RACHE UND REUE (2 von 2)

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Eigentlich hat Julius Latierre gedacht, lediglich als Übersetzer einspringen zu müssen, als er am 12. November 2001 in das Büro der zeitweiligen Geisterbehördenleiterin Adrastée Ventvit gerufen wird. Als er aber von der dort vorsprechenden Olive Bonham erfährt, dass diese auf der Suche nach dem Ursprung der Familie ihres Mannes im bis dahin unbekannten Schloss Dixarbres von vier durch Enthauptung entstandenen Geisterfrauen belästigt, ja regelrecht bedrängt wurde, stellt sich heraus, dass Olive ohne es zu ahnen einen uralten Bann gebrochen hat, weil sie die Blutlinie der Bonhams verlängert hat. Deren Urahn, der Baron Dixarbres, hatte vor mehr als 700 Jahren mit einer seiner Mägde geschlafen und sie verstoßen, weil sie dadurch schwanger wurde. Der Name der Magd war Marie Bonham. Weil der Baron selbst der magielose Nachkomme eines einstigen Zauberers ist und durch dessen Hinterlassenschaft von der Beauxbatons-Akademie weiß, trachtet er danach, jede eindeutig erwiesene Hexe oder jeden Zauberer nach Beauxbatons zu fragen, um dort selbst Magie erlernen zu können.

Als die Vierlingsschwestern Aurélie, Brigitte, Cécilie und Désirée Beaurivage in seinem Hoheitsgebiet auftauchen hofft er, endlich das ihm zustehende Erbe antreten zu können. Doch die von ihm durch eine Falle um ihre Zauberstäbe gebrachten Hexen können und wollen ihm nicht verraten, wie er Beauxbatons finden kann. Auch die von ihm und drei Gefolgsleuten an den vier wehrlosen Hexen begangene Vergewaltigung bringt ihm nicht das erhoffte Wissen. Aus Angst, wenn er eine der vier töten lässt würde sich deren Kraft auf die drei lebenden übertragen, lässt er alle vier im selben Moment enthaupten. Doch dadurch beschwört er sein eigenes Ende herauf. Die vier zu Rachegeistern gewordenen Schwestern bringen den Baron und ihre Peiniger um, wobei sie die Körper lebender Mägde übernehmen. Sie wollen verhindern, dass die Blutlinie des Barons fortgeführt wird. Als sie erfahren, dass eine wegen unerwünschter Schwangerschaft mit dem Nachkommen des Barons verstoßene Magd irgendwo weit fort weiterlebt wollen sie diese finden und mit dem Ungeborenen töten. Ihre Mutter Eloise, die derweil vergeblich versucht, das Geheimnis eines magischen Ortes, der ein altes Tor sein soll zu lösen, erfährt von dem Tod ihrer vier Töchter und verhindert mit dem Opfer der letzten Gnade, dass die Geister ihren Rachefeldzug in ihrer Zeit fortsetzen können. Doch weil Olive Bonham, die von einem Träger der alten Blutlinie bereits Kinder bekommen hat, in das mit dem Bann belegte Schloss eindrang, wollen die vier aus ihrem Bann befreiten Geister nun alle Bonhams töten.

Julius Latierre versucht mit dem Geisterbehördenmitarbeiter Oreste Lunoire, die vier Geisterfrauen zu bannen. Dabei muss er mit großem Schrecken erkennen, dass diese wesentlich stärker sind als übliche Gespenster. Als ihm dann sein zeitweiliger Kollege mit zum Todesfluch erhobenem Zauberstab gegenübersteht droht sein junges Leben zu enden.

Olive Bonham soll auf Empfehlung der Geisterbehörde in ein gegen Spukerscheinungen aller Art abgeschottetes Gasthaus umziehen.

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Tag IX im Dezember MCCXXIV

Sie hatte es überstanden. Am Nachmittag von Mariä Empfängnis hatten bei ihr die Wehen eingesetzt. Die letzten Monate hatte sie unter der Aufsicht der Hexen und zweier Zauberer im Landhaus Brookwater Cottage auf diesen Tag hingelebt. Jetzt lag ihr Kind an ihrer Brust. Es war ein kleiner Junge. Sie hatte seine Augen gesehen. Das waren ihre Augen, nicht die seines ruchlosen Vaters. Marie nannte den kleinen Jungen Florymont, nach ihrem legendären Urgroßvater, Florymont Bonham. Denn ihren Geburtsnamen wollte sie auf jeden Fall weitergeben. Außerdem wollte sie, falls die Magieverwender hier ihr das erlaubten, den kleinen Florymont zum Glauben und zur Liebe an Gott und den Heiland erziehen, wenn sie ihn schon nicht ordentlich taufen lassen konnte.

Während der kleine Florymont Bonham sich an ihr satttrank dachte Marie daran, ob sie heute zur Stammmutter eines neuen Geschlechtes von Zauberern und Hexen geworden war. Schon erhaben, doch gleichermaßen hochmütig, dachte Marie.

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12. November 2001

"Wenn sie möschten, Madame Bon'am, können wir jetzt losfahren", sagte dieser junge Bursche, wohl an die dreißig Jahre, der ihr beim Packen fast schon unsittlich über die Schultern geglotzt hatte. Er hatte ihr angeboten, alles mit einem einzigen Packzauber in die vier großen Koffer zu verstauen. Doch an ihre Sachen ließ sie keinen fremden, schon gar keinen Mann. So hatte sie über eine halbe Stunde gebraucht, weil ihr der Packzauber nie so gelang, sehr zum Leidwesen ihrer vorausgegangenen Mutter. Jetzt wollten sie mit einem dieser Motorwagen fahren, weil das so genannte Haus Seelenruhe weder durch Apparieren noch durch Portschlüssel zu erreichen war und sinnigerweise in einem von vielen Muggeln bevölkerten Vorort von Paris stehen sollte, dessen Namen sie nicht aussprechen konnte. Deshalb ein Ministeriumsautowagen.

"Madame, Excusez moi, ich bringe Ihr Bagage, öhm Ihr Gepäck zum Wagen", bot dieser Bursche, Guillaume Duval ihr wieder an. Doch mit Bewegungszaubern kannte sie sich aus. "Locomotor alle Koffer!" rief sie mit auf jeden der Koffer deutendem Zauberstab. Die Gepäckstücke formten ein perfektes Quadrat. In dieser Formation flogen die Gepäckstücke nun hinter ihr her.

Bei dem Ministeriumswagen handelte es sich zu ihrem großen Entsetzen um ein an vielen Stellen verbeultes Vehikel von nachtschwarzer Färbung. PEUGEOT stand auf dem Hinterteil dieses Fuhrwerks. Die Gepäckklappe tat sich von selbst auf. Die Vier koffer landeten alle in dem Stauraum. Mrs. Bonham kletterte auf den langen Rücksitz, den Fond, wie der Fahrer es nannte. Jetzt stellte sie fest, dass sein muggelmäßiger dunkelbrauner Anzug farblich mit den rehbraunen Ledersitzen des Fuhrwerks zusammenpasste. Als sie dann die Maschine hörte, die an Stelle von Zugtieren oder Bewegungszaubern dieses metallische Monstrum in Bewegung setzen sollte, rann ihr ein Unwohlseinsschauer nach dem anderen den Rücken nieder.

Die Fahrt ging vom Ministerium weg hinein in das Pandämonium der pariser Muggelwelt. Olive Bonham wähnte sich nicht mehr in einer gediegenen Residenz- und Kulturstadt, sondern in einer Stadt der tausend Drachen. Überall diese lärmigen Metallvehikel aller Größen. So viele Farben sie hatten eines gemeinsam, diese Metallrohre, aus denen blauer Brodem ausdünstete. Dieser Qualm vergiftete die Luft, schuf über der Stadt eine gelbliche Glocke und machte wohl alle Häuser irgendwann schmutzig. Da immer hinterherzuputzen war sicher für die Muggelfrauen wie deren Nachtodreich der ewigen Strafen.

"Wir fahren gleich über die Schnellstraße. Da ist nicht so viel Betrieb", erklärte der Lenker des Fuhrwerks und drehte am Speichenrad, mit dem die Richtung geändert werden konnte. Der Peugeot-Wagen schwenkte nach rechts um und glitt auf eine von Längsstreifen begrenzte Straße, auf der alle Autowagen in einer Reihe dahinbrummten. Einige, die dann ganz links fuhren, preschten mit lauten Antriebsmaschinen an allen anderen vorbei. Olive Bonham hatte sich sagen lassen, dass dieser Wagen gegen Geisterzu- und -angriffe abgesichert war. Selbst wenn diese vier nackten Dirnen sie irgendwie verfolgen konnten, an oder in dieses Vehikel kamen sie nicht. Zumindest hatte man ihr das erzählt.

Die Fahrt führte in Richtung Südwesten.Die Sonne hatte fast ihren Mittagsstand erreicht und blendete Fahrer und Passagierin beinahe, wenn in den Fenstern nicht ein Sonnenschutz verbaut worden wäre. Sie hoffte, dass die Fahrt bald vorbei sein würde. Da passierte es.

Der große Frachtwagen vor ihnen geriet plötzlich ins schlingern. Dann verzögerte dieser unvermittelt. Der Fahrer des Peugeot trat auf das Pedal für die Bremse. Da flogen mehrere Kisten vom voranfahrenden Wagen mit Wucht gegen die Schutzhaube der Antriebsmaschine und das breite Sichtfenster. Zwar war das Fenster unzerbrechbar. Doch der Aufschlag warf den Wagen herum. Er geriet ins schleudern und wurde von einem der hinter ihm fahrenden Wagen gerammt und mit Wucht von der Schnellstraße geschupst. Wieder flog etwas von dem mittlerweile halb schräg auf der Straße stehenden Frachtwagen herunter und krachte in die Seite des Peugeot, der das nur wegsteckte, weil seine Metallteile mit Eisenhärtungszauber verstärkt waren. Das bekam aber wohl dem Antrieb nicht. Er setzte aus.

"Merde de dragon!" fluchte der Fahrer. Sein Kopf war bei der Schleuderei gegen das Brett mit den vielen Anzeigeuhren und Knöpfen geprallt. Eine knutgroße Platzwunde verunzierte die rechte Schläfe des Fahrers. Olive Bonham war schwindelig. Außerdem fühlte sie unbändige Furcht. Sie hatte immer schon gewusst, warum sie sich solchen unsicheren Vehikeln nicht anvertrauen konnte. In Panik riss sie am Türriegel. Der Fahrer, der gerade damit beschäftigt war, das aus der Wunde fließende Blut mit seinem Umhang abzuwischen, wollte ihr gerade zurufen, nicht aus dem Wagen zu flüchten. Doch da war die füllige Hexe schon raus. Sie rannte los, stolperte über die Böschung und schlug hin. Der Fahrer sprang aus dem Wagen. Er riss ein Medaillon mit einem eingefassten blauen Kristall an einer Kette hervor, einen Geistersichtkristall oder auch Sichtbarmacher, der jede Geistererscheinung in Sichtweite zwang, für Magieraugen sichtbar zu werden. Er war sich absolut sicher, dass unsichtbare Mächte den Unfall herbeigeführt hatten, und da kamen für ihnnur die vier Geisterfrauen in Frage.

"Madame Bon'am, Sie machen sich angreifbaar!" rief er. Dann glühte der Kristall auf, und er sah einen weißen Schemen, der direkt von rechts auf ihn zuflog. Keine Viertelsekunde später traf ihn ein Pflasterstein am Hinterkopf.

Olive Bonham hörte die Warnung des Fahrers. Ihre Panik hatte sie aus dem Wagen getrieben. Ihr Herz pumpte laut in beiden Ohren. Sie fühlte es schmerzhaft gegen ihren Brustkorb hämmern. Ihr Atem ging stoßweise. Dann wurde ihr auf einmal eiskalt. Sie fühlte, wie etwas von unten her an ihren Beinen hinaufkroch und dann unerträglich kalt in ihren Unterleib eindrang. Sie riss den Mund zu einem Schrei auf. Doch da war es schon passiert.

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Kommissar Dassin traf keine zehn Minuten nach der Unfallmeldung auf der Südautobahn am Unfallort ein. Sein Assistent Pierreville brachte den Einsatzwagen knapp hundert Meter von einem schrägstehenden LKW entfernt zum stehen.

"Gut, sehen wir uns an, was hier passiert ist!" sagte der Kommissar. Normalerweise war ein Verkehrsunfall unterhalb seiner Zuständigkeit. Aber der Gendarme, der den Unfall zuerst begutachtet hatte meinte, dass es schon seltsam gewesen sei, dass vier große Kisten von einem Lastwagen heruntergerutscht und wie gezielt gegen einen schwarzen Peugeot geprallt seien. Außer den üblichen Einpark- und Ausparkbeuelen, die ein Auto in Paris über die Jahre so abbekam, habe der Wagen aber keinen Schaden genommen. Der Grund, warum der Kommissar jetzt herbeigerufen worden war, war eine männliche Leiche, die längs unter dem schwarzen Wagen lag und außer einer offenen Platzwunde und einer dicken Beule am rechten Teil des Hinterkopfes keine Verletzungen aufwies, die auf einen gewaltsamen Tod hindeuteten.

Der Kommissar besah sich den Unfallort, die an dem Verkehrsunfall beteiligten Fahrzeuge und den toten Mann, der einen braunen Chauffeursanzug trug.

"Hat einer von Ihnen beobachtet, wie dieser Mann unter das Auto gekommen ist?" fragte Dassin. Doch niemand erinnerte sich daran. Die noch am Unfallort wartenden Zeugen berichteten vielmehr einhellig, dass der Wagen schon neben der Böschung gelegen habe. Vielleicht habe der den Unfall des Lastwagens ausgelöst.

"Keine Schrammen, keine Beulen", stellte Dassins Assistent fest, als er den schwarzen Wagen genauer betrachtet hatte.

"Alle sind sich einig, dass der Fahrer des Lastwagens den Unfall verschuldet hat. Was ist mit ihm?"

"Tod durch Herzschlag, Kommissar. Dabei war der Fahrer gerade dreißig und körperlich gut austriniert."

"Seitdem supertrainierte Fußballspieler auf dem Feld einen plötzlichen Herzschlag erleiden und auf dem Spielfeld versterben können ist leider alles denkbar. Aber der Tote unter dem Auto gibt mir Rätsel auf. Hoffentlich kann uns die Gerichtsmedizin da weiterbringen."

"Docteur Bernaud ist schon unterwegs."

"Gut, wenn die Fundstelle exakt markiert und dokumentiert wurde möchte ich diesen Wagen von der Straße haben. Unsere Technikjungs solllen sich den mal ansehen."

"Natürlich, Herr Kommissar", sagte ein Gendarme.

Es dauerte eine Stunde, weil wegen der Absperrung ein so großer Stau entstand, dass selbst der mit Blaulicht fahrende Einsatzwagen mit dem Polizeiarzt so lange brauchte. Der Leichnam wurde untersucht. Dabei wurde eine Kette mit einem silbernen Medaillon und einem blauen Kristall gefunden. Der Tote trug jedoch weder persönliche Dokumente noch Geld bei sich. "Die Kopfwunden sind zu geringfügig, um jemanden daran versterben zu lassen. Die Platzwunde an der Schläfe war bereits mit geronnenem Blut verschlossen. Ob der Mann ähnlich wie der Fahrer des Lastwagens einem Herz- oder Gehirnschlag zum Opfer fiel kann ich erst nach der Obduktion sagen", vermeldete der Arzt. Die Leiche wurde zugedeckt, aufgeladen und abtransportiert. Dann kam der Abschleppwagen der kriminaltechnischen Abteilung, um den schwarzen Peugeot aufzuladen und abzuschleppen.

Als nach zwei weiteren Stunden feststand, dass der Wagen offenbar über eine höchst zuverlässige Karosserie verfügte und die Fensterscheiben vollkommen unzerbrechlich waren, fragte sich der Kommissar, ob er in eine Art Science-Fiction-Film hineingeraten war. Denn wenige Minuten davor hatte ihm der Kollege von Docteur Bernaud erzählt, das Herz des LKW-Fahrers sei so beschaffen gewesen, als habe jemand es schockgefroren und dann wieder langsam auftauen lassen. Das war zu hoch für ihn. Er rief seine Kollegen von der Sûrté an, gab die Autonummer und die Beschreibung des Toten durch. Dies hatte zur Folge, dass keine fünf Minuten später eine äußerlich unauffällige Frau mit Aktentasche bei ihm vorstellig wurde. Als sie beide dann in einem Zimmer saßen, um die Sache zu besprechen, holte die Besucherin einen Holzstab aus ihrer Tasche. Das war das letzte, was der Kommissar zu sehen bekam. Als er danach wieder klar denken konnte wusste er nur, dass die französischen Streitkräfte einen neuartigen Geländewagen mit von außen unauffälliger Panzerung vermisst hatten. Der Tod des LKW-Fahrers war ein spontaner, tödlicher Herzinfarkt gewesen. Der Tote unter dem schwarzen Auto hatte sich eine Suizidkapsel verpasst, weil jemand hinter ihm hergewesen war. "Wenn Ihnen der Schutz unseres Landes etwas bedeutet überlassen Sie uns alles andere. Sie haben nur einen verunglückten LKW untersucht, Kommissar", hatte er noch von einem sehr wichtigen Herren gesagt bekommen. Leiche und Wagen waren von der französischen Militärpolizei abtransportiert worden.

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Bisher hatte sie keine weitere Rückmeldung von ihrem dauerhaft unterstellten Mitarbeiter Lunoire und dem zeitweiligen Mitarbeiter Julius Latierre erhalten, ob und wie sie das von Mrs. Bonham erwähnte Schloss gefunden hatten. Adrastée Ventvit verwünschte den Umstand, dass ausgerechnet heute ihr direkter Vorgesetzter Simon Beaubois bei einer Geisterkundlerkonferenz im Ausland war. Sicher, dass sie seine zeitweilige Stellvertreterin war sah sie als Ehre an. Doch an der Ehre hing, so erkannte sie erneut, auch immer die Last, die Verantwortung und womöglich die Gefahr. In dem Fall war es nicht die Gefahr für ihr Leben, sondern für das aller von ihr ausgeschickten Mitarbeiter.

"Anfrage: Warum höre ich nichts mehr von Außendienstmitarbeiter Duval?" fragte sie das Bild einer skelettierten Frau in einem blauen Brokatumhang. Die abgemalte wiegte ihren gelbweißen Totenschädel und machte eine unbeholfene Bewegung mit der rechten Knochenhand. Wie aus einem tönernen Rohr klingend erwiderte sie:

"Bislang keine Vollzugs- oder Verzugsmeldung eingegangen."

"Echt, so schwer kann es doch nicht sein, einer alten Dame beim Kofferpacken zu helfen und sie von der Stadtinsel aus bis nach Fontainebleau zu fahren, auch wenn er den Transitionsturbo nicht benutzen kann", grummelte Adrastée. Irgendwie behagte es ihr nicht, dass Duval sich nach der Ankunft in der Herberge nicht mehr in der Einsatzzentrale der Außentruppe gegen auffällige bis bösartige Geistererscheinungen gemeldet hatte, die von den Ministerialbeamten inoffiziell auch als Geisterjagdbrigade bezeichnet wurde. Die Knochenfrau, angeblich das Bildnis einer vor fünfhundert Jahren ohne Zauberstab dem Hungertod preisgegebene Hexe, deren Geist in einem Schloss bei Straßburg weiterspukte, stand mit einer Kopie im Einsatzraum in Verbindung.

"Ich fordere eine sofortige Standort- und Lagemeldung von Außeneinsatztruppler Duval!" gab die zeitweilige Geisterbehördenleiterin einen Befehl aus. Die Knochenfrau erhob sich von ihrem schmalen Holzstuhl und klapperte zum linken Bildrand. Auch als sie durch diesen aus dem Bild verschwand hörte Adrastée noch einmal das Klappern der nur durch Magie zusammenhängenden Knochen.

Es verging eine halbe Minute, da war die Skelettfrau wieder da. "Kontakt zu Außentruppmitglied Duval permanent abgerissen", war die kurze und doch so schwerwiegende Mitteilung. Ähnlich wie bei den Pflegehelfern von Beauxbatons, zu denen Adrastée selbst einmal gehört hatte, verständigten sich die Außentruppmitarbeiter über silberne Armbänder, die zugleich auch eine Art Lebenszeichenmelder waren, also ob ihr Träger noch am Leben war. Wenn der Kontakt permanent abriss hieß dass, der Träger war tot. Doch in dem Fall hätte es Alarm geben müssen. Wieso war das nicht passiert? Diese Frage stellte Madame Ventvit laut. Wieder klapperte die Knochenfrau aus ihrem Bild in ein anderes hinüber. Eine Minute später klopfte es an ihre Tür. Draußen stand ihr Kollege Orville Brochet.

"Hallo Adrastée", sagte er kollegial. Sie schüttelte den Kopf und räusperte leise aber vernehmlich. "'tschuldigung, hallo Madame Ventvit. Ich habe Ihre Anfrage entgegengenommen und die Antwort herausgefunden. Jemand hat wohl das Verbindungsband überlagert. Es ist im Wartemodus. Offenbar hat Guillaume Duval es vor seinem Tod abgenommen und nicht wieder angelegt."

"Innerhalb seiner Dienstzeit? Das sind aber ganz unfeine Sitten", knurrte Adrastée. "Konnten Sie nachverfolgen, wo das Armband zu letzt seine Lebenszeichen registriert hat?"

""Auf der Autobahn nach Süden, richtung Fontainebleau. Ich habe eine."

"Meldung aus dem Desinformationsbüro: Toter bei Verkehrsunfall unter schwarzem Peugeot gefunden", sagte die Knochenfrau, die mit wild schlenkernden Knochenarmen wieder in ihr Bild zurückgerannt kam. Sie gab noch das Autokennzeichen weiter. Damit war es nun sicher, dass es der Wagen Duvals war. Von einer zweiten toten Person, weiblich, mehr als siebzig Jahre alt, Korpulent, war keine Rede gewesen. Sofort eilte Adrastée in das Desinformationsamt hinüber, um mit den dort tätigen Polizeikontaktbeamten zu sprechen. Danach stand es fest, dass Duval der Tote war und Olive Bonham mit samt ihrem Gepäck verschwunden war. Sofort holte sie sich eine Genehmigung bei Monsieur Vendredi, den Unfallhergang mit Hilfe des Retroculars nachzubetrachten.

Sie reiste persönlich zum Unfallort. Ein Tarnzauber verbarg sie vor den herumsuchenden Polizisten, die jede Spur an den beschädigten Fahrzeugen untersuchten. Der schwarze Peugeot war ja schon längst von Ministeriumsbeamten abtransportiert worden. Mit der praktischen Rückschaubrille Florymont Dusoleils blickte sie mehr als zwei Stunden in die Vergangenheit zurück. So bekam sie mit, wie ein Lastkraftautowagen der Muggel plötzlich die Fahrtrichtung änderte und dann bremste. Dabei flogen mehrere Kisten gegen den Peugeot Duvals, konnten ihn aber nicht beschädigen. Die Wucht und ein von hinten kommendes Fahrzeug warfen den Wagen aber von der Straße. Das hatte die Passagierin wohl in Panik versetzt. Sie verließ den Wagen und rannte. Duval verfolgte sie, rief ihr wohl noch was nach, was Adrastée nicht erkennen konnte. Vielleicht sollte sie doch das vom Ministerium angebotene Seminar Lippenlesen besuchen, das durch die Erfindung der Rückschaubrille zu einer ungeahnten Bedeutung gekommen war. Dann sah sie eine weiße, dunsthafte Gestalt, die von hinten auf Duval zujagte und ihn mit einem Stein am Hinterkopf traf. Der Stein flog wieder die Böschung hinunter. Adrastée bekam nun mit, wie die weiße Dunstgestalt wenige Zentimeter über dem Boden hinter Olive Bonham herflog und ihr um die Beine glitt und dann blitzartig in ihren Unterkörper eindrang. Olive Bonham schrie wohl heftig auf, taumelte und brach zusammen. Die Mitlaufende Zeitanzeige in der Brille wies aus, dass Olive Bonham ganze zwanzig Sekunden am Boden blieb. Zwei weitere Geistererscheinungen tauchten aus dem Nichts auf. Olives Atem wurde zu einem weißen Dunst, der sich über ihrem Mund zu einer menschengroßen Erscheinung formte. Da tauchten zwei weitere geisterhafte Gestalten auf. Adrastée konnte nun eindeutig zwei nackte, vollkommen gleich aussehende Frauen erkennen, die die aus Olives Mund entströmende Dunstwolke umfingen und mit einem Ruck den Rest des Dunstes aus Olives Körper freizogen. Adrastée, die von Amts wegen schon eine gehörige Portion gruseliger Dinge mitbekommen hatte, erschauerte doch, als ihr klar wurde, was da vor nun zwei Stunden passiert war.

"Sofort zwanzig Mann zu folgenden Bezugspunkten! Eigensicherung beachten!" befahl sie. Sie hoffte, dass es für ihre Mitarbeiter Lunoire und Latierre nicht zu spät war.

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Julius Latierre musste blitzschnell reagieren. Vor ihm stand sein Begleiter Oreste Lunoire aus der Geisterbehörde. Doch der schien nicht mehr er selbst zu sein. Vor allem hob er gerade seinen Zauberstab, um Julius die beiden geächteten Worte entgegenzurufen. Doch diesmal wollte Julius es nicht auf einen Zufall ankommen lassen. Als der vor ihm stehende gerade: "Avada ..." rief, rief Julius bereits: "Katashari!" Seine Zauberformel war schneller bei Lunoire, als dieser "Kedavra!" rufen konnte. Der Geisterjäger wurde unvermittelt in silberweißem Licht gebadet. Der Zauberstab entfiel dem anderen, als hätte der ihm einen Stromschlag versetzt. Doch was nun passierte hatte Julius nicht erwartet.

Lunoire schrie auf. Dann sah es so aus, als plage ihn ein heftiger Würganfall. Dann erfolgte ein langgezogener Rülpser. Dabei erklang erst leise und dann laut ein weiterer Aufschrei. Julius starrte auf den Mund des gerade eben noch zum tödlichen Schlag ausholenden Magiers. Weißer Qualm quoll daraus hervor, wurde zu einer dichten Wolke vor dem Gesicht, die mit einem letzten Rülpslaut ganz aus dem Mund herausfuhr und laut wimmernd zu einer wild zitternden Frauengestalt wurde. Sie starrte Julius sehr erschrocken an. Dann schoss sie frei durch die Luft schwebend auf ihn zu. Da umstrahlte Julius wieder jene goldene Aura, die immer dann erschien, wenn etwas die auf ihn geprägten Kräfte Darxandrias herausforderte oder erweckte. Sein Armband aus der Villa Binoche erzitterte, als das Geisterfrauengesicht auf sein Gesicht zufegte. Dann prallte es zurück und zerfloss. Der Aufschrei der gepeinigten wurde leiser und leiser. Dann sah Julius, wie ein hauchfeiner Nebelstreifen auf Lunoire zuflog und blitzartig in seinem Körper verschwand. Im nächsten Moment zuckte der Geisterjäger wie unter einem Stromstoß zusammen, riss den Mund auf und keuchte: "Verdammt, damit habe ich echt nicht gerechnet. Verdammt, diese Biester sind heftiger als ein Dibbuk."

"Wieder mit Leib und Seele vereint?" fragte Julius den gerade erst wieder wahrhaftig zu sich selbst findenden Geisterjäger.

"Diese Biester, ich habe nur einen Blitz gesehen und dann nur noch mitbekommen, wie mich was aus meinem Körper herausgeschleudert hat. Dann hat mich eine von denen gepackt und durch die Wände weggezogen. Ich hatte keine Stimme mehr, konnte mich nicht bewegen. Dann hat dieses Geisterweib mich in ein Verlies mit runtergezogenund mich dort einfach in der Luft hängen lassen. Einen derartigen Fall von Seelentausch habe ich in meinem ganzen Leben nicht erlebt."

"Dann sehen Sie sich bitte um, Monsieur. Da unten im Verlies", sagte Julius und deutete nach unten.

"Mein Zauberstab. Ah, da unten", stammelte der Geisterjäger. Julius konnte es ihm nachfühlen. Mal eben aus dem eigenen Körper gerissen zu werden, damit eine andere Seele sich darin festsetzen konnte war sicher keine Gutenachtgeschichte, die er seiner Tochter erzählen wollte. Doch der Albtraum war noch nicht vorbei. Unten im Verlies schwebte, fast nur weißer Nebel, aber dennoch gut zu erkennen, die geisterhafte Existenz einer fülligen Frau mit einer Brille auf der Nase. Das war der Geist, besser die vom angeborenen Leib losgerissene Seele von Olive Bonham geborene Hornby.

"Du bist uns im Weg, Julius Latierre!" schnarrten plötzlich drei zornbebende Frauenstimmen wie im Chor. "Du gebietest für warh über mächtige Wehrzauber. Aber uns aufhalten kannst auch du nicht. Wir werden das schändliche Blut des Barons Dixarbres, dass im Leib dieser hurigen Dienstmagd Bonham neu erbrütet wurde, doch noch von der Erde tilgen. Weder du noch eine Person, die meinte, uns aufhalten zu können, werden das verhindern. Sterbt jetzt und hier oder empfehlt euch dem Hungertod. Sie da unten wird solange bleiben, bis unsere Erstgeborene Schwester ihren Auftrag erfüllt hat. Wir erledigen alle anderen. Jetzt, wo wir wissen, wen wir suchen müssen."

"Halt, stop!" bellte der Geisterjäger und riss eine kleine Silberdose hervor. Er tippte sie mit dem Zauberstab an. Die Dose sprang auf. Sofort erfüllte ein bläuliches Licht den Raum, das sich ausdehnte und dann erlosch. Allerdings fühlten sie alle eine unsichtbare Kraft auf sich einwirken. Sichtbar war für Julius die im tiefen Verlies frei schwebende Erscheinung Olive Bonhams. Diese erstarrte wie aus Glas, das ohne sichtbare Aufhängung in der Luft stand. Das leise Wimmern der entkörperten Hexe war in dem Moment erstorben. Doch was der Zauber Lunoires eigentlich bewirken sollte trat nicht ein. Die drei sichtbaren Geister der eigentlich vier Schwestern bewegten sich noch, glitten langsam aufeinander zu und verschmolzen zu einer Erscheinung. Julius rechnete nun damit, einen Nachtschatten wie im erstarrten Leib der schlafenden Schlange zu sehen zu bekommen. Doch die Erscheinung leuchtete hell wie die Sonne, dehnte sich aus und wuchs zu einer mehr als drei Meter hohen, nur noch zu einem Viertel durchsichtigen, klar umrissenen Riesin, die laut dröhnend lachte, während aus ihrem gleißenden Körper Blitze durch den Raum schlugen.

"Eure lächerliche Fesselung vermag nicht, wider uns zu wirken. Wir haben die Kraft von vier mal vier mal vier mal vier Geistern, und vereint überwinden wir jeden Bannzauber. Jetzt, wo wir die Mehrerin der verfluchten Blutlinie gefunden und in unsere Gewalt bekommen haben sind wir nicht mehr aufzuhalten. Die letzte, die das versucht hat, gab für diesen kläglichen Zeitgewinn ihr Leben. Aber ihr sterbt jetzt oder leistet der Seele dieser dicken Pomeranze da unten Gesellschaft, bis eure Leiber eure kümmerlichen Seelen wieder freigeben. Morite in gloriam!" Mit diesen Worten erbebte die Decke. Die zu einer Riesengestalt verschmolzene Geisterfrau wartete noch, bis keine Blitze mehr aus ihrem Körper schlugen. Dann zerfiel sie in drei Nebelwolken. Julius argwöhnte schon, dass sie vielleicht wie die beinahe unbesiegbare Vampirwolke von Tychos IV über sie herfallen würden. Doch aus den drei Wolken wurden wieder perlweiße Geisterfrauen, rank, schlank, wohlgerundet, brandgefährlich.

Krachend fielen die ersten Trümmer nieder. Die Decke brach ein. Die Geisterschwestern brachen die Decke auf. Julius zielte mit dem Zauberstab nach oben, um einen Contramotus-Zauber in die Decke zu jagen. Doch dafür war es jetzt zu spät. Der Einsturz musste jetzt nur noch den Gesetzen der Physik folgen.

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"Temmie, wenn du mir jetzt nicht auf der Stelle erzählst, was mit Julius wieder los ist, dann filetiere ich dich eigenhändig und grill dich am Spieß!" schnarrte Millie. Ihr Herz pochte wild. Wut und Angst peinigten ihren beanspruchten Körper. Dann stieß zu ihrem großen Verdruss noch etwas von innen gegen ihre Bauchdecke, dann mit Schmerz genau dort hin, wo das kleine Wesen zur Hälfte angefangen hatte. "Mann, au, Chrysie, wenn du mich jetzt auch noch zusammentrittst fliegt heute echt noch der große Kessel Klingsors in die Luft." Sie sog laut Luft zwischen ihren Zähnen ein. Dann hörte sie Temmies Gedankenstimme:

"Dein Mann musste eine wichtige Lektion lernen, hat sie gut bestanden und musste nur eine schnelle aber lebensrettende Handlung ausführen. Jetzt geht es ihm wieder gut. Er ist in einem mit wellenartig wirkender dunkler und heller Kraft getränktem Haus, aus dem vier von Dunkelheit erfüllte Seelen auf Vergeltungswegen ausgehen. Ich lasse dich nun wieder an seinen Gefühlen teilhaben, wenn du es schaffst, deine eigenen Gefühle zu beruhigen. Denk dran, dass du im Moment nicht für dich alleine bist."

"Genau wie du, junges Rindvieh", schnarrte Millie in Gedanken. Darauf erfolgte ein rein geistiges Lachen. Jetzt konnte Millie sich wieder auf die Selbstbeherrschungsformel konzentrieren. Als sie es schaffte, sie mehrmals zu denken, beruhigte sich auch ihre ungeborene Tochter Chrysope wieder. "Ist wieder gut, Kleines. Maman hatte nur Angst um deinen Papa. Maman ist dir nicht böse", sagte sie und streichelte ihren Bauch, um ihrer künftigen Tochter zu zeigen, dass sie sie nicht verachtete, sondern liebte.

"Maman, Chloé da!" rief eine glockenhelle Stimme von draußen.

"Drachenmist, die und die Zwillinge zusammen. Jetzt muss Julius ausgerechnet Geisterjäger spielen. Ich verwandel Héméras Maman in eine Windel und lasse Chrysie mindestens hundertmal in die reinpullern, wenn die Julius in einen offenen Drachenrachen reingetrieben hat."

"Maman, Chloé da!!" rief Aurore wieder.

"Ist gut, Rorie. Maman kommt runter!" rief Millie. Dafür bekam sie wieder einen Boxhieb in die Gegend um den Bauchnabel. "Ich weiß, ich soll nicht brüllen. Würde mir auch stinken, wenn andauernd um mich herum die Wände wackeln", grummelte Millie. Dann schwebte sie mit Hilfe von Florymonts Leviportgürtel zur Eingangshalle hinunter und öffnete die Tür.

"Oh, dachte schon, Jeannes Kleinen sind auch da. Hallo Camille. Na hallo Chloéiiiiiiie", begrüßte Millie erst die Mutter und dann das kleine Mädchen, die jüngste Tochter der Dusoleils, die genau auf den Tag zwei Jahre älter als Aurore Béatrice war.

"Hallo, Millie. Nein, Jeannes Kleine besuchen mal wieder die Lumières, jetzt wo Jacques mit seiner Angetrauten in Übersee herumgondelt ist Barbara wieder häufiger mit ihren drei Kleinen bei Roseanne. Jeanne ist bei denen. Und, hat Julius erwähnt, ob er heute wieder Überstunden macht?" Millie verzog erst das Gesicht und fing dann plötzlich zu weinen an. "Mann, diese scheiß Ministeriumsleute treiben den andauernd irgendwo hin, wo's echt fies ist", flennte sie. Camille nahm sie sofort in die Arme. Aurore sah ihre Mutter an. Dass Maman weinte kannte sie nicht so von ihr, auch wenn sie das jetzt schon ein paar mal gesehen hatte, weil in Maman ihr kleines Schwesterchen wohnte und noch warten musste, bis jemand kam und es ihrer Maman in die Arme legen konnte.

"Also, die wussten schon warum sie ihn haben wollten. Was haben die von Ornelle Ventvit denn jetzt wieder für ihn gefunden?"

"Der tourt diesmal für die Ventvit aus der Geisterbehörde rum, wohl ein paar durchgeknallte Gespenster einfangen oder sowas. Soll aber ganz gefährlich sein, weil ... Na ja, Temmie passt doch auf den auf, und die wollte mir nicht sagen, was dem so passiert."

"Millie, der weiß, dass er nicht mal so eben tot sein darf, weil er dann sehr großen Ärger kriegt, mit allen von deiner und von meiner Familie, die leider schon vor uns hinübergegangen sind. Die werden dem was erzählen, dich mit Rorie und der kleinen Chrysie sitzen zu lassen", lächelte Camille sie an.

"Ja, und deine Mutter und Claire schupsen ihn dann Wusch der Wirbelwind in Chrysies Körper rein, damit er darin noch mal groß wird oder was?"

"Dann doch wohl eher in den von Nathalis ungeborenem Kind, damit er Belles kleines Geschwisterchen wird."

"Woher weißt'n du das auch schon. Ich dachte, das wüssten nur die Grandchapeaus, Julius und ich."

"Und Geneviève Dumas, Eleonore Delamontagne, Blanche Faucon, Phoebus Delamontagne, mein Mann und meine Wenigkeit,und vielleicht demnächst noch ein paar Leute mehr", lachte Camille. Dann beschloss sie, dass Millie und sie ihren beiden Töchtern beim Spielen im Garten zusehen sollten.

"Langsam meint Chloé wohl, für Rorie zu groß zu sein", meinte Millie, weil Aurore nicht recht hinter der wieselflink über die Wiese tollenden Chloé herlaufen konnte.

"Wenn die hier erst mal an der Luft ist wollen die Mädels die alle immer wieder sehen", grinste Millie und strich sich über den vorgetriebenen Unterbauch.

"Stimmt, Jungs nervt es, dass so viel Getue um ein Baby gemacht wird. Mädchen sehen in so einem eine besondere Puppe oder wirklich was, was man ganz doll liebhaben kann."

"Sag das besser anders, weil ich da was anderes drunter verstehe."

"Ist nicht zu übersehen", grinste Camille. Millie lächelte. Im Moment fühlte sie nur angespannte Konzentration von ihrem Mann, keine wirkliche Angst.

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Julius hatte nicht lange überlegt. Die Geisterschwestern wollten ihn in denSchacht treiben? Sollten sie doch. Er riss Lunoire mit sich in die Tiefe, wobei er die Flugformel dachte. Hinterher würde er so tun, als habe er einen Fallbremsezauber gewirkt. Die Decke brach laut dröhnend zusammen. Es dauerte nur eine halbe Minute, dann war der Zugang zum Verlies verschüttet. Nur der Schacht und das obere Ende blieben von den Gesteinsbrocken unbehelligt.

"Grandios, Junger Mann. Jetzt dürfen wir verhungern oder uns gegenseitig auffressen", schnarrte Oreste Lunoire."

"Problem von später", sagte Julius unvermittelt kalt. "Mich interessiert erst einmal, ob sie uns ihre Geschichte erzählen kann. Wenn wir wissen, ob die Geschichte bis zu einem bestimmten Teil stimmt oder gelogen war kriegen wir das mit dem Ausstieg."

"Disapparieren können Sie vergessen. Und hier: Reducto!" Die Wand erglühte kurz. Mehr passierte nicht.

Die aus dem Körper verbante Seele Olive Bonhams berichtete nun, wie sie nach der für sie lästigen Befragung im Zaubereiministerium mit einem Vertreter der Geisterbehörde in dieses ominöse Haus der Seelenruhe fahren sollte. Unterwegs hätte dann einer dieser großen, stinkenden Lastenträgerwagen die Fahrbahn versperrt und seine Ladung auf das Ministeriumsauto geworfen. Sie sei dann ausgestiegen ."Und das war der größte Fehler meines Lebens", schluchzte die entkörperte Ehefrau Professor Bonhams. "Das bekam ich erst mit, als ich von kaltem Dunst erfasst wurde und dann unvermittelt aus meinem Körper hinausgestoßen und gezogen wurde. Zwei dieser Furien haben mich dann in Gedankenschnelle wie appariert in dieses Verlies getragen und mich hier zurückgelassen", hörte Julius die wie aus großer Entfernung anschwebende Stimme Olive Bonhams. .

"Die sind keine gewöhnlichen Gespenster mehr. Die würden in jedem Horrorroman glatt als vollwertige Dämonen durchgehen", grummelte Julius.

"Im Verbund jedem Dibbuk überlegen, wenn Sie ... Ach ja, sie erhielten Ja Unterricht bei Professeur Delamontagne", grummelte Lunoire. Julius nickte bestätigend.

"Ganz offenkundig war es ein Fehler, dass ein Träger des vor Jahrhunderten aus dem Land geschafften Erben wieder zurückkam", sagte Oreste.

"Wissen wir denn, wo die Geister jetzt hinwollen?" fragte Julius und fügte schnell hinzu: "Welche Verwandte aus der Bonham-Linie außer ihren Kindern und Enkeln lebennoch?"

"Galenus' Bruder Kelvin, ddessen Söhne Keneth und Wilson und deren zwei Töchter Vera und Vanessa."

"Sie werden erst versuchen, den erstgeborenen der letzten Generation umzubringen. Die drei Furien haben was von einer Rache und schändlicher Blutlinie erzählt. Ich fürchte, wir müssen die englischen Kollegen so schnell es geht einschalten", sagte Julius.

"Na toll. Können Sie mit unserer Vorgesetzten mentiloquieren?"

"Neh, mit der nicht, aber mit meiner Frau."

"Das ist Ihnen verboten, weil die Sache unter S8 läuft. Sie wissen, dass Sie das ihre Anstellung kosten würde."

"Gut, dann sammeln wir eben nur die Leichen von Mrs. Bonhams Verwandtschaft ein", erwiderte Julius verächtlich. "Ich denke, Sie wären Geisterjäger oder sowas."

"Meine Spezialisierung sind Spukhäuser mit gewalttätigen Geistern, die keinen lebenden Mitbewohner haben wollen. ich war nicht darauf gefasst, gegen weibliche Dibbukim zu kämpfen."

"Ach neh, raten Sie mal, wer noch", erwiderte Julius immer noch aufsässig.

"Junger Mann, könnte es sein, dass unsere Lage Ihnen jeden Rest von Anstand verdirbt?" fragte Lunoire.

"Zum einen, Monsieur Lunoire, dürfen Sie mich gerne mit Monsieur Latierre ansprechen. Ich habe einiges dafür getan und noch mehr durchgestanden, um den Namen tragen zu dürfen. Ich sage ja auch nicht alter Mann zu ihnen, sondern spreche Sie mit Sie und ihrem Nachnamen an, wie ich das schon in der Vorschule gelernt habe. Zum zweiten haben wir jetzt drei Möglichkeiten: Verhungern, uns gegenseitig umbringen oder zugucken, wie wir hier rauskommen. Wie ich Mrs. Bonham helfen kann weiß ich noch nicht. Vielleicht geht dasselbe, was bei Ihnen ging. Beid der Gelegenheit, ich warte noch auf einen bestimmten Satz von Ihnen."

"Welchen Satz, bitte?" fragte Lunoire.

"Das Sie sich bei ihm dafür bedanken, nicht den Rest der Ewigkeit mit mir in diesem leeren Loch herumgeistern zu müssen", griff Olive Bonham in die Unterhaltung ein.

"Wofür, was haben Sie denn schon getan?" wollte Lunoire wissen. Julius erwähnte, dass er die in Lunoires Körper nistende Seele derartig heftig in Panik versetzt hatte, dass sie sofort wieder aus dem besetzten Körper ausfahren wollte. Olive Bonham wiegte den Kopf. Das war nicht dass, was sie mitbekommen hatte. Doch sie sagte nichts.

"Anfängerglück", erwiderte der Geisterjäger. Offenbar empfand er seine Befreiung durch einen halbausgebildeten Zauberer von außen als nicht gerade empfehlenswert für seinen Lebenslauf.

"Wie Sie meinen, Monsieur Lunoire. Dann kannich mich ja ruhig zurücklehnen und darauf warten, dass Sie uns hier rausbringen. Vielleicht ist in diesem Schloss ja noch eine Aufzeichnung, wer die vier Geister sind. Wir wollten sie hier festsetzen,oder?"

"Falls es Ihnen entgangen ist, junger Mann, die Fesselungsaura hat versagt. Offenbar entfesseln die vier alleine so viel Kraft wie vier mal vier mal vier mal vier Geister. Wissen Sie, wie viele das sind?" Julius wiegte den Kopf und rechnete durch. Dann nickte er. "Wenn dieser Faktor echt stimmt, hätten die vier alleine so viel blanke Power wie zweihundertsechsundfünfzig einzelne Nachtgespenster."

"Oh, Moment, das prüfe ich besser nach", knurrte Lunoire und holte aus seiner noch unversehrt aussehenden Umhängetasche einen Abakus. Julius musste hinter vorgehaltener Hand grinsen. Es dauerte zwei Minuten, bis der Geisterjäger ein Ergebnis zusammengerechnet hatte. "Tatsächlich, zweihundertsechsundfünfzig. Wie kamen Sie ohne Rechenhilfe auf das Ergebnis?"

"Weil vier mal vier sechzehn ergibt und diese Zahl nur noch mal mit sich selbst malgenommen werden also quadriert werden musste. Die ersten dreißig Quadratzahlen haben meine Mutter und ich als Spiel auswendig gelernt, da war ich gerade drei mal drei Jahre alt."

"Wo von haben Sie beide es gerade?" wollte die entkörperte Olive Bonham wissen.

"Mathematik", erwiderte Julius. "Die Kunstt, die Welt in Zahlen zu fassen."

"Unfug. Die Magie ist über jede Mathematik erhaben", erwiderte Mrs. Bonham. Julius wollte ihr im Moment nicht widersprechen. Er suchte nun nach einem Ausweg. Der Schacht endete in zehn Metern höhe. Er könnte dort hinauffliegen. Aber was war dann? Vielleicht ging es, den Entstofflichungszauber zu wirken, um durch die Brocken hindurchzuschweben. Aber der Begleiter konnte das nicht und musste es auch nicht wissen. Dann hörten sie ein mörderisches Tosen von oben. Staub regnete zu ihnen herunter.

"Was war denn das jetzt?" wollte Lunoire wissen. Doch die Antwort gab er dann auch gleich selbst: "Diese vier Furien haben das ganze Schloss zusammenbrechen lassen. Damit sind wir hier nun gefangen."

"Im Februar kommt ein kleines Mädchen auf die Welt, dem will ich noch in die Augen sehen und es "papa" zu mir sagen hören", sagte Julius. "Kennen Sie den Spruch, Geist herrscht über Materie?"

"Sicher ein Spruch aus der Muggelwelt."

"Und ich dachte, gerade in der Magie wird er immer wieder bestätigt", feixte Julius. Da sagte Lunoire: "Vielleicht gelingt es, in Nebelform durch die Ritzen der Trümmer zu entweichen und draußen wieder feste Form zu erhalten. Vorausgesetzt, Sie durften diesen Zauber erlernen."

"Stimmt, das ist mal eine Idee", sagte Julius und hielt den Zauberstab gegen sich. Oreste machte Anstalten, ihn Julius wegzunehmen. Doch dieser wandte sich schnell um. Der Griff prallte an der Panzeraura ab. Dann verwandelte sich Julius in eine weiße Nebelwolke. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren schwebte er nach oben. Dann drang er zwischen die Gesteinstrümmer und mühte sich ab, seinen Zusammenhalt zu behalten. Jetzt dankte er Professeur Dirkson, die ihn regelrecht damit getrietzt hatte, den Zauber perfekt zu erlernen. Tatsächlich fand er in der nebelhaften Zustandsform immer wieder Lücken, durch die er seine verwandelte Körpermaterie hindurchgleiten ließ. Trotzdem dauerte es knapp eine Stunde, bis er wieder freikam. Beinahe hätte ihn gleich die erste Windböe auseinandergerissen und restlos verweht. Doch in nur einem winzigen Augenblick jagte er die Rückverwandlungsmagie durch seinen in Nebelteilchen aufgelösten Körper hindurch. Er landete auf demobersten Trümmerstück. Das Schloss existierte wirklich nicht mehr.

"Es geht!" rief er mit Sonorus-Zauber nach unten. Keine Antwort. Er rief es noch einmal. Dann erfolgte eine Antwort, allerdings aus einer anderen Richtung.

"Monsieur Latierre, sind Sie wohl auf?!" rief eine ebenfalls mit Sonorus-Zauber verstärkte Frauenstimme. Julius rief zurück, dass er und Monsieur Lunoire wohlauf seien, Monsieur Lunoire vielleicht noch in Nebelform unterwegs war.

Mit vereinten Kräften räumten die mit Madame Ventvit angerückten Außendienstmitarbeiter die Trümmer weg. Wo sie per Schwebezauber angehoben werden konten wurde dieser eingesetzt, des weiteren wurden der Reducto-Fluch und der Excavatus-Zauber, sowie Deffodius verwendet. Knapp eine Stunde später lagen vier Schächte frei zugänglich. In einem Schacht hockte der Geisterjäger, der wohl krampfhaft versuchte, sich an die Nebelbezauberung zu erinnern. Neben ihm hing frei in der Luft die entkörperte Seele Olive Bonhams.

"Zumindest muss ich mich nun nicht mehr vor dem Unmut Ihrer hochschwangeren Frau vorsehen", erwiderte Madame Ventvit, als sie Julius zur offiziellen Befreiungsbegrüßung in die Arme genommen hatte. Dann verlangte sie von ihrem offiziellen Mitarbeiter und Einsatzleiter einen kurzen Bericht. Julius hörte mit gewisser Beruhigung, dass er dabei gut wegkam.

"Dann müssen wir wohl schnellstens zu den Bonhams", sagte Adrastée. Julius, es tut mir Leid, sie unverzüglich nach London schicken zu müssen. Natürlich erhalten Sie ein Begleitschreiben, dass Ihren Auftrag legitimiert. Bitte sorgen sie dafür, dass die Bonhams nicht einer jahrhunderte verspäteten Blutrache anheimffallen!" Julius nickte. Lunoire fragte, was er dabei tun konnte. "Sie schreiben den Bericht über das Schloss und wie und warum es in Trümmern ging und was sie im Zustand der Körperlosigkeit mitbekommen haben!" erwiderte Adrastée Ventvit. Das missfiel dem Geisterjäger. Julius versuchte ihn zu beruhigen: "Sicher ist das, wo ich hingehe, wesentlich gefährlicher als der Bürostuhl im Ministerium."

"Wie überaus witzig", blaffte Lunoire zur Antwort.

__________

Galenus Bonham pflegte kurz vor Ende jedes Arbeitstages noch einmal einen Rundgang über die Stationen des St.-Mungo-Krankenhauses zu machen.

Als er in der Dai-Llewellyn-Station für Verletzungen durch magische Tierwesen ankam traf er Hippocrates Smethwyck, den Stationsleiter.

"Wir durften heute den vor drei Wochen eingelieferten Lykanthropie-Patienten als austherapiert entlassen. Ms. Highdale hat ihm wohl eine Mitgliedschaft im Kommando Remus Lupin angeboten."

"Es ist bedauerlich, dass wir gegen diesen Erreger immer noch kein Mittel haben, wenn die Erkrankung nicht in den ersten fünf Minuten nach der Infektion bekämpft wird."

"Sie haben ja selbst den Lagebericht gehört, dass die Aushebung des Hauptquartiers der Mondgeschwister vielleicht nur einen Aufschub bewirkt hat."

"Gut, irgendwie muss sich die neue Abwehrtruppe gegen Werwölfe rechtfertigen", sagte Smethwyck. Dann kam er auf ein anderes Thema: "Darf ich schon gratulieren?" fragte er.

"Zu was?" erwiderte Bonham mit einer Gegenfrage.

"Soweit mir zur Kenntnis gelangte empfiehlt Zunftsprecher Professor Mugo, Sie als seinen Nachfolger zu wählen, wenn er im nächsten Sommer in den Ruhestand gehen möchte."

"Mich, die niedergelassene Hebamme Newport und sogar Madam Pomfrey, wenngleich diese schon kategorisch jede Berufung in das Zunfthaus ausgeschlagen hat, weil sie sich in ihrer Niederlassung zu wohl fühlt", erwiderte Professor Bonham. Er dachte daran, dass Stationsleiter wie Smethwyck ihn zu gerne auf seinem Posten beerben würden.

"Oh, dass Madam Pomfrey zur Zunftsprecherin gewählt werden könnte wusste ich noch nicht", erwiderte Smethwyck verlegen lächelnd. Bonham hätte ihn fast einen Lügner genannt. Wer zur Wahl anstand, sei es auf Empfehlung oder durch angestrebte Kandidatur, konnte jeder Heiler im Heilerherold verfolgen. Doch Bonham unterließ es, seinen Mitarbeiter zu tadeln. Er erkundigte sich nur noch nach den neuesten akuten Fällen. Ein Muggel war von einer Doxy gebissen worden. Zum Glück für die Magiegeheimhaltung führte das Gift der Doxys zu einer nur durch die richtigen Gegenmittel aufhebbaren Bewusstlosigkeit. So hatte der Muggel nicht mitbekommen, dass er vorübergehend im St.-Mungo-Krankenhaus gelegen hatte.

"Danke für die Zusammenfassung Ihres nächsten Berichtes", sagte Bonham. Dann verabschiedete er sich von Smethwyck.

In der Mutter-Kind-Station erfuhr er, dass allein an diesem Tag sieben neue Zaubererweltbürger geboren worden waren, von denen drei die selben Eltern hatten. Hinzukam, dass die Drillingsmutter keine Hexe, sondern Muggelfrau war, aber gemäß der Familienstandsgesetze im St. Mungo niederkommen durfte, wenn sie Kinder eines Zauberers zur Welt brachte.

Als Professor Bonham durch seinen eigenen Kamin, den er mit einer uhrzeitgenauen Zaubersperre hinter sich verschliessen konnte, in sein eigenes Haus zurückkehrte erwartete ihn eine Überraschung.

Kaum hatte er den Kamin verlassen, sog er den würzigen Duft von indischem Curry in die Nase ein. Wie kam das denn? Er hatte doch kein Curry vorgekocht. Er konnte mit Zauberkraft kochen, überhaupt ein Grund, warum er und seine Frau keinen Hauselfen hatten, obgleich sie von seiner Rangstellung her locker einen hätten beantragen können. Er brauchte aber nur eine Sekunde, um die Antwort zu finden. "Zuckertörtchen, bist du schon wieder zu Hause?" rief er. Keine Sekunde später erfolgte die geflötete Antwort: "Seit einer halben Stunde, Goldstück."

"Ich dachte, du wärest noch bei den Nasensprechern und würdest dieses Schloss suchen, von dem Dad es hatte."

"Komm besser in die Küche, bin ein wenig Heiser wegen der Gebirgsluft", kam die seit mehr als fünfzig Jahren vertraute Stimme zurück.

"Will erst die Arbeitskluft abwerfen, Zuckertörtchen. Bin gleich bei dir."

"Ich hab' das Curry gerade heiß und scharf, Goldstückchen", hörte er die Antwort seiner Frau. Sie klang sehr erfreut, aber irgendwie auch merkwürdig entschlossen, als müsse sie etwas tun, was ihr Freude machte, aber noch warten müsse. So hatte sie immer geklungen, wenn ihr der Sinn nach Beilager stand, sie aber gerade beide auf einer wichtigen Party waren und nicht mal eben verschwinden konnten. Konnte es sein, dass seine Frau, die leider wegen der drei Mutterschaften etwas zu heftig aufgequollen war, immer noch oder schon wieder Lust auf seinen Körper hatte?

Der Professor legte seinen grünen Heilerumhang mit dem vergoldeten Abzeichen von St. Mungo und den goldenen Tropfensymbolen auf den Schultern sorgfältig über einen freien Stuhl im Schlafzimmer und schlüpfte in einen leichten, schlichten Hausumhang. Dann begab er sich in die fast schon saalartige Wohnküche. Dort sah er seine Frau, die in einer grün-weiß karierten Küchenschürze am Herd stand und gerade den Zauberstab fortsteckte. Der Tisch war bereits gedeckt. Drei schlanke weiße Kerzen standen in einem silbernen Halter in der Tischmitte und brannten ruhig und rauchfrei.

"Schön, dass du wieder da bist", sprach Galenus Bonham, wobei seine Worte quasi in der rechten Schulter seiner Frau versickerten, weil sie ihn sehr innig umarmte und er ihr da nicht nachstehen wollte. Dass er ihren Körpern mit seinen Armen nicht mehr ganz umschließen konnte hatte er irgendwie als vertrautes Übel abgehandelt.

"Setz dich, Goldstückchen und lass dich von mir verwöhnen", sagte Olive Bonham. Galenus Bonham hörte einen merkwürdigen Unterton heraus, als wolle sie bald zur Sache kommen und nicht die ihr zur Verfügung stehende Zeit auskosten.

Er setzte sich hin. Sogleich bekam er einen tiefen Teller voller Reis und Lammcurry vorgesetzt. Er schnupperte. An dem Essen war nichts auffälliges zu riechen. Das auffällige kam erst, als er den ersten Löffel in den Mund schob und meinte, gleich wie ein Drache Feuer speien zu müssen. Ja, wohl wahr, sie hatte das Curry richtig scharf hinbekommen.

"Öhm, ... öchm öchm ... erzä-hähl bitte ... öchm öchm ... wie's war", röchelte Galenus Bonham.

"Ich habe dieses Schloss gefunden, oder was die Zeit davon übriggelassen hat", sagte Olive kalt wie ein Eisblock. "Da war nichts mit alten Aufzeichnungen. Da ich da privat war konnte ich ja kaum wen beauftragen, die zusammengebrochenen Mauern und Türme umzukrempeln, um möglicherweise was zu finden."

"Das tut mir leid ... äch-ächm", hustete Galenus Bonham.

"Was tut dir leid?" wollte Olive wissen. Der Klang ihrer Stimme beunruhigte ihn ein wenig. Irgendwie schien seine Frau nicht wirklich bei guter Laune zu sein. So sagte er vorbeugend: "Dass ich dich armes Wesen ganz unbegleitet in diese Gegend geschickt habe, wenn da nichts mehr zu finden war. Kann verstehen, dass du dann ganz schnell wieder nach England wolltest, wo du mit der Sprache nicht so auf gutem Fuß stehst."

"Vielleicht wäre es sowieso besser für dich und alle anderen gewesen, diese Geschichte zu vergessen, schön weit von dem Schloss wegzubleiben. Iss noch was!"

"Kann nicht so schnell. Hast es sehr gut gemeint. Wenn das alles Salz wäre müsste ich dich fragen, in wen du verliebt bist", scherzte Galenus Bonham.

"Verliebt?" fragte seine Frau. Er erklärte ihr den Muggelspruch, dass wenn das Essen versalzen war hieß, dass die Köchin oder der Koch gerade verliebt sei.

"Für mich gibt es nur dich, Goldstückchen, ganz allein du bist mir hier und jetzt wichtig", erwiderte Olive Bonham. Irgendwie klang das für den Professor sehr begehrlich. Er sah seiner Frau ins runde Gesicht. durch die silberumrandete Brille blickte sie ihn sehr genau an. Es sah aus, als müsse sie ihn genau abschätzen. So hatte sie ihn damals angesehen, als sie sich auf der Party seiner Eltern getroffen hatten. Sie hatte da gerade ihre Anstellung bei Zeitgenössische Zauberkunst sicher.

"Olive, ich weiß, das war eine fixe Idee von Dad. Der wollte, dass das bestätigt würde, dass in unseren Adern blaues Blut fließt. Du hättest es vielleicht ablehnen sollen."

"Über den verschütteten Trank zu jammern ist Zeitvergeudung, wenn der Kessel erst einmal umgekippt ist", schnarrte Olive. "Zumindest weiß ich jetzt, dass da dieses Schloss mal gestanden hat." Galenus Bonham nickte. Dann aß er weiter, wobei er mehrere Gläser flüssigen Yogurts dazutrank, um die Schärfe des Essens besser zu verdauen. Seine Frau erzählte ihm in einem Berichterstattungstonfall, dass sie nach Entdeckung des Schlosses zusehen musste, aus der entlegenen Gegend wegzukommen und von Callais aus nach Dover appariert sei. Galenus hörte ihr zu. Seine Geschmacksnerven gewöhnten sich mit jedem Bissen an die Schärfe des Essens. Er dachte witzigerweise daran, dass er es später noch einmal brennen fühlen würde.

"Und nun zum Nachtisch", sagte Olive und zog ihren Zauberstab hervor. Sie deutete erst auf die Tischmitte. Doch ganz plötzlich ließ sie das Stabende auf Galenus Bonham zusausen. "Maneto!" hörte er. Er war so perplex, dass er überhaupt nichts unternahm, um dem ihm geltenden Zauber auszuweichen. Unvermittelt fühlte er, wie er in der gerade eingenommenen Haltung erstarrte. Er wolte schon fragen, was dieser Scherz sollte. Wollte seine Frau sich jetzt an ihm zu schaffen machen, weil es ihr ein inneres Bedürfnis war, einen ihr unterworfenen Mann zu nehmen, sich an ihm zu befriedigen. Er hielt nichts von diesen Spielarten der Erotik, empfand diese Lage alles andere als wohlig anregend. Doch er konnte seiner Frau nicht sagen, dass er diesen plötzlichen Überfall nicht spaßig fand. Er ärgerte sich, dass er mit seiner Frau nie richtig hatte mentiloquieren können. Nur während der drei Schwangerschaften war ihnen das gelungen, wohl wegen des sie verbindenden Nachwuchses.

Hilflos musste Galenus Bonham ertragen, wie seine Frau seinen Umhang lüftete und mit einem Griff von ihm fortriss. Dann zerrte sie ihm auch noch die oberschenkellange Unterhose herunter. "Ja, aus diesem Stück Fleisch hast du das Erbe deiner verfluchten Blutlinie vermehrt", schnarrte Olive, während sie sehr ruppig an seine Genitalien langte. Dann passierte was, womit er nicht im Ansatz gerechnet hatte. Aus dem Ständer für scharfe Messer löste sich ein langes Tranchiermesser heraus und flog wie von unsichtbarer Hand getragen zu seiner Frau hinüber. Sie bekam es am Griff zu fassen, während sie mit der linken Hand immer noch die Weichteile ihres Mannes umklammert hielt. "Gleich wird die Schande, die sich das Weib, als das ich zu dir kam auf sich lud, aus dieser Welt getilgt sein", sagte sie. "Vielleicht halte ich dich davon ab, hinüberzutreten, wie meine Schwestern und ich das mit dem Schänder, der dein Ahnherr ist, getan haben. Wir haben ihn zurückgehalten und genüsslich in der Luft zerrissen und jede von uns hat sich ein Bruchstück seiner verdammenswürdigen Seele einverleibt. War sehr anregend für uns, kann ich dir sagen. - Nein, ich lasse dich hinüber, damit du nicht meinst, uns noch die Ohren volljammern zu müssen", sagte die Frau, die der bewegungsgebannte Heiler eigentlich für seine Ehefrau gehalten hatte. "Gleich wird der erste Schritt zum Vertilgen deiner verfemten Blutlinie getan sein."

"Olive, was ist mit dir? Hör mit dem Irrsinn auf!" versuchte Bonham, doch noch eine Gedankenbotschaft an seine Frau zu übermitteln. Doch er empfing nicht den winzigsten Hauch eines Nachklangs. Seine Gedanken waren nur in seinem Kopf geblieben oder ins Nichts verpufft, ganz wie er wollte. Schon sah er, wie die Person, die wie seine Frau aussah, mit überlegenem Lächeln auf den wülstigen Lippen das Messer führte. Sie wollte ihn kastrieren, ohne Betäubung. Angst und Verzweiflung trieben ihm den kalten Schweiß aus allen Poren.

__________

"Gefahr im Verzug, Sir. Wo wohnt Professor Bonham!" stieß Julius aus, als er nach seiner Flohpulverreise im Büro von Mr. Diggory stand. Er hatte ihm eine der ihm mitgegebenen Kopien seines Eilauftrages in die Hand gedrückt. Diggory las erst. "Wir müssen ihn warnen oder beschützen, falls seine Frau schon auf dem Weg zu ihm ist", legte Julius nach.

"Ihre Vorgesetzte ist doch Ornelle Ventvit", sagte Amos Diggory. Dann las er wohl die Passage, dass er zeitweilig der Geisterbehörde ausgeliehen war, um einen Auftrag auszuführen. "Moment mal, will Madame Ventvit, Adrastée mit diesem Schreiben andeuten, die Bonhams würden von vier weiblichen Dibbukim bedroht?"

"Keine Dibbukim im bekannten sinne, Sir, sondern äußerlich gewöhnliche Gespenster, die durch Enthauptung entstanden. Sie verfügen jedoch über wesentlich mehr Kräfte als übliche Totengeister, Sir. Bitte sagen Sie mir, wo ich Professor Bonham erreichen kann, bevor die Geisterfrau, die im Körper seiner Ehefrau umgeht ihn findet und tötet!"

"Nicht ohne mir unterstehendem Personal", sagte Diggory. Dann wandte er sich einem Bild mit einem hageren Zauberer darauf zu. "Jeff, Marley und die drei Brüder anfordern. Sofort in mein Büro, am besten mit Drachenpanzer gegen mögliche ferngelenkte Geschosse."

"Wird erledigt, Amos", krächzte der gemalte Zauberer und hastete zur rechten Bildbegrenzung.

"Okay, ich verstehe, dass ich hier nicht Einsatzberechtigt bin, Sir. Aber wenn Ihr Mitarbeiter nicht in einer Minute hier aufläuft bin ich im St. Mungo und suche den Professor da. Ich habe noch genug Kopien meines Eilauftrags mit", erwähnte Julius.

"Junger Mann, ich weiß, dass Ihnen in Ihrem jungen leben schon übel mitgespielt und viel abverlangt wurde. Aber wenn Sie jetzt voreilig und unautorisiert vorgehen verderben Sie mehr, als sie bewirken können.

"Abgesehen davon, vielleicht das eine oder andere Menschenleben zu retten, sir?" erwiderte Julius, sich dessen bewusst, dass dies schon sehr renitent war.

"Was noch zu klären ist. Ich schicke Sie auf jeden Fall nicht ohne klare Bestätigung zu einem der wichtigsten Zauberer unseres Landes. Selbst wenn seine Frau bereits wieder aus Frankreich zurückgekehrt sein sollte, haben wir und Sie erst recht kein Recht, ihn in seiner Privatsphäre zu stören, wenn kein triftiger Grund vorliegt."

"Hmm, ohne respektlos zu sein, Sir, aber ich erwähnte eben den in allen Ermittlungs- und Schutzbehörden geltenden Begriff Gefahr im Verzug. Es ist immer leichter, sich hinterher zu entschuldigen, als zu spät auf eine drohende Gefahr zu reagieren." Julius konnte gerade noch verhindern, zu sagen, dass man Cedric noch rechtzeitig hätte finden können, wenn man den Weg des zum Portschlüssel gemachten trimagischen Pokals schnellstmöglich ermittelt und verfolgt hätte. Doch weil das nicht gegangen war und bis zu Harry Potters Rückkehr niemand wusste, wer und wieso den Pokal verzaubert hatte, wäre das nur ein gemeiner Stich in eine vernarbte Seelenwunde des Ministerialzauberers.

"Dennoch muss auch Gefahr im Verzug genau erkannt werden und ..." es klopfte. "Herein!" rief Amos Diggory.

Ein Zauberer mit rotbraunem Haar in einem mitternachtsblauen Umhang betrat das Büro. Seine dunkelgrünen Augen blickten schnell von Amos Diggory zu Julius hinüber. "Sir, bin so schnell es ging angetreten. Ausrüstung für Einsatz gegen böswillige Gespenster am Körper."

"Gut, Jacob. Monsieur Latierre, das ist Außeneinsatzleiter Jacob Marley von der Geisterbehörde, zuständig für die Bekämpfung menschengefährdenden Spuks und Suche nach bösartigen Geisterwesen."

"Marley? Jacob Marley", staunte Julius und musste trotz der angespannten Situation grinsen. Der andere sah und hörte, was Julius wohl umtrieb und grummelte. Dann sagte er:

"Ach, Muggelstämmig. Öhm, stimmt, erinnere mich. Latierre, Julius, mal Hogwarts-Schüler, jetzt bei den Kollegen in Paris angestellt. Ja, ich heiße Jacob Marley. Aber ich bin nicht tot und schon gar nicht wie ein Türnagel. Außerdem trage ich keine Ketten aus Brieftaschen und Geldkassetten am Körper."

"Jacob, der Junge kam herüber, weil seine Leute wohl herausbekommen haben, dass Professor Bonham von rachsüchtigen Geisterfrauen bedroht werden soll, die wegen seines Urahnen ihn und seine Blutsverwandten umbringen wollen."

"Oh, hatten wir lange nicht mehr", sagte Marley und nickte. Diggory gab ihm Julius' Auftragsbeschreibung zu lesen. In der Zeit schwebten drei wahrhaftige Gespenster in den Raum. Eines war wohl durch Enthauptung gestorben, weil es seinen Kopf unter dem linken Arm trug. Das zweite Gespenst trug einen stramm gespannten Henkersstrick um den Hals, dessen langes Ende ihm wie eine Schleppe hinterdreinglitt. Das dritte männliche Gespenst hatte einen Armbrustbolzen in der Brust stecken.

"Ah, die Gebrüder Spade", begrüßte Diggory die drei männlichen Gespenster. "Logan, der älteste, dann Grover, intern auch Galgenstrick und noch Pancrace, genannt Bolzenfänger Spade."

"Sagen Sie einfach das legendäre und unschlagbare", setzte der unter dem Arm seines Besitzers getragene Kopf an, worauf alle zusammen "Bi-ba-Bu-Trio!" riefen. Julius hörte in seinem Kopf die quäkige Sirene des Einsatzwagens der berüchtigten New Yorker Geisterjäger aus dem Kino. Er nickte nur.

"Boss, wenn stimmt, was die Franzleute da ... öhm, unsere französischen Kollegen ermittelt haben, so hätten Sie mich und die drei Nebelstreifen da gleich herrufen müssen, als der Bursche zu uns kam. Ich sehe Gefahr im Verzug, Sir. Gemäß der amtlichen Verfügung ist Mr. Latierre angewiesen, mit uns zusammenzuarbeiten. Dann lassen sie mich mit ihm und den drei Dampfblasen gleich losziehen, um Prof Bonham noch lebend zu finden, Amos!"

"Sie wissen, dass Sie dem jungen Anwärter hier kein brauchbares Vorbild in innerbehördlicher Kommunikation sind?" fragte Diggory. "Aber ich muss Ihre Expertenmeinung respektieren. Dann in drei Gorgonen Namen ziehen Sie los. Sie müssen ins Haus Fliederbusch. Wenn die Flohpulversperre dort greift apparieren sie außerhalb namensgebender Fliederhecke!"

"Geht klar, Amos. Sie begleiten mich, und ihr drei Blubberblasen zieht euch besser in die Mitnahmekapsel zurück, weil ihr nicht wisst, wo das Haus steht."

"Auch an deinem Beil wird schon geschliffen", sagte der geköpfte Geist. "Und die Schlinge für deinen Hals wird schon gedreht", fügte der offenbar erhängte hinzu. "Da ist niedergeschossen werden schon ein echt gnädiger Tod", sagte der mit dem Armbrustbolzen im Oberkörper. Alle drei lachten. Dann sausten sie durch die Wand hinaus.

"In unser Büro, Mr. Latierre!" befahl Marley und verließ das Büro durch die Tür. Julius verschenkte keine weitere Sekunde an ein höfliches Abschiedswort. Er wetzte dem offenbar gut trainierten Geisterbehördenmann hinterher zu einer Bürotür, vor der ein silbriger Lichtvorhang hing. Diesen tippte Marley nur mit einem Finger an. Mit leisem Plopp erlosch die Zaubersperre. Julius lief hinter Marley her.

Julius vergeudete keine überflüssige Zeit mit der Betrachtung des Büros. Er sah nur einen großen Schreibtisch, auf dem eine leere Whiskyflasche stand. In dieser meinte er kleine, schneeweiße Männchen groß wie Mäuse zu erkennen, die sich gegenseitig umschlungen hielten. Marley ergriff die entkorkte Flasche mit der freien hand. "Notausgang Geisterbehörde!" rief Marley mit zur Decke weisendem Zauberstab . Es knisterte hörbar. Julius kapierte und hielt sich bei Marley fest. Er konzentrierte sich auf den einen Wunsch, dort zu sein, wo Marley sein wollte. Da wirbelte Jacob Marley auch schon herum und zog Julius mit sich in das zusammendrückende dunkle Zwischenstadium zwischen Hiersein und Dortsein.

Als die Welt wieder Raum und Gestalt bekam fand sich Julius vor einem drei Meter hohen Fliederbusch, der als natürliche Begrenzung ein Gutshaus umsäumte. "Wer durch die freigehaltene Lücke tritt, ohne offiziell eingeladen zu sein wird ziemlich brutal wieder zurückgeworfen", sagte der britische Geisterbehördenbeamte. "Meine Kollegin Highdale von den Zauberwesen war mal hier und hat vergessen vor dem Durchschlupf um Einlass zu bitten. Na ja, ich kann die Barriere knacken, aber nur für eine Minute."

"Dann machen Sie dies bitte", zischte Julius.

"Erst lasse ich die drei Nebelwichtel da rein", sagte Marley und klopfte an die Whiskyflasche. Drei weiße Schemen entfuhren dem Flaschenhals mit leisem Ploppen, als wenn drei kleine Korken herausgezogen würden. Die Schemen wuchsen im freien Flug zu den drei Spade-Brüdern an, die unverzüglich über die Fliederhecke hinweg zum Haus hinübersausten.

"So, die Rauchzeichen sind versendet, betreten wir den Kriegspfad", sagte Marley. Offenbar hatte der Zauberer einen merkwürdigen Sinn für Wortwahl, dachte Julius. Zumindest aber schien er sich in Indianergeschichten der Muggelwelt auszukennen.

Die erwähnte Durchgangslücke war breit genug für zwei Leute. Julius' Armband reagierte unmittelbar in ihrer Nähe mit sanftem Zittern und Erwärmung. "Repulsus inoptatus?" fragte Julius.

"Oh, den Zauber erkennen Sie ohne sehen zu können? Ja, ist es. Dürfen nur Ministeriumsleute oder von diesem autorisierte Hexen und Zauberer errichten und/oder aufheben."

"Habe ich auch gelesen. Da ich gerade nur zeitweiliger Assistent und Beobachter bin darf ich den Zauber nicht aufheben", sagte Julius. Doch Marley machte schon die entsprechenden Zauberstabbewegungen, die in vier gezielten Stößen in Richtung Lücke genau an den Ecken eines imaginären Rechtecks gipfelten. Es prasselte. Dann fauchte es. Zu sehen war nichts. "Okay, wir können durch", sagte Marley. Julius nickte. Sein Armband hatte sich in dem Moment beruhigt, als Marley den Unterbrechungszauber vollendet hatte.

Im Geschwindschritt ging es zum Haus. Von da kam Grover Spade ihnen schon entgegen.

"Der Zeiger hat die Zwölf schon geküsst, Leute", sagte der Geist des Gehängten.

__________

Sie wollte es auskosten, den vorletzten Erben Dixarbres zu töten. Da Olives Seele sicher in ihrem ehemaligen Verlies verwahrt war wirkte ihr kein Widerstand entgegen. Sie senkte genussvoll das unter ihrem Stuhl versteckte Tranchiermesser. Die Klinge war scharf genug, um diesem Wicht erst das Gemächte ab- und dann die Kehle durchzuschneiden. Im Banne des Lähmzaubers konnte der sich nicht dagegen wehren, es aber bei vollem Bewusstsein mitbekommen. Sie zog das Messer kurz vor dem verhängnisvollen Schnitt noch einmal zurück. Sie genoss diesen Augenblick, zögerte ihn so lange hinaus wie sie konnte. Er konnte nicht um Hilfe rufen, auch nicht in Gedanken, dafür hatten die einfältigen Bonhams gesorgt, dass ihr Haus gegen fremde Gedanken abgeschirmt war, nach innen und nach außen. Jetzt führte sie das Messer wieder dorthin, wo sie gleich den verhassten Träger Auguste Dixarbres' Bluts entmannen würde.

"Ui, Mädel, nicht sowas böses mit einem gesunden Mann machen!" rief eine Männerstimme von der Decke her. Sofort fühlte sie die unmittelbare Gegenwart eines anderen Geistes und wirbelte herum. Da flog ihr der Kerzenleuchter vom Tisch entgegen. Sie drängte den zweckentfremdeten Körper zurück. Da sah sie zwei Geister. Einer trug seinen Kopf sehr locker auf dem Hals. Der andere war mit einem Armbrustbolzen gespickt. Dann sah sie noch einen Geist, der eine zugezogene Henkersschlinge um den Hals trug. Ihr Stuhl wurde von unsichtbaren Kräften umgestoßen. Sie wollte das Messer festhalten. Doch der Fall prellte es ihr aus der Hand. Sofort griff der Geist mit der Schlinge danach und sauste damit zur Decke, wo er es mit der Klinge voran in die Ritze der Vertäfelung rammte. Die beiden anderen Gespenster hatten bereits den Messerständer gepackt und hielten ihn fest. Sie wandte ihre eigenen Fernlenkkräfte an. Doch die Geister hielten die Messer sicher fest.

"So nicht, Lady", krächzte der Geist eines am Galgen verschiedenen.

"Dann eben so!" brüllte die Frau, die am Boden lag und ergriff den Zauberstab. Sofort rief sie Geisterbannformeln. Die drei Gespenster versuchten auszuweichen. Doch den geköpften und den mit Armbrustbolzen erledigten erwischte der Fluch der umschlossenen Seele. Die beiden Geister fanden sich auf ihre halbe Körpergröße eingeschrumpft in einer bläulich flimmernden Kugelschale wieder, die unverrückbar dort in der Luft verharrte, wo sie eine Sekunde zuvor noch gewesen waren. Nur der Gehängte war mit einem kühnen Sprung durch Tischplatte und Fußboden entwischt.

"Ich merke wo du wieder rauskommen willst, Drachenrülpser!" rief das Wesen, das sich Olive Bonhams Körper angeeignet hatte. Da sah sie auch schon, wie der dritte Geist aus dem Herd herausfuhr und zielte auf ihn. Da bekam sie einen Schlag auf den Hinterkopf. Mit einem durch starke Fernlenkkraft hochgerissenen Stuhl, der ihr mal eben über den Kopf geschlagen wurde, hatte sie nicht gerechnet. Da sie gerade in einem lebenden Körper steckte verlor sie die Besinnung.

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"Woher kann die diesen Zauber?" fragte Marley, als er die zwei in frei schwebenden Kugeln gefangenen Geisterbrüder sah.

"Frag die das, wenn ihr die in sowas reinstopfen könnt", klang Pancraces Stimme wie aus einem geschlossenen Kesse.

"Globus animae captivae", seufzte Marley. "Den kann nur aufheben, wer das dabei gedachte Schlüsselwort kennt", seufzte er noch.

"Ist das ein Fluch? Von diesem Zauber habe ich bis heute nichts gehört", gestand Julius ein. Der britische Geisterbehördenbeamte schüttelte den Kopf. "Es ist in dem Sinne kein Fluch, sondern ein Fangzauber, so wie Incarcerus oder Colloportus." Er trat an eine der frei in der Luft hängenden Kugeln und legte seine Hand darauf. Sie glitt durch die Kugel und den in ihr gefangenen Geist wie durch leere Luft. "Ich empfinde nicht einmal die übliche Kälte berührten Ektoplasmas", sagte der Geisterbehördenbeamte. Julius blickte auf die zwei schwebenden Kugeln. Den Zauber sollte er vielleicht auch noch lernen, dachte er.

Da erhob sich Olive Bonham. Gleichzeitig begann alles in der Küche verrückt zu spielen. Die Kerzen flogen aus dem Halter und wurden zu am Ende brennenden Geschossen. Gläser und Karaffen zerbarsten. Julius kannte dieses telekinetische Spektakel schon und war verdammt froh, immer noch den Drachenhautpanzer unter der Kleidung zu tragen.

"Netter Versuch!" rief die in Olives Körper hausende Seele. "Aber wer eine von uns wütend macht zieht sich den Zorn aller vier zu!" keifte sie noch. Dann bekam die Deckentäfelung Risse. Marley warf rasch eine Art magische Decke über den nun am Boden liegenden Professor. Die Aktion kam keine Sekunde zu früh. Denn unvermittelt sirrten alle Messer auf ihn zu, als sei sein Körper ein ultrastarker Magnet.

"Das gibt's nicht, wir kriegen das nicht unter!" kreischte Grover Spade.

"Die kann unmöglich so viel ...!" rief Marley. Die wieder aufgewachte Besessene wirbelte mit durch die Luft pfeifendem Zauberstab herum. Grover Spade kam nicht rechtzeitig aus der Flugbahn. Jetzt konnte Julius sehen, wie sich um den Geist eines Gehängten Zauberers eine blau flimmernde Wolke bildete, ihn zusammendrückte, dass er am Ende mit an den nicht mehr ganz so transparenten Körper gepressten Armen und Beinen in einer weiteren Lichtkugel feststeckte. Marley versuchte es mit dem Decorporis-Fluch, den bösen Geist aus der ihm nicht gehörenden Hülle zu reißen. Doch mit lautem Peng flog der Zauber auf den Geisterjäger zurück. Er schrie auf, als aus seinem Körper ein weißer Dunstschwall brach wie Dampf aus einem Überdruckventil. Der Dunst formte die nun geisterhafte Nachbildung Marleys, dessen lebender Körper zusammenbrach und wie tot liegen blieb. Die im Körper Olive Bonhams eingenistete Geisterschwester lachte laut und schadenfroh.

"Damit doch nicht, du Lehrling", spottete sie. Der aus seinem Körper herausgelöste Marley blickte auf die von ihm getrennte stoffliche Form und verzog das Gesicht."Willkommen in unserer Daseinswelt!" rief sie noch. Julius erstarrte einen Moment, als er sah, wie die Besessene Olives Zauberstab auf den totengleich daliegenden Geisterbehördenzauberer richtete. Dann handelte er blitzschnell.

"Avada Kedavra!" rief die in Olive steckende Geisterfrau. "Katashari!" rief Julius. Da sein Zauber nur aus einem Wort bestand trat er schneller in Kraft als der Todesfluch. Olive Bonhams Arm wurde vom silbernen Lichtstrahl des Todeswehrzaubers getroffen. Der Zauberstab flog eine grüne Flammenspur ziehend wie eine Rakete durch den Raum und schlug auf den Tisch, wo er in einer grünen Feuerblume zerbarst, die augenblicklich zu einem gewöhnlichen, hell lodernden Feuer anwuchs. Gleichzeitig wurde der restliche Körper der Besessenen in silberweißem Licht gebadet und wurde durchsichtig. Durchsichtig? Diese Wirkung kannte Julius von dem Zauber noch nicht. Da sah er noch, wie der Besessenen Marleys Zauberstab in die Hand flog. Im nächsten Augenblick löste sich die Besessene in silbern leuchtenden Nebel auf, der übergangslos erlosch wie ausgeschaltetes elektrisches Licht.

"Das wollte ich so nicht!" stieß Julius aus. Dann erkannte er die im Moment größere Bedrohung, das Feuer. Der ganze Tisch war bereits ein einziges Brandnest. Das Feuer griff glühendheiß um sich, berührte fast schon den hilflos am Boden liegenden Marley. Es bekam drei der um den Tisch stehenden Stühle zu fassen und entflammte diese wie Fackeln. "Extingeo!" rief Julius und zielte mit dem Zauberstab auf das gierig um sich greifende Feuer. Er dachte sich eine Ladung flüssigen Stickstoffs, der auf einen Strohballen ausgekippt wurde und diesen unverzüglich tiefgefror. Ein eisblauer Lichtkegel brach aus Julius Zauberstab und traf auf das Feuer, das schon an Marleys Umhangsaum leckte. Da wo der blaue Zauberstrahl traf erstarben die Flammen. Julius führte so besonnen er in dieser Lage sein konnte den Zauberstab, bis er das ausgebrochene Feuer erstickt hatte.

"Vorsicht!" hörte Julius wie aus großer Ferne die Stimme Marleys. Er wirbelte herum und sah drei haargleiche, völlig nackte Geisterfrauen, die ihn verächtlich anblickten. Eine von ihnen glitt auf Marley zu. "Ist zwar nicht mein erträumter Leib, doch Aurélie musste ja auch mit einem fetten Weibe Vorlieb nehmen", grummelte sie. Julius verstand. Die Geisterfrau wollte den gerade seiner Seele entledigten Körper Marleys in Besitz nehmen. So zielte er auf den Körper des Geisterbehördenbeamten und dachte "Lentavita!" Diesen Zauber dachte er dann noch mal. Er wusste aus der Pflegehelfertruppe, dass der Körperfunktionenverlangsamungszauber bis zu drei mal gewirkt werden konnte, ohne den damit belegten Körper dauerhaft zu schädigen. So ließ er ihn noch mal durch seinen Kopf aus dem Zauberstab hinaus auf den anderen überspringen. Gerade wollte die auf Marley zutreibende Geisterbraut sich über den erstarrten Körper Marleys legen, da schrak sie zurück. "Vermaledeiter Knabe!" kreischte sie und sprang förmlich zur Decke hinauf.

Julius sah, wie die beiden anderen Geisterschwestern wieder auf ihn zurasten. Er riss den Arm mit dem Armband aus der Villa Binoche hoch und dachte erneut das Lied des inneren Friedens, dessen Wirkung vom vorherigen Mal noch nicht verklungen war. Wieder entstand um ihn die goldene Aura, die ihm von Darxandrias Macht und der kurzen Zeit in Ashtarias astralem Mutterschoß aufgeprägt worden war. Wieder schrien die beiden Geister auf, als sie von dieser Aura abprallten und wie wuchtig geworfen gegen die Wand flogen und darin verschwanden. Nur die, die versucht hatte, den gerade seelenlosen Körper Marleys zu übernehmen, war noch da. Sie schwebte auf Julius zu und zeigte drohend mit dem Finger auf ihn.

"Du bist uns im Weg, kleiner Zauberer. Willst du nicht wie alle Bonhams aus der Welt getilgt werden und deine Brut mit dir, so verschwinde von hier!" schnarrte sie.

"Ihr wollt unschuldige Leute umbringen. Das darf ich nicht zulassen. Ich habe den Auftrag, menschliches Leben zu erhalten", erwiderte Julius.

"Dann stirb eben!" rief sie. Bei diesen Worten tauchten die in der Wand verschwundenen Geisterfrauen wieder auf und deuteten auf die Decke. Diese erzitterte. Julius wolte noch rufen, dass die drei sich mal was neues ausdenken sollten, als die ersten Teile der Deckentäfelung schon herabregneten. Sein Drachenhautpanzer würde die niederfallenden Trümmer schon abfangen, hoffte Julius. Doch wenn sie das ganze Haus über ihm zusammenbrechen ließen? Auch Marley trug einen Drachenhautpanzer. Er blickte sich zu dem entseelten und durch dreimaligen Verlangsamungszauber erstarrten um und sah, wie die Deckentrümmer wirklich an der Drachenhautpanzeraura abprallten und links, rechts, vor und hinter ihm zu Boden krachten. Jetzt begann das Gebälk zu bersten. War die Panzerung gegen diese schweren Geschosse wirksam? Wichtiger noch, was passierte, wenn diese Geisterfurien das gesamte Haus zusammenkrachen ließen, wie sie es mit ihrem eigenen Schloss gemacht hatten? Er musste hier weg, mit den beiden anderen.

"Gleich werdet ihr alle unter der Last dieses Hauses ersticken!" rief eine der Geisterschwestern. Julius sah, wie sie sich an den Händen hielten und einen wilden Reigen zu tanzen anfingen. Jetzt begann das Haus in seinen Grundfesten zu erbeben. Erste Risse klafften in den Wänden, und ein gezackter Spalt durchzog den Steinboden in der Küche.

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Das war schlimm. Sie fühlte, wie der von ihr besetzte Körper sie hinauszudrücken trachtete. Sie hielt sich krampfhaft in ihm. Doch dabei verschob sie sich und ihn im Raum. Es war wie Apparieren. Sie fühlte, wie der Körper dorthin strebte, wo sie selbst Jahrhunderte lang geschlafen hatte und wo des Körpers angestammte Seele gefangen war. Es dauerte weniger als einen Atemzug, da fiel Olives Körper auf den Steinboden. Aurélie Beaurivage sah die dem rechtmäßigen Körper entrissene Seele, wie sie auf ihre angestammte lebende Umhüllung zuflog. "Nichts da. Auch wenn es mich anwidert, deinen unmäßig fetten Leib zu besitzen gebe ich ihn nicht preis!" rief Aurélie Beaurivage gequält. Olives entkörpertes Selbst prallte auf ihre sterbliche Hülle und wurde zurückgestoßen. Sie wimmerte.

"Was immer dieser Jüngling wider mich vollbrachthat, aaarg, wird mich nicht aus diesem Leib vertreiben, ehe ich mit ihm deinen Gemahl ins Totenland geschickt habe."

"Du gehst sofort aus meinem Körper raus, du Geisterhure. Du hast kein recht, in ihm herumzulaufen!" brüllte Olive Bonham. Doch wegen ihres feinstofflichen Zustandes klang es so wie ein beinahe unverständlicher Ruf aus großer Ferne.

"Doch, das recht habe ich. Der Urahn deines Angetrauten hat es mir gegeben, nachdem er meinte, mir die Unschuld, die Ehre und dann noch das Leben rauben zu müssen. Aaaarg!" Sie fühlte die unerträglich werdenden Schmerzen, weil der von ihr besetzte Körper sie immer noch auszustoßen versuchte, um mit seiner wahren Seele wiedervereinigt zu werden. Womöglich hätte dieser Zauber es sogar vollbracht, wenn sie in unmittelbarer Nähe der rechtmäßigen Seele von ihm berührt worden wäre, dachte Aurélie, deren Kopf und Körper in wilden Schmerzen gebadet wurde, die aber noch nicht so schlimm waren wie der Cruciatus-Fluch. Dann, unvermittelt, erstarb alle Pein. Sie fühlte, wie sie wieder frei denken und handeln konnte. "Ah, er hält nicht lange vor", frohlockte sie. "Meine Schwestern haben mir gnädigerweise einen neuen Zauberstab beschafft. Dann werde ich doch noch den Schwur erfüllen, den meine Schwestern und ich in der Stunde unseres Todes abgelegt haben, und an dem weder unsere Mutter noch sonst wer uns zu hindern vermögen. Lebe wohl, oder besser, genieße dein neues Dasein, Mehrerin einer verfluchten Blutlinie! Wenn ich vollbracht habe, was ich vollbringen wollte, werde ich deinen überfetteten Leib von einem hohen Turm oder Dach in den Tod werfen und mich daran weiden, wie er auf dem Boden zerplatzt wie eine übervolle Lederblase voller Wasser." Mit diesen Worten drehte sie sich auf der Stelle und disapparierte. Olive Bonham schwebte wieder allein im Verlies. Die anderen Geisterbehördenleute hatten sie, als sie das zusammengestürzte Schloss abgetragen hatten, wieder allein gelassen. Solange keiner wusste, wie sie in ihren Körper zurückversetzt werden konnte, sollte sie hier ausharren. Doch wie lange würde das dauern? Würde die ihren Körper besetzt haltende ihre Drohung wahrmachen und ihn töten, wenn sie ihn nicht mehr brauchte? Keine angenehmen Aussichten.

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Julius war eine wahnwitzige Idee gekommen. Die drei in ihren Kugelschalen gebannten Geisterbrüder hatten ihn darauf gebracht. Er zauberte erst gegen Bonham und dann gegen Marley, wobei er hoffte, genug Zauberkraft zu haben, um den Fluch so schnell in Kraft treten zu lassen wie eine Hexe. Er konzentrierte sich so sehr, dass er die ersten niederbrechenden Deckenbalken nur als heftiges Zittern des Drachenhautpanzers zur Kenntnis nahm. Die über Bonham gelegte Schutzbezauberung, die bereits sieben scharfe Messer abgewehrt hatte, geriet bereits in bedrohliche Auflösung, als sie von weißem Dunst ersetzt wurde, der sich um Bonhams Körper verdichtete. Es dauerte einen Wimpernschlag, und der weiße Nebel verfestigte sich zu einer vollständig den Körper umschließenden Schale. Gleich darauf prallte ein dicker Deckenbalken auf den auf diese Weise eingeschlossenen Heiler. Julius wiederholzauberte lautstark und hoffte, dass der Drachenhautpanzer den Zauber nicht abwehrte. Doch die beim Wiederholzauber beschleunigte Abfolge und die in Marleys trotz Entseelung wirksame Zauberkraft reichten, um ihn innerhalb von einer Sekunde in eine gegen jede Körperkraft abschließende Schale zu schließen. Er hatte von Madame Faucon gelernt, dass wer immer damit bezaubert und im Regelfall gefangengesetzt wurde, unter Tonnen von Gestein liegen konnte. Die Umkapselung erneuerte für den Zeitraum eines vollen Tages die Luft. Dann erst drohte der in ihr gefangene zu ersticken. Passierte dies, wlöste sich die Umhüllung in Nichts auf.

"Tja, das mag denen helfen. Aber dir nicht, Knabe. Hättest besser beide zurücklassen sollen. Denn nun wirst du begraben!" riefen die drei immer noch in wildem Reigen herumtanzenden Geisterfrauen. Doch Julius hörte nicht darauf. Er versuchte zu disapparieren. Doch er kam nicht weg. Etwas wie eine unsichtbare, überschwere Decke umschlang ihn und bremste seine Drehung. Erst eine Sekunde danach konnte er sich wieder frei bewegen. Da begriff er, dass dieses Haus einen Apparierschutz besaß, der wohl nur Familienangehörige hinein- und hinausließ. Sowas hatte er in Millemerveilles ja schließlich auch. Die Geisterschwestern lachten laut, während nun auch aus den Wänden erste Stücke herausbrachen. Julius konnte nicht mehr durch die Tür. Da fiel ihm ein, wie er in der Festung des alten Wissens durch feste Hindernisse gekommen war. er hob den Zauberstab kerzengerade nach oben, wo gerade ein weiteres Stück Deckengebälk zerbarst. Erst jagte er einen Reducto-Fluch in das auf ihn niederstürzende Balkenstück. Dann rief er dreimal laut aus: "Ajandahirmas Yoanavari gaharda Amashi!"

Er kannte die Wirkung. Deshalb erschrak er nicht mehr, als sein Körper durchsichtig wurde und in einem bläulichen Weiß zu erstrahlen begann. Gerade krachten weitere Deckentrümmer nieder. Doch sie durchschlugen ihn. Nun kippten die oberen Bereiche der Wände nach innen. Da krachte die restliche Decke zusammen. Ihr folgten die Wände und dann noch die Möbel aus der oberen Etage, darunter massive Schränke und ein imposantes Bücherregal mit Inhalt. Das ganze Haus erbebte mit einem tiefen, unheimlichen Ton. Julius sah, wie er von Trümmern eingeschlossen wurde. Seine Mutter hätte jetzt die totale Platzangst bekommen, wusste er. Dann fiel ihm ein, besser das Lied des inneren Friedens zu denken, weil er nicht wusste, ob das Armband in diesem feinstofflichen Zustand noch schützte. Als habe er durch seinen Zustandswechsel einen zusätzlichen Sinn bekommen fühlte er die Anwesenheit von sieben anderen Wesen, drei weiblichen und vier männlichen, wobei drei der männlichen beinahe unbeweglich waren, wohingegen die drei weiblichen überaus kraftstrotzend waren. Er hörte Marleys Stimme, die für ihn nun so klang, als stünden sie in einem Kellerraum nahe beieinander.

"Woher können Sie sowas, Mr. Latierre. Wer hat Ihnen so einen Zauber beigebracht?"

"Darf ich nicht sagen, wenn ich nicht alles bisher erlebte vergessen will und nur noch wie ein gerade neugeborener im Erwachsenenkörper sabbern und schreien können soll", log Julius. Dann versuchte er, sich zu bewegen. Ja, es gelang mal wieder. Die immer weiter niederregnenden Trümmer eines ganzen in sich zusammenbrechenden Hauses setzten ihm keinen Widerstand entgegen. Er winkte durch die ihn immer enger umschließenden Trümmer zu Marley. Dieser verstand zwar, winkte aber ab. "Decorporis, ich kann nicht von meinem Körper weg, bis ich in ihn zurückversetzt werde oder er stirbt", bedauerte er. Julius verstand, dass die schwache Bindung zu Marleys Körper ihn hier nicht wegließ. Er selbst wollte aus dem immer weiter einstürzenden Haus heraus.

"Das war deine letzte unverschämte Tat, Jüngling!" riefen zwei der drei im Raum verweilenden Geisterschwestern. "So wie du jetzt bist erlangen wir Gewalt über dich. Dann werden wir dich eben zerreißen, wie wir es mit dem seinen toten Leib fliehenden Widerling vollbrachten, der uns Unschuld, Ehre und Leben entreißen ließ." Julius fühlte schon, wie die drei sich ihm näherten. Wenn sie es wirklich schafften, ihn mit vereinter Kraft zu zerreißen würde der sterben, nicht nur körperlich, sondern auch als zusammenhängende Seele vernichtet werden. Da ergriffen ihn auch schon sechs Hände. Es war so, als besäßen sie alle noch feste Körper. Julius spannte sofort alle Arm- und Beinmuskeln an. Würde sein regelmäßiges Training ihm auch in dieser Daseinsform nützen?

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"Millie, was ist? fragte Camille Dusoleil besorgt. "

"Mist, die Verbindung ist schwächer geworden. Dabei sollte die um die ganze Erde reichen. Ich versuch ihn mal anzumentiloquieren."

"Chloé, Dem Dusty nicht am Schwanz ziehen! Das mag der nicht!" rief Camille ihrer Tochter zu. Da hatte sich Stardust auch schon umgedreht und der jüngsten Dusoleil-Tochter kurz aber spürbar die rechte Vorderpfote mit halb ausgefahrenen Krallen über die Hand gezogen. Chloé erschrak und fing sofort zu heulen an. Aurore lief auf ihren kurzen Beinchen zu ihr hin und wollte ihr auf die Hand pusten. Sie bekam große Augen, weil da so rotes Zeug aus dünnen Rissen rauslief.

"Schon passiert", grummelte Camille und lief zu ihrer Tochter. Millie hatte dafür im Moment weder Augen noch Ohren. Sie versuchte mit auf die Stirn gedrücktem Herzanhänger zu mentiloquieren. Doch es gelang nicht. Sie dachte an Temmie. "Er hat seine Feststofflichkeit aufgeben müssen. Er kann so nicht in Gedanken sprechen. Aber drei den Tod überdauernde Feindinnen versuchen, ihn nun zu vernichten. Sag Camille, noch einmal die Formel zu rufen!" hörte sie Temmies Stimme in sich.

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Julius fühlte, wie die an ihm zerrenden Geisterschwestern immer wilder und stärker wurden. Er fühlte bereits eine schmerzhafte Überdehnung seines Körpers, als läge er auf einer Streckbank, und drei Foltermägde würden sich einen Wettbewerb liefern, ihn so schnell wie möglich in die Länge zu ziehen. Blieb wirklich nur Ashtarias Formel? Er rief sie:

"Alaishadui Siri,
Alaishaduan a sogaharan Iri.
U Alaishaduim Godiri,
san Arwoxaran Laishandan Miri!"

Erst lachten die drei Schwestern. Doch unvermittelt durchpulste Julius neue Kraft. Er sah, wie sein bisher in einem blauen Weiß schimmernder Arm nun so hell und weißgolden wie die Sonne erstrahlte. Als hätten sich die drei Geisterfrauen an ihm die Finger verbrannt schrien sie auf. Dann plötzlich wurde Julius von etwas umschlossen, dass ihm ein Gefühl der Geborgenheit bereitete. Er fand sich in einer goldenen Kugelschale aus Licht wieder und meinte, fünf Jahre in die Vergangenheit gereist zu sein, wieder zurück in die Festung des alten Wissens, wieder zurück in Ashtarias astralen Energieleib. "Sie sind unbarmherzig und für Seelen ohne Leiber unbesiegbar, mein Sohn", hörte er jene sanfte Stimme, die er zuletzt in Ilithulas Versteck gehört hatte. "Es war sehr leichtfertig, dich ihnen auszuliefern. Doch ihnen muss Einhalt geboten werden. Ihre von unerträglicher Pein verletzten Seelen werden sonst keinen Frieden finden und jeden töten, der Erbe ihres Peinigers ist." Kehre zurück in dein Leben. Doch sei gewarnt: Muss ich dich erneut vor übermächtigen Feinden in mich einschließen, so werde ich dich nicht mehr in dieses Leben zurückgeben, sondern entweder in mir weitertragen oder einem meiner Kinder als Träger dessen Fleisches und Blutes zur Obhut geben!"

Julius wollte noch was erwiedern, als er vor sich eine kreisrunde Öffnung entstehen sah. Ein unbändiger Druck trieb ihn in diese für ihn zu enge Öffnung hinein. Er hörte Ashtarias Stimme keuchen. Er fühlte den Druck unerträglich werden, als er mit einem Ruck durch den engen Kanal gepresst wurde. Mit einem kurzen Aufschrei fiel er. Sah gerade noch eine turmhohe Gestalt, die mit sonnenhell leuchtendem Fünfzackstern größer als ein Zifferblatt Big Bens, über ihm stand. Dann lag er vor der normalgroßen Camille Dusoleil, die ihren nun wieder silbern glänzenden Heilsstern über ihn hielt.

"Papa wieder da!" rief Aurore und rannte auf ihn zu. Er erkannte jetzt erst, wo er war, innerhalb der aus fünf Apfelbäumen bestehenden Zone, die um sein und Millies Haus herum entstanden war, als er zusammen mit Millie und Camille Aurores Wiege mit Ashtarias Schutzzauber belegt hatte.

"Ja, Kleines, Papa ist wieder da. Aber Papa muss gleich wieder weg, weil ganz böse Geisterfrauen anderen netten Menschen böses tun wollen", sagte Julius, als er seine bald nicht mehr kleinste Tochter in die Arme schloss und knuddelte. Ihr kleiner, warmer, weicher Körper flößte ihm wieder Zuversicht ein. Das war Leben, das er erzeugt hatte, das es ohne ihn nie gegeben hätte.

"Okay, bevor du diesen ganz bösen Geisterfrauen zeigst, wo es lang geht wollen Camille und ich von dir hören, wieso du jetzt wieder bei uns bist und wer die bösen Geisterfrauen sind. Und scheiß der größte Drache der Welt auf diese ministerialen Geheimhaltungsstufen", schnarrte Millie.

"Ich passe so lange auf Chloé und Rorie auf", sagte Camille.

"Bitte lass die zwei nicht aus der Schutzzone raus. Ich weiß nicht, ob Geisterwesen nicht doch durch Sardonias Kuppel kommen", sagte Julius.

"Geister? Ich fürchte, Sardonias Zauberglocke wehrt nur lebende Wesen ab. Verstehe, die Schutzzone dürfte sie aber zurücktreiben", sagte Camille. "Aber mich interessiert das auch, was du gerade durchgemacht hast. Dann muss das wohl sein", sagte sie. Am besten tust du das, was Millie von dir haben will, in eure große Schüssel rein", mentiloquierte sie Julius. Dieser verstand. Wenn Aurore und Chloé nicht mithören sollten, was er erlebt hatte, Camille aber auch informiert werden sollte, blieb nur das Denkarium im gesicherten Schrank. ,

So vertat er keine weitere Zeit damit, Millie was zu erzählen, sondern lagerte die betreffenden Erinnerungen aus. Als er dies geschafft und das Denkarium anschließend wieder im mit Blutsigel geschützten Schrank eingeschlossen hatte sagte er nur noch:

"Ich hoffe mal, dass ich Camilles Mithilfe nicht noch mal brauche, weil ich sonst vielleicht nicht mehr als Julius Latierre, sondern Adrians erster Sohn oder Jeannes erste Enkeltochter wiederkommen darf. Aber lade sie und die kleine Chloé ein, bis zu meiner hoffentlich konventionellen Rückkehr hierzubleiben!"

"Konventionelle Rückkehr, Monju. Geschraubter geht's nicht mehr, oder?" amüsierte sich Millie. Dann küsste sie ihren Mann. "Am Ende kommt diese Ashtaria noch darauf, dich bei Aurore im Bauch zu parken, bis du als mein erster Enkel wiedergeboren wirst. Biete ihr das an, weil Chrysie wohl schon eine ganz eigene Seele hat."

"Ich liebe euch drei auch", sagte Julius und küsste seine Frau noch einmal leidenschaftlich. dann disapparierte er aus seinem Haus an die Grenze des Dorfes. Durch Sardonias Schutzglocke musste er laufen.

Außerhalb der Schutzglocke wechselte er in zwei Sprüngen an die Französische Kanalküste. Dort nahm er sich eine Minute Zeit, bis er sicher war, bei den Kreidefelsen von Dover anzukommen, die nur 36 Kilometer entfernt waren. Er disapparierte erneut.

Beinahe wäre er von einer weißen Klippe herabgefallen, weil er sich doch um einige Hundert Meter vertan hatte. Doch der Freiflugzauber half ihm, unbeschadet zu bleiben. Diesen nutzte er nun, um einige hundert Meter ins Landesinnere zu fliegen. Dort konzentrierte er sich auf die Gegend, wo das Haus der Bonhams gestanden hatte, sah die Begrenzungshecke im Geist einige hundert Meter vor sich. Dann disapparierte er erneut.

Wie heftig ihn diese Sprünge durch das Raum-Zeit-Gefüge geschlaucht hatten merkte er erst, als er keuchend vor dem Fliederbusch ankam, hinter dem eine mehr als zweihundert Meter hohe Staubwolke in den Himmel stieg. Unter der Staubwolke war nur noch ein Trümmerhaufen. Waren die drei bösen Schwestern noch da oder schon wieder unterwegs, um ihren krankhaften Rachefeldzug fortzuführen. Der Gedanke erschreckte ihn. Wie viele Mitglieder der Bonham-Familie mochten dabei schon den Tod gefunden haben? Aber wie sollte er jetzt den Leuten vom Ministerium erklären, dass er allein den Einsturz des Hauses überlebt hatte? Da ploppte es um ihn herum. Fünf Zauberer und drei Hexen apparierten. Julius wischte alle Sorgen aus seinen Gedanken und nahm Haltung an.

"Olive Bonhams Körper von bösartigem Geisterwesen besetzt, kein Dibbuk, sondern eine Form durch vereinte Kräfte von vier Geistern erzwungener Seelentausch. Kollege Marley durch auf ihn zurückgeprallten Decorporis-Fluch handlungsunfähig gemacht. Körper durch dreifachen Lentavita-Zauber und Incapsovulus-Fluch gegen Inbesitznahme oder physische Beeinträchtigungen abgesichert. Professor Bonham ebenfalls. Besessene Olive Bonham nach versuchtem Bannzauber von mir disappariert, ich selbst durch von unbekannt bleiben wollenden Kindern Ashtarias mit Rettungszauber vertraut gemacht konnte dem Einsturz des Hauses lebend entgehen", machte er Meldung. Da trat eine der Hexen vor und stellte sich als Rebecca Silverstone vor, eine Spezialistin für bösartige Geisterwesen aus dem Abend- und dem Morgenland.

"Das sind keine Dibbukim, Ms. oder Mrs. Silverstone", bekräftigte Julius. "Offenbar sind es Vierlingsschwestern, die alle durch die selbe Todesart umkamen, Enthauptung. Zusammen können sie mehr Kräfte entfesseln als einzelne Geister, Marie Laveau vielleicht ausgenommen, weil die auch als Geistform noch viele Zauber des Voodoo verwenden kann."

"Vier gleichgeborene Schwestern?" fragte Rebecca Silverstone erregt. "Und wie sind Sie diesen entkommen?"

"Erst durch einen Feinstofflichkeitszauber, der aber nur solange vorhält, wie ich nicht geistig ermattet bin und Schlaf brauche", begann Julius, weil er wusste, dass Marleys Geist ja alles bezeugen konnte. "Dann musste ich noch eine Bannformel verwenden, die mir Ashtarias Kinder beibrachten, um böswillige Wesen von mir fernzuhalten, was mir ja in der Höhle der Abgrundstochter Ilithula Freiheit und Leben gerettet hat.." Er war froh, seine besonderen Zauberkenntnisse auf die Kinder Ashtarias beziehen zu können. So musste niemand nachfragen, woher er seine besonderen Zauberkenntnisse wirklich erhalten hatte.

"Hier sind außer den Spade-Brüdern keine postmortalen Existenzen mehr", sagte einer der Geisterbehördenzauberer, der den Suchzauber für Geister benutzt hatte. .

"Gut, das Trümmerfeld abtragen!" befahl nun ein älterer Zauberer mit grauen Haaren und gleichfarbigem Backenbart, der sich als Stanley Bones vorgestellt hatte und die britische Geisterbehörde leitete.

Eine Hundertschaft Ministeriumszauberer rückte an und beseitigte mit Spreng-, Grabe und Bewegungszaubern das Trümmerfeld, bis die zwei eingekapselten Zauberer freigelegt waren. Julius wurde von Mrs. Silverstone gefragt, warum er einen eher für Hexen üblichen Einschließungszauber benutzt hatte. Er erwähnte, dass eine Hexe ihm den beigebracht hatte, Madame Faucon in Beauxbatons. Damit war die Frage beantwortet.

"Ich glaube, ich schicke meine zwei Töchter auch mal für ein Austauschjahr rüber zu den Franzosen", sagte sie. Julius sah dies als Aufforderung, darauf zu antworten.

"Die unterrichtet nur noch in wenigen Ausnahmen, Mrs. Silverstone. Den Unterricht in Verteidigung gegen die dunklen Künste erteilt seit 1998 Professeur Phoebus Delamontagne. Ich unterstelle dem zwar, diesen Zauber zu können, weiß aber nicht, ob er den so gut unterrichten kann."

"Gut, Rachel kommt ja erst im nächsten Jahr nach Hogwarts und Ruth hat sogar noch vier Jahre zu warten", erwiderte Mrs. Silverstone.

Die Incapsovulus-Zauber wurden aufgehoben. Es stellte sich heraus, dass jemand Professor Bonham mit einem Bewegungsbann belegt hatte. Als dieser aufgehoben wurde bedankte er sich bei allen, die ihn gerettet hatten. Doch dann grinste er.

"Danke für die Rücknahme des Bewegungsbanns", sagte er Mr. Bones zugewandt. Dann sprang ihm wie von selbst ein Zauberstab in die Hand. Er deutete auf sich und rief: "Avada Kedavra!" Das alles ging so schnell, dass Julius nicht mehr dazu kam, seinen Zauberstab hervorzuholen und den Todeswehrzauber zu wirken. Ein grüner Blitz sprang aus dem Zauberstab direkt auf Bonhams Brustkorb über. Wie ein gefällter Baum fiel der Heiler um. Dabei löste sich aus Brust und Kopf ein weißer Nebel, der zu einer menschenhohen Dunstsäule aufwuchs, die sich zu einer geisterhaften Frauengestalt im unbekleideten Zustand ausformte. Sie alle hörten das überlegene Lachen, das aus dem Mund der Geistererscheinung drang. Julius meinte, jemand habe ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Um ihn herum schien die ganze Welt zu taumeln.

"Dies habt ihr alle wohl nicht erahnen können, wie?" lachte die dem toten Professor entfahrende Geisterfrau. "So geht es auch. So ist dieser Träger einer tilgungswürdigen Blutlinie doch noch dahingerafft." Dann sah sie Julius zwischen den anderen bestürzt dreinschauenden Hexen und Zauberern stehen. "Vergiss es, dein Leben der Jagd auf mächtige Geister zu widmen, Jüngling. Vergiss uns und die Bonhams. Diese sind seit jener Zeit dazu bestimmt, in die nichtexistenz gestoßen zu werden. Wage es nicht weiter, wider uns zu fechten, wenn deine Sippschaft nicht ebenfalls dahingerafft und aus der Welt getilgt werden soll. Denn nun wissen wir, wer du bist und dass du für wahr großes erlernt hast. Doch gegen unseren gerechtfertigten Zorn ist deine Macht nichtig."

"Dich haben wir jedenfalls", brüllte Bones, der es wohl genauso persönlich nahm, dass Bonham von dieser Geisterfrau zur Selbsttötung getrieben worden war. Drei Hexen öffneten jene Silberbehälter, aus denen jener blaue Dunst brach, der als stofflicher Träger der Geisterfesselungsaura diente. Diese breitete sich blitzartig aus. Einen Moment sah es so aus, als wenn die Bonhams Leichnam entschlüpfte Geisterfrau davon handlungsunfähig gemacht wurde. Dann war sie auf einmal verschwunden, wie ausgeschaltetes Licht. Unsichtbar war sie nicht. Denn alle Geisterbehördenleute trugen die Sichtbarkeitszwangkristalle bei sich.

"Die kann als Geist apparieren", stieß einer der jüngeren Ministeriumszauberer aus.

"Das hätte sie nicht tun können, nicht im Bann der Fesselung. Die hält jeden Geist ab, sich zu bewegen oder den Standort zu wechseln, wie auch immer."

"Aber sie ist nicht mehr da", knurrte der jüngere Zauberer. Rebecca Silverstone schaltete sich ein: "Stan, nehmen Sie es als gegeben hin, dass die vier sich über alle für gewöhnliche Gespenster geltenden Beschränkungen hinwegsetzen können. Die Theorie, der nach Zwillings- oder Mehrlingsgeschwister, die auf die Sekunde genau die gleiche Zeit lang gelebt haben und nach dem zeitgleich eingetretenen Tod in der Welt verbleiben ein zigfaches so stark sind wie gleich viele Gespenster ohne Blutsbande und gleiche Lebensdauer ist hiermit wohl bestätigt. Oder haben Sie in Ihrer langen Zeit als Geisterbehördenleiter schon drei Gespenster erlebt, die mal eben ein ganzes Landhaus einreißen können, wo wir mit hundert Zauberern die ganzen Bausteine bewegen mussten?"

"Die Hollowman-Rübenwurz-Hypothese, Rebecca? Die konnte bis heute nicht bewiesen werden, weil es an entsprechenden Existenzen fehlte."

"Den Beweis haben wir jetzt", knurrte Rebecca Silverstone.

"Wann haben die betreffenden Leute gelebt, die diese Theorie aufgestellt haben?" fragte Julius.

"Zwischen 1520 und 1660", sagte Rebecca. "Dann wussten die Gespensterfrauen das schon wesentlich vor denen. Wenn Mrs. Bonham uns richtig informierte, liegt der Grund für diese Tragödie vor 1349, vielleicht sogar noch vor dem 14. Jahrhundert."

"Das ist jetzt auch rein akademisches Getue. Professor Bonham ist tot, seine Frau womöglich auch und die restlichen Mitglieder der Familie sind in tödlicher Gefahr", schnarrte Bones. Julius fragte sich, ob er den Professor nicht ebenfalls mit Lentavita hätte belegen sollen, um ihn für die Geisterfrauen ungenießbar zu machen. Die Frage stellte er sich auch deshalb, weil er sah, wie Jacob Marley erst aus der Körperverlangsamun erlöst und dann mit seinem frei schwebenden Geist wiedervereinigt wurde. Die drei Spade-Brüder konnten hingegen nicht aus ihren Einkapselungen herausgeholt werden. Das konnte nur, wer sie eingeschlossen und dabei ein bestimmtes Losungswort im Kopf gehabt hatte. So blieben die in ihren unverrückbar in der Luft schwebenden Zauberkugeln steckenden Geister einstweilen und womöglich für alle Ewigkeit gefangen.

"Mr. Latierre, ich sehe Ihnen an, dass Sie sich schuldig an Bonhams Tod fühlen. Dies ist jedoch unzutreffend, weil nur der Incapsovulus-Fluch die magische Abschirmung durchdringen konnte, mit der ich ihn belegt habe", sagte Marley, als er sich wieder an seinen Körper gewöhnt hatte. "Die Idee mit Lentavita ist auf jeden Fall sehr brauchbar. Womöglich können wir sie damit sogar festsetzen, wenn sie in neuen Wirtskörpern herumlaufen. Und grüßen Sie mir bitte diese Kinder Ashtarias, ich wäre sehr gerne an Nachhilfestunden interessiert."

"Das bieten die leider nur wem an, der von ihren Erzfeinden unmittelbar bedroht wird, Sir. Es sei denn, Sie legen es darauf an, mit der einzig wachen Abgrundstochter zusammenzutreffen und rufen noch einen Moment vorher um Hilfe, bevor sie Sie an sich bindet oder tötet", sagte Julius.

"Verstehe", knurrte Marley. "Zumindest darf ich hoffentlich noch ein Weihnachtsfest erleben und muss nicht tot wie ein Türnagel herumliegen." Julius bewunderte den Humor des Geisterjägers. Ob er so einen Scherz gebracht hätte wusste er nicht. Doch er lachte mit ihm zusammen.

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"Vier gleichgeborene und gleichgestorbene, Megan. Sie sind hinter allen Bonhams her", vernahm sie die Gedankenstimme ihrer Mutter. "Habt ihr gerade welche aus Professor Bonhams Blutsverwandtschaft bei euch?"

"Natürlich, Jeremia Bonham in meinem Haus und Clifford Bonham, seinen Cousin bei den Hufflepuffs", schickte Megan Barley an ihre Mutter zurück. "Wenn echt die Hollowman-Rübenwurz-Hypothese zutrifft kommen die vielleicht sogar durch die Mala-Anima-repulsa-Abschirmung um Hogwarts durch."

"Der Junge hat dreimal hintereinander den Lentavita-Zauber benutzt, Megan. Damit konnte er Marley von der Spukabwehr für diese Weibsbilder ungenießbar machen."

"Wer will schon in vier Sekunden eine ganze Stunde verwehen sehen?" schickte Megan zurück. "Der Junge hat echt gute Ideen. Schade, dass wir ihn nicht dazu überreden können, uns seine besonderen Zauber beizubringen."

"Er hat behauptet, er müsse dann seine ganzen Lebenserinnerungen verlieren", bekam sie zur Antwort. Megan lachte mit hörbarer Stimme. Dann besann sie sich, dass keiner mitbekommen sollte, dass sie etwas amüsierte. Sie schickte zurück:

"Dann wird ihm keiner vom Ministerium bei uns oder bei ihm noch mal so dumm kommen. Die Ausrede mit den Kindern Ashtarias ist jedenfalls unanfechtbar."

"Kannst du was machen, um die beiden erwähnten zu schützen?"

"Ja, kann ich!" gedankenantwortete Megan Barley. "Ich brauche dafür nur zwei Genehmigungen, eine offizielle von Professor McGonagall und eine Inoffizielle unserer verehrten Sprecherin."

"Ich kontaktiere sie. Warte auf eine Antwort durch Lady Medea!"

"Verstanden", bestätigte Megan. Sie war froh, dass es in Hogwarts keine so guten Melo-Sperren gab wie in Beauxbatons. Dann begann sie, die beiden in Hogwarts lernenden Bonhams abzusichern.

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"Jenn, Porkley hat angefragt, wann sein neues Buch über die Bekämpfung von Nogschwänzen in heutigen Massentierhaltungsbetrieben in Druck geht", sagte der spindeldürre Mr. Scribble, seit sechzig Jahren Leiter der Abteilung für Sachbücher im Zauberbuchverlag Kleine rote Bücher. Jennifer Bonham fischte aus einer Schreibtischschublade eine Pergamentrolle im grünen Holzring und zog diese frei. "Wenn ich die Lektorenkonferenz von letztem Donnerstag richtig mitprotokolliert habe ist der Erstdruck am 1. Dezember vorgesehen. Die letzten Korrekturen wurden berücksichtigt. Porkley war ja nicht sonderlich kooperativ, heißt es."

"Er ist eben immer unterwegs, um diese kleinen Biester zu jagen, Jennifer. Der wartet nicht den ganzen Tag darauf, dass wir mit ihm über sein Buch reden wollen."

"Wohl auch ein Grund, warum der bei uns verlegen lässt und nicht bei Doppel-M", grummelte Jennifer Bonham.

"Seien wir froh. Die haben in den letzten Jahren zu viele Erfolge eingeheimst. Jetzt sind wir mal dran", sagte Scribble.

"Hoffentlich", murrte Jennifer Bonham.

"Wenn wir heute nichts weiteres anleiern können dürfen Sie eine der sechzehn Überstunden abfeiern, Ms. Bonham", sagte Mr. Scribble wohlwollend. Jennifer Bonham überlegte. Was sollte sie denn zu Hause? Niemand wartete auf sie. Dann fiel ihr ein, dass sie am Weihnachtsgeschenk für ihre Patentochter Joana weiterstricken konnte. So bedankte sie sich für den verlängerten Feierabend, verabschiedete sich und apparierte in ihr Haus. Kaum war sie dort, klingelte es an der Haustür. Sie wunderte sich. Wer wusste denn, dass sie schon zu Hause war?

Vor der Tür stand eine Hexe mit roten Locken. Sie stellte sich als Rebecca Silverstone von der Geisterbehörde vor. Jennifer wollte natürlich wissen, was sie mit Gespenstern zu tun hatte.

Da ploppte es hinter ihr. Keinen Sekundenbruchtteil später sauste ein roter Schockzauber an Jennifer vorbei und traf die Besucherin.

"Ah, doch noch rechtzeitig gekommen", hörte Jennifer die Stimme hinter sich. Das war doch die Stimme ihrer Mutter. Sie warf sich herum. Ja, da stand sie, sehr füllig, die silberne Brille auf der Nase, den Zauberstab noch in der Hand.

"Hmm, Brigitte könnte sich an deinem Körper freuen. Du siehst bei weitem nicht so überfettet aus wie das Weib, aus dem du in diese Welt geworfen wurdest", sagte die Frau, die von Stimme und Aussehen her Olive Bonham war.

"Verdammt, Mutter, was hast du?" fragte Jennifer erschüttert.

"Eigentlich müsste ich dich hier und jetzt niedermähen wie wertloses Unkraut, das du ja bist. Denk nicht an deinen zauberstab", knurrte sie. Da flog Jennifers Zauberstab aus ihrer Umhangtasche und segelte zu Olive Bonham hinüber. "Aber ich denke, weil du dich so keusch für irgendeinen dir genehmen Liebhaber aufgehoben hast, kannst du uns auch helfen, deine Brüder, deren Brut und die restliche Brut der Bonhams aus der Welt zu tilgen."

"Du bist nicht meine Mutter", knurrte Jennifer ganz perplex. Da sah sie für einen winzigen Moment ein perlweißes, durchsichtiges Geistergesicht. Dann drang etwas in sie ein, das wie eiskaltes Wasser war. "Lass ab, mir zu widerstreben, Jungfer. Dann ist die Pein um so kürzer", hörte sie eine fremde Frauenstimme in sich. Sie fühlte, wie etwas fremdes sich in ihrem Körper ausbreitete und wie sie mit jedem Atemzug mehr und mehr von ihrem Körper verlor. Dann sah sie zwei andere Geisterfrauen, die ihr an Bauch und Kopf fassten und sie nach vorne Rissen. Sie schrie noch einmal auf. Dann fühlte sie sich ganz leicht.

"Für wahr, dieser Leib behagt mir besser als es vom Leib der Mutter her zu hoffen stand", hörte sie sich selbst sagen, während die beiden Geisterfrauen sie mit sich zogen. Sie versuchte, sich dagegen aufzulehnen. Doch die beiden anderen hatten zu viel Kraft. Sie wurde immer schneller davongerissen, bis es kurz um sie aufblitzte. Dann waren sie in einem Raum, der am Grund eines Schachtes lag. Die beiden Geisterfrauen ließen von ihr ab. "Da haben sie unsere Schwester Brigitte gefangengehalten, bis dieser Aldo sie gewaltsam beschlafen und entehrt hatte. Vielleicht gönnen wir es dir, zu gleichen Teilen in uns aufzugehen, wenn wir den Rest deiner verbotenen Sippschaft fortgerafft haben", lachte eine.

"Verdammt, wo bin ich hier? Wer seid ihr, zum Henker?"

"Henker ist gut, nicht wahr, Cécilie?" lachte die rechts von ihr schwebende Geisterfrau und griff in ihren dunkelgrauen Schopf. Ohne Widerstand zog sie ihren Kopf vom Hals herunter. Die andere folgte ihrem Beispiel. Die nun von zwei Händen vor die blanken Oberkörper der Geisterfrauen gehaltenen Köpfe lachten lauthals. "Wir holen uns jetzt noch deine beiden Weiber deiner Brüder, auf dass das große Schlachten seinen blutigen Lauf nehme."

"Nein, das kann doch nicht wahr sein!" rief Jennifer. "Wo bin ich hier überhaupt?"

"Dort, wo wir die letzten Tage unseres Lebens zugebracht haben, weil unsere eigene Mutter es nicht für geboten sah, uns kundzutun, wo sie harrte", fauchte die links von Jennifer schwebende Geisterfrau. "Aber das soll nicht deine weitere Sorge sein. Gehab dich wohl, Jennifer!" Sprach's und verschwanden lachend durch die Schachtwände. Jennifer versuchte zu gehen. Da stellte sie fest, dass sie wenige Zentimeter über dem Boden schwebte. Sie konnte sich aber mit ihren Gedanken zumindest bis zu den Wänden voranbewegen. Doch wie die Gespensterfrauen es konnten ging es nicht. Sie konnte nicht durch eine feste Wand schweben. Statt dessen fühlte sie ein schmerzhaftes Kribbeln im Körper. Ihr Körper? Sie sah an sich herunter und erkannte, dass sie selbst zum Geist geworden war, sogar noch weniger als das. Ihr Körper sah aus, als bestehe er nur aus hauchzartem Nebel, ohne klare Konturen. Wie ihr Gesicht aussah konnte sie nicht erkennen. Sie merkte nur, dass sie nur gerade einmal so hoch über den Boden aufsteigen konnte, wie sie selbst hochgewachsen war. Dann stieß sie gegen eine unsichtbare Decke und fühlte wieder dieses Kribbeln. Sie schrie auf. Doch sie hörte nicht einmal einen Nachhall. Sie versuchte, mit möglichst großer Geschwindigkeit durch eine der Wände zu brechen. Doch sie wurde immer wieder zurückgeworfen. Sie war gefangen, eine Gefangene ohne eigenen Körper.

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"O mann, ich sollte mich infanticorporisieren lassen und noch mal ganz neu aufwachsen", stöhnte Rebecca Silverstone, als ihre Kollegen sie endlich fanden. "Ich hätte es doch wissen müssen, dass die lebenden Hüllen dieser vier Furien alle auf Blut geprägten Apparierbeschränkungen überwinden können. Ich frage mich nur, warum sie mich nicht gleich getötet haben?"

"Weil ihnen wichtiger war, Ms. Bonham in ihre Gewalt zu bringen, sagte Mr. Bones. Sein französischer Kollege Beaubois, der mit Bones zusammen von der Konferenz in Hogsmeade herübergekommen war, nickte nur.

"Zumindest haben wir die anderen Bonhams rechtzeitig lentavitalisieren und in Incapsovulus-Zaubern einschließen können. Nur die in Hogwarts müssen wir noch sichern. Aber da sind Monsieur Latierre und Ihre Kollegen schon dran."

"Ich will diese vier Biester in winzigen Flaschen haben und jeden Tag hundertmal durchschütteln", grummelte Jacob Marley.

"Ich habe bereits eine Anfrage an das Marie-Laveau-Institut in New Orleans geschickt. Ich hoffe, die Yankees sonnen sich nicht zu lange in ihrer Befriedigung, dass wir ihre Hilfe benötigen", erwiderte Stanley Bones darauf.

"Ach, so wie damals die Braut des Barons eingefangen wurde?" fragte Rebecca. Die Anwesenden nickten. "Das könnt ihr wie morsche Zauberstäbe knicken und knacken, Leute. Wenn das wirklich Hollowman-Rübenwurz-Erscheinungsformen sind sprengen die jeden sie bannenden Festkörper. Vor allem müsst ihr ja erst mal wissen, wie die vier Frauenzimmer heißen, um sie einkerkern zu können."

"Daran arbeitet meine Abteilung, Madame Silverstone", sagte Monsieur Beaubois aus Paris.

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"Immer möchte ich das nicht tun, Camille", sagte Millie, als sie noch einen Blick auf Aurore und Chloé geworfen hatte. Die beiden Mädchen lagen in Aurores Zimmer und schliefen tief und fest. Das würde auch so bleiben, bis Millie ihnen sagen würde, dass draußen rosarote Wolken am Himmel zu sehen wären."

"Mein Mann fand die Idee auch nicht gerade prickelnd, dass ich "seine Tochter" in Zaubertiefschlaf versenkt habe. Aber er sieht ein, dass sie im Moment hier am sichersten von allen Plätzen in Millemerveilles ist."

"Gut, dass wir das mit der Wiege gemacht haben", sagte Millie und deutete auf die kleine weiße Wiege, für die Aurore mittlerweile zu groß geworden war und die ab Februar die kleine Chrysope aufnehmen sollte.

"Tante Trice meinte, wir könnten auch bis zum Ende dieser Dämonenbräute ins Château Tournesol rüber. Ich habe aber gesagt, dass ich hier auf Julius warten möchte. Zu essen haben wir noch genug im Conservatempus-Schrank."

"Ich hoffe, er kommt lebend wieder, Millie. Er will das kleine Bündel ja auch in die Arme nehmen, das da noch so gut verpackt unter deinem Umhang herumstrampelt."

"Falls Ashtarias Drohung nicht doch ernst gemeint war und die ihn dann erst wieder rausrückt, wenn du oder Señora Valdez oder eine mir nicht gerade vorstellbare Hexe von Adrian Moonriver wen kleines erwartet."

"Ashtaria hätte ihn sicher nicht zu dir zurückgelassen, wenn sie findet, dass sein Leben mit dir schon zu Ende sein soll, Millie", sagte Camille. "Aber bring mich nicht auf interessante Ideen, wovon ich nachts träumen könnte."

"Dann ziehe ich aber aus, wenn der dein erster Sohn werden sollte, Tante Camille", grummelte Millie. Camille lachte. Millie konnte nicht anders, als auch zu grinsen. Für mehr reichte ihre Laune nicht aus.

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"Sie ist stur wie ein Erumpent", knurrte Megan Barley, als Julius und Phil Priestley bei ihr im Büro waren. "Wenn diese Furien der Meinung sind, dass sie nicht mehr an die beiden herankommen werden sie jeden behelligen, der sie in Sicherheit gebracht hat", zitierte sie die Ablehnung Professor McGonagalls, die beiden bedrohten Schüler aus Hogwarts hinauszuschaffen. Zwar lagen die beiden im Tiefschlaf und waren zu dem in Incapsovulus-Zaubern eingeschlossen. Doch eigentlich hatte Megan Barley sie in ein mit weiterführenden Schutzzaubern umfriedetes Versteck bringen wollen. Julius konnte sich sogar denken, wohin genau. Doch Phil Priestley musste es nicht wissen. Alle gingen davon aus, dass die vier Geisterschwestern mit oder ohne Wirtskörper erspüren konnten, wo ihre möglichen Opfer zu finden waren. In Megan Barleys Büro waren mehrere Geisterabwehrzauber in Stellung gebracht worden. Julius mochte den Vergleich nicht. Doch etwas besseres als "Speck in der Mausefalle" war ihm nicht eingefallen.

"Gleich sechs Uhr. Die werden ihre Mitschüler vermissen", sagte Phil Priestley.

"Wenn sie sie demnächst wiederhaben soll mich das nicht kümmern. Ich wäre jetzt auch lieber wieder zu Hause. Als ich diesen Tag angefangen habe hätte ich nicht gedacht, dass ich mal wieder gegen irgendwelche Höllenviecher kämpfen muss."

"An alle Lehrer und Schüler von Hogwarts", erschollen zwei magisch verstärkte Zauberstimmen. "Wir fordern die Herausgabe von Jeremia und Clifford Bonham, tot oder lebendig. Wir wissen, dass ihr sie in Schlaf gezaubert habt. Gebt sie heraus, sonst wird eure Schule unter unserer vereinten Macht dem Erdboden gleichgemacht."

"Sehr bescheiden sind die aber nicht", grinste Phil.

"Glauben Sie es mir, Mr. Priestley, dass die vier zusammen jede Abrissbirne und jeden Sprengmeister alt aussehen lassen", sagte Julius verdrossen. Wie zur Bestätigung durchlief ein leichtes Erdbeben das Schloss.

Die Tür ging auf, und Megan Barley trat ein. "Ich habe die zwei gesehen, Olive Bonham und Jennifer Bonham. dann noch sehr naturbetont gekleidete Geisterfrauen, die versuchen, durch die Mauern zu dringen."

"Und, kann man die beiden Wirtskörper nicht mit dem Lentavita-Zauber erwischen?" fragte Phil Priestley.

"Wurde versucht. Aber offenbar benutzen die den Dislocimaginus-Zauber."

"Praktisch, der verschiebt die Eigenbilderscheinung um etliche Winkelgrad von der eigentlichen Quelle weg, dass jeder auf Sicht gewirkte Zauber zur Fahrkarte wird", grummelte Julius. "Aber den kannst du nur eine volle Minute halten, sonst geht dir die Ausdauer den Bach runter", widersprach Phil.

"Der kann mit großflächigen Illusionsbrecherzaubern nicht gebrochen werden", knurrte Megan Barley. Julius hörte es und ergänzte in Gedanken, "mit den den Zaubereiministerien bekannten." Wieder erfolgte ein Erdbeben. "Das ist die letzte Warnung. wir warten. Versucht noch einmal wer was gegen uns ist Hogwarts ein Trümmerfeld!" kreischten die beiden Besessenen.

Wieder ging die Tür auf, und Professor McGonagall trat ein.

"Professor Flitwick sagt, dass die beiden die Elementarkräfte von Luft und Erde anzapfen, um so stark zu sein. Unsere Angriffszauber durchschlagen die sichtbaren Erscheinungsformen. Dislocimaginus, sagen Professor Flitwick und Professor Slughorn."

"Rauschnebel! Haben Sie Rauschnebel da und natürlich das Vorbeugungsmittel?" fragte Julius.

"Leider nicht anwendbar. Die beiden tragen Kopfblasenzauber."

"Was?! Dann halten die noch den Dislocimaginus?" staunte Phil. "Das will ich sehen, bevor ich noch dumm sterbe."

"Ich glaube nicht, dass Ihre Mutter so früh schon Ihren Tod beweinen möchte, zumal sie es garantiert bevorzugt, dass Sie ihren Tod betrauern, Mr. Priestley", sagte Professor McGonagall sehr ungehalten.

"Aber ansehen will ich mir das schon", sagte Phill Priestley.

"Vielleicht packen wir die doch noch, ich habe da noch was auf der Pfanne, das nur wenige Leute kennen", fiel es Julius ein.

"Nur vom Astronomieturm aus, wenn ich bitten darf. Wir möchten nicht, dass Sie zu Handlangern oder Opfern dieser Kreaturen werden", sagte Professor McGonagall. Die beiden zeitweilig zusammenarbeitenden Geisterjäger nickten heftig.

"Hier im Zimmer liegen die beiden richtig. Am Besten leiten Sie eine Evakuierung ein wie bei der Schlacht um Hogwarts", empfahl Megan Barley.

"Nein, das bekommen die mit. Warum und wie auch immer, diese Furien könnten das Schloss schneller niederreißen als wir alle Schüler über den bewährten Fluchtweg hinausschaffen können."

"Okay, wir sind dann mal auf dem Turm", sagte Phil und zog Julius mit sich mit.

Megan Barley eilte ihnen voraus, als sie durch die Zeitversetztgänge und Tricktreppenhäuser zum Astronomieturm von Hogwarts liefen. Unterwegs sah Julius einen weißen Schwan durch alle Bilder fliegen, die auf dem Weg lagen. Er wusste, was der Schwan sollte und fragte sich, ob Lady Medea und Megan Barley ihren lebenden Mitschwestern schon alles berichtet hatten.

Auf dem Astronomieturm konnten Phil und Julius die beiden im Hof stehenden Hexen sehen. Ja, da war Olive Bonham und eine jüngere, wesentlich schlankere Hexe, die ihr vom Gesicht her sehr ähnlich sah.

"Die wollen hier ein Exempel statuieren, damit die an ihre von uns vorsorglich auf Eis gelegten Verwandten drankommen. Knacken sie die Abbsicherungen hier oder kriegen sie, was sie wollen, kkriegen sie es auch anderswo."

"Das wollen wir doch mal sehen", grummelte Julius. Er konzentrierte sich. Da wackelte wieder die Erde. Diesmal noch stärker.

"Accio Besen zweihundertsiebzehn!" rief Julius. Er hätte auch den Freiflugzauber nehmen können, doch den wollte er nicht zu bereitwillig vorführen. Der ihm vom Ministerium zur Verfügung gestellte Feuerblitz der zweiten Generation sauste vom Gewächshaus drei her heran. Er konnte für eine Viertelstunde neun Zehntel der Schallgeschwindigkeit erreichen und war daher nur bedingt zum Quidditchspielen geeignet.

Julius schwang sich auf den Besen. Megan Barley sprang hinter ihm auf, ehe er sie daran hindern konnte. Phil beschwor auch seinen Besen. Jetzt bemerkten die beiden Eindringlinge, dass auf dem Turm was vor sich ging. Unvermittelt begann der Turm zu wanken. "Kein Angriff wird uns berühren!" rief die, die eigentlich Olive Bonham sein sollte.

"Das wissen wir gleich", knurrte Julius und zielte aus dem Flug heraus auf die beiden Hexen. "Katarash!" rief er. Er hoffte, das dieser alte Illusionsbrecherzauber schaffte, was die bekannteren Zauber nicht vermochten. Über dem Hof entstand ein wildes Flimmern. Dann, in weniger als einer Hundertstelsekunde, sprang das sichtbare Bild der beiden Besessenen über zwanzig Meter weit nach rechts und über die Schlossmauer hinweg nach draußen.

"Das gibt's nicht!" rief Phil. "Wo lernt man den Zauber!" rief er. Doch Julius und Megan Barley wollten nicht darauf antworten. Megan zielte auf Olive Bonham, die sofort den Zauberstab hochriss, um einen Angriffszauber zu wirken. Julius hatte sich die neben ihr stehende Jennifer Bonham vorgenommen und "Lentavita!" gerufen. Das gleiche Zauberwort rief auch Megan Barley. "Achtung, zwei nackte Furien von neun Uhr", rief Phil. Da sah Julius die beiden verbliebenen Geisterfrauen und belegte den Besen schnell mit dem Contramotus-Zauber. Megan Barley hob ihren Zauberstab und sang eine Formel aus altdruidischer Zeit. Um den Besen erglühte ein silberner Hauch. Als dieser zu einer nebelhaften Sphäre anwuchs prallten die beiden Geister darauf. Es blitzte heftig. Doch die Geister wurden zurückgeworfen. Dabei verloren sie sogar ihre Köpfe.

Phil versuchte es mit einem Strahl aus silbernem Feuer, dem Mondfeuer, dass nur Hexen und Zauberer gefahrlos beschwören konnten, die bereits eines oder mehrere eigene Kinder in die Welt gesetzt hatten. Julius griff dieses Beispiel auf und konzentrierte sich auf das Gesicht seiner Tochter Aurore, die er heute abend gerne wieder in die Arme nehmen und ihr eine Gutenachtgeschichte ohne Gespenster und Dämonen erzählen wollte. Dann wirkte er den Mondfeuerzauber. Die von ihm aufs Korn genommene Geisterschwester geriet voll in den Flammenstrahl und ballte sich zusammen. Julius wusste aber, dass sie damit nicht weit kommen würden. So rief er zu seinem Mondfeuerstrahl noch Ashtarias Schutzformel aus. Das Ergebnis war eine sonnenhelle Lichtfontäne, die sphärisch pfeifend durch die Luft brach und die angepeilte Geisterfrau voll traf und wie aus einer Kanone gefeuert davonschleuderte. Phils Angriffsziel stemmte sich gegen das silberne Mondfeuer, ja schien aus seiner Energie neue Kraft zu beziehen. Denn nun flog sie von silbernen Flammen umtanzt genau die Flammenspur entlang auf Phil zu. Julius, dessen gewaltige Lichtfontäne gerade erloschen war, fühlte, dass sein Zauberstab sehr heiß geworden war. Am Ende zerstörte er diesen noch, wenn er das noch mal tat. Dann sah er, wie die von Phil eigentlich bekämpfte Geisterschwester in den Zauberstabarm hineinfuhr. Phil hatte keine Anstalten gemacht, sich dagegen zu wehren. Julius sah nun silberne Flammen aus Phils Körper schlagen. Sie taten ihm aber nichts. Dann erkannte er ein zweites, geisterhaftes Gesicht über Phils Kopf. "Lentavita!" rief Julius. Er rief es noch einmal. Da schoss eine weiße Dampfwolke aus Phils Mund hervor und wurde zu einer nackten Gespensterfrau, die wild schimpfend davonflog, während Phils Körper sich so gut wie gar nicht mehr regte.

Die Geisterfrau flog nur fünfzig Meter. Dann verschwand sie. "Megan, sie könnte uns noch mal angreifen."

"Mein Schutz der an Körper und Seele unberührbaren Jungfrau hält noch, ist nur für erwachsene Hexen und Zauberer, die sich der Fleischeslust versagt haben", sagte Megan. Da prallte auch schon etwas auf die silberne Sphäre. Diese erzitterte, bekam risse. Doch dann umfloss Megan und Julius etwas, dass erst hellrot erstrahlte wie sauerstoffreiches Blut. Eine Hundertstelsekunde später färbte sich die entstandene Aura zu einem rotgoldenen Gebilde, dass Megan und Julius sicher einschloss. Julius fühlte plötzlich große Wärme um sich, ebenso vollkommene Geborgenheit, und er hörte leises aber regelmäßiges Pochen wie von einem großen Herzen. Jede Vorwärtsbewegung schien aufgehoben. Sie beide schwebten schwerelos auf ihrem Besen.

"Oh, dieser Effekt ist mir total neu", sagte Megan. Ihre Stimme klang so, als würde sie von nahebei stehenden, gepolsterten Wänden zurückgeworfen. Sie hörten ein leises Gluckern und grummeln wie von einem nach Essen verlangenden Magen.

"Den kannte ich auch noch nicht", erwiderte Julius. "Haben Sie noch was gezaubert, Professor Barley?"

"Nicht direkt. Aber es gibt einen Schutzzauber, den ich mit meiner Mutter nach Erreichen meiner Fruchtbarkeit ausgeführt habe. Ceridwens Gnade heißt er, nach der großen Namensgeberin meiner Mutter."

"Eine Druidin?"

"Laut alter Überlieferung eine Großmeisterin aller Lebenszauber. Es gibt sogar eine Sage von ihr, die du vielleicht mal gehört hast." Julius schüttelte den Kopf. Da erklang eine um sie herum dröhnende Frauenstimme:

"Kinder, ihr könnt euch mal später drüber unterhalten, wieso Ashtarias und meiner großen Namenspatronin Zauber so zusammengeflossen sind, dass ich euch gerade zwischen Bauchnabel und Geschlecht zu hören glaube. Aber ihr wolltet sicher noch ein paar rachsüchtige Geisterfrauen festnehmen, richtig?"

"Davon darfst du aber ausgehen, Mum!" rief Megan. "Gut, dann muss ich euch wohl wieder freigeben." Es folgte eine für Julius unverständliche Formel, nach der sie beide wie durch einen hellen Schacht katapultiert wurden und unvermittelt wieder über Hogwarts flogen. Julius sah sich sofort um, wo Phil war. Dessen Besen flog stur gerade aus weiter.

"Keine Geister", stellte er fest.

"Wenn dieses Biest gegen unseren Schutzzauber geprallt ist muss es zwangsläufig an den Ort seiner Geburt oder seines Todes versetzt werden. So stark wir gerade beschützt wurden kommen auch keine Hollowman-Rübenwurz-Geister dagegen an."

"Dann müssen wir nur Phil wiederbeschleunigen, sonst fliegt der noch nach Timbuktu!"

"Das erledigen Sie bitte schön, Mr. Latierre."

Phil einzuholen war kein Kunststück, weil der Besen ohne direkte Lenkbewegungen nur mit der Hälfte seiner Höchstgeschwindigkeit dahinsauste. Julius hob den Lentavita-Zauber wieder auf.

"Mann, wo bin ich denn jetzt. Habe schon gedacht, dieses Geisterweib bläst mich aus meinem Paradekörper raus. Wo ist diese Nebelkrähe?"

"Wir haben die mit vereinten Abschirmzaubern zurückgeprellt. Wenn die nicht gerade Hogwarts aufmischen sind wir die erst einmal los", sagte Julius.

"Ich konnte nix machen, als die auf meinem Mondfeuerstrahl zu mir hingeritten ist. Die hat meinen Arm komplett blockiert. Das schreibe ich mir aber auf, dass man HRGs damit bessernicht mehr angreifen sollte. Aber Sie haben doch auch den Mondfeuerzauber ... Neh, da war noch 'ne Komponente, die den erheblich verstärkt hat. Wieder was von dieser ominösen Ashtaria?"

"Yep!" erwiderte Julius.

"Dann mal schnell zurück und nachsehen, ob die beiden nicht andere in Besitz genommen haben", sagte Phil und flog sofort los.

"Obacht, im Schloss ist blauer Nebel, der alle Lehrer und Schüler in Schlaf versetzt hat", warnte sie der fast kopflose Nick, der Hausgeist der Gryffindors, als Megan Barley, Phil und Julius das schloss betreten wollten. Deshalb zauberten sie schnell die Kopfblasen und ließen sich von dem Gespenst durch die wie ausgestorben daliegenden Flure führen. Zwischendrin hörten sie ein neben den Tönen klingendes, vor Spott triefendes Schlaflied. Das war Peeves, dem diese Situation sicher großen Spaß bereitete.

"Saphirsalamander!" rief Megan Barley, als sie vor zwei Wasserspeiern standen. Die Wasserspeier sprangen zur Seite und taten damit eine Tür auf. Über eines sich sachte nach oben bewegende Wendeltreppe erstiegen sie den Turm, in dem die Gemächer des amtierenden Schulleiters lagen.

Im Runden Turmzimmer saß Professor McGonagall in einem hochlehnigen Stuhl, eine Decke über demKörper, ein Kissen hinter dem Kopf. Ihre gemalten Vorgänger blickten teils besorgt, teils ungeduldig auf die amtierende Direktorin. Zwei Bilder fielen Julius sofort ins Auge, das goldgerahmte Bild eines Zauberers mit silberweißem Haar und einer Brille mit halbmondförmigen Gläsern und ein grün-silbern gerahmtes Bild mit einem Zauberer, dessen schwarzer Schopf ölig und struwelig wirkte und dessen Hakennase sich sofort auf Julius richtete, als er zusammen mit Megan und Phil eintrat.

"Sie alle sind wohlauf?" fragte das gemalte Ich des für Hogwarts und das Ende der Todesserherrschaft gestorbenen Albus Dumbledore. Megan berichtete, soweit ihre Kopfblase es zuließ, dass sie die Geister wohl für einige Zeit vertrieben hatten.

"Ihnen wird es nicht gelingen, diese Geister zu bannen, wenn sie nicht wissen, wer sie waren", zischte der gemalte Severus Snape. "Ach, und ein gerade erst mit seiner Zaubereiaussbildung fertiger Jungspund soll Ihnen helfen, nur weil er unverschämt hohes Zauberkraftpotential besitzt", musste der zum Doppelagenten für Dumbledore gewordene Ex-Lehrer noch unbedingt loswerden. Julius verzichtete darauf, Snapes Porträt unter die auf dem Bild nicht so hervorstechend aussehende Nase zu reiben, wie er ihm damals vier Schüler aus dem superbewachten Schloss herausgeholt hatte.

"Die freien Geister sind fort, die Besessenen durch Lentavita-Zauber unter Kontrolle", sagte Megan Barley.

"Dann sprechen Sie bitte das Wiedererweckungspasswort, Megan! Es lautet Morgentau im Silbertal!" sagte Dumbledore. Megan befolgte diese Anweisung. Unvermittelt verschwand der blaue Nebel und wurde durch silbernen Nebel ausgetauscht.

"Gehört dieser Rauschnebel zu einer Schutzmaßnahme für Hogwarts?" fragte Julius den gemalten Dumbledore.

"Welch dumme Frage, wo Sie angeblich doch zu logischem Denken erzogen worden sein sollen, Andrews", knurrte Snape.

"Latierre, Severus, er heißt seit vier Jahren Latierre mit Nachnamen", berichtigte Dumbledore seinen fragwürdigen Nachfolger.

"Bestätigung ist oft wichtiger als eigener Augenschein, Professor Snape. Etwas zu sehen und etwas zu wissen können zwei ganz unterschiedliche paar Schuhe sein", dozierte nun Julius, während der silberne Aufwecknebel sich wohl in allen Bereichen von Hogwarts ausbreitete. Dann erwachte Professor McGonagall. Julius prüfte mit dem Armband, ob von ihr noch dunkle Magie ausging. Doch dem war nicht so.

"Um auf Ihren leider all zu berechtigten Einwand zurückzukommen, Professor Snape", setzte Julius an: "Solange wir keinen Zauber kennen, um einen Geist zu zwingen, uns seinen wahren Namen und den seiner Eltern zu verraten bleibt uns nur eine langwierige Recherche."

"Wozu Sie wohl leider keine Zeit haben", erwiderte Snape. Doch Megan widersprach ihrem Vorvorgänger.

"Diese Geister gehen auf Rache aus. Das ist ihr primäres, ja einziges Anliegen. Können sie diese Rache nicht bekommen bleibt ihnen nur der Kampf gegen die, die sie daran hindern. Da wir die Bonhams bereits in Sicherheit gebracht haben ist ihnen trotz ihrer Stärke der Zugang zu ihnen versperrt. Sie werden also wie vorhin hier auf Erpressung zurückgreifen. Da sie trotz ihrer Stärke nur zu viert gegen mehrere hundert Zauberer stehen wird eine Erpressung sehr aussichtslos sein."

"Bis dahin könnten Ihre Kollegen ergründen, wer die vier Rachegeister sind und an welchen wichtigen Orten sie gewohnt haben?" fragte Professor McGonagall Julius. Dieser nickte. Wie auf ein Stichwort tippte eine Posteule mit dem Schnabel ans Turmzimmerfenster. Die Schulleiterin öffnete es und ließ den Vogel, einen Waldkauz, hereinfliegen. Dieser flog direkt zu Julius Latierre und hielt ihm einen Umschlag hin. Julius nahm den Umschlag und nahm den in Französisch verfassten Brief heraus. Er las erst für sich. Da er nicht wusste, ob Phil so gut Französisch konnte wie seine Mutter übersetzte er ihn beim zweiten Lesen:

"Monsieur Latierre, ich bin hochgradig erfreut, Ihnen und den Kollegen aus dem britischen Zaubereiministerium mitteilen zu dürfen, dass wir gesicherte Kenntnisse erlangt haben, um wen es sich bei den vier Mörderinnen Professor Bonhams handelt. Eine mit fünfzig Personen aus allen dokumentarischen Abteilungen des Ministeriums durchgeführte Überprüfung aller Akten, inklusive der Schülerlisten von Beauxbatons aus der Zeit vor 1349 weisen aus, dass es sich bei den vier als Geister weiterexistierenden Frauen um die Vierlingsschwestern Aurélie, Brigitte, Cécilie und Désirée Beaurivage handelt, die zusammen mit ihrer Mutter Eloise Beaurivage geborene Montrich zwischen Mai und Juni 1224 in der Umgebung des Châteaus Dixarbres verschwunden sind. Da zu der damaligen Zeit immer wieder Zauberer und Hexen auf der Suche nach altdruidischem Wissen oder anderen Mysterien vorchristlicher Magie einen vorzeitigen Tod fanden, ohne ihre Freunde und Angehörigen darüber zu informieren, wo sie sich aufhielten, und weil es damals noch keine zentrale Verwaltung aller magischen Angelegenheiten gab, fiel dieses Verschwinden in die Kategorie "Tragisch aber nicht so selten". Nun, wo wir mit vier identisch aussehenden Geistern zu tun bekommen haben, können wir davon ausgehen, dass es die postmortalen Existenzen der vier Schwestern sind.

Warum sie jetzt erst wieder auftauchten begründen unsere Experten für Spukmotivation und Geisterbannzauber damit, das jemand die vier mit einem Bann belegt hat, der nur dadurch aufgehoben wurde, , dass ein leiblicher Erbe des Schlossherrn oder eine Frau, die diese Blutlinie mitverlängert hat in den Wirkungsbereich eintrat. Sie haben Mrs. Bonham ja verdeutlicht, dass Ihnen das erste Erscheinen eines Geistergesichtes in einer Wand vor dem Auftritt der vier Geisterfrauen als Hinweis erscheint, dass die vier wohl im Gestein des nun nicht mehr existierenden Schlosses eingeschlossen gewesen sein mochten. So wird es sich wohl verhalten haben.

Zur Person, die den bis gestern wirksamen Bann gewirkt hat: Dabei kann es sich nach der Meinung unserer Fachleute nur um die leibliche Mutter der vier gehandelt haben. Womöglich trachtete sie danach, die vier durch die Gnade des letzten Opfers in die Welt der Vorausgegangenen mitzunehmen. Näheres dürfen Sie gerne erfahren, wenn die leidige Angelegenheit behoben ist.

Somit vermuten wir, dass innerhalb des Schlosses, beziehungsweise auf dem Grundstück desselben, ein Stein oder sonstiges dauerhaftes Objekt zu finden ist, dass mit dem durch rituelles Selbstopfer vergossenen Blut benetzt wurde. Da der Minister mir und per Eule auch Monsieur Beaubois mitteilte, dass Sie wegen ihrer Zusammenstöße mit bösartigen Zauberwesen in höhere Fluchabwehr eingeweiht wurden, bitten wir Sie, nach Lesen dieses Anschreibens unverzüglich nach Frankreich zurückzukehren. Überlassen Sie die Absicherung der dem Rachedurst der vier verfallenen Personen bitte den britischen Kollegen! Bitte bringen Sie die handlungsunfähig gemachten Personen mit, in deren Körper die Geister zweier Beaurivage-Schwestern eingedrungen sind! Ihnen ist die Verwendung von Schrumpfzaubern zur Transporterleichterung gestattet. Hiermit beordere ich Sie umgehend zurück. Gezeichnet: Adrastée Ventvit, Geisterbüroleiterin p. T."

"Na, so schnell können Französische Beamte sein. Da können sich selbst englische oder deutsche Beamte noch was von abgucken", sagte Julius an Snapes Adresse.

"Falls Sie möchten, dürfen Sie meinen Flohpulverkamin für ihre anbefohlene Heimkehr benutzen, Monsieur Latierre", bot Professor McGonagall an. Julius nahm das Angebot dankbar an.

Zunächst wurden die beiden mit mehrfachem Körperverlangsamungszauber geschwächten und gefesselten Hexen Bonham in den Schulleiterturm geschafft. Dort schrumpfte Professor McGonagall sie auf Handgröße zusammen.

Nachdem er sich von Phil Priestley und Professor Barley verabschiedet hatte wartete er, bis Professor McGonagall ein smaragdgrünes Flohpulverfeuer in ihrem Kamin entfacht hatte.

"Wenn du mal meinen Job machen willst räume ich meinen Stuhl nur dann, wenn Mum und ich bei dir noch mal zum Unterricht kommen dürfen", mentiloquierte Megan Barley dem französischen Zaubereiamtsanwärter. Dieser erkannte wieder, wie wichtig die Manieren des Mentiloquismus waren, keine Regung auf eine übermittelte Gedankenbotschaft zu zeigen. Er schickte schnell zurück: "Ich hoffe, wir zwei sind deiner Mutter nicht zu schwer gewesen." Dann sprang er in den Kamin hinein und rief noch "Zur Grenze!"

Als er aus einem der vielen Kamine der britischen Grenzstation herausfiel empfing er Ceridwen Barleys Gedankenstimme: "Megan und du wart nur mit euren Sinnen und Gedanken bei mir, nicht mit euren Körpern."

Julius wechselte erst zur französischen Gegenstelle des internationalen Flohnetzes, um von dort im landeseigenen Flohnetz direkt ins Zaubereiministeriumsfoyer zu reisen.

"Sehr schön, das ging ja sehr schnell", begrüßte ihn Madame Ventvit. "Sie stellen sich sofort mit dem Kollegen Lunoire und den ergriffenen Wirtskörpern der beiden Opfer wieder beim Grundstück des Schlosses ein und suchen nach erwähntem Objekt. Da der Zauber offenbar eine Pendelwirkung hat benötigen Sie Artefakte, um gut- und Bösartige Zauberquellen zu finden. Beides hat der Kollege schon bei sich."

"Wir müssen damit rechnen, dass die zwei noch verbliebenen Geister dort auftauchen. Kann sein, dass durch die Festsetzung der beiden anderen die gemeinsame Kraft verringert ist. Aber beschwören will ich das nicht", erwiderte Julius.

"Wobei beschwören wohl das zutreffende Tätigkeitswort sein dürfte, was die endgültige Ortsbindung der vier Geister betrifft. Auch wenn sie sich wie Dämonen verhalten haben und Dämonen laut Legenden und Schauerliteratur vernichtet und in ein jenseitiges Exil verbannt werden können trifft dies für Geister nur zu, wenn jemand für sie die Gnade des letzten Opfers vollzieht, am besten ein lebender Blutsverwandter. Aber davon dürfen wir wohl bei den lebenden Beaurivages nicht ausgehen, und es befehlen dürfen wir keinem, da dies unweigerlich auf den selbst herbeigeführten Tod des Ausführenden hinausläuft." Julius nickte.

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Hier in den Pyrenäen war die Luft schon so kalt wie anderswo zur Winterzeit. Am Himmel trieben vereinzelte dunkle Wolken und bedeckten immer wieder den Mond. Julius hatte zusammen mit Monsieur Lunoire, dem die Sache nicht so geheuer war, wo er einmal für wenige Minuten von einer der Geisterfrauen besessen gewesen war, das abgeräumte Trümmerfeld erreicht. Das Maledictometer wies immer noch dieselben Schwankungen auf wie bei ihrem ersten Besuch. Einmal pendelte es in den roten Bereich für bösartige Zauberkräfte, dann wieder in den grünen Bereich für starke, neutrale oder größtenteils gutartige Zauberkräfte. Julius kam wieder der Vergleich mit einem ruhig schlagenden Herzen in den Sinn. Wie genau vollzog sich dieses Opfer der letzten Gnade? Musste sich jemand dafür am Ende noch das eigene Herz herausschneiden und durch das Ritual am Schlagen halten? Schon eine sehr grauenhafte Vorstellung, dachte Julius.

Was an dem nun freigelegten Kellerräumen des Schlosses seltsam war, waren die fehlenden Möbel. Hatte es in diesen Kellern nie etwas gegeben, keinen Wein oder dergleichen?

"Ich war ja nicht mehr hier, seitdem wir hier abgerückt sind. Wurden in der Zeit alle Keller geplündert oder was?"

"Die Kellerräume erwiesen sich als völlig leer, bis auf Überreste von Holzstaub und vereinzelten Weinflecken."

"Und die Verliese sind immer noch intakt", sagte Julius. Er sicherte, dass ihn niemand wie auch immer hinunterschupsen konnte und blickte in den einen Schacht hinunter. Er hörte das wütende Schluchzen und Schimpfen von Olive Bonham ohne den zu erwartenden Widerhall von den Schachtwänden. Bei einem anderen Schacht vernahm er keinen Laut. Er stieg mit Hilfe des Freikletterzaubers Muscapedes hinunter und traf dort auf die knapp über dem Boden schwebende Geistererscheinung Jennifer Bonhams. Diese rief ihm auf Englisch zu, er solle sie befreien. Er versprach es. Dann kletterte er wieder hinauf und suchte die beiden nächsten Schächte auf. In einem davon traf er die nun endgültig entkörperte Erscheinungsform Professor Bonhams. Der Heiler hatte sich offenbar mit seiner Lage abgefunden. Er berichtete Julius, dass er den körperlichen Tod verspürt habe und ihn diese Geisterfrau, die ihm den Körper gestohlen hatte, verkündet hatte, dass sie und ihre Schwestern ihn in Stücke reißen und untereinander verteilen würden, wenn sie alle anderen getötet hätten. "Ich habe sie bisher nicht mehr gehört", sagte Bonham. "Falls es Ihnen möglich ist, exorzieren Sie diese Wahnsinnigen,öffnen Sie ein Tor in eine jenseitige Welt oder was auch immer, aber sorgen Sie bitte dafür, dass diese Dämoninnen kein weiteres Opfer finden!"

"Dafür sind wir hier, Sir", sagte Julius, nachdem er den dicken Kloß runtergeschluckt hatte, der ihm beim Anblick des zum Geisterdasein verurteilten Heilers in den Hals geraten war.

Im letzten Schacht traf er gleich zwei entkörperte Seelen an, die Seelen von ihm unbekannten Frauen. Diese waren offenbar keine Hexen. Denn sie versuchten immer wieder, durch Bekreuzigung und das herunterbeten der wichtigsten Anrufungen der katholischen Kirche, ihr Los zu wenden. "Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnaden ..." betete eine. Julius hörte ihre Stimmen nur wie ein Flüstern. Die andere betete das Vaterunser und war gerade bei "Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen" angelangt. Julius versuchte, die beiden anzusprechen. Sie machten aber nur wegscheuchende Handbewegungen und stießen beinahe unhörbare Schreie aus: "Weiche, Satan. Wir sind nicht für dein Reich bestimmt."

"Ich habe keine Hörner und keinen Pferdefuß, die Damen. Also wer sind Sie? Denn wenn ich der Gehörnte wäre, wüsste ich das ja."

"Du musst ein Diener des Leibhaftigen sein, der seine Dämonen zu uns geschickt hat, Gott sei uns gnädig", drang die Stimme der einen Frau an seine Ohren. "Ich bin Schwester Amadea vom Kloster der göttlichen Gnade bei Avignon. Ich bin eine Braut des Herrn und Heiland, Jesu Christi. Nimmer werde ich mich von deinem bösen Zauberwerk in dein Reich locken lassen."

"Und ich bin Schwester Véronique. Wir widerstehen dir, Bote des gefallenen Engels."

"Dann tun Sie das noch. Vielleicht dürfen Sie morgen wieder zur Frühmesse gehen und ihrem Herrn und Heiland Lob und Dank singen, dass wir sie in ihre angestammten Körper zurückgebracht haben", sagte Julius. Dann kletterte er mit dem Muscapedes-Zauber wieder nach oben.

"Also, gute Nachricht. Die zwei Geister sind gerade beschäftigt. Schlechte Nachricht, sie haben sich die Körper von Ordensschwestern übergestreift. Perverser geht's nicht mehr."

"Nonnen, diese Magie ablehnenden Frauenzimmer, die gleich jedes Mädchen verbrennen wollen, weil es eine Hexe ist?" fragte Lunoire.

"Und jeden Zauberer entmannen wollen, damit er braven frauen keine Wechselbälger in den Bauch schupst", grummelte Julius. Er war nicht wirklich religiös. Denn die ewige Fehde zwischen den Kirchen und der Zaubererwelt nervte ihn sichtlich an. Die ganze Geheimhaltung der Magie war doch nur nötig, um Fanatikern aus allen möglichen Religionen, die Magie als grundweg böse abtaten nicht noch mehr Anlass zur Verfolgung unschuldiger Menschen zu geben.

"Aber warum ausgerechnet Nonnen?" fragte Lunoire. Da hörten sie beide von hinten eine besorgt, ja schuldbewusst klingende Frauenstimme sprechen:

"Womöglich habe ich meinen vollkommen vom rechten Wege abgebrachten Töchtern die Idee dazu eingegeben." Beide wirbelten herum. Vor ihnen schwebte eine Geisterfrau. Doch anders als die Vierlinge war sie bekleidet und hatte wohl auch mehrere Jahre erlebt als diese. Doch sie sah ihnen im Lichte der Zauberstäbe sehr ähnlich. Julius fielen außer der schwarz-weißen Nonnentracht mit Schleier auch die silbrigen Flecken auf, die Arme, Beine und Bauch der Geisterfrau zierten. Da kam ihm ein Gedanke, den er sofort in Worte fasste: "Sie müssen Eloise Beaurivage sein, die Mutter von Aurélie, Brigitte, Cécilie und Désirée." Das weibliche Gespenst in der Nonnentracht nickte bedächtig.

"Ja, dies alles bin ich", sagte die Geisterfrau. "Ich habe versucht, durch die Gnade des letzten Opfers meine Töchter mit ins Reich des ewigen Friedens hinüberzunehmen. Doch weil sie zur selben Zeit den Tod fanden waren sie zu stark, um sie mit hinüber zu nehmen. So konnte ich mit meinem Opfer nur versuchen, sie für immer an diesem Ort zu halten. Ich habe das Ritual damit verknüpft, dass das Schloss nur von einem betreten werden kann, der leiblicher Erbe des Untäters ist, der meine Töchter schändete und dann töten ließ. Sie wollten damals aufbrechen, um eine unschuldige Magd zu töten, die wohl ohne es zu wollen Dixarbres uneheliche Leibesfrucht trug. Hätte ich sie gewähren lassen, währen sie danach wohl weitermarodierend herumgezogen, wären als dämonische Vierlinge umgegangen. Mich deucht, du bist der, der ihre Kräfte erlebt und ihnen als einer von wenigen widerstanden hat. Ich habe jeden Kampf, jede Inbesitznahme eines Lebenden verspürt und bereue, dass ich damals nicht auf eine andere Bedingung gekommen bin, sie in Bann und Schlaf zu halten."

"Wo haben Sie das Opfer vollzogen?" wollte Julius wissen. Lunoire stieß ihm in die Seite und fauchte ihn an, dass er jetzt mal den Mund halten sollte, er habe sich eh schon zu weit vorgewagt. Doch Julius stieß ihm nun seinerseits den Arm in die Seite und fauchte zurück: "Madame Ventvit hat mich herbeordert, damit ich Ihnen helfe, diese Angelegenheit zu klären. Also lassen Sie mich das bitte auch klären."

"Sie können einem fremden Geist nicht gleich damit kommen, zu wissen, wer er ist und ihn dann auch noch fragen, wo er gestorben ist. Das gehört sich nicht."

"Ach du großer Drachenmist", platzte es aus Julius heraus. "Hier geht es um Menschenleben, Leiber und Seelen, Monsieur Lunoire. Hier geht's nicht um Respekt vor Toten, die aus irgendwelchen Gründen nicht richtig ins Totenreich übergehen wollten, konnten oder durften. Sie dürfen meinetwegen gerne eine Beschwerde über mich verfassen und wenn Madame Ventvit sie nicht dazu benutzt, damit verschütteten Kaffee aufzuwischen werde ich mir damit mit Freuden den Allerwertesten sauberschrubben. Ist mir jetzt so egal. Aber wenn wir das Ding hier und heute noch ohne weitere Verluste an Menschenleben zu Ende kriegen wollen lassen Sie mich das gütigst zu Ende bringen. Ja, ich weiß, ich bin renitent, aber nur bei Erbsenzählern, die ihre Manieren höher schätzen als gebotene Handlungen."

"Ich gehe sehr stark davon aus, dass Monsieur Beaubois oder Madame Ventvit Sie nicht mehr um Ihre Mithilfe bitten werden, wenn ich ihr respektloses Verhalten mir gegenüber dargelegt habe. Womöglich wird sich das auch negativ in Ihrer Jahresbewertung niederschlagen. Sie wissen, dass Sie immer noch Anwärter sind."

"Er ist kein Lehrjunge mehr, weil er mit großer Magie und mächtiger Unterstützung vertraut ist", mischte sich die Geisterfrau ein. "Deshalb will ich sein Begehren erhören und ihm den Ort weisen, an dem ich damals mein Ritual vollzog. Denn wahrlich, Ihr habt nicht mehr viel Zeit."

"Ach neh, wo die vier jetzt alle irgendwie beschäftigt sind?" preschte Lunoire vor.

"Cécilie und Désirée erspüren, dass ihr die Seelen der aus ihren rechtmäßigen Leibern entwundenen gefunden habt. Sie werden warten, bis alle anderen in ihrer Umgebung schlafen und dann eilens wiederkehren um euch abzuhalten, sie zu bannen. Sie werden auch ihre beiden im Bann der Verlangsamung gefangenen Schwestern wieder befreien. Dazu müssen sie nur in deren Körper mit eindringen, um den üblichen Lauf der Zeit wiederherzustellen."

"Wir finden den Ort selbst", sagte Lunoire. Dann wollte er Julius den Sprechbann aufhalsen. Doch dieser hatte in weiser Voraussicht schon das Lied des inneren Friedens angestimmt. Er fühlte nur, wie etwas warmes über seinen Hals strich. Dann sagte er: "Und, was jetzt?"

"Sie können ... Den kann keiner ohne Zauberstab abschütteln."

"Wenige", sagte Julius. "Ich möchte mir von Madame Beaurivage den Ort zeigen lassen. Vielleicht kann der Bann erneuert werden, ohne dass dabei jemand stirbt."

"Unfug. Was wir tun müssen ist die vier in festes Gestein einzusperren, das mit dem Blut dieser Nonne da getränkt wurde, wenn sie es wirklich ist.

"Meine beiden Töchter sind erwacht. Nur dass sie zeitweilig in vier getrennten Körpern weit voneinander fort waren gab mich überhaupt frei. Wenn sie wieder herkommen und ihre volle Stärke zurückgewinnen muss ich wieder dort bleiben, wo ich meinen Leib und meine Seele geopfert habe, um sie zurückzuhalten. Also wäget ab und trefft eure Wahl!"

"Wo ist der Ort?" fragte Julius. Die Geisternonne winkte ihm und deutete auf einen markanten Berg in der Nähe des Schlosses. "Auf dem Gipfel jenes Berges habe ich mein Blut gegeben und das Ritual des letzten Opfers vollzogen", sagte sie. Da hörten die Zauberer ein wütendes Heulen und schimpfen. "Da sind sie. Und diese weichherzige Dirne, die uns in diese Welt gestoßen hat auch. Wer hat dir gestattet, deinen Schlafplatz wieder zu verlassen?" schrillte eine der Geisterfrauen, die gerade in den Wirkungsbereich des Sichtbarmachers eindrangen.

"Meine Töchter, lasset doch ab von eurem Tun. Mein Schwur damals war ein Irrtum, weil mir deuchte, nimmer einen Blutsverwandten dessen hier zu finden, der dieses Schloss betritt."

"Du gehst sofort wieder in deinen von allen Gorgonen, Drachen und Basilisken bespuckten Schlafstein zurück und lässt uns tun, wozu wir all die Jahrhunderte gewartet haben", keifte die andere Geisterfrau. Dann sah sie Lunoire an. Sie sprang durch die Luft vorwärts. Julius handelte sofort und rief "Lentavita!" Lunoires Körperbewegungen verlangsamten sich, während er den Zauberstab hob. Die zweite Geisterfrau sprang nun auch vor, drang in den Körper des Geisterjägers ein, der von einem silbrig flimmernden Strahlenkranz umgeben wurde.

"Nein, nicht noch mal. Er wird auf dich zurückfallen. Wenn zwei Seelen in einem Körper stecken können sie jeden den Körper betreffenden Zauber auf den Anrufer zurückwerfen", zischte die Geisternonne. Da begann sich Lunoire wieder schneller zu bewegen. Er zielte mit dem Zauberstab auf Julius. Dieser bedachte die Worte der als Nonne verkleideten Geisterfrau und warf sich zu boden. "Avada Kedavra!" rief Lunoire, und Julius vermeinte drei Stimmen zu hören. Der grüne Blitz fuhr knapp an ihm vorbei und schlug mit dumpfem Schlag eine meterlange Furche in den Boden. Er versuchte es noch einmal mit "Katashari", einem Zauber, der keinem körperlichen Schaden oder körperliche Beeinträchtigung auferlegte. Tatsächlich hatte er Erfolg. Wie aus einem Dampfkessel flogen zwei weiße, durchscheinende Dunstwolken heraus und wurden wieder zu den Geisterfrauen.

"Gleich steht uns wieder alle Kraft zu Gebote!" rief eine von ihnen und flog auf die beim Schloss in normaler Größe wartenden, aber auf ein Tausendstel verlangsamten Bonhams zu.

"Das apparieren misslingt an diesem Orte. Wenn du einen Besen dein Eigen nennst, folge mir im Fluge nach!" bevor ich von ihnen in den selbsterwählten Kerker zurückgestoßen werde!" Julius sah Lunoire an. Sie hatten beide keine Besen bei sich.

"Ich versuche was, was die unmöglich kontern können", sagte er und rannte los. Julius wollte ihm noch nachrufen, dass er besser hierbleiben sollte. Dann aber empfand er diesen Übereifer als seine wahre und letzte Chance, den Spuk der vier Rachegeister noch in dieser Nacht zu stoppen. Er dachte die fünf einleitenden Worte der Freiflugformel. Als er sah, wie Lunoire versuchte, mit Verwandlungszaubern die beiden verlangsamten Bonhams zu verändern, stieß er sich ab. Ob Lunoire Erfolg hatte wusste er nicht. Er schwebte erst hinter der Erscheinung von Eloise Beaurivage her. Diese vertat keine Zeit damit, ihn zu fragen, wieso er das konnte. Womöglich dachte sie, dass sie ja Jahrhunderte verschlafen hatte und nach den fliegenden Besen endlich auch der besenlose Flug erfunden und vervollkommnet worden war.

In immer schnellerem Tempo ging es den angezeigten Berg hinauf bis zu einer Stelle, wo Julius' Armband sehr heftig reagierte. Es erwärmte sich, um eine Sekunde später kalt zu werden und zu erzittern. Danach wurde es wieder warm. Hier lag also der Brennpunkt des Zaubers, der das Schloss ergriffen hatte, obwohl dieses mindestens drei Kilometer fort gestanden hatte. Er fragte, wie das kommen konnte, dass dieselbe Magie, die er hier fühlte ohne eine Spur zu legen am Schloss wirksam geworden war.

"Weil das Schloss der Ort war, an dem sie bleiben sollten. Als ich verstarb nahm ich sie alle in mich auf. Doch als dieses törichte Frauenzimmer, das Dixarbres Blutlinie verlängert hatte, in das Schloss eintrat entwichen sie mir. Ich konnte nicht von hier fort, weil meine Seele durch das Blut an diesen Ort gebunden war und meine Töchter nun frei waren, mich niederzuhalten. Falls du einen wirksamen Zauber kennst, das Ritual mit neuer Kraft zu beleben, so ist jetzt der Zeitpunkt. Denn ich fühle schon, wie meine vier Töchter .. wieder ... erstarken." Die letzten Worte sprach Eloise immer gequälter. Dabei sank sie auf den Boden und drang mit den Füßen in ihn ein. Wie in Morast sank die Geisterfrau tiefer und tiefer ein. Julius verstand. Sie hoffte darauf, dass in all den Jahrhunderten ein wirksamer Zauber erfunden worden war, um den Bann zu erneuern, ohne das eigene Leben zu opfern. Doch sie irrte. Nicht ein neuer Zauber, sondern einer, der weit weit vor ihrem Leben erfunden worden war, bot die letzte Chance, dass Julius diese Nacht noch überlebte. Denn eines war ihm sicher: Sie würden ihn nicht noch einmal lebend davonkommen lassen.

Er zielte sorgfältig auf die versinkende Geisterfrau, die ihn trotz ihrer Bedrängnis anlächelte, als würde sie fühlen, dass er genau das richtige tun konnte. "Angarte Kasanballan Iandasu Janasar!" Rief Julius. Erst als er die Worte beendet hatte fiel ihm wieder ein, was schon alles mit ihnen aus- und angerichtet worden war. Doch nun waren sie heraus. Ein fingerdicker, weißer Lichtstrahl schoss aus dem Zauberstab heraus, traf die Geisterfrau und ließ sie erglühen. Das weiße Glühen breitete sich auch auf dem Boden aus. Julius fühlte ein leichtes Erdbeben. Dann sah er die Risse im Boden, die immer breiter wurden und vom weißen Licht erfüllt wurden. Wo es traf entstanden immer weitere Einschnitte, die sich immer mehr zu einer durchgehenden Spirale wanden, die mehrere Meter weit ausgriff. Eloises Geisterkörper wuchs wieder aus demBoden heraus. Das Beben wurde stärker. Julius fühlte, wie seine Kraft schwand. Wie weit würde der Zauber noch ausgreifen müssen, um zu wirken. Jetzt begann die Spirale zu pulsieren. Wände aus silberweißen Lichtstrahlen schnellten nach oben und sanken wieder in sich zusammen. Dabei flogen Funken auf das Zentrum zu, wo Eloises Geisterkörper schwebte und offenbar von einer wohltuenden Kraft aufgeladen wurde. Denn sie atmete sichtbar ein und aus, im Takt der nun pulsierenden Spiralwände. Julius fühlte, wie seine Kraft immer mehr schwand. Wenn er nicht gleich abbrach würde er bewusstlos umfallen oder gar sterben. Sein Blick fiel über die sich hebenden und senkenden Spiralwände dorthin, wo das Schloss gestanden hatte. Im selben Takt wie die leuchtende Spirale blinkte dort ein licht. Doch es schrumpfte immer mehr zusammen. Dann hörte er die wehklagenden Schreie: "Nein! Nein, das kann nicht sein! Dies ist nicht wahrhaftig!"

"Halte dich aufrecht, wackerer Jüngling, bis ich meine Töchter wiederhabe!" rief Eloise. Da kamen vier weiß glühende Schemen. Julius hörte die erbosten und verängstigten Frauenstimmen durcheinanderrufen. Dann berührten sie die äußerste Spiralwand und wurden darin herumgewirbelt, von außen nach innen. Julius keuchte. Die Zauberei hatte ihn sichtbar angestrengt. Ianshira, die ihn ihm beigebracht hatte hatte ihn gewarnt, dass er im Verhältnis zum damit bezauberten Raum an Ausdauer hergeben musste.

"Widerrufe es. Wenn wir bei ihr sind werden wir stärker als sonst und dich töten, Bursche", schrie eine der Geisterfrauen, die gerade an Julius vorbei ins Zentrum der Spirale gewirbelt wurde. Doch Julius wollte nicht widerrufen. Er hätte ja nicht einmal gewusst, wie er das hätte tun sollen. Wie ein sich ausbreitendes Feuer hatte der Fluchumkehrer aus dem alten Reich die bösartigen Anteile der aufgewandten Magie verschlungen und sich daran verstärkt. Das bösartige an demZauber, das verstand Julius nun, war der Fluch, der die Erben des Barons betraf, wenn sie es wagten, sein Stammschloss wieder aufzusuchen. Der gutartige Anteil war Eloises Wunsch, ihren Töchtern zu helfen, nicht auf ewig mit ihrem Rachedurst und rastlos herumspuken zu müssen.

"Nein, neiiiiin!" schrillte die erste, die auf einem Schwall silberner Funken auf Eloises Körper zuflog. Die im silberweißen Licht erstrahlende Geisterfrau breitete ihre Beine aus, als müsse sie Wasser lassen, wolle sich mit einem Geliebten vereinigen oder niederkommen. Das war es wohl. Denn als die zu einer silbernen Kugel zusammengeballte Erscheinung der ersten der Vierlinge auf den Unterleib ihrer einstigen Mutter traf, schrien beide auf. Eloise krümmte sich, während ihr Leib sich mehrmals aufblähte wie ein an- und abschwellender Luftballon. Dann flog die zweite der vier Geisterschwestern auf Eloise zu, drang in ihren Körper ein und brachte diesen noch mehr zum auf- und abschwwellen. "Vitas vostras donabam, animas nostras in amore matris recibio!" keuchte Eloise, bevor sie erneut aufschrie, weil die dritte ihrer körperlosen Töchter mit ihr wiedervereint wurde. Julius meinte schon, dass die als Nonne verkleidete Erscheinung einer ehemaligen Hexe gleich zerplatzen musste. Da drang auch Geistererscheinung nummer Vier in ihren feinstofflichen Körper ein. Nun quoll sie auf wie von hundert Bar Luftdruck aufgeblasen. Julius hörte noch einmal vier Stimmen laut aufschreien. Eloise wuchs aber nun auch in der Länge. Drei Meter, vier Meter, fünf Meter. Dann, mit einem schlag, entluden sich noch einmal tausende von Funken aus der Spirale, die unter einem heftigen Erdstoß zerfiel. Julius konnte sich nicht mehr halten und schlug der Länge nach hin. Dabei wäre er fast mit einem Fuß in einen Erdspalt geraten, der unter der starken Erschütterung zuschnappte wie eine steinerne Mausefalle. Dann klang das Beben ab.

Julius kämpfte sich auf die Knie, dann auf die Füße. Die Spirale war restlos verschwunden. Doch in ihrem Zentrum schwebte eine an die fünf Meter große, lindgrüne Erscheinung, die aus sich selbst leuchtende Erscheinung einer Frau, scharf konturiert, unbekleidet, so dass Julius alle Merkmale weiblicher Anatomie an ihr sehen konnte. Als dieses aus grünem Licht bestehende Wesen bemerkte, dass er mit männlicher Neugier auf sie blickte, schloss sie ihre Beine. Dann winkte sie ihm. Sie lächelte.

Es war nicht die erste Erscheinungsform dieser Art, die er sah. Doch er hatte bisher immer gedacht, dass diese Art von über allen Lebewesen hinausreichende Daseinsform rotgold bis weißgolden erscheinen musste. Dann sprach die Andere mit einer warmen, mittelhohen Stimme, die zwischen der von Eloise und ihren Töchtern lag.

"Sei bedankt, dass ich nun endlich meinen Frieden finden konnte, als Mutter und als die vier Töchter, die alle Jahre lang nur darauf warteten, die Blutlinie zu tilgen, aus der ihnen böses Ungemach und Tod erwuchs. Nun, wo ich aus ihnen allen erstanden bin, erkenne ich, dass ein gewaltsamer Tod nicht durch weitere gewaltsame Tode gesühnt werden kann. Denn eine Bluttat schreit nach einer weiteren und immer noch einer weiteren. Dass wusste Eloise, doch ihre Töchter wollten es nicht hören. Doch nun, wo sie in mir eins wurden, mussten sie ihr ganzes langes Leben voller Liebe und Kameradschaft zurückwandern, zurück in den Schoß der liebenden Mutter, um mit ihr eins zu werden. Ich weiß, dass ich dich nicht erstaune, weil du wohl schon jemanden wie mich erblickt hast. Da meine Mutterseelen in mir vereint sind und ich eine Tochter der fünf bin nenne mich Pentaia."

"Pentaia, die aus fünfen?" fragte Julius, der das Wort Penta als Wortbeginn von chemischen Stoffen und geometrischen Figuren kannte, wie in Pentan, Pentagon oder dem Pentagramm.

"Die bin ich ab diesem Tage, weil und solange es Nachfahren meiner eigenen Blutlinie und der der vier Töchter Eloises gibt."

"Die vier haben mindestens zwei Menschen getötet und bei einem, Galenus Bonham, dafür gesorgt, dass seine Seele keinen Übertritt ins Totenland findet", sagte Julius.

"Ja, das weiß ich. Und nun, wo ich die Kraft von Fünfen in mir vereine, werde ich diesen Makel meiner Mutterseelen tilgen, indem ich ihm zu neuem Leben verhelfe. Ebenso werde ich diejenigen behüten, in deren Körpern das Blut Dixarbres fließt. Denn er wollte nichts anderes, als das Erbe seiner Ahnen antreten. Er hat die vier geschändet und hinschlachten lassen, weil sie ihm nicht verraten wollten, wo Beauxbatons liegt, auf dass er dort die magischen Künste erlernen könne. Der Verdruss trieb ihn an den Rande des Irrsinns. Dabei konnte er die hohen Künste nicht erlernen, denn er war der ohne magische Begabung geborene Nachkomme eines einst gerühmten Zauberers. Die Demütigung, nicht dazuzugehören, trieb ihn dazu, Aurélie und die drei anderen zu demütigen. Als ihm das nichts eintrug ließ er sie zur selben Zeit enthaupten, ohne zu ahnen, dass sie dadurch zu mächtigen Rachegeistern wurden. Sie schlachteten ihn und die drei Handlanger, die an ihrer Schändung teilhatten hin, trieben die Mägde in den Wahnsinn oder in den Tod. Doch das gab ihnen keine Ruhe. Sie wollten wissen, dass sie alle Erben des Barons Auguste Dixarbres überdauern würden. Doch meiner Mutterseele Eloise war da schon offenbar, dass damit nur noch unschuldiges Blut vergossen würde. So schlug sie die vier durch ihre letzten Opfer in ihren Bann, auch wenn dieser nur von Dauer war, wenn alles um das Schloss Dixarbres dem Vergessen anheimfiele. Dies geschah leider nicht, wie du und deine Mitstreiter gewahr wurdet. Doch nun ist des Rachewahns kalter Atem erstorben, und ich werde denen beistehen, die ohne nach Leib und Seele anderer zu trachten leben, ob aus der Blutlinie Eloises, oder des Vaters der vier Töchter oder des damals noch ungeborenen Erben des Barons Dixarbres. Den am Übertritt zum Land der Dahingegangenen werde ich neues Leben ermöglichen." Sie hob eine Hand und deutete auf das Schloss. Julius wollte noch was fragen. Doch irgendwas hielt ihm vom Sprechen ab. Er versuchte, an das Lied des inneren Friedens zu denken. Doch eine innere Stimme sagte ihm, die Andere nicht gegen ihn aufzubringen. Da hörte er ein angstvolles Rufen und wimmern, während eine bläulich-weiße Erscheinung durch die Luft flog. Er erkannte den von einer bläulichen Aura umflossenen Geist Professor Bonhams. Julius argwöhnte schon, dass Pentaia ihn in ihren Körper hineinziehen würde, wie Ashtaria und Ammayamiria es schon mit ihm gemacht hatten. Doch bevor er bei ihr ankam prallte er auf ein unsichtbares Hindernis. "Was soll das noch. Habt ihr mordlüsternen Furien mich nicht genug gequält. Ich kann doch nichts für meinen Vorfahren", rief er. Da schlug ein Blitz aus Pentaias Hand heraus. Bonham schrie laut auf, fast wie ein gerade geborener Säugling und schrumpfte innerhalb einer Sekunde zusammen. Dann zuckte ein weiterer Blitz aufund schleuderte den zu einer gerade erbsengroßen Kugel geschrumpften in die Nacht hinaus. "Die am nächsten gelegene Frau, die in dieser Nacht ein Kind empfängt, wird ihm neues Leben geben."

"Und wenn die ein Mädchen empfängt?" fragte Julius.

"Dann wird sie sich daran gewöhnen, eine Tochter zu sein. Denn die Erinnerungen an sein früheres Leben werden nur in Form von Träumen offenbart, sollte er als Jungfer wiedergeboren werden."

"Und die originalseele des neuen Kindes?" fragte Julius.

"Wird gleich mit ihm eins sein, so wie ich die eine aus den fünfen bin oder wie eine gewisse Ammayamiria, an die du gerade gedacht hast, die eine Tochter zweier Seelen ist oder jene, die dir die Gnade eines erstarkten neuen Lebens darbrachte, mit jedem ihrer Kinder eins ist. Von nun an werde ich für alle unsichtbar und unerspürbar weiterbestehen und helfen, wo meine Hilfe not tut."

"Eine Frage habe ich jetzt doch noch. Wieso siehst du grün aus?" Julius wusste, dass diese Frage banal war und erwartete ein schallendes Gelächter. Tatsächlich schmunzelte Pentaia von ihrer hohen Warte zu ihm herunter. Dann antwortete sie erheitert klingend: "Weil Grün die Lieblingsfarbe meiner fünf Seelenmütter war. Möchtest du mich nicht eher fragen, warum ich dir nicht auch beistehen kann, weil du mich in diese Welt hineingerufen hast?""

"Noch eine große Beschützerin nach Ammayamiria und Temmie, dachte Julius und sah am Gesicht der grünen Geisterfrau, dass sie seine Gedanken aufgefangen hatte. Dann sagte er: "Ich hoffe, dass ich deinen Schuztz nicht benötige, zumal ich bereits viele lebende und einige Nachtodesformen habe, die mir Hilfe und Schutz geben möchten. Wenn es für die Bonhams wichtig ist, eine so mächtige Beschützerin an ihrer Seite zu haben, so hoffe ich, dass sie weiterhin in Frieden und Ruhe bestehenbleiben."

"So sei es. So werde ich nun mein neues Werk beginnen. Entbiete deinen anderen Beschützerinnen meinen Gruß, Ammayamiria, Artemis vom grünen Rain, Camille Dusoleil und eurer durch Fleisch und Seelenkraft gemeinsamen Mutter, Ashtaria!" Der Name Ashtaria hallte immer noch wie ein langes Echo von den Bergen wider, als Pentaia übergangslos verschwunden war. Julius fühlte auf einmal den kalten Gebirgswind wieder, der hier oben wehte. Er sah sich noch einmal um. Er war allein, allein auf einem Berggipfel. Gerade begann es hier oben zu schneien. Es wurde höchste Zeit, wieder nach unten zu kommen. Er disapparierte und reapparirte in der Nähe des ehemaligen Châteaus Dixarbres. Dort erwarteten ihn die beiden Bonham-Frauen. Sie wirkten niedergeschlagen, ja bestürzt. Vor ihnen lag Monsieur Lunoire auf dem Boden. Er war bewusstlos.

"Sie sind auch da?" fragte Olive Bonham. Dann erinnerte sie sich wohl an was. "Sie haben diesen bösen Bann von mir genommen. Wie haben Sie das vollbracht?"

"Durch einen Beschwörungszauber, den mir die namentlich unerwähnt bleiben wollende Gruppe der Kinder Ashtarias beibrachte, damit ich nicht immer auf ihre Hilfe angewiesen sei", erwiderte Julius. "Er kehrt bösen Zauber zum guten um, wenn der Anwender weiß, was böse ist und wie er es umkehren kann", erzählte er und verschwieg, dass sein Zauber zum einen ohne seine direkte Steuerung wirkte, wenn er einmal aufgerufen wurde und zum anderen auch dort Flüche umkehrte, die eigentlich dazu da waren, anderes Übel zu unterdrücken, wobei das unterdrückte Übel durchaus wieder freikommen konnte.

"Dieser Bursche da hat unsere Körper wohl mit Verwandlungszaubern belegen wollen. Dabei ist ihm sämtliche Ausdauer abhandengekommen", sagte die jüngere Bonham. Julius verglich die beiden. Olive funkelte ihn an: "Erdreisten Sie sich ja nicht, meine Tochter so lüstern anzusehen, junger Mann. Diese soll einen anständigen Zauberer finden und ehelichen."

"Mum, merkst du eigentlich, wie peinlich du dich gerade aufführst?Dad ist tot. Das haben uns diese Geisterfurien doch mitgeteilt, und wer weiß ob Norman oder Jeremia oder Joana nicht auch schon tot sind. Und du denkst nur dran, deine Rangstellung zu bekunden. Er hat mich nur genauer angesehen, weil er wohl keine dicken Frauen mag."

"Halt, Ladies, bevor das noch zu einem unangenehmen Missverständnis ausartet", fuhr Julius dazwischen, als Olive gerade eine Erwiderung aussprechen wollte: "Ich habe Sie, Ms. Bonham, nicht lüstern angesehen, sondern nur verglichen, ob sie weiterhin ein gutes Mutter-Tochter-Gespann bieten können. Und nein, Ms. Bonham, ich verabscheue keine korpulenten Frauen und Mädchen. Meine Schwiegergroßmutter ist stolz auf jedes Pfund, dass ihr zwölf Schwangerschaften eingetragen haben und in Beauxbatons hatte ich Schulkameradinnen, die ebenfalls einiges auf den Hüften hatten, damit aber irgendwie gut leben konnten. Eine von denen ist heute Sucherin bei einer Ligamannschaft in Frankreich, obwohl sie ursprünglich aus Belgien kommt. Dazu bin ich auch schon glücklich verheiratet, wie Sie, Mrs. Bonham, doch wissen sollten. Und da meine Eltern mir beigebracht haben, dass es unanständig ist, die Frau zu betrügen, die ein Kind von mir bekommen hat und gerade auf das nächste wartet, trachte ich nicht danach, Ms. Bonham zu irgendwas zu verführen, ein Sieben-Gänge-Abendessen, eine unverbindliche Liebesnacht oder gar eine Ehe. Außerdem leben außer Professor Bonham noch alle. Wir waren schnell genug und haben sie alle in sicherheit gebracht."

"Und überleg du dir bitte sehr, wer dich geboren und großgezogen hat, junge Dame, bevor du noch einmal solche Unverschämtheiten von dir gibst", schnarrte Olive Bonham. Dann sagte sie zu Julius: "Und Sie sollten bei allem, was Sie für mich und meine Tochter getan haben darüber nachdenken, ob Werwölfinnen und Hexen, die an obskuren Dingen forschen der rechte Umgang für Sie sind. In dieses wie auch immer entstandene Familienverhältnis zu diesen Latierres werde ich Ihnen besser nicht dreinzureden trachten, weil in der Hinsicht wohl schon sämtliche Kessel umgekippt sind. Ich erwarte jetzt nur noch, dass Ihr Ministerium meiner Tochter und mir die Heimreise erstattet, damit wir der traurigen Pflicht nachkommen und meinen Mann, Jennifers Vater, in allen Ehren begraben lassen können."

"Diese Frage erörtern Sie bitte mit höhergestellten Beamten", sagte Julius. Dann verwendete er den Notrufzauber, um einen Heiler für Oreste Lunoire herbeizurufen. Eine halbe Minute später war eine Hexe im Umhang der Delourdesklinik am Ort. sie kannten sich. Es war Clementine Eauvive.

"Ach du meine Güte, grenzenlose Übersteigerung eigener Zauber. Hatten wir lange nicht mehr", sagte sie. Dann sah sie Julius an, der ebenfalls nicht mehr so ganz wach aussah. "Müssen Sie heute noch einen Bericht abliefern oder dürfen Sie den rest der Nacht schlafen?" fragte sie.

"Muss ich noch mit meiner derzeitigen Vorgesetzten klären", sagte Julius.

"Dann erteile ich Ihnen eine Überweisung an den Kollegen im Ministerium und an die residente Heilerin von Millemerveilles, dass diese dafür Sorge tragen, dass Sie erst dann wieder dienstfähig erklärt werden, wenn Sie mindestens zehn Stunden Schlaf genossen haben, Monsieur Latierre. Sie holte einen Formularblock hervor und trug etwas ein. Dann riss sie das Blatt ab, kopierte es dreimal und gab Julius eine Kopie. "Meine Hausheilerin ist Mademoiselle Béatrice Latierre", sagte er keck.

"Nur wenn Sie im Château Tournesol zu übernachten gedenken, Monsieur Latierre. Ansonsten darf sie nur in ihrer Funktion als Hebamme außerhalb ihrer Niederlassung tätig werden oder wenn sie jemand mit dem Notrufzauber herbeizitiert, so wie Sie mich gerade. So, und jetzt bringen wir den netten Monsieur hier zu uns, damit er dort von seinem überwältigenden Einsatz genesen kann. Öhm, den offiziellen Bericht, unabhängig ob Geheim oder nicht erhält dann unsere Direktrice."

"Echt?" fragte Julius.

"Dann studieren Sie mal die Hilfsabkommen zwischen Ministerium und Delourdes-Klinik", grinste Clementine. Dann beschwor sie eine magische Trage herauf, bettete Monsieur Lunoire darauf und disapparierte mit ihm zusammen.

"Ich rufe mal eben unsere Leute her, damit man Ihnen behilflich ist, die Damen."

"Sofern darunter wer ist, der oder die anständiges Englisch zu sprechen im Stande ist", bestand Olive Bonham. Jennifer schüttelte den Kopf. "Nicht nötig, ich habe alle drei Bücher von Polyglosse und Babel durchgearbeitet, Monsieur Latierre." Julius nickte und verschwand, um den Abholdienst für die Bonhams zu organisieren. Ihm war klar, dass seine Zauberei auf dem Berg mit dem Retrocular nachbetrachtet werden konnte. Deshalb schrieb er noch einen kurzen Bericht an Madame Ventvit. Doch dann fühlte er die immer schwerer auf ihm lastende Müdigkeit. Er wagte es nicht, zu apparieren und benutzte das Flohnetz, solange er noch das Ziel "Pomme de la Vie" ausrufen konnte.

"Mann, bin ich platt", grummelte Julius, als seine Frau ihn in die Arme geschlossen hatte. Er bemerkte jetzt erst, das Hera Matine auch da war. "Ich erhielt die Mitteilung, sicherzustellen, dass du dich nach deiner Ankunft unverzüglich hinlegst und nicht vor zehn Stunden wieder aufstehst. Sei froh, dass Wochenende ist."

"O mann, um zehn wollte ich Temmie rüberholen, damit die Schüler von Laurentines dritter Klasse mal mit ihr fliegen können", grummelte er.

"Das mache ich dann", sagte Millie.

"Ich fürchte, in deinem Zustand solltest du auf eine Flugpartie verzichten, wenn du keinen Streit mit mir und deiner offiziellen Hebamme haben möchtest, Mildrid."

"Mit dir muss ich mich nicht streiten, Hera. Mit meiner Tante will ich mich besser nicht anlegen."

"Will ich wohl meinen", erwiderte Hera Matine. Dann fragte sie noch, ob Aurore und Chloé noch immer im Tiefschlaf bleiben müssten.

"Der Grund dafür ist erledigt, Hera. Wir konnten die Bedrohung aus der Welt schaffen", sagte Julius, ohne auf Einzelheiten eingehen zu müssen. Dann zogen er und seine Frau sich zurück.

Bevor Julius neben seiner hoffnungsvoll gerundeten Frau einschlief hauchte er ihr noch zu: "Ich habe schon wieder eine transvitale Entität in unsere Welt gebracht."

"Ui, aus den vier bösen Frauen? Dann ist die Drachenkacke aber wohl noch heftiger am dampfen, Monju."

"Nein, ihre leibliche Mutter, die selbst als Geist überdauert hat, hat mir gezeigt, wo sie ihre Töchter einmal in Dauerschlaf versetzt hat, bis diese überkandidelte Nudel Olive Bonham aufgekreuzt ist, um zu sehen, wo der Urahn ihres Mannes gewohnt hat. Es gibt echt Sachen, die sollten besser vergessen werden."

"Ach, und die Mutter ist jetzt mit ihren vier Kindern zu einer einzigen geworden? Ich hoffe mal, du kannst nicht nur Töchter. Martine hat mir geschrieben, dass sie jetzt auch auf was kleines wartet und ich ihr deshalb nicht mehr von oben herab kommen muss, weil ich schon eine Tochter habe und die zweite im Backofen."

"Ach, die auch. Ich darf keine Frauen mehr anniesen. Erst du, dann Belles Mutter, dann noch Prudence Whitesand und jetzt noch Martine."

"Britt darfst du aber gerne noch anniesen. Die hat geschrieben, dass sie den Vertrag mit den Windriders nicht mehr verlängern wird, sehr zum Unwillen von Venus Partridge. Aber sie möchte endlich auch ihre kleine Familie haben."

"Oh, dann sollte ...ich ... ihr ..." weiter konnte Julius nicht mehr sprechen. Denn der längst fällige Schlaf hatte ihn endgültig übermannt.

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"Das Wohnmobil wackelte heftig hin und her, auf und ab. Die Stoßdämpfer waren bei der Fahrt ins Gebirge nicht so heftig belastet worden wie jetzt gerade. Der Grund dafür befand sich im Wohnmobil: Jack Wilson und Lydia Sandhearst. Sie beide hatten es gewagt, aus den jeweils goldenen Käfigen ihrer wohl- bis überbehüteten Familien auszubrechen und sich mit dem Wohnmobil von Jacks Cousin Rolf durch den Tunnel aufs Festland abzusetzen, um einmal einige Wochen Ruhe zu haben. Und die größte Ruhe hatten sie hier in den Bergen gefunden, nahe der französisch-spanischen Grenze, waren sie auf Meilen die einzigen Menschen. Als sie beide wussten, dass ihnen keiner hinterhergefahren war hatten sie ihre letzten Anstandssorgen über Bord geworfen und in jeder Nacht die Stoßdämpfer des Wohnmobils getestet. Dabei hatten sie immer auf Verhütung geachtet. Auch diesmal meinten sie, sicher zu sein. Deshalb warfen und wälzten sie sich immer wilder übereinander, klammerten sich aneinander fest und schrien ihre ganze Lust hinaus. Als Lydia dann unvermittelt wie von einem Blitz getroffen zusammenfuhr, um dann ungestüm loszuschreien und Jack so fest an sich zu pressen, dass der schon dachte, er würde gleich von ihr zerdrückt. fühlte er sich im siebten Himmel. Als sie dann endlich die heißen Schauer ihrer höchsten Wonne überstanden hatte meinte sie: "O mann, so heftig bin ich aber bisher nicht abgegangen."

"Ui, ich dachte schon, du wolltest mich jetzt ganz und gar in dich reindrücken, Lydi. Aber genial war's echt.""

"Dann noch mal, Süßer!" Flieg mich noch mal zu den Sternen rauf."

"Aber gerne doch, meine kleine Sternenprinzessin", sagte Jack und fühlte sofort, wie seine wohlige Erregung wieder anstieg. Noch lagen sie beide in intimer Vereinigung zusammen. So brauchte er kein anregendes Vorspiel mehr und sie wolte es jetzt wissen, ob das eben nur eine kurze Laune ihres Körpers oder echt von ihm her kam.

Zwanzig anstrengend schöne Minuten später erlebte sie wieder den Höhepunkt ihrer Lust. Zwar war es wieder was herrliches, alles um sie in Drehungen versetzendes. Doch eine Welle von so heftigen, inneren Explosionen wie beim letzten Mal war es nicht. Lag sicher daran, dass auch ein gerade neunzehn Jahre alter Körper irgendwann geschafft war. Als sie endlich voneinander loskamen stellte Jack fest, dass das übergezogene Kondom vorne aufgeplatzt war. Als Lydia das sah erbleichte sie. "Mist, Wenn das schon vom ersten Mal war hängt dein Zeug jetzt voll in mir drin, o mann und ich bin gerade voll auf Temperatur."

"Habe ich gemerkt", grummelte Jack, dem gerade alle Freude an der Lust vergangen war. Wenn sie wirklich mit einem kaputten Verhüterli geschlafen hatten und Lydia deshalb von ihm schwanger wurde war die Zeit der Freiheit endgültig vorbei. Denn Lydias Eltern waren pedantische Abtreibungsgegner und seine Eltern bestanden darauf, nur eheliche Enkelkinder haben zu wollen. Wollte er Lydia heiraten, deren Eltern sich was auf ihren halbaristokratischen Stammbaum einbildeten? Die hatte sogar einen echten Lord unter ihren Großonkeln, weshalb er sie, um sie zu ärgern immer wieder Lady Lydia nannte. Tja, und sein Vater war Parlamentsmitglied, jemand, der auf seine gesellschaftliche Umgebung achten sollte, auch wenn das längst nicht jeder tat.

"Mann, ich mein das ernst. Ich hab gestern gemessen und da fast neunundneunzig Fahrenheit gemessen. Wenn meine überteuerte Biolehrerin mich richtig aufgeklärt hat heißt dass, das da ein reifes Ei springt, um auf vorbeischwimmende Spermien zu warten."

"Gnaus Ogino ergo sum", grinste Jack. Lydia kniff ihm dafür in die Nase.

"Ich Versuch das gleich noch rauszuspülen. Du kennst ja meine alten Herrschaften."

"und du meine", knurrte Jack. Lydia sprang aus dem Bett, um zu sehen, ob noch was zu retten war.

"Tu du mal nicht so, als könntest du das locker wegpacken, wenn eine wie ich dein Kind wegmachen lässt."

"Ich schon, der kleine Braten nicht", tat Jack unbeeindruckt. Doch in Wahrheit wusste er nicht, was er sagen oder tun wollte, wenn ein Mädchen wie Lydia ihm irgendwann erzählte: "Äh, Typ, du hast mir 'n Kind gemacht. Aber i's kein Thema. Ich hab's wieder wegmachen lassen." Andererseits wollte er noch kein Baby haben. Die herrlich heiße Stimmung, die bisherige Nacht in ihm und ihr aufgebaut hatte, war einer frostig trübsinnigen Beklommenheit gewichen.

Während er seine Freundin in der Nasszelle mit irgendwelchen Sachen an sich herumwaschen hörte dachte er, ob es nicht besser gewesen wäre, erst dann mit ihr zu schlafen, wenn sie wussten, ob sie auch ein Leben zusammensein wollten. Doch gerade das hätte er für typisch spießig gehalten, was, dass nur Leute wie sein Vater oder dessen Golfpartner richtig fanden. Und was sollte es. Sie waren noch drei Wochen unterwegs. Sicher gab es genug Apotheken, in denen Sachen frei verkauft wurden, die die angeblich unangenehme Nebenwirkung hatten, Schwangerschaften im Frühstadium zu beenden. Mit dieser gewissen Sicherheit wartete er, bis seine Freundin wieder zurückkam. "So, ich hoffe, ich habe mir jetzt nicht alles für alle Zeiten zerbröselt. Aber vielleicht habe ich doch noch gerade so die Bremse gezogen."

"Dann schlafen wir besser jetzt", sagte Jack. Er konnte nicht wissen, dass Lydia auf dem Weg in die Nasszelle den Entschluss gefasst hatte, es darauf ankommen zu lassen. Und sollte sie jetzt durch Gott, dessen Alibi-Vertreterin Maria oder sonst wessen Vorbestimmung sein Baby austragen, würde sie es auch ohne von ihren Eltern dazu verdonnert werden zu müssen kriegen. Jack wollte zwar erst im nächsten Sommer in Cambridge anfangen und wollte in dem Jahr noch was von der Welt sehen. Aber wenn in dem schon die Anlagen zu einem genialen Volksvertreter steckten und sie diese Anlagen mit ihrem halbaristokratischen Stammbaum zusammenbrachte, konnte was immer da in ihr jetzt drinsteckte nur was ganz besonderes sein. Früher hätte sie solche Gedanken weit weit von sich gewiesen, auf ihre Freiheit und Selbstbestimmung über ihren Körper gepocht. Warum sie jetzt anders dachte wusste sie nicht, und wenn ihr das irgendwer hätte sagen können, dann hätte sie wen auch immer als Spinner bezeichnet.

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"Mann, so heftig fies waren die drei Minuten nicht, die ich gebaumelt habe", maulte Grover Spade. Seit Jahrhunderten konnte er sich zum ersten mal nicht mehr frei bewegen und dann auch gleich so gründlich. Seine zwei Leidensgenossen und Brüder lamentierten, dass sie sich nicht besser fühlten. "Da hat ein orientalischer Flaschengeist es ja noch gemütlich", grummelte Logan Spade. Der durch Enthauptung verstorbene Geisterbruder konnte nicht einmal seinen abnehmbaren Kopf bewegen. Wie in mitten in die Luft gehängten Kristallkugeln steckten die drei Spade-Brüder fest.

Es war schon weit nach Mitternacht. Über dem einstmals den Bonhams gehörenden Haus hingen schwere Wolken. Keine wirklich beglückende Aussicht, empfand es Pancrace, der als Geist ständig mit einem durchsichtigen Armbrustbolzen in der Brust herumspuken musste. Dann erstaunte er, genauso wie seine zwei gefangenen Brüder.

Aus allen Richtungen floss ein lindgrüner Schimmer auf sie zu. Sie hörten das leise Säuseln einer Frauenstimme, die ebenso aus allen Richtungen zu dringen schien. "Was wird das denn jetzt?'" fragte Grover Spade. Die Antwort war ein mit warmer Frauenstimme gerufenes Wort: "Dotterblumenknospe!" Das sie drei umfließende grüne Licht erhellte sich noch mehr, legte sich auf die glasartigen Sphären, die die Geisterbrüder fest in sich eingeschlossen hielten. Die magischen Blasen zerrannen lautlos wie Wachs in der Kerzenflamme. Als das grüne Leuchten die drei Geister direkt berührte, meinten sie zum ersten mal seit Jahrhunderten, wieder sowas wie Wärme zu fühlen. Unvermittelt fiel alle Fesselung von ihnen ab. Sie streckten sich wie nach einem langen Schlaf. "Wandelt weiter in Freiheit und wirkt euer gutes Werk gegen die ruhelosen Seelen rachsüchtiger Wesen!" erscholl eine halblaut gesprochene Anweisung der fremden Frauenstimme. Dann erlosch das grüne Leuchten unvermittelt. Die drei unterschiedlich verstorbenen Brüder sahen einander an. Logan nahm seinen Kopf ab und wiegte ihn in den Händen. Grover zubbelte an dem ihm auf ewige Zeiten um den Hals geschlungenen Henkersstrick, und Pancrace befingerte den im Brustkorb sitzenden Armbrustbolzen. "Kann mir einer von euch Nebelkerzen sagen, was das jetzt war?" fragte Logans Kopf, der gerade frei vor dem Körper seines Trägers schwebte.

"Hörte sich an wie eines von den bösen Mädels, die uns so eingefroren haben", grummelte Grover. "Aber so überstark und aus allen Richtungen konnte das echt nicht kommen."

"Leute, irgendwie wurden unsere Einweckkugeln aufgelöst. Darüber sollten wir froh sein. Wie das ging sollen uns bitte die überschlauen Lebendigen zu erklären versuchen."

"Hast recht, Zielscheibe", lachte Logans Kopf, bevor dessen Besitzer ihn wieder ordentlich auf den Hals zurücksetzte. "Klären wir das mit Marley und den anderen!" Da er der ältere von den Brüdern war, galt er nach deren Tod als Anführer des Bi-ba-Buh-Trios. Daher erhielt er ein Nicken seiner Brüder zur Antwort.

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13. November 2001

"Eure Tante ist und bleibt eine blöde Anstandshexe", schimpfte Laurentine, als sie Millie und Julius am Abend nach dem Ausflug mit Temmie noch einmal besuchte. Die hat doch glatt den kleinen Richard angepampt, er solle sich benehmen, weil er Suzanne Leblanc geküsst hat. Dabei wollte die das. Die meinte dann, dass wer mit neun schon küsst mit vierzehn schon im Kindbett liegt und dass das in Beauxbatons sicher nicht gut rüberkäme."

"Wusste gar nicht, dass Oma Line da erst achzehn war, als sie Tante Babs bekommen hat", grinste Millie Ma war ja die erste. Zwischen der und Tante Babs liegen vier Jahre."

"Öhm, dann hätte deine Oma Line bei deren Geburt glatt auch schon sechzehn sein können", sagte Laurentine. Julius grinste. Millie auch. Sie setzte sogar noch einen drauf und sagte:

"Womöglich hat sie Ma vertröstet, erst dann geboren werden zu können, wenn sie selbst ausreichend große Milchtüten hat, bevor sie aus Uroma Barbara Hippolyte herausgekrabbelt ist und "Hallo, Maman, da bin ich!" gerufen hat.

Julius grinste nun nicht. Er dachte an Pentaia und ihre Zusage, dass die Seele Professor Bonhams noch einmal ein körperliches Leben führen dürfe, um dann wohl in Frieden in das Totenreich übertreten zu dürfen. Wenn der ähnlich wie Peggy Swann oder Selene Hemlock schon als Baby wie ein erwachsener Mann denken konnte würde der wohl heftig damit zu ringen haben, bloß nicht aufzufallen, je nachdem, bei wem er oder sie dann ankam.

"Hat sie dich noch mal wegen irgendwas runtergemacht, unsere Schwiegertante?"

"Sie meinte nur mal, dass diese Anstellung als Aushilfslehrerin nicht bedeuten soll, dass ich mir einen von den jungen Vätern oder deren Verwandtschaft ausgucken sollte, weil das wohl nicht so gerne gesehen wäre. Gut, dass die nicht mitbekommen konnte, was mir in der dritten Runde vom Trimagischen passiert ist. Dann würde die noch mehr am Rad drehen."

"Dann würde sie dich nicht mehr auf ihren Hof lassen, weil sie dann Angst um ihre eigenen Kinder hätte", musste jetzt Julius einen derben Scherz anbringen. Laurentine verzog erst das gesicht und musste dann nicken. Sie meinte dann:

"Auf jeden fall sucht euch bitte demnächst vorher was, was euch nicht flugunfähig macht, wenn ich eure proppere Lady noch einmal ausleihen möchte, zumal die ja selbst in einem Jahr wohl keinen Transportflug mehr machen darf."

"Soll ich jetzt sagen, dass du nur neidisch bist, weil du gerade nichts süßes kleines, quirliges in deinem kleinen Ranzen hast?" fragte Millie.

"Frag mich das noch mal, wenn der Fall eingetreten ist und ich die Frage beantworten kann. Aber im Moment wird das wohl erst am dreißigsten Februar passieren."

"Hat Célines Schwester auch gedacht", feixte Millie. Julius wwollte schon ansetzen, seine Frau zu bitten, nicht wieder davon anzufangen, als Laurentine sagte: "Von der soll ich euch grüßen. Sie weiß es noch nicht, aber wenn ihre Großtante noch mal bei ihr war und das bestätigt könnte sie im nächsten August auch wen neues im Haus haben."

"Die lassen sich aber auch nicht lange bitten", meinte Julius dazu.

"Na ja, Robert merkt jetzt, dass es zwei Sachen sind, mit einer Frau im selben Bett zu schlafen und am Tag für zwei Kinder mitzuschaffen. Wenn dann noch ein drittes kommt wird er wohl erst mal getrennte Schlafzimmer haben wollen."

"Wag du dich das bloß, nur weil Chrysie irgendwann in den nächsten zwei Jahren noch ein kleines Geschwisterchen haben möchte, Julius", grummelte Millie.

"Dabei haben wir hier so viele freie Zimmer und ... Auaaah!" Millie hatte ihm sehr energisch auf den rechten großen Zeh getreten.

"Das ist genau der Grund, warum ich im Moment nichts vom Heiraten und Kinderkriegen wissen will. Ich sage im Moment, weil ich das nicht kategorisch ausschließen möchte", bemerkte Laurentine.

"Ist dein Ding, Laurentine. Niemand zwingt dir was auf, was du nicht willst", sagte Julius. Millie nickte dazu nur.

14. November 2001

Julius begrüßte seinen derzeitigen Vorgesetzten Pygmalion Delacour wieder. Er hatte die Angelegenheit mit den vier Geistern ordentlich niedergeschrieben und Kopien für seine und Madame Ventvits Abteilung verfasst. "Die werte Adrastée hat zwar eine schriftliche Beschwerde von ihrem zeitweiligen Kollegen Lunoire erhalten, dass Sie seinen höheren Rang nicht respektiert hätten, sei aber auf Grund Ihres Erfolges bei der Klärung dieser Angelegenheit davon ausgegangen, dass Sie und er lediglich einen sachlichen Streit auszutragen hatten, was die richtige Vorgehensweise sei. Dieses, so Madame Ventvit, lese sich in einer Jahresbewertung doch besser als "Durch renitentes Verhalten dienstälteren Kollegen gegenüber unangenehm aufgefallen". Ich möchte Sie in Vertretung von Mademoiselle Ventvit nur darum bitten, dass ein solcher Vermerk nicht in einem Bewertungsbericht auftaucht, solange Sie in diesem Büro tätig sind und es auch sonst vermeiden mögen, sich ungebührlich gegenüber dienstälteren Kollegen zu betragen", musste Pygmalion unbedingt anbringen. Julius nickte und dachte nur seine Selbstbeherrschungsformel. "Andererseits hat sie mir sehr klar zu verstehen gegeben, dass sie meine und Ihre Vorgesetzte darum ersuchen möchte, Sie in ihre Abteilung überwechseln zu lassen, da Ihre Fähigkeiten, ich zitiere wörtlich "Den umgang mit böswilligen Geistererscheinungen, relikten dunkler Magie und in unsere Zeit nachwirkenden Flüchen für eine Laufbahn in der Geisterbehörde eher qualifiziert, als für eine im Bereich humanoider Zauberwesen.""

"Meint sie das wirklich? Öhm, dabei haben wir in unserem Büro auch genug mit böswilligen Bezauberungen zu tun. Und dass das, was ich kann eher mit lebenden als mit toten Erscheinungsformen zu tun hat steht in meinem Bericht drin."

"Wohl wahr, zumal ich in der Zeit, in der Sie Aushilfsexorzist sein durften, ein Schreiben Madame Létos erhielt. Der Rat europäischer Veelas hat mit siebenundvierzig zu eins beschlossen, dass wir, also dieses Büro, Sie damit betrauen mögen, der persönliche Kontakt zwischen den europäischen Veelas, Sektion Frankreich und dem Zaubereiministerium zu sein. Da ich in dieser Angelegenheit bekanntlich familiär befangen bin muss und werde ich diese Entscheidung von Mademoiselle Ventvit treffen lassen. Aber so ganz inoffiziell: Hüten Sie sich vor den Kinderwünschen Madame Létos und ihrer Schwester Sarja. Auch wenn sie noch so viele Jahrhunderte erlebt haben sind sie immer noch willens und fähig, Nachwuchs mit ihnen gefallenden Zauberern zu zeugen."

"Ich nehme die Warnung zur Kenntnis", sagte Julius. Dann fragte er, was in der Sache Ostland geschehen sei.

"Ja, das ist der Punkt. Bis zur Stunde ist niemand von der Gruppe Ostland bei uns vorstellig geworden. Es erfolgte auch keine schriftliche Berichterstattung oder Terminverschiebungsanfrage. Da diese Gruppe vom britischen, Französischen, deutschen und russischen Zaubereiministerium unterhalten wird, verlangt der Dienstweg zunächst eine Anfrage bei den beteiligten Ministerien, ob diese bereits Kenntnis über neuere Entwicklungen erhalten haben. Sollten die Ministerien der anderen Länder ebenso auf neue Berichte warten, können wir einen Boten aussenden, der den Beobachtungsposten im Ostland aufsucht und vor Ort Erkundigungen einholt."

"Wenn die neuerung aber darin besteht, dass die Bewohner des beobachteten Gebietes sich ihrer Beobachter entledigen wollten?" malte Julius ein düsteres Bild.

"Das ist natürlich ein großer Drache, den Sie da rufen. Aber andererseits entspricht dies der Risikolage", seufzte Pygmalion Delacour. Da klopfte es an die Tür. Monsieur Delacour berührte den von ihm benutzten Schreibtisch und rief "Bitte eintreten!"

Julius wusste nicht, was er denken sollte, als er die beiden Besucher erkannte. Es waren Almadora Fuentes Celestes und ihr Bruder Vergilio, beide wie er Nachkommen der Beauxbatonsmitgründerin Viviane Eauvive und deshalb schon bei manchen Treffen der Eauvive-Sippschaft dabei gewesen. Was wollten die hier in Paris, wo beide in Spanien wohnten?" Genau bei der Frage klangen dunkle Saiten in seiner Erinnerung nach. In Südspanien hauste die einzige noch wache Abgrundstochter Itoluhila, wo sie wohl als Schutzengel aller freischaffenden Prostituierten auch mal selbst ein paar Freier empfing, um von diesen völlig freiwillig ihre Hauptnahrung zu bekommen, menschliche Körper- und Seelenenergie.

"Buenos días, öhm, guten Morgen meine ich natürlich", sagte Vergilio Fuentes Celestes. "Sind wir hier richtig im Büro für humanoide Zauberwesen über der Jardinane-Schwelle?"

"Dies steht so auf dem Türschild", erwiderte Monsieur Delacour ein wenig ungehalten. "Falls Ihr Anliegen dringend ist kommen Sie gleich zum Grund Ihrer anreise, da wir in zehn Minuten eine Konferenz der gesamten Abteilung haben."

"Vale, kein Thema", sagte Vergilio. "Ich bin vergilio Fuentes Celestes, Mitarbeiter der Einsatzgruppe für Behebung magischer Unglücksfälle oder Übergriffe auf die nichtmagische Welt, und meine Schwester Almadora ist freischaffende Zauberwesen- und Zauberpflanzenkundlerin." Die erwähnte nickte und schloss die Tür. "In beiden Angelegenheiten möchten wir mit Ihrer Vorgesetzten und ihrem jungen Mitarbeiter Julius Latierre sprechen."

"Moment. Monsieur Latierre, darf die Dame Ihren Stuhl haben?" fragte Monsieur Delacour. Julius nickte und stand auf. "Unsere Stühle haben es in sich", sagte er und ging los, sich einen zweiten Stuhl zu fangen. Da die Stühle ein unheimliches Eigenleben besaßen war das immer ein kleiner sportlicher Akt, ein bequemes Sitzmöbel zu ergattern. Doch es gelang ihm schnell, einen zweiten Stuhl zu erwischen. Almadora setzte sich auf den von Julius schon für den Tag ruhig gehaltenen Stuhl, der ein wenig wackelte, weil jetzt wer anderes auf ihm Platz nahm, sich dann aber wieder beruhigte.

"Gut", sagte Vergilio, der Julius Beispiel gefolgt war und sich einen eigenen Stuhl aus dem verbliebenen Bestand von Besucherstühlen herausgefangen hatte. "Notieren Sie mit?" fragte Almadora. Julius setzte die Büroeigene Flotte-schreibe-Feder an und nickte. "Ich heiße Almadora Fuentes Celestes, wohnhaft bei Granada in Spanien. Mein Bruder Vergilio Fuentes Celestes ist Mitglied der Einsatzgruppe gegen magische Unfälle, Katastrophen und Verbrechen gegen die nichtmagischen Mitbürger. Als solcher ist ihm ein beunruhigendes Vorkommnis zur Kenntnis gelangt." Sie wandte sich ihrem Bruder zu, der sofort weitersprach, was die Feder problemlos mit richtigem Namen festhielt:

"Wie meiner Einsatzgruppe erst vor zwei Tagen bekannt wurde werden seit dem elften September 2001 die Mitbürger Alfonso Hernán Colonades Dominguez und enrico Sérgio Rodrígues Ortega vermisst. Sie waren Teilnehmer einer Reisegruppe aus älteren Herren im Ruhestand, die vier Wochen in der Türkei zubringen wollte. Eine Woche in Istanbul, dann eine Woche Abenteuerurlaub im Taurusgebirge und dann noch zwei Wochen Erholungsurlaub am Mittelmeer. Der zweite Reiseabschnitt sollte mit einer Flugmaschine älteren Baujahres angetreten und beendet werden. Wie unsere Behörde erst vor zwei Tagen erfuhr ging das Fluggerät mit den zehn Reisenden, dem Flugmaschinenführer und dem einheimischen Reisegruppenbetreuer über dem Taurusgebirge verloren, will sagen, es konnte nicht mehr gefunden oder über diese Radiofunkverständigungsgeräte angerufen werden. Die Stelle, an der die letzte Sichtung des Flugapparates erfolgte liegt in einem Tal, dass auf Karten der Zauberwesenbehörden sowie unabhängiger Institute zur Erforschung und Bekämpfung bösartiger Zauber und Zauberwesen verzeichnet ist. Zudem, und das ist der Grund, warum meine Einsatzgruppe es überhaupt erfuhr, fiel einem für uns tätigen Mitarbeiter des spanischen Außenamtes auf, dass Alfonso Hernán Colonades Dominguez der Vater eines Zaubererweltmitbürgers namens Orfeo Colonades ist. In dem Zusammenhang ist unbedingt zu erwähnen, dass besagter Orfeo der Sohn zweier nichtmagischer Eltern ist, die jedoch in ihrer weit zurückreichenden Ahnenlinie je einen Magischen direkten Vorfahren aufweisen, weshalb der Sohn die verschütteten Zauberkräfte beider Elternteile im besonders hohen Maß äußert." Julius musste seine Selbstbeherrschungsformel denken, Orfeo Colonades, Bokanowskis Burg, Anthelias Entomanthropen, diese Bilder zogen an seinem geistigen Auge vorbei. Dann dachte er daran, was Vergilio damit schon andeutete: In einem Tal, das auf besonderen Karten verzeichnet war, sollte der Vater eines Ruster-Simonowsky-Zauberers mit einem Flugzeug verschwunden sein. Der Vater trug unerweckte Zauberkraft in sich. Was hieß das wohl?"

"Ja, und jetzt darf ich wieder", sagte Almadora. "Da dieser Mitbürger in einem Tal des Taurusgebirges verschwand, dass nur auf besonderen Karten markiert ist muss ich erklären warum. In diesem Tal soll laut Dokumentationen aus dem neunten bis zwölften Jahrhundert eine als Ullituhilia bezeichnete Kreatur gehaust haben und dort für lange Zeit in Zauberschlaf versenkt worden sein, die als Tochter des schwarzen Felsens bezeichnet wird. Sie gehört zu einer von neun Ihnen beiden wohl bekannten weiblichen Humanoiden, die als Töchter des Abgrunds bezeichnet werden, weil sie für ihre quasi unsterbliche Existenz mit Hilfe dunkler Magie die Lebenskraft geschlechtsreifer Menschen einverleiben, vorzugsweise durch Beischlaf erbeuten. Unsere Befürchtung ist, dass Señor Colonades und seine Mitreisenden gezielt in diesem Tal zur unfreiwilligen Landung gezwungen wurden, damit Señor Colonades durch seine von ihm selbst aus nicht einsetzbare Zauberkraft das Wiedererwachen Ullituhilias anregt und, sofern dieses stattgefunden hat, von ihr zu ihrem körperlich und geistig abhängigen Begleiter gemacht und kultiviert werden soll. Wie wir darauf kommen? Es haben sich nach Bekanntwerden dieses Vorfalls einige Tatsachen ergeben, so zum Beispiel dass der für die Wartung des Fluggerätes und der Verständigungsgerätschaften verantwortliche Mechaniker kurz nach dem Start der Maschine spurlos verschwand. Señor Vergilio Fuentes Celestes überprüft gerade die Zusammenstellung der Flugreisenden, die ja alle samt und sonders per Losverfahren des Reiseveranstalters ausgewählt worden sein sollen. Sollte sich dabei ergeben, dass die Auslosung manipuliert wurde, um gewisse Personen in die Reisegruppe einzugliedern, müssen wir wohl davon ausgehen, dass die auf unserem Hoheitsgebiet aktive Schwester dieser besagten Ullituhilia, namentlich Itoluhila, Tochter des schwarzen Wassers, die Erweckung ihrer Schwester herbeiführen wollte oder herbeigeführt hat. Da das Tal kurz nach der Vermisstmeldung der Flugmaschine von einem schweren, örtlich begrenzten Erdbeben verschüttet wurde, sind Spuren einer wie auch immer stattgefundenen Katastrophe nicht mehr auffindbar. Wir, also mein Bruder und ich, haben uns entschlossen, zunächst jene aufzusuchen, die mit Itoluhila und/oder ihren damals noch wachen Schwestern unliebsame Berührung hatten, um in Erfahrung zu bringen, inwieweit sie eine solche gezielte Erweckung für denkbar halten. Anschließend werden wir die in dieser Woche fortgesetzte Zauberwesenkonferenz besuchen, um unsere Dokumente und Schlussfolgerungen zu präsentieren. Was die Dokumente angeht, geben wir Ihnen natürlich gerne Kopien davon zu den Akten."

"Darf ich?" fragte Julius Monsieur Delacour, der leicht beklommen auf seinem Stuhl saß. Er nickte ihm zu.

"Nun, da Sie ja deshalb herkamen, weil sie beide wissen, dass ich sowohl der Abgrundstochter Hallitti, wie auch ihrer Schwester Ilithula schon begegnet bin, vermute ich jetzt mal, dass Itoluhila, sollte sie es echt hinbekommen haben, ihre noch schlafende Schwester zu wecken, dies nicht aus reiner Familienliebe getan hat. Soweit mir bekannt ist hat in allen Jahrhunderten keine der wachen Abgrundstöchter ihre in Zauberschlaf gebannten Schwestern aufzuwecken getrachtet. Zu dem kommt noch, dass laut Kenntnissen von Professeur Tourrecandide und dem heutigen Beauxbatons-Lehrer Professeur Phoebus Delamontagne eine gezielte Aufewckaktion seitens einer Abgrundstochter nur gelingt, wenn die Person, die sie zum Aufwecken für geeignet findet, nicht mit ihrer unmittelbaren Anwesenheit in Berührung kommt. Das heißt, sie darf den, der zum Erwecker werden soll, niemals direkt treffen und ihn auch nicht mit ihrer Magie oder ihrem Körper berühren, weil er sonst für jede andere vor allem schlafende Abgrundstochter unantastbar wird. Mein letztes unrühmliches Zusammentreffen mit gleich zwei Abgrundstöchtern und die Nachbesprechung des Vorfalls mit den daran beteiligten Personen ergab, dass der magisch abhängig gemachte Mensch nicht von einer anderen Abgrundstochter berührt und ausgezehrt werden darf, weil dies die eigentliche Zwangsverbundene schwächen würde. Insofern halte ich eine manipulierte Gruppenauswahl und einen herbeigeführten Absturz, besser eine Notlandung, für zumindest vorstellbar."

"Das ist genau die Einschätzung, die wir zu erfahren hofften, wenngleich die Schlussfolgerung, dass eine der Abrundstöchter wiedererwacht ist, alles andere als erwünscht oder erhofft ist", sagte Almadora.

"Wenn wir schon bei Hypothesen sind, die Dame und die Herren, so frage ich Sie, Monsieur Latierre, doch jetzt nach dem Grund, außer möglicher Einsamkeit, der diese Itoluhila bewogen haben könnte, ihre Schwester nach all den Jahrhunderten aufzuwecken?">

"Sie wünschen Hypothesen?" fragte Julius. "Gut, eine könnte sein, dass sie erfahren hat, dass es einen Schwarzmagier gibt, der versucht, in Voldemorts Fußstapfen zu treten. Der könnte ihr alleine vielleicht gefährlich werden. Deshalb wollen ja Teilnehmer der Konferenz beraten, ob es nicht sinnvoll sei, mit ihr eine Art Burgfrieden zu schließen. Ein anderer Grund könnte darin bestehen, dass sie von einer Bedrohung erfahren hat, die wir noch nicht erkennen können oder sie nicht als Bedrohung ansehen. Das könnte zum Beispiel wegen Nocturnia und den Werwölfen von der Mondbruderschaft sein. Die letzte Hypothese, die ich mir zutraue ist die, dass Itoluhila von sich aus ein Netzwerk über die ganze Welt spannen will, da sie gemerkt hat, wie wichtig und nnützlich es ist, Kontakte in alle Welt zu haben. Auch wenn mir die daraus erkennbare Schlussfolgerung absolut nicht gefällt muss ich sie trotzdem erwähnen: Sie könnte danach trachten, alle ihre schlafenden Schwestern aufzuwecken. Bei Ilithula und Hallitti wird ihr das nicht gelingen, weil deren Überdauerungsbehältnis zu tief in die Erde versenkt wurde, um noch von einer menschlichen Präsenz berührt zu werden. Die anderen aber könnten aufgeweckt werden, wenn Itoluhila herausfindet, wo sonst noch menschen mit hohen, aber nicht erwachten Zauberkräften wohnen und wie sie sie an die entsprechenden Orte bewegen kann."

"Nun, wir haben da noch eine Hypothese im Angebot", sagte Almadora und fuhr fort: "Sie könnte fürchten, dass sie alleine den Schlaf ihrer jüngsten und mächtigsten Schwester nicht weiter erhalten kann und diese von sich aus erwacht. Dieser letzten von Lahilliota geborenen Tochter wird nachgesagt, das sie den Zeitfluss selbst manipulieren kann, eine für uns Hexen und Zauberer denkbare, aber schwer anwendbare Macht. Womöglich ist ihr mit großem Erschrecken bewusst geworden, dass ihre Manipulationen, die in letzter Konsequenz zum dauerhaften Schlaf ihrer Schwestern Hallitti und Ilithula geführt haben, die gewisse Kraft geschwächt haben, mit der damals alle acht anderen ihre jüngste Schwester in den tiefen Schlaf gezwungen haben."

"Dann dürfte meine Schlusshypothese noch stärker erhärtet werden, dass sie alle anderen Schwestern aufwecken will, um die eine nicht aufwachen zu lassen", seufzte Julius. Monsieur Delacour erbleichte. Julius konnte sich noch gut beherrschen. Er hatte diese wahrhaftigen Dämonen zweimal überlebt und gerade erst mit vier übermächtigen Geistern zu tun gehabt.

"Wir nehmen Ihre Kurzberichte und die aufgestellten Hypothesen zu den Akten und werden uns mit den spanischen Kollegen und auch den türkischen beraten, ob und wie wir hier in Paris in weiterführende Ermittlungen einbezogen sein sollen. Ich hoffe, Sie haben nicht noch größere Schreckensmeldungen für uns." Die Geschwister Fuentes Celestes schüttelten ihre Köpfe. Sie erwähnten, dass sie gerne beim spanischen Zaubereiministerium entsprechend vorfühlen wollten. Monsieur Delacour bedankte sich. Dann verabschiedeten sich die beiden Besucher aus Spanien.

Julius saß einige Minuten auf seinem Platz. Auch Monsieur Delacour stierte schweigend zum Fenster hinaus. Dann sagte er: "Wenn das alles stichhaltig ist, dann können wir unseren Leuten nicht empfehlen, mit dieser Itoluhila Kontakt aufzunehmen, auch wenn die Bedrohung durch diesen Lord Vengor das Bündnis mit starken Kräften gebietet." Julius nickte. Offenbar wurde er den Albdruck, für diese Abgrundstöchter interessant zu bleiben, nicht wirklich los.

Die erhaltenen Hinweise und Überlegungen kamen dann bei der Abteilungskonferenz auf den Tisch. Monsieur Vendredi hörte sich das alles an. Dann sagte er: "Das gebe ich besser auch an unsere Delegierten bei der Konferenz weiter. Die Angelegenheit mit den vier Geisterschwestern wurde also endgültig behoben?" Julius und Oreste Lunoire nickten. "Bleibt dann noch die Frage zu klären, warum sich bis jetzt kein Bote aus der Riesenbeobachtungsgruppe Ostland gemeldet hat. Gut, das klären dann die entsprechenden Unterabteilungen. Madame Latierre, Sie hegen also keine Einwände zur Ansiedlung einer Vierergruppe Latierre-Rinder, bestehend aus einem Bullen und drei Kühen im Alter zwischen zwei und drei Jahren in die Grafschaft Devonshire?"

"Ich würde eine Sechsergruppe empfehlen, bestehend aus zwei Bullen und vier Kühen", sagte Barbara Latierre. Näheres sollen aber die britischen Kollegen beraten. Ich habe deren Kontakterin, Miss Melissa Whitesand, entsprechende Empfehlungen übermittelt. Wohin genau dann eine solche Herde gebracht werden soll ist zu klären, wenn die britische Tierwesenbehörde ihr Einverständnis erklärt. Ich habe lediglich zur Bedingung gemacht, zwei Bullen zur Auswahl vorzuhalten, weil die Erfahrungen mit der in Viento del Sol, Kalifornien, angesiedelten Gruppe Rivalitäten unter den nicht trächtigen Kühen ausbrechen, weil es nur den einen Bullen dort gibt, Trueno. Ich harre nun der Entscheidung aus London."

"Dann wäre dies auch geklärt", sagte Monsieur Vendredi. "Dann darf ich Sie alle wieder in ihre Büros verabschieden und uns allen noch einen erfolgreichen Arbeitstag wünschen." Alle verabschiedeten sich artig, wenn gleich Julius von Adrastée Ventvit so angesehen wurde, als wolle sie ihn noch einmal alleine sprechen. Doch der Eindruck täuschte wohl. Ohne aufgehalten zu werden kehrte er mit Monsieur Delacour in das gemeinsame Büro zurück und stürzte sich auf die Sortierung von Berichten über Meerleute und registrierten Werwölfen, die gerne der Légion de la Lune beitreten wollten.

Am Ende des Arbeitstages war er froh, wieder nach hause zu kommen. Die kleine Aurore war in den letzten Wochen noch mehr auf ihn bezogen, wohl weil sie die Launen und die Erschöpfung ihrer immer runder werdenden Mutter nicht so locker wegstecken konnte. Sie freute sich zwar auf das kleine Schwesterchen, dass da nach Weihnachten zu ihnen kommen würde. Doch so richtig begreifen, was da alles dranhing, konnte sie mit ihren anderthalb Jahren natürlich noch nicht wirklich. Julius wusste ja selbst nicht, ob er es begreifen würde, was das hieß, Vater von zwei Töchtern zu sein, weitere Kinder seitens der stolzen Mutter erwünscht. Da würde er wohl vieles einfach hinnehmen oder für richtig halten müssen, was seine Frau als erfahrenes Geschwisterkind so zu sagen hatte, ja musste dann wohl auch mit seiner Schwiegermutter immer wieder beratschlagen, wie das war, zwei Töchter großzuziehen.

"Und der Ball fliegt ins Tor!" rief er, als er einen bunten Ball zielgenau zwischen zwei aufgestellte Stangen hindurchfeuerte. Aurore rannte dem Ball hinterher, fiel dabei hin. Julius sah schnell weg. Wenn ihr wer beim Hinfallen zusah ging die Quengelei los. Wenn sie merkte, dass ihr keiner zusah, rappelte sie sich wieder auf und hetzte weiter. Erst als Julius Aurore "Du-du-dusty!" rufen hörte und ein bedrohliches Knurren und Fauchen hörte musste er doch schnell nachsehen. Fast hätte Aurore dem Knieselkater am Schwanz erwischt. Doch er konnte gerade noch wegspringen und auf einen Baum flüchten. "Rorie, du weißt doch, wenn Dusty Rrrr macht will der nicht spielen", sagte Julius. Seine Frau kam mit auslenkendem Gang aus dem Haus und lachte.

"Dusty ist nicht wie Goldschweif. Der hat es nicht mit Menschenkindern."

"Und seine Angetraute wird selbst wieder Maman und darf deshalb nicht mehr so rumtoben", sagte er. Wie schön die Welt doch sein konnte, wenn man nur das eigene runde Haus, den Garten, das Kind und die Kniesel bedenken musste, fand Julius.

ENDE DES 2. TEILS

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