne apportierte, den Patienten in voller Kleidung darin ablegte und ihn dann bis zum geöffneten Mund in feinen Nebel einhüllte, der schlagartig zu einem Panzer aus Eis wurde. "So, in dem Zustand muss er jetzt eine volle Woche bleiben. Dann kann ich es riskieren, ihn wieder aufzutauen und auf Normalstoffwechseltätigkeit zu bringen. Ich bringe ihn eben in die Klinik.

"Was hat er da schlucken wollen, Antoinette", wollte Oleande Champverd wissen. Antoinette zeigte ihr die Phiole und erwähnte den Inhalt. "Das kann nicht sein Ernst sein. Wieso wollte er sich damit umbringen?"

"Das wird eine der Fragen sein, die wir ihm stellen, wenn die Auswirkungen der geschluckten Dosis restlos abgeklungen sind, Oleande. Ich schicke ihn gleich auf die Station für magische Vergiftungen und gebe auch unseren Psychomorphologen bescheid, dass sie einen Suizidkandidaten bekommen werden." Mit diesen Worten tippte sie die Wanne mehrmals an, dann sagte sie "Portus". Die Wanne leuchtete für einen Moment im blauen Licht. Dann trat Antoinette zurück. Jetzt schnellte eine blaue Lichtspirale um die Wanne nach oben und verschwand übergangslos mit ihr. Es krachte, weil die von der Wanne verdrängte Luft in das plötzliche Vakuum zurückstürzte.

"So, die Herrschaften, warum auch immer Monsieur Champverd meinte, heute seinen letzten Tag auf dieser schönen Welt erleben zu wollen, ich möchte die anwesenden Zeitungsschreiber darum bitten ... Hat sich erübrigt", knurrte Antoinette, als sie die auf sie gerichteten Schallansaugtrichter der Rundfunkleute sah. "Gut, dann möchte ich als Directrice der Delourdes-Klinik für magische Gebrechen und Verletzungen klarstellen, dass Monsieur Champverds Zustand weder von mir noch von meinen Mitarbeitern zum Gegenstand öffentlicher Diskussionen gemacht wird. Bitte nehmen Sie nur zur Kenntnis, dass Monsieur Champverd bis auf weiteres in der Obhut meiner kompetenten Fachkollegen verbleibt. Auskünfte über seinen körperlichen und seelischen Zustand dürfen nur direkte Angehörige erhalten. Aber diese Grundlage der Vertraulichkeit ist Ihnen ja hinlänglich bekannt. Deshalb muss ich mich jetzt von der Amtseinführung verabschieden. Ich wünsche Ihnen, Mademoiselle Zaubereiministerin, alles Geschick, Glück und Vertrauen, dass für Ihr Amt erforderlich ist und zur Sicherheit noch ein wenig mehr davon. Auf Wiedersehen!" Mit diesen Worten verließ sie den Saal mit schnellen Schritten, um an einen Ort mit Flohnetzanschluss oder zum apparieren geeigneten Raum zu gelangen.

"Es versteht sich, dass du, Mildrid, in eurer Zeitung nicht zu sehr darauf eingehst, was Monsieur Champverd eingenommen hat", sagte Hera. "Das letzte was ich möchte ist eine Nachfrage nach diesem Mordselixier." Millie nickte wild. Sie legte auch keinen Wert auf eine Berühmtheit dieses Höllengebräus.

Wegen Champverds versuchter Selbsttötung war die Stimmung nicht mehr so feierlich und gelöst wie eben noch. Dennoch nahm die frischernannte Zaubereiministerin die Glückwünsche und Beteuerungen entgegen, mit ihr gut zusammenzuarbeiten. Als Julius damit an der Reihe war sagte sie ihm: "Hätte nicht viel gefehlt, und er hätte mich mit diesem Unheilsgebräu mit in den Tod gerissen. Früher war Drachentau eine Waffe für Freitodattentäter, die Häuser in Brandstecken oder bei Berührung mit einem Einzelopfer dieses mitverbrannten, wenn sie das Gift geschluckt hatten. Das muss unbedingt aufgeklärt werden, warum er das getan hat und woher er das Gebräu hatte."

"Louvois' Rache?" fragte Gilbert Latierre, der ebenfalls bei der Vereidigung dabei war.

"Das wäre ein Grund, ihn nicht zum Minister zu ernennen", warf Ornelle Ventvit ein. "Denn er wäre ja dann der einzige Kandidat gewesen."

"Außerdem ist Rache ein Gericht, das am besten kalt serviert wird", musste Julius dazu einwerfen.

"Jaja, sagen die Klingonen", lachte Gilbert Latierre. "Aber was treibt so einen altehrwürdigen mann zu so einer drastischen Tat. Millie, du kennst das Zeug, habe ich mitbekommen. Da möchte ich gerne mehr drüber wissen."

"Monsieur Latierre, Ihre Mitarbeiterin erhielt dringende Anweisung, das Gift nicht ausführlich zu beschreiben. Da sie zertifizierte Pflegehelferin ist und das schon länger als Ihre Mitarbeiterin und auch bei Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses solange bleibt, wie die Heilerzunft ihr die körperlichen, seelischen und charakterlichen Fähigkeiten dazu bescheinigt, gilt Madame Eauvives Weisung allen betrieblichen Anweisungen übergeordnet", sagte Hera Matine. "Aber damit Sie Futter für Ihre Leser haben, Monsieur Champverd versuchte ohne vorausgehende Anzeichen eine Selbsttötung mittels eines schnell wirksamen und daher nicht mehr aufzuhebenden Giftes. Lediglich der zufällig dreifach gewirkte Stofffwechselverzögerungszauber bewirkte, dass das bereits in den Körper gelangte Gift seine Wirkung nicht in der üblichen Geschwindigkeit entfalten konnte. Großheilerin Eauvive verbrachte den Patienten nach der magischen Erstversorgung zur Austherapierung in die Delourdes-Klinik. Ende des Kommentars."

"Heh, Madame Matine, wenn hier irgendwer so'n Schnelltötungszeug beschafft sollte ich das aber schon wissen, ob der das selbst gemischt hat oder von einem skrupellosen Zeitgenossen gekauft hat", hakte Gilbert nach.

"Das obliegt der Strafverfolgung und uns Heilern, Monsieur Latierre. Was Sie dann wissen dürfen erfahren Sie dann von der einen oder anderen befugten Stelle."

"Ich fang jetzt sicher nicht an, mich mit Ihnen anzulegen", grummelte Gilbert und ging zu Arion Vendredi, der sich mit seiner neuen Chefin unterhielt.

"Mildrid, bitte befolge die Anweisung Madame Eauvives. Ich gehe sehr davon aus, dass dir nicht daran gelegen ist, dass bedenkenlose Zeitgenossen das Gift haben wollen."

"Wenn die nicht schon längst wissen, wo sie es herkriegen", sagte Millie. Doch dann bestätigte sie, die ihr gegebene Anweisung zu befolgen.

Als am Ende alle Zeugen der Amtseinführung ihre Glückwünsche übermittelt hatten winkte die Ministerin Julius zu, er solle sie begleiten. Auch Belle Grandchapeau sollte ihr folgen. Arion Vendredi unterhielt sich derweil mit Midas Colbert, dem Schatzmeister des Zaubereiministeriums.

"So, die Dame und der Herr. Da wir nun endlich die leidige Angelegenheit mit der Wahl überstanden haben, möchte ich Ihnen beiden mitteilen, wie es weitergeht", sagte Ornelle Ventvit, bevor sie ausprobierte, welcher Schlüssel zu den Schreibtischschubladen passte. Dann sah sie Belle an und sagte: "Ich habe mit Monsieur Vendredi vereinbart, dass die Außeneinsatzbeschränkungen für Monsieur Latierre aufgehoben werden, da er sich während des letzten halben Jahres ordentlich geführt und Ihnen auch sehr gut geholfen hat. Er war zwar nicht sonderlich begeistert, sieht aber ein, dass ein Vermittler zwischen Menschen und Zauberwesen auch mal aus seinem Büro hinausgehen muss." Sie wandte sich an Julius, der fürchtete, sie wolle über ihn reden, wo er dabei war. "Monsieur Latierre, Sie werden weiterhin im Büro von Monsieur Delacour arbeiten, um ihm bei Übersetzungsangelegenheiten zu assistieren. Dafür verbringen Sie die Vormittage in seinem Büro. Aber vor allem stehen Sie Madame Belle Grandchapeau zur Verfügung, wenn es um Zauberwesen geht, die in der magielosen Welt auftauchen oder dort unterkommen wollen. Hierzu verbringen Sie die Nachmittage bei ihr oder bei Madame Nathalie Grandchapeau oder im ministeriumseigenen Elektrorechnergebäude. Ich hoffe, dass Ihnen diese Neuordnung Ihrer Tätigkeiten nicht zur übergroßen Belastung ausartet. Sollte dies doch so sein haben Sie die Erlaubnis, sich direkt an mich zu wenden, sollten ihre beiden Vorgesetzten nicht anerkennen, Ihre Einsatzzeiten zu reduzieren. Ach ja, Sie werden Madame Grandchapeau all die Akten über das Zusammentreffen mit Euphrhosyne Lundi aushändigen, die noch nicht Gegenstand öffentlicher Diskussion wurden." Julius bestätigte diese Anweisung.

"Zudem darf ich Sie, Monsieur Latierre, damit beauftragen, den Kollegen in den Staaten, Australien und Großbritannien/Irland von Ihrem neuen Arbeitsfeld zu berichten und zugleich Termine für gegenseitige Kennenlernbesuche auszuhandeln, wie es nicht nur in der magielosen Politik zum guten Ton gehört, sofern dort was von gutem Ton gehalten wird. Mich interessiert in dem Zusammenhang vordringlich eine Unterredung mit meinem nun gleichrangigen Kollegen in den vereinigten Staaten." Julius bestätigte. Damit hatte er auch schon gerechnet und das aus ganz persönlichen Gründen. Da klopfte es an die Tür. Die neue Zaubereiministerin legte die Hand mit dem Siegelring auf den Tisch und wartete zehn Sekunden. Dann nickte sie der Tür zu und rief: "Herein!"

Die Tür ging auf, und ohne dass zu sehen war, wer draußen wartete, hörte Julius Schritte auf dem Boden. Dann ging die Tür wieder zu, und von einem zum anderen Moment stand die immer noch hochschwangere Nathalie Grandchapeau im Raum.

"Ich darf Ihnen auch im Namen meines mir auf lange Zeit anvertrauten Sohnes Demetrius Vettius zur Ernennung gratulieren, frau Zaubereiministerin Ornelle Ventvit. Wir zwei sind heilfroh, dass Sie diese elende Schmutzkampagne Louvois' und Lesfeux' überstanden haben. Des weiteren möchten Demetrius und ich Ihnen bei den ersten Wochen helfen. Louvois und Lesfeux haben eine Menge Porzellan zerschlagen. Das gilt es wieder zu reparieren. Da diese Art von Porzellan nicht mit einem einfachen Reparus-Zauber wiederhergestellt werden kann hoffen wir darauf, Ihnen dabei helfen zu dürfen."

"Öhm, Sie sprechen von Ihrem ungeborenen Sohn so, als sei er fähig, mit Ihnen zusammen Entscheidungen zu treffen oder sich mir gar mitzuteilen."

"Nathalie, zeig es ihr bitte", klang von Nathalie her die sehr jung klingende Stimme Armand Grandchapeaus. Belle starrte ihre Mutter an, die jedoch keine Verlegenheit zeigte. Sie öffnete ihr hellblaues Umstandskleid und deutete auf ihren unter einem ellastischen Mieder gewölbten Umstandsbauch. Darum war eine Schnur mit einem blauen, blasebalgähnlichen Anhängsel gebunden. Der Blasebalg bvibrierte, und Armand Grandchapeaus Stimme klang nun deutlich zu verstehen.

"Da Arion, Dexamenus und Midas das auch schon wissen und Belle und Julius sozusagen die ersten Zeugen meiner unbedachten Umsiedlung wurden ist es nun Zeit, dass Sie über meinen Zustand informiert werden."

Als Armand Grandchapeau alias Demetrius Vettius Grandchapeau über das umgeschnallte Cogison berichtet hatte, auf welche Dummheit er sich eingelassen hatte und jetzt auf die Geduld, Hingabe und Fürsorge seiner ehemaligen Frau angewiesen sei versank Ornelle fast auf ihrem Stuhl. "Na ja, in Nathalies Schoß zu stecken hat auch einen gewissen Vorteil, ich muss mir nicht mehr die heuchlerischen Gesichter von Leuten wie Lesfeux und Louvois ansehen, die mich Jahre lang umschnurrt haben wie Kater, die gerne mal wieder gestreichelt werden wollen."

"Öhm, und es besteht keine Aussicht, Sie früher als bis Euphrosynes erstem Enkelkind auf die Welt zurückzuholen, Armand?" fragte Ornelle.

"Zum einen nennen Sie mich bitte Demetrius, Ornelle, weil ich ja meinen früheren Körper verloren habe und sozusagen als sein eewiger Gast weiterlebe. Zum zweiten dürfte Nathalies Körper gegen magische Behandlungen und Tränke ebenso unverwüstlich sein wie der Ihre. Nein, ich bleibe erst einmal einige Jahrzehnte bei Madame Grandchapeau untergebracht. Wann ich ihr entschlüpfen darf ist eben davon abhängig, wann Euphrosyne Lundis erstes Enkelkind zur Welt kommt. Ich benötige aber kein Mitleid. Denn außer, dass ich mich nicht ganz ausstrecken kann und manchmal wohl meinen eigenen Urin schlucke habe ich mich an meine exklusive Ein-Zimmer-Wohnung gewöhnt. 'tschuldigung, Nathalie, aber den musste ich jetzt bringen."

"Nun, da Demetrius und ich Sie in unser rundes Geheimnis eingeweiht haben wiederhole ich unser Angebot, Ihnen zu helfen." Ornelle nahm das Angebot an. Nathalie hörte bei der Gelegenheit auch, was Julius für neue Aufgaben hatte. "Gut, dann werden wir zwei beziehungsweise drei dann in so sechs Monaten zusammenarbeiten. Gut, dass du uns nicht vorzeitig verlassen hast", sagte sie zu Julius.

"Was haben wir unterwegs gehört, dass Posites Champverd sich umbringen wollte?" fragte Demetrius über das Cogison. Offenbar bekam er durch irgendeinen Zauber alle Außengeräusche ungefiltert mit, denn als Belle raunte, dass sie das eigentlich nicht erzählen wollte erwiderte das Cogison: "meine große Schwester, deine Mutter ist ein großes Mädchen und ich halte trotz meiner eingeengten Behausung eine Menge aus. Also was war?"

Als Mutter und Sohn Grandchapeau erfahren hatten, was passiert war kam über das Cogison nur ein Wort, bei dem es Julius wie Schuppen von den Augen fiel: "Erpressung!"

"Wie kommst du darauf, Demetrius", sagte Ornelle, die das Angebot angenommen hatte, den im Körper eines Ungeborenen gebannten Minister wie ein Kind anzureden.

"Er war immer wieder auf Martinique. Seine Frau, die hoffentlich ruhiger ruht als ich gerade, hat immer vermutet, dass er sich dort käuflichen Damen anvertraut, weil ihr Intimleben nicht so bewegend war. Sie hat ihn aber nie gefragt. Ich weiß nur von meinem öhm, Großvater väterlicherseits, dass Posites in Beauxbatons nichts von Mädchen wissen wollte. Kann sein, dass Louvois irgendwas über ihn herausgefunden hat, dass ihn erpressbar macht."

"Ja, und zwar so heftig, dass er für Louvois alles gemacht hätte, wenn der Minister geworden wäre. Dann ist das mit Lesfeux aber auch neu zu bewerten", sagte Julius.

"Stimmt wohl", erwiderte Nathalie Grandchapeau.

So besprachen sie eine Weile die Lage. Als dann wieder wer an der Tür klopfte verschwand Nathalie durch verstauen ihrer Halskette unter dem Kleid.

"Frau Zaubereiministerin, wir haben Champverds Büro durchsucht und dabei leicht angesengte Unterlagen gefunden, die wir besser nicht gesehen hätten", sagte ein jüngerer Zauberer, der in der Strafverfolgung arbeitete. Er bat dann darum, nur mit der Ministerin zu sprechen. Belle und Julius verließen den Raum. Ob Nathalie mitkam wussten sie nicht. Sie hatte sich beim Unsichtbar werden hingestellt und den Stuhl herangeschoben.

"Leicht angesengt?" fragte Julius Belle. Diese legte ihm die Hand auf den Mund, um dann seine Hand zu ergreifen. "Sondertür sieben", wisperte sie. Es flimmerte um sie und Julius. "Bitte mit mir mitkommen", sagte sie leise und hob den Zauberstab. Julius verstand und konzentrierte sich, genau dort hinzuwollen wo Belle hinapparieren wollte. Dann umschloss ihn jenes zusammenquetschende Dunkel. Als er wieder die Welt um sich herum sah standen sie im Gebäude für die Computer. Keine zwei Sekunden später ploppte es hinter ihnen. Julius erschrak erst. Doch als er Nathalie sah, wie sie ihre Unsichtbarkeits-Halskette wieder vom Hals löste atmete er auf. "Ein paar von Armands eigenen Erfindungen, als er noch weit vom Ministerstuhl entfernt war. die Tageslichtdurchlasskette. Geht leider nur bei Sonneneinstrahlung. Aber immerhin ist das einer der wenigen Zauber, die mein Körper über sich ergehen lässt."

"Und wie kriegen Sie das hin, dass Demetrius uns ganz normal hören kann?" wollte Julius wissen.

"Ein Mithörmieder, extra von Madame Arachne geschneidert, als ich ihr erklärt habe, dass ich meinem Sohn die Umwelt schon vorführen möchte. In Verdindung mit der Tageslichttarnkette ein adäquater Ausgleich für seine Isolationskammer."

"Schon spannend, was so'n Bauchturner so alles mitkriegen kann, wenn keine Umgebungsübermittler um ihn herum sind", klang es aus dem Cogison. Belle sagte dann. "Okay, hier in dem Büro ist ein Dauerklangkerker. Bevor noch wer meint, uns abhören zu wollen."

Im besagten Büro, knapp fünfzig Meter vom ersten der beiden Computerräume, erklärte Belle Julius den Vivaduratus-Zauber, der auf Gegenstände gelegt werden konnte und bewirkte, dass der bezauberte Gegenstand im gleichen Moment auf die gleiche Weise verging wie der Zauberer, der den Zauber angebracht hatte. Demetrius cogisonierte, dass das Posites ähnlich sähe, ihn belastende Unterlagen auf diese Weise zu vernichten. "Und das tollste", fügte Demetrius noch hinzu: "Der Zauber kann mit dem Omnisimilus-Zauber gekoppelt werden, dass alle Kopien der Unterlagen mitverschwinden. Offenbar hat Posites den einzig sicheren Weg nehmen wollen, um alle ihn belastenden Dokumente auf einen Schlag egal wo sie verstaut waren zu vernichten. Dass er dafür seinen eigenen Tod in Kauf nehmen musste war ihm wohl die Sache wert."

"Oha, wie heftig!" stieß Julius aus.

"Ja, und weil ihr, Hera, Großheilerin Eauvive und du diesen Prozess so schnell und gründlich abgebremst habt bleiben die Unterlagen erhalten, wohl auch bei dem, der ihn damit erpressen wollte."

"Égisthe Louvois. Ich wundere mich, dass er über mich noch kein Dossier hatte", cogisonierte Demetrius. "Am Ende wusste der, dass ich Nathalies auf kleiner Flamme brutzelnder Braten im Ofen bin."

"Dass du es nicht lernst, dich anständig auszudrücken, sobald du meinst, dass dich keiner sieht. Dann muss ich wohl den Sprechbalg losbinden, damit du schweigend und duldsam auf deine Geburt hinwächst. und Komm jetzt ja nicht auf die Idee, mir wieder ... Demetrius!" Knurrte Nathalie mit schmerzverzerrtem und dann schlagartig rot anlaufendem Gesicht. Doch dann sagte sie: "Diesmal nicht, Freundchen. Diesmal habe ich vorgesorgt. Du wohnst schon lange genug unter meinem Umhang, dass ich deine kleinen fiesen Tricks kenne." Julius wollte nicht fragen, welche das waren. Sie band das Cogison ab und sagte: "Jedenfalls hoffe ich mal, dass Sie Louvois deshalb belangen können. Denn Erpressung, egal womit, ist ein schweres Delikt, insbesondere, wenn das Opfer in einer hohen Position in der Zaubereiverwaltung ist, und höher als Strafverfolgungsleiter, Gamotssprecher und Mitglied des internationalen Rates für magisches Recht wäre nur noch der hauptamtliche Ministerposten gewesen. Vielleicht war das Louvois' Plan C, wenn die Wahlanfechtung wie zu erwarten nicht geklappt hätte."

"Aber trotzdem schon heftig, dass jemand sich selbst umbringen will, um Erpressungsmaterial zu vernichten. Meine Frau würde mich aus dem Jenseits zurückholen, um mich nochh mal zu erwürgen."

"Moment, ich lasse ihn wieder zu euch sprechen", sagte Nathalie verdrossen und band sich das Cogison wieder um. "Bitte, was immer da noch bei herauskommt, Julius, seht zu, dass der gute Posites nicht von Louvois weiterhin erpresst werden kann! Danke Maman."

Zehn Minuten später war Julius mit Belle wieder im Ministerium. Nathalie war in ihre geheime Zuflucht appariert. Dass sie in dem Zustand noch gut apparieren konnte lag wohl an der vielen Zeit, die sie zum Üben gehabt hatte.

Als klar war, dass die Unterlagen, die in Champverds Büro gefunden worden waren, mit dem Omnisimilus-Zauber gekoppelt waren, übernahm die Ministerin es persönlich, die verräterischen Dokumente, zu denen auch sehr kompromitierende Fotos gehören sollten, zu verbrennen. Damit waren die Kopien oder Originale für den Erpresser wertlos geworden. Denn Omnisimilus wurde durch einen Blutzauber aufgebracht, der nur dann nicht wirkte, wenn die Kopien in einem Zeittresor eingeschlossen oder in eine andere Daseinsform verwandelt waren. So erfuhr niemand, mit was Louvois Posites Champverd erpressen konnte.

__________

Zur selben Zeit in Louvois' Villa an der Atlantikkküste.

Jean Legris hatte die Amtseinführung von Ornelle Ventvit über den Rundfunk verfolgt und hatte auch den gerade so noch unterbundenen Freitod von Posites Champverd mitbekommen. Da Louvois gerade in einer kleinen Kammer saß, um zu prüfen, welche Möglichkeiten ihm noch blieben, um den magischen Vertrag auszuhebeln, den er mit Milton Cartridge geschlossen hatte, muste er durch die halbe Villa laufen, um zu ihm hinzukommen.

"Gute Idee eigentlich", sagte der gescheiterte Ministerkandidat. "Aber wieso hat der das gemacht? ich dachte, der hinge an seinem Leben."

"Ja, tat er wohl auch, aber an seiner Freiheit und an seinem Amt noch mehr", sagte Jean Legris."

"Er wird den Brief mit den Unterlagen hoffentlich gut weggeschlossen haben. Nicht dass die den finden. Dann hätten wir keinen Einfluss mehr auf ihn", sagte Jean Legris noch. Égisthe Louvois lachte lauthals. "In nicht mal zweiundzwanzig Stunden bin ich tot, Jean. Wenn mir nichts einfällt, um Cartridge diesen Vertrag abzujagen und ihn annullieren zu lassen wird es mich regelrecht von den Beinen holen und am Boden liegen lassen. Wie lange soll diese Therapie dauern, um den Drachentau aus seinem Körper zu kriegen?"

"Unser Spion hörte was von einer ganzen Woche wegen des verlangsamten Stoffwechsels", sagte Legris.

"Dann überlebt der mich auf jeden Fall, verdammt", knurrte Louvois. Hol den Spion her!""

"Ja, mach ich, Égisthe", sagte Legris und zückte seinen Zauberstab. Er hielt ihn an den geschlossenen Mund und gab einige Geräusche von sich. Dann ließ er den Stab in Richtung Erde pendeln. Es dauerte jedoch zzwei Minuten, bis mit leisem Krachen ein Stück boden wegbrach, um sich dann sofort wieder zu schließen. Keine Sekunde später flimmerte die Luft, und ein gerade einmal zwanzig Zentimeter großes Geschöpf mit erdbrauner Haut und vier schlangenartigen Armen und zwei in drei wurzelartige Zehen auslaufenden Füßen stand da. "meister hat gerufen, Grorx ist gekommen."

"Das ist der einzige brauchbare Gewinn meines Langzeitaufenthalts auf Martinique", grinste Louvois. Dann sah er das irgendwie fremd aussehende Wesen genau an. "Sprich, Grorx!"

"Andere Bleichfrau Ministerin geworden, Bleichhaar hat dann aus kleinem Durchsehdings Zisch-Brennbrei getrunken. Drei mal Langsammacher aus Holzstücken auf den gelandet. Dann Bleichhaar in ganz große Durchsehmuschel reingelegt, ganz kaltes Bibberzeug um den rumgemacht und dann mit fies laut Bumm einfach weggemacht. Grorx taten alle vier Ohren weh. Will Heiletrommel hören um ganz viel hören können."

"Kriegst du gleich, Grorx. Aber was hast du noch mitgekriegt, was mit dem Bleichhaar war."

"Weggemacht von Frau mit Grorxfarbehaar. Sagte was von muss eine Woche weg sein."

"Haben die irgendwelche Briefe erwähnt?"

"Nix Draufschreibebriefe vor Grorx gesagt. Will jetzt Heiletrommeln."

"Gleich. Haben sie dich bisher nicht bemerkt?" fragte Louvois.

"Nix da. Grorx schlau. Grorx nicht zu sehen, Grorx nicht zu hören. Keiner Grorx mitkriegen Aber jetzt Heiletrommelnund dann zu Braxa, sonst nicht mehr weiterhören und nicht mehr weitersagen."

"Eh, Wurzelgnom, du suchst Streit?" fragte Legris und hob den Zauberstab. Louvois hieb ihm den Stab runter. "Bist du wahnsinnig, auf einen Radixoiden einzaubern zu wollen, wo der in Fernfühlverbindung mit seiner Gefährtin steht. Hast du schon mal erlebt, wie ein Radixoidenweibchen sich für Angriffe auf sie und ihr Männchen rächt. Eine schwarze Mamba oder die Lebenspartnerin eines antipodischen Opalauges ist da nichts gegen."

"Sie müssen das wissen, wo sie die alte Kolonie von denen ausgebuddelt haben, Égisthe", grummelte Jean Legris. Dann holte er von Hand kleine Kokosnusstrommeln mit eingeritzten Zeichen und zwei kleine Holzrohre herbei. Grorx nahm die Trommeln und die Stöcke in je eine der vier mit sieben feinen Fingern bestückten Hände. Dann spielte er eine gar grauenvolle Melodie, zu der er noch ein schwirrendes, auf untersten Oktaven herumwummerndes Lied sang, bis er mit seiner Bienenflügelgeschwirrstimme sagte: "Grorx Ohren wieder heile. Soll Grorx weiterhören."

"Ja, Aber ich muss mich erst wieder auf dich einsingen. Diese Heiletrommeln stören unsere direkte Hör- und Sprechverbindung."

"Nix. Grorx tut Kopf weh, wenn Bleichhaut in seinen Ohren drinhört. Bin wieder weg. Nachher, wen Feuerkugel in Erdbauch oder Vielwasser, dann ich wollen Braxa. Die noch neue Grorxois kriegen will", sagte Grorx und stampfte auf den Erdboden. Unvermittelt war er wieder weg. Der Boden schloss sich über ihn.

"Schade, dass es von denen nur noch zwanzig gibt und die längst nicht alle so gut sprechen können wie Grorx und Braxa", sagte Jean Legris.

"Das ist mir jetzt auch sowas von egal. Wenn ich Cartridge nicht dazu kriege, den Vertrag aufzukündigen und vor meinen Augen zu zerreißen zerreißt es mich, verdammt noch eins."

"Ich werde mich darum bemühen", sagte Jean Legris. Er bedauerte, dass die Radixoiden, die sich selbst Blxrx nannten und bis vor vier Jahren noch unter einem besonders hohen Urwaldbaum zusammengeknotet überdauert hatten, nichts außer ihre schon an Wesen von anderen Sternen erinnernde Körper durch die Erde mitnehmen konnten. Darin waren sie den Kobolden im Nachteil. Dafür konnten sie aber zu kleinen, freischwebenden Kugeln werden, die in diesem Zustand alle Geräusche, Töne und Worte in sich einsaugen konnten. Die besaßen in dem Zustand keine anzeigbare Lebensaura, was sie zu den perfekten Spionen machte. Wehe denen, die ihnen weh taten, die konnten dann übelst bestraft werden. Zu Stein zu erstarren war da noch das kleinere Übel. Das größere war, dass ein Radixoiden-Weibchen zwanzig mal größer als ein Mensch werden, diesen im Stil einer Riesenamöbe in sich einschließen und dann mit dem Gefangenen zusammenschrumpfen konnte, um ihn genüsslich ganz langsam zu verdauen, um mit dem dabei gewonnenen Fleisch und Blut ihre Eier auszureifen. Männchen dagegen konnten zu vielbeinigen Raupen mit mörderischen Kauraspeln werden, mit denen sie sich in lebende Körper hineinfressen und sie dabei von innen aushöhlen konnten. Zum Schluss der gruseligen Fressorgie erstarrte die Haut des Opfers dann zu einer holzartigen Substanz, so dass von dem aufgefressenen eine art hohles Holzstandbild übrig blieb. Das alles hatten Jean und sein Schutzherr schon erlebt, als Zauberer versucht hatten, das Geheimnis der Radixoiden zu ergründen. Deshalb gab es von denen aber auch nur noch zwanzig. Ob es weltweit noch mehr von denen gab hatten sie bisher nicht klären können.

Braxa tauchte vor Jean Legris auf und streckte ihre vier Arme nach ihm aus. "Du mir geben Grorx zum Drxeln oder ich tanzen Angstmachertanz." Jean erklärte dem äußerlich viermal so großem und in einem lindgrünen Farbton gehaltenen Geschöpf, das Grorx noch was weiterhören solte. "Ich Eier in mir. Grorx die wachdrxeln muss, sonst werden hart und tun weh. Dann dir weh tun. Dich prxlen und warten bis aus dir neue Eier werden."

"Ich lasse mich sicher nicht von einem grünen Wurzelgemüse mit vier Armen erpressen", dachte Legris. Denn wie man die Radixoiden töten konnte wusste er auch. Der Todesfluch ging, wenngleich dann auch der Fernfühlpartner mit lautem Knall explodierte. Darüber hinaus mochten die Radixoiden kein mit Tier- oder Menschenblut gehärtetes Eisen. Dann fielen die in sich zusammen. Nur leider hatte Legris kein solches Werkzeug zur Hand. Aber den Todesfluch konnte er. Auch wenn Grorx dann da, wo er gerade war, mit lautem Knall zerplatzte, er würde sich sicher nicht von dessen Weibchen vernaschen lassen.

"Grorx noch mal im Haus, muss hören, was da jetzt ist", sagte Legris.

"Ich den höre. Aber wenn du den nicht mehr herrufen du geprxelt. Du nix finden Blutglitzer. Habe alles versteckt."

"Mieses kleines Monster", dachte Legris für sich. Doch dann fiel ihm ein, dass die kein mit Blut gehärtetes Eisen anfassen konnten, ohne sich heftig zu verbrennen. Bluffte die kleine grüne Wurzelkreatur.

Ein lautes Fauchen, gefolgt von einem wilden Wimmern, erfüllte die Villa. Braxa wurde zu einer kopfgroßen grünen Kugel und schwirrte zur Decke hoch, um von da aus mit aus ihrem Körper schnellenden Stielaugen alles zu sehen wie ein kleiner, grüner Myriaklop.

Als Legris und Louvois die Quelle des Alarms erreichten fanden sie den Tresor vor, aus dem Rauch drang. Der Rauch- und Feuermeldealarm verklang gerade. Louvois öffnete den Tresor und fand einen großen Haufen Asche vor. Eigentlich hatte er dort seine wichtigsten Dossiers über französische Kollegen aufbewahrt. Doch die waren jetzt alle verbrannt. "Drachenmist! Wie konnte sowas gehen. Grorx her!"

Grorx kam wieder, fühlte Braxa in der Nähe und verwandelte sich sofort in eine raupenartige Kreatur. Braxa sank melodisch Summend über ihm herunter. Grorx stellte sich auf die hintersten Laufbeinchen, erstarrte und drang in die kugelförmige Gestalt seiner Partnerin ein, bis diese mit zwei kurzen kräftigen Pumpbewegungen den ganzen Körper in sich einsog und nahtlos umschloss. "Ja, Drxel die Eier fertig", hörte Legris Braxas surrende Stimme.

"Eh, erst uns sagen, was Grorx gehört hat und von Feuer weiß", sagte Legris. Doch Braxa war gerade wohl im Fortpflanzungsrausch mit dem von ihr völlig einverleibten Partner. Legris schaffte es nicht mal den Zauberstab auf sie zu richten, weil sich das Holz des Stabes bog, als versuche er, den Stab gegen eine Wand zu drücken.

"Was weiß Grorx?" wollte Louvois wissen.

"Der ist gerade schwer beschäftigt. Seine kugelrunde Auserwählte hat ihn bei sich. Die will neue Radixoidenbabys von ihm."

"Die soll den wieder hergeben, damit er uns sagt, was er gehört hat, verdammt. Sonst zerfluche ich dieses grüne Biest."

"Versuchen Sie das mal", sagte Legris. Als Louvois festgestellt hatte, dass sein Zauberstab zu einer wild zitternden Gummispirale wurde, sobald er Braxa damit anzielte, wusste er, dass sie die Natur dieser Wesen noch längst nicht gründlich genug kannten. Offenbar waren die im Fortpflanzungsverbund gegen alle auf sie zielenden Zaubergegenstände sicher. Doch was Louvois wissen wollte wusste er doch: Die Unterlagen mussten von Champverd mit einem Omnisimilus-Zauber belegt worden sein. Sobald eine Ausgabe davon vernichtet wurde, verging auch jede Kopie. Wenn die Kopie verbrannt wurde, dann verbrannte auch das Original, wenn es nicht gerade in einer anderen Form bestand. "Diese verfluchten Schlauköpfe haben meine ganze Macht eingeäschert. Wenn sich das rumspricht, dass ich keine Unterlagen mehr von denen allen habe verpfeifen die mich. Schon heftig genug, dass die das mit den Wonnewichteln und Champverd rausgekriegt haben, falls sie die Sachen erst gelesen haben. Jetzt stehe ich fast nackt da und darf die letzten Stunden meines Lebens runterzählen", schimpfte Louvois. Wer auch immer hatte ihn jetzt förmlich an die Wand genagelt, und Cartridges Vertrag würde ihm den Todesstoß versetzen.

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Zur selben Zeit im französischen Unterschlupf der geächteten Gruppierung Vita Magica


"Er wurde Gedächtnismodifiziert, Mater Vicesima. Hätte ich mir auch denken können, dass er nicht von Montpelier auf Ballard angesetzt worden ist", sagte der stämmige Zauberer mit schwarzer Igelfrisur, der einer von Vicesimas elf Söhnen war, die sie mit diversen Vätern unter verschiedenen Identitäten hervorgebracht hatte.

"Eh, ihr Schweinebande, ich habe einen Fernfindmich im Körper, der um die ganze Welt erspürt werden kann. Euer blödes Versteck ist gleich Geschichte", lamentierte der in einem Glaszylinder stehende Mann, der komplett unbekleidet und aller Körperbehaarung entledigt war.

"Du musst mir doch nur sagen, für wen du wirklich arbeitest, Alfred Pauquet. Dass du nur ein Laufbursche warst wissen wir schon seit drei Monaten. Aber für wen läufst du gerade?"

!"Stopf dir die Frage wohin, wo's dir am meisten Juckt, alte Schachtel", sagte der eingeschlossene.

"Hmm, ja, wo juckt es mir denn gerade besonders, beziehungsweise, wo zwickt es mich gerade besonders. Hmm, gute Idee."

"Igelchen, geh bitte vor die Tür. Maman macht das schon. Willst du nicht bei zusehen."

"Echt nicht?" fragte ihr Sohn. Sie nickte. Er nickte zurück und verließ den Raum. Mit zwei Zauberstabstupsern verriegelte sie die Tür. "So, Alfred, jetzt kommen wir zur Sache. In einer Stunde erzählst du mir alles."

"Ich bin gegen den Cruciatus immun und kann den Imperius mit einer asiatischen Selbstbeherrschungsmeditation von mir abschütteln. Und Veritaserum würge ich sofort wieder hoch. Ich bin unverhörbar."

"Guck mal hier", sagte sie und zeigte dem Eingeschlossenen jene Vorrichtung, die aus erwachsenen Menschen Neugeborene machte. "Ich habe eine gute Freundin, die möchte gerne mal wieder Stillenund wickeln üben, bevor sie ein neues Kind empfängt. Nur dann, wenn du schön klein und süß bist kannst du dich nicht dauerhaft gegen alles wehren, weil Infanticorpore alle toten Gegenstände aus einem herauslöst. Aber ich habe noch eine viel bessere Idee." Mit diesen Worten ließ sie den Glaszylinder um Alfred Pauquet, der gerne mit Schlapphut und Vollbart herumlief, verschwinden. Der Gefangene versuchte, zu fliehen. Doch er kam keinen Meter weit. "Oh, habe ich doch vergessen, dir zu sagen, dass wir die Plattform an deinen Körper gebunden haben. Der Zylinder war nur dazu da, um jede geistige Ausstrahlung einzufangen, damit du nicht mentiloquieren kannst und auch so alles preisgibst, was du denkst. Aber jetzt brauche ich dich ganz nah bei mir."

"Du alte Sabberhexe. Wir kriegen dich und deine Bande und ..." Plopp! Alfred Pauquet konnte seinen Satz nicht mehr zu Ende sprechen. Denn sein Körper hatte sich verwandelt. "Ich weiß, dass du jetzt eine Menge Durst hast. So trinke und sei mir untertan", grummelte Mater Vicesima. Gut, dass sie sich doch noch nicht darauf eingelassen hatte, Kind Einundzwanzig zu empfangen.

Eine Stunde lang sah es so aus, als sei Alfred nicht mehr im Raum. Mater Vicesima sang immer wieder Zauberformeln des Lebens und des Blutes. Dann gab sie Alfred wieder frei. Doch er sah nun wesentlich rundlicher aus, als habe jemand ihn in der kurzen Zeit wie einen Hefeteig aufquellen lassen. Als er sich darüber klar wurde, was passiert war versuchte er, auf seine Foltermagd zuzustürzen. Doch etwas in ihm hielt ihn zurück. "In dir steckt ein nicht gezeugtes Leben von mir. Du wurdest eins mit ihm und gehörst mir damit, bis ich ein neues Kind auf diese Welt bringe. So sprich die Wahrheit und verheimliche nichts vor mir, deiner Herrin."

"Ich ... Blllb. Ich arbeite für ´Jean Legris. Das ist ein Zauberwesenexperte von Martinique. Der kann Hauselfen zu Boten und Spionen abrichten. der hat mich so .... so gefunden. Verdammt, wieso sage ich dir das, du .... Arg!"

"Weil du mir jetzt gehörst und damit alles, was in dir drinsteckt. Und du kannst mich nicht beschimpfen, weil in dir was von mir eingelagert ist. Also erzähle mir mehr von Jean Legris! Für wen arbeitet der?"

"Ich weiß nicht. Aber die eine Elfe, die mich mal befördert hat, sagte, dass sie für einen Égisthe schafft." Mater Vicesima lachte laut und überlegen. "Das hätte ich eigentlich denken können. Aber es sozusagen amtlich zu haben fühlt sich wesentlich sicherer an. Ich danke dir für deine Hilfe. Dafür darfst du jetzt ein wenig schlafen. Los, leg dich hin und schlafe ein!"

"Ich bin aber ... nicht ... müde", keuchte Alfred Pauquet. Doch da übermannte ihn bleierne Schläfrigkeit. Er legte sich da wo er war hin und schlief ein.

"Was hast du mit dem angestellt, Maman?" wollte Louis, der Zauberer mit der Igelfrisur, wissen.

"Igelchen, wenn ich wollte, dass du das weißt, hätte ich dich zusehen lassen. Aber ich will nicht, dass du das weißt. Gönne deiner alten Mutter noch ein paar Geheimnisse."

"Ja klar, du hast ja auch nur zwei Geheimnisse", grummelte Louis.

"Sage unserem wackeren Monsieur Ballard, dass er bald anderswo weiter seine herrlichen Cocktails brauen darf. Keiner wird ihm mehr nachstellen."

"Und wer hat uns den Schlamassel eingebrockt?" wollte Louis wissen.

"Na, wer wohl? Égisthe Louvois."

"Öhm, Maman, die Ventvit ist gerade vereidigt worden. Soll sie auch eine Aufforderung kriegen?"

"Rede keinen Unsinn, Louis. Die Frau ist als Jungfrau von dieser Veelastämmigen mit ihrem Lebensverlängerungssegen bedacht worden. Wann willst du ihr erstes Kind auf der Welt begrüßen, abgesehen davon, dass ihr Schoß so undurchdringbar ist wie ein Keuschheitsgürtel. Nein, diese Dame hat sich ganz ungewollt und ahnungslos von unserer Liste heruntergeworfen. Aber wir haben genug in Frankreich, die demnächst eine Aufforderung erhalten sollen. Vielleicht könnten wir Louvois dazu bringen, seine Schuld in eigenen Kindern abzuleisten."

"Kannst du leider vergessen, Maman, weil der sich mit sechzehn die Samenleiter hat durchtrennen lassen, seitdem er unfreiwillig eine Sabberhexe befruchtet hat und die gleich drei Töchter auf einen Wurf von ihm bekommen hat."

"Das ist aber bedauerlich. Dann geht das so eben nicht. Schade, deine Schwester Birte hätte sicher süße Louvois-Nachkommen zur Welt gebracht."

"Öhm, und wir wissen auch nicht, wo Louvois ist. Der tauchte immer mit einem Portschlüssel oder apparierend auf. Wo der in Frankreich seinen Unterschlupf hat wissen wir nicht."

"Aber sein Erfüllungsgehilfe weiß das, und wer das ist hat unser Gast mir verraten", sagte Mater Vicesima mit überlegenem Lächeln.

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Amtszimmer des US-amerikanischen Zaubereiministers Milton Cartridge in Washington DC


17. September 2002, 08:00 Uhr Ortszeit

"Das wird dann wohl nichts, Nancy. Da können Sie das Treffen mit Madame Grandchapeau wohl absagen, sagte der Zaubereiminister zu seiner blondhaarigen Besucherin, Nancy Gordon vom Büro für Vermittlung zwischen Menschen mit und ohne Magie. Diese grinste ihn an wie ein freches Mädchen und meinte:

"Wieso. Soweit ich weiß möchte Martha Merryweather ja ihren Lebensmittelpunkt bei uns in den Staaten gründen. Und über dieses Arkanet - eine ganz geniale Sache übrigens - kann sie doch auch mit Paris in Kontakt bleiben. Sie arbeitet dann eben nur für uns. Ich gehe davon aus, dass ich mit Madame Grandchapeau zu einer Einigung komme."

"Auch wenn nicht Égisthe Louvois Minister geworden ist?" fragte Milton Cartridge.

"Bei allem Respekt, Herr Minister, aber diesem Typen habe ich nicht über den Weg getraut. Der blies in dasselbe Tuthorn wie Gloria Puddyfoot. Das hätte den totalen Ärger mit den Kobolden und Zwergen hier gegeben, und auch mit Aubartia."

"Und mit Ihrer neuen Freundin, der schwarzen Spinne, Nancy?"

"Oha, wenn ich bedenke, dass die mich nur deshalb hat leben lassen, weil ich eine Hexe bin", knurrte Nancy Gordon. "Dass Sie die überhaupt noch mal angeschrieben haben verstehe ich nicht."

"Sie ist eine der wenigen, vor denen diese Mondheuler immer noch eine Heidenangst haben, von diesen Virusmücken von VM abgesehen."

"Ja, aber man löscht doch kein Feuer, indem man einen Drachen ruft"., meinte Nancy.

"Komisch, dabei kennen Sie das wegen ihrer Herkunft doch sicher, dass bei großen Buschbränden kontrollierte Gegenfeuer gelegt werden, um die Ausbreitung des wilden Feuers aufzuhalten. Aber lassen wir das! Wann ist das Treffen mit Madame Grandchapeau?"

"Um zehn Uhr unserer Zeit, was bei denen drüben schon vier Uhr nachmittags ist."

"Dann bereiten Sie sich mal seelisch drauf vor! Ich muss noch einen Schrieb an den venezuelanischen Zaubereiminister fertigkriegen, und mein Spanisch ist leider in den letzten Jahren heftig eingerostet. Und dieser Arturo Pataplata will keine englischen Briefe lesen. Offenbar hat den das Anti-USA-Fieber der da regierenden Muggel befallen."

"Nein, der denkt nur, dass wer was von ihm will auch so schreiben soll, dass er es versteht. Und der kann nun einmal besser Spanisch als Englisch. Ich habe mit seiner Nichte Rosalba schon gesprochen. Ist Dotty heute nicht da?" fragte Nancy.

"Die hat sich abgemeldet. Ihr ist nicht wohl. Am Ende ist die auch noch schwanger. Gut, bevor sie es sagen, Nancy, ich sitze im Glashaus. Aber immerhin kriegen meine Frau und ich unsere Kinder, wann wir das wollen."

"Das hoffe ich für mich auch. Bin schon lange auf keiner Zaubererweltparty mehr gewesen, weil ich keine Lust habe, danach mit einem dicken Bauch rumzulaufen", knurrte Nancy. "Aber ich habe noch Zeit. Wenn es nicht zu geheim ist übersetze ich Ihnen eben den Brief für Arturo Pataplata."

"Sie kriegen aber keine Überstunde bezahlt, Nancy", scherzte der Minister. Sie grinste nur. Dann diktierte er ihr den formalen Brief, in dem es nur darum ging, den Naturalienaustausch venezuelanische Feuererbsen gegen kalifornischen Spendebaumfruchtsaft abzuklären. In einem Absatz ging es dann noch um den Schutz muggelstämmiger Zauberer und Hexen aus den Staaten, die sich in den Städten umsehen wollten. Nancy schrieb erst im Stil einer Fremdsprachensekretärin alles herunter. Dann sagte sie: "Ich kann über meinen Kontakt darunter auch veranlassen, dass der Wechselzungentrank ausgegeben wird, wenn Touristen hinkommen. Wenn die Spanisch sprechen wie ihre eigene Muttersprache und einheimische Kleidung tragen werden die von den da lebenden Banditen nicht groß behelligt."

"Danke für den Tipp, Nancy. Schreiben Sie das auf. Ich muss den Brief eh von Hand abschreiben, weil dieser südamerikanische Gaucho nur von mir selbst geschriebene Briefe als respektvoll genug ansieht. Deshalb konnte ich Dotty heute auch entbehren."

"Nigun problema Señor el Ministre", grinste Nancy. Dass sie schon vierzig Jahre alt war konnte man ihr manchmal echt nicht glauben. Einige hatten mal behauptet, sie sei eigentlich erst zwölf und habe von irgendwoher einen dauerhaft wirkenden Alterungstrank erwischt. Aber wenn sie wollte oder wenn sie musste konnte sie eine knallharte Verhandlungsführerin und gründliche Organisatorin sein.

Als er gegen neun Uhr wieder für sich alleine war dachte er daran, was er Louvois aufgebürdet hatte. Der würde in nicht einmal mehr zwanzig Stunden tot umfallen, weil er kein Zaubereiminister geworden war. Sollte er ihn jetzt bemitleiden? Der hatte doch was von ihm gewollt und auch bekommen. Er hatte selbst nicht geahnt, wie heftig die Sache mit John Goodwin sein würde. Dass der Junge einen unbekannten Zauberervater haben musste war ja schon bekannt gewesen, aber die Ähnlichkeit mit Lesfeux war schon sehr erschreckend. Am Ende sollte der Junge noch in Paris vor dem Gamot einen Erbgutvergleich einen Tropfen Blut auf die Erbgutwaage geben, damit geklärt wurde, ob er von Lesfeux abstammte oder nicht. Die Mutter war, nachdem ihre Erinnerung wiederhergestellt worden war, in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden. Die Muggelärzte würden rätseln, wieso die Frau erst nach bald zwanzig Jahren von der Vergewaltigung wusste, und wenn sie dann noch was von einem grauen Werwolf und einem Mann mit Zauberstab erzählte konnte es passieren, dass sie nie wieder frei herumlaufen konnte. Diese gutgemeinte Enthüllung konnte ihm vielleicht selbst noch zum Verhängnis werden, vor allem, wenn John Goodwin nicht Lesfeux' Sohn war.

"Hömm-ömm, Herr Zaubereiminister. Der Präsident der vereinigten Staaten ist nach seiner Gedenkreise anlässlich des elften Septembers wieder ins ovale Arbeitszimmer zurückgekehrt. Wünschen Sie weiterhin über seine Pläne im sogenannten Krieg gegen den Terrorismus informiert zu werden?" quäkte ein kleines, spindeldürres Männchen in einem antiquierten Abendanzug aus den 1920er Jahren.

"Ja, damit ich weiß, welche Kollegen ich über baldige Bombenflieger über ihren Städten informieren muss", sagte der Minister. Dann flatterte ihm ein Brief aus der Handelsabteilung zu. Mr. Dime hatte die Berechnung für den Umbau von Thorntails ohne zusätzliche räumliche Ausdehnung abgeschlossen.

"Was? zehn Millionen Galleonen? Das kann die nicht ernst meinen", sagte der Minister und schickte Lenny, seinen gelbgewandeten Boten zur Behörde für magische Ausbildung. Wenige Minuten später traf Joan Tinkettle bei ihm im Büro ein. "Joan, ich fürchte, wir müssen der guten Prinzipalin Wright den Umbau ausreden. Zehn Millionen Galleonen will Dime nicht rausrücken, auch wenn es über einen Zeitraum von elf Jahren verteilt werden soll."

"Sie haben mitbekommen, was die gute Prinzipalin Wright gesagt hat: Sie sind für die anständige Ausbildung der künftigen Hexen und Zauberer verantwortlich. Entweder, Sie fangen die Leute von Vita Magica oder Mora Vingate oder wie immer die sich gerade nennen, oder Sie zahlen für die von denen ausgelöste Babyflut."

"Glauben Sie besser nicht, dass Sie da jenseits von gut und böse sind, Joan", sagte der Minister der an die siebzig Jahre alten Hexe mit noch dunklen Haaren, aber einer Brille mit dicken Gläsern auf der Nase.

"Ich weiß, dass die älteste gerade auf zwei kinder wartende Mutter zweiundachtzig Jahre alt ist, Herr Minister. Ich halte mich nicht für ungefährdet. Aber wenn wir die Schule nicht auf die neuen Kinder vorbereiten, müssen Sie Dime fragen, ob er eine neue Schule bauen will. Und da könnte es Ihnen passieren, dass da Leute von Vita Magica oder der Spinnenschwesternschaft als Lehrer anfangen, weil Thorntails keine Lehrer freistellen wird."

"Dann klären Sie das mit dem Knutküsser, wo wir das Gold hernehmen sollen."

"Wie wäre es mit Gold aus der Muggelwelt. wir verkaufen was harmloses, nicht als magisch zu erkennendes und tauschen den Gegenwert von zehn Millionen Galleonen dafür ein."

"Hat Nancy Gordon mir schon ausgeredet und das auch gescheit begründet. Dann müsste ich nämlich unsere Stillhaltepolitik gegenüber Bush und Rumsfeld aufkündigen. Daran liegt mir nichts."

"Wie gesagt, fangen Sie die Vita-Magica-Banditen ein und nehmen Sie denen alles weg, was die haben!" sagte Joan Tinkettle schnippisch. "Übrigens, Gloria Puddyfoot hat mir erzählt, dass auch die Franzosen unsere Gemischtrassensteuer ablehnen. Nur soviel, wo Sie meinen, Geld herholen zu können."

"Ja, genau. Und weil das so ist möchte ich jetzt gerne wieder alleine sein", sagte der Minister. Joan Tinkettle stand auf und winkte zum Abschied.

Kurz vor zehn traf noch ein Brief ein. Auf ihm prangte das pausbäckige Gesicht eines satten Säuglings. Der Minister vollführte sofort Flucherkennungs- und unerlaubte Transportzaubererkennungszauber, fand keine und öffnete den Umschlag. Er las, dass Vita Magica von der finanziellen Notlage des Ministeriums Kenntnis erhalten habe und durchaus bereit sei, die von Handels- und Finanzleiter Dime errechnete Summe für den Umbau von Thorntails aufzubringen. Hierfür sollte der Minister jedoch drei Bedingungen erfüllen, die in ihrer Formulierung einfach zu verstehen aber in ihrer ethischen Auswirkung unmöglich umzusetzen waren. Er sollte zum einen jeden Versuch unterlassen, Vita-Magica-Mitglieder zu ergreifen. Zweitens sollte er den alleinstehenden Hexen und Zauberern in seinem Ministerium die Anweisung geben, sich bis zum ersten Dezember einen Fruchtbaren Partner zu suchen und mit diesem oder dieser das erste Kind auf den Weg zu bringen. Drittens und am heftigsten: Der Minister sollte die Vereinigung Vita Magica als freie und in ihren Zielen zulässige Organisation des öffentlichen Gemeinwohls anerkennen und eine dauerhafte Residenz in den USA gewähren. Er packte den Brief und versuchte, ihn zu zerreißen. Dabei vernahm er in seinem Kopf die lauten, flehenden Schreie eines Babys. Er versuchte, zu okklumentieren und zerrte erneut an dem Brief. Da passierte es.

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Zur selben Zeit in der Ankunftshalle des Zaubereiministeriums von Amerika.

Belle hatte Julius Latierre nicht lange überreden müssen, ihn zu begleiten. Immerhin ging es auch um seine Mutter. Das sollte Nancy Gordon ruhig wissen.

Julius war ja schon mal im Zaubereiministerium gewesen. Das war damals vor sechs Jahren, wo er dieser geheimen Gerichtsverhandlung gegen Jane Porter beigewohnt hatte und mit einem aus der Zukunft zurückgekehrten Jasper Pole in der Herrentoilette gekämpft hatte, weil der ihn daran hindern wollte, seine Karriere zu verderben. Das war für ihn irgendwie ein anderes Leben. Damals hatte Claire noch körperlich existiert, er hatte noch Andrews mit Nachnamen geheißen und seine Mutter musste sich da gerade von diesem üblen BUS-Gerät erholen.

Nancy Gordon freute sich, die Kollegin aus Paris zu treffen. Als sie Julius erkannte sagte Belle: "Er wurde von meiner neuen obersten Dienstherrin extra abgestellt, mir bei der Unterhandlung zu assistieren. Belles Englisch war immer noch exzellent, wenn eben auch typisch britisch eingefärbt, erkannte Julius an.

Die Unterhaltung über die guten Beziehungen der beiden Büros und die Frage, ob Martha Merryweather nicht doch für die Zaubereiverwaltung der Staaten arbeiten wollte verlief in ruhigen Bahnen. Julius eröffnete den beiden Hexen, dass seine Mutter durchaus den Arbeitgeber zu wechseln bereit war, wenn garantiert werden könne, dass sie weiterhin als Unterstützung für das französische Zaubereiministerium arbeiten könne, ohne dass dafür extrahohe Honorare fällig wurden. Nancy ließ das von ihrer Flotte-Schreibe-Feder mitschreiben. Dann fragte sie Belle, inwieweit Martha Merryweather mit ihr darüber gesprochen hatte. Belle räumte ein, dass ihre Kollegin erst einmal die Vereidigung des neuen Ministers hatte abwarten wollen. Auch das ließ Nancy mitschreiben. "Wenn Sie schon mal hier sind, Mr. Latierre, können Sie da nicht gleich ganz offiziell nach Santa Barbara reisen und sie von uns beiden hochoffiziell fragen."

"Dazu benötige ich dann wohl eine entsprechende Vollmacht von Madame Grandchapeau", sagte Julius. Belle sah ihn anerkennend an. Sie wollte gerade was erwidern, als es an die Tür klopfte.

"Wir sind im Gespräch!" rief Nancy.

"Ey, Fancy Nancy, ich wollte zum Minister wegen der PK heute Mittag wegen dieser Lesfeux-Sache, die Sie auch zwischenhaben. Aber die Tür ist zu, und im Zimmer plärrt ein Baby."

"Das ist Lenny, der rasende Bote des Zaubereiministeriums. An und für sich müsste der Rollschuhe oder stilechte geflügelte Stiefel anziehen."

"Ein Baby bei Minister Cartridge. Ich war vor einer Stunde bei ihm. Da war kein Kind."

"Ey, Nan, ich weiß doch, was ich höre. Meine Ohren sind fast so gut wie die von Lino der Lauscherin."

"Mit deinem losen Mundwerk kommst du an ihre Ohren auf jeden Fall ran", erwiderte Nancy. "'tschuldigung, das muss geklärt werden", sagte sie. Sie stand auf und ging zur Tür. "Lenny, wenn beim Minister ein Baby ist, und der nicht aufmacht, dann hol Madam Honeydew. Wir gucken mal nach."

"Die Tür ist zugezaubert. Die kriegt ihr zwei Mädels und der junge Rap-Fan da nicht auf."

"Dann stehst du Quatschkopf noch hier rum?! Los, schwirr ab und schaff Madam Honeydew bei!" kommandierte Nancy.

"Habe ich schon mal gesagt, dass ich frauen mit Kommandoton total unsexy finde?" erwiderte Lenny.

"Gut zu wissen, dass ich deine Babys nicht zu kriegen brauche. Die würden mich ja während der Schwangerschaft schon totlabern. Also ab, hipp und hopp im Galopp!"

"Ey, so nicht, Ms. Gordon", knurrte Lenny. Doch Julius sah ihn sehr durchdringend an. Lenny war damals noch einen Kopf größer als er gewesen. Jetzt war er einen Kopf kleiner und nur halb so breit wie der durchtrainierte Julius Latierre. Das wirkte. Lenny machte auf dem Absatz seiner flachen Laufschuhe kehrt und wetzte los, als sei er auf der Flucht.

"Wo lernt man das?" fragte Nancy.

"Ich weiß nicht. Ich kann das irgendwie, seitdem ich dieses Schlangenmenschengift und danach Halbriesenblut im Körper hatte", sagte Julius. Dann öffnete Nancy einen Zugang zu einem Nottreppenhaus, aber ohne Alarm auszulösen. "Ich darf das zwischendurch mal, weil ich so auch schnell wieder abrücken und zu unserer Computerzentrale hin kann", erklärte Nancy Gordon. Julius und Belle liefen hinter ihr her, bis zur obersten Etage. Dort öffnete Nancy die Nottür erneut. "Wenn das jemand außer Lenny, der HVD oder mir macht fängt ihn ein Captaranea-Fluch ein und hält ihn gefangen, wenn nicht gerade Alarm ist", musste Nancy noch einwerfen.

"Passiert das auch, wenn jemand die Tür vom Ministerbüro aufbricht?" wollte Julius wissen, der von dem Zauber natürlich schon gehört hatte. Seine Mutter hatte ihn sogar leibhaftig zu spüren bekommen, als sie Pétains Pläne für die Friedenslager aufgedeckt hatte.

"Da kriegt man was anderes ab. Aber was das ist verrate ich nicht. Die Tür muss ganz bleiben."

"Sind die Wände mit Erdhärtungs- und Undurchlässigkeitsbezauberungen getränkt?" wollte Julius wissen.

"Ja, wegen der Kobolde, die es schon mal versucht haben, uns heimzusuchen", sagte Nancy. "Gut zu wissen", sagte Julius. Belle fragte ihn nicht, was das sollte. Womöglich dachte sie auch daran, wie man die Tür aufkriegen konnte, ohne Abwehrzauber abzubekommen.

Vor der Bürotür des Zaubereiministers war sonst noch keiner. Julius hatte bereits seinen Zauberstab gezogen. Zu gerne würde er jetzt die von Madrashmironda erlernten Erdzauber an diesen Wänden austesten. Aber vor Belle und Nancy wollte er das nicht. Doch ungesagte Untersuchungszauber konnte er schon mal machen, um zu wissen, wie die Wände genau verstärkt waren. Da hörte er von drinnen das zwischen Angst und unbändiger Wut liegende Geschrei eines neugeborenen, wohl eines Jungen, der Stimmlage nach, weil Julius ja schon verschiedene Babyschreie gehört hatte.

"Das ist ein kleiner Junge, vielleicht gerade ein paar Stunden oder Tage alt", sagte Belle. Nancy sah sie komisch an. "Moment, ich habe selbst einen gekriegt. Der hat sich erst ziemlich geweigert, auf die Welt zu kommen und mich dann noch eine Viertelstunde lang wütend angebrüllt, was mir denn eingefallen sei, ihn einfach so aus meinem warmen, nährenden Schoß in diese kalte, helle, laute Welt zu werfen. Aber mittlerweile ist er froh, dass ich ihn nicht mehr mit mir herumtragen muss", sagte Belle und prüfte ihrerseits die Tür. "Bakunin'scher Vorhang. Soviel zur ständig behaupteten Rivalität zwischen Russen und Amerikanern."

"Moment, das ist ein Fluch. Dann kriegen du und ich den locker weg", mentiloquierte Julius an Belle.

"Ja, und wie möchtest du unserer Gastgeberin verraten, dass du einen universalen Fluchumkehrer erlernt hast?"

"Falls wir den gleich nicht doch noch brauchen. Ich habe da einen ganz miesen Verdacht", schickte Julius zurück.

"Rat mal wer noch", bekam er unter seine Schädeldecke gesetzt. Tja, sie waren eben immer noch "Schwestern", erkannte Julius.

"Wer kann und darf so einen Bakunin'schen Vorhang aufmachen?" wollte Julius wissen.

"Die von der inneren Sicherheit. Wenn Lenny die Heilerin holt, darf sie das auch. Aber der sollte eigentlich nur dann entstehen, wenn der Minister von außen oder im Büro mit Offensivzaubern angegriffen wird.

"Wurde er wohl auch. Zumindest hört er sich ganz danach an", ließ Julius seiner Vermutung freien Lauf. Nancy erbleichte. "Das kann nicht sein. Der Minister würde in Sicherheit gebracht, sobald einer einen Zauber bringt. Nicht mal Avada Kedavra käme schnell genug bei ihm an, und Infanticorpore dauert zum Aussprechen länger."

"Was Sie nicht sagen", entfuhr es Belle und Julius gleichzeitig. Denn die beiden wussten zu gut, dass jemand eine wörtlich blitzartige Ausführung dieses Fluches ge- oder erfunden hatte.

"Und trotzdem glaube ich wie mein Assistent, dass der dort drinnen schreiende Säugling Minister Cartridge ist", sagte Belle.

"Julius, im Zweifelsfall nimm der Uneingeweihten das Kurzzeitgedächtnis", hörte Julius Temmies Gedankenstimme. "Du fügst ihr damit keinen bleibenden Schaden zu. Aber ihr müsst dort hinein, bevor wer immer den Verjüngungsschlag geführt hat flüchten kann oder noch schlimmer."

"Noch schlimmer?" fragte Julius seine mehrere tausend Kilometer entfernte Vertraute.

"Er könnte zum Beispiel entführt und unauffindbar versteckt werden", erwiderte Temmie. Julius erbleichte. Belle fragte, was er habe, weil sie seinen Gedankenaustausch mit einer besonderen Latierre-Kuh nicht mitbekommen hatte.

"Wir sollten kucken, dass wir da reinkommen, bevor die von VM noch einen WARP oder sowas bringen, um den Minister einzukassieren."

"Dann hätten die das doch schon längst machen können", sagte Belle. Doch so ganz wollte sie das nicht abstreiten.

Julius hatte inzwischen die Wandverstärkungszauber geprüft. Mit einem Breitbandzauber gegen Sperren der Erde bekam er die alle weg und konnte durch die Wand gehen. Aber den durfte er im Moment nicht anwenden. Da hörte er von drinnen eine weitere Stimme, hoch und irgendwie künstlich. Die Erinnerung jagte ihm einen eiskalten Schauer durch den Körper. So klangen die verstellten Stimmen der VM-Kampftruppe.

"Ui, bist du ein süßer kleiner Wonneproppen. Wusste nicht mehr, dass du bei deiner Geburt so ein süßes Baby warst. Na ja, darfst du ja wieder sein."

"Okay, Mädels, keine Rücksicht mehr", dachte Julius. Er machte Anstalten, auf Nancy zu zielen um sie bewegungsunfähig zu zaubern, da apparierten drei Leute weiter hinten im Gang, eine Hexe und zwei Zauberer. Julius wischte über Nancy hinweg, als habe er nur einen Aufspürzauber versucht und keinen auf sie wirkenden Zauber beabsichtigt. Da waren die drei Neuankömmlinge schon auf gleicher höhe. Die schlanke, hellhäutige Hexe mit kastanienbraunem Schopf und dunkelblauen Augen deutete kurz auf sich und dann auf die Tür.

"Kendra Honeydew, residente Heilerin. Was ist da drinnen los?" fragte sie. Zur Antwort hörten sie eine schrille Stimme von drinnen: "Meister Milton nichts böses tun! Bubbley kämpft für ihn."

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Milton Cartridge riss das Pergamentblatt entzwei. Doch das war sein Fehler. Grell und golden blitzte es vor ihm auf. Dann fühlte er sich leicht und schwerelos in goldenem Licht gebadet. Doch dann fand er sich in Decken oder übergroße Kleidung eingewickelt wieder. Er fühlte den übermächtigen Sog der Schwerkraft an seinen Gliedernund vor allem am Kopf. Er konnte ihn nicht mehr anheben. Er riss den Mund auf, um um Hilfe zu rufen. Dabei bemerkte er, dass er keinen einzigen Zahn mehr im Mund hatte. Er versuchte, Worte zu bilden. Doch Kehlkopf und Zunge waren nicht mehr fähig, klare Wörter zu formen. Da wusste er, was ihm widerfahren war: Irgendwie hatten diese Verbrecher einen Weg gefunden, den Infanticorpore-Fluch nicht nur in einen Brief so einzulagern, dass er mit keinem Flucherkenner gefunden wurde, sondern ihn auch noch blitzartig wirken zu lassen. Er war voll in eine gestellte Falle getappt, die er noch dazu nicht mal hätte auslösen müssen, wenn er den Brief einfach in den Abfallschlitz geworfen hätte. Oder hätte dieser vertückte Zauber auch dann ausgelöst, wenn er den Brief weggeworfen hätte? Egal. Er war jetzt ein hilfloser Säugling, gerade mal mit zugeheiltem Bauchnabel. Er konnte keine klaren Worte bilden. Aber er konnte schreien. Wie das ging hatten seine Kinder ihm immer gerne vorgemacht. Also schrie und schrie er, immer darauf hoffend, dass jemand ihn hörte. Tatsächlich konnte er Lenny vor der Tür hören und so versuchte er, Lennys Namen zu schreien. Doch das ging nicht. Schlimmer war noch, dass seine Kehle vom Schreien immer trockener wurde. Er musste Pause machen. Sein Herz hämmerte ihm bis hinauf in die unverknöcherte Schädeldecke. Diese Gangster. Das sollten sie büßen, dachte er voller Wut. Aber da war auch Angst im Spiel. Sie hatten ihn in seinem am besten geschützten Arbeitsbereich erwischt, schlagartig und gründlich außer Gefecht gesetzt. Was konnten die noch alles machen?

Als er zwei Frauen und einen Mann vor der Tür hörte lauschte er erst. Seine Ohren waren jedenfalls wieder besser als vor dem Fluch. Als er Nancy und einen britisch sprechenden Zauberer erkannte schrie er wieder los, Wut und Angst trieben ihm zum äußersten. Er wusste aber, dass die Tür sicher durch den Vorhang geschützt war. Der hatte sich sicher gesenkt, als der Infanticorpore-Fluch ausgelöst worden war. Er hörte noch, wie sie diskutierten, wie sie die Tür aufbekommen konnten. Da sah er in dem grauen Nebel, der vor seinen Augen waberte, ein helles Licht aufleuchten. Dann hörte er die kinderhafte Stimme, wie sie ihn einen süßen Wonneproppen nannte. Er erkannte die Stimme nicht. Doch als zwei riesenhafte Hände aus dem grauen Nebel vor ihm auftauchten und nachKopf und Körper tasteten wusste er, dass er gleich entführt werden sollte. Diese Gangster würden ihn fortschaffen und womöglich mit Gedächtniszauber auch geistig zum Baby zurückverwandeln, damit er nicht mehr wusste, wer er einmal war. Jetzt erst kam er darauf, zu mentiloquieren: "Goddy, VM hat mich infanticorporisiert und Leute in mein Büro geschickt, die mich verschleppen wollen." Sein Gedankenruf wurde aufgefangen.

"Ich schicke Hilfe", war die Antwort. "Du musst nicht mehr schreien. Gleich bist du in Sicherheit", säuselte diese künstlich auf hohe Kinderstimme getrimmte Stimme, während der oder die Unbekannte ihn aus den für ihn zu großen Kleidern herauszog. Er stieß noch mal einen gedanklichen Hilferuf aus. Er war darauf gefasst, gleich von dem Eindringling per Apparieren oder Portschlüssel verschleppt zu werden. Da hörte er ein leises Plopp. Der Eindringling ließ einen Moment von ihm ab, wohl um zu klären, wo das Geräusch herkam. Cartridge wusste es und schöpfte neue Hoffnung. Da klang auch schon eine ihm wohlvertraute schrille Stimme:

Meister Milton nichts böses tun! Bubbley kämpft für ihn."

"Ja, was denn, ein Hauself!" rief der Eindringling mit der unnatürlich hohen Stimme. "Dein Meister gehört jetzt uns. Bestell das deiner Herrin!"

"Du böse Frau wirst Meister Milton Cartridge nicht weh tun!" rief die andere schrille Stimme. Da krachte und prasselte es, und Milton hörte Bubbley schmerzvoll quieken.

"Hast du so gedacht, mir mit deiner Hauselfentelekinese zu kommen", lachte der oder die Unbekannte. Da fauchte es von der Tür her.

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Die Hexe, die sich als Heilerin vom Dienst ausgegeben hatte sprang vor, machte mit dem Zauberstab zwei schnelle Kreisbewegungen im Uhrzeigersinn und wisperte dabei eine kurze Formel. Es fauchte leise vor der Tür, die einen Moment lang wie hinter grauem Schneegestöber verschwand und dann wieder völlig klar zu sehen war. "Alohomora!" hörte er sie rufen. Die Tür flog auf. Ein kurzes Wetterleuchten tobte lautlos vor der Tür. Dann war der Weg frei. Die Sicherheitszauberer sprangen an Nancy, Belle und Julius vorbei. Doch Julius folgte unverzüglich. Da sah er, wie einer der Zauberer von einem goldenen Licht umschlossen wurde. Der zweite zielte auf den Feind im Büro und rief: "Stupor!" Zwei zeitgleich aufleuchtende rote Blitze krachten, und der zweite Sicherheitszauberer wurde gegen Kendra Honeydew geschleudert, die aus dem Tritt geriet. Julius fuhr blitzschnell den linken Arm aus und bekam die Heilhexe sicher zu fassen, dass sie nicht mit dem wie ein umfallendes Brett zu Boden gehenden Zauberer hinfiel. Der erste Sicherheitszauberer wurde in derselben Sekunde vom goldenen Licht freigegeben. Doch so wie er jetzt war konnte der so schnell keinen neuen Angriff mehr ausführen. Belle und Nancy erbleichten. Julius kannte den Effekt des blitzartig freiwerdenden Infanticorpore-Fluches schon und nahm das Ergebnis nur mit entsprechender Verärgerung zur Kenntnis. Doch der blau flirrende Erinnerungslöschstrahl blieb aus, wohl weil das zu lange dauerte, wo noch drei weitere Gegner da waren. Julius riss Kendra Honeydew von der aufgezauberten Tür fort, gerade als ein weiterer goldener Lichtstrahl hindurchflutete und zwischen Belle und Nancy den Gang entlangstrahlte. Eine Zehntelsekunde früher, und Kendra Honeydew wäre voll getroffen worden, erkannten alle. Dann hörten sie von drinnen ein Poltern und wildes schrilles Kampfgeschrei.

Julius riskierte einen Blick durch die offene Bürotür. Er sah eine Frauengestalt im rosaroten Riesenstrampelanzug mit dem übergroßen Babykopf zwischen den Schultern. Sie hielt eine Julius schon zu vertraute goldene Vorrichtung in den Händen. Um ihren Körper flirrte es wie die Mittagsluft über erhitztem Wüstensand. Das war wohl ein magischer Schutzschild, erkannte Julius. Er sah, wie die Fremde die goldene Vorrichtung auf ihn einschwenkte und dann sinken ließ, während ein kleines Wesen mit großen, fledermausartigen Ohren und wild funkelnden Tennisballaugen sie von der Seite ansprang und unter einem blauen Blitz und lautem Prasseln zurückgeschleudert wurde. Die übergroßen blauen Augen des künstlichen Babykopfes blickten Julius genau an.

"Du bist tabu, Julius Latierre. Aber die anderen gehen alle mit ihm und mir, wenn sie mich weiter aufzuhalten trachten", hörte er die Stimme.

"Es wird langsam Zeit, dass ihr mal lernt, dass euch nicht die Welt gehört und ihr da nicht einfach mit den Leuten eure gemeinen Sachen machen dürft", blaffte Julius ungeachtet der ihm drohenden Gefahr. . Er war wütend. Hier und jetzt hatte er eine vor sich, die seiner Mutter und Sandrine ungefragt mehrere Kinder zur gleichen Zeit zu Tragen auferlegt hatten. Die Angreiferin sagte dann:

"Aber die Muggel, deine leiblichen Vorfahren, die dürfen sich beliebig ausbreiten und die Erde nach ihren Vorstellungen umbauen und dabei zerstören, wie? Ich solldich nicht verwandeln. Aber ich darf mich wehren."

"Wir auch", rief Belle hinter Julius. Dieser fürchtete schon, dass sie auch den Schockzauber benutzen würde. Doch sie begann ein Lied zu singen, das bereits nach dem dritten Ton eine Wirkung auf alle es hörenden ausübte. Julius dachte gerade so noch das Lied des inneren Friedens, um die auf seinen Verstand wirkende Macht zurückzudrängen. Auch der sich gerade wieder aufrappelnde Hauself im schlichten Geschirrtuchkostüm wurde von der Melodie und den Worten berührt. Es sah so aus, dass auch die Angreiferin von dem Lied beeinträchtigt wurde. Sie wankte und senkte die goldene Vorrichtung. Belle schlüpfte an Julius und Kendra vorbei, die scheinbar handlungsunfähig dastanden. Sie sang weiter und trat im Rhythmus ihres Liedes über die Schwelle in das Büro von Minister Cartridge. Sie ging laut singend auf die Angreiferin zu, die wie halb betäubt am Schreibtisch lehnte. Belle wollte ihr wohl die goldene Abschussvorrichtung für den instantanen Infanticorpore-Fluch aus den Händen nehmen, vermutete Julius und tat weiterhin so, als sei er von Belles Zauberlied betroffen.

Plötzlich riss die Gegnerin die unheilvolle Vorrichtung hoch und zielte so rasch auf Belles Kopf. Sie konnte nicht ausweichen. Der Goldene Rückverjüngungsblitz traf sie voll und schlug laut sirrend auf die Angreiferin zurück. Diese erkannte zu spät, dass Belle auch einen wirksamen Schutz hatte, und ihr eigener Schutz war nicht für Infanticorpore ausgelegt. Die Angreiferin wurde in goldenes Licht gehüllt und verschwand darin. Ihre Vorrichtung flog durch die Luft und verschoss dabei noch einen blauen Blitz in die Decke, wo er sich in hunderte von einzelne Glutfäden aufspaltete, die leise prasselnd die Decke und die Wände entlangjagten und dann laut krachend im Boden verschwanden. Der Schock der Überrumpelung würgte Belles Gesang ab.

"Das Gerät kriege ich", dachte Julius und wollte sich auf die entfallene Superwaffe der VM-Gruppe stürzen, als diese mit lautem Piff in einer blauen Portschlüsselspirale verschwand. Zurück blieben nur zwei Säuglinge, von denen der zweite sich gerade in einer für ihn zu großen Verkleidung herumwälzte. Der verwandelte Minister war auf dem rosaroten Risenbabystrampelanzug gelandet. Julius argwöhnte, dass die Gefahr für den Minister noch nicht vorbei war. Offenbar dachte das auch der aus der magischen Beeinflussung freigekommene Hauself. Schnell wie ein Wiesel sprang das kleine Wesen zu seinem verjüngten Herren, ergriff ihn beim Arm und verschwand mit einem lauten Knall. Keinen Moment danach strahlte eine blaue Portschlüssel-Lichtspirale um das übergroße Babykostüm auf und verschwand mit diesem und seiner Trägerin im Nichts.

"Öhm, wir haben jetzt zehn Uhr und elf minuten Ortszeit, die Herrschaften", sagte Julius, als ihm klar wurde, dass nichts mehr zu machen war, außer die genaue Zeit festzuhalten. Belle, die sich wohl noch von der plötzlichen Gegenaktion der unbekannten Angreiferin erholen musste wandte sich ihm zu und sah ihn wachsbleich an. "Der Elf hat den Minister gerade noch gerettet. Aber wenn die genaue Zeit der Umwandlung nicht bekannt ist ..."

"Sie haben meine körperliche und wohl auch geistige Selbstständigkeit erhalten, junger Mann", sagte Kendra Honeydew mit hörbarer Erleichterung. Julius sah den am Boden liegenden betäubten aber körperlich voll ausgewachsenen Zauberer und seinen durch den freigesetzten Infanticorpore-Fluch zwangsverjüngten Kollegen, der jetzt erst begriff, dass er wohl heftig verflucht worden war und kehlige Laute ausstieß, wohl um was zu sagen. Doch im Moment konnte er das nicht. Kendra Honeydew stieß Julius sanft zur Seite. Er wich ihr aus und ließ sie an den sich nun über seine Lage immer lauter auslassenden Kollegen heran.

"Das hätte mich fast auch erwischt", stieß Nancy Gordon aus. "Wie kann das überhaupt gehen?"

"Das wissen nur die Gangster von Vita Magica", grummelte Julius. Er sah belle an, deren Gesicht langsam wieder Farbe bekam. "Alles wieder in Ordnung?" fragte er mitfühlend.

"Zumindest weiß ich jetzt, dass Euphrosynes unerwünschtes Geschenk doch noch was gutes hat", seufzte sie. "Ich habe echt gedacht, Endymias Friedenslied hätte die genauso betroffen wie alle anderen."

"Die hatte einen Schild gegen körperliche Angriffe, gegen Angriffszauber und auch gegen Hauselfentelekinese. Da hatte die wohl auch eine Art Okklumentieverstärker oder einen anderen Geistesschutzzauber", sagte Julius. "Nur gegen ihr eigenes Gift war die rosarote Schlange nicht immun", fügte er noch mit gewisser Schadenfreude hinzu.

"Ich vermute eher, dass die Säuglingskopfmaskerade mit Bellisoni-Filtern bestückt war, die gerade akustische Bezauberungsversuche wie die alten Barden- und Hexenlieder sowie Valerians Stimme vom Träger dieser Maskerade fernhält. Ist nicht jedem Bekannt, wie diese Filter hergestellt werden, eigentlich nur Heilern und Inobskuratoren, also Bekämpfern dunkler Zauberkünste", sagte Kendra Honeydew. "Aber Sie haben offenbar was ähnliches erlernt, darf ich mal anmerken", sagte die Heilerin Julius' zugewandt. Dann sah sie Belle an und vollführte mal eben eine kurze Zauberstabbewegung, worauf um sie für einen Moment eine weißgoldene Aura erschien. "Tatsache, der Ihnen auferlegte Zauber der Veelastämmigen hat den Fluch auf die Anwenderin zurückgeworfen."

"Wir brauchen die genaue Uhrzeit, wann Minister Cartridge von dem Fluch getroffen wurde", sagte Julius. Kendra grummelte, dass sie das wisse. "Würden wir auch gerne herausfinden, wenn Minister Cartridge nach Erwerb der wenigen Retroculare aus Ihrer Heimat nicht beschlossen hätte, ständig einen mehrfachen Unortbarkeitszauber bei sich zu tragen, um nicht bei geheimen oder gar sehr privaten Tätigkeiten nachbetrachtet zu werden. Offenbar ging er davon aus, dass ihm niemand zu Leibe rücken könne oder er früh genug um Hilfe rufen könne."

"Das heißt, wir können nicht ergründen, wann und wie der Minister mit diesem Fluch belegt wurde", stellte Belle fest. Julius nickte wohl. Dann fragte er: "Hat er den Unortbarkeitszauber in der Kleidung bei sich gehabt oder direkt am oder im Körper aufbewahrt?"

"Darüber hat er nicht mal mir was gesagt, damit keiner ihn hinterrücks davon trennen und ihn somit auffindbar oder nachverfolgbar machen kann", schnaubte die Heilerin. Dann weckte sie den vom eigenen Schockzauber betäubten Kollegen auf. Dieser wurde darüber informiert, was passiert war und erbot sich, den Kollegen ins Honestus-Powell-Krankenhaus zu bringen, damit sie ihn dort wieder auf seine natürliche Altersstufe zurückführen konnten. Da Julius ja geistesgegenwärtig genug war, die Uhrzeit der Verwandlung auszurufen bestand für den Kollegen Roy Quentin zumindest die Chance, bald wieder auf entwickelten Beinen herumlaufen zu können. Was den Minister anging, so wussten sie nur, dass der Hauself einer seiner eigenen war, Bubbley, der sogenannte Leisespringer, weil er beinahe lautlos apparieren und disapparieren konnte, wenn er niemanden oder keine größeren Gegenstände mitnehmen musste.

"Vielleicht kann er mit wem Mentiloquieren und mitteilen, wann er genau verwandelt wurde", sagte Julius. "Dann kann er wohl auch wieder auf seine natürliche Altersstufe zurückgebracht werden."

"Ich glaube, unter diesen Umständen sollten wir die Unterredung über die weitere Beschäftigung von Mrs. Merryweather bis zu dem Zeitpunkt vertagen, bis wir wissen, ob Minister Cartridge von der Verwandlung erlöst werden kann oder mit natürlicher Geschwindigkeit wieder aufwachsen muss, um körperlich und geistig handlungsfähig genug zu sein, das Amt auszuüben", sagte Nancy Gordon trübselig. Belle und Julius stimmten ihr vollkommen zu. Jetzt über sowas wie Personalfragen zu diskutieren brachte es nicht. Was Julius aber noch interessierte war, wieso diese Bande von Vita Magica unbehelligt in das Büro des Ministers hineinportschlüsseln und den Fluch ausführen konnte. Als er das ansprach schnarrte der aus seinem Schockzauber erweckte Sicherheitszauberer: "Das hat Sie als Außenstehenden nicht zu kümmern. Das ist ein Internum des amerikanischen Zaubereiministeriums." Kendra setzte an, sich für diese harsche Zurechtweisung zu entschuldigen. Doch der Sicherheitszauberer blaffte sie an: "Kendra, es reicht schon, dass ein Sicherheitsleck aufgetaucht ist. Wer es wie geschaffen hat geht nur die innere Sicherheitsabteilung was an, um es zu schließen und weitere Sicherheitslecks zu verhindern."

"Ich denke, wenn Minister Cartridge bald wieder im Vollbesitz seiner körperlich-geistigen Eigenständigkeit ist ist genug Zeit und Anlass, über solche Belange zu sprechen", sagte Belle und winkte Julius. "Ich für meinen Teil sehe in einer Fortsetzung der begonnenen Unterredung zum jetzigen Zeitpunkt keinen Sinn und erbitte für mich und meinen Juniorassistenten die Genehmigung, das Ministerium und Ihr Land wieder verlassen zu dürfen."

"Das klären Sie mit meinem Boss, Mr. Stringer von der inneren Sicherheit, ob Sie als Zeugen des Vorgangs verfügbar zu bleiben haben oder nicht", sagte der Sicherheitszauberer.

Nach einer zehnminütigen Unterredung mit dem Leiter der inneren Sicherheit, einem für seine Aufgabe sehr schmächtig und klein gestalteten Zauberer, der wohl auch einen Kobold oder Zwerg in der Ahnenreihe hatte, erhielten Belle und Julius die Genehmigung, nach Frankreich zurückzukehren. Denn Kendra und Nancy hatten ja auch gesehen, was sie mitbekommen hatten, und das Belles Widerstandskraft gegen den Fluch auf dem verbotenen Sonnensegen Euphrosynes beruhte nahm Mr. Mycroft Stringer als Vermerk mit oberster Geheimhaltungsstufe zu den Akten. "Dann sind Sie und die neue Zaubereiministerin Frankreichs mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die zwei einzigen Personen, die ohne einen vorbereiteten Schutzzauber gegen diese Form des Infanticorpore-Fluches immun sind", bemerkte er noch.

"Ja, und VM wird das jetzt auch wissen", seufzte Belle. Julius konnte ihr da nur beipflichten. Dann verabschiedeten sie sich von Mr. Stringer, Ms. Gordon und auch Heilerin Honeydew, die in den letzten Minuten versucht hatte, mit Cartridges Frau zu sprechen, diese jedoch nicht erreichen konnte. Womöglich hatte sie den Elfen geschickt und sich und ihren Mann von diesem sofort an einen besonders geschützten und wohl auch geheimen Ort bringen lassen, um Vergeltungsaktionen der Vita Magica zu entgehen. Zumindest hätte Julius auch sofort seine Familie in Sicherheit gebracht, wäre das Apfelhaus von Millemerveilles nicht schon ein so sicherer Zufluchtsort.

"Tja, schon ein ziemlich turbulenter Ausflug", meinte Julius zu Belle, als sie keine fünf Minuten später wieder in Belles Büro in Paris waren.

"Jedenfalls müssen wir unsere Sicherheitszauber erheblich erweitern. Es darf keine Portschlüsselspirale aufgebaut werden", sagte Belle.

Das erste, was sie taten, als sie wieder in ihren Büros waren, sie schrieben ihre Berichte und informierten die neue Zaubereiministerin über den Vorfall in den Staaten. Ornelle Ventvit, die die Berichte zu lesen bekam, überlegte, in jedes Büro einen Zauber einzuwirken, der jeden, der mit einem unangemeldeten Portschlüssel dort eindrang, mit dem Captaranea-Zauber festsetzen sollte. Julius deutete an, dass die Schildbezauberung der VM-Agenten diesen Fangzauber vielleicht abwehren konnten. Doch einen besseren Vorschlag konnte er nicht machen.

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Zwei Minuten nach der Rettung Milton Cartridges

Godiva Cartridge hatte unverzüglich gehandelt. Als ihr Mann um Hilfe mentiloquiert hatte und Bubbley ihm wortwörtlich beisprang eilte sie zu ihren Kindern. Sie vertat keine Zeit mit großer Überredungskunst, sondern belegte jedes der drei mit einem Schlafzauber, bevor sie jedes für sich in ein flauschiges Kissen verwandelte und in einen großen Henkelkorb legte. Als Bubley dann keuchend mit dem verwandelten Minister erschien apportierte sie zwei große Schrankkoffer. Sie band mit einem Festbindezauber den Korb an einen der Koffer, nahm von Bubbley den infanticorporisierten Milton Cartridge und barg ihn in den Armen, während sie sich rittlings auf den anderen Koffer setzte. "Los, Bubbley, ganz schnell zur Insel", zischte sie. Bubbley sah sie fragend an. Da fiel ihr ein, dass sie auch direkten Körperkontakt mit ihm haben musste, damit er mit ihr und Milton auf die Insel gelangen durfte. So barg sie ihren Mann in ihrem rechten arm, den nun verhältnismäßig großen Kopf an der rechten Brust, was ihm offenbar sehr behagte. Mit der linken Hand ergriff sie die rechte Schulter des Hauselfen. Der fragte nach den drei Kindern. Sie sagte, dass diese gut verstaut seien. Da stürzte auch schon die alles zusammenquetschende Schwärze zwischen Hiersein und Dortsein auf sie ein. Als die Welt wieder Raum und Licht gewann flirrte es eine Sekunde lang um Bubbley herum. "Bubbley, der Hauself, ist bis auf Widerruf erwünscht und darf kommen und gehen, wann immer ich dies will!" rief Godiva laut und weit hallend in die große Empfangshalle, in der sie angekommen waren. Da hörte das flirren auf.

"Fürchtest du, dass diese Verbrecher uns verfolgen, um mich doch noch ganz für sich zu kriegen, Goddy?" gedankenfragte Milton.

"Wenn die schon die Portschlüsselabwehr in deinem Büro austricksen und dir einen Fluch in Briefform unterjubeln können ist denen alles zuzutrauen, auch dass sie dich bei der Verwandlung mit einem Verfolgungszauber belegt haben, um dich auch ja wiederzufinden."

"Dann sollten wir zusehen, dass ich schnell wieder ganz groß werde, so warm und weich du auch gerade für mich gist, Liebste."

"Mach ich sofort, wenn du mir die genaue Uhrzeit sagst, wann es dich erwischt hat", sprach Godiva mit hörbarer Stimme. Darauf kam sekundenlang keine Antwort. Dann vernahm sie eine sehr schuldbewusst klingende Gedankenstimme: "Ich habe nicht auf die Uhr gesehen, als es mich erwischt hat. Und wegen der Unortbarkeitszauber kriegt auch keiner meine Verwandlung nachbetrachtet."

"Dann haben wir süßen nur drei Versuche. Wenn wir nicht die genaue Minute erwischen, wann du verwandelt wurdest, wirst du mit den drei anderen neu aufwachsen dürfen, bis wir raushaben, ob wir den Prozess nicht beschleunigen können."

"Oha, dann hätte diese Saubande mich echt vom Feld gefegt", gedankenknurrte Milton Cartridge. Godiva konnte ihm da nur beipflichten. Sie musste jedenfalls versuchen, Milton wieder zum erwachsenen Mann werden zu lassen, damit diese Gangster von Vita Magica nicht triumphieren konnten. Doch wenn das nicht gelang, so war sie auch bereit, ihn neu großzufüttern. Und wie sie ihren drei Kindern erklären konnte, wo ihr Daddy hingegangen war, würde ihr auch noch einfallen. Doch das wollte sie erst dann entscheiden, wenn die drei möglichen Rückverwandlungsversuche fehlschlagen sollten.

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In der Villa an der Atlantikküste


17. September 2002, 20:00 Uhr abends

"Wie, ihr konntet den nicht ergreifen!" fragte Louvois einen Hauselfen, der versucht hatte, den US-Zaubereiminister zu finden. "Das Haus ist selbst für uns unerreichbar. Als wir dann durch die Abluftrohre gekrochen sind hörten wir, dass der andere Minister zum kleinen Kind zurückverwandelt worden ist. Böse Zauberer haben das gemacht, weil er nicht getan hat, was sie von ihm wollten."

"Das gibt's nicht. Diese drachenmistigen VM-Leute haben Cartridge mit dem Babyfluch erwischt und ich bin morgen früh um zehn eine Leiche", stieß Louvois aus.

"Vielleicht gilt der Vertrag jetzt nicht mehr, weil Cartridge kein erwachsener Mann mehr ist", sagte Jean Legris.

"Womit habe ich verdient, von solchen Wunschträumern umgeben zu sein? Der ist geistig noch auf voller Höhe. Wenn die den gedächtnismodifiziert hätten wäre das eine Chance. Aber die haben das nicht. Somit gilt dieser Vertrag noch."

"Vielleicht geht da noch was. Sie müssen sich nur in etwas verwandeln, dass keinen körperlichen Tod mit Herzstillstand und dergleichen erleben kann", sagte Jean Legris.

"Ja toll, ein Möbelstück, einen Gebrauchsgegenstand, ein Kleidungsstück oder dergleichen", sagte Louvois. "Ich will mein eigenes Leben weiterführen."

"Auch wenn Sie das noch wütender macht, Monsieur Louvois, dann hätten sie den Vertrag nicht unterschreiben dürfen."

"Schlauberger", schnaubte Louvois. Doch dann grinste er. "Ja, ich werde weiterleben, als erwachsener Mensch und nicht als irgendein Gegenstand. Und vor allem wird mir dann was möglich sein, was mir bisher nicht möglich war", sagte Égisthe Louvois.

"Und was soll das sein?" fragte Legris.

"Das verrate ich Ihnen erst, wenn ich sicher weiß, dass ich nicht tot umfallen kann. Bedauerlicherweise brauche ich dazu leider Hilfe und zwar nicht ihre."

"Ich kann ihnen helfen, Égisthe."

"Womit? Alle unsere Kontakte sind durch Champverds verdammten Omnisimilus-Zauber wertlos beziehungsweise gefährlich geworden. Ich habe da aber noch einen Kontakt, über den ich immer noch Macht habe. Sie wissen nichts davon, Jean, weil ich mir diesen Kontakt für den Fall aufgehoben habe, dass ich Minister werde. Nun gut, so muss ich ihn eben nutzen, damit ich nicht sterben kann. Zurrie!"

Auf sein letztes Wort erschien eine Hauselfe im groben Einteiler mit einem Wappen, dass eine zwanzigstrahlige rote Sonne zeigte. Legris hatte sie bisher nicht zu sehen bekommen. Da sagte Louvois noch was und ergriff die Elfe bei der Hand. Mit lautem Knall verschwanden sie. Im Selben Moment, wo Louvois verschwand, knisterte die Luft. Eine merkwürdig sphärische Melodie erklang und eine Stimme sagte: "Achtung, Vollschutzzauber in Kraft. Alle Räume werden mit Somniofum-Gas geflutet. Alle noch stehenden Bewohner unverzüglich an Ort und Stelle niederlegen, sonst besteht Verletzungsgefahr!"

"Moment mal, du Sohn einer Nogschwänzin", schimpfte Legris und versuchte zu disapparieren. Doch er fühlte nur einen heftigen Stoß durch den Körper gehen. Dann fiel er zu Boden. Beim Versuch, sich wieder aufzurappeln fühlte er die schlagartige Müdigkeit, die ihn ergriff. Der Kerl hatte allen Ernstes Somiofum-Gas freisetzen lassen, ein farb- und geruchloses Betäubungsgas, das innerhalb von Sekunden... weiter konnte Legris nicht mehr denken, weil er beinahe übergangslos in einen todesnahen Tiefschlaf verfiel, der solange anhalten würde, wie ein Zehntel in der Luft aus Somniofum-Gas bestand.

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Im Büro des deutschen Zaubereiministers Heinrich Güldenberg


17. September 2002, 18:15 Uhr Ortszeit

"Die hat ihre neuen Gucker noch nicht ganz im Griff, Onkel Heinz ... öhm, Herr Zaubereiminister", sagte der leicht untersetzte, dunkelhaarige Besucher des deutschen Zaubereiministers.

"Und ob sie das hat, weil sie Ihren Besenbeißer sonst nicht überlebt hätte, Herr Wallenkron. Sie haben nur fünf mit Tarnfunktion ausgestattete Ausführungen geschaffen und die alle dem Ministerium überlassen, zu einer sehr hohen Summe, wie ich betonen möchte. Mit dem Retrocular aus Frankreich sind diese Dinger nicht zu sehen, nur mit polyoptischen Kunstaugen. Aber die Art, wie Frau Steinbeißers Besen vernichtet wurde weist eindeutig auf den Einsatz eines Besenbeißers hin. Wie kommen die kriminellen Werwölfe der sogenannten Mondbruderschaft an diese höchst gefährlichen Waffen, Herr Wallenkron?"

"Bevor ich mir weiter dein Verhör antue, Onkel Heinz, möchte ich klarstellen, dass ich die Besenbeißer ausschließlich für den Gebrauch gegen kriminelle Hexen und Zauberer auf fliegenden Besen entwickelt habe und nicht auf dem freien Markt anbieten wollte. Ja, und was Ihre Frage angeht, Herr Minister, so habe ich kein weiteres Exemplar der tarnfähigen Besenbeißer gebaut, nachdem ich selbst festgestellt habe, wie heimtückisch die sind. Im Grunde sind das Mordwaffen, weil ein Opfer dieser Waffe es bis zur allerletzten Sekunde nicht mitbekommt, dass es gerade angegriffen wird. Und weil ich deshalb die fünf, die ich eigentlich nach dieser Feststellung sofort vernichten wollte, auf Ihr drängen dem Magazin für magische Sondermittel der Lichtwachen überlassen habe, unter anderem auch, damit die rauskriegen, wie die Heimtücke dieser Waffen aufgehoben werden kann, sollten Sie den Chef der Lichtwachen fragen, anstatt mich zu beschuldigen, Terroristen eine solche Waffe zugespielt zu haben. Die Bezahlung und das Schweigegold waren für mich kleinen Thaumaturgen mehr als überzeugend, nicht mehr an dieser Version des Besenbeißers zu arbeiten. Doch bevor Sie mich weiter zu verhören wünschen möchte ich noch festhalten, dass das Ministerium vor zehn Jahren eine Kopie der Herstellungspläne bekommen hat, einschließlich der eingewirkten Zauber und ihrer Verflechtungen. Wer sagt dann also, dass ich funktionstüchtige Exemplare dieser Waffe an die Werwölfe übergeben habe?"

"Wollen Sie damit behaupten, wir hätten Spione im Ministerium, die Ihre Baupläne kopiert und an unsere Feinde weiterverkauft haben?" fragte der Minister.

"Klar, Sie glauben eher daran, dass ein dem Ministerium und vor allem Ihnen als Minister immer loyal gegenüberstehender Thaumaturg plötzlich dem Lockruf des Goldes verfällt, an statt davon auszugehen, dass feindliche Spione in seinem Zuständigkeitsbereich arbeiten. Das stellt aber gerade die von Ihnen immer wieder beteuerte Wichtigkeit familiärer Bindungen in Frage, Herr Minister", sagte Güldenbergs Besucher.

"Ich muss leider alle Möglichkeiten prüfen, Herr Wallenkron. Und dass ich Sie deshalb persönlich befrage sollte Ihnen zeigen, wie wichtig mir das ist, dass die Ehre Ihrer und damit meiner Familie gewahrt bleibt. Es hätte ja immerhin sein können, dass einer Ihrer Lehrlinge an die Unterlagen gelangt ist und diese vielleicht sogar ganz arglos kopiert hat. Außerdem könnte es ja auch sein, dass Sie von den Werwölfen erpresst wurden, ihnen entweder fertige Exemplare oder die nötigen Unterlagen zu überlassen oder den Lykanthropiekeim in den Körper gepflanzt zu bekommen. Sie wären da leider nicht der erste, der daraufhin für diese Banditen Ehre und Gewissen vergessen hätte, um sein körperliches Wohlbefinden zu wahren."

"Das gilt dann auch für jeden Ihrer Mitarbeiter, der eine Familie hat, deren Sicherheit ihm oder ihr eine Spionagetätigkeit gerechtfertigt, Herr Minister. Sogar Sie würden sich das überlegen, ob Sie nicht bestimmte ..."

"Jetzt reicht's, Hagen!" brüllte Güldenberg. "Ich lasse mich nicht als feigen Angsthasen beschimpfen, der vor solchen Halunken zittert und kuscht. Dann säße ich sicher nicht auf dem Ministerstuhl. Wenn du nicht willst, dass meine Lichtwächter mit vollem Orchester anrücken und deine Werkstatt auf links drehen, um zu sehen, ob du nicht doch das eine oder andere Ding an ministeriumsfeindliche Leute ausgeliefert hast, dann sage mir hier und jetzt, waren die fünf tarnfähigen Besenbeißer die einzigen, die du gebaut hast und falls nicht, wo hast du die anderen Exemplare?"

"Sind wir jetzt doch wieder familiär, Onkel Heinz?" erwiderte Hagen Wallenkron schnippisch. "Gut, die Antwort, die ich gerne auch auf einen Eidesstein vor Zeugen schwören werde: Ich habe nur fünf Exemplare der tarnfähigen Besenbeißer gebaut und alle dem Magazin für magische Sonderausrüstung der Lichtwachenzentrale Berlin ausgehändigt und dafür als Belohnung und Aufforderung zur Verschwiegenheit zwei Millionen Galleonen aus dem Haushaltsbereich für Verteidigung und Sicherheit erhalten, was deinem halbkoboldischen Schatzmeister bis heute noch Bauchschmerzen bereitet. Ich hätte es auch für weniger Galleonen getan, weil ich eben um die Heimtücke dieser Waffe wusste und sie deshalb wieder vernichten wollte. Aber dein Oberlichtwächter Eisenhut hat ja darauf bestanden, eine Erfindung lieber zu erforschen, damit ihre Schadwirkung aufgehoben werden kann, als sie ins Reich des Vergessens zu verdammen. Ich hätte mir damals auch das Gedächtnis verändern lassen, um selbst nicht mehr zu wissen, wie der Besenbeißer gemacht wird. Aber auch da haben deine Getreuen klargestellt, dass im Zweifelsfall ich die Gegenmaßnahmen entwickeln solle, wenn klar sei, wie der Anflug und Angriff eines getarnten Besenbeißers erkannt wird. Da die Waffe für die Lichtwachen zu schrecklich war wurde sie bisher nur in Versuchen eingesetzt, aber nicht gegen echte Gegner. Dabei kam ja raus, dass wenn ein Besenflieger den Angriff nicht erwartet, er brandheiß davon erwischt und in neunundneunzig von hundert Fällen getötet wird. Deshalb sind die achso humanen Lichtwächter davon abgekommen, die Waffe regulär mitzuführen, sondern sie nur in besonders bedrohlichen Situationen einzusetzen."

"Du willst auf einen Eidesstein schwören, dass du kein Exemplar davon an irgendwen anderen abgeliefert hast? Eisenhut und Wetterspitz sind derzeit nicht im Ministerium. Aber übermorgen sind sie da. Dann nehme ich dich beim Wort, Hagen Wallenkron, Sohn meiner Schwester."

"Ich halte mein Angebot aufrecht und werde dann da sein", sagte Hagen Wallenkron. "Aber vielleicht habt ihr bis dahin rausgefunden, ob wirklich noch alle fünf tarnfähigen Besenbeißer im Magazin sind oder ob jemand die Pläne kopiert hat."

"Ihnen ist klar, dass es uns darum geht, jede unrechtmäßige Handlung Ihrerseits auszuschließen, Herr Wallenkron. Ich nehme Ihr Angebot an und werde Sie übermorgen noch einmal herbitten."

"Verstanden, Herr Zaubereiminister. Dann kann ich dir auch gleich zum Geburtstag gratulieren, Onkel Heinz", sagte Hagen Wallenkron. Er verabschiedete sich und verließ das Büro. Zurück blieb ein mit sich und seiner Umgebung hadernder Zaubereiminister. Denn wenn stimmte, dass irgendwelche feindlichen Elemente eine der gefährlichsten Waffen der Zaubererwelt erbeutet hatten, und wenn der Rest der Welt davon erfuhr, dass diese Waffe seit zehn Jahren vom deutschen Zaubereiministerium aufbewahrt wurde, konnte das einen wahren Feuersturm aus Wut und Misstrauen über ihn und seine Leute hereinbrechen lassen. Deshalb war wichtig, die Untersuchung so heimlich wie möglich durchzuführen. Albertine Steinbeißer hatte zu viele eigene Geheimnisse, um damit an die Öffentlichkeit zu gehen, wusste der Minister. Aber wenn die Lykanthropen sich damit brüsteten, einen Ministerialbesen abgeschossen zu haben und neben der Verbreitung ihrer Krankheit, die sie als besondere Beigabe sahen, noch damit drohen konnten, arglose Besenflieger vom Himmel zu holen hatten sie dieselbe Lage wie die Muggel mit dieser Al-Qaida-Bande. Darüber hinaus hatte ihn Hagen an seinen 75. Geburtstag erinnert. Er dachte an die Vorfälle seit November 2001, wo Hexen und Zauberer scheinbar wahllos ermordet wurden, bis rausgekommen war, dass sie nahe bis fern miteinander verwandt waren. Was die magische Weltöffentlichkeit nicht erfahren hatte war, dass der Urahne, auf den die Blutlinien der Ermordeten zurückzuführen waren, Jacobus ignipictor war, einer der weitgereisten Zauberer des beginnenden Hochmittelalters und Verfasser vieler Bücher über magische Kräuter, Zaubersprüche der Antike und Kreuzungen verschiedener Tierwesen. Was die Weltöffentlichkeit deshalb auch nicht wusste war, dass Heinrich Güldenberg von Ignipictorius abstammte, damit auch Hagen Wallenkron, der Sohn seiner Schwester Siglinde und ihres Mannes Konrad, der leider im Kampf gegen Grindelwald sein junges Leben hatte lassen müssen und die damals schwangere Siglinde sich verstecken musste, um nicht von Grindelwalds Schergen getötet zu werden, um Konrads Kind vor der Geburt zu töten. Doch Güldenberg war sich sicher, dass das Ritual, das jener Dunkelmagier offenbar durchführte, bereits gescheitert war, weil es ihm nicht gelungen war, die Kinder von Albrecht Ziegelbrand zu töten. Wenn es dem wirklich darum gegangen war, einander verwandte Hexen und Zauberer um ihre Geburtstage herum zu ermorden, dann war das Vorhaben gescheitert. Andererseits wusste Güldenberg nicht, welchen Zweck dieses Ritual erfüllen sollte. Sowas tat doch nur, wer einen mächtigen Zauber vorbereiten oder einen bereits bestehenden Zauber brechen oder zumindest seinem Willen unterwerfen wollte. Ja, sie wussten zu wenig von diesem selbsternannten Erben des Irren aus England, der gemeint hatte, Grindelwald übertreffen zu müssen.

In zwei Tagen feierte Güldenberg Geburtstag. Drei Tage später war Hagens achtundfünfzigster Geburtstag. Wenn sie beide diese Tage überstanden war es amtlich, dass dieser selbsternannte Erbe Tom Riddles mit seinem Plan gescheitert war, worin der auch immer bestanden hatte. Vielleicht lebte dieses Individuum auch schon nicht mehr, weil eben jenes Ritual fehlgeschlagen war und er dafür sein Leben hatte lassen müssen. Doch darauf wollte er besser nicht hoffen. Es galt, die Vorkehrungen für seinen Geburtstag und den Hagens zu verbessern. Da kam ihm die Sache mit den wiederaufgetauchten Werwölfen und der Entführung dieser Regina Hudson alles andere als gelegen, schon gar, dass die einen Besenbeißer einsetzen konnten. Das musste auf jeden Fall auf höchster Geheimhaltungsstufe bleiben.

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Im Haus von Louisette Rrichelieu


17. September 2002, 23:10 Uhr Ortszeit

Louisette fühlte die zärtlich über ihre Haut gleitenden Hände, die sanften Liebkosungen im Gesicht, an ihren Brüsten und ihrer Scham. Sie wand und räkelte sich lustvoll unter diesen ihr zugedachten Berührungen. Als sie die Hände anhob fühlte sie ihrerseits einen weichen pulsierenden Körper unter den Fingern und begann, diesen zu streicheln, während sie fühlte, wie die intimen Berührungen an ihrem Leib immer anregender wurden. Sie war eine Meisterin auf diesem Gebiet, dachte Louisette über ihre Geliebte, mit der sie den Stress eines turbulenten Tages vertreiben wollte. Leider war ihre heimliche Gefährtin nicht wirklich in ihrem Schlafzimmer. Doch die genialen Fernfühlmichs erlaubten es ihnen beiden, eine Nacht miteinander zu verbringen, ohne sich direkt zu besuchen. Zwar ersetzte das Fernfühlmich nicht die lebende, duftende und auch redende Partnerin. Doch für die reine Triebabfuhr war es allemal zu gebrauchen.

Die Türklingel läutete. Luisette, die sich immer mehr in ihre Leidenschaft hineinkeuchte, erstarrte einen Moment. Sie fühlte, dass ihre Partnerin sie nun genau so nahm, wie sie es am liebsten mochte und würde auch gerne ihr was gutes tun. Doch diese Türklingel! "Al, Besuch zu später Stunde. Ich ärgere mich selbst drüber!" schickte sie eine Gedankenbotschaft an ihre Partnerin. Über die besondere Ausrüstung klappte das zwanzigmal besser als die übliche Weise. Besser waren da nur noch die roten, silbernen oder goldenen Herzanhänger, wusste sie. "Nox Tranquilla!" dachte sie, und die gerade noch sehr willkommene Berührung verschwand wie eine Kerzenflamme, die vom Wind ausgepustet wurde.

"Wer immer es ist, Lou, lass dich nicht zu lange aufhalten. Ich bin jetzt richtig hungrig geworden."

"Ich bin hoffentlich gleich wieder da", mentiloquierte sie.

"Mademoiselle Richelieu, wenn Sie nicht sofort aufmachen stehen Sie morgen in der Zeitung. Überschrift: "Apparierlehrerin macht gemeinsame Sache mit dunklen Hexenschwestern", hörte sie unvermittelt eine Männerstimme aus dem Nichts. Die Stimme kannte sie nicht. Sie wusste nur, dass da jemand meinte, sie am Kanthaken zu haben. Das musste sie klären. "Al, der Jemand ist wohl auf Erpressungskurs, will mir androhen, mich als Mitglied dunkler Hexenvereinigungen in die Zeitung zu bringen."

"Prüf es nach und halt ihn hin. Ich kläre das mit der höchsten Schwester."

"Vergiss es. Die darf mir wegen dieses Kamelhandels mit den Grünmondlerinnen nicht direkt helfen."

"Gut, dann halt ihn hin. Ich komm persönlich rüber. Habe ja gerade Zeit", gedankenknurrte die Gedankenstimme ihrer Partnerin.

"Mademoiselle Louisette Richelieu, ich warte nur noch eine Minute. Ich weiß, dass Sie da sind."

"Wie bescheuert muss wer sein, der einer durch die Tür an den Kopf wirft, dass er sie für die Angehörige einer dunklen Hexenvereinigung hält?" dachte Louisette. Sie schlüpfte per Schnellankleidezauber aus ihrer luftigen Sommernachtwäsche in ein blaues Kurzkleid. Die silberne Unterkleidung mit der ganz besonderen Eigenschaft behielt sie dabei an.

Als sie den späten Besucher erkannte wunderte sie sich gar nicht mehr. "Ach, der Monsieur Louvois. Wollen Sie mir Ihr leid klagen, dass Sie kein Zaubereiminister geworden sind?" begrüßte sie ihn keck und winkte ihm zu, einzutreten.

"Das freut Sie sicher, dass ich es nicht geschafft habe. Aber ich sage Ihnen was: Mit Ihrer neuen Chefin haben Sie sicher demnächst mehr Ärger als Freude."

"Was sollte gerade der Unsinn, mich wegen irgendwelcher dunklen Hexen in die Zeitung zu bringen, Monsieur Louvois?" fragte Louisette. Ihr lag nichts an belangloser Unterhaltung.

"Die Aussage einer guten Bekannten von mir, die erwähnt hat, dass jemand sie für die angebliche wiedergeborene Anthelia und ihren dunklen Orden werben wollte. Und dann habe ich noch Aussagen diverser anderer Hexen, die bezeugen werden, dass Sie in den letzten Jahren häufiger dann Dienstfrei genommen haben, wenn irgendwo auf der Welt etwas geschah, wo eindeutig die Gruppierung um diese angebliche Wiederkehrerin involviert war. Und falls Sie jetzt denken, dass ich wenn ich recht habe sehr einfältig sei, Ihnen das ohne weitere Zeugen und ohne Schutztruppe zu offenbaren, so verweise ich darauf, dass ich in meinem Testament alle Verdachtsmomente und Hinweise gegen Sie und einige andere Damen aus Frankreich eingefügt habe. Sterbe ich oder verliere ich mein Gedächtnis auf abrupte Weise, so wird es einen Tag nach Erlöschen meiner Persönlichkeit veröffentlicht und zwar in fünffacher Ausfertigung."

"Nichts für ungut, Monsieur Louvois, aber einem, der versucht hat, sich eine hohe Rangstellung durch Intrigen, Lügen und offenbar auch Erpressung zu sichern wird niemand mehr glauben. Und ich weise alle Anschuldigungen zurück. Wenn Sie nichts anderes als leere Drohungen und paranoides Geschwätz zu bieten haben empfehle ich Ihnen einen Aufenthalt in der Delourdes-Klinik. Gute Nacht, Monsieur!"

"Moment, bevor Sie es wagen, mich so einfach wieder vor die Tür zu setzen. Hier ist der Beweis für meine - Wie nannten Sie es? - Anschuldigungen. Sie müssen wissen, dass ich in den letzten zehn Jahren genauestens darüber informiert sein wollte, wer was im Ministerium tut, damit ich im Falle einer Rückversetzung nach Paris schnell und punktgenau mit der Arbeit anfangen kann."

"Will sagen, Sie haben uns alle ausspionieren lassen, um sich Vorteile zu sichern", wertete Louisette das, was Louvois gerade gesagt hatte.

"Wie erwähnt, es ging mir darum, zu wissen, wer in welchem Umfang für welche Sachen zuständig war und welche Kontakte er oder sie in eigener Person geknüpft hat."

"Wie paranoid sind Sie, Monsieur?" fragte Louisette. "Da können wir ja froh sein, dass Ornelle Ventvit das Rennen gemacht hat, durch den ganzen Schlamm und Unrat, den wohl auch Sie auf den Weg geworfen haben."

"Mir ist das egal, was Sie von mir halten. Hier, gucken Sie sich das an. Öhm, und noch was, falls Sie beabsichtigen, mit jemandem zu mentiloquieren, so habe ich vor dem Klingeln einen Siegelstein an ihre Hauswand gelehnt, wie er auch in Beauxbatons und anderen Institutionen Anwendung findet."

"Ach, Sie meinen, ich würde jetzt die kleine grüne Frau herrufen, die Sie damals angezapft hat, um ihren Nachwuchs zu sichern? Oder denken Sie echt, ich stünde in Verbindung mit der Wiederkehrerin?"

"Gucken Sie sich das hier an und hören Sie mir dann zu, was ich Ihnen und Ihren Schwestern zu sagen habe", sagte Louvois.

Louisette nahm einen Umschlag, nachdem sie mit ihrem Zauberstab geprüft hatte, dass er keinen Portschlüsselzauber oder einen berührungsaktivierbaren Fluch enthielt. Im Umschlag waren Fotos von ihr und anderen Hexen, darunter Patricia Straton und ihrer Mutter Pandora. Anthelia war nicht dabei. Aber dafür Hexen, die in Frankreich und Spanien zu den schweigsamen Schwestern gehörten. Dann sah sie sogar ein Bild von Daianira Hemlock mit und ohne Umstandsbauch und musste ihre erste Einschätzung korrigieren. Es gab doch Fotos, wo Anthelia indirekt drauf zu sehen war. Neben den Fotos gab es auch Texte, die die abgelichteten Hexen namentlich nannten und welche Rangstellung sie hatten. Dabei erkannte Louisette, dass der Spion, der die Bilder gemacht hatte, wohl ein kleinwüchsiges Wesen sein musste, ein Zwerg, Kobold ... oder Hauself. Ja, sie hatte davon gehört, dass Louvois mit einem vom Hauselfenzuteilungsamt gut befreundet war und von dem sicher den einen oder anderen herrenlosen Hauselfen zugeschustert bekommen haben sollte.

"Ich gehe davon aus, die kleinen Spione, die Sie auf mich und andere Hexen angesetzt haben, um Ihre Vorstellung von einer Verschwörung innerhalb des Zaubereiministeriums anzuheizen, haben nur das aufgeschrieben, was Sie Ihnen erzählt haben."

"Ich würde das nicht so locker nehmen, junge Dame. Wenn ich das in den Miroir bringe wird Ornelle Ventvit Sie fragen, was sie mit Daianira Hemlock zu tun hatten und wieso die so mütterlich gerundet aussieht?"

"Monsieur, glauben Sie denn allen Ernstes, konspirative Hexentreffen würden sich so leicht fotografieren lassen? Wer immer Ihnen die Bilder zugespielt hat wollte Sie in eine hexenfeindliche Stimmung versetzen. Das ist ihm oder ihr ja dann auch gelungen."

"Gut, dann gehe ich jetzt zum Miroir und überlasse dem die Negative und die anderen Abzüge. Viel Spaß dann mit den ganzen Verhandlungen, die Ihnen dann ins Haus stehen!"

"Gut, Monsieur. Da es zu einer Erpressung immer dazugehört, dass das Opfer gewisse Forderungen zu erbringen hat, um sich das Schweigen des Täters zu sichern: Was wollen Sie von mir?"

"Ein Treffen mit der, für die Sie tätig sind, die Zusage, dass ich außer dem, was ich erbitte - Sie hören richtig -, sowie die Unterbringung an einem sicheren Ort, wo keiner irgendwelche Fragen stellt. Wohlgemerkt bei Beibehaltung meines intakten Erinnerungsvermögens."

"Gut, und was soll das sein, was Sie wollen?"

"Das sage ich nur Ihrer Chefin, Soror Maxima oder wie sie sich auch immer ansprechen lässt."

"Vielleicht Ihre Majestät die Königin der Hexen", feixte Louisette.

"Lou, bin zwei Kilometer von dir weg und habe dich und den Kerl genau im Blick. Ach, da ist noch ein Hauself, der sich im Keller deines Nachbarhauses versteckt hält", hörte Louisette Als Stimme im Kopf. Von wegen Melosperre!

"Al, der Typ hat Fotos von Besucherinnen von mir. Muss den noch weiter aus dem Tritt bringen", schickte sie zurück, bevor sie sagte:

"Da Sie mir ja die Fähigkeit zum Mentiloquieren unterbunden haben, wie ich gerade beim Versuch, mit einer Cousine zu kommunizieren feststellen konnte, wie soll ich bitte mit jemandem Kontakt aufnehmen, dass die dann auch gleich herkommt, Per Eule?"

"Ich habe draußen noch einen meiner nützlichen kleinen servilen Handlanger. Wenn Sie mir sagen, zu wem ich hin muss wird er mich sehr eilfertig dort hinbefördern. Ansonsten bleibt mir nur der Weg zur Zeitung. Ach ja, und wenn Sie mich jetzt festzuhalten versuchen oder mir sonst nach Leib und Leben trachten hat mein Helfer die strickte Anweisung, mit allen seinen Kollegen zurückzukommen und mich rauszuhauen. Sie wissen sicher, dass diese kleinen Kerle natürliche Telekineten sind."

"Gehen Sie, wohin Sie wollen und sagen Sie wem auch immer, was Sie erzählen wollen", sagte Luisette und mentiloquierte: "Al, den Hauselfen bitte handlungsunfähig machen!"

"Geht klar! Moment, ihr kriegt Besuch. Drei Harveys mit Tandembesatzungen, also sechs - Babyköpfe!"

"Monsieur Louvois, gedachten Sie auch nachzuprüfen, wer der Organisation Vita Magica angehört, die in den letzten Monaten so viel von sich reden macht? Oder haben Sie das möglicherweise schon getan?" fragte Louisette, die nicht ganz verbergen konnte, wie Als Enthüllung ihr zusetzte.

"Moment, woher wollen Sie wissen ..."

"Außenschutzzauber mit Feinderkennung. Seitdem VM einige Leute von uns gegen deren Willen ein zweites Leben verschafft haben sind deren Uniform und Kopfschmuck Grundmuster der Feindeserkennung, die ich in meine Schutzzauber eingeflochten habe."

"Ach, und Ihr Schutzzauber hat mich nicht als Feind eingestuft?" wollte Louvois wissen, der jetzt aber auch eine gewisse Verunsicherung zeigte.

"Nein, hat er nicht. Denn Sie stellen für mich keine Bedrohung dar", warf ihm Louisette an den Kopf. Louvois zückte seinen Zauberstab. Louisette machte nur eine lässige Winkbewegung mit der Hand. Mit lautem Piff baute sich zwischen ihr und ihm ein großer, silberner Lichtwall auf. Louvois versuchte es mit dem Schocker und konnte von Glück reden, dass der Zauber nicht auf ihn zurückgespiegelt, sondern an der Lichtbarriere zerstreut wurde.

"Die haben den Elfen geortet. Ein Tandem gelandet und direkt zu dem hinapariert. Ui, goldener Lichtblitz! Drachenist! Elf wurde zum Elfling zurückverjüngt."

"Öhm, mein Außenschutz meldet gerade, dass im Nachbarhaus ein Hauself mit Infanticorpore-Zauber belegt wurde. War das Ihrer?"

"Was, unmöglich. Zurrie! Zurrie, herkommen!"

"Lou, sieh zu, dass du wegkommst. Das sind die von Vm mit diesen Dingern, die dein Kollege Julius Latierre Reinitiatoren genannt hat."

"Monsieur Louvois, falls Sie den nächsten Tag noch auf voll entwickelten Beinen verbringen möchten sollten wir zwei jetzt zusehen, dass wir wegkommen."

"Die beiden anderen Tandems vorne und hinten gelandet. Die wollen den Arrestdom hochziehen, Lou. Abgang!"

"Gut, Al", mentiloquierte Lou und griff nach ihrem Zauberstab. "Sie können mitkommen oder warten, bis VM sie wortwörtlich kleinmacht. Ich warte auf jeden Fall nicht. Da ist die Tür. Wenn Sie draußen Sind sofort disapparieren!"

"Sie bleiben hier!" rief Louvois und versuchte, Louisette in einen Fangzauber einzuschnüren. Doch die Seile zerbröselten knisternd am die ganze Raumbreite ausfüllenden Lichtwall. Dahinter warf sich Louisette gerade herum und disapparierte. Sie hatte ja eines von sieben Genehmigungskennzeichen, um unangefochten hinein- und hinauszuwechseln. Louvois wartete zwei Sekunden. Da hörte er von draußen einen Chor aus hohen Stimmen und hörte auch die Worte. Sie wollten den Arrestdom bauen. Er hörte vier Mann, nein, jetzt sechs. Er musste weg.

Indes apparierte Louisette wohl gerade noch rechtzeitig in der Nähe einer Säule, auf der mehrere Hexen und Zauberer abgemalt waren, die dieses kleine verschwiegene Viertel von Monte Carlo gegründet hatten. Einer von ihnen war sogar mit der Fürstenfamilie Grimaldi verwandt gewesen.

"Al, bin bei der Gründersäule. Ob Louvois noch wegkommt weiß ich nicht", mentiloquierte sie.

"Ich bin beim Springbrunnen mit den drei goldenen Meerjungfrauen und habe das Haus im Blick. Komm zu mir. Mit dem neckischen Unterzeug kannst du dich locker in meine Wahrnehmung einklinken."

Als Louisette neben ihrer heimlichen Geliebten stand ergriff diese ihre Hand. Louisette benutzte den Exosenso-Zauber, der tatsächlich wegen der Körperberührung und der besonderen Unterkleidung der beiden schneller wirkte als sonst. So konnte Louisette an der erheblich erweiterten Sehkraft der Mitschwester teilhaben.

Durch Albertines magische Augen konnte sie nun wie direkt vor dem Haus stehend sehen, wie die sechs Leute im Kreis standen und kleine Steine bezauberten, die weiß-blau< aufleuchteten. Das Leuchten dehnte sich aus, wurde zu einzelnen Auren, die sich während der verbalen Komponente zu einer das ganze Haus umschließenden Aura verwoben und dann als klar geformter Dom aus blau-weißem Licht mit goldenen Schlieren das Haus zu überdecken.

"Wenn er nicht schnell genug durch deine Haustür war", sagte Al, und Lou meinte, es selbst auszusprechen. Dann war es für sie, als würde der Lichtdom halbwegs durchsichtig, und nicht nur der Lichtdom. Sie meinte, ein wildes Rucken in den Augen zu fühlen. "Auch ein Test, ob ich durch so einen Dom noch gerade eben durchgucken kann. Hu, irritiert schon. Der Vorteil ist, dass mir die Augen nicht weh tun können. Ah, da ist dein später Gast. Er hat gerade die Haustür erreicht. Tja, eine halbe Minute zu spät, sage ich mal", flüsterte Al unverhohlen schadenfroh. Al konzentrierte ihren Blick auf die drei Leute und schien sie dadurch noch näher heranzuholen. Lou hätte zu gerne gefragt, wie weit der neue Blick ihrer Geliebten reichte. Doch im Moment war wichtiger, was passierte. Louvois feuerte Angriffszauber auf die beiden ihn begrüßenden VM-Anhänger ab. Doch Schock- und Lähmzauber prallten von unsichtbaren Schilden ab. Es entspann sich ein wildes Duell, bei dem Louvois zeigte, dass er durchaus gegen zwei Mann zugleich fechten konnte. Al sprach aus, was Lou dachte:

"Interessant, die haben ihre Reinitiatoren noch nicht eingesetzt. Offenbar wollen die noch was von ihm wissen." Gerade machte Louvois Lippenbewegungen und zielte auf einen. Lou war sich sicher, dass er gerade den Todesfluch ausrufen wollte. Doch ein übergroßer Schnuller verstofflichte sich direkt in seinem Mund. Gleichzeitig fegte ein Expelliarmus-Zauber des nicht angezielten den Zauberstab aus Louvois' Hand. Dieser flog durch die Luft und landete an der Innenseite des Arrestdoms. Louvois wollte sich mit beiden Händen den übergroßen Schnuller aus dem Mund reißen, als ihn fingerdicke Seile aus beiden auf ihn zeigenden Zauberstäben fesselten.

"Lou, wenn die uns auch noch suchen kommst du mit zu mir. Ich habe mich auf den Fall besser vorbereitet als du. Neh, bleib noch in meiner Wahrnehmung! Du willst ja sehen, wie's zu Ende geht.""

Die mit übergroßen Babyköpfen maskierten Angreifer ließen ihren Gefangenen mit Personenbewegungszauber ansteigen, in die Waagerechte kippen und dann auf den Arrestdom zufliegen. Die vier außen verbliebenen Mitkämpfer versammelten sich vor dem Punkt und wirkten einen gemeinsamen Zauber, der den Dom an einer Stelle in eine regenbogenfarbige Fläche verwandelte. "Ist ja lustig, die können eine Strukturlücke in den Dom machen. Ich glaube, wir leben doch schon im vierundzwanzigsten Jahrhundert", scherzte Al. Tatsächlich gelangten die beiden Angreifer mit ihrem Gefangenen mühelos durch die farbige Stelle. dann traf ihn ein Schockzauber. Al und Lou sahen, wie er mit den Zauberseieln zwischen zwei Besen gebunden wurde. Dazu kam noch eine Kette aus hauchdünnen Silberfäden.

"Das ist die Tarnkupplung von Harvey, damit bis zu vier Besen was unsichtbar transportieren können", sagte Al für Lou. Dann beobachteten sie noch, wie die sechs Hexen und Zauberer mit den Babykopfmasken die von ihnen bezauberten Steine mit Gegenzaubern besprachen und nacheinander fortnahmen, worauf der Arrestdom übergangslos erlosch. Nur die, die die einzelnen Steine bezaubert hatten konnten sie auch wieder entzaubern, wusste Louisette, die als Sachverständige für das Apparieren alle Zauber kannte, die den zeitlosen Ortswechsel begünstigten oder vereitelten.

Sie sahen noch zu, wie die drei Besen abhoben und von einem flimmernden Silberlicht umflossen wurden, das jedoch für Als Augen noch durchsichtig wie Glas war. Al beobachtete, wie die beiden zusammengebundenen Besen dem dritten hinterherflogen. Al behielt sie für anderthalb Minuten im Blick. Dann waren sie auch für ihre magischen Augen zu weit fort, um noch klar erkannt zu werden.

"Hast du gesehen, ob die außer dem Dom irgendwas gemacht haben, das mir noch gefährlich werden kann?" fragte Louisette, nachdem sie sich aus Als Wahrnehmung gelöst hatte. Diese besah sich noch einmal das weit entfernte Grundstück.

"Gut, dass du mich drauf gebracht hast. Während der an der Nordseite wohl seinen Arrestbaustein hingelegt hat hat der auch eine kleine Metallscheibe doppelt so groß wie eine Galleone hingelegt. Oh, und ich sehe, dass da dein Gesicht drauf ist. Ja, da liegt ein auf dich abgestimmter Anwesenheitsmelder."

"Diese Doxybrut", knurrte Lou.

"Meine Zutrittsberechtigung gilt noch?"

"Ja", sagte Lou. "Okay, dann mach ich die Petzliese mal eben mundtot", sagte Al und disapparierte so leise, dass selbst die Expertin für diese Art des Ortswechsels neidvoll nicken musste. Zehn Sekunden später war Al wieder da.

"Hier, ein unförmiger Goldklumpen im Wert von anderthalb Galleonen", sagte sie und überreichte Louisette den genannten Gegenstand. "Hui, ist der heiß. Was hast du mit dem gemacht?"

"Drei Sekunden Dämonsfeuer drauf und aufgepasst, dass die Flammenkrake, die entstand, nicht deine Rosenhecke angefressen hat. Dann erst den Dämonsfeuerlöscher drauf und dann noch vier Sekunden kaltes Wasser. Das hat heftig gedampft. Achso. In dem Feuer habe ich deine Unterlagen von Louvois gleich mitverbrannt. Der Unortbarkeitsstein ist noch im Haus, habe ich gesehen."

"Ja, stimmt. Meine Muggelverwandtschaft will ja nicht überwacht werden", sagte Louisette. Al grinste.

"Am Besten machst du dich jetzt zu euren Strafverfolgungsleuten. Die Saubande hat den von ihnen verjüngten Elfen im Keller gelassen. Der brüllt und schrillt die ganze Gegend zusammen. In dem Haus sind zwar im Moment keine Leute. Aber irgendein Passant könnte den armen Kerl hören."

"Danke für den Hinweis. Dann kläre ich das am besten auch gleich", sagte Louisette. Al tätschelte ihr zärtlich die Wange, umarmte sie noch einmal innig und meinte dann: "Wenn du alles erledigt hast stups mich sachte an, damit wir weitermachen können. Die Nacht ist ja noch jung."

"Hoffe nur, dass wir zwei nicht bald noch jünger sind", sagte Louisette. Denn sie dachte schon daran, dass Louvois bei einem Verhör wohl alles ausplaudern würde, was er Louisette um die Ohren gehauen hatte. Flucht nach Vorn hieß die Devise.

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Zur selben Zeit im französischen Unterschlupf der verbotenen Gruppierung Vita Magica

"Der wollte mich mit dem Todesfluch erledigen, mich, eine rennomierte Amme", schimpfte Lotta Gunnarsson, als sie ihre rosige Babykopfatrappe abgelegt hatte.

"Hat wohl gehofft, wir würden ihn dann auch damit erledigen", grinste ihre Cousine Inga.

"Was will Papa noch von dem wissen, dass wir den unbedingt im Vollbesitz seiner Erinnerungen einfangen mussten?"

"Zum Beispiel, ob unser Mitstreiter Ballard der einzige war, den er zu uns gerechnet hat und ob Ballard noch mehrere von uns verraten hat. Mater Vicesima kommt übrigens auch."

"Oh, dann wird's spannend", sagte Lotta.

So spannend wurde es dann doch nicht. Als Mater Vicesima eintraf ließ sie sich den Gefangenen in einen großen dunklen Raum bringen. Dann gebot sie Lotta, ihm den Schnuller aus dem Mund zu nehmen. Als Louvois merkte, dass er noch Herr seiner Erinnerungen war fragte er nicht wo er sei, sondern wie spät es sei.

"Jetzt könnten wir dir erzählen, dass du ein Jahr geschlafen hast, Égisthe und dass in der Zeit alle von dir ausgeschickten Spione unsere neuen Mitbürger wurden, von den Hauselfen mal abgesehen. Aber ich bin ehrlich und sage, dass es gerade eine halbe Stunde her ist, dass wir dich von dem Haus von Louisette Richelieu abgeholt haben. Wäre vielleicht auch eine schöne Gelegenheit gewesen, dein Blut und ihr Blut zu vermischen. Aber sie ist wohl frühzeitig genug gewarnt worden, von wem oder durch was auch immer."

"Ihr seid nicht besser als diese Sabberhexen Anthelias oder die Werwölfe von Lykotopia", schnaubte Louvois, der nur daran dachte, noch wenige Stunden zu leben zu haben. Sollte er es darauf anlegen, diesen Verbrechern unter der Nase wegzusterben?

"Ach, das ist der Grund für deinen Ausflug gewesen, weil du meinst, Louisette gehöre dieser Hexenschwesternschaft an, die von dieser Spinnenfrau angeführt wird", sagte Mater Vicesima aus dem Dunkeln heraus. Louvois fragte sich, wieso ihm diese Stimme so bekannt vorkam. Doch die nächste Frage brachte ihn von diesem Gedanken ab:

"Was hat dich darauf gebracht, Ballard könnte einer von uns sein?"

"Dieses und jenes", antwortete Louvois, damit rechnend, gleich den Cruciatus-Fluch abzubekommen.

"Was genau, dieses und jenes?" wollte die Frau im Dunkeln wissen. Jetzt vermeinte er, eine gewisse Ähnlichkeit zu hören. Aber die konnte das nicht sein. Nein, die war für diese Machenschaften zu anständig. Außerdem passte die Stimme nicht so ganz. Sie klang halt nur ähnlich.

"Du denkst jetzt, wir würden dich mit dem Cruciatus-Fluch foltern oder dir das Veritaserum einflößen und dass du gegen beides immun zu sein meinst. Kann sein, dass das stimmt. Aber gegen die Haube der vollen Erinnerungen wird dir das nicht helfen."

"Occlumentieren schon", dachte Louvois. Er wollte diesen Leuten da nichts von sich preisgeben. Dann konnten die seine Kontakte belangen und noch mächtiger werden. Doch eine Frage hatte er noch:

"Wer hat verraten, dass ich zu der Richelieu wollte?"

"Dein eigenes Hauselfengeschwader", sagte nun eine Männerstimme überlegen klingend. "Ah, noch ein Herr. Das ist ja herrlich", feixte Louvois, der davon ausging, eh nichts mehr zu verlieren zu haben.

"Als wir wussten, dass der Schlapphut, der unseren Mann bei euch im Ministerium erpresst hat für Jean Legris arbeitete war es ein leichtes, einen von dessen Hauselfen zu erwischen und mit einem selbstverbreitenden Markierungszauber zu versehen. Der hat dann alle deine Elfen markiert. Wir brauchten nur darauf zu warten, bis einer davon alleine oder mit dir irgendwo auftauchte. Tja, und das war dann ja auch der Fall."

"Ihr Französisch klingt zwar gut erlernt, kann aber Ihren norwegischen Akzent nicht ganz verdrängen", sagte Louvois.

"Ich muss doch schon bitten. Ich bin ... Netter Versuch!" grummelte der Mann, der fast seine wahre Herkunft ausgeplaudert hätte.

"Ist auch völlig egal, woher mein Beisitzer kommt, Égisthe. Du wirst gleich alles von dir preisgeben, was wir wissen wollen, und wenn du dich nicht zu sehr wehrst, wird es sogar schmerzlos werden."

"Vielleicht stehe ich auf Schmerzen, Madame", sagte Louvois. Dann fiel ihm ein, was es mit dieser Haube auf sich hatte. Die war damals von einer Hexe erfunden worden, um Erlebnisse und Träume von denkenden Wesen zu ergründen, wo sonst zehn Legilimentoren für nötig waren. Weil das so eine durchschlagende Erfindung war und weil sie obendrein bei denen, die sich dagegen wehrten zu Wahnsinn geführt hatte war diese Haube als unzulässiges Verhörinstrument und Forschungsmittel geächtet worden. Die Unterlagen darüber waren in den Giftschrank der Abteilung für experimentelle Magie gewandert und die Erfinderin war per Eidesstein dazu verpflichtet worden, keine neuen Kopien von den Artefakten oder den Unterlagen zu machen. Tja, und die Erfinderin hatte die Geheimnisse darum mit ins Grab genommen.

"Wenn Sie wirklich diese Haube haben, die damals geächtet worden ist, dann werden Sie mich wohl in den Wahnsinn treiben müssen. Von mir erfahren Sie nichts, Madame ..." Er wollte gerade den Namen ausrufen, den er für einzig zutreffend hielt. Doch ein ungesagter Schweigezauber würrgte ihm das gerade so noch ab, bevor es heraus war. Da wusste er, dass er sich nicht verhört hatte. Doch was würde es nützen. Er würde sein Wissen nicht mehr weitergeben können. Oder doch? Er konzentrierte sich auf die fünf Stufen des Mentiloquismus, nur um bei der zweiten Stufe zu merken, dass etwas ihn voll und schmerzhaft daran hinderte. "Ah, du versuchst zu mentiloquieren. Geht nicht. Wir haben dir ein Anti-Mentiloquismus-Armband umgelegt. Wir wollen ja ausschließlich deine ganze Aufmerksamkeit und nicht die Aufmerksamkeit der ganzen Welt", lachte die Hexe, die er zu erkennen geglaubt hatte. Als er versuchte, noch einmal zu mentiloquieren brachte ihn das fast um sein Bewusstsein. Als er keine Minute später eine körperwarme, vibrierende Haube auf den Kopf gedrückt bekam wünschte er sich sogar, er wäre ohnmächtig geworden.

Er glaubte, in einen bodenlosen Schacht aus kreisendem Licht hineinzustürzen. Seine verzweifelten Versuche, sich irgendwo festzuhalten, wurden von grellen Lichtblitzen in verschiedenen Farben vergolten. Er hörte Sachen aus seiner unmittelbaren Vergangenheit, den Besuch bei Louisette Richelieu und wie sie ihn eigentlich noch rechtzeitig genug vor den anrückenden Kampftruppen Vita Magicas warnte. Er erinnerte sich an die Gespräche mit Legris über das weitere Vorgehen. Halt, das durfte doch keiner wissen! Er versuchte, diese Bilder und Worte zurückzudrängen, wurde dabei aber nur in eine weitere Erinnerung hinübergeschleudert, in jene, wo er mit Legris den Coup gegen sich selbst besprach und dass Lesfeux dabei dumm auffallen sollte. Nein! Halt! Nein! Das durfte nicht sein! Er versuchte, die Bilder noch einmal mit anderen Bildern zu überlagern, mit Bildern von Festen auf Martinique. Doch statt eines fröhlich bunten Festes tauchte die Szene in der Inselfestung Cartridges auf und wie er dort den magisch bindenden Vertrag aushandelte und unterschrieb. Er hörte dabei in Gedanken die Zeit, die ihm noch blieb, wenn er kein Minister werden sollte. Er versuchte, an alte Lieder zu denken, die er immer gerne nachgesungen hatte. Doch die mörderische Jagd durch seine Erinnerungen warf ihn immer wieder aus der Balance. Er versuchte, belanglose Namen und Texte zu bedenken. Dabei löste er aber nur eine Flut von Bildern aus, wie er auf Martinique versucht hatte, die Quelle des Cocktails zu finden, der zur verstärkten Fortpflanzungstätigkeit anregte. Dabei erfuhr er von Legris, wer den Cocktail erfunden hatte und auch, dass dieser Mann über seine Schwester Kontakt in die USA hatte, zu einer Eartha, deren Nachnamen er aber nicht erfahren hatte. Wieder flackerte Widerwille in ihm auf, diesen Bildern nicht wehrlos ausgeliefert zu bleiben. Er versuchte sich am Bild eines Sonnenaufgangs über dem Hafen von Ford-de-France festzusaugen, meinte dabei aber, dass der aufsteigende orangerote Glutball zu einer sein ganzes Gesichtsfeld ausfüllenden Flammenwand wuchs, die ihn zu verbrennen versuchte. Er wandte sich ab von der Sonne und fand sich in den Armen einer kreolischen Hexe wieder, die er körperlich liebte, weil er von ihr wissen wollte, was ihr Bruder demnächst vorhatte. Hierfür hatte er sich einen hochwirksamen Trank genehmigt, der ihm die dreifache Manneskraft und Ausdauer verlieh, ihn aber dafür in den drei Folgetagen müde und an vielen Sachen uninteressiert gemacht hatte. Zumindest hatte er sein Ziel erreicht. Aus dieser Siegessicherheit heraus stürzte er in eine Abfolge von Erinnerungen, wo er Erfolge auf seinem Weg nach oben errungen hatte. Nur an einem kam er nicht vorbei, Armand Grandchapeau. Jeder Versuch, was in seiner Vergangenheit zu finden, das anrüchig genug war, endete damit, dass er fast selbst vor Gericht gelandet wäre.

"Égisthe, ich weiß nicht, womit ich mir Ihre Feindschaft verdient habe. Aber ich möchte Ihnen sagen, dass es meinerseits keinen Grund gibt, Sie deshalb zu verabscheuen. Auch dass Sie versucht haben, intime Einzelheiten aus dem Schulalltag meiner Tochter zu ergattern zeigt mir eher, dass Sie ein Meister im organisierten Beschaffen von Informationen sind. Da ich aber nicht zulassen will, dass meine Familie unter Ihrem Ehrgeiz leidet biete ich Ihnen zwei Möglichkeiten: Entweder sie suchen sich ein rein geschäftliches Unternehmen als neuen Arbeitsplatz, oder Sie bitten mich freiwillig um die Versetzung nach Ford-de-France. Dort brauche ich einen Stellvertreter, der unabhängig genug arbeiten und sich in bestehende Strukturen einfinden kann. Monsieur Valence hat schriftlich um Versetzung nach Guayana gebeten. Wenn Sie seinen Platz einnehmen erhalten Sie obendrein 500 Galleonen im Monat mehr und eine Reisekostenvergütung für Familienbesuche."

"Sie sind nicht mein Feind, Monsieur Grandchapeau. Ich habe mein Leben nur darauf aufgebaut, über alle, mit denen ich zu tun habe, mehr als genug zu wissen", hatte er damals gesagt.

"Ja, aber meine Tochter ist erst in der vierten Klasse. Sie arbeitet also nicht mit Ihnen zusammen. Wenn Sie Ihr Leben wirkklich auf ständiger Informationsbeschaffung über die Menschen, mit denen Sie unmittelbar zu tun haben gegründet haben, gehören Sie eher in die Einkaufs- oder Vertriebsabteilung eines Herstellungs- oder Handelsunternehmens. Im Ministerium denken die allermeisten an ihre unmittelbaren Aufgaben und das Wohl ihrer eigenen Familien. Ich erwarte heute noch eine verbindliche Entscheidung!"

So war das damals abgelaufen, als er meinte, das Liebesleben der gerade heranwachsenden Belle Grandchapeau ausforschen zu müssen und dabei mit den Colberts und Didiers aneinandergeraten war. Janus Didier, über den er ebenfalls mehr hatte wissen wollen, hatte damals bewusste Falschmeldungen gestreut und ihn damit fast als Intrigant und möglichen Erpresser entlarvt. So hatte er lieber die Versetzung akzeptiert, immer unter der Voraussetzung, eines Tages wieder nach Paris zu rückzukehren, als Armand Grandchapeaus Nachfolger.

Die Reise durch die Erinnerungen ging weiter, durch sein ganzes Leben, vor allem durch jene anderthalb Jahre, wo ihn die Sabberhexe Dashaboa mit ihrem widerlichen, für ihn damals aber süßen und berauschenden Speichel, ihren Tränen und anderen natürlichen Dingen in körperlicher und geistiger Abhängigkeit gehalten hatte. Drei Bälger hatte die von ihm bekommn, alles Töchter, die irgendwo auf der Welt noch herumstrolchten, ihrerseits auf der Suche nach rosahäutigen Kindern, die sie als Nahrung ansahen oder nach halbwüchsigen Jungzauberern, die ihnen eigene Kinder machen sollten.

Als er an den Punkt kam, wo er zum ersten mal mitbekommen hatte, wie viel Macht das Wissen um geheime Sachen von anderen bot, loderte noch einmal Widerstand in ihm auf. Nein, dass er versucht hatte, von einem ausgemachten Streber seine Hausaufgaben gemacht zu bekommen, weil er wusste, welches Mädchen er begehrte und über dieses Mädchen was in der Hand hatte, was deren Eltern besser nicht wissen sollten, sollte doch keiner wissen. Er versuchte wieder dagegen anzukämpfen. Die Folge waren heftige Kopfschmerzen und wilde Geräusche und Lichteindrücke. Erst als er die Gegenwehr aufgab und sich weiter durch die Erinnerungen treiben ließ, hörten die bohrenden Schmerzen auf. Als er dann die ersten drei Lebensjahre im Schnelldurchlauf erlebte fühlte er, dass dies eigentlich seine glücklichsten Jahre gewesen waren. Am Ende fühlte er sich in den bergenden Schoß seiner Mutter hineingleiten, hörte sie schreien und stöhnen, bis ihre Stimme ganz um ihn herum war und er sich ganz beruhigt zusammenrollte, sicher, dass ihn hier niemand was tun konnte. So dämmerte er dahin. Sein Ich verebbte mit jedem Herzschlag, jedem laut rauschenden Atemzug seiner Mutter, bis er die ihn umgebenden Geräusche und Stimmen nur noch als dumpfes, untrennbares Rauschen und Rumpeln hörte.

"So geht es auch", sagte Mater Vicesima, als vor ihr ein zusammengerollter, beinahe nicht mehr atmender Gefangener unter einer silbernen Haube lag. Von der Haube führte ein durchsichtiger, von silbernen Lichtern durchzogener Schlauch, der in einer anderen Vorrichtung mit mehreren Zeigeranzeigen, Hebeln, Drehknöpfen und Schiebern endete. Unter der Apparatur war eine große Kristallflasche angeschlossen, in die das silberne Leuchten mal als Funken, mal als pulsierender Strom, hineingepumpt wurde. Die Flasche war zu einem Drittel mit silberweißer Substanz gefüllt, ausgesaugten Erinnerungen. Dabei stand ein Hebel an der Apparatur auf Rot, der Hebel, der sicherte, ob die Erinnerung nur kopiert oder beim Ergreifen restlos umgefüllt wurde.

"Er hat alles mögliche Versucht", stellte Mater Vicesima fest. "Aber seine Gefühle und seine Angst zu leiden haben ihm vereitelt, den Strom zu unterbrechen oder gar nur unwichtige Erinnerungen abzusondern."

"Das heißt, er hat jetzt kein Gedächtnis mehr?" fragte der schwedische Beisitzer.

"Nein, im Grunde genommen hat er über die Haube alles abgesondert, was er seit seiner Zeit im Mutterleib an Erinnerungen angesammelt hat."

"Aber man kann die Haube austricksen, Mater Vicesima. Wer ein guter Okklumentor ist kann sich abschotten oder unnützen Ballast produzieren, Scheinerinnerungen oder Alltäglichkeiten wie diesen Sonnenaufgang."

"Ja, dieser Sonnenaufgang war schon eine sehr gute Idee, um den Fluss zu bremsen. Aber das Gefühl, darin zu verbrennen hat diese Disziplin wieder gebrochen."

"Ja, und jetzt?" fragte Vicesimas Beisitzer.

"Reinitiieren, was wir eh mit ihm vorhatten. Aber wir brauchten seine Erinnerungen."

"Gut. Und wer zieht ihn groß?"

"Lotta. Sie hat ihn schließlich überwältigt. Somit ist sie für sein Wiederaufwachsen in unserem Sinne verantwortlich", sagte Vicesima.

Als Lotta wenige Minuten später einen laut schreienden, körperlich gerade wenige Tage alten Jungen in die Arme gelegt bekam versprach sie ihm, gut auf ihn aufzupassen und nannte ihn Ivor, Ivor Gunnarsson.

"Was machen wir in der Sache Cartridge?" wollte Mater Decima von ihrer Ratskollegin wissen, als die Sache mit Louvois abgeschlossen war.

"Wenn sie nicht herausbekommen, wann genau er von dem in den Pergamentfasern schlummernden Segen erwischt wurde, wird er im Vollbesitz seines Gedächtnisses neu aufwachsen müssen. Vielleicht haben wir dann in zwei Jahren einen kleinen, süßen Zaubereiminister, der auf einem Hochstuhl sitzen muss, wenn er an einem Tisch essen möchte. Vielleicht gewährt seine geliebte Gattin ihm aber auch die Gnade, sein Gedächtnis zu verändern, damit er unbelastet von Erwachsenenproblemen neu aufwächst, als ihr viertes Kind. Aber ich darf nicht ausschließen, dass ihre Verwandten diese Entmachtung nicht unbeantwortet hinnehmen. Die werden sicher diesen Randolph Sandhearst zum kommissarischen Minister berufen. Der darf sich schon mal warm anziehen, was seine Handlungsfreiheiten angeht. Ja, und der ist noch unverheiratet. Wäre doch schön, wenn wir ihm zu einer fruchtbaren Beziehung verhelfen."

"Ich bin bereit, das anzuleiern, Mariette", sagte Mater Decima. Abgesehen davon könnten wir auch Mr. Dime zum neuen Zaubereiminister aufbauen."

"Wäre natürlich noch besser, wo wir auf ihn schon einen gewissen Einfluss haben, von dem er nichts weiß", sagte Mater Vicesima. "Aber warten wir erst einmal ab, ob Cartridge zwei Tage oder zwei Jahre braucht, um aus den Windeln herauszuwachsen und ob er dann auch Milton Cartridge bleiben darf."

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Im Büro von Zaubereiministerin Ornelle Ventvit


18. September 2002, 10:30 Uhr Ortszeit

Die neue Ministerin hatte Belle, den Leiter der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit, sowie Julius Latierre zu einer kurzfristig einberaumten Besprechung gebeten, um ihnen etwas wichtiges mitzuteilen:

Zaubereiministeriums

"Ich erhielt vor wenigen Minuten per Blitzeule die Bekanntmachung aus Washington, dass Zaubereiminister Milton Cartridge von seiner Gattin zusammen mit den drei gemeinsamen Kindern in ein mehrfach gesichertes Versteck gebracht wurde. Dort will sie den genauen Zeitpunkt der Verwandlung ermitteln. Gelingt das innerhalb des nächsten Monats, wird er wieder in sein Amt zurückkehren. Gelingt es nicht, so wird er wohl unter einem anderen Namen neu aufwachsen, womöglich von sich aus auf die bisher erworbenen Erinnerungen verzichten, um davon unbelastet aufzuwachsen. Doch das will Mrs. Cartridge dann genauer klären, wenn eine schnelle Rückverwandlung nicht mehr möglich sein soll. Bis dahin wird der bisherige Leiter der Abteilung für internationale magische Zusammenarbeit, Randolph Sandhearst, kommissarischer Zaubereiminister. Ich habe ihm bereits signalisiert, bis zur Entscheidung über Minister Cartridges Verbleib genauso mit ihm zusammenzuarbeiten wie ich es mit Minister Cartridge plante. Das wollte ich Ihnen mitteilen, um weitere Spekulationen auszuräumen."

"Öhm, er darf solange bei seiner eigenen Frau bleiben?" fragte Julius. "Greift da nicht der Erlass nach dem Fall Anna Fichtental von 1820?"

"Sie meinen den Fall, wo eine Hexe ihren eigenen Mann infanticorporisiert hat, weil er sie in aller öffentlichkeit gedemütigt und wegen ihrer durch fünf Mutterschaften entstandenen Leibesfülle beleidigt hat?" fragte Ornelle Ventvit. Julius nickte. Belle kannte diesen Fall nicht. Julius erwähnte, dass er das bei den Pflegehelfern in Beauxbatons gelernt hatte, als es um gesetzliche Auswirkungen von Infanticorpore ging.

"Offenbar haben sie in den Staaten diesen Erlass außer Kraft gesetzt, weil die Familie von Milton Cartridge durch Vita Magica direkt angegriffen wurde und diese deshalb in einem gesicherten Versteck ausharren soll. Keine Regel ohne Ausnahmen", sagte die neue Ministerin. Julius nickte zustimmend.

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Im kleinen Konferenzzimmer des deutschen Zaubereiministers


20. September 2002, 10:00 Uhr Ortszeit

Andronicus Eisenhut war einer der letzten, die den Raum betraten. Er hatte eigentlich gedacht, hier nur den Minister, dessen Sekretär Wetterspitz und den Zauberschmied Hagen Wallenkron zu treffen. Doch es waren außer diesen noch der Leiter des Muggelkontaktbüros Armin Weizengold, der Leiter der Abteilung für Magische Geschöpfe, Sebaldus Kienspan, dessen Werwolfexperte Friedhelm Mondenquell, sowie der Schatzmeister Giesbert Heller und Eisenhuts Verwalter des Lagers für besondere Ausrüstung Wilhelm Klingenspeer anwesend.

"Alle da? Dann beginnen wir", sagte der Minister. Er erwähnte den Vorfall vom 16. September und auch, dass er mit Herrn Wallenkron schon besprochen hatte, wie es dazu kommen konnte, dass ein tarnfähiger Besenbeißer die Verfolgung der Entführer von Regina Hudson vereitelte. Dann übergab er das Wort an Hagen Wallenkron.

Der Besucher, der hier eher als eine Art Verdächtiger angesehen wurde, begrüßte die Anwesenden so ruhig er konnte und nutzte die Gelegenheit, dem Minister zum Geburtstag zu gratulieren. Doch der Beglückwünschte wies darauf hin, dass er dafür erst am Nachmittag zeit haben würde und bat um den Bericht und die Beeidigung der Aussage. So erläuterte Hagen Wallenkron die Erfindung und die Weitergabe der Besenbeißer und ihrer Konstruktionspläne. Er beteuerte, nur fünf tarnfähige Exemplare gebaut zu haben, die er auch unverzüglich vernichtet hätte, wenn das Ministerium nicht darauf bestanden hätte, diese Erfindung weiterzuerforschen, um Gegenmaßnahmen zu finden. Dabei sah er den Minister und den Leiter der Lichtwachen, Andronicus Eisenhut mit gewissem Unmut an. Doch die beiden ließ das kalt.

"Dann wollen Sie mir jetzt unterstellen, ich hätte von den fünf Exemplaren das eine oder andere an unsere Feinde weitergereicht?" fragte Wilhelm Klingenspeer den Gastredner. Der wiegte den Kopf, weil er keine Antwort darauf geben konnte. Weizengold fragte, ob der Kollege denn den Bestand und die Verwahrung der Herstellungspläne geprüft habe.

"Ich habe den Bestand erst vorgestern geprüft, als das in Umlauf kam, dass ein Besenbeißer die Kollegin Steinbeißer fast vom Himmel geputzt hätte", sagte Klingenspeer. "Und die Baupläne liegen sicher verwahrt in einem Hochsicherheitsverlies von Gringotts Frankfurt, bewacht von einem schwedischen Kurzschnäuzlerweibchen. da kommt niemand dran, der nicht die Klirrer der Kobolde verwendet und die Kombination der zwei Sicherheitstüren beherrscht. Selbst nach dem Überfall auf Gringotts London am ersten Mai 1998 setzen die Kobolde noch auf ihre Wachdrachen."

"Außerdem sind die Pläne gegen Kopierzauber wie Geminius und Multiplicus gesichert", sagte Eisenhut. "Es muss also entweder mindestens einen tarnfähigen Besenbeißer oder eine Kopie der Herstellungspläne geben. Was sagen Sie dazu, Herr Wallenkron?"

"Dass ich weder weitere Exemplare hergestellt noch die Pläne an unbefugte weitergegeben habe. Prüfen Sie doch gütigst, wer alles Zugang zu diesem Verlies oder zum Magazin für besondere Ausrüstung hat!" blieb Wallenkron bei seiner Unschuldsbeteuerung.

"Armin, ich wünsche noch einmal eine vollständige und beeidete Aussage von Fräulein Steinbeißer mit Erlaubnis, ihre Erinnerungen vom fraglichen Zeitraum nachbetrachten zu können", sagte Andronicus Eisenhut. "Mit ihrer Aussage steht und fällt der ganze Fall."

"Ich habe Fräulein Steinbeißer vor ihrer Reise nach Paris bereits entsprechend vor Zeugen befragt und auf einen Eidesstein schwören lassen, dass sich alles so ereignet hat. Hier ist die schriftliche Aufzeichnung", sagte Armin Weizengold und förderte aus seiner kirschroten Aktentasche eine Rolle Pergamentblätter und übergab sie dem Minister. Dieser setzte gerade an, den darauf geschriebenen Text vorzulesen, damit die Flotte-Schreibefeder ihn mitschreiben konnte. Da bebte der Boden.

Alle sahen sich verdutzt an. Der Erdstoß war wie der berühmte Blitz aus heiterem Himmel über sie hereingebrochen. Als er nach zwei Sekunden verebbte wandte sich der Minister an ein noch immer leicht schaukelndes Bild: "Frage an Sicherheitsabteilung, Ursache dieses Erdstoßes ermitteln!" der gemalte Zauberer mit schwarzem Haar und Spitzbart raffte seinen grün-gelben Umhang, erklomm seinen altertümlich anmutenden Besen und flog aus dem Bild hinaus, durch die links davon hängenden Gemälde. Kaum war er aus dem Raum erfolgte der zweite Erdstoß, diesmal sogar so heftig, dass die Stühle und der Tisch vom Boden abhoben und immer wieder aufprallten. Gleichzeitig überzogen silberne Schlieren Boden, Wände und Decke. Das war eindeutig Magie.

"Ein Angriff!" sprach der Minister aus, was Eisenhut und die anderen dachten. "Achtung, Sicherheitsalarm Code Roter Drache Feuerpranke!" Ein mittelhoher Glockenton erklang, dann schrillten und schepperten überall im Ministerium Alarmglocken.

"Wir sitzen hier alle schön zusammen wie auf einem Präsentierteller", stellte Eisenhut fest. "Herr Minister, bitte den Notfluchtweg freigeben lassen!"

"Ich will erst wissen, was los ist. Der Raum hier ist gerade gesichert worden. Da kommt kein Apparator rein und ..." Rruummms! Der dritte Erdstoß und ein zeitgleich im Raum grell aufleuchtender blauer Blitz und der dazugehörige Donnerschlag würgtenGüldenbergs Satz ab. Auf den Donnerschlag folgte eine undurchdringliche Schwärze. Alle hatten den Eindruck, etwas nehme ihnen die Kraft weg. Sie röchelten und stöhnten vor Schmerzen. Jedem wurde immer kälter. Dann krachte es laut. In diesem Augenblick wich die lähmende Finsternis.

In der mit dem Rahmen aus der Wand gesprengten Türöffnung stand ein hochgewachsener, breitschultriger Mann im schwarzen Umhang. Nur Hagen Wallenkron und Armin Weizengold reichten größenmäßig an ihn heran. Zwischen den Schultern trug er einen grün leuchtenden Kopf, der wie der einer Schlange aussah. Grüne Funken schwirrten von diesem Kopf in den Raum. Auf dem Brustteil des Umhangs glomm ein rotes V. Rote Augen mit senkrechten Pupillen tasteten die im Raum sitzenden Zauberer ab. Dann umfloss den Eindringling eine blaue Aura. Der Eindringling zielte direkt auf den Konferenztisch.

"Wohl zu sterben, Geburtstagskind!" rief er. Da fiel von der Decke her etwas grünes, sackartiges über ihn und stieß dabei den Zauberstabarm hinunter. Er stemmte sich dagegen, versuchte, den Zauberstab wieder hochzureißen. Seine blaue Aura flackerte wild. Dann machte es Piff, und der unter seinem Umhang versteckte Gürtel löste sich in mehreren Einzelteilen von seinem Körper. Er kämpfte gegen die ihn umschließende Hülle an, versuchte, sie mit dem Zauberstab anzuzielen. Doch wie in den Körperwindungen einer Riesenschlange wurden ihm Arme, Beine und Brustkorb immer mehr zusammengequetscht. "Verdammtes Pack!" brüllte er. Da fühlte er noch etwas, ein Gefühl, als habe jemand einen Haken in seinen Nabel gestoßen und ziehe ihn damit weg. Da wusste er, dass er wie ein blutiger Anfänger in eine für ihn gestellte Falle geraten war. Die hatten damit gerechnet, dass er den Zaubereiminister heute töten wollte.

Die neun Konferenzteilnehmer staunten nicht schlecht, als kurz vor dem ihnen geltenden Todesschlag ein grüner Schemen von der Decke niedersauste und den Eindringling blitzartig umhüllte und sich dann zusammenzog, als stecke er im inneren eines lebenden Wesens, das ähnlich wie ein Lethifold seine Opfer umfing und dann verdaute. Sie sahen mit weit aufgerissenen Augen, wie der Widersacher immer stärker eingeschnürt wurde, hörten ihn noch dumpf wie durch drei Lagen Sackleinen schimpfen. Dann umstrahlte das Gebilde eine sonnenuntergangsrote Lichtspirale, wirbelte mit verwirrendem Tempo dreimal oder viermal und löste sich mit einem vernehmlichen kurzen Fauchen in nichts auf. Vengor war nicht mehr da.

"Kann mir bitte wer verraten, was das war?" fragte Armin Weizengold. Da umstrahlten ähnliche sonnenuntergangsrote Lichtspiralen die Stühle von Güldenberg und Wallenkron und verschwanden mit ihnen.

"Öhm, muss ich das jetzt verstehen?" fragte Armin Weizengold seine verbliebenen Gesprächsteilnehmer. Eisenhut und Klingenspeer wechselten Blicke. Weizengold sprang von seinem Stuhl auf, als habe ein Drache seinen Feuerstrahl unter die Sitzfläche geblasen. Die anderen begriffen was das sollte und schnellten gleichfalls von ihren Stühlen hoch. Doch nichts passierte.

"Irgendwer hat diesem Vengor eine nette kleine Falle gestellt. Der Wahnsinnige hat wohl den Mord an Minister Güldenberg geplant, und der hat es vorausgesehen", sagte Andronicus Eisenhut.

"rot leuchtende Portschlüssel, lebende grüne Säcke. Will mir mal einer von den Experten hier erklären, wo das herkommt?" fragte der koboldstämmige Giesbert Heller.

"Nicht von uns", sagte Klingenspeer. "Dieser Fangsack ist voll genial. Der hat diesen Schlagetot so schnell kampfunfähig gemacht, das hätte kein Schockzauber geschafft."

"Ja, und der war auch ein Portschlüssel, Willi. Aber was zum dreigeschwänzten Lindwurm sollte die Versetzung von Güldenberg und Wallenkron?" wollte Weizengold wissen, der dabei immer wieder auf den Stuhl stierte, auf dem er vorhin noch gesessen hatte.

"Also, ich kann nur sagen, dass ich von dieser Aktion nichts gewusst habe", beteuerte Eisenhut, der als oberster Lichtwächter ja für solche Manöver zuständig war. "Womöglich hat der Minister die Sache im Alleingang geplant, um sich und herrn Wallenkron in Sicherheit zu bringen, sobald Vengor - lassen wir diesem Mörder noch das Vergnügen, ihn so zu nennen - tatsächlich nach seinem Leben trachtet. Denn in dem Fall wäre auch Herr Wallenkron gefährdet gewesen. Von unserem Tod hätte dieser Massenmörder nichts gehabt."

"Ach, hätte er nicht, Andronicus? Er hätte doch mit Genuss jeden mit seinem überstarken Todesfluch niedergemäht wie einer dieser monströsen, lauten, stinkenden Mähdrescher der Muggel", sagte Klingenspeer.

"Ich muss schon bitten, Kollege Klingenspeer, Menschen ohne magische Begabung", musste Weizengold auf die Korrektheit der mit seiner Behörde zu tun habenden Menschen pochen.

"Ist jetzt auch egal. Vengor wurde wortwörtlich eingesackt und der Minister und sein Neffe wurden mit exotischen Portschlüsseln aus dem Ministerium entfernt. Was heißt das jetzt für uns?" wollte Heller wissen.

"Dass Ihre Abteilung keine Unkosten hatte, Kollege Heller", scherzte Weizengold. "Denn wenn erst der Minister verschwunden wäre hätte dieser Mordbube jeden umgebracht, um ihn wiederzukriegen. So hat ihn jetzt irgendwer auf Halde gelegt, womöglich Heinrich Güldenberg selbst."

"Oder Hagen Wallenkron", vermutete Klingenspeer, der sich nun gut vorstellen konnte, dass Hagen Wallenkron diesen grünen Fang- und Verschleppsack und die Portschlüsselstühle hergestellt hatte.

"Dann sollen wir jetzt gehen, als wenn die Konferenz ganz normal beendet wäre?" fragte Kienspan. Eisenhut schüttelte den Kopf. "Nein, die Herren, wir müssen das klären, wie dieser Verbrecher durch alle Sicherungen kam, wie er die Schutzbezaubberung um den Raum durchbrechen konnte, was diese Dunkelheit sollte, die in dem Moment verschwand, als der Unhold die Tür weggesprengt hat, ja und dann eben auch, ob der Zaubereiminister und Herr Wallenkron das Fangen des Verbrechers und ihre eigene Versetzung geplant und ausgeführt haben. Zu viele Fragen, um einfach wieder zur Tagesordnung ..." Piff! auf dem Konferenztisch erschien aus einer sonnenuntergangsroten Lichtspirale heraus ein Pergamentzettel. Andronicus gebot sofort, diesen nicht anzufassen. Er nahm aus einer seiner Umhangtaschen ein Vergrößerungsglas, hielt es über das Pergament. Übergangslos entstand über dem Tisch eine Art weiße Leinwand, auf der für alle unschwer lesbar stand:

An die werten Kollegen, die sicher jetzt fürchten, ihnen würden gleich auch die Stühle unterm Allerwertesten davonfliegen,

ich habe damit gerechnet, dass jener, der sich als Lord Vengor bezeichnet, in den Tagen vor meinem Geburtstag oder an meinem Geburtstag selbst einen Mordanschlag auf mich verüben will. Mir war auch klar, dass dabei unschuldige Leute wie Sie oder alle hier im Hause tätigen Hexen und Zauberer sterben könnten, wenn ich mich ihm vorher schon entzogen hätte. So habe ich in Zusammenarbeit mit meinem Neffen, Herrn Wallenkron, eine mehrstufige Abwehrmaßnahme ersonnen. Wenn es diesem Vengor wirklich gelingen sollte, die bereits jetzt schon hohen Sicherheitsbarrieren niederzureißen und in meine unmittelbare Nähe vorzudringen um mich direkt und sehenden Auges zu töten, so sollte er von einer teilanimierten Fangvorrichtung, die unzerreißbar ist, umschlossen und so am Gebrauch des Zauberstabes gehindert werden. Mein Neffe hat die bisher für einzig möghglich gehaltenen Formen der Portschlüsselbezauberung optimiert, und an die beiden großen Hauptgestirne gekoppelte Varianten erschaffen, die durch jede Antiportus-Barriere dringen und obendrein noch zaubertolerrant genug sind, um den Portschlüsselgegenstand mit weiteren Zaubern auszustatten. Bei Sonnenschein erscheint die übliche Leuchterscheinung Sonnenaufgangs- oder -untergangsrot, bei Nacht je nach Mondphase dunkelblau bis silberweiß.

Da wir davon ausgehen müssen, dass die Schergen dieses Unholdes nach ihm und uns suchen werden, solange unsere Geburtstage noch nicht verstrichen sind, übertrage ich Ihnen, Herr Wetterspitz, die Vollmachten eines geschäftsführenden Zaubereiministers. Nähere Instruktionen und die schriftliche Vollmacht finden Sie auf Ihrem Schreibtisch. Mein Neffe und ich werden bis einschließlich 1. November 2002 mit unseren Angehörigen, welche in den kommenden acht Wochen noch ihre Geburtstage begehen werden, in einem sicheren Versteck ausharren, weit genug weg von Vengor und seinen Handlangern. Was den gefangenen Massenmörder angeht, so gilt es, ihn genauer zu verhören. Da er dabei in Flammen aufgehen, den Fluch der letzten Worte ausstoßen oder sonst wie jeden, der ihn zu verhören versucht in den Tod reißen kann, wird diese gefährliche Tätigkeit weit genug außerhalb des Ministeriums ausgeführt. Welche Ergebnisse das Verhör erbringt oder ob er dabei einem Selbstvernichtungszauber zum Opfer fallen wird erhalten Sie, wackerer Andronicus, dann, wenn wir wissen, dass die Gefahr für uns und unsere Angehörigen vorbei ist.

Bis dahin hoffen wir, dass keiner von Ihnen vollendet, was wir bei Vengor noch verhindern konnten, nämlich das Ministerium ins Chaos zu stürzen.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Güldenberg

P.s. Dieser Brief wird sich fünf Minuten nach seinem Erscheinen wieder dorthin zurückversetzen, wo er herkam. Wer sich dran festhält muss dann bei uns anderthalb Monate lang Zwangsurlaub verbringen.

"

"Das ist eindeutig Heinrich Güldenbergs Handschrift", meinte Kienspan. "Sieht ihm ähnlich, diesem Scherzbold", fügte Andronicus Eisenhut hinzu. "Aber er hätte mich ruhig vorwarnen können. Diese Alleingänge gehen zu oft ins Auge."

"Können wir den Brief kopieren, ich will den als Beweis für die Akten", sagte Wetterspitz. Doch als er es versuchte, löste die erwähnte Portschlüsselbezauberung weit vor der fünften Minute aus. Der Brief verschwand mitsamt dem Konferenztisch in einem sonnenaufgangsroten Lichtwirbel.

"Typisch Heinz Güldenberg", knurrte Wetterspitz, der jetzt die persönliche Anrede gebrauchte. Schnaufend deutete er auf die freie Fläche, wo der Tisch gerade noch gestanden hatte. Dann zuckte er zusammen. "Öhm, Leute, wir sollten die höchste Alarmbereitschaft ausrufen. Wenn die Handlanger des Massenmörders nach ihrem Herren suchen oder von ihm mentiloquistisch oder sonstwie fernmitteilungsmäßig hergeschickt werden haben wir vielleicht doch noch eine Zauberschlacht auszufechten."

"Dann machen Sie mal, Herr Eisenhut. Sie bekommen alle Zugriffsrechte auf die verbal auslösbaren Sicherheitsmaßnahmen", sagte Wetterspitz.

"Nett von dir, Eilenfried. Aber die habe ich schon längst genau wie du. Also los!"

Die Teilnehmer der Gesprächsrunde eilten an ihre üblichen Plätze, um im Falle eines Notfalls ihre Mitarbeiter per Notfallplan Exodus innerhalb von zehn Sekunden aus dem Ministeriumsgebäude zu evakuieren.

"Uroma Mächthild, sage Bärbel bitte, dass hier im Ministerium gerade Notstand und Belagerungszustand in einem herrscht. Sie soll mit Fräulein Steinbeißer besser in Paris oder Millemerveilles Quartier nehmen, bis ich sie zurückrufe. Ich kriege das mit dem Halbkobold hin, dass der die Reisekostenerweiterung genehmigt", bat Armin Weizengold eine sehr rundlich, ja hoffnungsvoll aussehend gemalte Hexe im grün-weiß-blauen Umstandskleid mit Spitzenkragen, die seiner Tochter Bärbel ähnelte, nur zwanzig Jahre Älter. Die Gemalte Hexe nickte und sagte: "Habe es schon mitgekriegt, dass dieser grünköpfige Schlagetot euch fast ermordet hätte. Das hätte Bärbelchen sicher sehr traurig gemacht."

"Nicht nur sie, denke ich", sagte Armin Weizengold. Die gemalte Hexe nickte, und das mit ihr zusammen gemalte Ungeborene beulte ihr Kleid aus. Er hatte nie begriffen, warum seine Urgroßmutter väterlicherseits sich mit seinem Großvater Berthold im Bauch hatte abmalen lassen müssen. Auf die Frage hatte sie geantwortet: "Weil ich da am meisten Kontur hatte, war ja sonst immer ein Hungergestell."

Die Geburtstagsfeier für den Minister wurde wegen des ausgerufenen Notstandes abgesagt. Die mehrstöckige Torte sollte dann ohne die fünfundsiebzig Kerzen drauf unter den Mitarbeitern verteilt werden, damit die Hauselfen nicht traurig wurden. Dabei kamen die nur dann aus der Küche raus, wenn die Menschen Feierabend hatten, ganz die unauffällig bleibenden Diener.

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Irgendwo weit weg vom deutschen Zaubereiministerium


Kurz nach Gefangennahme von Lord Vengor

"Lasst mich gefälligst hier raus, oder ich hetze euch die schlimmsten Ungeheuer auf den Hals, die es gibt", brüllte Vengor. Doch durch den über seinem Gesicht förmlich festklebenden Sack klang das sehr dumpf. Er strampelte, versuchte immer wieder, seinen Zauberstab einzusetzen. Doch Immer wenn er einen Zauber rufen wollte, drückte sich der verhexte Sackleinenstoff in seinen Mund und knebelte ihn. Auch als er ungesagt einen Diffindus-Zauber ansetzte gelang das nicht, weil ihm der Stab quasi ans rechte Knie gedrückt wurde. Er fühlte nur einen kurzen, heißen Schmerz und danach ein heftiges Pochen des Unlichtkristalls in seinem Körper, dass dieser eine magische Verletzung verhindert oder sofort geheilt hatte.

"Da wo du hängst hängst du gut, Grünschädel", hörte er die Stimme Güldenbergs. "Ja, ich bin auch hier und Hagen, dein nächstes Opfer auch. Ich dachte mir nämlich, dass es für meine Kollegen und ihre Angehörigen besser ist, wenn wir es hier und heute zu Ende bringen. Ich habe dich deshalb nur noch eingesackt gelassen, damit du nicht gleich meinst, verschwinden zu können und dann dein Unwesen weiterzutreiben. außerdem möchte ich von dir gerne wissen, wer du wirklich bist."

"Das geht dich nichts an", knurrte Vengor. Güldenbergs Stimme fragte nach, was er gesagt habe. Er brüllte seinen letzten Satz und war froh, dass dieser vertückte Sack ihn diesmal nicht knebelte. "Natürlich geht mich das was an. Ich will schließlich wissen, wer mich umbringen will, damit ich, wenn's klappt, im Jenseits auf ihn schimpfen kann und wenn es nicht klappt, weiß, welchen Namen ich auf den Grabstein schreiben lasse, als Respektsbekundung für einen ehrenvollen Gegner."

"Wichtel gefrühstückt, was, Heinz Güldenberg?" schnaubte Vengor. Dieser Frechling da hielt ihn gefangen, überhaupt schon mal eine bittere Schmach. Und dann machte der sich auch noch lustig über ihn. Er versuchte, zu mentiloquieren. Doch seine Rufe knallten ihm als sehr schmerzhafte Echos in den Kopf zurück.

"Oh, Melo. Hmm, hätte ich dir sagen sollen, dass ich mit meinem Neffen was erfunden habe, das Melospiegel heißt und einem die eigenen Gedanken als ziemlich übles Kopfweh ins eigene Hirn zurückschleudert." Vengor grinste erst. Dann musste er lachen. "Dein Neffe Hagen Wallenkron will das erfunden haben", lachte er. "Wie herrlich."

"Hat er mir zumindest so gesagt, sagte Güldenbergs Stimme. "Aber der übertreibt manchmal. Ja, einmal habe ich ihn auch dabei erwischt, dass er eine Idee geklaut hat, von einem gewissen Otto Lattwig-."

"Latierre, du Voll..." Vengor schluckte. Er hatte Güldenberg gerade als Vollidiot bezeichnen wollen, weil der den Namen dieses Franzosen nicht kannte. Doch nun musste er feststellen, wer der eigentliche Vollidiot war. So schnaubte er nur: "Mach mir diesen Mistsack ab und nimm deinen Tod hin, Heinz Güldenberg!"

"Ich, nein. Du höchstens, wegen vollen Versagens. Dein Herr und Meister lässt dich doch nur noch leben, weil er hofft, dass du mich umbringen kannst und dann noch meine Schwester Hildegard, ihre Zwillinge Konrad und Kunibert, meinen Großneffen Willibald, sowie Christie Fenwick und Milagro Bocabella. Aber du hast die Ziegelbrands nicht erwischt und Della Witherspoon hast du auch nicht rechtzeitig erwischt. Dein ganzes hirnrissiges Ritual, Verwandte von uns beiden abzumurksen ist schon weit vor dem Klo in die Hose gegangen."

"Hast du eine Ahnung", lachte Vengor. "Ich werde obsiegen, über dich und die ganze Ignipictorius-Brut. Es wird keiner übrig bleiben."

"So wie das klingt müsstest du dich dann ja selbst auch noch umbringen. Wann ist dein Geburtstag?" wollte Güldenberg wissen. Vengor fragte sich, ob der da ihn jetzt weiterverhöhnte, wo er ihm die letzten Namen auf der Liste vorgezählt hatte. Dann fiel ihm wieder auf, dass er sich in seiner Wut wieder verplappert hatte, was die Ziegelbrands und Della Witherspoon anging. Er hätte sagen müssen, dass er von diesen Leuten nichts wusste. Ja, und nicht mal Iaxathan hatte ihn rechtzeitig zurückgehalten, der sonst jeden Ansatz eines Versprechers unterband. Also stimmte das mit dem Meloblocker. Da konnte dann selbst Iaxathans Geist nicht durchdringen. Zum ersten mal in seiner unrühmlichen Laufbahn als Lord Vengor fühlte er wirkliche Todesangst. Wenn Güldenberg ihn so provozierte, dann hatte der sicher was in der Hinterhand, um ihn zu besiegen. Doch er war Vengor. Er musste diesen Schwätzer da erledigen. Aber wenn der ihn nicht aus dem Sack rausließ ...

"Weißt du, Lord Vengor - schon ein komischer Kriegsname-, eigentlich könnte ich dich jetzt locker bis zum Tag, an dem die Sonne im Westen aufgeht hängen lassen. Vielleicht verhungerst du. Vielleicht saugt das Zeug, dass dich so stark macht und das du nur durch Massenmorde herstellen kannst genug Kraft aus der Dunkelheit, um dich nicht verrecken zu lassen. Aber ich bin Zaubereiminister und muss an die Menschen denken, die mir ihr Vertrauen ausgesprochen haben. Deshalb muss ich dich leider rauslassen und es mit dir ausfechten, ob du oder ich von diesem Ort weggehen können."

"Das ist doch keine Frage, wer das sein wird, du Dummschwätzer."

"Das sag mal nicht. Aber sei es. Ich will es jetzt hinter mich bringen, bevor deine Kumpanen mein Ministerium zerlegen und alle braven Leute da im Vorbeigehen abschlachten, nur weil du dich nicht mehr gemeldet hast."

"Ach ja, und wenn du es gegen alle meine Vorbereitungen schaffen solltest, mich zu töten?" fragte Vengor verächtlich.

"Gehe ich davon aus, dass deine Anhänger ähnlich wie bei deinem psychopathischen Vorbild Riddle sehen, dass ihr Herr und Meister erledigt ist und es sich nicht lohnt, weiter für ihn zu morden. Schließlich hast du die ja als dein Eigentum abgestempelt, wie ich sehr genau weiß."

"Gut, du Bastard! Mach den Sack auf und grüße deine ganzen Vorfahren von mir, Lord Vengor, und dass ich alle aus ihrer verfluchten Blutlinie erledigen werde, bis keiner mehr da ist."

"Außer dir", sagte Güldenbergs Stimme. Dann fühlte Vengor, wie sich der grüne Sack auflöste. Er zerfiel einfach zu staub. Wie ging denn sowas an? Doch Vengor wollte nicht darüber nachdenken. Er hatte schon zu viel Zeit vertan und auch zu viel verraten.

Heinrich Güldenberg stand vor einem Stuhl, wie die im Konferenzraum. Sie beide standen in einer weitläufigen Säulenhalle. Die Säulen waren so dick wie mittelgroße Bäume, und die Decke befand sich mindestens zwölf Meter über ihnen. Unter der Decke strahlten tausende von Kristallsphären und warfen ein gleichmäßiges Licht an Wände und boden. Nicht ein winziges Stück Schatten war zu erkennen, so gut wurde das Licht verteilt.

Vengor hob den Zauberstab. Güldenberg hielt seinen noch nach unten gerichtet. "Hallo, wir werden doch die internationalen Duellregeln einhalten, Eure Lordschaft", sagte Güldenberg dreist. Vengor sah neben ihm auf einem Stuhl Hagen Wallenkron sitzen, geschockt. Da war Vengor klar, dass Güldenberg den eigenen Neffen im Verdacht hatte. Doch der würde gleich seine größte Überraschung erleben. Denn Vengor war eine Idee gekommen.

"Du willst wissen, wer ich bin? Gut, bevor ich dich mit einem einzigen Zauber durch diese verdammte Kathedrale oder was das ist blase, zeige ich dir mein Gesicht. Doch wer es sieht, Freund oder Feind, stirbt keinen Augenblick später. Ich habe keine Lust, mit dir zu spielen, Heinz Güldenberg. Ich will nur deinen Tod. Wenn du meinen willst verzichte auf die Ehre, mein Antlitz zu sehen zu kriegen."

"Ich bin immer ein sehr neugieriger Mensch gewesen. Also, zeige dein Gesicht ruhig, damit ich nicht dumm sterbe. Außerdem kann es dein Aussehen nur aufwerten."

"Immer noch ein großes Maul. Aber gleich liegst du zerbröselt an der Wand dahinten", schnaubte Vengor.

Mit einer Hand machte er sich an seinem Hals zu schaffen. Güldenberg hielt den Zauberstab noch immer nach unten gerichtet, als wolle er bloß nicht provozieren. Dann löste sich der grüne Schlangenkopf vom Hals und schrumpfte zu einem grünen Tuch auf dem Kopf dessen, der Lord Vengor war. Güldenberg sah das wahre Gesicht seines Feindes und riss sofort den Zauberstab hoch. Kein Hauch von Erstaunen oder gar Schrecken lag in seinen Augen. Das irritierte den sich gerade ohne Maske zeigenden Massenmörder. So war er auf den Episkiye-Zauber, der ihn voll im Gesicht traf, nicht vorbereitet. Schlagartig schwoll seine Nase zu einer wild pochenden roten Knollenase an. Doch dann hatte er sich wieder gefasst und zielte so, dass er Güldenberg und den auf dem Stuhl sitzenden Wallenkron mit einem Fächer erwischen konnte und stieß aus: "Avada Nkedavrna!" Doch offenbar hatte der Nasentreffer seine Aussprache zu heftig verändert. Denn an statt eines weißgrünen Fächers jagte eine Kaskade von blauen und grünen Blitzen aus dem Zauberstab und verfing sich laut krachend in einem unsichtbaren Schild, den Güldenberg um sich errichtet hielt. "Faciefrago!" zischte er, mit einer schnellen Zauberstabbewegung gegen das eigene Gesicht. Doch da fing er sich einen Vesicccalma-Zauber im Schritt ein und fühlte, wie ihm die Blase förmlich zu platzen drohte. Doch seine Nase war jetzt wieder wie sie sollte und so rief er über den pochenden Schmerz im Unterleib hinweg: "Avada Kedavra!" Diesmal fauchte der gefürchtete weißgrüne Fächer aus dem Zauberstab und erwischte sowohl den zum nächsten Zauber ansetzenden Güldenberg sowie dessen Neffen mit einem Schlag. Beide wurden nach hinten fortgeschleudert, erlitten aber sonst keine Verletzungen. Vengor lachte, als er sah, wie beide zu tötenden Feinde mit ungesund verrenkten Gliedmaßen zehn Meter von ihm entfernt aufschlugen. Er lachte laut und mit eigener Stimme. Die Euphorie über diesen doch noch gelungenen Schlag hätte sicher eine Zeit vorgehalten, wenn in dem Augenblick, wo Güldenbergs Leiche auf dem Boden landete, nicht ein immer stärkeres Beben den Boden erschüttert hätte. Da erkannte er, dass er besser diesen Ort verlassen sollte. Ganz sicher hatte Güldenberg einen Zauber auf seinen Herzschlag abgestimmt. So zog er sich blitzschnell wieder die Vollmaske über den Kopf und versuchte zu disapparieren. Das Gelang jedoch nicht. Da verfiel er auf die Idee, eine schwarz-blau flackernde Aura um sich zu erschaffen. Als diese sich bis auf zwei Meter ausgedehnt hatte versuchte er es noch einmal. Jetzt gelang es. Er verschwand aus der nun dumpf grollend erzitternden Höhle, um an einem nur ihm bekannten und gewünschten Ort wieder aufzutauchen.

"Geschafft, ich habe weitere zwei auf einen Streich erledigt!" rief er. Dann teilte er den leichten Sieg seinen Kumpanen mit. Einer von denen berichtete, dass Güldenberg eine Botschaft geschickt habe, dass er sich für zwei Monate verstecken müsse, um seine Angehörigen nicht zu gefährden. Vengor lachte darüber. "Dann feiern die jetzt den Geburtstag eines Toten. Wie herrlich ist das?"

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Büro von Belle Grandchapeau, Zaubereiministerium Paris


eine Viertelstunde nach Vengors Überfall auf Zaubereiminister Güldenberg

Belle Grandchapeau hatte Julius Latierre zu ihrer Unterredung mit den deutschen Kolleginnen Albertine Steinbeißer und Bärbel Weizengold hinzugebeten, weil es dabei nicht nur um die Verständigung zwischen dem deutschen und französischen Büro für friedliche Koexistenz von Menschen mit und ohne Magie ging, sondern auch um die mögliche Ausweitung von Julius' Kompetenz als Veelabeauftragter. Denn Léto und der Ältestenrat der Veela hatten ihn ja zum Fürsprecher für Gesamteuropa erwählt. Außerdem kannte er Bärbel Weizengold vom trimagischen Turnier in Beauxbatons. Zwar konnte Julius kein Deutsch. Dafür konnte Albertine Englisch und Französisch und Bärbel konnte sowieso Französisch. Julius hatte gerade erfahren, dass in der Region Sachsen ein muggelstämmiger Zauberer eine polnische Halbveela heiraten wolle und damit die erste veelastämmige Hexe auf deutschem Boden verzeichnet werden würde, als sich in eines der in Belles Büro aushängenden Zaubererbilder eine in sehr freudiger Erwartung gemalte Hexe hineindrängte und den in seinem Sessel schnarchenden Zauberer Gerome Grandchapeau, Belles Urgroßvater väterlicherseits, bei Seite schob, was diesem hörbar missfiel. Der brummte unwirsch, dass "die dicke Hexe" aus seinem Bild verschwinden solle. Da legte sie ihm keck die Hand auf den Mund und bat auf Französisch um Verzeihung für die Störung. Dann sagte sie was auf Deutsch, was wohl nur für die beiden Besucherinnen gedacht war. Als diese sehr betroffen dreinschauten fragte Belle, was vorgefallen sei. Albertine Steinbeißer übersetzte dann, was im deutschen Zaubereiministerium vorgefallen war und dass sie dort nun erst einmal den Belagerungszustand verhängt hatten. Wer draußen war kam jetzt nicht mehr rein, und alle anderen waren in Bereitschaft, im Notfall aus dem Ministerium zu verschwinden. Bärbel nickte und ergänzte, dass ihr eigener Vater und Vorgesetzter in Personalunion beinahe Opfer dieses Angriffs geworden wäre.

"Das bedauere ich", sagte Belle aufrichtig. Julius nickte beipflichtend. Dann meinte Belle: "Aber warum nicht aus der Notlage das beste herausholen, die Damen. So können wir die noch nicht ganz ausgearbeiteten Punkte in Ruhe und mit aller gebotenen Gründlichkeit beraten und beschließen. Immerhin erteilte Ihr Vorgesetzter Ihnen beiden ja Handlungsvollmacht für die zu verhandelnden Punkte. Sicher besteht dann auch die Möglichkeit, sich von Monsieur Latierre weitere Einzelheiten über seine Arbeit als Veelabeauftragter für Frankreich aufklären zu lassen und den Status, den die Veelas ihm verliehen, entsprechend auf Ihr Heimatland anzuwenden."

"Das ist eine wohl sehr kluge Lösung", sagte Albertine Steinbeißer und zwinkerte mit dem rechten Auge Bärbel und mit dem linken Auge Belle zu. "Für solche Fälle führe ich immer Goldanweisungsvollmachten des Handelsabteilungsleiters mit mir, Muggel würden das als Reiseschecks oder übertragbare Staatsanleihen bezeichnen. Wir können in jeder Herberge übernachten, egal wie teuer die Zimmermieten sind."

"Das stimmt mich beruhigt", erwiderte Belle, die wohl schon damit gerechnet hatte, die Unterbringung der beiden Besucherinnen regeln zu müssen. Dann sah sie die immer noch in Gerome Grandchapeaus Bild stehende Hexe an und fragte diese, ob noch was sei.

"Ich will nur wissen, wo meine Urenkeltochter unterkommen wird, damit ich meinem Enkelsohn entsprechende Nachricht überbringen kann. Bitte klären Sie das so schnell es geht, bevor mir vom herumstehen die Beine noch mehr anschwellen als sie schon sind! Dieser Rohling dort hat ja die Pflichten eines Herren vergessen.""

"Sauerkrautfass, dein Original hätte dich nicht mit einem Riesenbraten im Ofen malen lassen sollen, dann könntest du locker ein paar Minuten stehen", knurrte Gerome Grandchapeau. "

"Froschfresser", drang es dumpf und tief aus dem Bild, wobei nicht zu erkennen war, wer das sagte.

"Moment mal, wer war das?!" brüllte Gerome und sprang auf. Das nutzte die gemalte Hexe im altmodisch wirkenden Umstandskostüm und warf sich in den Ohrensessel. "Ach, danke, ist ja doch noch ein Ehrenmann", lachte sie und tätschelte sich den auf dem Bild nur kugelrund ausgeprägten Bauch." Gerome holte mit der rechten Hand aus, ließ diese aber dann sinken, stampfte mit dem Fuß und wandte sich ab, um mit weit ausgreifenden Schritten zum rechten Rahmen zu gehen. Er verschwand aus dem Bild.

Um die unpassend komische Lage nicht unnötig in die Länge zu ziehen bat Belle Albertine Steinbeißer, die Frage der Unterbringung der nächsten Tage zu klären, damit die gemalte Besucherin ihren Auftrag erfüllen konnte.

Bärbel legte die überbrachte Botschaft so aus, dass sie in Millemerveilles unterkommen sollte, weil der Ort für Schwarzmagier unbetretbar war. Albertine zwinkerte sie merkwürdig keck an und fragte, ob eine gemeinsame Unterbringung nicht kostengünstigger sei. Bärbel erwiederte darauf ganz ruhig, dass ihr Vater sicher den Finanz- und Handelsabteilungsleiter dazu beknien würde, zwei komfortable Unterbringungen für die nächsten Tage zu genehmigen. Dann fragte sie Julius, wie teuer die Zimmer im Chapeau du Magicien nach der Quidditchweltmeisterschaft noch seien. Er verwies sie an den Wirt der Herberge. Albertine wollte jedoch in Paris übernachten, weil sie das Paris der Muggel noch nicht kannte und daher aus der Notlage eine nutzbringende Lernbetätigung machen wollte. Bärbel zuckte da nur mit ihren Schultern. Julius kapierte es nicht, was die beiden deutschen Hexen umtrieb. Belle hingegen schien die Lage zu überschauen. Sie sagte: "Nun, auch wenn ich sagen muss, dass die Zimmerpreise in Paris dreimal so hoch sind wie die außerhalb großer Ereignisse oder Feierlichkeiten angesetzten Preise in Millemerveilles, verstehe ich Mademoiselle Steinbeißer, dass sie unsere vielschichtige Hauptstadt gerne eingehender erkunden möchte. Abgesehen davon hält Madame Deroubin im Sternenhaus immer Zimmer aller Preisklassen für Gäste des Ministeriums vor. Seit dem unrühmlichen Vorfall von vor zwanzig Jahren sind die Sicherheitsvorkehrungen dort ähnlich hoch wie im Ministerium selbst oder in Institutionen wie Greifennest oder Beauxbatons."

"Das Sternenhaus? Ja, ich bin einverstanden", sagte Albertine Steinbeißer. Bärbel blieb bei ihrem Wunsch, in Millemerveilles Quartier zu nehmen. Julius bot ihr an, ihr dabei zu helfen. Belle erlaubte es, dass er mit ihr ihren Flohnetzanschluss benutzte. Das genügte der gemalten Hexe mit Umstandsbauch, ihren Auftrag als erledigt anzusehen und nach einem kurzen Abschiedsgruß das Bild Geromes wieder zu verlassen.

"Öhm, Ihr gemalter Vorfahre kann jetzt wieder zurückkehren", meinte Julius zu Belle. Diese nickte und erwiderte: "Der wird wohl im Bild mit der altrömischen Tawerne sein, das in unserem Speisesaal aushängt."

Den Rest des Tages sprachen sie über die genaueren Formulierungen der Übereinkommen, die Albertine und Bärbel eigentlich an nur einem Tag vorverhandeln und von ihrem Vorgesetzten befürworten oder ablehnen lassen wollten. Am Ende hatten sie einen dreisprachigen Vertragsentwurf fertig, den Belle und Albertine unterschrieben und Julius im Feld "Veelabevollmächtigter" unterschrieb. Damit stand fest, dass Julius in den nächsten Tagen mit Létos Nichte, deren Tochter die besagte Halbveela aus Polen war, sprechen sollte, um sich vorzustellen.

Julius begleitete Bärbel in das Gasthaus von Millemerveilles, wo Monsieur Renard gerade mit drei älteren Hexen, die vom Aussehen her Drillingsschwestern waren, über irgendwas sehr hitzig debattierte. Caroline, die einzige Tochter des Wirtes, bediente die Gäste und trug ein wohl eher berufsmäßiges als von Herzen kommendes Lächeln zur Schau. "Ui, das Fräulein Weizengold. Urlaub oder Dienstreise?"

"Dienstreise, Mademoiselle Renard. Ich wurde von meinem Vorgesetzten beauftragt, gewisse Unterhandlungen zu führen, deren Ende noch nicht abzusehen ist. Deshalb möchte ich hier Quartier beziehen, um die Ruhe und den Frieden dieses Ortes zu genießen."

"Oh, für Dienstreisende ist mein Vater und Arbeitgeber zuständig. Aber der muss noch eine sehr wichtige Sache klären, wobei ich denke, dass das noch dauern wird", wisperte Caroline, während eine der Drillingsschwestern gerade sehr ungehalten sagte: "Es ist nun einmal so wie es ist. Am besten findest du dich mit dieser Tatsache ab und regelst das."

"Nicht so laut, muss keiner wissen", knurrte Carolines Vater und deutete auf die Tür zum Hinterzimmer. "Ach, er möchte uns ein Angebot machen, Schwestern", feixte die eine, die gerade was gesagt hatte. Die zwei anderen lachten lauthals. Julius musste an Märchen von echt bösen Hexen denken, als er das Lachen hörte. "Vergesst es. Nur an einen runden Tisch geht immer noch einer dran", stieß Carolines Vater ungeachtet der fünf Gäste und seiner Tochter aus. Dann sah er die eingetroffene Besucherin. "Caro, bring der jungen Dame was sie trinken oder essen möchte. Die ersten zwei Getränke gehen auf's Haus!"

"Alles klar, Papa", sagte Caro Renard und deutete auf einen kleinen runden Tisch. Bärbel fragte Julius, ob er schon zu Hause erwartet werde. Er sagte: "Ja, auch von drei Hexen."

"Gut, dann grüß die drei mal bitte von mir. Wenn ich offiziell Freizeit habe frage ich offiziell an, ob ich euch mal besuchen darf, um mir die ganz kleine Hexe anzusehen."

"Gebe ich weiter", sagte Julius. Dann fragte er Bärbel so leise er konnte: "Was war das da vorhin zwischen dir und deiner Kollegin. Habt ihr Streit oder hat sie dir was getan?"

"Würde der so gefallen", grummelte Bärbel. "Aber lassen wir das besser. Muss hier in Millemerveilles nicht rumgehen, warum ich lieber weit genug von der weg bin."

"Gut, deine Sache. 'tschuldigung für meine Neugier", sagte Julius.

Bei sich zu Hause erzählte er seiner Frau von seinem Arbeitstag und auch von der gemalten schwangeren Hexe. Millie grinste darüber und sagte: "Hat mir Bärbel erzählt, dass ihre Ururoma sich im achten Monat mit ihrem Urgroßvater väterlicherseits hat malen lassen. Die ist sozusagen die Viviane Eauvive der Weizengolds mit zwanzig Bildern in aller Welt. Es heißt auch, dass der mit ihr gemalte Berthold Weizengold sich durch einen entsprechenden Mitlernzauber geistig mit seinem Original weiterentwickelt hat, eben nur, dass er nie geboren werden kann, weil Bild-Ichs körperlich immer gleichalt bleiben."

"Verstehe, woher dann das Schimpfwort kam, was Belles Urgroßvater aus dem Sessel katapultiert hat", grinste Julius.

"Soso, dann müssen die im deutschen Zaubereiministerium jetzt erst mal aufpassen, dass die nicht von Vengors Leuten überrannt werden", seufzte Millie. Julius nickte. Dann sagte sie noch: "Im Übrigen bleiben wir weiter zu viert, wenn wir nicht im nächsten Monat wen neues dazurufen." Julius nickte. Auch wenn er es ruhig angehen lassen wollte lag auf ihm der gewisse Druck Ashtarias, sein Erbe vollständig anzutreten. "

"Wenn Bärbel schon in Millemerveilles ist kann sie gerne morgen nach Dienstschluss mit dir zu uns rüberkommen. Oder darf sie keine Leute besuchen?"

"Hat sie nichts von gesagt, dass sie das nicht darf", sagte Julius. Somit war es abgemacht, dass Bärbel morgen nach Dienstschluss die Latierres besuchen sollte.

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Im Versteck der Sektion Blauer Mond unter dem Fichtelgebirge


21. September 2002, 09:00 Uhr Ortszeit

"Wie geht das. Ich verbrenne mir jedesmal das Maul, wenn ich sie beiße, und ihre Haut heilt sofort wieder", schnaubte Mondtänzerin, als sie ihren Gefährten und Mondbruder Nachtsänger im schalldichten Raum traf. Die Gefangene lag immer noch nebenan mit Händen und Füßen gefesselt in einem gepolsterten Liegestuhl.

"Es hat sich also nicht verflüchtigt, meine kleine Tanzfee?" wollte Nachtsänger wissen. Seine hochgewachsene, goldblonde Gefährtin unter dem Mond schüttelte den Kopf. "Man könnte meinen, jemand hätte der Mondsteinsilberpulver ins Blut gespritzt. Und es geht nicht mal eben weg."

"Verdammt, dann haben diese Hutzelhexen echt was gefunden, um ihre Mitschwestern gegen uns immun zu machen, vielleicht einen Trank oder wahrhaftig eingespritztes Mondsteinsilber. Aber dann dürfte sich die Haut nicht so schnell heilen, wie du's beschrieben hast. Außerdem wird die sicher schon vermisst, von denen dieser Firma, die ihr ein Interview geben sollten und von denen aus dem Zaubereiministerium in Berlin und sicher auch ihrer großen Anführerin. Aber du kennst Luneras Befehl: Sie muss eerst eine von uns sein, bevor wir sie zu dieser verfluchten Schwesternschaft ausfragen dürfen. Nachher ist in der noch was, dass sie und uns tötet, sobald wir versuchen, an Sachen zu rühren, die sie nicht verraten darf. Nur unser erhabener Zustand kann das vielleicht aufheben.""

"Dann pflanz du ihr unsere Daseinssaat ein. Ich habe immer noch Schmerzen im Rachenraum, weil ihr verseuchtes Blut mir fast alles weggebrannt hat."

"Wenn die mit diesen armseligen Hohlnadeleinspritzern der Muggel hantieren tun wir das auch. Ich zapf dir Blut und Spucke ab und jag ihr das über so eine Hohlnadel in die Vene. Entweder explodiert oder zerschmilzt die dann, oder die wird eine von uns", knurrte Nachtsänger.

"Eh, ihr verflohten Mondheuler, diese Reisewindel ist sicher bald voll. Am besten lasst ihr mich laufen, bevor ich euch eure verseuchten Nasen vollstinke!" rief die Gefangene aus dem Nebenraum.

"Ich bring das Weib um", knurrte Mondtänzerin.

"Und nimmst uns damit die Möglichkeit, uns für die Entführung von Schwester Juanita zu rächen? Neh, die kriegen wir schon auf unsere Seite. Die Gedankensprechsperre verhindert, dass die ihre große Anführerin rufen kann und ..." Da bebte die Erde. "Häh? Erdbeben?" schnaubte Nachtsänger. Mondtänzerin erstarrte vor Angst. Denn sie fühlte, dass der Erdstoß nicht natürlichen Ursprungs war. Sie hatte sich immer schon mit Elementarzaubern befasst und dabei ein Gespür für solche ausgebildet.

"Das ist kein natürliches Erdbeben. Das ist ein Angriff", sagte sie. Im nächsten Moment erschütterte ein wesentlich heftigerer Erdstoß das geheime Versteck der Sektion blauer Mond, die zur Mondbruderschaft Luneras gehörte und deutschsprachige Lykanthropen vereinte.

"Das kann nicht sein. Der grüne Aal hat uns jeden noch so gut getarnten Verfolger vom Hals geschafft und unser Versteck ist durch gute Unortbarkeitszauber geschützt und ...", sagte Nachtsänger, als unvermittelt die große Glocke läutete, die unerwünschte Eingestaltler verkündete. "Die können hier auch nicht reinapparieren oder reinportschlüsseln", knurrte er. Doch der Alarm war unüberhörbar. Und als seine hochempfindlichen Ohren nun wildes rufen, krachen und Zischen hörten wusste er, dass die Schutzzauber versagt haben mussten. Er hörte seine Kameraden laut lachen, als irgendwer versuchte, ihnen wohl silberne Pfeile oder Klingen in die Körper zu rammen. Doch dann lachte keiner mehr, als eine tiefe Frauenstimme einen Singsang anstimmte, der in alle, die ihn hörten, Angst und Hoffnungslosigkeit hineintrieb und zur sofortigen Flucht drängte.

"Nein, wir müssen raus hier! Raus hier!" rief Nachtsänger und jagte an seiner Gefährtin vorbei. Diese fühlte auch diese Angst und Bedrohung. Doch sie wusste, dass jede Flucht ins Verderben führen musste. Denn sie hatte durchaus mitbekommen, was damals mit Rabioso passiert war. Immerhin war es in allen Ministerien herumgegangen, dass die widerliche Spinnenhexe mit einem dunklen Zauberlied Rabioso und sein Gefolge aus dem fidelius-bezauberten Versteck hinausgetrieben hatte. Sie musste sich wehren. Doch da hörte sie schon weiter draußen vor der Höhle lautes Fauchen und langgezogene Schreie.

Nachtsänger jagte durch die Tür und wurde von einem rot-grünen Leuchten erwischt, das ihn schlagartig erstarren ließ. Dann stand sie im Türrahmen.

Mondtänzerin hatte die Feindin bisher nicht gesehen. Doch der Anblick der makellos schönen Frau im scharlachroten, ihre Figur konturgenau nachzeichnendem Kostüm ließ sie einen Moment auf der Stelle stehen. Die Gegnerin hielt in der rechten Hand einen silbergrauen Zauberstab. Ihr dunkelblondes Haar wehte ungebändigt bis auf ihre Schultern herab. "Euch zwei nehme ich mit und verhöre euch. Der blaue Mond, dem ihr angehört, geht gleich unter und wird nicht wieder aufgehen", sagte die ungebetene Besucherin. Mondtänzerin nutzte den letzten Ausweg, der ihr blieb. Sie wünschte, sich zu verwandeln. "Das bringt dir genausoviel wie deine Versuche, meine wertvolle Mitschwester mit deinem widerlichen Keim anzustecken, Straßenhündin." Doch Mondtänzerin wollte nicht hören. Sie verwandelte sich in eine rotbraune Wölfin, allerdings mit strahlendblauen Augen. Dann sprang sie vor. Die andere ließ sie kommen, ja ließ es zu, dass sie ihr ihre gefährlichen Reißzähne in den bloßen Unterarm grub, um gleich darauf wie von einem Blitz getroffen zurückzuzucken und mit qualmendem Maul schmerzhaft zu heulen. Zwar hatte sie der anderen eine Wunde geschlagen. Doch diese schloss sich innerhalb von zwei Sekunden und verheilte ohne jede Narbenbildung. "Wer schon einen mächtigen Keim der Verwandlung in sich trägt kann nicht noch mal verwandelt werden, Straßenhündin", lachte Anthelia/Naaneavargia. "Aber mit Zaubern geht das bei solchen Kötern wie euch noch." Dann vollführte sie eine schnelle Abfolge von Zauberstabbewegungen. In einem violetten Blitz verschwand die rote Wölfin und wurde zum Nadelkissen. Der immer noch gebannte Nachtsänger, der noch seine menschliche Gestalt behalten hatte, schrumpfte in einem zweiten Blitz zu einem Fingerhut zusammen.

"Die zwei Quartierhüter gesichert, der Rest kann erlegt werden!" rief Anthelia mit magisch verstärkter Stimme. Dann nahm sie die beiden Verwandelten an sich und ging in den Nebenraum. Mit einer lässigen Zauberstabbewegung ließ sie die Fesseln um die füllig aussehende Regina Hudson verschwinden. "Ich habe schon befürchtet, ich müsste noch Wochen hier rumliegen und diese konservierte Hühner- und Rindfleischsuppe weiter eingetrichtert kriegen, weil die es nicht einsahen, dass deine Leihgabe mich immun gemacht hat."

"Ja, zum Preis, dass du dich bis zu meiner und deiner nächsten Menstruation nicht mehr in was anderes verwandeln kannst als das, was ich aus dir gemacht habe", sagte Anthelia. "Der Blutsegen der Erdvertrauten zusammen mit meiner besonderen Natur haben dich geschützt. Aber das geht vorbei."

Von draußen drangen Zauberwörter und das Zischen, Krachen und Sirren davon entfachter Flüche zu ihnen herein. "Ich bringe dich wieder zurück. Die Leute, die du treffen solltest wurden von denen aus dem Ministerium gedächtnismodifiziert. Schwester Albertine geht's gut. Sie konnte der gemeinen Abwehrvorrichtung entgehen. Dafür haben die im deutschen Ministerium jetzt Ausnahmezustand, weil dieser grünmaskierte Nachahmungstäter mit dem Unlichtkristall im Körper versucht hat, den Minister zu töten. Angeblich ist er dabei gefangengenommen worden, und die warten jetzt drauf, ob seine Gefolgschaft ihr hohes Haus stürmt, um ihn zu befreien. Also sehen wir besser zu, mit unseren Gefangenen das Land zu verlassen."

"Dann tun wir das besser. Deine Gabe war schon heftig genug", sagte die Hexe, die sich bei den Magielosen Regina Hudson nannte. Anthelia nickte und ergriff sie bei der Hand. "Da du im Moment von meinem Blut durchdrungen wirst kann ich dich auf meine Weise mitnehmen." Die andere nickte. Sie wollte nicht mehr daran denken, wie genau Anthelia ihr einen Teil ihres Blutes verabreicht hatte, und dass sie schon fürchtete, selbst zu einer schwarzen Spinne zu werden. Anthelia fing diese Gedanken auf und grinste: "Du wärest sicher etwas anderes geworden, wenn du meine Natur vollständig angenommen hättest", sagte sie. Dann vollführte sie mit ihrer Mitschwester einen Zauber, der sie schlagartig im Erdboden versinken ließ.

Für Regina Hudson alias Romina Hamton war die Reise durch die feste Erde ein außergewöhnliches Erlebnis. Denn es war nicht einfach dunkel um sie, sondern schimmerte in Farben wie Grau, Rot, Blau und Violett, je danach, durch welche Art von Gestein sie gerade mit der im Boden möglichen Schallgeschwindigkeit dahinrasten. Erst als es im Hui wieder nach oben ging und sie wortwörtlich aus dem Boden geschossen neben einem stattlichen Eichenbaum wieder ans Tageslicht kamen erkannte Romina, dass sie wohl eine gute Strecke zurückgelegt hatten.

"Unsere Schwestern beseitigen gerade den von mir ans Licht gescheuchten Hauptteil dieser deutschen Mondheuler. Den rest kriegen wir, wenn die zwei uns verraten, wer alles dazugehört und ob sie wissen, was Lunera jetzt vorhat, wo sie offenbar beschlossen hat, sich in der Welt zurückzumelden."

"Öhm, und mir passiert nichts weiteres als das, was du mir erzählt hast, höchste Schwester?" wollte Romina wissen.

"Nicht wenn du meinst, du müsstest dich noch über etwas oder jemanden erregen oder dich in eine herrliche, aber für dich im Moment ungünstige Leidenschaft hineinsteigern. Ich möchte nicht ausschließen, dass du dann zum teil oder vollständig die Gestalt jenes Tieres annnimmst, das deinem inneren Wesen am ehesten entspricht. Ob du dann noch mal zurückverwandelt werden kannst weiß ich nicht. Ich habe diesen Zauber bisher noch nie in meiner neuen Körperform ausgeführt und ihn damals auch nur angewendet, als ich noch nicht von der Kraft erfüllt war, die mich zwischen Frau und Spinne wechseln lässt."

"Nein danke, seitdem ich weiß, dass ich als innere Tiergestalt eine Feldhäsin habe lege ich es nicht darauf an, eine riesenhafte Ausgabe davon zu werden, selbst wenn ich dann genauso gegen alles magische oder giftige immun sein sollte wie du."

"Das dachte ich mir", sagte Anthelia lächelnd. Dann konzentrierte sie sich auf die erste von sieben Relaisschwestern, die Albertine eine mentiloquierte Botschaft übermitteln sollten, dass das Versteck der Werwölfe ausgehoben worden war. Dass Rominas Eltern wohl auch zu diesen unheilbar kranken Wesen gemacht worden waren konnte sich Romina schon denken. Wie sollte Anthelia mit diesen verfahren, wo es im Grunde auch ihre Schuld war, dass sie in diese Lage geraten waren?

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Im Apfelhaus der Familie Latierre in Millemerveilles


21. September 2002, 19:00 Uhr Ortszeit

Julius hatte die Gunst der Lage genutzt, Bärbel bei Léto, der Matriarchin der französischen Veelastämmigen, vorzustellen. Diese hatte dann mit ihrer Schwester im Grenzland zwischen Polen und Deutschland gesungen, was die bei Veelas übliche Form der magischen Fernverständigung war. So konnte Bärbel, wenn sie nach der Aufhebung des Belagerungszustandes nach Berlin zurückkehren durfte, ein pralles Paket an Beschlüssen und Terminen vorweisen.

Albertine Steinbeißer hatte derweil mit Belles Unterstützung mit Martha Merryweather telefoniert, um die Abstimmung zwischen dem deutschsprachigen und dem englischen und französischen Arkanet zu verbessern, vor allem, welche Hardwarekomponenten es zu beschaffen galt, um die Übertragungsraten und Speichergrößen zu erhöhen, weil Albertine dazu nicht genug wusste, um einen genauen Anforderungskatalog zu formulieren. Was sie außerhalb der Dienstzeiten tat bekam Julius nicht mit, nur das Bärbel kaum dass sie im Apfelhaus angekommen war meinte: "Mein Chef und Erzeuger hätte mich besser mit Herrn Zwibelwurz losschicken sollen. Weil das bei uns im Ministerium schon zweimal rum ist und nicht auf einer S- oder G-Stufe festgelegt wurde sage ich nur, dass ich froh bin, dass ich zwischen dieser Kesselschlürferin und mir abends mindestens drei Türen zumachen kann. Auch wenn du, Julius jetzt finden könntest, ich sei gemein zu einer Kollegin, ich fühle mich bei der manchmal wie eine, die nicht weiß, ob sie Jagdbeute oder Dekoration sein soll. Ja, und mein Chef und Erzeuger hat mich diesbezüglich auch schon angewiesen, nicht auf zu private Sachen einzugehen."

"Moment, der Begriff ist mir noch neu", sagte Julius. Millie meinte dazu verschmitzt, dass er eben zu gut behütet aufgewachsen sei und sie ihm zum nächsten Geburtstag besser noch ein Standardwörterbuch französischer und englischer Schimpfwörter aus der Zaubererwelt schenken sollte, da Weihnachten für so ein Geschenk doch zu erhaben sei.

"Ich verstehe aber was Bärbel sagt, auch wenn ich gelernt habe, dass jedem Menschen das Recht zusteht, sein oder ihr Leben nach eigenen Wünschen und Bedürfnissen zu leben, solange damit nicht Wünsche und Bedürfnisse seiner Mitmenschen beeinträchtigt werden, von wegen Einvernehmlichkeit, Toleranz und Akzeptanz."

"Ja, genau, und ich fühle mich manchmal von der werten Außeneinsatzheldin so angeguckt, als wären der meine Bedürfnisse unwichtig. Da muss ich echt aufpassen, da noch ruhig und tolerant zu sein", sagte Bärbel. Julius nickte nur. Mehr dazu zu sagen stand ihm eigentlich nicht zu. Millie hingegen meinte noch:

"Solange deine Kollegin dich nicht offen einfordert oder umwirbt lass ihr ihren Frieden!"

"Ist wohl besser", sagte Bärbel.

Nach dem Abendessen führte Julius Bärbel noch seine Muggelweltausrüstung im Fliegenpilzschuppen vor. Bärbel verstand, was Julius am Internet so faszinierte, aber auch Besorgnis erregte. Gegen elf Uhr kehrte Bärbel ins Gasthaus zurück.

"Nicht einfach, sich immer wieder dran zu erinnern, wie unterschiedlich Leute sein können", sagte Julius zu Millie, als sie im Bett lagen und Chrysope gerade in ihrer Wiege weiterschlummerte.

"Sagen wir's so, Monju, du musstest lernen, dass nicht jeder damit leben kann, dass du zaubern kannst. Ich musste damit zu leben lernen, dass meine Familie sehr Vermehrungsfreudig rüberkommt. Ich habe das dann auch noch voll ausgereizt. Nur wenn jemand nicht will, dass seine oder ihre Vorlieben zum Thema am Arbeitsplatz werden, ist es an ihm oder ihr, sich entsprechend zurückzuhalten oder es knallhart und offen klarzustellen, dass er oder sie deshalb kein schlechterer Mensch ist."

"Nichts fragen, nichts sagen, Mamille? So läuft das bei den US-Soldaten. Und wir haben ja beide auch gedacht, Laurentine wäre voll in Claire verliebt gewesen."

"Und Belisama hat diese Szene mit den Traumfladen auch fast vom Besen gehauen. Wie nannte deine Mutter die Zaubererwelt? Das Weltdorf Zaubererwelt. Da ist es noch schwerer, Sachen von sich zurückzuhalten oder offen auszuleben. Vielleicht ist es für Bärbel das Problem, dass ihr Vater gleichzeitig ihr Vorgesetzter ist, der einfach beschließen kann, mit wem sie unterwegs ist. Vielleicht wollte der auch nicht, dass Bärbel mit einem Zauberer herumreist und hat ihr die zugeteilt, von der sie nichts will und die ihr nicht mal so ungefragt ein Kind in den Bauch stupsen kann. Aber das ist nur meine ganz ganz eigene Ansicht, also bitte bitte psst, Monju!"

"Geht klar, weil es ja auch eben nicht meine Sache ist, da was zu abzulassen, Mamille", bestätigte Julius. Allerdings fragte er sich schon, wie er reagieren würde, wenn jemand wie Apollo oder Fredo ihm nachgestellt hätte oder umgekehrt, wenn er rausgefunden hätte, dass er auf Jungen oder Männer stand? Gut, die Frage musste er jetzt auch nicht mehr stellen.

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In der Daggers-Villa bei Dropout, Mississippi, USA


22. September, 03:00 Uhr Ortszeit

"Es ist verdammt nett von euch, dass ihr mir genug Blut gegeben habt, um die Wirkung des Lykonemisis-Trankes nachzuvollziehen, wo man mir bis heute keine Probe vom Originaltrank gelassen hat", sagte Anthelia zu den zwei gefesselten Lykanthropen Mondtänzerin und Nachtsänger, die sich mit aller Gewalt gegen die ihre Beine und Handgelenke umschließenden Schellen stemmten. Nachtsänger versuchte immer wieder, sich zu verwandeln. Doch in dem Moment, wo er das versuchte, durchbrauste seinen Körper ein heftiger Schmerz. Die Führerin der Spinnenschwestern hatte einen altaxarroischen Zauber zum Gestaltenzwang in die Fesseln eingewirkt, der ein gefangenes Lebewesen davon abhielt, in eine fluchtfähige Gestalt überzuwechseln.

"Unsere Präsidentin wird uns finden und befreien, und dich eingestaltliche Schlampe von unseren Brüdern und Schwestern zerfleischen und auffressen lassen", drohte Nachtsänger. Mondtänzerin fauchte nur, dass ihr Verschwinden blutig gerächt würde.

"Moment mal, Straßenhündin, wenn sich hier irgendwer zu rächen hat sind das meine Schwesternund ich, weil ihr eine der unseren entführt habt, um sie mit eurer Pest anzustecken. Und was habt ihr mit ihren Eltern gemacht? Ihr habt ihnen euren widerlichen Bazillus ins Blut getrieben, um sie eurer Präsidentin gefügig zu machen. Also könnte ich jetzt sagen, die soll nur kommen. Übrigens, nette kleine Stöpsel, die ihr Weibchen euch unten reingestopft habt, um das Apparieren von keimfreien Leuten abzuwehren. Auch da kann ich jetzt wunderbar mit experimentieren, um was dagegen machen zu können. Und abgesehen davon, dass ihr hier an einem Fidelius-Ort seid, den nur ich verraten kann, hätte ich keine Probleme, alle Feinde mit einem Schlag zu vernichten. Ich habe das mit einer Horde gewalttätiger Muggel schon mal gemacht, die meinten, mein Zuhause überrennen und dann niederbrennen zu dürfen. Das kann ich jederzeit wiederholen. Aber noch was, damit ihr nicht noch dumm sterbt, sollte ich eure Tötung für nötig halten ...", sagte Anthelia, stellte sich vor die gefangenen Werwölfe hin und verwandelte sich innerhalb von drei Sekunden in die bald zwei Meter große schwarze Spinne, die Naaneavargias Tiergestalt war. Zehn Sekunden verblieb sie in dieser erschreckenden Körperform. Dann wurde sie wieder zur überaus attraktiven Hexe im scharlachroten, hautengen Kostüm. "Soviel zu meiner Eingestaltlichkeit. Und jetzt will ich von euch wissen, was eure Anführerin oder Präsidentin so vorhat, dass sie euch Geschmeiß wieder auf unbelastete Leute loslässt?"

"Selber Geschmeiß", stieß Nachtsänger aus. "Unsere Leute werden dein Versteck umstellen, auch wenn sie es nicht sehen können. Sie brauchen dann nur Gas oder Plutonium auszustreuen, und du gehst auch im Haus ein, wie das sich für Ungezifer gehört."

"Stimmt, da muss ich dringend was machen, dass sowas nicht passiert, weil mein Hauptquartier nicht weit genug von der nächsten Ansiedlung entfernt ist, um unbescholtene Leute nicht durch eure Giftsprüherei zu gefährrden", sagte Anthelia unbeeindruckt von der Drohung, auch wenn ihr klar wurde, dass sowas durchaus gehen konnte. "Aber jetzt will ich endlich wissen, was eure selbsternannte Königin vorhat. Ich gehe davon aus, dass sie ihren Welpen schon geworfen hat und jetzt meint, ihre Pest wieder ausbreiten zu dürfen, wie das dieser Rabioso schon versucht hat."

"Eher sterben wir, als es dir zu verraten, Ungeziiefer."

"Oh, das wird in dem Haus aber ein Problem. Wer hier stirbt bleibt als Geist dauerhaft hier wohnen", entgegnete Anthelia. Die beiden gefangenen Werwölfe sahen einander an. Dann sagte Nachtsänger: "Darauf lasse ich es ankommen. Dann kann ich dich eben als Geist erwürgen und dich dann auch an dieses Haus binden." Er machte mehrere Bewegungen mit der Zunge. Dann blickte er höchst Enttäuscht drein. Seine Gefährtin versuchte wohl auch was.

"Ach, stimmt, habe ich vergessen euch zu sagen, dass ich gleich nachdem ich euch hier wieder zurückverwandelt und in Zauberschlaf versenkt habe alle mit Giftstoffen imprägnierten Sachen vom Körper weggezaubert habe, darunter auch eure kleinen Giftkapseln, die ihr unter den Zungen befestigt habt. Wer hier wie stirbt oder nicht bestimme ich."

"Trotzdem führt der Weg zu unserer Präsidentin nur über unsere Leichen", stieß Mondtänzerin entschlossen aus.

"Ich denke mal darüber nach, ob ihr mir tot oder lebendig wertvoller seid", sagte Anthelia. Da ihr meine Mitschwester Regina in eine Reisewindel gesteckt habt, um sie eine Woche ans Bett fesseln zu können habe ich das mit euch auch gemacht, wenngleich die Beschaffung dieser nützlichen Artikel nicht so leicht war. In der nächsten Woche ist ja auch wieder Vollmond. Das wird für mich auch eine interessante Erfahrung sein, wie die Verwandlungsunterdrückungszauber wirken, mit denen ich eure Fesseln belegt habe. Könnte dann sehr schmerzvoll für euch sein, wenn ihr nicht aus eigenem Willen, sondern durch das Mondlicht in die Verwandlung getrieben werden sollt. Bis dahin bleibt ihr hier bei mir. Vielleicht möchte mir einer von euch dann doch noch erzählen, was ich wissen möchte."

"In einer Woche wird dein widerliches Treiben enden, weil für jeden von uns, den ihr getötet habt, zehn von euch sterben werden, wenn wir uns bis zum nächsten Vollmond nicht gemeldet haben."

"Ui, da muss ich mich ja richtig beeilen, alles nötige zu klären", feixte Anthelia. "Aber ich glaube nicht, dass Lunera nach der Erfahrung mit Rabiosos vernichtetem Königreich noch mal den Unmut aller keimfreien Menschen einhandeln will. Die Vita Magica arbeiten schon an einer Durchbrechung eurer Todesfliegenabwehr, damit ihr doch noch von deren gemeinem Virus aufgefressen werdet, und ich könnte deine Drohung von eben selbst wahrmachen und da, wo ich das Hauptquartier von eurer Bande vermute, eine dieser Atombomben zünden, die ganze Städte auslöschen können. Es wäre besser für eure sogenannte Präsidentin, sie schließt mit den eingestaltlichen Menschen ein Frieddensabkommen. Immerhin gibt's ja noch die neuen Vampire und diesen Vengor, falls den Güldenberg nicht wahrhaftig erledigt hat."

"Frieden wird's nur geben, wenn wir endlich Gleichstellung und Mitspracherecht erhalten", sagte Nachtsänger. "Erst wenn einer von uns Zaubereiminister oder Staatspräsident werden kann wird es Frieden geben", tönte Nachttänzer.

"Das hat meine Tante damals auch gesagt, dass nur dort Frieden herrscht, wo eine Hexe die Herrschaft ausübt. Überlegt es euch in Ruhe. Ach ja, da ich nicht gewillt bin, euch wie riesenhafte Babys zu füttern werdet ihr wohl hungern müssen. Bis dann demnächst wieder!" sagte Anthelia, bevor sie den Raum verließ, in dem sie die Gefangenen eingeschlossen hatte. Sie hatte extra einen Kelleraum abseits der Weinkeller gewählt, der keine Fenster enthielt. Damit die beiden nicht durch Dunkelheit und Stille zu leiden hatten hatte sie an die Decke mehrere Leuchtkristalle aufgehängt, die an den natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus angepasst waren. Zudem ließ sie per Schallverpflanzung Vogelstimmen von außen im Raum erklingen. Somit würden Hunger und Durst die einzigen körperlichen Leiden sein, die sie ihnen zufügte, bis der Vollmond am Himmel stand und sich zeigen musste, ob die Verwandlungsunterdrückung dessen Kraft zurückdrängen konnte. Falls ja, so bestand sogar eine Hoffnung für Rominas infizierte Eltern, nicht der unseligen Verwandlung unterworfen zu sein. Doch das wollte sie eben erst einmal abwarten.

"Höchste Schwester, wenn Schwester Romina wieder arbeitsfähig ist kann sie meine neuen Arkanetdaten bekommen, um sich unter einem Zweitnamen von mir einzuwählen", empfing Anthelia eine über die Relais-Schwestern weitergereichte Nachricht Albertines. Es hatte also geklappt, dass Albertine für den Fall, dass sie im Ausland unterwegs war, auch einen Zugang zum Arkanet erhielt. Bisher ging dies nur über bestimmte Elektrorechner, die über ihre Medienzugriffskontrolladressen und eine Reihe von Schlüsselzeilen und Passwörtern abgesichert waren. Weil Patricia Straton und ihre Computerkundigen Mitschwestern so von den technischen Möglichkeiten des Internets sprachen, dass es Fluch und Segen sein konnte, war es Anthelia wichtig, dass auch ihre Schwesternschaft Zugang zum geheimen und geschützten Sondernetzwerk der Zaubererwelt erhielt, ohne dessen Errichter und Betreiber um Erlaubnis bitten zu müssen. Zwar hoffte sie immer noch darauf, auch mit sie ablehnenden Hexen wie Martha Merryweather oder Blanche Faucon zu einer friedlichen Übereinkunft finden zu können, war jedoch nicht so einfältig, das für die nächste Zukunft anzunehmen.

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Im Hauptquartier der Geheimgesellschaft der goldenen Waage


22. September 2002, 19:00 Uhr Ortszeit

Juri hatte sich daran gewöhnt, als Tragling auf dem Rücken seiner zweiten Mutter herumgetragen zu werden. Wenn er Hunger hatte war er auch ganz schnell an der richtigen Quelle. Was er weniger leiden konnte war, dass seine arme noch immer nicht gelenkig genug waren, um einen eigenen Zauberstab führen zu können. Außerdem musste er dafür erst mal wieder alle Zähne im Mund haben, um bestimmte Zauber auch ausrufen zu können. So blieb ihm nur, Lady Tamara als seinen persönlichen beweglichen Aussichtsturm zu nutzen. Zumindest half ihm das Dexter-Cogison der neuesten Generation, sich mit den anderen zu unterhalten.

"Ist der andere vernichtet?" fragte Lady Tamara gerade ihren Mitstreiter Guido.

"Nachdem wir wussten, wer Vengor ist haben wir sofort das entsprechende Subjekt getötet. Der andere wird wie beraten mit einem entsprechend umgeformten Gedächtnis in anderthalb Monaten wieder an die Öffentlichkeit zurückkehren. Hättet Ihr das gedacht, dass das Vengor ist?" fragte der rotbärtige Guido die ranghöchste Hexe seines geheimen Bundes.

"Sagen wir mal so, ich musste es nach allen, die er vorher ermordet hat immer stärker annehmen, dass es nur er oder eben der andere gewesen sein musste. Iaxathan hätte niemals eine Hexe als Trägerin seines Wissens oder Ausführenden seiner Macht zugelassen. Blieben nur noch zwei Hexen und so um die fünf Zauberer, die in den nächsten Wochen ihren Geburtstag erleben oder besser überleben müssen. Aber wir haben ihm das Ritual jetzt schon gründlich verdorben."

"Ja, indem ihr im Bokanowski-Stil Ebenbilder der in Frage kommenden Leute gemacht habt", quäkte Juris Cogison.

"In diesem Fall war das nötig, um hunderte oder gar tausende zu retten", sagte Tamara Warren ihrem auf magische Weise geborenen Sohn. "Hauptsache, er hat nicht bemerkt, dass wir einige seiner Ziele ausgetauscht haben."

"Zu denen auch die Ziegelbrandkinder gehörten, Mamuschka?"

"Ja, das war schon eine einschneidende Erkenntnis, dass da auch schon wer vorausgedacht hat", grummelte Tamara Warren. "Und wenn ich mir vorstelle, dass das jemand sein muss, der mit magischer Manipulation an lebenden Wesen mindestens genauso erfahren ist wie wir, schwant mir übles Ungemach, was diese Leute mit den Originalen für Pläne haben könnten."

"Wissen wir immer noch nicht, wer da so dazugehört?" fragte Tamaras Ehemann Polybios.

"Unser Mitstreiter Ernesto hätte es uns fast gesagt. Aber diese Bande hat ihn mal eben mit diesem Totalverjüngungsapparat erwischt und verschleppt. Wir kommen nicht einen halben Kilometer an einen unverkleideten Angehörigen dieser Truppe heran", schnaubte Tamara Warren. "Ja, und ich fürchte, die werden demnächst im großen Stil auf Jagd gehen, um alleinstehende, bisher kinderlos gebliebene Hexenund Zauberer für ihre Zuchtanstalten zusammenzufangen. Mit dem Großmaul Bluecastle haben sie das ja schon gemacht, muss ich fürchten."

"Falls der nicht beschlossen hat, von sich aus ein ganz neues Leben anzufangen", meinte der rotbärtige Guido. Doch er glaubte das selbst nicht.

"Wie gehen wir nun weiter vor, was Vengor angeht?" fragte Juri von seiner hohen Warte aus.

"Um uns selbst nicht zu enthüllen bleibt uns nun nur, die Ministerien behutsam auf seine wahre Identität zu bringen. Aber wie genau das gehen soll weiß ich nicht", sagte Polybios zu seinem Ziehsohn. "Außerdem haben Lady Tamara und du ja ihr Mutter-Kind-verhältnis begründet, weil da draußen irgendwo noch was von Igor Bokanowski lauert."

"Was oder wer", cogisonierte Juri Warren. "ich habe es bis zu meinem Einstieg in das neue Leben nicht ganz geklärt, was Bokanowskis eigentliche Hinterlassenschaft ist." Darauf wusste keiner eine weiterführende Antwort.

ENDE

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