BRENNENDE KNOCHEN

Eine Fan-Fiction-Story aus der Welt der Harry-Potter-Serie

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P R O L O G

Die Hoffnung auf Ruhe vor der Vampirvereinigung Nocturnia erweist sich als verfehlt. Zwar ist der Mitternachtsdiamant unerreichbar im Meer versenkt, doch die aus ihrem Körper gerissene Seele von Nyx findet Halt in Geist und Körper ihrer Vampirtochter Elvira Vierbein. Dadurch erhält sie auch nach außen wirksame Zauberkräfte. Als Lady Lamia, die Blutmondkönigin, will sie Nocturnia weiter ausbauen und Stellt durch eine Blutumwälzungsmaschine weiteres Pulver mit dem Vampirkeim her, mit dem arglose Menschen zu Vampiren verwandelt werden.

Wertiger und Werwölfe schließen sich zu einem Bündnis zusammen, das gegen Nocturnia kämpft. Die Wergestaltigen erhoffen sich dabei eine Verbesserung ihrer gesellschaftlichen Stellung. Anthelia erfährt von der Zusammenkunft und besucht diese mit dem zwischen Mensch und Drache wechselnden Diego Vientofrio.

Der für tot gehaltene Lucas Wishbone wird mit seinem bisher entwickelten Geist und Gedächtnis als sein Sohn und Vetter Anthony Summerhill wiedergeboren. Die bei der Suche nach von Nyx entführten Kindern durch eine Verkettung magischer Umstände aus der Welt verschwundene Austère Tourrecandide findet sich als ungeborene Tochter der wiedergealterten Daianira Hemlock wieder, die nun als ihre Tochter Theia in die Zaubererwelt der USA zurückkehrt. Nach anfänglicher Ablehnung ihres Schicksals erkennt Tourrecandide, daß sie als wichtige Helferin gegen Nocturnia einen Sinn im neuen Leben hat und wird von Daianira alias Theia am 20. Juli 1999 zur Welt gebracht.

Patricia Straton, die damals das Sonnenmedaillon der Inkas in ihren Besitz brachte, erfährt, daß es das Vermächtnis einer schlafenden Gemeinschaft hochpotenter magischer Menschen ist, die als Sonnenkinder die Erzfeinde der Vampire sind. Im Auftrag der schlafenden Sonnenkinder stellt sie sicher, daß der von der Magie des Medaillons erfüllte Cecil Wellington für tot erklärt wird und schafft es mit ihm, die Sonnenkinder zu wecken. Dabei wird Cecil wieder zu Benjamin Calder. Um alle Sonnenkinder zu wecken müssen Patricia und er mit den bis dahin unberührten Geschwistern kleiner Morgen und großer Abend jeweils ein Kind zeugen. Von da reisen alle wiedererwachten Sonnenkinder in alle Erdteile, um die Vampire Nocturnias zu bekämpfen.

Anthelia kann eine Fabrik der für die Vampire wichtigen Solexfolien unbrauchbar machen und findet heraus, daß die neue Königin der Vampire mit Verbrechern aus der magielosen Welt zusammenarbeitet. Der Versuch, einen davon zum reden zu bringen scheitert, weil Lamia ihren Blutkindern durch Schmelzfeuer die Möglichkeit nimmt, sie zu verraten. Um sich gegen eine zunehmende Zahl von flugfähigen Vampiren zu wehren sucht Anthelia nach einem Ersatz für den gegen die unkontrollierbare Entomanthropenkönigin Valery Saunders zerstörten Entomolithen. Nur ihrer neuen Natur verdankt sie, daß sie einen brauchbaren Bernstein mit eingeschlossener Honigbienenleiche aus dem von Feinden bestürmten Haus eines kolumbianischen Drogenhändlers mitnehmen kann.

Wie die Vampire suchen sich auch die Wergestaltigen Verbündete in den Reihen des organisierten Verbrechens. Das britische Zaubereiministerium erhält Kenntnis von einem Zaubertrank, der Werwölfe befähigt, auch ohne Vollmond zum Wolf zu werden und in dieser Verwandlung den freien Willen zu behalten. die durch Minister Shacklebolt zur Mitarbeit im Zaubereiministerium überzeugte Hermine Granger schlägt vor, ein Sonderkommando zu bilden, daß ausschließlich aus Werwölfen besteht. Die bereits mit der Lykanthropie lebende Tessa Highdale begeistert sich für dieses Vorhaben und übernimmt auch den vorgeschlagenen Gruppennamen "Kommando Remus Lupin". Sie erbeutet eine ausreichende Probe des Lykonemisis-Trankes. Gleichzeitig beginnt zwischen den zu Werwölfen gewordenen Daniellis und ihren Erzfeinden Pontebiancos eine brutale Blutfehde, weil die Daniellis den Pontebiancos von diesen gestohlene Geräte für ein illegales Spielkasino in die Luft jagen.

Weil den wegen der immer noch geltenden Schließung der reinen Hexenschule Broomswood beschäftigungslos gewordenen Lehrererinnen sowohl Anthelias Spinnenorden wie auch die beiden ledigen Mütter Tracy Summerhill und Theia Hemlock ein Gräuel sind, gründen sie mit ehemaligen Schülerinnen und gegen Anthelia eingestellten Hexen die Liga rechtschaffender Hexen. Als es in dieser zu einer Abstimmung kommen soll, wie hart sie gegen die erklärten Widersacher vorgehen sollen, kommt es zu einer unerwarteten Tragödie. Eine als Spionin eingeschleuste Mitarbeiterin des Laveau-Institutes sabotiert die magische Abstimmung. Liga-Chefin Alexandra Pabblenut wendet daraufhin ein Ritual an, das sie im Feuer der verbrennenden Abstimmungskarten zu einem grün flammenden Skelett werden läßt. In dieser Gestalt kann sie jedoch weitere ihr zugetane Hexen zu Artgenossinnen machen. Damit entsteht eine neue Bedrohung, nicht nur für die als Feindinnen gesehenen Hexen.

Der beim FBI arbeitende Zauberer Zachary Marchand soll auf Druck seiner Eltern seinen vierzigsten Geburtstag in seinem Elternhaus feiern. Doch Nocturnia hat andere Pläne. Gedungene Söldner, die nicht wissen, daß sie für Nocturnia arbeiten, entführen Zacharys Eltern und zwingen ihn so, sich ihnen auszuliefern. Weil der auf seinem Gürtel liegende Ich-seh-nicht-Recht-Zauber gegen Muggelinteresse von einem vollblinden Mitglied der Söldnergruppe nicht wahrgenommen wird, verliert Zachary seinen Zauberstab und wird in einem blauen Strampelanzug zum Versteck der Eheleute Vierbein geschafft. Nur die Zusammenarbeit mit der Metamorphmaga Justine Brightgate bewahrt ihn davor, von den Vierbeins zu ihrem Blutsohn gemacht zu werden. Zacharys Eltern können aus einem Bombenkäfig befreit werden. Zu ihrer Sicherheit werden sie jedoch vom FBI für tot erklärt. Zachary will nun den Mann jagen, der seine eltern und ihn entführt hat: Aldo Watkin, alias der Colonel.

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Warnung!! Diese Hexe steht in Verbindung mit heimtückischen Geisterwesen, die altdruidischem Ritual von Feuer, Leben und Tod entstammen. Vor dem Aufwecken an einen mit Fidelius-Zauber gesicherten Ort bringen oder in einen echten goldenen Käfig ohne magische Vorbehandlung einsperren!

die schwarze Spinne

Vespasianus Benchwood hatte diesen schlichten Zettel mehrmals gelesen. Doch seine Meinung darüber stand fest. Lavinia Thornbrook, die vor dem HPK aufgefunden worden war, war mit der schwarzen Spinne aneinandergeraten. Offenbar meinte deren unheimliche Anführerin, die seinen Chef zu einem Stillhalteabkommen überredet hatte, daß das Ministerium diese Hexe wegzusperren hatte. Das mit den brennenden Skeletten war eine Realität. Doch daß Lavinia Thornbrook, die als Mitglied der sogenannten Liga rechtschaffender Hexen aktenkundig war, in einen goldenen Käfig zu sperren war fand Benchwood lächerlich. Der Leiter der Abteilung für magische Strafverfolgung des nordamerikanischen Zaubereiministeriums kannte das Ritual nicht, dem sich Alexandra Pabblenut unterzogen hatte. Doch das pures Gold dem entgegenwirken konnte mochte er sich nicht vorstellen. Und was hieß das, "ohne magische Vorbehandlung"? Das war garantiert eine Finte, ein billiges Ablenkungsmanöver dieser widerwärtigen Gegenspielerin, über die er nichts näheres wußte. Einen goldenen Käfig bauen, ohne die Gitterstäbe magisch vorzubehandeln. Was sollte das überhaupt? Glaubte dieses Spinnenweib denn, daß das Ministerium sich in Unkosten treiben ließ, nur weil es ihnen diese Lavinia Thornbrook vor die Tür gelegt hatte? Jedenfalls wollte er die aufgefundene Hexe verhören, wenn sie ihm schon auf einem silbernen Tablett präsentiert wurde. Vielleicht hatte Anthelia oder ihre Nachfolgerin sie in ihr geheimes Hauptquartier mitgenommen, und Lavinia konnte es beschreiben. Das war zwar unwahrscheinlich, weil dieses sardonianische Frauenzimmer garantiert einen Schutzzauber wie Fidelius über ihrem Versteck aufgespannt hatte. Doch selbst die geringste Wahrscheinlichkeit mußte genutzt werden. Vielleicht hatte die Gegenspielerin ja etwas übersehen, was ihm und dem Ministerium nützte. Benchwood hoffte darauf. Denn dann hätte er einen Trumpf in der Hand, um die derzeitige Duldungspolitik des Ministers zu hinterfragen, Cartridge vielleicht dazu zu bringen, das eigentlich geheime und doch gerüchteweise in die Öffentlichkeit durchgedrungene Abkommen zu kündigen. Denn wenn sich herausstellte, daß Lavinia von der Sardonianerin gefoltert worden war, konnte Benchwood das als Angriff auf eine Bürgerin der amerikanischen Zaubererwelt feststellen. Die Sardonianerin hatte dem Minister zugesichert, niemanden aus der amerikanischen Zaubererwelt anzugreifen. Konnte er ihr doch einen Angriff nachweisen war der widerliche Burgfrieden hinfällig. Außerdem konnte Benchwood dem Minister dann Beihilfe durch Untätigkeit vorhalten und auf eine Anhörung drängen, an deren Ende die Amtsenthebung stehen mochte. Er gehörte zu den Ministerialbeamten, die nicht mit lautem Getöse nach Aufstieg und Beförderung verlangten. Seine Taktik war die Heimlichkeit, das Abwarten und lauern. Außerdem war er durch den verstorbenen Lucas Wishbone zu Amt und Würden gekommen. Der hatte sich zwar nicht immer moralisch einwandfrei verhalten. Doch mit seiner rigorosen Politik gegen verdächtige Hexen hatte der jedenfalls eine deutliche Front gezogen und dafür sein Leben gegeben.

"Wo ist Madam Thornbrook jetzt?" Wollte Benchwood von seinem Untergebenen wissen, der auf den Kontaktfeueranruf aus dem Honestus-Powell-Krankenhaus reagiert hatte.

"Sie wird noch auf körperliche Beeinträchtigungen untersucht. Die Heiler wollen sie mir erst dann übergeben, wenn sie sicher sind, nichts anderes mehr für sie tun zu können. Aufwecken wollte sie jedoch keiner, um sie psychomorphologisch zu untersuchen. Offenbar gibt es genug von den Medimagiern, die diesen Zettel sehr ernst nehmen, Sir", antwortete Bartholomew Moreland. In seinem Gesicht schimmerte die unterdrückte Verachtung durch. Seine Schwägerin gehörte zu Pabblenuts Hexenclub und war wie dessen Anführerin durch das ihm bis dahin unbekannte Ritual zum grün flammenden Skelett geworden.

"Sie haben Minister Cartridges und meine schriftliche Anordnung, die Aufgefundene unverzüglich in das Haus der Verwahrung zu überführen. Wenn sie noch geschockt ist lassen Sie sie so lange in diesem Zustand, bis sie im Bereich der Schutz- und Sperrzauber ist. Nicht wecken, bevor ich nicht zugegen bin!" Ordnete der Leiter der Strafverfolgungsbehörde an. Moreland nickte dienstbar. Doch dann fragte er:

"Was halten Sie von diesem Vorschlag, sie in einen goldenen Käfig zu sperren, Sir?"

"Kein Problem, wenn Sie einen nichtmagischen Goldschmied finden, der uns dieses Teil zusammenbaut und die nötige Menge Gold dafür erhält, solange Sie persönlich die Kosten dafür übernehmen", blaffte Benchwood. Er hielt den Vorschlag der schwarzen Spinne für eine lächerliche Verwirrung, eine Frechheit erster Ordnung.

"Dann müßten Sie und Mr. Morningdew von der Abteilung für magische Familienangelegenheiten erst einmal feststellen, ob meine Schwägerin offiziell verstorben ist, Sir. Sonst kann ich die hohen Kosten dafür nicht übernehmen", ging Moreland auf Benchwoods Bemerkung ein. Dieser war von dieser Antwort so überrascht, daß er zwei Sekunden lang nichts erwidern konnte. Dann aber knurrte er:

"Schaffen Sie mir die Thornbrook her, und zwar in den nächsten fünf Minuten!" Moreland bestätigte den Erhalt der Anweisung. Dann verschwand sein Kopf aus dem Kamin des Strafverfolgungszauberers.

Es dauerte mehr als zehn Minuten, bevor Moreland Vollzug meldete. Der Leiter der Strafverfolgungsbehörde nutzte eine besondere Flohpulververbindung, um in das "Haus der Verwahrung" hinüberzuwechseln, daß von einem mehrfachen Antiapparitionszauberwall, Unortbarkeitszaubern und Feindesabwehrbannen umfriedet wurde.

Wer das Haus von außen sah erkannte nur eine angemoderte Blockhütte, die ein Fallensteller vor mehr als hundert Jahren in die Prärie New Mexicos gestellt hatte. Tatsächlich umkleidete die magische Illusion ein solides Haus aus Granitblöcken. Meterdicke Wände, mit dem Megadamaszauber magisch gehärtet, umschlossen zwanzig Räume, die mit verstärkten Eisentüren verschlossen werden konnten. Das Haus hatte keine natürlichen Fenster. Dort, wo Außenwände zu vermuten waren, sorgten magische Bildverpflanzungsflächen für eine Aussicht. Allerdings konnten diese scheinbaren Fenster auf beliebige Außenansichten eingestellt werden. Meistens zeigten sie bei Einlieferung eines Untersuchungshäftlings eine Landschaft im dichten, grauen Nebel, der es unmöglich machte, den genauen Stand der Sonne zu erkennen. Benchwood hatte angeregt, auch Ansichten eines das Haus umlodernden Feuers oder undurchdringlicher Schwärze in die Darstellungen einzubeziehen, um Verdächtige noch besser einzuschüchtern. Selbst wenn diese davon ausgingen, einer magischen Scheinwelt aufgesessen zu sein, mochte der Eindruck, von Flammen oder undurchdringlicher Dunkelheit umschlossen zu werden, auf lange Sicht bedrückend sein. Vor allem aber konnte ein hier untergebrachter Verdächtiger nicht mehr sagen, wo er war und welche Tageszeit gerade war. Das dies auch ihnen zum Verhängnis werden konnte fiel den Erbauern und Betreibern dieses Gebäudes nicht einmal in ihren schlimmsten Alpträumen ein.

"Wecken Sie sie auf!" Bellte Benchwood seinen Untergebenen Moreland an, als er die aus dem HPK überführte Hexe auf einem hochlehnigen Stuhl sitzen sah. Der Mitarbeiter Benchwoods deutete auf die neben dem Stuhl herabhängenden Ketten und fragte, ob diese wirklich nicht eingesetzt werden sollten. "Sie hat keinen Zauberstab, und wir sind ihr körperlich überlegen. Außerdem geht die Tür in diesen Raum nur auf, wenn Sie oder ich den Knauf anfassen, Barth." Moreland nickte. Sein schulterlanges, kastanienbraunes Haar gab ihm ein wildes Aussehen. Trotz aller ministeriellen Erscheinungsbildrichtlinien hatte er sich nicht dazu bringen lassen, sein Haar kürzer und glatter zu tragen. Hauptsache, seine Einsatzbereitschaft für das Ministerium war ordentlich.

"Enervate!" Sagte Bartholomew Moreland das Zauberwort, mit dem unter Schockzauber stehende Menschen aus der magischen Betäubung erweckt wurden. Sein Zauberstab zielte genau auf den Kopf der auf dem Stuhl hockenden. Schlagartig straffte dieser sich. Lavinia Thornbrook schlug die Augen auf und sah zunächst nur ein meterbreites und -hohes Rechteck aus vollkommener Finsternis. Dann erst sah sie, daß sie in einem kleinen Raum mit karger Möblierung saß. Eine Leuchtkristallsphäre erhellte die Kammer, die als Verhörraum diente. Als ihr Blick auf die beiden anwesenden Zauberer fiel verzog sie ihr Gesicht. Offenbar hatte sie nicht damit gerechnet, daß die widerliche Wiederkehrerin sie dem Ministerium ausliefern würde. Dann entspannte sich ihr Gesicht wieder. Besser die Bluthunde Cartridges als die fragwürdige Gnade ihrer Mitschwestern. Dann fiel ihr ein, daß es noch schlimmer hätte kommen können. Schnell wandte sie Okklumentik an, um ihre Gefühle und Erinnerungen zu verhüllen. Denn gerade blickte sie Benchwood persönlich an, als wolle er durch ihre Augen gleich in ihr Gehirn hineinblicken.

"Madam Thornbrook, im Namen des US-amerikanischen Zaubereiministeriums begrüße ich Sie", setzte Benchwood an, der sicher merkte, daß seine Gesprächspartnerin ihren Geist vor ihm versperrte. "Sie wurden vor dem Honestus-Powell-Krankenhaus für magische Leiden aller Art gefunden und dort heilmagisch untersucht. Jemand befand, Sie mit einer schriftlichen Warnung zu versehen, daß Sie in Gefahr seien. Wie fühlen Sie sich?"

"Wie eine, die zu Unrecht verhaftet wurde", knurrte Lavinia. Sie dachte, wie durchsichtig die Freundlichkeit dieses Zauberers war. Natürlich wußte sie, warum dieser da vor ihr so schnell so weit aufgestiegen war.

"Sie sind weder gefesselt noch in einer Gefängniszelle, Ma'am", stellte Benchwood mit verlegenem Lächeln fest. "Warum denken Sie, wir hätten Sie in Haft genommen?"

"Ist das hier kein Verhörraum? Außerdem erkenne ich einen Kettenstuhl, wenn ich auf einem sitze. Daß Sie mich nicht daran haben fesseln lassen liegt sicher daran, daß Sie nicht wissen, warum Sie mich hierher geschafft haben und daß Sie denken, ich könne ihnen sowieso nicht entfliehen. Also bin ich eingesperrt. Sie haben sowieso die falsche eingesperrt. Sie hätten dieses durchtriebene Frauenzimmer festnehmen müssen, das sich in eine schwarze Spinne verwandeln kann und behauptet, die Wiedergeburt Anthelias vom Bitterwald zu sein."

"Gute Idee, wenn Sie mir und Mr. Moreland erzählen, wann und wo und weshalb Sie mit dieser Person zusammentrafen", erwiderte Benchwood darauf. Lavinia Thornbrook legte die Stirn in Falten. Offenbar mußte sie genau nachdenken, welche Antwort sie nun geben durfte. "Ich will die Wahrheit, Ma'am. Für Lügenmärchen haben wir keine Zeit, und Sie auch nicht", stieß Benchwood nicht mehr ganz so freundlich nach. "Fangen wir am besten da an, wo wir wissen, wo Sie waren, bei der letzten Sitzung der Liga rechtschaffender Hexen! Wir wissen, daß es dort zu einem höchst alarmierenden Vorfall kam. Schildern Sie uns den!" Lavinia wechselte mit ihrem Blick von Benchwood zu dem anderen Zauberer, dem mit der kastanienbraunen Mähne, die ihn eher wie ein unordentlich herumlaufendes Mädchen aussehen ließen als einen auf gutes Aussehen bedachten Ministerialzauberer. Doch dieser deutete von sich auf Benchwood, um klarzumachen, wer hier das Gespräch führte.

"An Ihrer Stelle würde ich mich nicht dazu zwingen, mich an diese Sache zu erinnern. Sie könnten womöglich mehr Ärger bekommen als Ihnen lieb ist, die Herren. Ich habe einen Fehler begangen, als ich bei der von Ihnen erwähnten Sitzung dabei war. Das gebe ich zu, auch wenn es mir schwerfällt. Seitdem bin ich in Gefahr. Ich hoffe, Sie haben mich in einem wirklich unangreifbarem Haus untergebracht, wenn Sie meinen, mich vernehmen zu müssen, Mr. Benchwood." Der angesprochene nickte heftig.

"Gegen unseren Willen kann hier niemand hinein - aber auch niemand heraus, Ma'am", bestätigte der Leiter der Strafverfolgungsbehörde noch. "Also erzählen Sie uns, was da passiert ist und was Sie danach taten, daß Sie von der schwarzen Spinne überwältigt werden konnten. Die Wahrheit, Madam Thornbrook!"

"Sie wollen es ja nicht anders", seufzte Lavinia. Die Zeit hatte gereicht, sich eine Geschichte auszudenken, die sie im bestmöglichen Licht dastehen ließ. So erwähnte sie die verhängnisvolle Sitzung der LRH und wie Alexandra Pabblenut durch grünes Zauberfeuer und ein bis dahin unbekanntes Ritual zur grün flammenden Knochenfrau geworden war. Sie wollte gerade ansetzen, zu erwähnen, wie diese unheimliche Verwandlung dann von ihr auf andere übertragen wurde, als eine erzürnte Frauenstimme in ihrem Geist erklang: "Verrat den Stümpern vom Ministerium nicht, wie wir unseren Bund besiegelten, wo sie es gleich selbst erleben können, Schwester!" Wie vom Blitz getroffen zuckte Lavinia auf dem Stuhl zusammen. Ihr Gesicht erbleichte so heftig, als habe ihr jemand mit einem Schlag alles Blut aus den Adern gesaugt. Für einen Moment vernachlässigte sie ihre okklumentische Verhüllung. Benchwood hatte seinen Zauberstab auf die Verdächtige gerichtet und das Zauberwort "Legilimens" gedacht. Deshalb konnte er die Woge aus Bedrängnis und Furcht sofort erfassen. Er sah grüne Flammen, zwei silberweiße Lichter in grünem Feuer, das einen Totenschädel nachbildete. Das war die neue Erscheinungsform Alexandra Pabblenuts, wußte er. Und als habe er mit dieser Erkenntnis an den Fundamenten des Hauses gerüttelt, erbebte dieses unvermittelt.

"Barth, die Meldezauber prüfen!" Rief er seinem Mitarbeiter zu. Doch das war nicht mehr nötig. Denn just in diesem Augenblick jaulte ein akustischer Meldezauber wie zehn auf den Schwanz getretene Katzen los. Wieder erzitterte das Haus. Die magischen Fenster zeigten immer noch die totale Dunkelheit, die scheinbar das Haus umhüllte.

"Bin gleich wieder da", knurrte Moreland. Er fühlte mit dem Instinkt des Strafverfolgers, daß etwas außer Kontrolle geraten war. Er eilte zur mit Ferrifortissimum-Zauber gehärteten Eisentür und drehte am Knauf, der nur auf seine eigene Lebensaura und die Benchwoods reagierte. Die Tür schwang auf. Moreland sprang durch die Türöffnung und warf die schwere Eisentür wieder ins Schloß.

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Jenny Fowler weinte bitterlich, als sie wieder in ihrem schicken Appartment ankam. Eigentlich hatte sie darauf gesetzt, daß ihre Gabe, alle Jungs von vier bis dreißig um den Finger wickeln zu können, wieder wen für die nächsten Tage klarmachen konnte. Sie hatte in der New Yorker Disco Flashlight erst diesen Studenten mit dem schmachtenden Blick gesehen. Doch der war ihr nicht stark genug. Buck, ein schrankgleicher Kraftsportler, mochte ihr beim Aufstellen ihres zweiten Kleiderschranks helfen, wenn sie ganz lieb zu ihm war. Sie hatte mit dem gerade zu "Warten auf heut Nacht" von Jennifer Lopez getanzt. Dann hatte der DJ Kunstnebel einsprühen lassen und das Flackerlicht auf rotes Dämmerlicht runtergezogen. Da war sie dann aufgetaucht, diese wohl halbasiatische Fremde im Hautengem Kostüm. Die hatte was ausgestrahlt, was die testosteronüberfluteten Typen sofort zu der hingetrieben hatte, wo sie, Jenny Fowler, vorher der Mittelpunkt einer Traube aus jungen Männern gewesen war. Auch Buck, ihr erhoffter Aufriß, hatte sich von dieser hochgewachsenen, zierlichen Frau betören lassen. Diese dunkle Mähne, diese großen, runden Augen, diese im Licht goldenrot schimmernde Haut, und die Bewegungen dieser Fremden. Jenny hatte versucht, ihren Rang als Club-Königin zu behaupten und war grausam auf den zweiten Platz verwiesen worden. Die Fremde hatte sie angestarrt und ihr mit einer dunklen, schon verrucht betonenden Stimme mitgeteilt: "Warte bis ich mir wen ausgesucht habe oder geh zu deinen Barbie-Puppen, kleines Mädchen." Der Blick der Fremden hatte ihr ein fast an Angst grenzendes Unbehagen versetzt, das ihre Wut über die unvermittelt aufgetauchte Konkurrentin überlagert hatte. Sie durfte dann ausgerechnet zum Lied von der Unterwasserliebe, zu dem sie sich vor zwei Jahren von ihrer Jungfräulichkeit verabschiedet hatte miterleben, wie das Weib diesen Studenten Lionel mit seinem schmachtenden Blick ausgewählt hatte. Sie hätte sich jetzt noch mal an Muskelbubi Buck ranmachen können. Doch alle hatten gesehen, daß Jenny entthront worden war. Dann mit wem abzurücken, der zwar stark war aber womöglich weniger Grips und Phantasie hatte, mochte als eine Zweite Wahl aussehen. außerdem war Buck geknickt, weil die Fremde ihn zwar erst so angeglotzt hatte, wie eine Metzgersfrau ein schlachtreifes Schwein ansieht, aber dann mit eindeutig fortscheuchenden Gesten und diesem unerklärlich eindringlichen Blick den Muskelprotz zum Rückzug getrieben hatte.

Sie hatte es dann nicht mehr länger ausgehalten und war unbegleitet nach Hause zurückgekehrt. Hier und jetzt hatte sie dieses grenzenlose Gefühl der Unterlegenheit vollends erwischt. Sie erkannte, wie dumm und wie wertlos sie sich selbst immer wieder angeboten hatte. Das Prinzesschen der Familie, die Königin des Flashlight-Clubs, war entthront worden. Sie konnte sich doch nicht mehr in diesen Club trauen, wo sie nicht wußte, ob dieses Weib da nun häufiger hinkam. Warum hatte Ron, der Türsteher, der sonst jede zu hautenge Bekleidung als Abweisungsgrund sah, diese Schlampe reingelassen. Einen Moment lang dachte sie, daß sie Ron vielleicht ein unanständiges Angebot gemacht hatte. Die konnte doch jeden Mann kriegen, nicht nur Jungs. Die könnte selbst den Anwalt vernaschen, der Bill Clinton wegen Monica Lewinsky zugesetzt hatte. jetzt lag sie hier auf dem Bett und heulte auf das Kissen. Das Rouge, das sie für den Fang eines tüchtigen und kostenlosen Möbelpackers aufgelegt hatte, zerlief in ihren Tränenfluten. Wie konnte sie diese Demütigung wieder ausbügeln? Gewalt, dieses Weib finden und umbringen? Die hatte sie so angesehen, als wisse sie genau, was in ihr vorging. Die war darauf gefaßt, ihr zu zeigen, daß sie nur zweite Wahl war. Außerdem war sie zu früh aus dem Club raus. Wenn sie wissen wollte, wo die Fremde hergekommen war, mußte sie wieder dorthin. Doch dann, so wußte sie, sollte sie sich nicht mehr so auffällig zurechtmachen.

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Niemand hätte in dem schweren Lastwagen etwas anderes als einen Kühltransporter der Lebensmittelfirma Easy Food Company vermutet, der am 28. September 1999 über einen Highway Richtung Westen dahinröhrte. Im Führerhaus saßen zwei Männer, die sich schon seit Jahren kannten. Der eine, der den Wagen fuhr, arbeitete offiziell als unabhängiger Trucker und fuhr Terminfracht quer durch die vereinigten Staaten, Mexiko und Kanada. Inoffiziell lief er unter dem Namen Dune, die Wanderdüne, weil er zum einem auf diskrete Reisemöglichkeiten spezialisiert war und zum anderen wie eine natürliche Wanderdüne immer wieder das Aussehen änderte, je danach, woher und wie stark der Wind wehte. Im Moment trug der Fahrer das schwarze Haar, das er als legal angemeldeter Fernfahrer auf den Fotos in seinen Papieren besaß.

Der zweite Mann war Aldo Watkin, der Colonel, Führer einer von der CIA unterstützten Söldnertruppe, die früher die Drecksarbeiten für den US-auslandsgeheimdienst erledigt hatte und eigentlich immer noch erledigen konnte. Doch das, was die beiden jetzt in dieses Führerhaus eines Kühltransporters zusammengebracht hatte, war von der CIA weder in Auftrag gegeben noch abgesegnet worden. Er hatte für einen ihm noch nicht näher bekannten Auftraggeber einen FBI-Agenten aus New Orleans fangen und an einem Flughafen abliefern sollen. Das hatte soweit auch geklappt. Doch er hatte auch gehört, daß dieser Fed den Auftraggebern entwischt war, die um ihre Spuren zu verwischen den kleinen Flughafen in die Luft gesprengt hatten. Wie gut, daß der Colonel vorgeplant und Dune mit seinem großen Laster keine zwanzig Kilometer südlich des Flughafens postiert hatte. So hatte er seinen Cadillac einfach durch die ferngesteuerte Heckklappe über eine Rampe in den Bauch des Trucks gelenkt und war somit von der Straße verschwunden. Der Cadillac stand immer noch im Laderaum. Auf dem Rücksitz schlief der Mann, der Watkin engagiert und ihm den Söldnerlohn übergeben hatte. Watkin wollte aber wissen, in wessen Auftrag er sich mit dem FBI und wohl allen Behörden mit drei Buchstaben verkracht hatte. Außerdem war er mißtrauisch, was den Koffer mit dem ausgehandelten Lohn für seine Blutarbeit anging. Es war nicht das erste Mal, daß jemand ihn mit prall gefüllten Koffern mit mehr Zeitungspapier als Geld oder mit gemeinen Extras wie Farbbomben oder Gassprühvorrichtungen auszutricksen versucht hatte. Allerdings hatten die, die derartig geizig und hinterhältig gewesen waren nie lange genug leben können, um das ihm vorenthaltene Geld selbst ausgeben zu können. allerdings war er realistisch genug veranlagt, zu wissen, daß irgendwo da draußen genug Leute herumliefen, die noch gerissener und noch brutaler waren als er. Eines Tages würde auch Watkin seinen Meister finden. Das mochte dann auch sein letzter Tag überhaupt sein, falls die CIA ihn wegen der Beschwerden des FBI nicht auf die Liste unzumutbarer Personen gesetzt hatte. Das gehörte neben der Ermittlung seines heimlichen Auftraggebers zu den weiteren Dingen, die er in den nächsten Tagen angehen mußte.

"Die "Moira Grey" legt jetzt ab", Colonel", sagte Dune, als ein leises Ping-Ping erklang und auf der Flüssigkristallanzeige des in einer Halterung steckenden Mobiltelefons eine Kurzmitteilung aufleuchtete.

"Gut, die Leute am Hafen sind gut bezahlt, Dune?" Fragte der Colonel.

"Aber hallo, Colonel. Die sagen alle, daß ein großer, mitternachtsblauer Cadillac an Bord gefahren ist und jetzt mit der "Moira Grey" nach Puerto Cortés unterwegs ist."

"Kann sein, daß die Marine die "Moira Grey" unterwegs abfängt, wenn nicht sogar schon die Küstenwache", grinste der Colonel. Dune nickte.

"Während wir Frischgemüse nach Mexiko Stadt runterfahren", sagte Dune. Wieder grinste der Colonel. Frachtpapiere und Fahrtenschreiber waren Wasserdicht. Außerdem hatte der Laster genug Kisten im Laderaum, um den dazwischen stehenden Cadillac zu verstecken. Sollten doch Polizisten unterwegs auf die Idee kommen, die Ladung genauer zu prüfen, würde das bereits erprobte Betäubungsgas zum Einsatz kommen, bevor die Autobahnsheriffs ihre Kollegen über einen verdächtigen Truck informieren konnten. Wenn sie schön auf 55 Meilen in der Stunde blieben würde jedoch kein Autobahnpolizist von sich aus prüfen, was der Truck geladen hatte. Denn Dune achtete darauf, daß die von ihm benutzten Lastwagen in bestmöglichem Zustand waren.

"Wie lange wirkt das Gas noch?" Fragte Dune den Colonel.

"Bis wir über die Grenze sind und ich dich wieder verlassen kann, Dune. Wo ich hinfahre mußt du dann nicht mehr wissen."

"Stimmt das mit Baseball und Flyswatter?" Fragte Dune den Colonel.

"Leider. Die Feds haben auf schwere Waffen umgestellt. Ob das mit deren Statuten zusammenpaßt weiß ich nicht. Jedenfalls sind dabei einige Wagen draufgegangen und Baseball und Flyswatter gleich mit. Bin froh, daß Kobold, Sawbones, Spark Plug und Fruitbat da noch weggekommen sind."

"Verstehe", erwiderte Dune. Wie wichtig dem Colonel diese Spezialisten waren wußte Dune, wenngleich er nie bei einem der direkten Einsätze dabei gewesen war. Um nicht noch mehr an Sachen zu rühren, die den Colonel gerade umtrieben, sprachen sie über die laufende Footballsaison und die Politik der NATO im Kosovo.

bis zur Grenze passierte nichts. Dort wollte dann ein Zollbeamter die Frachtpapiere prüfen. Dune hatte sichergestellt, daß ein bestimmter Beamter zu einer bestimmten Zeit Dienst tat. So verlief die Prüfung von Fracht und Papieren reibungslos. Der Colonel hatte sich vier Meilen vor der Grenze in den Cadillac zurückgezogen und die Waffen bereitgeschaltet. Doch es war nicht nötig. Die Abfertigung dauerte keine zwei Minuten. Dann fuhr der Laster weiter. Während die Heizung im Cadillac gegen die im Laderaum gehaltenen Temperaturen von -30 ° anrauschte, rollte der Truck weiter nach Süden. Watkin hielt sich bereit.

Fünfzig Meilen südlich der Grenze lud Dune die störenden Kisten aus, um den Cadillac über die Rampe nach unten fahren zu lassen. Dann packte er die Kisten wieder in den Laderaum. Watkin sah kurz in den Rückspiegel, als der Truck bereits auf die dürftig in Stand gehaltene Fernstraße zurückkehrte. Watkin wartete zwei Minuten, bevor er dem Truck folgte, aber dann auf eine andere Straße auswich, um in ein Geisterdorf zu fahren, wo einst tausend einfache Bauernleute ihr karges Auskommen gefristet hatten. Vor zwanzig Jahren hatte hier mal die CIA ein Koordinationsbüro für Lateinamerika unterhalten. Das war aber vor vier Jahren aufgegeben worden, weil die Satellitentechnik die turmhohen Antennenmasten hier nicht mehr rechtfertigte. Hier wollte der Colonel sich mit seinen Leuten treffen. Das war der Hauptbahnhof.

Er parkte seinen schweren Wagen in einer durch absinkende Hebebühne erreichbaren Tiefgarage. Dort setzte er die Gasmaske auf, um das im Fond wirkende Betäubungsgas nicht doch noch einzuatmen. Er wuchtete den bewußtlosen Auftraggeber aus dem Wagen und trug ihn zu einer Bank, an der er ihn mit Handschellen ankettete. Falls der Mensch da auf der Bank ihm nicht ehrlich verriet, von wem er den Auftrag erhalten hatte würde der Colonel zur peinlichen Befragung übergehen. Er schaltete die um das Lager angeordneten Bewegungsmelder wieder auf maximale Reichweite, damit er ja nicht überrascht wurde. Dann wartete er, bis sein unfreiwilliger Gast wieder zu sich kam.

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Lavinia hing zwischen zwei Gefühlen fest. Da war die Angst, von den grünen Skeletten gefunden worden zu sein und gegen ihren Willen zu einem der ihren gemacht werden zu sollen. Doch da war noch die Überlegenheit, daß diese Idioten vom Zaubereiministerium sich ein Basiliskenei kurz vor dem Schlüpfen ins so sichere Nest geholt hatten. Ihr freier Wille, als eigenständige Hexe und Führerin der entschlossenen Schwestern weiterzuleben, durchpulste sie mit Angst und aufkommender Verzweiflung. Jedoch mischten sich immer mehr die Wellen von Hingabe und Überlegenheit in ihren Geist. Die zwischen ihr und Pabblenut geschlossene Verbindung zehrte immer mehr von ihrer eigenen Persönlichkeit auf. Der Widerstand gegen die grüne Knochenfrau begann zu bröckeln, wurde ebenso erschüttert wie die Grundmauern des Hauses, in dem sie gerade verhört wurde.

Sie sah Benchwood an. Sie rang mit ihrer Selbstbeherrschung. Der Trottel da sollte nicht wissen, wann und warum sie mit dieser verdammten Spinnenfrau aneinandergeraten war. Denn das würde ihr einen unbegrenzten Urlaub vom eigenen Körper in der Seelenfestung Doomcastle eintragen. Seltsamerweise war es genau diese Aussicht, die die Wellen der Hingabe und freudigen Erwartung auf die Vereinigung mit den grünen Skeletten verstärkten. "Wir sind gleich bei dir, Schwester. Dann wird niemand mehr unsere Vereinigung verhindern!" Drang Pabblenuts Gedankenstimme in ihren Geist ein. Selbst Okklumentik, normalerweise ein wirksames Mittel, Geistesbotschaften abzublocken, half nicht gegen diese in ihr wirkende Kraft. Ihr Widerstand gegen die Umwandlung und damit einhergehende Unterwerfung unter Pabblenuts Willen wankte. Doch er brach noch nicht zusammen. Mit Wut dachte Lavinia daran, daß diese Volltrolle vom Ministerium sie Pabblenut regelrecht zum Fraß vorwarfen. Anthelia war diesen Monstern entkommen. Die kannte offenbar das dunkle Ritual, dem sich Pabblenut unterzogen hatte. Doch dieses arrogante, durchtriebene Spinnenweib hatte den entscheidenden Fehler gemacht, sie laufen zu lassen, sie dem Ministerium vor die Füße zu werfen, wohl um ihren guten Willen zu beweisen.

"Ich werde nicht deine klappernde Knochenschwester, du Irre", bäumte sich Lavinia gegen die ihr verheißene Eingliederung in die Riege der grünen Feuergerippe auf. Dann sah sie Benchwood an. "Ich hoffe mal, Ihr Untersuchungshaus hier ist auch gegen bösartige Geisterwesen geschützt, die ohne Zauberstab Magie wirken lassen, Sir", zischte sie Benchwood zu.

"Halten Sie uns für so einfältig, ministeriale Gebäude ohne Geisterabwehrzauber zu lassen, Madam Thornbrook. Abgesehen davon, wieso glauben Sie, daß ein derartiger Schutz nötig ist?"

"Weil Sie mit Ihrer Befragung Erinnerungen in mir angeregt haben, die diese grünen Skelette hergerufen haben. Das sind ..."

"Schweige, wenn du weiterbestehen willst!" dröhnte Pabblenuts Gedankenstimme so schmerzhaft unter ihrer Schädeldecke, daß sie meinte, ihr Kopf würde gleich wie ein übermäßig aufgeblasener Luftballon zerplatzen. Ihre Zunge lag wie betäubt im Mund. Sie keuchte.

"Also doch eine Abart der Nachlebensformen", deutete Benchwood die abrupt beendete Antwort Lavinias. Wieder erbebte das Haus. "Captivus!" Rief Benchwood mit auf den Stuhl deutenden Zauberstab. Mit lautem Klirren schlugen die bisher schlaff daran herunterhängenden Ketten um Lavinias Körper zusammen, so schnell, daß sie keine Möglichkeit erhielt, der Fesselung zu entrinnen. Die goldenen Ketten schnürten sie fest ein und drückten sie erbarmungslos gegen Lehne und Sitzfläche. Auch ihre Füße wurden in Ketten gelegt. Benchwood atmete auf, als er sah, wie die Verdächtige in nur einer Sekunde zur Gefangenen wurde. Dann zeigte sein Zauberstab auf die finstere Fensteransicht. "Klarbild außen!" Rief er einen Befehl. Sein zauberstab sprühte grün-blaue Funken in die vollkommene Schwärze. Das Bild flimmerte und flackerte. Dann sah Benchwood nur grünes Feuer vor sich, aus dem sich einzelne Totenfratzen herausschälten und wieder darin versanken. Dann zuckten grüne Blitze durch die Bilddarstellungsfläche. Benchwood kniff die Augen zu, weil die Leuchterscheinungen so hell waren, daß sie ihn zu blenden drohten. Dann knisterte es von der Fensterseite her. Benchwood riskierte einen Blick und sah nur noch die nackte Wand. Die Fensterfläche war verschwunden. Irgendwas hatte den Bildverpflanzungszauber unterbrochen oder gar zerstört. Nun erbleichte auch Benchwood merklich. Die Vorstellung, von einer Horde grün flammender Knochenfrauen angegriffen zu werden, die jeden Bildverpflanzungszauber auslöschen konnten, setzte ihm sichtlich zu. Bisher hatte er sich der Vorstellung hingeben dürfen, absolut unangreifbar und Herr der Lage zu sein. Diese Vorstellung wurde nun so stark erschüttert wie das Haus. Das Alarmgeheul des ausgelösten Meldezaubers hielt zwar noch an. Doch ohne Sicht nach draußen war diese Warnung wertlos.

"Moreland, wo stecken Sie, zum Donnervogel noch mal!" Brüllte Benchwood mit magisch verstärkter Stimme, während Lavinia in ihren magischen Ketten hing und nicht wußte, wie sie ihre Lage einordnen sollte.

"Wir werden angegriffen, Sir", scholl Morelands Stimme wie aus dem Nichts im Raum. "Unsere Schutzzauber stehen kurz vor dem Zusammenbruch. Irgendwas drückt wie eine große Preßvorrichtung von allen Seiten gegen die Barrieren und ..." Ein häßliches Quietschen und Fauchen würgte Morelands magisch übertragene Meldung ab. Dann fiel auch noch das katzenjammerartige Geheul des Alarmzaubers aus. Es war, als fiele das Geheul in der Tonhöhe schlagartig ab, bis ein Seufzer der Verzweiflung zu erklingen schien. Stille überkam das Haus und dessen derzeitige Bewohner. Benchwood fuchtelte mit dem Zauberstab herum und zischte Pass- und Zauberwörter, um sich selbst einen Überblick zu verschaffen. Da rüttelte ein mächtiger Erdstoß an seinem Gleichgewicht. Er stolperte und konnte sich gerade noch mit einer Hand an der Rückenlehne des Kettenstuhls abfangen.

"Moreland!" Rief Benchwood über das unheimliche, tiefe Grollen hinweg, daß an Stelle des Alarmgeheuls das Haus erfüllte. Die Eisentür ging wieder auf, und Moreland trat ein.

"Klarbild nur für zwei Sekunden möglich, Sir. Grünes Feuer, Totengesichter. Fürchte, das sind die grünen Knochenfrauen, Sir!" Keuchte Moreland. Angst stand in seinem Gesicht.

"Die können hier nicht rein", bellte Benchwood. "Die Zauber wehren alle Fernflüche, Apparatoren und Geisterwesen ab. Der Elementarschild ..."

"Ist zu mehr als der Hälfte zerstört, Sir", brüllte Moreland am Rande der Panik. Moreland dachte daran, daß die Rollen von Gefangenen und Wächtern gerade verschoben wurden. Diese Vorstellung behagte ihm absolut nicht.

"Das geht nicht. Keine uns bekannte Zauberei kann einen Vierr-Stufen-Schild zusammenbrechen lassen", stieß Benchwood aus. Lavinia indes hockte auf dem Stuhl. Ihre Miene deutete darauf hin, daß sie nicht nur von den Ketten gefesselt wurde. In ihr schien gerade ein heftiger Aufruhr widerstreitender Gedanken zu herrschen. Zumindest deutete Benchwood das Zucken und Wechselspiel im Gesicht der Gefangenen.

"Die sind wegen ihr hier, Sir", wertete Moreland die gerade bestehende Situation. "Die wollen die in ihre Reihen holen."

"Dann sollen die lernen, daß auch grüne Skelettfrauen nicht alles kriegen, was sie wollen, Moreland. Reißen Sie sich gefälligst zusammen!" Fuhr Benchwood den Mitarbeiter an. "Aktivabwehr aufrufen, bevor das komplette Geflecht der Sicherheitszauber zerfällt!"

"Was meinen Sie, was ich gemacht habe, als ich mitbekam, daß unsere Barrieren wanken, Sir?" Zischte Moreland.

"Barth, es bringt nichts, uns abwehren zu wollen", klang wie aus weiter Ferne eine Frauenstimme durch die Wände des Hauses. Moreland zuckte zusammen und erbleichte vollends. Wie das Kaninchen vor der Schlange stierte er auf die Wand in der Richtung, aus der die Stimme erklungen war.

"Wir sind auf magische Großangriffe eingerichtet", knurrte Benchwood. Er schlug mit dem Zauberstab einen waagerechten Kreis durch den Raum und rief: "Repulseantur Hostes!" Daraufhin flimmerte die Luft. Bläuliche und rötliche Blitze zuckten von einer Wand zur anderen. Ein neuerlicher Erdstoß traf das Haus, als schlüge ein dutzende Meter großer, tonnenschwerer Hammer von unten gegen das Fundament. "Desintegrato Animae hostiles!" Rief Benchwood. Daraufhin krachte ein grüner Blitz aus der Wand und hieb ihm den Zauberstab aus der Hand. Klappernd landete das für Zauberer unverzichtbare Stück Holz an der gegenüberliegenden Seite, während ein endzeithaftes Ächzen in den Wänden erklang. Eigentlich sollte mit diesem Zauber ein alle Geisterwesen vertilgender Gegenstoß aus dem Zentrum des Hauses wirken. Doch war dem auch so? Benchwood war sich nicht sicher. Er warf sich auf den Boden, während das unheimliche Ächzen und Knirschen immer lauter wurde. Das Haus protestierte gegen die einander bekämpfenden Zauberkräfte.

"Gleich sind wir bei dir, liebe Schwester", hörte Lavinia Pabblenuts Gedankenstimme. "Gleich werde ich dich in unserer unüberwindlichen Gemeinschaft willkommen heißen."

"Zerfall zu Staub, du Wahnsinnige!" Rief Lavinia mit hörbarer Stimme. In ihr kämpfte der Wille zum Widerstand gegen die magisch erzwungene Hingabe, die immer mehr an Boden zu gewinnen drohte.

"Was willst du noch bei denen. Alle sind gegen dich. Nur bei uns bist du wirklich sicher und gut aufgehoben", drang Pabblenuts Gedankenstimme in ihren sich gegen die bevorstehende Verwandlung auflehnenden Geist ein.

"Das Haus hält sich nicht mehr lange", stieß Moreland aus. "Wir müssen den Notausgang nehmen."

"Die da nehmen wir mit", knurrte Benchwood und ergriff seinen Zauberstab. Er zielte auf Lavinia Thornbrook. Sein Plan war, sie in etwas zu verwandeln, daß sich nicht mehr von selbst bewegen konnte und das garantiert nicht zum grünen Skelett werden konnte. Er erinnerte sich zu gut an die Bilder der Rückschaubrille, wie Pabblenut und ihre engsten Weggefährtinnen Hexen aus Fleisch und Blut in widernatürliche Geschöpfe ihrer Art verwandelt hatten. Das ging sicher nur mit Menschen aus Fleisch und Blut. Er wollte gerade ansetzen, Lavinia in ein Sofakissen zu verwandeln, als eine weitere Erschütterung ihn von den Beinen holte und nach hinten überfallen ließ. Laut krachend brachen Splitter aus der Deckentäfelung. Mit lautem Knall und Klirren zerbarst die bisher beharrlich leuchtende Kristallsphäre an der Decke zu glühenden Trümmern, die wie ein Schwarm Sternschnuppen glühend herabregneten und in Wände und Boden einschlugen. Benchwood fühlte, wie ein Bruchstück wie eine weißglühende Messerklinge in seinen rechten Oberschenkel hineinschnitt. Der Schmerz trieb ihm Tränen in die Augen. Doch er schaffte es noch, einen Schrei zu unterdrücken. Die Dunkelheit setzte ihm zu. Dann sah er, wie der im Raum stehende Schreibtisch von orangeroten Flammen eingehüllt wurde und erkannte die glühenden Stellen in den Wänden. Er hatte unglaubliches Glück gehabt, kein Kristallstück in die Augen bekommen zu haben. Moreland lag bäuchlings auf dem Boden. Um ihn herum staken glimmende Kristallsplitter im Boden. Die Tür glühte.

"Wenn Sie nicht wollen, daß mich diese Kreaturen in ihre Reihen zwingen müssen Sie mich töten", kreischte Lavinia. Ihr letzter Widerstand trieb sie zur Verzweiflung. Moreland wurde davon aus der Schockstarre gerissen. Er kam auf seine Knie und riß den noch unversehrten Zauberstab hoch.

"Nicht umbringen!" Rief Benchwood. Dann sah er, wie die magisch gehärtete Tür immer heller erglühte. Irgendwas da draußen heizte ihr ein. Er wollte noch nicht aufgeben. Er richtete seinen Zauberstab gegen die Tür und vollführte einen Geisterabwehrzauber. Zu seiner Freude schlug dieser offenbar an. Er hörte einen Schmerzensschrei von der anderen Seite her und das hohle Klappern wie zusammenschlagende Holzstäbe. Die Glut ebbte ab.

"Und wir holen unsere Schwester doch von euch fort", keifte eine Frauenstimme, die Benchwood gut kannte. Das war die Stimme Alexandra Pabblenuts.

"Nur über unsere Leichen!" Brüllte Benchwood zur Antwort und zielte auf Lavinia. Wieder erbebte das Haus. Ein unheilvolles Stöhnen klang in den Wänden, als seufzten alle verbauten Steine auf, weil jemand sie zerbrechen wollte. Benchwood ließ sich davon nicht mehr beirren. Er wollte den grünen Skeletten die sichere Beute entreißen.

__________

"Naomi", hatte sie ihm bei ihrem ersten Tanz ins Ohr geflüstert. Er fühlte sich unsicher, weil er nicht wußte, was er hatte, was diese Frau an ihm begehren konnte. Doch er genoß es, den Abend mit ihr zu verbringen. Einmal hatte Stanley, Lionel Franklins Kommilitone, seine endlich erhörende Abby für einige Minuten vergessen und wollte wissen, wer die Fremde war und wo sie herkam. Sie erwähnte, daß sie einen Vater aus Texas und eine Mutter aus Japan habe und jetzt auf Hawaii auf einer der kleinen, nicht vom Touristen überlaufenen Insel wohne. Sie verstand es, über Erdkunde und uralte Religionen zu reden. Von da schaffte sie es, Lionel darauf anzuspitzen, daß er sie begleiten möge. Stan hatte zwar versucht, etwas dagegen zu sagen, doch irgendwie hatte Naomi ihn mit einem Lächeln und einem tiefgehenden Blick von jedem Einwand abgebracht. Auch daß dieses anziehend zurechtgemachte Mädchen Jenny Fowler so unauffällig sie noch konnte verschwunden war, hatte ihn nicht gestört.

Tja, und jetzt waren sie bei ihm zu Hause, und er konnte sehen, was das hautenge, in gewöhnlichem Licht scharlachrot glänzende Kostüm noch nicht hatte sehen lassen. Dann durfte er es sogar fühlen, sich damit verbinden, in den Armen dieser überirdischen Frau erleben, daß seine bisherigen Ausflüge in die Fleischeslust wie ein Vergleich zwischen einem Hamburger und einem italienischen Vier-Gänge-Menü waren. Sein heimliches Hoffen war belohnt worden, und daß seine von seinem Vater geerbte männliche Anatomie doch für was richtig vergnügliches zu gebrauchen war entfachte in ihm ein Feuerwerk der Euphorie, der Selbstbestätigung und der Gewißheit, nicht nur für die Bücher und einen Beruf leben zu wollen.

Er wußte nicht, wo sie die Kraft hernahm, ihn selbst dann noch sicher mit sich zur höchsten Wonne zu führen, wo er schon merkte, daß seine Arme und Beine nicht gut genug trainiert waren. Doch was er mit dem Körper nicht leisten konnte, glich er mit Ideen aus, von denen er bisher nur zu träumen gewagt hatte. Stunden lang, immer wieder zusammenfindend, stillten sie ihren Hunger nach körperlicher Zweisamkeit. Erst als er nur noch um Luft röchelnd mit ihr zusammenlag ließ sie von ihm ab. Wie froh war er, daß ihn in seiner Studentenbude niemand störte. Denn hier war jede Nacht irgendwo irgendwer zu Gange, trotz oder gerade wegen der sonst geltenden Anstandsregeln draußen in der akademischen, christlich wohlanständigen Welt. Und sollte er heute nacht eine unverzeihliche Sünde begangen haben, für die ihm die Hölle sicher war, dann konnte er zumindest froh sein, die ganzen Anstandsprediger dort nicht treffen zu müssen.

"Du bist dafür, daß du nicht viel von Ertüchtigungsübungen hältst, sehr ausdauernd, und dein Lebensbote hat mich vorzüglich beglückt. vielleicht können wir noch einmal so herrlich entbrennen und eins werden, wenn du dich erholt hast", keuchte ihm die Errungenschaft dieser Disconacht zu. Das war für ihn wie ein Befehl, jetzt doch mal zu schlafen.

Am Morgen fühlte er sich total geschlaucht. Seine Arme und Beine waren bleischwer. Sein Rücken und sein Bauch schmerzten. Er hätte nie gedacht, wie viele Muskeln ein Mann brauchte, wenn er Sex hatte. Er tastete neben sich und fühlte den warmen, sanft pulsierenden Körper der Frau. Sie war immer noch nakct. Sie reckte sich und zog ihn an sich. "Einen schönen, guten Morgen, mein starker Löwe! Wie ist es. Möchtest du Naomis Kelch der Leidenschaft noch einmal fühlen?" Die Frau mußte schlicht nymphoman sein, dachte Lionel. Doch warum nicht, wenn es unverbindlich war? Dann fiel ihm ein, daß sie ab der zweiten Runde ohne Schutz zusammen waren. Hoffentlich fing er sich von ihr nichts ein! Hoffentlich hatte er ihr jetzt nicht ein Kind gemacht. Das wäre das letzte, was er seinen Eltern erzählen wollte.

Die Uhr zeigte schon bald neun, als Lionel trotz Muskelkater noch einmal Naomis Wünsche erfüllt und sich selbst damit noch einmal große Lust verschafft hatte. Seine erste Vorlesung war um elf. Bis dahin mußte er fit genug sein, um zumindest bis zur U-Bahn und von da zur Anthropologischen Fakultät laufen zu können. Er fragte Naomi, ob ihr Zusammensein irgendwelche Folgen haben würde. Sie erwähnte lächelnd, daß sie vorgesorgt habe und seine Eltern keinen Enkel aus einer unverbindlichen Liebesnacht zu erwarten haben würden.

Naomi machte für sich und ihn ein mehrgängiges Frühstück. Während diesem sprachen sie über Lionels Studienfach und daß er gerade eine Vorlesung über die Entwicklung der ersten nachweisbaren Religionen hörte. Naomi bemerkte dazu, daß es wohl interessanter sei, zu lernen, warum die Menschen sich seit ihrer Sesshaftigkeit von dem Prinzip der Mütterlichkeit abgewandt und lieber einen zu fürchtenden, überstrengen Gott anbeteten und alle Dinge, die die Lust am Leben bedeuteten verboten. So verflog die Zeit. Lionel fühlte zwar, wie vor allem die Mischung aus vier Teesorten seine Muskelbeschwerden abklingen ließ. Doch als es viertel nach zehn war wurde es doch Zeit. Naomi wollte auch in ihr Hotel, sich umziehen und dann den Zimmerschlüssel abgeben. Um zwei sei ihr Flug nach Honululu.

So verließen sie gemeinsam die aus einem Wohn-Schlafzimmer, einer Küche und einem Bad mit Dusche und WC bestehende Studentenwohnung Richtung U-Bahn. Naomi trug über ihrem hautengen Kostüm einen lindgrünen Übergangsmantel und hatte ihr dunkelblondes Haar hochgesteckt.

Als Lionel sie zum Abschied an der U-Bahn-Haltestelle umarmte hauchte sie ihm zu: "Das hat mir sehr gut getan. Halte dich weiter so gut und finde eine, die nicht nur dein Lager, sondern auch dein Leben mit dir teilen möchte!" Dann küßte sie ihn noch einmal so leidenschaftlich, daß er meinte, gleich in Flammen aufzugehen. Danach ging sie fort, richtung Bahnsteig, um zum Flughafen zu fahren, während Lionel den Zug zur Columbia-Universität nahm. Er fühlte sich jetzt wieder richtig wach und erleichtert. Er dachte an Stan, seinen Freund. Würde er ihm das erzählen, was passiert war? Vielleicht nicht. Denn Stan war in der Hinsicht wesentlich verklemmter als er.

__________

Lavinia fühlte den Widerstreit in ihrem Kopf. Sie konnte sich aus eigener Kraft nicht mehr befreien. Sie würde den grünen Gerippen da draußen ausgeliefert sein. "Wehre dich nicht mehr. Nimm deine Bestimmung hin und komm zu uns, Schwester!" Klang Pabblenuts Gedankenstimme in ihr auf. "Dein Zuhause ist die Liga rechtschaffender Hexen. Du hast mir Gefolgschaft gelobt. Folge mir also!"

"Ich will nicht deine Sklavin werden", dachte Lavinia. "Ich habe mein Leben nicht geführt, um als wandelndes Gerippe deine Marionette zu sein, du Wahnsinnige!"

"Dein Leben ist verpfuscht. Es hat nur noch einen Sinn, wenn du mit allem was du erlebt und erlernt hast zu uns übertrittst. Du hast dich mir verpflichtet. Komm dieser Verpflichtung nach!" Erwiderte Pabblenuts Gedankenstimme. Da sah Lavinia Benchwoods Zauberstab auf ihren Körper zielen. Ein letzter Hoffnungsfunke loderte auf, daß der Ministeriumszauberer sie töten oder für die Skelettfrauen unbrauchbar machen wollte. "Du gehörst uns", kreischten nun mehrere Gedankenstimmen im Kopf der Gefangenen. Ihr letzter Widerstand zerschellte unter der Wucht dieser kollektiven Gedankenbotschaft.

Sie sah einen violetten Blitz auf sich zurasen. Gleichzeitig barst ein Teil der Wand wie unter dem Schlag einer tonnenschweren Keule. Grüne Funken stoben in den Verhörraum hinein. Das Feuer, das den Schreibtisch erfaßt hatte, fiel wie unter zwanzig Löschzaubern in sich zusammen. Das war das letzte, was Lavinia mit ihren Augen sehen konnte.

Vespasianus Benchwood hatte den Zauber für eine Mensch-zu-Ding-Verwandlung durch den Kopf in den Zauberstab überfließen lassen und sich ein Sofakissen vorgestellt. Da krachte die türseitige Wand. Gerade als der Zauber in Kraft trat drangen drei grün flammende Gestalten in einer Wolke wilder Funken in den Verhörraum. Benchwood sah gerade noch, wie statt der gefesselten Hexe ein blütenweißes Sofakissen auf dem Stuhl lag. Die Ketten klirrten, weil sie die zu haltende Gefangene nicht mehr umfingen. Dann erkannte Benchwood die drei Knöchernen, die durch die Wand gebrochen waren.

"Mach sie wieder richtig!" Schrillte eine höchstverärgerte Frauenstimme. Das war Alexandra Pabblenut. Moreland sah gerade einen flammenden Totenschädel vor sich, dessen Augenhöhlen von einem himmelblauen Leuchten ausgefüllt waren. grün glühende Knochenhände streckten sich ihm entgegen. Er sprang zurück und rief: "Avada Kedavra!" Laut sirrend zuckte ein gleißender grüner Blitz aus Morelands Zauberstab und traf das Brustbein der Knochenfrau. Der sonst so verheerende Zauber zerstob daran wie eine gegen eine massive Granitwand gedroschene Wunderkerze. Lautes, überlegenes Lachen erklang aus dem fleischlosen Schädel der Angegriffenen.

"Willst du eine tote Frau töten, Barth? Sei es, daß du keine Chance verdient hast, weiterzubestehen. Komm zu mir!"

"Accio Kissen!" Rief Benchwood, als er sah, wie Moreland von einer der drei weiblichen Skelette bedrängt wurde. Die beiden anderen Knochenfrauen wandten sich ihm zu. Da flog ihm das weiße Kissen zu, das vor wenigen Sekunden noch Lavinia Thornbrook gewesen war.

"Verwandele sie sofort zurück, du einfältiger Narr. Sonst werden wir dich in unserem Feuer langsam verbrennen lassen", schrillte Pabblenuts Stimme wie aus einem leeren Gefäß heraus klingend.

"Am dreißigsten Februar!" Knurrte Benchwood und hechtete rückwärts an dem Kettenstuhl vorbei, während das Knochengerüst, in dessen Augenhöhlen ein silberweißes Licht glomm, laut klappernd auf ihn zustakste. Benchwood dachte, daß diese wandelnden Knochengerüste keinen Verwandlungszauber aufheben konnten. Da rief er Moreland zu: "Die können uns nicht töten. Die können Verwandlungen nicht umkehren!"

"Das vielleicht nicht, aber euere Seelen in uns einverleiben und jemanden herzitieren, der das für uns erledigt", schnarrte die Stimme der Skelettfrau, die sich offenbar auf Bartholomew Moreland festgelegt hatte. Dieser sah, daß der Kettenstuhl leer war und sprang zurück. Die nach ihm grabschende Knochenhand klatschte auf den angekohlten Schreibtisch und brannte sich darin ein. "Gefrorene Hölle!" Rief Benchwood. Moreland rief es ebenfalls. Beide hielten ihre Zauberstäbe hoch. Unvermittelt loderten blaue Flammen aus dem Boden heraus und hüllten sie ein. Benchwood sah noch, wie die seinen Mitarbeiter Moreland bedrängende Knochenfrau ihre Hand vom Schreibtisch fortriß und fangschreckenartig ihre Arme um den Körper Morelands zusammenschlug. Dann meinte er, in einen Strudel aus Licht zu stürzen. Der laute Wutschrei Pabblenuts hallte ihm noch in den Ohren, als er wild herumgewirbelt wurde. Der Notausgang hatte ihn aus dem Haus gerettet. Die Baumagier und Thaumaturgen, die das Haus errichtet und bezaubert hatten, waren wider die vorherrschende Überzeugung, ein unangreifbares Gebäude aufgestellt zu haben, doch von einer Notlage ausgegangen, die nur noch die magische Flucht als Ausweg zuließ. Wer den Auslösebegriff rief, wurde mit einer Mischung aus Flohpulverzauber und Portschlüssel hinausgeschafft und an den Ort befördert, an dem sich der Ausrufer so sicher er konnte fühlte. In Benchwoods Fall war es sein eigenes Haus, daß nicht nur mit Schutzzaubern umfriedet war, sondern auch über magische Abwehrvorrichtungen und eine Wache aus Hauselfen verfügte. Dort purzelte er aus einem Kamin. Er atmete auf. Keine der Knochenfrauen hatte sich noch an ihn klammern können. Für Moreland sah es dagegen finster aus, erkannte Benchwood. Er rief schnell: "Protego absolutum!" Ein Ruckeln und Knirschen erfüllte den Raum. Benchwood wurde vom Kaminrost heruntergeworfen. Keine Sekunde darauf krachte ein Fallgitter mit dicht an dicht stehenden Stäben in die Kaminöffnung.

"Habt ihr euch so gedacht, ihr vermoderten Knochengerüste", knurrte Benchwood. Da fühlte er, wie das von ihm umklammerte Sofakissen erzitterte. Offenbar hatte sein Verwandlungszauber nicht vollständig gewirkt. Er wußte jedoch, daß Lavinia in diesem Zustand für die Knöchernen unbrauchbar war. Womöglich mußte er sie in dieser Daseinsform lassen, um sie nicht doch an die grün flammenden Skelette zu verlieren. Doch zunächst galt es, dem Minister Bericht zu erstatten, ihn zu warnen, wie mächtig die brennenden Knochenfrauen werden konnten. Er hatte erlebt, wie durchschlagend sie selbst gestaffelte Abwehrzauber niederschlagen konnten. Wer konnte ihnen Einhalt gebieten? Er konnte nur hoffen, daß die Knöchernen das versteckte Haus nicht finden konnten, das gegen alle Formen der Fernbeobachtungszauberei und des Geistsprechens abgeriegelt war.

Er wandte sich einem Gemälde zu, daß einen Zauberer mit rotem Kegelhut in waldmeistergrünem Umhang zeigte, der sich verstört durch den schwarzen Vollbart strich und den Ankömmling anstarrte wie einen Geist.

"Nachricht an Cartridge: Verwahrungshaus von grünen Feuerskeletten bestürmt. Alle Abwehrzauber versagt. Mußten Notausgang nutzen. Haus womöglich unbrauchbar geworden! Bartholomew Moreland von Angreiferin ergriffen, womöglich getötet!"

"Verstanden, Vespasianus. Gebe das weiter", antwortete der gemalte Zauberer. Er warf sich nach rechts und verschwand aus dem Bild.

__________

Barth Moreland hoffte noch, in den Rettungszauber eingehüllt zu werden, als er es vor seinen Augen grün lodern sah und sich unvermittelt wie von einer gnadenlosen Klammer umschlossen fühlte. Er spürte, wie etwas an seinen Füßen zog und dann abrupt von ihm abließ. Laut krachend barsten die blauen Flammen um ihn herum, flogen der grün lodernden Kreatur förmlich um den Schädel, drangen darin ein und verloschen. Dann überkam Moreland das Gefühl, in einen Strahl aus Drachenfeuer geraten zu sein. Er schrie auf. "Ich hätte dich für einsichtiger gehalten, Barth", vernahm er die Stimme seiner Schwägerin mit den Ohren, aber auch in seinem Geist. Dann raubte ihm der Schmerz die Besinnung. Als er wieder zu sich kam meinte er, in einem Meer aus grünen Flammen dahinzutreiben. Er hörte die Stimme von Donna Moreland, seiner Schwägerin, wie von allen Seiten auf ihn einsprechen: "Du bist jetzt ein Teil von mir. Füge dich!" Dieser Befehl raubte ihm den freien Willen. Er fühlte, wie er förmlich verging, seine Gedanken in die immer lauteren Gedanken seiner skelettierten Schwägerin einflossen, darin zerflossen und zu ihren eigenen Gedanken wurden. In dem Moment hörte er zu existieren auf.

"Sie werden Lavinia nicht mehr in ihrer angeborenen Gestalt herumlaufen lassen, Lady Alexandra", dachte Donna Moreland ihrer Anführerin zu. Diese wandte sich leise klappernd um, während das sie umgebende Haus in den letzten Zügen ächzte und knarrte.

"Woher haben die vom Ministerium sie?" Fragte die Knochenfrau Pabblenut.

"Sie lag betäubt vor dem HPk, nicht von uns zu hören. An ihr hing ein Zettel, daß der Minister sie am besten in einem goldenen Käfig ohne magische Vorbehandlung einsperren sollte. Barth weiß aber nicht, warum die schwarze Spinne diesen Rat erteilt hat", antwortete Donna Moreland. Denn mit der Einverleibung von Bartholomews Geist hatte sie auch dessen ganzes Wissen in sich aufgenommen.

"Goldener Käfig?! Hol sie der Donnervogel!" Fauchte Pabblenut und fuchtelte mit den Armknochen. "Sie kennt die Mittel, uns zu bekämpfen", fügte sie noch hinzu. "Wir müssen unbedingt herausbringen, wo ihr Versteck liegt."

"Das weiß niemand. Es kennt auch keiner eine ihrer verfluchten Hexenschwestern", erwiderte Donna Moreland.

"Dann werden wir uns Hexen fangen und ihr gesamtes Wissen einverleiben, um das Versteck zu finden", schnarrte Alexandra Pabblenut. "Sie ist zu gefährlich für uns."

"Was ist an Gold so gefährlich für uns, Lady Alexandra?" Fragte Donna Moreland.

"Von Magie unberührtes Gold saugt das Feuer Easars auf wie der Schwamm das Wasser. Verlieren wir es, können wir vergehen, wenn wir zu lange mit Gold in Berührung gebracht sind", erwiderte Pabblenut verärgert. "So wird die Verruchte danach trachten, unbezaubertes Gold zusammenzutragen wie ein Drachenweib kurz vor der Eiablage. Und sie kann damit nicht apparieren, weil dadurch ein Hauch Magie in das Gold einfließt. Das nutzen wir aus, ohne uns der Nähe des Goldes auszusetzen. Schreib mit der Hand deines in dir aufgegangenen Schwagers einen Brief an das Ministerium, daß Bartholomew Moreland sich vorübergehend versteckt hat und davon ausgeht, daß das Spinnenweib davon besessen ist, von keiner Magie berührtes Gold zu stehlen. Die sollen die Goldvorräte der Zauberer und Muggel bewachen, um sie festzunehmen. Denn magischer Diebstahl verstößt sicher gegen die Übereinkunft mit diesem Schwächling Cartridge."

"Sollen wir ihn nicht selbst aufsuchen und zur Gefolgschaft zwingen?" Fragte Donna Moreland.

"Nur wenn er uns direkt anzugreifen wagen sollte", schnarrte die Führerin der Knochenfrauen. Dann wirbelte ihr grün flammender Schädel herum. "Er hat sie an einem Ort, den ich nicht erspüren kann. Unsere verwehrte Schwester ist in einem Versteck, durch das selbst die mit ihr bestehende Verbindung nicht hindurchdringt. Ich will diesen Kerl haben, seine Erinnerungen und Kenntnisse in mich aufsaugen, wie du das Wissen und Können deines Schwagers aufgenommen hast, Schwester Donna."

"Was sollen wir tun, Lady Alexandra?" Fragte Donna Moreland.

"Benchwood hat gesehen, wie du seinen Mitarbeiter ergriffen hast. Er muß davon ausgehen, daß er tot oder unser Gefangener ist. Wir müssen wen anderen aus diesem Ministerium in unsere Gewalt bringen. Thelma hat einen Verwandten, der in der Strafverfolgungsabteilung arbeitet. An ihn werden wir uns halten." Es knirschte sehr bedrohlich. Staub und Späne rieselten von der Decke herunter. Die Wände bekamen Risse. "Dieses Haus ist erschöpft. Sein Kampf gegen uns hat es restlos überfordert. Laßt uns hier verschwinden! Kehren wir zurück nach Broomswood!" Auf diesen Befehl hin faßten sich die Knochenfrauen bei den fleischlosen Händen. Krachend brach ein Teil der Decke nieder und zerschellte am nun ebenfalls rissig werdenden Boden. Die Wände knarrten dunkel und drohend. Die darin verlaufenden Risse wurden länger und Breiter. Feiner Sand rieselte aus dem Mauerwerk. Der Sandregen nahm zu. Mit leisem Fauchen verschwanden die grünen Skelette in einem Funkenwirbel. Da gaben Wände und Decke nach. Laut krachend und prasselnd stürzte das einst so sichere Haus des Magieministeriums in sich zusammen. Das verbaute Gestein war bereits so spröde geworden, daß es zu Sand zerfiel. Wenige Minuten nach dem Überfall der grünen Knochenfrauen befand sich nur noch ein meterhoher Sandhügel am ehemaligen Ort des Verwahrungshauses.

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Lavinia wußte, daß sie nicht entkommen konnte. Es war nicht das erste mal, daß sie äußerlich ein toter Gegenstand war. Doch so stümperhaft wie dieser Benchwood sie verwandelt hatte fühlte sie jede körperliche Regung. Sie fühlte Hunger und Durst. Zwar mußte sie in diesem Zustand nicht atmen. Doch das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen wuchs von einer unbehaglichen Empfindung langsam zu einer an Panik heranreichenden Beklemmung. Sie wußte, daß sie unter dieser Auswirkung genauso den Verstand verlieren würde wie unter einem lange einwirkenden Cruciatus-Fluch. Wäre die Verwandlung vollständig ausgeführt worden, mochte sie nur die in ihre Daseinsform eingebetteten Sinneseindrücke wahrnehmen, aber sonst keine körperlichen Bedürfnisse fühlen. Zu dem langsam wachsenden Unbehagen, ersticken zu können und dem Hungergefühl empfand sie auch noch einen Druck auf ihre Harnblase. Auch wenn sie wußte, daß sie in dieser Form weder austreten mußte noch austreten konnte war diese Empfindung ebenso bedrückend wie die Demütigung, daß jemand sie dazu zwingen mochte, sich selbst einzunässen. Dieser Volltroll hatte sie zwar den Skelettfrauen entzogen. Doch das brachte ihr nichts mehr. Sie fühlte die tastenden Gedanken Alexandra Pabblenuts, die jedoch angewidert zurückwichen. Das gab ihrem beinahe niedergerungenen Widerstandsgeist neue Nahrung. Jetzt wußte sie, wie sie sich dieser zur Schreckgestalt verkommenen Geisteskranken entziehen konnte. Sie mußte sich einfach in etwas für diese unbrauchbares verwandeln. Sicher, dieses Frauenzimmer konnte sie dann vielleicht aus der Welt schaffen, indem sie den umgewandelten Körper zerstörte. Doch ihre Seele würde sie damit nicht mehr in ihre grünen Knochenfinger kriegen.

Das Gefühl, in einem stockdunklen Raum mit einer Schlinge um den Hals zu liegen wurde stärker. Doch dann fand die verwandelte einen Weg, das beängstigende Gefühl niederzuhalten. Sie rief in sich Bilder aus ihrer frühesten Kindheit wach. Sie hatte gelernt, sich selbst die am tiefsten vergrabenen Ereignisse aus ihrem Leben ins Bewußtsein zurückzurufen. Zwar hatte sie es nicht mit Gedächtniszaubern. Aber die mentalmagische Methode der Autolegilimentik hatte sie von Hyneria erlernt, den Weg in den Keller des eigenen Geistes, wie diese es nannte. Damit war sie von einem Gedächtnistrank wie Bicranius Mixtur mannigfaltiger Merkfähigkeit unabhängig. So schaffte sie es, Lebensjahr um Lebensjahr in ihrer Erinnerung zurückzuwandern, bis sie, nach einem kurzen Schauer zu überstehender Schmerzerinnerungen, in die Erinnerung an ihre Zeit im Mutterleib anlangte. Ihre Mutter, Eugenia Thornbrook geborene Hammersmith, war bei dem Umsturzversuch Thalia Clovers von dem Verräterauslöschzauber der entschlossenen Schwestern getötet worden. Hätte die gewußt, daß ihre Tochter eines Tages die verhaßte Feindin Daianira überleben und an ihre Stelle treten würde ... Nein, das waren störende Gedanken. Sie dachte lieber an die sie umschließende Geborgenheit, wo sie keine Luft nötig hatte und auch nicht mußte. In diesem Zustand geistiger Zurückgezogenheit hörte der Fluß der Zeit für sie auf. Die nach ihr tastenden Gedanken Pabblenuts verschwanden. Die Knochenfrau wußte, daß sie so nicht an Lavinia Thornbrook herankam.

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Nachdem Anthelia-Naaneavargia die mit ihrer neuen Natur hinzugekommene Lust auf körperliche Liebe gründlich genug ausgelebt hatte wollte sie sich jetzt auf die grünen Skelette konzentrieren, die sie und Lavinia beinahe überwältigt hatten. Sie berief eine Versammlung aller noch zu ihr haltenden Schwestern ein, zu denen seit einigen Tagen auch Beth McGuire gehörte, die mit dem stillen Segen Roberta Sevenrocks weiterhin in den Reihen der Sororitas Silenciosa als auch in der Hexenvereinigung der schwarzen Spinne verbleiben durfte. Anthelia hatte nichts dagegen, weil sie Beth jederzeit untersagen konnte, Roberta Sevenrock oder ihren zögerlichen Mitschwestern was zu verraten. Außerdem hoffte sie darauf, daß sie und die anderen Hexenschwesternschaften irgendwann, wenn Nocturnia zu mächtig werden sollte, zusammenfinden und die Macht der Hexen nutzen würden, um die Menschheit von dem Irrweg der umweltverpestenden Gerätschaften und selbst auferlegten Heuchelei im Namen eines angeblich allmächtigen und doch auf das männliche Geschlecht beschränkten Schöpfergeistes herunterzuführen. Mit Naaneavargia hatte sie auch das Wissen und die Erfahrungen hinzugewonnen, daß der Weg der Gewalt und gnadenlosen Unterdrückung, wie Anthelias Tante Sardonia ihn als einzig gangbar betrachtet hatte, am Ende in die Selbstvernichtung führte. Ihre Beinahe Wiedergeburt als Daianiras Tochter, so wie ihr Beinahetod unter der tödlichen Strahlung Volakins taten ihr übriges dazu, nur dort Vernichtungszauber und manipulative Magie zu benutzen, wo es sich im Namen des großen Zieles nicht vermeiden ließ, aber ansonsten den Weg der Überzeugung zu beschreiten. die Liebesnacht mit dem Studiosus Lionel hatte es mal wieder gezeigt, daß sie mehr bekam, wenn sie nicht Zwang, sondern Verlockung walten ließ. Nur diesem halben Kind im zu schnell aufgeblühten Körper mußte sie eine Lehre erteilen, in dem sie ihm auf gedanklichem Weg die Geringfügigkeit seiner Existenz übermittelt hatte. Auch hatte ihr dieser auf seine Körperkraft versessene Bursche nicht gefallen, der vielleicht der Traum manches begierigen Frauenzimmers sein mochte, aber in den entscheidenden Punkten unter jedem Durchschnitt rangierte. Womöglich hatte er es mißverstanden, daß er alle Körperglieder durch seine Leibesübungen stärken und vergrößern konnte. Jetzt wußte er es besser, und sie hatte es aus seinem Geist gelesen, als sie sich erst von dem kraftüberquellenden Körper hatte verleiten lassen, ihn zu nehmen.

"Höchste Schwester, Mr. Benchwood ist mit seinem Kollegen Moreland und Lad..., ähm, Lavinia Thornbrook im sicheren Haus des Ministeriums gewesen. Da wurden sie aber von den grünen Gerippen angegriffen. Er hat wohl einen Notfallportschlüssel benutzen können. Sein Kollege Moreland aber nicht. Womöglich haben die Knochenfrauen ihn umgebracht<", sagte Beth.

"Und Lavinia, Schwester Beth?" Fragte Anthelia sehr aufgeregt.

"Benchwood hat dem Minister gemeldet, daß er Lavinia noch hat in Sicherheit bringen können. Er mußte sie dafür für die Knochenfrauen ungenießbar machen."

"Hat das Bild deiner Urgroßmutter noch weiteres von deiner Schwester Sohn erfahren?" Fragte Anthelia.

"Das der Minister mit denen vom LI sprechen will, ob die was über diese grünen Knochenweiber wissen. Nachher überrennen die uns auch noch."

"Das hätten sie sicher schon versucht, wenn sie wüßten, wo wir sind", sagte Anthelia. "Doch ich bin mir sicher, daß der alte Fluch der gefangenen Seelen sowie der Fidelius-Zauber sie von uns fernhalten. Doch du hast recht, daß wir zusehen müssen, diese neue Plage, die eigentlich schon vor Jahrtausenden erdacht und erprobt wurde, schnellstmöglich vom Hals zu schaffen. Nocturnia und die Wergestaltigen fordern uns schon genug ab."

"Kennst du das Ritual, was diese auf ihre Unberührtheit fixierte Ex-Lehrerin vollführt hat?" Fragte die deutsche Hexe Albertine Steinbeißer.

"Wohl wahr, ich kenne es. Es ist von einem dunklen Druiden namens Rogan vom Kahlen Hügel erfunden worden", begann Anthelia. Dann berichtete sie, was sie aus den Büchern über die alten Zeiten erfahren hatte.

"An und für sich einfach, wenn man weiß, wo man es hernimmt", bemerkte Beth dazu.

"Nur wie drankommen?" Fragte Vera Barkow, die russische Mitschwester.

"Früher hätte ich gesagt, daß wir die Menschen zwingen können, uns zu bringen, was wir wollen. Doch die Übereinkunft mit Minister Cartridge hält mich davon ab, diesen Weg zu gehen", grummelte Anthelia.

"Wir müssen ja keine Menschen direkt angreifen, und wir müssen auch keine unschuldigen Menschen mit Magie dazu bringen, uns zu geben, was wir haben wollen. Muggel sind sowas von käuflich, vor allem, wenn sie denken, daß Macht nur über Geld erlangt wird", behauptete Albertine Steinbeißer. "Hast du nicht damals auch das Silber für die große Kugel genommen, ohne die Besitzer zu entschädigen?" Wollte Anthelias Mitschwester Sheryl Waters aus Kanada wissen.

"Damals war Gefahr im Verzug und der Totentänzer weitaus bedrohlicher als die Nocturnia-Vampire. Außerdem mußte ich da auch noch nicht auf eine Übereinkunft mit dem Zaubereiminister Rücksichtnehmen. Ich erkundige mich noch einmal, welche Möglichkeiten wir haben, mit indirekter magischer Einflußnahme vorzugehen. Doch vorher noch was anderes: Wo liegt die ehemalige Hexenschule Broomswood, und weiß wer, wie sie geschützt wird?"

"Da mußt du dir wohl jemanden suchen, die dort war, und ich fürchte, die grünen Knochenfrauen haben schon alle aufgesucht, die dort mal zur Schule gegangen sind, um sie in ihre Reihen zu holen", erwiderte Beth.

"Nicht alle waren in der selbstherrlichen Liga sogenannter rechtschaffender Hexen", hebelte Anthelia das Argument ihrer relativ neuen Mitschwester aus.

"Ja, aber in Broomswood gibt es sicher ein Verzeichnis aller noch lebenden Schülerinnen. Wenn diese Eiskatze der Meinung ist, alle ehemaligen Schülerinnen ihrer finsteren Abmagerungskur zu unterziehen - was bei einigen sicher sehr durchschlagend wäre - könnte sie an diese Hexen heran."

Kommt dein Neffe an das Verzeichnis heran, daß die Ausbildungsabteilung führt?" Fragte Anthelia.

"Joshua nicht, aber der Sohn einer von der anderen Schwesternschaft, in der ich mit deiner Fürsprache weitermachen darf, hat Zugang zu diesem Verzeichnis."

"Dann ermittele die noch lebenden ehemaligen Schülerinnen, Schwester Beth. Womöglich müssen wir ihnen beistehen", sagte Anthelia.

"Mach ich, höchste Schwester", erwiderte Beth McGuire.

"Wollt ihr eurem Zaubereiminister sagen, was du uns erzählt hast, höchste Schwester?" Fragte Albertine Steinbeißer.

"Benchwood hat meinen klaren Hinweis nicht beachtet, Lavinia in eine Art goldenen Käfig zu sperren, dessen Material aus unbezaubertem Gold ist. Er wird auch nicht darauf hören, wenn ich ihm verbindlich erklären kann, wie er die Knochenweiber bannen und vernichten kann", grummelte Anthelia. "Falls es jemand außerhalb dieser Schwesternschaft weiß, dem dieser Kettenhund Benchwood vertraut, dann sollten diese Leute es ihm erzählen. Was ist mit demLaveau-Institut?"

"Die können auf ein großes Archiv zurückgreifen. außerdem können sie mit Angehörigen der Liga gegen dunkle Künste weltweit Kontakt aufnehmen", wußte Beth McGuire. Anthelia lächelte.

"Das Wissen um dieses Ritual ist nicht nur meiner Tante Sardonia und mir bekannt. Es gibt noch einige Bücher über dunkles Zauberwerk, womöglich auch noch in Beauxbatons, Hogwarts oder Burg Greifennest. Dann werden sie die Kenntnisse eben etwas später erhalten. Bleibt zu hoffen, daß sich diese Kreaturen bis dahin nicht unkontrolliert vermehren wie die Läuse. Aber dem ist ja dadurch Einhalt geboten, daß die Verwandlung wie bei der Vampirzeugung bei magischen Menschen nur in gegenseitigem Einvernehmen erfolgen kann.""

"Dann besteht für die ehemaligen Schülerinnen von Broomswood keine unmittelbare Gefahr?" Fragte Beth. Anthelia wiegte den Kopf und räumte ein, daß einige von denen sich sicher freiwillig verwandeln lassen würden, um damit Broomswoods Rache zu vollenden.

"Dann hoffen wir, daß wir diese Wesen noch früh genug außer Gefecht setztzen. Zumindest könnten wir nach persönlichen Sachen der Verwandelten suchen", sagte Beth McGuire.

"Wenn wir wissen, wer das alles ist", erwiderte Sheryl. Anthelia nickte. Dann fand sie, daß im Moment nicht mehr zu besprechen sei.

"Die aus Amerika stammenden Schwestern erwarte ich dann morgen um Mittag dieser Region wieder hier. Die übrigen Schwestern bitte ich, in Ihre Länder zurückzukehren!"

Als bis auf Beth McGuire und Anthelia alle Schwestern der schwarzen Spinne den Weinkeller der Daggers-Villa verlassen hatten wandte sich Beth an Anthelia. Sie mentiloquierte: "Womöglich darf ich Lavinias Nachfolgerin werden, höchste Schwester. Wenn das Ritual der entmachteten Führerin mich als Lavinias Nachfolgerin akzeptiert, kann ich dir und Roberta Sevenrock noch besser helfen."

"Auf jeden Fall. Vielleicht erfährst du dann auch, wo unsere zehn gefangenen Mitschwestern sind", schickte Anthelia zurück.

"Ich fürchte, daß wußte nur Hyneria", mentiloquierte Beth.

"Lavinia wollte mit Hynerias Blut ein Geheimversteck aufsuchen und dort wohl aus einem Denkarium schöpfen. Sie hätte es sich in die eigenen Adern spritzen müssen", gedankenantwortete Anthelia.

"die Kleine von den Fenders? Kannst du dann nicht an das Denkarium?"

"Und die Übereinkunft mit Cartridge verderben? Außerdem könnte ich es auch dann nicht, weil die Schutzzauber um das Versteck nur Hyneria freundlich gesinnte Hexen passieren lassen, und ich noch nicht weiß, wie dieser Zauber zu brechen ist."

"Dann haben wir noch ein Problem", sprachBeth nun mit körperlicher Stimme. "Broomswood soll von mächtigen Abwehrzaubern umgeben sein, die alle Zauberer in alptraumhafte Ängste stürzen und alle Hexen, die nicht den Idealen von Amapura Broomswood entsprechen sollen zu Stein werden läßt."

"Gut zu wissen, wenn wir wissen, wie wir den großen Knochenhaufen beseitigen können", entgegnete Anthelia. Dann schickte sie auch Beth fort.

Während Anthelia sich um die junge Mitbewohnerin Dido Pane kümmerte mußte sie daran denken, daß diese Junghexe bald in die weite Welt hinausziehen wollte. Es wurde jetzt schon immer schwerer, sie zu kontrollieren. Nur die Angst vor magischer Bestrafung und die Aussicht, wie die im Haus gefangenen Geister in einer Weinflasche Jahrhunderte festzustecken, falls Anthelia sie tötete, hielten sie davon ab, sich ihren Weg in die Unabhängigkeit zu erzwingen. Auch jetzt fühlte Anthelia den Drang, einfach hinauszulaufen und auf einem Besen davonzufliegen. Ihr war klar, daß sie Dido nicht das Apparieren beibringen würde. Doch weil die ja mitbekam, daß alle anderen Hexen das konnten, würde sie es auch wollen. Was brachte es Anthelia noch, daß sie Ornatus Pane damals zu seiner eigenen Schwester Dido umgewandelt hatte?

"Ich wünsche von dir, daß du mir noch einmal alle Regeln Gamps schilderst", wies Anthelia ihre noch minderjährige Schwester an.

"Das habe ich doch schon, höchste Schwester. Hat mir diese Daianira doch auch beigebracht, als sie mich ganz gnädig aus deinem Zauberschlaf geweckt hat."

"Ist mir bekannt. Aber ich möchte die Regeln noch einmal hören", erwiderte Anthelia. Didos Bewußtsein strahlte Trotz und Ablehnung aus. warum hatte sie nicht versucht, zu ihrem Onkel und ihrer Tante nach England zu kommen, als der dunkle Lord wieder stark war? Doch um keinen Cruciatus-Fluch abzukriegen oder nicht einen Tag lang als Maus im Laufrad herumzutrippeln rezitierte sie die entsprechenden Wortlaute. Dabei dachte sie jedoch daran, daß es bald Halloween sein würde, und dann würde sie mit einer der Schwestern auf einem Besen ausreiten und diese Mitschwester dann einfach mit einem Fluch umhauen und sich absetzen, um ihre Verwandten zu suchen.

"Der Wortlaut stimmt. Aber warum ist es so, daß Stein leichter in Metall und Holz leichter in Leder verwandelt werden kann?" Fragte Anthelia.

"Weil Stein und Metall aus der Erde sind und Holz und Leder von ehemaligen Lebewesen stammen und Tiere, aus deren Haut Leder gemacht werden kann ja Pflanzen fressen, in denen auch Holz steckt", erwiderte Dido darauf achtend, Anthelia nicht zu genau anzusehen. Diese und Daianira hatten ihr nämlich erzählt, daß dann ein starker Zauberer oder eine heftig mächtige Hexe sehen konnte, was einem im Kopf herumging.

"Vollkommen richtig, Dido. Siehst du, es ist doch wichtig, alles zu wiederholen, zumal wir Ende dieses Jahres alles prüfen, was sie sonst in Thorntails prüfen."

"Was habe ich davon?" Fragte Dido, nun nicht ganz verschleiernd, wie es in ihr aussah.

"Das du in drei Jahren eine vollwertige Schwester von uns sein darfst und auch bei unseren Sitzungen teilnehmen darfst", erwiderte Anthelia. Doch Dido empfand das nicht als erstrebenswert. Aber sie nickte.

"Hast du durst?" Fragte Anthelia. Dido überlegte wohl, ob sie die Frage mit "Ja" beantworten durfte. Dann nickte sie wieder. "Wasser, Tee, Milch oder Kakao?" Dido sagte schnell, daß sie Wasser haben wolle und dachte, daß sie dann merke, wenn Anthelia ihr was da reintäte.

Als Anthelia eine Flasche Wasser und zwei Gläser aus dem Nichts gezaubert hatte füllte sie erst sich und dann Dido davon ein. Sie trank zuerst. Dido erkannte nun, daß Anthelia sie nicht mit einem Gift oder Zaubertrank abfüllen wollte. Als sie ihr Glas zur Hälfte geschafft hatte fragte Anthelia:

"Ich habe dich bisher nicht gefragt, was Daianira dir erzählt hat, wo ich sei. Hat sie da irgendwas zu gesagt?"

"Die meinte, du hättest dich mit ihr drauf geeinigt, daß sie mir weiter Unterricht gibt, weil du für länger verschwunden wärst", erwiderte Dido mit etwas entrückter Stimme.

"Sie hat dir nicht erzählt, wohin oder warum ich verschwunden bin?"

"Nur, daß sie sicher ist, daß du da, wo du warst, deine Ruhe hättest. Ich dachte ja deshalb, du wärst tot. Aber dann bist du ja wiedergekommen und diese Daianira ist gestorben", erwiderte Dido. Anthelia nickte. Sie hörte zugleich Didos Gedanken mit. Sie sprach die Wahrheit. Also wußte Dido nicht, wie das Duell zwischen Daianira und Anthelia abgelaufen war. sie hatte gehofft, sowas zu erfahren.

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"Alles schnee von vorgestern", grummelte Wilberforce, als sein Mitarbeiter Zachary Marchand in sein Büro kam. "Die ganzen Akten von den Schlapphüten reichen gerade bis auf zehn Jahre an Heute heran. Die ganzen Kontakte und Operationsgebiete taugen für uns heute nichts mehr. Wer immer gemeint hat, uns verschaukeln zu müssen kommt jetzt wohl aus dem Lachen nicht mehr heraus."

"Mit anderen Worten, wir wissen nicht, wo Watkin in den letzten zehn Jahren war?"

"Gut, 1991 war er beim Wüstensturm mit dabei, weil er da verwundet wurde und er den Purple-Heart-Orden bekommen hat. Aber was danach lief wissen wir nicht. Unsere Akten sind dagegen wie neugeborene Babys, aber auch ebenso mitteilungsfähig. Nur kurze Erwähnungen, daß Watkin Waffen über die Grenze nach Süden hat schaffen lassen. Berichte über einen Peruanischen Drogenbaron, der mit seinem Privatjet in eine Stinger-Rakete reingeflogen und danach abgestürzt ist werden auf eine unter der Hand verschobene Palette dieser Raketen zurückgeführt, die einer der CIA nahestehenden Söldnertruppe zugespielt werden sollten. Die Burschen aus Langley haben damals den Deckel draufgeschlagen, obwohl die Kollegen in Kalifornien gerade mit den Kollegen in Mexiko eine Übereinkunft erzielt hatten, diese Waffen zu suchen, da ja nicht klar war, wo die landen sollten. wie erwähnt, die Akten aus Langley sind in der Hinsicht vollkommen überaltert."

"Tja, das heißt wohl, daß die uns nicht gucken lassen wollen und uns nur das geliefert haben, was für die selbst schon kalter Kaffee ist", faßte Marchand das gehörte zusammen. In ihm brodelte es, wenn er daran dachte, daß Watkin entweder genug Vorsprung und Rückendeckung hatte, um lange und tief unterzutauchen oder bereits unter dem Vermerk: "Problem beseitigt" in einer Aktenmappe der CIA verbucht wurde. Also mußte er von sich aus an die Daten ran, die ihn interessierten und hoffen, daß er den Colonel noch lebend zu fassen bekam.

"Nun, meinen Eltern wird's nicht gefallen, daß sie jetzt in einem kleineren Haus wohnen und einen für die Rangstellung meines Vaters und die Lebensansprüche meiner Mutter unterbezahlten Beruf ausüben sollen, Sir."

"Ihre Eltern wissen, was Ihnen in dem Flughafen passiert ist?" Fragte Wilberforce.

"Gemäß Vorschriften bei gefährdeten Zeugen, die offiziell für tot erklärt wurden darf ich mit meinen Eltern keinen offenen Kontakt pflegen. Ich habe denen nur durch von den für sie zuständigen Kollegen mitteilen lassen, daß ich an der Mörderbande dran wäre, die sie umbringen wollte. Mehr möchte ich im Moment nicht erwähnen. Mein Vater könnte sonst seinen Glauben an unser Rechtssystem verlieren."

"Da wäre er leider nicht alleine", erwiderte Wilberforce verdrossen. Dann sagte er zu Marchand: "Ich habe hier ein von mir ausgefülltes und bereits unterzeichnetes Urlaubsformular. Sie haben schließlich beantragt, sich von der Entführung zu erholen und müssen ja auch die Trauerfeier für Ihre Eltern ausrichten und deren Nachlaß übernehmen. Daher bitte ich Sie, sich in den kommenden zwei Wochen nicht mehr hier im Büro oder einer anderen Niederlassung sehen zu lassen."

"Verstehe, Sie fürchten, ich könnte mich hinreißen lassen, die Kollegen zu einem Rachefeldzug anzustacheln", erwiderte Marchand, der nach außen so tat, als ärgere er sich darüber, auf Eis gelegt zu werden.

"Nun, die Sache hat Sie psychisch sicher mitgenommen. Außerdem müssen Sie, um auch wirklich jeden Verdacht auszuräumen, Ihre Eltern hätten die Sprengfallen überlebt, entsprechend repräsentieren", sagte Wilberforce. Zach Marchand nickte. Dann sagte er noch, daß er den Urlaub dankbar annehme, unterschrieb den Antrag der Form halber, damit er zu den Akten gelegt werden konnte und verließ das FBI-Gebäude von New Orleans.

In seinem Wohnhaus legte sich Zachary Marchand auf sein Bett und konzentrierte sich auf Justine Brightgate. Als er sicher war, daß sie seine Gedankenbotschaft empfangen würde schickte er ihr zu: "Bin für zwei Wochen aus dem Spiel genommen, weil Befangenheit und Notwendigkeit, offiziell zu trauern. Watkin von uns noch nicht gefunden. CIA hat überholtes Aktenmaterial vorgelegt. Brauche neuere Daten."

"Urlaub bewilligt?" Fragte Justines Gedankenstimme wie aus weiter Ferne zurück. Zach Marchand konnte ihr ein "Ja" zurücksenden. "Gut, dann treffen mit Brenda und mir morgen im geschützten Haus vom LI! Müssen eh klären, wie wir im Fall Nocturnia und den Feuerskeletten weiterarbeiten müssen." Zachary schickte wieder nur ein "Ja" zurück. Dann lächelte er. Wilberforce hatte ihn quasi mit der Nase drauf gestoßen, Watkin zu jagen, nicht offiziell. Doch der wußte ja auch nicht, für wen Marchand noch arbeitete.

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Das Auftauchen der grünen Skelette in Misty Mountain hatte eine Menge Staub aufgewirbelt. Magische Menschen sprachen bei soetwas auch davon, die Wichtel auf das Dach gescheucht zu haben.

"... werden wir Sie und alle anderen unbescholtenen Mitglieder der magischen Gemeinschaft Nordamerikas nach bestem Wissen und Gewissen vor solchen Übergriffen schützen", beendete der amtierende Zaubereiminister gerade eine Verlautbarung an die Vertreter der magischen Nachrichtenverbreiter. Ein Schallansaugtrichter zielte genau auf ihn und sog alle Worte ein, um sie gleich über die Ströme des magischen Rundfunks in darauf abgestimmte Empfänger zu leiten oder für spätere Wiedergabe zu speichern. Flotte-Schreibe-Federn huschten leise schabend über Pergamentblätter. Cartridge blickte seine Mitarbeiter Vespasianus Benchwood von der Strafverfolgungsabteilung und Casper Whitehead von der Geisterbehörde an. Benchwood wirkte angespannt, lauernd, während der kleinwüchsige, grauhaarige Casper Whitehead einen nachdenklichen Eindruck zur Schau trug.

"Wir erforschen bereits Ursprung und Natur dieser flammenden Skelette. Über deren Absichten und nächsten Aktionen wissen wir derzeit genausowenig wie Sie", sagte der Minister. Dann übergab er das Wort an den kleinen Leiter des Geisterbüros.

"Werte Herrschaften, als langjähriger Leiter des Gewesenenverwaltungsbüros, bei Ihren Hörern und Lesern auch schlicht als Geisterbehörde bekannt, ist mir dieses Phänomen noch nicht untergekommen. Natürlich handelt es sich um ein Ritual. Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit entspringt es bösartiger Zauberei vulgo dunkler oder auch schwarzer Magie", holte Whitehead aus. "Geschöpfe aus dunkler Magie trachten meistens danach, Menschen und Tiere zu quälen, als Nahrung zu verwerten oder sie ihrem Willen zu unterwerfen, um ihre negativen Bestrebungen voranzutreiben. Soweit wir aus dem Laveau-Institut und durch eigene Untersuchungen wissen müssen wir die grünen Feuerskelette als Geisterwesen einstufen, was heißt, daß sie die Schutzrechte lebendiger Wesen nicht beanspruchen können. Damit gehen auch die Bestimmungen der Strafgerichtsbarkeit einher. Wir werden also danach trachten, die flammenden Skelette zu fangen, bewegungsunfähig zu halten oder, wenn diese Vorhaben nicht gelingen oder nicht von großer Dauer sein mögen, ihre Vernichtung anstreben. Gemäß den Gesetzen zur Eindämmung bösartiger Spukerscheinungen werde ich mit dem Kollegen Benchwood und seinen Außendienstmitarbeitern recherchieren, woher die ehemalige Hexe Alexandra Pabblenut Kenntnis von diesem Ritual hat und welche Auswirkungen es auf alle hat, die sich ihm unterwerfen. Einiges davon wird wohl geheimzuhalten sein, um Nachahmungstäter zu verhindern. Was von unseren Aktionen für die Öffentlichkeit bestimmt ist werden Sie rechtzeitig erfahren. Ich schließe mich dem Kollegen Benchwood dahingehend an, daß wir es mit einer weiteren gefährlichen Art magischer Geschöpfe zu tun haben, die jedoch weder lebendig noch tot ist. Für's erste möchte ich Sie alle darum bitten, in Ihren Reportagen und Kommentaren jede zur Panik treibende Äußerung zu vermeiden. Auch wenn wir bisher nicht näher wissen, welche Absichten diese neuen Kreaturen haben, so gehen wir zumindest davon aus, daß diese über die Fähigkeit zum planvollen Handeln verfügen und nicht wie niedere Raubtiere einfach auf Beute ausgehen. Ich verspreche Ihnen, daß wir Sie unverzüglich informieren, wenn wir von jedem magischen Mitmenschen anwendbare Schutz- und Abwehrmaßnahmen gefunden haben werden. Bis dahin schließe ich mich dem Herrn Zaubereiminister an, daß Sie Geduld mit uns haben möchten und darauf vertrauen, daß uns nichts daran liegt, Sie alle unnötig in Gefahr geraten zu lassen."

"Was ist mit Lavinia Thornbrook?" Fragte Linda Knowles.

"Sie befindet sich an einem geheimen Ort, bis wir wissen, inwieweit sie gefährdet ist, inwieweit wir sie als Straftäterin, Zeugin oder gar potentielles Opfer einzuordnen und zu behandeln haben", sagte Benchwood, der diese Frage auf sich bezog. "Wo und wie sie untergebracht ist bleibt zu ihrer Sicherheit geheim. Damit das klar ist."

"Was ist mit der Botschaft, die bei ihrem Auffinden gefunden wurde?" Wollte Linda Knowles noch wissen.

"Wenn Sie den Zettel meinen, den ihr jemand zugesteckt hat, halten wir diesen solange für unverbindlich, bis wir näheres wissen", erwiderte der Minister.

"Glauben Sie, daß diese neuen Geschöpfe sich weiter ausbreiten werden?" Wollte die Kristallherold-Reporterin Willow Sweetwater wissen.

"Glaubensfragen diskutieren Sie bitte mit den Vertretern der in den Staaten praktizierten Religionen", stieß Benchwood aus. "Wir halten uns an Wahrscheinlichkeiten oder klare Tatsachen. Wenn Sie die Frage so auslegen wollen, wie hoch wir die Wahrscheinlichkeit einschätzen, daß diese neuen Geschöpfe sich vermehren wie die Vampire oder die Wergestalten, so sehen wir im Moment eine Wahrscheinlichkeit von unter zehn von hundert, da die Entstehung dieser Kreaturen aus einer Art Affekt heraus geschah und vorerst nur einen Teil der Mitglieder der sogenannten Liga rechtschaffender Hexen betraf. Ob die noch als lebende Hexen herumlaufenden Damen gefährdet sind gehört sicher zu den Punkten, die wir klären müssen. Ob wir die Öffentlichkeit dann informieren dürfen, ohne die Sicherheit nachhaltig zu gefährden, können wir im Moment nicht sagen."

"Wollen Sie auch den Inhalt des bei Ms. Thornbrook gefundenen Pergamentes zur Geheimsache erklären?" Fragte Linda Knowles. Cartridge und seine Mitarbeiter nickten. Der Minister begründete diese Verheimlichung damit, daß ja geprüft werden müsse, ob die auf dem Zettel aufgeführten Hinweise mutwillige Irreführungen oder brauchbare Hinweise waren. Das konnte Linda Knowles im Moment nicht von der Hand weisen.

"Somit wissen Sie nun alles, was wir Ihnen mitzuteilen verpflichtet waren, die Damen und Herren", setzte der Minister zur Verabschiedung an. "Um die von Ihnen vertretene Öffentlichkeit schnellstmöglich mit wirksamen Schutzvorkehrungen ausstatten zu können gestatten Sie uns jetzt bitte, unserer Arbeit nachzugehen! Ich bedanke mich für Ihr reges Interesse und Ihre Mitarbeit!" Linda Knowles setzte noch einmal an, eine Frage zu stellen. Doch der Minister winkte ab. Die von ihm angesetzte Pressekonferenz war beendet.

Als die Reporter allesamt das Ministeriumsgebäude verlassen hatten atmete Cartridge auf. Benchwood blickte seinen Vorgesetzten lauernd an.

"Wollen Sie wirklich warten, bis uns Davidson und seine Truppe gnädigerweise über ihre Nachforschungen informieren, Sir?" Fragte Benchwood. Cartridge sah ihn an und sagte:

"Es besteht meinerseits kein Grund, die Mitarbeiter des Laveau-Institutes unter Druck zu setzen oder ihnen gar die Auflösung ihres Institutes anzudrohen. Der Vertrag mit dem Zaubereiministerium läuft noch, Ves. Wir können ihn nicht nach Belieben kündigen oder gar brechen."

"Wenn sich erweist, daß das Laveau-Institut über Kenntnisse verfügt, die zur Beseitigung einer Gefährdung der Mitmenschen dienen kann, diese Kenntnisse jedoch unterschlägt, können wir das Institut wegen Gefährdung der nordamerikanischen Zaubererwelt schließen. Ich gehe sehr stark davon aus, daß Davidsons Leute mehr über die grünen Skelette wissen als wir. Daher sollten Sie, Herr Minister, ein Ultimatum aussprechen, das bei nichteinhaltung zur vorzeitigen Kündigung des Kooperationsvertrages führt und die bisherige Eigenständigkeit des Institutes aufhebt. Ich schlage als Endpunkt der Frist den dritten Oktober also übermorgen vor. Sollten Davidsons Leute bis dahin nicht mit allem herausrücken, was sie wissen oder in ihren Archiven aufbewahren, werde ich gerne in Ihrem Auftrag die Schließung des Institutes vornehmen. Sie können den dann arbeitslosen Mitarbeitern eine Übernahme in die ihren Qualifikationen entsprechenden Abteilungen des Ministeriums anbieten, um guten Willen und Gnade zu zeigen."

"Natürlich wollen Sie die dort beschäftigten Mitarbeiter gerne übernehmen, Ves, freundlich oder feindlich. Dies ist mir klar. Gehen Sie also davon aus, daß auch Mr. Davidson damit rechnet und aus eigenem Interesse jede bewußte Gefährdung der Zaubererwelt vermeiden wird! Wenn seine Leute jedoch noch nicht wissen, womit wir alle es zu tun haben, müssen Sie es hinnehmen, daß die Damen und Herren vom Laveau-Institut ihre Zeit brauchen. Natürlich wissen die, daß jede Stunde Ungewißheit zur Gefährdung von Menschenleben beitragen kann. Aber blinder Aktionismus bringt es nicht."

"Angenommen, ja nur angenommen, der Hinweis der schwarzen Spinne auf Gold als Abwehrmittel gegen diese Feuerskelette entspringt echter Kenntnisse", setzte Whitehead an, "bietet sich doch hier die ideale Chance, die stille Übereinkunft mit der schwarzen Spinne auf ihre Tragfähigkeit zu prüfen. Fragen Sie an, oder delegieren Sie jemanden, der diese Anfrage richtet, ob wir nicht mehr über diese Feuerskelette erfahren können, um den Rücken wieder freizubekommen, uns gegen die weltweite Bedrohung Nocturnia zu stellen."

"Das meinen Sie nicht ernst, Casper", schnaubte Benchwood. "Wir sollen uns das Wissen dieser Verbrecherinnen zu Nutze machen? Ich weigere mich entschieden, diese Bande als legitime Unterstützung anzuerkennen. Denn damit müßten wir alle bisher von dieser Hexenbande verübten Taten billigen, inklusive dem Mord an Minister Wishbone." Cartridge nickte schwerfällig und sagte:

"Von diesem Einwand abgesehen, Ves, denke ich, daß wenn es im Interesse der schwarzen Spinne gelegen hätte, uns an ihren Kenntnissen zu beteiligen, hätten wir nicht nur eine Empfehlung zur Verwahrung von Lavinia Thornbrook gefunden, sondern einen umfassenden Katalog mit allen für uns brauchbaren Einzelheiten zu den Feuerskeletten. Da wir diesen eben nicht erhalten haben, liegt es nicht in der Absicht der schwarzen Spinne, uns mehr mitzuteilen. Sie danach zu fragen würde uns zu Bittstellern machen, die auf Gnade oder Ungnade darauf angewiesen seien, das kleinste bißchen Wissen aus unbekannter, wahrscheinlich auch höchst unzulässiger Quelle zu erfahren. Insofern verzichte ich auch auf eine Anfrage an die schwarze Spinne. Sollte diese auch danach trachten, sich das Wissen um die Feuerskelette nutzbar zu machen, so tun wir gut daran, es unabhängig von dieser Hexenschwesternschaft zu erwerben und mögliche uns mißfallende Aktionen vorherzusehen und zu verhindern, ohne daß die schwarze Spinne frühzeitig erfährt, was wir wissen. Es ist eine Binsenweißheit, das wer Wissen vermittelt davon eine Vorstellung erhält, wie der Informierte mit dem erhaltenen Wissen verfahren kann. Solange die Spinne nicht weiß, was wir wissen, halten wir sie im unklaren über die von uns erachteten Maßnahmen. Mehr gibt es daazu wohl nicht zu sagen."

"Verstehe, Sir. Es war nur eine vorsichtige Anfrage, um unsere Bemühungen zu beschleunigen, der neuen Bedrohung Herr zu werden", lenkte Casper Whitehead ein. Der Minister und Ves Benchwood nickten. Dann gingen sie wieder in ihre einzelnen Abteilungen. Der Minister hatte einen Termin mit dem Leiter der Abteilung für magischen Handel und Finanzen, zu der er noch die Leiter des Kobold- und des Muggelverbindungsbüros hinzubat. Den einen benötigte er, um das Klima zwischen Ministerium und Gringotts auszuloten. Den anderen benötigte er, um eine muggeltaugliche Ausrede für die Sichtung der grünen Skelette zu erarbeiten. Da das Fest Halloween erst in dreißig Tagen begangen wurde, konnten herumlaufende Skelette vielleicht als vorgezogene Gruselscherze abgetan werden.

Benchwood betrat sein Büro. Sein Blick fiel auf einen Wandschrank, den nur seine lebendige Hand zu öffnen vermochte. Darin lag in einem flachen Kästchen mit Mentiloquismussperre und Conservatempus-Bezauberung ein weißes Sofakissen, das vor knapp einem Tag noch Lavinia Thornbrook gewesen war. Der Minister wußte nicht, daß er die von Pabblenut gesuchte in dieser Form in seinem Büro verwahrte und durfte das auch nicht wissen. Denn ohne ausreichende Verdachtsmomente durfte kein Mensch gegen seinen Willen festgehalten werden, noch dazu in einer bewegungsunfähigen Zustandsform. Überhaupt war eine länger als eine Stunde dauernde Verwandlung von Menschen verboten. Selbst ein Ministerialbeamter, ja der Hüter der magischen Gesetze selbst, durfte das nicht tun. Neben der verschärften Freiheitsberaubung spielte da noch die Gefahr hinein, daß ein fremdverwandelter Mensch auf Dauer auch seelisch in das Tier, die Pflanze oder den Gegenstand verwandelt wurde. Epimorphose nannten Heiler und Verwandlungskundler diesen Vorgang. Durch den Conservatempus-Zauber, der nur bei toten Gegenständen oder Mikroorganismen wirksam wurde, verzögerte er zwar den Prozeß der Epimorphose auf ein Hundertstel Geschwindigkeit. Doch das hieß, daß er die in Gewahrsam genommene gerade sechs Jahre aufbewahren konnte, wenn sie nicht auch seelisch ein Sofakissen bleiben sollte. Denn war die Epimorphose einmal vollendet, konnte ein Mensch nicht mehr unbeschadet zurückverwandelt werden. Auch deshalb durfte er dem Minister nichts davon erzählen, überhaupt durfte er das niemandem erzählen. Es war sozusagen sein ganz privates, am strengsten zu hütendes Geheimnis.

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Bevor Watkin seinen unfreiwilligen Gast verhörte untersuchte er ihn ganz genau. Dabei fand er neben einem merkwürdigen Hemdknopf in der linken Tasche auch eine an der Stelle eines ausgezogenen Weisheitszahns verborgene Kapsel, die durch die Zunge umgeklappt und dann aufgebissen werden konnte. Eine rasche chemische Bestimmung des Inhalts ergab pure Blausäure. Also wußte dieser Kerl was, was er unter keinen Umständen verraten durfte, erkannte der Colonel. Mit einem kleinen Röntgenapparat mit Vergrößerungsfunktion fand er heraus, daß der lose Knopf ein RFID-Chip war. Als er mit einer Ausgabe des Breitbandfunkabtasters von Spark Plug nach verräterischen Wellen suchte, konnte er ermitteln, daß jede Minute ein schwaches Signal von dem Koffer ausging, den er am Flughafen erhalten hatte, an dem er den in einem Strampelanzug steckenden FBI-Agenten abgeliefert hatte.

"Mich verarschen wollen! Da müßt ihr aber alle ganz früh aufstehen", knurrte Watkin den noch unter der Wirkung des Betäubungsgases schlafenden Gefangenen an. Er nahm auf verräterische Drähte achtend alle Geldbündel aus dem Koffer und durchleuchtete diesen auch. Tatsächlich steckte im Futter des großen Aktenkoffers eine Substanz, die mit kleinen Zündkapseln verbunden war, die wiederum mit dem Schaltelement verdrahtet waren, das den RFID-Abtastsender beinhaltete. Watkin hatte Ahnung von Bomben. Er schätzte, daß diese Falle hundert Meter von dem Mann auf der Holzbank entfernt ausgelöst worden wäre. Es war also schon sehr gut gewesen, ihn "einzuladen". Da hatte dem auch die kugelsichere Unterkleidung nicht geholfen, wenn er den Lauf einer Magnum mit Schalldämpfer an der Schläfe gefühlt hatte.

Zwei Stunden nachdem der Colonel in seiner heimlichen Ausweichbasis angekommen war erwachte sein unfreiwilliger Gast. Doch dieses Erwachen sollte für diesen wie ein Ausflug in die Hölle sein.

"Ich habe dir die Selbstmordkapsel abgeluchst und auch den netten kleinen Knopf gefunden, der dich und den Koffer zusammengehalten hat", schnarrte Watkin. "Ich will jetzt von dir wissen, wer du wirklich bist und von wem genau du den Auftrag hattest, mich und meine Leute zu engagieren."

"Da werden Sie wohl enttäuscht sein, weil mir niemand von denen seine Adresse oder Telefonnummmer gegeben hat", zischte der Gefangene. Er hatte offenbar erkannt, daß ihm die Flucht in den Freitod vereitelt worden war. Watkin grinste verächtlich. Dann sagte er:

"Die spanischen Inquisitoren damals konnten einen Gefangenen dazu kriegen, zuzugeben, was sie ihm oder ihr vorwarfen, indem sie ihm ihre Verhörhilfsmittel zeigten. Guck mal hier!" Mit diesen Worten präsentierte er dem unfreiwilligen Gast eine Reihe altmodischer bis neuwertiger Folterinstrumente und malte ihm aus, wie er sie einsetzen würde. Der Gefangene verfiel in Angststarre. Doch das nützte ihm nichts. "In einer Stunde fangen wir an. Mal sehen, wieviele Epochen der Verhörtechnik wir durchkriegen, bis ich alles weiß, was du mir nicht erzählen willst. Bis gleich!" Er wandte sich um, ließ seinen Gefangenen mit den aufgefahrenen Martergeräten alleine.

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"... und hier die Nachrichten für unsere Strandtouristen", drang eine sachlich betonende Frauenstimme aus dem Lautsprecher des kleinen Radiogerätes, das bei Ernesto Torricelli auf der Küchenanrichte stand. "Das Wetter ist zwar für die Jahreszeit recht angenehm, doch wurde gemeldet, daß ein beim Fangversuch von der Angel losgekommener Hai in Strandnähe herumschwimmt. Außerdem wurden weitere Haie gesichtet. Alle Strandurlauber werden zu ihrer eigenen Sicherheit gebeten, auf ein Bad im Meer zu verzichten, bis geklärt ist, ob die Haie von alleine davonschwimmen oder getötet werden müssen." Ernesto Torricelli verzog das Gesicht. Was über den verschlüsselten Funksender zu ihm gemeldet worden war bedeutete, daß die Aktion mit dem FBI-Agenten mißlungen war und er, Ernie Torricelli, ein kleines Rädchen im Gefüge der Detroiter Cosa Nostra, zusehen mußte, möglichst weit zu verreisen, bis eine weitere Meldung eintraf, daß der Strand wieder sicher sei oder so ähnlich. Das ließ sich Ernesto nicht zweimal sagen. Unverzüglich packte er seinen größten Koffer und holte aus seinem kleinen Tresor unter dem Tresen der Kellerbar mehrere kleine, runde Beutel, in denen winzige Steine steckten und schluckte jeden davon mit großen Schlucken Wasser hinunter. Dann fuhr er mit einem rostigen Fiat 500 los, um unter dem Namen Thomas Ponti das fernste Land zu erreichen, zu dem in den nächsten beiden Stunden ein Flugzeug startete.

Der Weg war frei von Unannehmlichkeiten. Als er jedoch am Flughafen eintraf fühlte er jenes Kribbeln im Nacken, das ihm schon einigemale eine drohende Gefahr angezeigt hatte. Seit er vor zehn Jahren einen elektrischen Schlag von einem nicht sauber geerdeten Generator abbekommen hatte, konnte er ihm geltende Bedrohungen früh genug vorausfühlen, um ihnen zu entgehen oder zumindest schnell genug zu reagieren. Er blickte sich behutsam aber mit weit offenen Augen um. Was ihn warnte wußte er nicht. Vielleicht ein Sinn für feindselige Gedanken, vielleicht aber auch eine unbewußte Vorausschau auf kommende Ereignisse. Er wußte, wenn er dahinsah, wo der Grund für seinen inneren Alarmsensor lag, würde er gleich noch ein wildes Vibrieren in den Armen fühlen, das bis in die Fingerspitzen ging.

Der Flughafen von Detroit besaß wie viele seiner Größe Gebäude für Inlands- und Auslandsflüge. Als er zum Gebäude für die ins Ausland reisenden Fluggäste hinübersah, durchpulste ihn das befürchtete Vibrieren in den Armen, das einen winzigen Moment vorhielt. Sofort dachte er daran, das jemand ihn erwartete. Jemand hatte es vorausgesehen, daß er hierherkommen würde. Unverzüglich machte er auf dem Absatz kehrt und ging zu seinem Wagen zurück. Das Kribbeln im Nacken klang ein wenig ab. Doch er wollte es loswerden. Deshalb beschloß er, nicht von Detroit aus zu starten, sondern erst über die Grenze nach Kanada zu fahren und sich dort von einem kleinen Flughafen zu einem der großen internationalen Flughäfen wie Toronto, Ottawa oder Vancouver bringen zu lassen, wo er dann den empfohlenen Fernflug starten konnte.

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"Ist noch nicht hier, Roy. Stehe gerade auf der Besucherterrasse und halte mit dem Fernglas auf die Parkplätze für langzeitparker", wisperte der Mann im dunkelgrauen Anzug in Richtung seines oberen Hemdknopfes. In seinem Rechten Ohr steckte ein Ring mit einer silbernen Kugel, die ein winziger aber hochempfindlicher Sprechfunkempfänger war. Alle Zehntelsekunde änderte der Empfänger die Frequenz nach einem zufällig wirkenden Raster. Ebenso das im Kragenknopf verborgene Sendemikrofon, das einfallende Geräusche auf vierfache Geschwindigkeit hochmodulierte und dann alle Viertelsekunde ein Datenpaket auf einer anderen Wellenlänge abstrahlte. Der dafür bestimmte Empfänger steckte in einem silbernen Thunderbird, der knapp einen Kilometer entfernt stand.

"Wenn er auftaucht verfolgen und rauskriegen, wo er hin will, wisperte eine befehlsgewohnte Männerstimme aus dem Winzlautsprecher direkt in sein Ohr. "Einladen oder abladen?" Fragte der Wartende. "Abladen, Ralf", kam die Antwort. Der wartende bestätigte mit einem bejahenden "Mhmm".

Ein ziemlich ramponierter und von Rost angefressener Fiat rollte auf den Parkplatz. Ralf holte sich Wagen und Insassen mit dem Fernglas so nahe vor die Augen, daß er die Nummer lesen konnte. Er wollte sie gerade zum Abgleichen durchgeben, als der kleine dunkelhaarige Fahrer ausstieg. Ralf betrachtete ihn genau. Ja, das war der, den er hier abpassen und verfolgen sollte, um ihm wie eine Schlange die Beute zu belauern, um auf den entscheidenden befehl entweder den Pfeil mit dem Betäubungsgift oder den mit dem tödlichen Nervengift abzufeuern. Er ging im Moment von dem zweiten Fall aus.

"Gast gesichtet, kommt auf Abflughalle zu ... Häh? Moment! Macht wieder kehrt und geht zu seinem Wagen, einem vom Rost zusammengehaltenen Fiat Cinquecento achtziger Baujahr. Der steigt wieder ein und fährt weg. Was soll ich machen?"

"Hinterher. Der hat wohl was gemerkt", knurrte Roys Stimme aus dem Lautsprecher. Doch als Ralf von der Besucherterrasse herunter war und seinen Buick auf dem Kurzzeitparkplatz erreicht und die Parkgebühr per Kreditkarte bezahlt hatte, war der alte Fiat schon wieder auf der Verbindungsstrecke zwischen Stadt und Flughafen unterwegs. Ralf mußte erst vom Gelände weg, bevor er aufs Gas drückte und den Wagen mit mehr als den erlaubten 55 Meilen in der Stunde über die Straße trieb. So ein Fiat mußte doch einzukriegen sein, dachte Ralf. Er ärgerte sich, daß er seiner ersten Eingebung widersprochen und keinen zweiten Mann mitgenommen hatte. Jetzt rächte sich seine Solotour. Dabei wußte er nicht, daß er selbst gerade zum Gejagten geworden war.

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Der Gefangene war erledigt. Er lebte zwar noch. Doch seine Psyche hatte die über mehrere Stunden dauernde "peinliche Befragung" nicht ausgehalten. Zumindest hatte der Colonel jetzt alle Informationen, die der Gefangene ihm liefern konnte. Dazu gehörte auch ein genaues Bild des Mannes, der den Geldkoffer übergeben hatte. Das jagte er durch ein von seinen Beschützern gestiftetes Phantombild-Programm und verschickte es als verschlüsselte E-mail über mehrere anbieter an seine Getreuen in aller Welt. Keine vierzig Minuten später wußte er, wen der Mann kontaktiert hatte, der nun total am Ende auf der Folterbank lag und die Nachwirkungen der Schmerzen in die große Halle hinausschrie. "Ach neh, Starkstrom-Ernie von der Cosa Nostra. Also ihr Lumpenhunde wolltet den Fed kassieren", dachte Watkin. Dann zog er die Magnum, mit der er die "Einladung" an seinen Gast unterstrichen hatte und feuerte zwei gezielte Schüsse in den Kopf des Gefolterten. Damit war die Sache erledigt. Die Leiche würde er gleich in Schwefelsäure baden und dann in die marode Kanalisation spülen, wo ihn niemand mehr identifizieren würde.

"Spark Plug, dein Fachkollege aus Detroit wollte mich mit einer Zusatzzahlung endgültig entschädigen. Sage unserem Fahrkartenverkäufer, daß er ein Erster-Klasse-Ticket zum Hauptbahnhof kriegen soll und daß er auch sicher in den Express einsteigt."

"Wissen wir, ob das mit dem Ehrengast geklappt hat?" Fragte die Stimme am Ende der von einem Zerhacker verschlüsselten Verbindung.

"Nur, daß die Schlafwagenpassagiere den Fernzug genommen haben, weil ein paar übereifrige Kontrolleure ihnen keinen Platz im Nahverkehrszug gönnen wollten."

"Die Verkehrsaufsicht ist wegen des Fahrplans in heller Aufregung. Deshalb besser keine umständlichen Reiseinformationen", meinte Spark Plug. Der Colonel bestätigte das und beendete das Gespräch. Er formulierte bereits einen Brief, den er dem Kontaktmann für dessen Auftraggeber mitgeben sollte.

Honorar nicht bezahlt. Durch einen schweren Unfall während der Reise sind vier wichtige Mitarbeiter umgekommen. Zusatzgepäck wog zu viel. Daher Zahlung für Übergepäck fällig. Neues Honorar 10 Millionen Dollar in ungeschliffenen Diamanten. Zahlung an von mir zu bestimmenden Ort.

A. W.

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"Haben Ladybird in Detroit geortet, Sir. Sollen wir ihn abholen?" Fragte die Stimme über die abhörsichere Mobilfunkleitung. Sean Graves, der Führungsoffizier von Gruppe DDT, deren Anführer Aldo Watkin genannt der Colonel war, entgegnete rasch:

"Nur beobachten, Beatnick. Könnte sein, daß der für Führer DDT nachforschen soll. Wir müssen wissen, was genau und wen er dazu kontaktiert. Dranbleiben und unauffällig mithören. Wenn wir wissen, wer Ladybirds Kontakt war Kontaktperson übernehmen!"

"Verstanden, Sir", erwiderte der mit Beatnick bezeichnete Gesprächspartner.

Sean Graves legte den Hörer zurück auf das ockergelbe Telefon und wählte auf einem kirschroten die Direktverbindung zur Abteilung Südamerika.

"Könnte sein, daß das Büro doch recht hatte, Sir. Mein Detroiter Verbindungsmann Beatnick hat den rothaarigen Frauenhelden aus der DDT-Gruppe in Motown gesichtet. Ich habe ihm befohlen, drannzubleiben."

"Der oberste Chef wurde vom obersten Leiter des Büros angerufen, weil wir die für erledigt klassifizierten Akten und nichts aktuelles rausgerückt haben", erwiderte Graves' Gesprächspartner.

"Wenn bestätigt ist, daß DDT außer Kontrolle ist und Honigbienen ausgelöscht hat, was dann?"

"Dann gilt der Befehl Rubicon, Sean. Das hat Mr. T. bewilligt. DDT hat für uns zu viele Operationen durchgeführt, die in der achso freien Presse nicht gut wegkämen, wenn das Büro darüber Kenntnis erlangt."

"Die müssen auch Sachen für sich behalten", erwiderte Graves verknirscht.

"Die schon, aber die bei denen heimlich mithörenden Journalisten, die auf den fetten Skandal vor der Jahrtausendwende lauern nicht", erwiderte Grave's Gesprächspartner.

"Es ist übrigens bestätigt, daß Baseball und Flyswatter unter den Toten dieser Straßenschlacht sind, die das Büro sich mit den Entführern der Marchands geliefert hat. Wenn rauskommt, daß unser Schützling grob undankbar geworden ist lasse ich Rubicon anlaufen."

"Ich halte die vom Büro noch lange genug hin, bis wir was wissen. Was will Ladybird in Detroit?"

"Vermutlich den Kontakt suchen, der DDT zum Besprühen eines Bienenstocks benutzt haben soll. Falls der identifiziert ist lasse ich den vom Taxidienst in unseren Bungalow fahren."

"Nehmen Sie auf jeden Fall beide aus dem Spiel, wenn Ihre Vermutung bestätigt ist! Unverzügliche Meldung an mich, wenn Sie wissen, ob Rubicon vorliegt!"

"Verstanden, Sir!" Bestätigte Graves und legte wieder auf.

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Der rothaarige Gefolgsmann von Watkin hatte nur eine Sekunde lang überlegt, als er auf dem Monitor des kleinen, gegen Radarortung gesicherten Beobachtungsflugzeuges sah, wie der Fiat wieder vom Detroiter Flughafen wegfuhr. Irgendwas mußte diesen Ernie Torricelli gewarnt haben. Der Wagen jacherte förmlich dahin. Ladybird, der deshalb Marienkäfer hieß, weil er gerne zum roten Haar schwarze Sachen trug und sich auf die Benutzung von bemannten und unbemannten Kleinflugzeugen verstand, schaltete die Bildwiedergabe auf Flächenüberwachung um. Er konnte jetzt sehen, daß ein grüner Buick vom Kurzzeitparkplatz losfuhr und mit weit überhöhter Geschwindigkeit nach Norden brauste, bis er eine Meile an den flüchtenden Fiat heran war.

"Zielperson in den Hochgeschwindigkeitszug setzen. Transport erste Klasse!" So lautete die knappe Anweisung des Colonels. Ladybird fragte per kodierter Sprachnachricht an, wie der Buick zu behandeln war.

"Stillegen!" War die ebenso knappe antwort. Dann wurde der Wagen weiterverfolgt. Es ging zur kanadischen Grenze. Ladybird hatte über die über ihnen fliegende Drohne mitbekommen, daß auch er offenbar verfolgt wurde. Offenbar interessierten sich eine Menge Leute für diesen alten rostigen Wagen, besser dem, der ihn fuhr. als er die Autonummer an den Colonel meldete erhielt er die Warnung, daß das ein Firmenwagen war. Damit stand für Ladybird fest, daß diese Jagd auf einen Hasen zu viele Jäger einbezog, einen Fuchs, einen Wolf und am Ende einen Jäger mit Zielfernrohr und Bronzemantelgeschossen. Damit stand fest, daß erst der Verfolger Ladybirds ausgeschaltet werden mußte. Da die Drohne im Bedarfsfall auch eine gelenkte Bombe sein konnte programmierte der rothaarige Handlanger des Colonels sie so, daß sie sofort niederstoßen würde, wenn alle Wagen hielten.

"Der will nach Kanada. Wieso muß der nicht tanken?" Dachte Ladybird. Seine Tankanzeige zeigte bereits erschreckend niedrige Zahlen. Also mußte er den Reservetank einschalten, der ein Viertel des Laderaums beanspruchte. Jetzt schossen dreißig weitere Liter Benzin in den Haupttank. Das würde bis zur Grenze vorhalten, wenn sie nicht noch auf Hochgeschwindigkeitsverfolgungsjagd ausgingen.

"Westwood", erfuhr Ladybird den Namen des Vertreters der Firma, der in dem ihn verfolgenden Wagen saß. Der bekam heute noch einen Stern an der Wand loyal im Dienst gefallener Agenten, dachte Ladybird und stoppte seinen dunkelblauen Kombi mit eingeschalteter Warnblinkanlage. Sein Verfolger gab Gas. Offenbar wollte er an Ladybird vorbei, um sich zwischen ihn und den Buick zu setzen. Da sauste die Beobachtungsdrone herab, die gerade einmal ein Viertel so groß war wie das anvisierte Auto. Mit einem lauten Knall schlug das ferngesteuerte Beobachtungsflugzeug durch die Windschutzscheibe und explodierte. Ladybird wartete nicht ab, ob der Verfolger nur verletzt oder tot war. Er trat wieder aufs Gas und brachte sich in ausreichendem Abstand zu dem Buick, dessen Fahrer den "Unfall" weiter hinten offenbar bemerkt hatte. Denn der Buick beschleunigte nun, versuchte wohl noch an dem Fiat vorbeizuschlüpfen. "Dann halt du den mal für mich an", dachte Ladybird. Im Moment hatte er zwar keinen über allen schwebenden Beobachter zur Verfügung. Doch wenn der Fahrer des Buick den Fiat ausbremste, war Ladybird der lachende dritte.

Der grüne Wagen holte sein Ziel ein. Es kam zu einem Überholmanöver, weil der Fiat am Ende doch weniger Kraft auf die Straße brachte als sein Verfolger. Dann geschah das Ausbremsmanöver. Der Fiat versuchte noch auszuweichen. Doch dann mußte er bremsen. Ladybird holte in diesen vier entscheidenden Sekunden zweihundert Meter Rückstand auf. Als der Rothaarige sah, wie der Buickfahrer aus seinem Wagen sprang und mit etwas auf den Fahrer des Fiat zielte drückte Ladybird einen Knopf hinter dem Lenkrad. Leise schabend stach der bewegliche Lauf eines Maschinengewehrs unter dem Kühlergrill hervor und spie Stahlmantelgeschosse auf den Buickfahrer los, der nicht mit diesem plötzlichen Angriff gerechnet hatte. Der Fahrer des Buick flog von der Aufprallwucht von zwanzig Kugeln drei Meter nach hinten, bevor er zu einer blutroten Masse verstümmelt am Boden aufschlug. Der Mann aus dem Fiat erkannte wohl, daß er jetzt das nächste Ziel sein sollte und versuchte seinen wagen an dem schräg stehenden Buick vorbeizuzwengen. Dabei riß der linke Außenspiegel ab. Gleichzeitig trafen Kugeln aus Ladybirds Bordgeschütz die Heckpartie des Fiats. Die Geschosse zersiebten den Kofferraun, zerfetzten die Hinterreifen und perforierten den Auspuff, der sowieso mehr durch Rost als durch Schweißnähte am Wagen hielt. Das Rohr brach ab und schlingerte über den Standstreifen. Der Fiat schabte auf den Hinterfelgen über die Straße. Funken stoben. Abgeschliffener Asphalt wirbelte zu schwarzem Staub auf. Dann war Ladybird mit seinem Kombi heran. Er mußte schnell machen. Sicher sahen andere Fahrer diesen Überfall. Bei den heute lästigerweise allgegenwärtigen Mobiltelefonen war die Autobahnpolizei schnell alarmiert. Doch Ladybird war jetzt nicht mehr aufzuhalten. Sein Wagen röhrte auf den immer noch zu flüchten versuchenden Fiat zu und versetzte ihm mit der Stoßstange einen Rammstoß in die linke Heckseite. Rost flog wie rotbrauner Sand umher. Der Fiat brach aus der sowieso schon schwer zu haltenden Bahn aus und drehte sich um 270 Grad. Ladybird kam keinen Meter von der Fahrertür entfernt zum stehen. Die Straße war jetzt blockiert. Er sprang aus seinem Kombi und lief auf den Fiat zu. Der Fahrer wollte nun zu Fuß fliehen und schnellte wie ein aus der Flasche fliegender Korken aus dem nun wirklich schrottreifen Wagen. Ladybird feuerte aus einer Luftdruckpistole einen haarfeinen Pfeil ab, an dessen Ende ein starkes Betäubungsmittel aufgetragen war. Torricelli tanzte den ersten Pfeil aus. Dann noch einen. Woher wußte der Kerl, wohin die Geschosse flogen? Torricelli versuchte, hinter den unkonventionell geparkten Buick zu hechten. Ladybird verstellte ihm den Weg und feuerte den letzten Pfeil aus seiner Waffe ab. Diesmal erwischte er Torricelli am linken Bein. Der Getroffene sprang hoch und bückte sich, um das Geschoß aus dem Hosenbein zu ziehen. Doch da knickte ihm das linke Bein schon weg. Auch der Rest des Körpers verlor an Kraft und klappte wie ein Taschenmesser zusammen.

Ladybird rannte auf den Betäubten zu. Jetzt zahlte sich sein häufiges Krafttraining aus. Er lud sich den erschlafften Körper auf die Schultern und trug ihn über die Böschung hinunter. Dort warf er eine mitgebrachte Tarndecke über sich und den Gefangenen und betätigte einen Knopf an seiner Armbanduhr. Das war das Signal für Ladybirds Hubschrauber, ihn dort abzuholen, wo er gerade war.

Er hörte das Jaulen von Sirenen von beiden Seiten. Die Polizei war wirklich auf Draht. Wenn sie gleich hier waren mußte er wohl härtere Mittel einsetzen. Der Befehl war eindeutig, den Kontaktmann des Geldboten lebend abzutransportieren. Da hörte er jedoch schon das Schrabben von Rotorblättern, gefolgt von dem Geheul einer Turbine. Die Polizeiwagen rauschten mit rotierendem Rotlicht und Sirenengeheul heran. es wurde verdammt knapp.

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Beatnick antwortet nicht mehr", meldete Graves seinem Vorgesetzten in der Südamerika-Abteilung. "Letzte Positionsmeldung war ein Autobahnabschnitt knapp zwei Meilen vor der kanadischen Grenze."

"Alle Polizeikanäle abhören. Wenn feststeht, daß Beatnick gefallen ist gilt Rubicon", erwiderte Grave's Vorgesetzter. Graves bestätigte das. Wenn sein Beobachter tot oder einsatzunfähig war galt das als klare Bestätigung, daß DDT außer Kontrolle war.

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Nur die kugelsicheren Westen der Hubschrauberbesatzung und das sofort auf die Polizeiwagen gelegte MG-Sperrfeuer hatten ihm geholfen, mit Torricelli zu entkommen. Jetzt flog der mit einem neuwertigen Radarabschirmanstrich versehene Hubschrauber im Flüsterbetrieb knapp zehn Meter über dem Grund dahin. Ziel war ein Lagerhaus, in dem sie den Gefangenen in einen luft- und schalldichten Transportcontainer mit Sauerstoffversorgung umladen und unauffindbar mit dem metallenen Inneren eines Lastwagens verschweißen wollten. Der Lastwagen sollte dann nach Mexiko, abgesichert durch weitere Drohnen Ladybirds. Wenn die CIA gewußt hätte, wie viele gute Kontakte der Colonel in der Heimat hatte ...

"Geht jetzt alle davon aus, daß wir von allen gejagt werden", hatte der Colonel geantwortet. "Die anderen sind schon über die Grenze. Aber die von der Firma und die ehrenwerten Familien werden zusehen, uns das Leben schwerzumachen. Aber ich will mein Honorar und Genugtuung für den verminten Geldkoffer."

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Thelma Archer fühlte sich unendlich erleichtert, als ihre Herrin und Meisterin durch Aufdrehen aller Warmwasserhähne einen Dunst erzeugte, der das Spiegelbild ihres grün flammenden Schädels vernebelte. Jetzt erst kam sie aus der Erstarrung frei, die der pure Anblick ihres Spiegelbildes verursacht hatte. Jetzt erst klang das Gefühl, von einem Eispanzer umschlossen zu werden ab. Lady Alexandra zischte wütend und griff nach dem ersten Spiegel, ohne hineinzublicken. "Ich habe es dir gesagt, daß du hier nicht mehr hingehen sollst, Thelma", knurrte sie und zerschmetterte den Spiegel mit großer Wucht an der gekachelten Wand. Sie packte den nächsten Spiegel, riß diesen mit ihrer neuen, übermenschlichen Kraft herunter und zerstörte auch diesen, bis kein Spiegel mehr aushing. "Unser neues Leben kommt ohne spiegel aus", sagte Pabblenut noch, während sie leise klappernd und knackend durch den Waschraum stakste und den letzten Spiegel zerschmetterte. Thelma glaubte nicht an sieben Jahre Pech, die mit der Zerstörung eines Spiegels heraufbeschworen wurden. Das war Muggel-Aberglaube. Daß der Anblick ihres eigenen Spiegelbildes sie derartig lähmen konnte beunruhigte sie jedoch zu tiefst. Gab es doch etwas, was ihrer neuen, so erhabenen Natur Grenzen aufzeigte?

"Wieso kann ich mich nicht im Spiegel sehen, Lady Alexandra. Ich wollte nur sehen, wie ich nun beschaffen bin", rechtfertigte Thelma Archer ihren Selbstversuch.

"Weil ein Spiegel nicht nur das Bild, sondern auch die eigene Ausstrahlung zurückwirft und damit eine Blockade der Handlungsfähigkeit bewirkt. Ein Basilisk darf sich selbst auch nicht im Spiegel ansehen, sofern dieser magisch unzerstörbar gemacht wurde. Ebenso ist es mit uns. Auch wenn wir nun über den Tod erhaben sind lähmt unsere gespiegelte Ausstrahlung uns selbst. Blicke niemals wieder in eine natürlich spiegelnde Fläche, wenn du weißt, wo eine ist! Austreten mußt du nicht mehr, weil du außer Feuerschein und Sonnenlicht keine Nahrung mehr benötigst. Gehorche mir, deiner Mutter und Meisterin!" Thelma fühlte, wie dieser Befehl in allen ihren brennenden Knochen nachschwang. Sie gelobte Gehorsam.

"Donna, Rita und Portia kämpfen gerade gegen diese widerliche Wiederkehrerin, die meinte, sich Donnas Habe aneignen zu dürfen", fauchte Lady Alexandra Pabblenut. "Sie muß sterben. Denn sie weiß zu viel."

"Können die Schwestern sie töten?" Fragte Thelma Archer.

"Nicht zu dritt. Ruf Alma, Brooke und Gilda zusammen und appariere mit ihnen im Haus der Morelands! Laß es notfalls niederbrennen und ... Oh nein, dieses verfemte Weib hat Donna mit einer ausgehängten Spiegeltür überwunden! Mach schnell, hol sie da raus!"

Thelma rief in Gedanken ihre von ihr selbst in die neue Liga rechtschaffender Hexen aufgenommenen Gefährtinnen. Sie eilten laut klappernd und knackend herbei. Sie bildeten ein Dreieck und hielten sich bei den Fingerknochen. Dann verschwanden sie. Das war auch einer der Nachteile, die sie hatten. Keine konnte mehr alleine disapparieren. Die zurückbleibende Alexandra Pabblenut wußte zu gut, welche Nachteile ihre neue Daseinsform noch bereithielt. Sie wußte auch, daß die schwarze Spinne darüber bescheid wissen mußte. Genau deshalb wollte sie sich nur dann noch hinaus in die feindliche Welt wagen, wenn sie jene zu ergreifen sicher sein konnte, die man ihr bisher entzogen hatte: Lavinia Thornbrook.

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"Dreister geht's nicht. Ist ja schon Bürgerkriegsähnlich, mit einem Kampfhubschrauber anzurücken. Woher haben die sowas? Wer hat da bei der Inventur gepennt?" Schimpfte Graves, als er erfuhr, was sich auf dem Weg von Detroit zur US-amerikanischh-kanadischen Grenze abgespielt hatte.

"Die vom Büro können das jetzt als reine Polizeiangelegenheit geltend machen. Ich habe alle Residenten südlich des Rio Grande alarmiert. Wenn der Colonel oder seine Leute irgendwo auftauchen gilt der Befehl Rubicon. Wir müssen die vom Büro noch etwas hinhalten. Sonst fuhrwerken die uns doch noch dazwischen."

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Das erste, was Thelma Archer sah, als sie mit ihren Daseinstöchtern und Gesinnungsschwestern im Haus Donna Morelands apparierte war jene überragend schön aussehende Hexe, die als Anthelias Erbin auftrat. Gerade noch rechtzeitig schaffte sie es, den Anblick ihres eigenen Spiegelbildes zu vermeiden. Donna Moreland und ihre Mitstreiterinnen hatten nicht soviel Glück gehabt, wohl auch, weil die große Anführerin ihnen nicht rechtzeitig gesagt hatte, daß ihr Spiegelbild zur Falle werden konnte. Sofort stürzten sich die drei Skelettfrauen auf die verhaßte Feindin. Diese zog hinter ihrem Rücken einen länglichen Gegenstand hervor und hielt ihn nach vorne. "Faianshaitargesh!" Hörte Thelma ein Wort, daß sie nicht kannte. Da loderte das Ding in den Händen der Spinnenfrau rotgolden auf. Unvermittelt fühlte Thelma, wie etwas ihr Kraft entzog. Dann hörte sie die Feindin sagen: "Seid mir unterworfen!" Thelma fühlte, wie der Befehl in ihr nachklang. Doch unverzüglich dröhnte Pabblenuts Gedankenstimme in ihrem Schädel nach: "Niemals! Zündet das Haus an! Brennt alles nieder!" Thelma fühlte, wie das brennende Etwas ihr weitere Kraft entzog. Doch der Befehl, sich zu unterwerfen wirkte nicht auf sie. Sie konnte sich dagegen auflehnen. Als das rotgolden flammende Etwas wie eine Mischung aus Schwertklinge und Fackel Alma Highwall am Schädel berührte, erloschen die grünen Flammen ihres Skelettes. Dieses zerfiel laut klappernd in seine Einzelteile. Thelma hörte noch einen lauten Schrei ihrer Gefährtin und sah einen weiß leuchtenden Kugelblitz, der aus den schlagartig zu schwarzer Asche zerfallenden Knochen herausflog und in die nächste Wand einschlug. Da erkannte Thelma, daß man sie doch töten konnte. Das Ding in den Händen Anthelias war eine tödliche Waffe. Angst und Verzweiflung trieben Thelma zur Flucht. Sie erkannte, daß sie ihre volle Kraft zurückerlangte, wenn sie den Blick von der lodernden Klinge abwandte. Sie rannte laut klappernd davon, wollte die Verbindung zu den anderen Feuerskeletten suchen, um mit ihnen zu disapparieren. Da hörte sie Donnas Stimme: "Hier ist nichts mehr von mir! Raus hier!" Im nächsten Moment fühlte sie eine Knochenhand in ihrer. Sie hörte jedoch, wie eine ihrer beiden mitgenommenen Daseinstöchter gerade von etwas hart getroffen wurde und spürte, wie das Etwas diese schlagartig entkräftete. "Umzingeln und verbrennen!" Dachte Thelma. "Sie kann nicht alle von uns zugleich angreifen!" Die Skelettfrauen versuchten, Anthelia zu umringen. Diese wirbelte jedoch mit der brennenden Klinge herum. Jedesmal, wenn die Feuerskelette sie direkt ansehen mußten erstarrten sie. Thelma sah noch, wie die Flammenklinge auf sie zufuhr, da fühlte sie den Kontakt mit einer dritten Knochenfrau und sah den grünen Feuerstrudel, den sie von ihrer ersten Koaparition her kannte, seitdem sie Alexandra Pabblenuts Feuergefährtin geworden war.

"Sie kann uns töten!" Krakehlte Archer, als sie wieder in der Sicherheit des Broomswoodgebäudes war, das mit umfangreichen Verberge und Abwehrzaubern umgeben war. Lady Alexandra wiegte den brennenden Schädel. "Sie hat dieses Schwert. Sie hat dieses vermaledeite Schwert, mit dem Drachen und Vulkane gebändigt werden können!!"

"Was ist das für eine Waffe?" Wollte Donna Moreland wissen, die zusammen mit Thelma und den noch nicht von der fürchterlichen Feuerklinge berührten geflohen war.

"Eigentlich war es ein Mythos, eine Legende, eine Geschichte, die Zauberer und Hexen sich erzählten, die meinten, das alte Atlantis habe es gegeben, wo gottgleiche Magi gelebt haben sollen, die alle Zaubermacht über die Elemente errungen hatten. Ein Erzfeuermagier soll ein Schwert geschmiedet haben, in dem alle Macht über das Feuer eingewirkt wurde. Ich hielt diese Waffe eben nur für eine Erfindung. Doch dieser Schlagetot Voldemort hat sie einmal besessen und dann wieder verloren. Ich wußte nicht, daß die Spinnenfrau sie jetzt hat. Das ist wohl die einzige wirklich gefährliche Waffe. Wenn wir sie demnächst angehen müssen wir mindestens zu zehnt auf sie einstürmen. Denn das Schwert vermag alle magischen Feuer zu löschen, die es berührt und gewährt wohl tatsächlich Macht über dem Feuer verbundene Wesen, zu denen wir auch gehören. Hast du wirklich alles aus deiner Habe verschwinden lassen, Donna?"

"Ich habe alles verbrannt, von dem du sagtest, daß es mich an zu wichtige Ereignisse erinnert, Lady Alexandra", erwiderte Donna. "Ich wollte gerade mit den anderen wieder disapparieren, als dieses Spinnenweib aufgetaucht ist und mir mit telekinetischer Kraft meine eigene Kleiderschranktür mit Spiegel vor die Augen gehängt hat. Ich wußte nicht, daß ich mich nicht im Spiegel ansehen darf. Es hat mich regelrecht eingefroren", beklagte sich Donna Moreland.

"Ich weiß, ich hätte es euch gleich nach unserer Ankunft erläutern müssen, daß wir nicht so unbeschränkt handeln können, wie es für euch alle zunächst aussah", räumte Pabblenut einen Unterlassungsfehler ein. "Jetzt, wo ich die furchtbare Gewißheit erlangt habe, daß unsere Todfeindin das legendäre Schwert der Vorzeit besitzt, gilt es sowieso, uns besser vorzubereiten." Sie erzählte nun ihren grün lodernden Gefährtinnen, welche Nachteile ihre neue Daseinsform barg. Im großen Speisesaal von Broomswood hockten sie alle zusammen, darauf bedacht, das sie umkleidende Feuer nicht ausufern zu lassen, um keine weiteren Stühle anzusengen, wie sie es bei ihrer Ankunft versehentlich angerichtet hatten.

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Benchwood erfuhr zwar davon, daß es zu einem Zusammenstoß zwischen den Feuerskeletten und einem nichtministeriellen Gegner gekommen war, bekam jedoch nicht mit, um wen genau es sich gehandelt hatte. Als er Elysius Davidson vom Laveau-Institut darauf ansprach beteuerte dieser, daß es sich auch nicht um einen Mitarbeiter seines Institutes gehandelt hatte. Damit blieb nur die schwarze Spinne als mögliche Widersacherin. Benchwood hatte seine Leute losgeschickt, um das Moreland-Haus zu untersuchen. Doch diese kamen zu spät. Es brannte lichterloh, und von einem möglichen Kampf war nichts mehr zu sehen. Was noch vertrackt war war der Umstand, daß selbst die sonst so treffliche Rückschaubrille aus Frankreich nicht wiedergeben konnte, was sich in jüngster Vergangenheit dort zugetragen hatte. Es war wie ein schwarzblauer Nebel, der genau den Zeitraum überdeckte, in dem sich der Zusammenstoß zugetragen haben mußte. Er wußte mittlerweile, daß zu einem Bestimmten Zeitpunkt wirksame, dauerhafte Unortbarkeitszauber die Rückschaubrille stören konnten. Also hatte sich der Gegner gegen diese Art von Ermittlungszauber abgesichert. Was das mit dem geschmolzenen Spigel sollte, der im ehemaligen Wohnzimmer Morelands gefunden worden war, wußte der Ministerialbeamte nicht.

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"Ich komme nicht mehr an die FBI-Daten dran. Die haben mein Passwort verändert, diese Sausäcke", knurrte Zachary, als er sich mit den Kolleginnen Brenda und Justine Brightgate im gerade nicht benötigten Haus des absoluten Friedens traf, in dem keine Flüche wirkten und das gegen alle bekannten Fernbeobachtungszauber abgeschottet war. Brenda, eine zierliche, rotblonde Hexe mit denselben stahlblauen Augen wie ihre Cousine, ähnelte nicht nur vom Haar, sondern auch von Kinn und Form der Ohren Alexis Ross, erkannte Zachary, der sich von Berufs wegen kleinste Details in Gesichtern einprägte. Sie sah den erst seit einem Jahr im Laveau-Institut arbeitenden Kollegen an und sagte:

"Ich mußte die von mir eingerichtete Hintertür benutzen, um rauszukriegen, daß einer der Inlandsbeobachter bei einem schweren Verkehrsunfall umgekommen ist, kurz bevor jemand eine Entführung mit einem Kampfhubschrauber beobachtet haben will. In der Nähe des Unfallortes stand ein Fiat, der auf einen gewissen Ernesto Torricelli zugelassen war und ein Buick, der einer Firma namens Eri Enterprises gehört und im Verdacht steht, mit einer Mafia-Familie in Detroit verbunden zu sein."

"Verdacht? Wir vom FBI hatten einen genialen Spion in der Cosa Nostra, der uns das bestätigt hat, das die Firma Doppel-E mit der führenden Cosa-Nostra-Familie in Detroit verbunden ist. Da wird Geld aus kriminellen Einkünften in saubere Unternehmensgewinne umgemünzt. Außerdem will die DEA erfahren haben, daß die Firma Eri Enterprises Rauschgift in Autoteile einschweißt, um damit gespickte Autos nach norden über die Grenze nach Kanada zu schmuggeln. Deren verdeckter Ermittler ist aber vor vier Monaten auf den Badezimmerfliesen ausgerutscht und in die volle Badewanne gefallen, wo er mit dem Gesicht nach unten erst zwei Stunden später gefunden wurde. Wir und die Jungs von der Drogenfahndung käbbeln uns seit dem darum, wer den Boss der Eri Enterprises hochnehmen darf."

"Moment, was machte dann der Wagen dieser fragwürdigen Firma bei dem Fiat dieses Torricelli?" Fragte Justine und sah ihre Cousine an.

"Tja, wüßten wir jetzt auch gerne. Mit Wir meine ich die Firma, bei der ich nebenberuflich arbeite", erwiderte Brenda.

"Tja, wenn das Büro aktuellere Berichte über Watkin und Genossen bekäme wäre das durchaus drin, daß wir unsere Akten über Eri und die detroiter Familie rüberreichen", feixte Marchand.

"Offiziell weißt du das aber nicht, Zach. Da müssen deine Muggelweltkollegen ran", wies Justine ihn darauf hin, daß Marchand gerade auf Eis lag. Das er Kontakte zur CIA hatte durfte weder bei denen noch beim FBI jemand wissen.

"Okay, gehen wir mal davon aus, Torricelli war der Kontaktmann von dem, der dem Colonel das Honorar übergeben hat. Dann müssen wir den Kerl finden, bevor der Colonel den ausquetschen kann. Denn euch dürfte klar sein, daß diese Aktion über einige Stationen weg von Nocturnia gesteuert wurde. Also hat die neue Königin von Nocturnia sich bereits ranghohe Mafiosi gesichert. Das wäre schon der zweite Hinweis auf die sogenannte ehrenwerte Gesellschaft."

"Welcher noch?" Fragte Brenda. Marchand erwähnte die Entführung und den Tod von Cecil Welllington, der im August die Drähte zwischen den Staaten und Frankreich hatte glühen lassen.

"Achso, und ihr meint, dieser junge Mann sei wegen irgendwas zum begehrten Objekt dieser Verbrecherbanden geworden?" Wollte Justine wissen. Zachary teilte ihr seinen Verdacht mit, den er seit der Flugzeugexplosion über dem Atlantik hegte.

"Oh, dann könnten wir Cartridge drauf bringen, die Übereinkunft mit der schwarzen Spinne zu widerrufen. Denn wenn sie wirklich diesen jungen Mann hat umbringen lassen, weil er für sie spioniert hat und nun wertlos wurde, weil sein Vater in Ungnade fiel ..."

"Tja, müßten wir beweisen, was wir nicht können", grummelte Marchand. "Sicher würde Cartridge die Übereinkunft lieber gestern widerrufen. Aber dann hätten wir drei Fronten in den Staaten: Nocturnia, die grünen Knochenfrauen aus der LRH und die schwarze Spinne." Justine verzog das Gesicht. Das mit den brennenden Skeletten war ein schwerer Schlag für das LI. Damit stand das bis heute so erfolgreiche Institut nun auf sehr wackeligen Füßen, wenn es nicht bald gelang, diese neue Bedrohung einzudämmen, bevor es neben Vampiren und Wergestalten noch von magischem Feuer umkleidete Knochengerüste gab, die sich nach Belieben vermehren konnten. Aber das LI arbeitete bereits auf Hochtouren.

"Ich will diesen Watkin und diesen Torricelli. Torricelli weiß, von wem er beauftragt wurde, und der Colonel gehört in ein Bundesgefängnis, weil er meine Eltern hat entführen und Benson und seine Mutter und wen noch alles dabei hat umbringen lassen. Außerdem will ich mich für die Peinlichkeit revanchieren, daß die mich in diesem Strampelanzug haben antreten lassen."

"Du weißt, daß Cartridge auch einen Mitarbeiter in der Firma hat?" Fragte Brenda.

"Ja, Ira Waterford, der auch mal gerne als einer vom FBI auftritt, wenn ihm danach ist. Weiß der, daß du für das LI arbeitest, Brenda?"

"Natürlich weiß er das. wir müssen ja im Zweifelsfall zusammenarbeiten, wenn etwas magisches ins Visier der Firma gerät", erwiderte Brenda. "Aber der ist in einer anderen Abteilung für Auslandseinsetze tätig, während ich in der Abteilung für Verschlüsselung und Aufklärung arbeite. Der mußte mir das mit der Rückschaubrille absegnen. Der wird mir aber nicht die Akten geben, die das FBI haben will. Da wird er die wohl selbst hinbringen, wenn klar ist, daß Watkin mit Nocturnia Fühlung hatte."

"Vergiß es, Bren, deine Kollegen werden den Muggel umbringen, damit der bloß nichts ausplaudern kann", stellte Justine klar.

"Hm, kommst du an die Akten dran, ohne daß Waterford das mitkriegt?"

"Ich bräuchte einen Grund, warum ich an den abgeschotteten Zentralrechner müßte", sagte Brenda Brightgate. Zachary lieferte ihr einen: "Verbindungen und Querverweise Schulkameraden von Watkin und dessen Kameraden zu italoamerikanischen Einwanderern mit möglichen Verbindungen zu den Mafiaorganisationen. Ich kenne da einige Namen, nach denen ich suchen würde, um zu testen, ob der Colonel mit denen mal privat oder geschäftlich in Verbindung trat."

"Ich kann leider keine Liste mit Namen in den Betrieb mitnehmen, um die einzutippen. Wie gut bist du in Melo?"

"Würde zu lange dauern, jede Frage zu übermitteln, Bren. Der Zentralcomputer wird sicher von einer Schutzmannschaft bewacht und die Zeit der daran arbeitenden Leute gestoppt."

"Ihr habt sicher auch eine Hintertür zum Büro, oder?" Wollte Marchand wissen.

"Ja, haben wir. Aber sag das deinem Muggelchef besser nicht, falls der das nicht sowieso schon ahnt!" Erwiderte Brenda.

"Hmm, die haben mir zwar den Zugang über das popelige Internet verbaut, ich könnte aber mit einem Passwort auf eine Datenbank zugreifen, die ich im August überprüfen mußte. Da habe ich in weiser Voraussicht eine Hintertür eingebaut. Ich kann dir die Passwwörter nennen."

"Wie gesagt, würde beim Mentiloquieren zu lange dauern, sofern Brenda da wirklich rangelassen wird", erwiderte Justine. Brenda nickte betreten. Sie erwähnte, daß sie nur ihren Zauberstab in die Firmenzentrale schmuggeln konnte. Ihre Handtasche würde beim Betreten andauernd durchleuchtet und beim Betreten wie Verlassen von Hand durchsucht. Da die Durchsuchungen zudem auf Video mitgeschnitten würden konnte sie keinen Ich-seh-nicht-Recht- oder Desinteressierungszauber auf ihre Handtasche anwenden.

"Haben wir Bicranius' Elixier der mannigfachen Merkfähigkeit?" Fragte Zachary Justine. Diese nickte. "Dafür will Quinns Zaubertrankwart aber immer eine Quittung mit genauer Begründung. Und im Moment will Davidson es sich nicht noch mehr mit dem Minister verscherzen."

"Mist, dann müssen wir doch mentiloquieren, weil ich dir nicht in einer Stunde alle Namen und Bezugsdaten beibringen kann, wo ich selbst sehen müßte, wer alles interessant und wichtig ist."

"Achso, du weißt nicht alle Namen?" Fragte Brenda.

"Die wichtigsten ja. Aber die Datei, die ich überprüft habe enthält mehr als zwanzigtausend Datensätze, gesammelt über mehr als fünfzehn Jahre. Unser eingeschleuster Ermittler hat fast das ganze Netzwerk der Nordstaaten ausgekundschaftet. Wenn ich aber vergleichen will, wer mit den Watkin-Leuten zu tun hatte muß ich die Dateien abgleichen, die die CIA hat."

"Mit anderen Worten, du müßtest eigentlich selbst an unseren gesicherten Rechner ran, um die Untersuchung zu machen", erwiderte Brenda. Justine grinste. Offenbar hamüsierte sie irgendwas.

"Tja, nur daß ich bei eurer Firma als FBI-Mensch bekannt bin und als Besucher gerade mal in einem Randbezirk eures Zentrums geduldet wäre. Außerdem habe ich ja diesen Urlaub, der sicher von ganz oben verordnet worden ist. Das würde auffallen."

"Toll. Ich habe den Körper, um reinzugehen und kenne auch die wenigen Passwörter, um deine Anfrage zu machen. Du hast die Idee, warum ich das machen soll und kennst die bei euch liegenden Daten und kannst dran. Was machen wir da?" Justine grinste breiter. Zachary verstand, worauf die Frage abzielen sollte. Er durfte nicht aktiv suchen. Andererseits kam es vielleicht auf jede Sekunde an, den Colonel zu erwischen, bevor seine früheren Beschützer oder gar Nocturnias Mafia-Marionetten ihn fanden. Denn denen war durch Torricellis Entführung quasi auf die Nase genagelt worden, wer diese Frechheit begangen hatte. Dann sah er Brenda genauer an. Sie entspannte sich, drehte sich ihm zu und lächelte.

"Haben wir Vielsaft-Trank im LI?" Fragte er, als er Brendas hochgewachsene Figur, ihr Gesicht und die rotblonden Haare eingehend betrachtet hatte. Sie wirkte wirklich wie eine Cousine zweiten oder dritten Grades von Alexis Ross.

"würde ich nicht empfehlen, weil ihr nicht wißt, wielange ihr für die Suche bräuchtet", sagte Justine. Brenda überlegte, ob sie das wirklich wollte. Dann grinste auch sie.

"Ich kann dir meinen Körper für einen Tag ausleihen. Das dürfte sicher reichen", sagte sie erheitert. Zachary verstand. So ging es auch. Jetzt wurde ihm aber etwas mulmig. Er sollte einen ihm fremden Körper benutzen, um an geheime Sachen zu kommen. Körpertausch oder Körpernachahmung durften aber nur auf ausdrücklichen ministeriellen Befehl hin verwendet werden. flog das auf waren er und Brenda dran. Aber das LI hatte sicher schon ohne Genehmigung des Ministeriums Vielsaft-Trank und andere Verwandlungszauber benutzt. Justine war ja das Paradebeispiel, wie nützlich eine Wandlungsfähige Mitarbeiterin im LI war. Dann sagte er mit belegter Stimme:

"Ich weiß nicht, ob ich nicht auffliege, wenn ich mich in dich verwandeln lasse. Ich müßte erst lernen, wie du gehst, stehst und sitzt, welche Gesten und Minen du bei wem auch immer machst und so weiter, um nicht aufzufliegen."

"Gut, fangen wir gleich in der Nacht damit an", sagte Justine. "wir starten da, wo du gerade offiziell im Urlaub bist." Zachary nickte Justine zu. Die Würfel waren gefallen. Wenn das, was Brenda als Fall Rubicon bezeichnet hatte, noch verhindert werden konnte, dann mußte er da durch. Außerdem, das stellte er fest, hatte es ihn immer schon interessiert, einmal das Geschlecht zu wechseln, und sei es für eine Stunde, um sich anzufassen und zu fühlen, wie welche Berührung auf eine richtige Frau wirkte.

"Willst du das wirklich? Wir müßten das unter Umständen vor Davidson rechtfertigen", sagte Brenda Brightgate, die über die Aussicht, einen Tag lang Zach Marchand sein zu sollen, nicht so heftig aufgewühlt war wie Zachary.

"Wir erklären ihm, daß jetzt offenbar ist, daß Nocturnia den Colonel sicher als störenden Mitwisser jagen wird und wir nur über die CIA-Daten an ihn herankommen", sagte Justine. Damit stand es fest. Morgen würde Brenda Brightgate die Datenbänke der CIA prüfen.

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Eisgekühlter Maiskolben, so wurde Phyllis Greendale abschätzig und hinter ihrem Rücken von den vor allem männlichen Kollegen genannt. Die schlanke, biegsam gebaute Hexe mit dem fließenden Blondschopf wirkte wirklich wie ein in eine Frau verwandelter Maiskolben. Doch wo ihr Körperbau und Haar ihr eine gewisse Attraktivität verschafften, überlagerte ihre strickte Ablehnung männlicher Gesellschaft diese äußerlichen Vorzüge. Das lag daran, daß sie als Waisenkind von Thelma Archer aufgezogen und in ihrem Haus von Broomswood zur Ablehnung männlicher Annäherungsbedürfnisse erzogen worden war. Nach der Schule war sie, weil sie die Ablehnung der Haltlosigkeit der Quodpot-Spielerinnen und -spieler eingeprägt bekommen hatte, zur Besenmanufaktur Bronco gegangen. Zwar mißfiel ihr das Getue und Geprahle der Miteigentümerin Gildfork. Doch die Bezahlung war gut, und sie konnte ihre Begeisterung für den Besenflug zu Galleonen Machen. Vor allem auf Testreisen für Besen in der Entwicklungsphase klimperte eine Sondergratifikation von mehreren hundert Galleonen in ihrem Verlies bei Gringotts.

Sie war es gewohnt, sehr wenige Briefe zu erhalten. Meistens schrieben ihr nur Thelma Archer, ihre Ziehmutter und Hauslehrerin, sowie ihre drei einzigen Schulfreundinnen Mary Portland, die eine ehemalige Broomswoodschülerin zur Mutter und einen New Yorker Muggelweltpolizisten zum Vater hatte, Joan Hardley, die schon die fünfte Generation von Broomswoodschülerinnen ihrer Familie verkörpert hatte und Elizabeth Whitecloud, deren Mutter euroamerikanische Hexe und deren Vater ein Medizinmann der Sioux war. Alle drei waren in die neue Liga rechtschaffender Hexen eingetreten, die gegen die haltlosen und verbrecherischen Hexen dieser Welt Front machte. Am siebenundzwanzigsten September sollte es eine Abstimmung geben, weil sich einige der zu Familienhexen mutierten Mitglieder sorgten, die harte Linie Professor Pabblenuts würde sie in der Gesellschaft schlecht aussehen lassen. Mary hatte geschrieben, daß vor allem Blueberry und Thornbrook Bedenken gegen eine härtere Vorgehensweise gegen den widerlichen Spinnenorden und die ledigen Mütter Summerhill und Hemlock erhoben hatten. Professor Archer bedauerte in einem Brief, daß sie, Phyllis, wegen ihres Berufes nicht zur Abstimmung kommen konnte. Allerdings - und das verwunderte Phyllis Greendale sehr - hatte ihr bis jetzt niemand geschrieben, wie die Abstimmung ausgegangen war. Da sie wegen ihres dauernden Reisens auch keine Zeitungen abonierte wußte sie auch nicht, was seit diesem Tag in der nordamerikanischen Zaubererwelt vor sich gegangen war. Jetzt, am dritten Oktober 1999, wollte sie wissen, woran sie war. So beschloß sie, ein Kontaktfeuergespräch mit ihrer hochverehrten Fürsorgerin und gestrengen Hauslehrerin Professor Archer zu führen. Da es sich nicht gehörte, mal eben den Kopf in anderer Leute Kamin hinüberzuschicken, ohne vorher zu wissen, ob das gelegen kam oder nicht, benutzte sie das Abschlußgeschenk, daß Thelma Archer ihr nach dem Verlassen der Schule überreicht hatte: Es war ein mannshohes Bild, daß die Schulgründerin Amapura Daphne Broomswood zeigte. Die im Alter von stolzen neunzig Jahren portraitierte Hexe trug weite, alle Merkmale ihrer Figur verhüllende, dunkelblaue Kleidung. Ihr damals noch tiefbraunes Haar war zu einem sehr strengen Knoten hinter ihrem Nacken gebunden und verschwand unter der blaßblauen Haube, die die Hexe auf dem Kopf trug. Auf dem Bild trug sie das Buch der goldenen Hexenregeln, die Schulordnung von Broomswood, unter einem Arm und hielt ihren schlanken Zedernholzzauberstab mit den Schweifhaaren einer altgedienten Einhornstute in der rechten hand. Sie selbst hatte das über zweihundert Jahre alte Tier damals eingefangen und ihm ohne Kampf drei lange Schweifhaare entnommen, weil sie bis zu ihrem Tod den Genüssen körperlicher Liebe entsagt hatte und das Einhorn sie deshalb wie ein junges, beschützenswertes Mädchen ansah. Dieses Einhorn lebte nicht mehr. Muggel behaupteten, diese Tiere seien unstärblich. Doch auch die so prächtigen Zaubertiere wurden nicht älter als dreihundert Jahre.

"Hochgeehrte Meisterin, bitte erfragt bei Eurem Ebenbild bei Professor Archer, ob es mir gestattet sei, mit ihr sprechen zu dürfen!" Bat Phyllis die gestreng wirkende Hexe auf dem Bild. Diese verzog das Gesicht. Es wirkte, als ob das gemalte Ich der Schulgründerin mit einem sehr betrüblichen Gedanken rang, den sie nicht aussprechen konnte oder durfte. Dann seufzte sie: "Professor Archer wohnt nicht mehr in ihrem Haus. Sie ist zu Professor Pabblenut nach Broomswood gezogen. - Die Schule - sie wird nie mehr sein, was ich aus ihr gemacht habe. Ihr wollt nicht wirklich mit der sprechen, die einst meine großen Ziele und Werte verkörpern wollte, Jungfer Greendale."

"Warum nicht?" Wollte Phyllis wissen.

"Es sind Dinge eingetreten, die unerhört sind und doch nicht mehr zu ändern sind. Ich lehne sie ab. Doch bin ich dem aufgeprägten Treueid verpflichtet, keine mahnende Stimme dagegen zu erheben. Doch die Schule ist verloren. Sie wird nicht mehr sein, wofür sie vor einem Jahr noch stand", seufzte die gemalte Gründungsmutter.

"Bitte erfragt bei Professor Archer, ob ich von ihr selbst hören kann, was sich bei der Abstimmung zutrug. Mehr wage ich nicht von ihr zu erfragen", erwiderte Phyllis.

"Die Abstimmung geriet zu einem unerwarteten und nachhaltigen Debakel", seufzte Meisterin Broomswood. "Doch will ich nicht den Eid wider die brechen, die bis zur unrühmlichen Schließung meiner Lehranstalt die alten Werte und Gebote gepflegt und unterwiesen hat, so darf ich nicht mehr darüber sagen. Nehmt das hin!"

"Dann haben Professor Pabblenuts Vorschläge keine Mehrheit gefunden, und die Liga ist zerfallen?" Fragte Phyllis voller Unbehagen.

"Mit diesem Gedanken mögt ihr euer weiteres, untadeliges Hexenleben bestreiten, ohne weiteren Verdruß zu erleiden", erwiderte Amapura Broomswood gestreng, als würde sie jede weitere Frage als offenen Ungehorsam betrachten und bestrafen. So verzichtete Phyllis auf eine weitere Frage. Sie verließ die kleine Kammer, die für sie eher einem religiösen Schrein entsprach, weil hier alle Dinge aus ihrer Schulzeit aufbewahrt und gehütet wurden und ging in das kleine Wohnzimmer. Eigentlich konnte sie sich ein wesentlich größeres Haus leisten. Doch die ihr eingetrimmten Bescheidenheitsregeln vergellten es ihr, mehr äußerlichen Reichtum zu präsentieren, als sie unbedingt zeigen mußte. So war denn auch der an das Flohnetz angeschlossene Kamin aus einfachen Ziegelsteinen gearbeitet. Sie entzündete ein munteres Feuer und warf eine Flohpulverprise hinein. Fauchend fuhr eine smaragdgrüne Feuerwand im Kamin auf. Phyllis kniete vor dem Rost nieder und steckte ihren maisblonden Kopf in die Flammenwand. Diese umspielte ihr Haar und ihr Gesicht wie eine warme Sommerbrise. "Halle der goldenen Regeln!" Rief sie hinein.

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"Diese Kanallien haben ihre Häuser selbst abgefackelt", knurrte Anthelia, als sie mit Beth in der Daggers-Villa zusammentraf. Sie hatte einen Trupp dieser grünen Knochenfrauen im Moreland-Haus in Cloudy Canyon Gestellt. Yanxotahrs Schwert hatte einige von ihnen vernichtet. Doch der Rest hatte das Haus bereits angezündet. So war es dann auch mit den anderen Häusern der ehemaligen LRH-Mitglieder geschehen. Wo Anthelia meinte, noch etwas finden zu können, um eine der Knochenfrauen bannen und unterwerfen zu können kam sie genau eine Minute zu spät. Sie mußte wieder einmal feststellen, daß ihre nordamerikanischen Mitschwestern zu wenige waren, um mit einer derartig großen Zahl von Feinden im direkten Kampf fertig zu werden.

"Damit können wir sie dann also nicht unterwerfen?" Fragte Beth.

"Die wissen, daß zumindest ich weiß, wie man sie unterwerfen kann. Sie müssen davon ausgehen, daß auch das Ministerium das erfährt."

"Weil wir auch nicht so früh an die Liste gekommen sind", knurrte Beth McGuire. Anthelia nickte.

"Dann bleibt uns nur, an magieloses Gold zu gelangen und Leute zu bezahlen, es dorthin zu bringen, wo diese Skelette sich verstecken, am besten, wenn sie in ihrem Schlaf liegen."

"Lady Roberta hat ein Buch, in dem eine alte Broomswood-Schülerin kurz vor ihrem Tod die Geheimnisse dieser Schule aufgeschrieben hat. Das Buch darf jedoch nicht aus dem Versteck entfernt werden. Ich habe jedoch die wichtigsten Sachen abgeschrieben", eröffnete Beth. Anthelia horchte auf. Dann bekam sie zwei Pergamentbögen zu lesen. Ihr Gesicht hellte sich mehr und mehr auf.

"Hat diese Amapura es doch wirklich gewagt, den Parthenaemia-protectiva-Zauber Dysmonias vom klaren Tau zu verwenden, um diese Lehranstalt gegen Feinde zu schützen. Alles Heuchelei mit dem Anstand und der Moral, ich wußte es schon immer, von beiden Seiten her."

"Der Name sagt mir nichts, höchste Schwester", gestand Beth ein.

"Es geht mit unberührten Knaben oder unberührten Mädchen. Es muß nur entschieden sein, gegen welches Geschlecht der Zauber gerichtet werden soll. Gut, ursprünglich wurde der Zauber von erwähnter Dysmonia vom klaren Tau erdacht, einer Rivalin meiner Tante Sardonia. Sie hat unberührte Jungfern dazu überredet, freiwillig von ihrem Blut zu geben und dieses mit der Macht des Lebens und der Unberührtheit aufzuladen. Weil sie damals selbst noch unberührt war war sie die Initiatrix, also die Auslöserin. Eigentlich war es gedacht, um Jungen oder Mädchen vor Gewalt zu schützen. Doch Dysmonia hat den Zauber dunkel verkehrt. Wer ihre erklärten Feinde sind werden bestraft. Andersgeschlechtliche werden zu Asche, gleichgeschlechtliche zu Stein. Wer den Zauber wirkt muß das freiwillig gegebene Blut von so vielen Jungfrauen oder noch nicht die Manneskraft erprobten Jünglingen verwenden, wie es Mondumläufe im Sonnenjahr gibt. Offenbar hat diese Amapura einen Milderungszauber mit eingewirkt. Ihr feindliche Hexen werden nur solange zu stein, bis die ordentlich von den Schulzaubern erfaßte Nachfolgerin der Schulleiterin sie losspricht. Dann müssen sie jedoch eilen, den Bannkreis zu verlassen. Denn greifen sie erneut an, so ereilt sie der Versteinerungsfluch erneut. Zauberer werden von heftigen Alpträumen geplagt, die ihnen den Verstand rauben können, wenn sie nicht flüchten. Sind sie einmal vertrieben worden, wollen sie nie wieder dort hin. Außerdem hat die werte Amapura noch mehrere Zauber in die Wände eingewirkt, die jede Hexe überwachen, ob sie bereits geschlechtlich verkehrt hat oder gar ein Kind trägt. Das galt für die Schülerinnen, die in den Wohngebäuden untergebracht waren."

"Interessant, Professor Forester wollte doch damals auch in Broomswood anfangen. Da war sie aber schon mit ihrer Tochter schwanger", erwähnte Beth. Anthelia nickte und erwähnte, daß dieser zweite Zauber ja auch nur ein Aufspürzauber sei, der eine Hexe anzeige, die bereits die Freuden der leiblichen Liebe gekostet habe.

"In Ordnung, aber was nützt uns das jetzt. Okay, das aufgefangene Blut dürfte mittlerweile getrocknet und zu Staub zerfallen sein. Aber der Zauber wirkt sicher immer noch, oder?"

"Davon ist auszugehen", erwiderte Anthelia. "Deshalb müssen wir den einzig wirksamen Gegenzauber wirken. Das dauert aber dreizehn Stunden. Die Skelette werden uns daran hindern, ihn zu wirken, wenn wir es nur mit wachen Exemplaren zu tun haben."

"Was ist der wirksame Gegenzauber?"

"Concordia Avorum, die Eintracht der Großeltern. Hierbei wird Haar von den Köpfen der erstgeborenen Enkel von genausovielen Großelternteilen des Geschlechtes zusammengetragen, wie im Parthenaemia-Protectiva-Zauber unberührte Knaben oder Mädchen einbezogen waren. Der wurde von meiner Tante erfunden, als Dysmonias Zauber bekannt war und Sardonias Schwestern reihenweise versteinerten. Die beteiligten Großelternteile müssen dann ihr eigenes Blut freiwillig geben und eine Formel deklamieren, die aus zwölf Teilen besteht, die jede jeweils eine Stunde lang immer mit den Namen der beteiligten Großelternteile und deren Erstgeborenen Enkeln ergänzt werden. Sardonia hat diese Formel nur in ihrem Vermächtnis niedergelegt. Es wird mir schwerfallen, aber ich werde sie wohl preisgeben müssen, sollte uns nicht bis kurz vor dem Aufwachen der erstentstandenen Skelette einfallen, wie wir an magieloses Gold gelangen und wie wir es transportieren können. Wann treffen sich deine Schwestern zur Nachfolgebestimmung?"

"Morgen, am dritten Oktober", entgegnete Beth McGuire.

"Gut, sollte das Ritual der entmachteten Anführerin dich als legitime Nachfolgerin bestätigen, bitte deine dann hoffentlich einsichtigen Schwestern darum, an Methoden zu forschen, ohne Menschenleben zu gefährden, Gold von den Muggeln zu erhalten und es ohne Magie in die Nähe von Broomswood transportieren zu lassen. Womöglich müssen wir hierzu das gesetzliche Verbot zum Kopieren von Muggelgeld einstweilen vergessen, sofern ihr nicht auf einer Diamantenmine oder einer Goldmine sitzt."

"An Diamanten ist leicht ranzukommen, höchste Schwester. In Afrika und Südamerika werden viele von Muggeln geschürft."

"Ja, und diese Steine müßten dann in reines Gold und Arbeitsstunden umgetauscht werden, zumal viel Gold Begehrlichkeiten bei Dieben und Raubmördern weckt, wie jene, die diesen Erdteil überrannt und erobert haben", erwiderte Anthelia.

"Genial wäre es, in eine Gesellschaft einzudringen, in der eine strickte, nicht hinterfragte Hierarchie besteht. Dann bräuchten wir nur den obersten Befehlshaber per Imperius-Fluch aufzufordern, seinen untergeordneten Stellen zu befehlen, uns das Gold zu bringen", entgegnete Beth. Anthelia witterte eine Falle, weil sie dazu ja die Übereinkunft vergessen müßte. Andererseits half sie ja auch den Muggeln, wenn sie die grünen Skelette vernichtete. Die Frage war eben, wie viele es von ihnen gab. Sie ging von mindestens einer Tonne Gold aus, die benötigt wurde. Vielleicht war das ja möglich. Dann fiel ihr was dazu ein. Doch das wollte sie nicht jetzt vor Beth ausbreiten. Alles mußte sie dann auch nicht wissen.

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Wenn dieser Colonel den Handlanger deines Freundes hat bekommt er über den Zugang zu ihm und über den zu dir", hörte Don Fabritio Lamias Gedankenstimme. Sie wirkte sehr wütend, weil ihr der gewünschte Blutsohn doch entwischt war. Offenbar hatte dieses Hexenweib, daß ihn mit Schutzzaubern gegen Entdeckung verfolgt hatte ihn gerade noch rechtzeitig vor der Explosion der "Regina Noctis" aus dem Hangar disappariert.

"Meine Jungs halten sich zurück, wie abgemacht, Lady Lamia", dachte Fabritio Campestrano zurück. "Außerdem habe ich Probleme, weil die Bertolonis immer noch eine Entschädigung für den Tod ihres Familienmitglieds haben wollen und ich den Stützpunkt auf Sizilien nicht ausbauen konnte."

"Darum kümmern wir uns später. Der Söldner ist ein gefährlicher Mitwisser, Torricelli auch. Warum haben sie den nicht gleich beim Wegfahren verunfallen lassen?"

"Weil die erst mal sehen wollten, ob das nicht außer Landes gemacht werden kann, irgendwo im Amazonas-Dschungel oder so", rechtfertigte Campestrano das Versäumnis seines Freundes Don Mauritio in Detroit.

"Gut, schicke vier unserer neuen Gefährten los und suche die Verbündeten dieses Colonels. Über sie kommen wir an ihn heran. Dann sollen alle die Frage Beantworten, ob sie Bürger, Feinde oder Futter werden wollen."

"Jawohl, Lady Lamia", bestätigte Don Fabritio diesen telepathisch erhaltenen Befehl. Dann war er wieder mit seinen Gedanken für sich alleine.

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Thelma Archer vertrieb sich die Zeit mit dem Studium alter Feuerzauber. Lady Alexandra hatte ihr und den anderen erzählt, daß sie diese nun ohne Zauberstab, rein durch Handauflegen, auf andere Gegenstände übertragen konnten. Ihre Knochenhände glommen dunkelgrün. Sie hatte es endlich heraus, ein Buch zu halten, ohne es in ihrem eigenen, sie umkleidenden Feuer zu verbrennen. Dafür züngelten hellgrüne Flammen von ihrem Brustkorb und Schädel wie ein Heiligenschein aus der Hölle der abrahamitischen Eingottreligionen, um das an den Händen reduzierte Feuer auszugleichen. Sie wollte gerade näheres über das Speichern und beliebige Abrufen von Drachenfeuer lesen, als ein Glockenschlag durch die Hallen von Broomswood tönte. Jemand hatte den Kamin in der großen Halle der goldenen Regeln, dem Speise- und Versammlungssaal der früheren Schule für junge Hexen, betreten oder als Kontaktfeuerstelle gewählt. Das konnte nur eine ehemalige Schülerin, die sich in immer wieder verstärkten magischen Vereidigungen dazu verpflichtet hatte, die Kontaktmöglichkeiten der Schule niemandem zu verraten, der dort nicht zur Schule gegangen war. Mit leichtem knacken und klappern erhob sich das weibliche Skelett, das früher die übermäßig puritanische Hexe Thelma Archer gewesen war. Es legte das gerade studierte Buch auf den Lesetisch und stakste über den weichen Teppich nach draußen. In den Fluren lagen Marmorfließen. Hier mußte die Knochenfrau das sie umkleidende Feuer nicht mehr unterdrücken. Sie marschierte knackend, klappernd und an den Gelenken fast unhörbar schabend zur massiven Flügeltür, auf der in Bronze eine Reliefdarstellung der großen Schulgründerin prangte. Die Tür tat sich ohne Berührung auf. Die Halle war bis auf einen maisblonden Kopf im Kamin völlig leer. Sie erkannte den Kopf als den ihrer Ziehtochter Phyllis Greendale. Sofort erkannte die Knochenfrau, daß Phyllis ihren Kopf nicht mehr zurückziehen durfte, sollte diese nicht verraten, was in ihrer alten Schule vor sich ging.

"Hol die Heimkehrerin in unsere Reihen", durchpulste Thelmas hohlen Schädel Pabblenuts Gedankenstimme. Doch Archer wußte auch ohne den Befehl ihrer neuen Mutter und unbeschränkten Anführerin, was sie zu tun hatte. Sie lief mit weit ausgreifenden Schritten auf den Kamin zu. Ihr Beckenknochen schwang links und rechts aus. Phyllises Gesicht erbleichte. Ihre Augen weiteten sich starr vor Überraschung und Entsetzen. Da hatte die brennende Knochenfrau auch schon ihre gerade wieder dunkelgrün glimmenden Knochenhände vorgestreckt und in das maisblonde Haar der Hexe gegriffen. Mit einem kräftigen Ruck zog sie daran. Phyllis stieß einen Entsetzens- und Schmerzensschrei aus. Fast schien es, als habe Archer den im Kamin sitzenden Kopf von seinem Körper getrennt. Doch die Macht über das Feuer half ihr, die übliche Möglichkeit, einen Kontaktfeuerer vollständig in den Zielkamin zu holen anzuwenden. Laut fauchend wirbelte ein Schemen unter dem immer weiter aus dem Kamin herausgeratenden Kopf. Mit einem Ruck hing Phyllises restlicher Körper anatomisch korrekt unter ihrem Kopf.

"Bei allen guten Geistern, was geht hier vor?!" Kreischte Phyllis, als sie nun ganz und gar in der großen Halle von Broomswood stand.

"Willkommen in unserer kleinen Enklave des Anstands und der Ordnung, Phyllis!" Sprach Thelma Archer. Phyllis erschrak, als sie die Stimme der bis heute so uneingeschränkt verehrten Hexe aus einem grün flammenden Totenschädel hörte.

"Das kann nicht wahr sein", wimmerte die maisblonde Hexe. "Das muß ein Alptraum sein."

"Nein, es ist kein Alptraum. Es ist die große Hoffnung auf Vergeltung und Herstellung der Ordnung", erwiderte der Schädel. Phyllis sah das brennende Skelett, dessen Hände sie am Haar durch die Kaminverbindung hierher gezerrt hatten. Sie roch den Hauch verbrannten Horns. Offenbar hatte ihr Haar unter der Berührung gelitten.

"Sie sind skelettiert. Das ist dunkles Zauberwerk, verwerfliche, finstere Magie", sprudelte es aus Phyllis heraus. Der Hexe war jetzt schon klar, daß sie hier nicht mehr lebend fortkommen würde. Nur der Umstand, daß sie ihrer einstigen Ziehmutter und gestrengen Hauslehrerin gegenüberstand und nicht wußte, wieso diese so unheimlich verändert war, hielt sie ab, den Zauberstab zu benutzen, um sich ihrer Haut zu erwehren. Da ging die Flügeltür auf, und drei weitere weibliche Skelette, deren Knochen von grünen Flämmchen bedeckt waren, klapperten in die Halle hinein.

"Willkommen in der Halle der goldenen Regeln, Ms. Greendale! Ich hoffe, Ihre berufliche Reise erbrachte den gewünschten Erfolg!" Begrüßte eine Knochenfrau die ehemalige Schülerin. Das war Pabblenuts Stimme. Also war auch die hochrespektable Schulleiterin und Mitgründerin der Liga rechtschaffender Hexen ein brennendes Knochengerüst geworden. Phyllis ahnte schon, daß sie nur noch die Wahl zwischen dem Tod oder der unheimlichen Umwandlung hatte, der sich hier offenbar alle unterzogen hatten. Doch ihre Neugier überwand die aufkommende Verzweiflung. Sie fragte hastig, was passiert war. Pabblenut, besser das, was aus ihr geworden war, erzählte es ohne Hast und Reue. Sie erwähnte auch, warum sie, Archer und alle, die ihrem Weg zugestimmt hatten nun als "Kinder Morrigans und Easars" weiterexistierten. "Wir können nur so gegen die allen Anstand verleugnende Bande der Wiederkehrerin kämpfen", beendete Pabblenut. "Denn wir sind unsterblich geworden. Willst du dich uns anschließen, frei und ohne Furcht?" Phyllis wußte, daß diese Entscheidung von ihr verlangt werden würde. Wollte sie so weiterleben? Was wäre, wenn sie den Tod wählte. Denn einfach nach Hause zurückkehren kam wohl nicht mehr in Frage. Sie fragte Thelma Archer, die sie als meistgeehrte wie gefürchtete Person in ihrem Leben ansah, ob sie dann noch frei denken konnte, oder ob sie wie ein Vampir einem tierhaften Trieb unterworfen sein würde. alexandra Pabblenut beteuerte, daß sie weiterhin denken und handeln konnte wie ein Mensch. Das war zwar gelogen, wußte Phyllis jedoch nicht. Und in ihrer augenglicklichen Lage hatte sie auch nicht die Ruhe, darüber nachzudenken. Sie beschloß, den Schritt zu wagen. Sie bat Thelma, ihr zu helfen, in die neue Gemeinschaft einzutreten. Diesem Wunsch kam Archer allzu gerne nach, zumal der entsprechende Befehl ihrer Daseinsmutter und Herrin ja bereits entsprechendes von ihr verlangte.

Phylllis Greendale umarmte die lodernde Knochenfrau. Deren entfleischte Arme schlossen sich zärtlich und dann immer inniger um ihren schlanken Körper. Dann meinte Phyllis, in purem Drachenfeuer zu baden. Sie schrie. Doch gleichzeitig überkam sie das Gefühl einer großen Lust, einer lodernden Begierde, eins mit diesem unheimlichen Wesen zu werden. Sie hatte niemals in ihrem Leben sexuelle Handlungen vollzogen. Doch so mochte es sein, den Rausch zügelloser Fleischeslust zu erleben. Daß ihr Körper von allem Fleisch und Blut freigebrannt wurde empfand sie nicht mehr als großen Schmerz. Es war für sie eher eine Verzückung, eine schmerzhafte, aber doch höchstwillkommene Reinigung. Sie fühlte, wie die Umarmung noch stärker wurde. Dann meinte sie, mit der grünen Flammengestalt vor sich wahrhaftig eins zu werden. Sie hörte ihre Gedanken: "Sei mir verbunden und vertraut, Tochter und Schwester!" Dann erlosch das grüne Flammenmeer. Die Schmerzen klangen unverzüglich ab. Phyllis empfand einen Moment der Bestürzung, weil das so herrliche Gefühl vollkommener Vereinigung verflogen war. Doch dann fühlte sie, daß sie noch mehr mit ihrer früheren Lehrerin verbunden war als vorher. Sie hörte ihre Gedanken, fühlte ihre Stimmung. Sie empfand es als nicht erschreckend, als sie sich leise knackend und klappernd aus der Umarmung löste. Sie erkannte die nun brennenden Arm- und Handknochen nicht als etwas grauenerregendes, sondern als ihre natürliche Erscheinungsform an. Die Umwandlung ihres Körpers hatte auch ihre Persönlichkeit verformt. Jetzt gehörte sie wieder dazu, zur Liga rechtschaffender Hexen. Doch als ihr Alexandra Pabblenut erzählte, daß ihre neue Existenzform auch Nachteile barg, fühlte sich Phyllis ein wenig hintergangen. Doch dann erkannte sie, daß es jetzt sowieso keinen Weg mehr zurück gab.

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Was war in dieser Höhle nicht schon alles geschehen. Hier hatte es Einschwörungen gegeben. Hexen hatten um das unbeschränkte Recht, die anderen Führen zu dürfen auf Leben und Tod gekämpft. Hier hatte sich am 15. November 1997 Anthelia mit der damals noch unumschränkten Lady Daianira duelliert und sich danach als Ungeborenes in ihrem Unterleib wiedergefunden. Später war dann Daianira durch Anthelias List selbst zur Ungeborenen geworden. Donata Archstone war ihr dann nachgefolgt. Doch Hyneria Swordgrinder hatte sie herausgefordert und besiegt. Jetzt mußte diese Hyneria selbst als Kind von Pflegeeltern neu aufwachsen. Im Grunde kreuzten sich in dieser Höhle die Wege von Geburt und Tod auf unbegreifliche Weise.

Beth McGuire saß ruhig mit den anderen entschlossenen Schwestern zusammen. Derer waren es jetzt auch nicht mehr viele. Denn nach Hynerias Angriff auf die zu Lysithea gewordenen Daianira hatte Roberta Sevenrock allen freigestellt, in die Reihen der zu zögerlichen Schwestern zurückzukehren. Außerdem fehlten zehn ehemalige Mitschwestern, die von Hynerias grünem Nebel eingehüllt und in grünen Kristall eingeschlossen worden waren. Beth wußte, daß Anthelia gerne wissen wollte, wo diese ihr zugetanen Mitschwestern waren. Sie dankte der mütterlichen Macht der Schöpfung dafür, daß sie selbst damals für Lady Roberta etwas erledigen mußte.

"Die große Führerin Lady Lavinia kann nicht zu uns kommen. Womöglich ist sie gefangen, tot oder in einem Zustand, in dem sie nicht mehr mit uns hier in Verbindung treten kann", begann die älteste der noch verbliebenen Schwestern die Eröffnungsworte des Rituals zu sprechen.

"Drum müssen wir die Macht unserer heiligen Höhle fragen, ob Lady Lavinia noch lebt. Ist sie nur gefangen, so werden wir warten, bis ihre Stimme uns erreicht. Jene, die ihr folgen will wird dann erstarren, bis Lavinias Stimme für alle unsere Ohren zu hören ist", setzte die zweitälteste Schwester fort.

"Ist sie jedoch machtlos oder tot, so wird jene, die ihr folgen will vom Licht der Lenkung erleuchtet", setzte die zweitjüngste Schwester fort.

"So wählen wir die, die der großen Führerin folgen will und stellen sie der Probe", vollendete die jüngste Mitschwester diese wichtigen Worte. Alle hatten ihre Zauberstäbe in Händen und genau senkrecht nach oben gerichtet.

Neben Beth McGuire stellte sich auch Mara Sperlock, die derzeit mit hundert Jahren älteste Hexe, die jedoch nie Ambitionen auf die Führungsrolle gezeigt hatte. Offenbar traute sie Beth nicht weit genug. Ellen Stapleton, eine gerade dreißigjährige Hexe, bewarb sich auch. Die Abstimmung erfolgte mit Zauberstabfunken. Die älteste zählte die Stimmen. Grün war für Zustimmung, Rot für Ablehnung, Silbern für enthaltung.

"So frage ich euch, meine Schwestern, wollt ihr, daß unsere Mitschwester Beth McGuire sich der Prüfung stellt?" Aus den Zauberstäben schossen Funken. Beth zählte mit. Sie kam auf fünfzig Funkensprüherinnen, darunter sechsundzwanzig grüne, zwanzig rote und vier silberne. Nicht gerade eine erschöpfende Mehrheit. Nun wurde um Abstimmung für Mara Sperlock gebeten. Die zu wählende stimmte diesmal nicht mit. Vorhin hatte sie silberne Funken versprüht. Sie erhielt von fünfzig Wählerinnen dreiundzwanzig Ja-, zehn Nein- und siebzehn Enthaltungsfunken. Dann wurde noch um die Abstimmung für Ellen Stapleton gebeten. Diese kam auf vierundzwanzig grüne, zwanzig rote und sechs silberne Funkenfontänen. Mara Sperlock verkündete dann, daß gemäß der alten Vereinbarung diejenige sich der großen Frage stellen müsse, die die meisten Zustimmungen erhalten habe. Das hieß, daß Beth trotz nur zwei Stimmen mehr vor Ellen das Ritual durchlaufen sollte.

Wie bei einem Nachfolgeduell mußte sich die Herausforderin in der Mitte der Höhle in einen von zwölf Mitschwestern gezogenen Kreis stellen. Dann richteten alle ihre Zauberstäbe auf den Kreis und sangen zusammen mit Beth:

"O hohe Gunst der Hexenmacht,
höre uns und habe Acht!
Unsre große Herrin schwand,
ist nicht hier uns wohl zur Hand.
Frage sie ob sie noch weilt
oder aus der Welt enteilt.
Höre Schwester geb dich Kund,
aus der großen Mächte Mund.
Ist sie fort so fragen wir:
Soll Schwester Beth nun folgen ihr?
Ist sie fort, so fragen wir:
Soll Schwester Beth nun folgen ihr?"

Dieses Lied sangen die Hexen und tanzten dabei mit auf den Kreis zielenden Zauberstäben. Eine Lichtwand baute sich auf, während Beth ruhig auf dem Punkt stehenblieb. Viermal erklang das Lied. Dann fünfmal. Beim sechsten Mal glühte ein weißes Licht unter der Decke, es wurde zu einer Säule, die nach unten wuchs und genau um Beths Körper herumdem Boden entgegenstrebte. Als das Lied noch einmal erklungen war, berührte die Säule den Boden. Da war es wie eine weiße Flamme, die genau dort emporstach, wo Beth stand. Sie wurde in die Luft geschleudert und auf halber Höhe über dem Kreis angehalten. Dann glühte sie von innen her in weißem Licht auf. Es breitete sich aus und verband sich mit der magischen Säule. Diese wuchs dann in die Breite und berührte den aus einer flimmernden Lichtwand bestehenden Kreis. Dieser erstrahlte nun auch in einem blendendhellen Weiß. Dann erlosch das Licht schlagartig. Der Kreis war verschwunden. Beth konnte sich noch bewegen. Sie war noch Herrin ihres Körpers und ihrer Sinne. Sie war von dem Ritual als Nachfolgerin Lavinias bestätigt worden. Alle, die ihr ihre Zustimmung gegeben hatten klatschten nun in die Hände. Alle, die sich enthalten hatten, weil sie wohl hofften, daß Lavinia noch lebte, nickten ihr nur zu. Die gegen sie gestimmt hatten sahen enttäuscht auf den Punkt, an dem die Lichtsäule aus der Decke gekommen war.

"Salve Soror et Mater! Te salutamus in circo nostro!" Rief Mara Sperlock die neu erwählte Führerin aus. Das war nötig, da nicht durch ein Duell entschieden worden war, wer diese Rangstellung übernehmen sollte. Beth bedankte sich bei allen, die für sie gestimmt hatten und versprach allen, die gegen sie gestimmt hatten, daß diese auch weiterhin ihre Schwestern bleiben und von ihr keinen Schaden zu befürchten hätten, solange sie sie nicht an Leib und Leben bedrohten. Danach fand die erste Sitzung der wieder aktionsfähigen Gruppe der sich selbst die Entschlossenen nennenden Schwestern statt. Beth erwähnte, daß es galt, gegen die neue Bedrohung durch die brennenden Knochen vorzugehen. Da sie nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen wollte, daß sie von Anthelia einen wichtigen Hinweis bekommen hatte, erwähnte sie, daß danach gesucht würde, wie die Macht der Skelette zu brechen war. Am Ende sagte sie noch:

"Sollte es sich erweisen, daß diese Wesen gegen alles magische gefeit sind und wir daher nur mit unmagischen Mitteln gegen sie vorgehen können, so werden wir ergründen müssen, wie wir, ohne Magie anzuwenden, an diese Mittel kommen, besser, diese Mittel dort hinbefördern können, wo wir die grünen Knochenfrauen zu treffen wissen."

"Das ist die alte Pabblenut und ihre Bagage fortpflanzungsablehnender Hexen. Dann hängen die wohl in der alten Akademie hrum, wo keine Schülerinnen mehr dort hingelassen werden", stieß Ellen Stapleton aus. Die meisten nickten.

"Warum ist das Ministerium dann noch nicht dort und hat sie umzingelt?" Fragte Beth McGuire.

"Weil man da als lebensfrohe Hexe nicht mehr reingelassen wird und Zauberer da genauso zurückgehalten werden, wie es mit unserer Versammlungshöhle der Fall ist", erwiderte Saga Carfax, eine der Schwestern, die sich bei allen drei Abstimmungen enthalten hatten. Beth bestätigte das. also sei zu klären, wie die Schule abgesichert sei. Die Todesser seien schließlich auch bis Hogwarts vorgerückt, obwohl die Schule von starken Schutzzaubern umhüllt war. Das leuchtete allen ein. Dann erfuhr Beth, daß sich der Minister und der Leiter für Strafverfolgung heute im Laveau-Institut treffen wollten, da Davidson wohl ergründet habe, wie den grünen Skeletten beizukommen sei. Darauf vertagte Bethdie Zusammenkunft, bis klar sei, wie das ginge und wie sie in die Schule Broomswood hineingelangen könnten. Am Ende verabschiedeten sich alle mit dem Gruß "Semper Sorores!" Für immer Schwestern.

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Ja, es war ungewohnt. Doch nach drei Stunden Bewegungsübungen und Mienenspiel vor dem Spiegel seines Hotelzimmers wußte er zumindest, daß er nicht wegen einer zu männlichen Grimasse auffliegen würde. Damit war er bereit für die Operation Machiavelli. Sie hatten dieses Unternehmen deshalb nach dem italienischen Staatsphilosophen benannt, weil dieser die Anschauung vertrat, daß ein Herrscher sich alles erlauben und erstreben konnte, sofern er damit mehr Macht und Erfolg erringen konnte. Daraus war auch die Rechtfertigung entstanden, daß der Zweck die Mittel heilige.

"Okay. Brenda bleibt hier im Hotel und genießt das Muggelfernsehen, damit sie nicht am nächsten Tag sonnenbraun in ihre Firma zurückkehrt", scherzte Justine. Du, Zach, kommst mit mir, um noch ein paar Stunden Schlaf zu genießen. Die wichtigsten Sachen kannst und kennst du ja jetzt."

"Ja, ich hoffe nur, daß ich vor gewissen Sachen Ruhe habe, die euch Hexen seit der Pubertät immer wieder heimsuchen", grummelte Zachary. Er hatte sich daran gewöhnt, vorübergehend eine Frauenstimme zu haben. Auch mit dem rotblonden Schopf, der nun bis über seine Schultern herabreichte kam er klar. Nur die Kleidung und die ihm unvertrauten Körperformen irritierten ihn noch ein wenig. Aber in nur noch einundzwanzig Stunden hatte er das auch hinter sich.

Justine apparierte mit Zachary in ihrem eigenen Haus. Brenda war eben mal wieder auf Besuch bei ihr. Zachary durfte in einem Gästebett schlafen. Doch der ihm durch den Intercorpores-Permuto-Zauber übergestreifte Körper ließ ihn keine bequeme Einschlafhaltung finden. "V. I. Negativ", hatte Justine ihm gesagt, als er sich vor den Ankleideübungen einmal ganz nackt vor dem Spiegel angesehen hatte. Was hatte ihm Martha Eauvive verwitwete Andrews erzählt? Wenn sich in Frankreich eine Hexe und ein Zauberer über fünf Lebensjahren einmal nackt ansahen, die nicht miteinander verwandt waren, galt das als unausgesprochenes Heiratsversprechen. Jetzt steckte er in Brendas Haut und mußte sie zwangsläufig mal nackt sehen. Aber er lebte in den vereinigten Staaten von Amerika, wo das mit dem Heiratsversprechen nicht galt.

Als er auf die Geräusche der Nacht hörte und endlich einen ruhigeren Atemrhythmus fand, um den ausgeprägteren Brustkorb zu heben, fragte er sich schon, mit welcher der beiden Cousinen er ein kongenialeres Duo abgeben konnte. Brenda war in ihrer Muggelweltarbeit eine wichtige Ergänzung zu seiner Muggelweltarbeit. Dafür hatte Justine ihm gegen die Vierbeins geholfen. Ob das nur ein reines Miteinander von Kollegen blieb wußte er nicht. Er hatte Jane Porter nur einmal sagen hören:

"Davidson hält nichts von Ehepaaren im LI, weil das die Einsatzfähigkeiten erschweren könnte. Aber der wird ja auch nicht ewig Direktor bleiben. Vielleicht erlebe ich das noch, daß meine Enkeltochter Gloria bei uns anfängt und sie einen netten Zauberer dort findet, mit dem sie ihr Leben verbringen will."

Mit diesen Gedanken schlief Zachary Marchand ein.

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Sie war gerade erst eine Minute alt und wußte sofort, daß sie nicht lange leben würde. Das magische Feuer, aus dem heraus sie geboren worden war, fiel in dem Moment zusammen, als die glühende Schlange auf dem Kaminrost erschien. Leise zischend wand sich die Aschwinderin aus dem Kamin und kroch, eine qualmende Schneise in den Fußboden brennend, durch das verlassene Haus von Phyllis Greendale. Ihr wenige Minuten währendes Leben kannte nur ein Ziel: Sie mußte die in ihr glühenden Eier legen, aus dem keine Jungen, sondern unbändiges Feuer schlüpfen wollte. Die aus dem viel zu lange brennenden Feuer heraus entstandene Zauberschlange kroch in die Nischen und drückte die rotglühenden Eier aus dem Hinterleib. Diese begannen sofort, Boden und Wandtapeten zu verkohlen. Mit jedem Ei, daß die Aschwinderin aus sich herausdrückte, wurde die Schlange schwächer. Mit letzter Kraft legte sie das letzte von zehn Eiern genau unter den Frisiertisch der Hausbewohnerin. Dann wurde sie von einem Krampf geschüttelt und zerfiel zu grauer Asche. Die von ihr gelegten Eier lösten kleine Brände aus. Doch diese wurden, weil außerhalb des Kamins entstanden, sofort von armdicken Wasserstrahlen und eisblauen Brandlöschzaubern niedergerungen und erstickt. Allerdings ging ein Meldezauber los, der im Versammlungshaus des Weißrosenweges eine große Feuerglocke zum läuten brachte.

Nur eine Minute danach waren Feuerwehrzauberer vor Ort und untersuchten das Haus. Daß der Meldezauber wegen Aschwindereiern losgegangen war stand nach einer weiteren Minute fest.

"Flohpulverfeuer ohne Aufsicht", knurrte einer der in feuerfesten Umhängen gekleideten Feuerwächter. "Hat Ms. Greendale eine zu hohe Dosis benutzt."

Die Feuerwehrzauberer hinterließen eine Benachrichtigung an der Wand dem Kamin gegenüber, daß Ms. Greendale sich für diese Nachlässigkeit vor dem Nachbarschaftsrat des Weißrosenweges verantworten müsse. Dann verließen die Feuerwächter das Haus wieder. Keiner von ihnen kam auf die Idee, das Ministerium zu informieren. Brände, vor allem, wenn sie sofort wieder gelöscht wurden, rangierten zu weit unten auf der Liste der meldepflichtigen Ereignisse. Hätten die Brandabwehrzauberer geahnt, daß das Feuer nur deshalb eine Aschwinderin geboren hatte, weil seine Entfacherin zu einem grünen Skelett geworden war, hätten sie die Meldung sicher gleich an Benchwoods Büro geschickt.

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Kobold war der letzte, der aus den Staaten herübergekommen war. Er hatte noch die Nachrichten geprüft, wie die Sprengung des Lagerhauses in der Öffentlichkeit angekommen war und wen das FBI verdächtigte.

"Das Quartier hier können wir nicht länger als zwei Tage halten. Wenn der alte NSA-Satellit noch da oben herumeiert könnte der doch ein paar Infrarotsignaturen einfangen oder die Elektronik anmessen, die ich zwischendurch verwenden muß", sagte Aldo Watkin.

"Ich frage mich, warum der Hangar explodiert ist", ergriff Spark Plug das Wort. "Ging es diesen Leuten nicht darum, diesen Fed umzudrehen, quasi zu einem neuen Menschen zu machen, weil die das mit der Geburtstagsfeier so nervig oft betont haben?"

"Der hat sich wohl erfolgreich gegen das Umpolen gewehrt", erwiderte Watkin. "Dann ist der denen doch entwischt. Warum sie den Hangar in die Luft gejagt haben will mir auch nicht einleuchten", erwiderte der Colonel. Fruitbat ergriff nun das Wort. Er sprach in die Richtung des Colonels. Doch seine Augen lagen hinter den vollkommen dunklen Gläsern der Spezialbrille, die ihn seine Umwelt hören ließ.

"Dieses Ding, was ihr nicht sehen kontet und sich wie ein Gürtel anfühlte kam mir auch vom Anfassen her komisch vor. Es war mir, als hätte an dem Gürtel ein langes, dünnes Etwas gehangen, das in einem Lederfutteral eingenäht war. Ich werde den Gedanken nicht los, daß dieser Fed ein ganz besonderer Mensch ist, der gesondert überwacht wird."

"Tolle Erkenntnis", blaffte Kobold. "Warum wurden wir dann nicht gleich kassiert, als er bei uns ankam?"

"Oh, noch nicht ganz von der Reise erholt?" Fragte Watkin den kleinwüchsigen Mitarbeiter. "Die Feds wollten erst wissen, wo wir die Eltern von diesem Marchand hingeschafft haben. Immerhin haben wir ja den Bombenkäfig aufgebaut."

"Na ja, aber die hätten doch alle Funkverbindungen überlagern und uns trotzdem hoppnehmen können", meinte Kobold. Spark Plug stimmte ihm zu. Watkin wollte dann wissen, wie genau sich dieser lange Stab angefühlt habe. Spark Plug lachte dann und fragte, ob dieser Zachary Marchand womöglich einen Zauberstab bei sich getragen habe.

"Ich denke eher an eine Stichwaffe, eine Art giftigem Zahnstocher", vermutete Fruitbat.

"Klar, der gegen unsere MPs", lachte ein anderer Handlanger des Colonels, der bei der Entführung der Marchands mitgeholfen hatte.

"Ich habe unseren Versicherungsvertreter in der Firma schon angespitzt, über diesen Fed alles zusammenzutragen, was die Firma über den hat. Außerdem haben die da auch einen Kanal zu den Daten vom FBI. Mal sehen, was der in seinem Leben sonst noch so alles getan hat", sagte der Colonel. Er konnte nicht wissen, daß Zachary Marchand am gleichen Tag am selben Ort Watkin und seine Leute überprüfen wollte, um sie zu finden.

"Nachricht von Ladybird. Fracht für Mexiko Stadt auf dem Weg", meldete ein Funker, der die eingehenden Textbotschaften entgegenzunehmen hatte.

"Dann ist der in acht Stunden da und kann umgeladen werden. Dann haben wir den in zwölf Stunden hier bei uns. Wenn ich weiß, für wen der gearbeitet hat, hole ich mir alle, die den losgeschickt haben, bis ich den oder die habe, der oder die uns noch die zehn Millionen schulden."

"Wenn die sich nicht schon längst tief eingebuddelt haben", argwöhnte Fruitbat.

"Fledermaus, das werden die nicht. Die werden jetzt zusehen, uns zu kassieren, bevor wir wissen, wer die sind. Sollen die sich mit den Virginia-Bauernburschen herumzanken."

"Wo verlegen wir uns hin, wenn wir diesen Torricelli bei uns haben?" Wollte Spark Plug wissen.

"Würfel ich aus. Ich habe sechs Unterschlupfmöglichkeiten zur Verfügung. Wenn wir erst eine Minute vor Abreise wissen, wo es am Ende hingeht, kann das auch kein anderer wissen." Das leuchtete allen ein.

Nach der Besprechung bezogen alle ihre Posten. Fruitbaat besetzte die Zentrale für die Richtmikrofone und Infrarot-Bewegungsmelder, während Spark Plug die Selbstschußanlagen und die Treibstoffreserven prüfte.

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"Bitte den Dienstausweis und dann noch den Meldecode", bestand der Pförtner am Eingang der Zentrale darauf, daß Brenda Brightgate sich korrekt auswies. Sie wirkte ein wenig angespannter als sonst, dachte der Pförtner. Außerdem hatte sie ihr rotblondes Haar Strammer hochgebunden als gestern noch. Doch die Papiere und der Zutrittsberechtigungscode waren wie üblich in Ordnung.

Die Person, die wie Brenda Brightgate aussah, sprach und sich auch bewegte, ging zunächst in das ihr zugeteilte Büro. Dort vertrieb sie sich eine Stunde mit übriggebliebener Büroarbeit. Dann rief sie über das Haustelefon beim Zentralregister an.

"Hier Vixen", gab sie sich durch ihren Decknamen zu erkennen. "Habe gerade die Tagesmeldung Nummer drei gelesen, daß einer unserer Außeneinsatzagenten in der Nähe der kanadischen Grenze getötet wurde. Hat das was mit der Anfrage des FBI zu tun, die wir am achtundzwanzigsten September auf dem Tisch hatten?"

"Ja, aber den hat das SAD an sich gezogen, Vixen."

"Mir sind in dem Zusammenhang von der Gemeinschaftsoperation am 27. September noch Dinge eingefallen, die für eine Beteiligung des organisierten Verbrechens sprechen. Besteht die Möglichkeit, einenAbgleich unserer Daten mit denen vom Büro zu machen?"

"Mit welcher genauen Begründung, Vixen?" Wollte ihr Kontaktmann wissen.

"Das wir ausschließen müssen, daß unsere Organisation von internationalen Kriminellen unterwandert ist, Mr. Heatherly. Sollte es stimmen, daß einer unserer IMs von gewöhnlichen Verbrechern angeworben wurde, weil die mit der Entführung Marchands einen bestimmten Zugang zum Büro haben wollten, geht uns das auch was an."

"Das liegt dann bei Mr. G. vom SAD. Haben Sie konkrete Verdachtsmomente?" Auf die Frage hatte die Frau, die alle für Brenda Brightgate hielten gewartet und tischte Heatherly von der Inlandskoordination auf, daß die Ereignisse um den Sohn des Ex-Senators Wellington im Zusammenhang mit dessen Aktivitäten im Ausschuß für koordinierte Geheimdienstarbeit auch erbracht habe, daß die mit alten Seilschaften des KGB zusammenarbeitenden Verbrecherorganisationen jetzt auch Verbindungen nach Nordamerika haben könnten und Wellingtons Sohn wohl entführt werden sollte, um dessen Vater zur Preisgabe geheimer Informationen zu zwingen. Sie beharkte Heatherly mit im Internet kursierenden Theorien und schloß damit, daß jetzt, wo das Büro so verschnupft reagiert habe, eine offizielle Anfrage an die Nachfolger John Edgar Hoovers wohl gerade unpassend sei, aber sie eben keine Zeit hätten.

"Ich kläre das noch einmal, um sicherzustellen, daß wir vor lauter Gerüchten nicht mehr sehen, was wahr ist. Wir dürfen Gerüchte in die Welt setzen, an alle glauben dürfen wir nicht." Die rotblonde Frau am Telefon nickte.

Eine Stunde später. Die Person, die wie Brenda Brightgate aussah hatte des geschafft, nur mit einigen Hinweisen auf eine bereits vollzogene Infiltration über inoffizielle Mitarbeiter eine Genehmigung zu erhalten, die Lebensläufe aller Personen zu sichten, die unter dem Gruppennamen DDT geführt wurden.

"Zynischer geht's nicht, ein Killerkommando wie ein hochgiftiges Insektenvernichtungsmittel zu nennen", dachte Zachary Marchand, als er endlich Brendas Lange Beine mit wohlgesteuerten Schritten zur ersten von mehreren Sicherheitskontrollen lenkte. Jetzt erwies es sich als unbedingt richtig, alles von Brendas Körper übernommen zu haben, von den Fingerabdrücken über die Biometrie ihres Gesichtes bis zur Struktur ihrer Netzhäute. Schließlich war Zachary, der sich an seinen mittelgrünen Hosenanzug und den darin steckenden Körper gewöhnt hatte, am Eingang zum Zentralcomputerraum.

Im klimatisierten Rechenzentrum herrschte geordnete Hektik. Zwanzig Mitarbeiter bedienten die Zugänge zu den großen Datenspeichern und Situationssimulationscomputern, auf denen immer wieder politische Auswirkungen durchgespielt wurden. Einmal sah Zachary sogar, daß über einen mehrfach gesicherten, aber nicht an das Zentraldatenspeichersystem angeschlossenen Rechner Bilanzen und Fertigungspläne einer deutschen Industriefirma liefen. Fast hätte er vor Wut mit Brendas ebenmäßigen Zähnen geknirscht. Also stimmte es, daß die CIA auch Wirtschaftsspionage betrieb. Oder war es vielmehr so, daß die CIA einen enttarnten Industriespion ausgeforscht hatte, was dieser so alles hatte mitgehen lassen? Besser war es, er konzentrierte sich auf seine Mission, solange er noch als Brenda Brightgate herumlaufen konnte.

Er gab seine Anfragen weiter und bekam einen Platz an einem der Terminals. um Hackerangriffe zu vermeiden waren die gesicherten Daten auf einem Rechner gespeichert, der nicht ans Internet angeschlossen war und der über eine dreistufige Firewall alle von Diskette oder CD-ROM zum Abgleich eingelesenen Daten auf Schadprogramme prüfte. Daneben stand ein an das Internet angeschlossener Rechner, der über die geheime Suchmaschine der CIA alle dort verfügbaren Begriffe nachschlug. Außerdem konnte man damit in andere ans Internet angeschlossene Rechner gelangen.

Fast hätte sich Zach einen Fingernagel abgebrochen, weil er so schnell über die Tastaturen der beiden Computer fuhrwerkte. Endlich hatte er die geheime Hintertür zum FBI-Datennetz. Gleichzeitig rollte auf dem gesicherten Rechner ein ellenlanger Text ab, der die DDT-Gruppe betraf. Da hatte er sie alle beisammen, von Aldo Watkin über Charlie Downing, der als Fruitbat bekannt verzeichnet war und zwanzig weitere Namen und Decknamen, zu denen es auch detailierte Lebensläufe gab. Einmal mußte er Brendas Zugangspasswort für Akten der zweithöchsten Geheimhaltungsstufe eingeben, um weitere Einzelheiten zu erhalten. Als er neben der DDT-auch die Romulus-Akte ausgewählt und die entsprechenden Passwwörter eingegeben hatte, speicherte er sämtliche Romulus-Daten auf einem CD-Rohling. Gleichzeitig hatte er es herausbekommen, welches neue Passwort man ihm selbst zugewiesen hatte und aktivierte ein Programm, daß alle Daten in seinemZugangsverzeichnis abgelegt wurden. Da mußte er in den nächsten Tagen dringend dran, um alles herunterzuladen und zu löschen, bevor die alle drei Tage ablaufende Datensicherung lief und man ihm in zehn Jahren noch einen unbefugten Zugriff nachweisen konnte.

"Meine Mutter bekäme Zustände, wenn sie wüßte, daß ich im Frauenkörper in das Nervenzentrum des Auslandsgeheimdienstes eingedrungen bin", dachte Marchand. Als er endlich alle Daten aus der Romulus-Akte auf CD-ROM gesichert hatte, wobei ein Rückzugabsicherungsprogramm alle Protokolle auf den FBI-Rechnern überschrieb, kam der eigentliche Datenabgleich. Wie das Ging hatte er von Brenda an deren eigenem Computer vormachen lassen. Einmal hatte sie eine CD-ROM per Teleportationszauber in ihr Haus verschickt, als klar war, daß CDs nicht durch Magie verfremdet wurden. Sollte er das hier auch machen? Erst einmal mußte er den gesicherten Rechner mit den ihm gerade laut rauschend zufließenden Daten herumjonglieren lassen. 20129 Datensätze und eingescannte Bilder und Fotos von beschriebenen Seiten wollten schließlich erst einmal eingelesen werden. Das dauerte. Dann begann der Rechenprozeß.

"Bren, was wird das, wenn es fertig ist", hörte Zachary eine ungehaltene Männerstimme von hinten. Er wandte sich ruhig um und sah Ira Waterford.

"Es geht darum, ob unsere Firma schon von internationalen Kriminellen unterwandert wurde, Ira. Ich lasse die Daten von den Kollegen aus dem FBI durch unseren Rechner laufen, um zu sehen, ob es Verknüpfungspunkte gibt."

"Mein Vorgesetzter möchte das sicher gerne wissen, was das Ergebnis ist", grummelte Waterford. Zachary grinste und erwiderte, daß sie ja wohl denselben Vorgesetzten hätten. Schließlich konnte Waterford schlecht hier im Gedächtniszentrum der CIA darüber reden, daß Brenda eigentlich einen ganz anderen Vorgesetzten hatte. So sagte er noch zu Waterford: "Außerdem hat Mr. T. das nach Rücksprache mit Mr. H. und Mr. L. abgesegnet, weil er keinen Krach wegen der möglichen Beteiligung eines vom Südamerikadepartment geführten Spezialisten haben möchte."

"Nun, ich frage auch nur, weil das FBI genau die Daten anzufordern gewagt hat, die Sie da gerade jonglieren, Brenda. Könnte es sein, daß Sie einen Beamten von dort kennen, der meines Wissens nach gerade wegen des Verlustes seiner Eltern trauert?"

"Er würde sicher noch mehr trauern, wenn rauskäme, daß das mit seinen Eltern hätte verhindert werden können, wenn jemand wie ich diese Datenprüfung schon vor einem Monat gemacht hätte", konterte Zachary Marchand.

"Hier kann ich nicht so offen sprechen wie ich es für nötig halte. Aber ich werde doch eine Anfrage einreichen, ob es wirklich sein muß, daß Sie diesen Fall bearbeiten."

"Nichts für ungut, Ira. Aber ich habe schließlich die Spur zu diesem Lagerhaus gefunden, auch wenn das ein wenig spät war", erwiderte Zachary mit Brendas Stimme. "Das wäre an und für sich auch Ihre Aufgabe gewesen. Dann würde ich jetzt nicht meine wertvolle Zeit damit zubringen, die Strukturen über dem FBI bekannte Verbrecherorganisationen mit den Daten über nicht fest angestellte Mitarbeiter zu vergleichen."

"Ich prüfe das nach, ob Sie wirklich alle Genehmigungen haben", erwiderte Waterford. Dann las er auf dem Bildschirm des gesicherten Rechners auch den Namen Cecil Wellington und fragte, was dieser Name dort zu suchen hatte.

"Überprüfung von Schnittstellen zwischen Innenpolitik und organisiertem Verbrechen im Bezug auf Gründung oder Mitgliedschaft einer terroristischen Vereinigung, die auf unsere Politik einfluß nehmen möchte, Ira. Der junge Mann wurde von Mafiosi aus Philadelphia entführt, soweit konnte ich das schon nachprüfen. Die wußten wohl zu dem Zeitpunkt nicht, daß Ex-Senator Reginald Wellington zu diesem Zeitpunkt schon als eines versuchten Auftragdoppelmordes dringend tatverdächtig in Haft saß."

"Wie gesagt, ich prüfe das nach, ob das alles mit zulässigen Mitteln zugeht, Brenda", knurrte Ira. Das sollte wohl eine Drohung sein, kam aber bei Marchand alias Brenda Brightgate als lächerlich hilfloses Gekläff an, als wenn ein kleiner Hund einen großen Hund droht, ihm in die Pfoten zu beißen, wenn der nicht den Weg freimacht. Er konterte mit einem zuckersüßen Lächeln, das einer Linda Knowles zur Ehre gereicht hätte.

"vor einem Jahr hätte der mir die Akten auf einem goldenen Tablett ans Bett serviert", dachte Zachary. Er hatte während des Gespräches wohl darauf geachtet, seinen Geist verschlossen zu halten. Ira hätte ihn womöglich sehr schnell als Doppelgängerin verraten, wenngleich er keinem erzählt hätte, wie es möglich war, daß sämtliche biometrischen Daten perfekt kopiert worden waren. Er hätte zwar als Zauberer auf Vielsaft-Trank oder Intercorpores Permuto getippt, das aber als Muggel von der CIA sicher nicht so klar benennen können. So ein Pech aber auch! Aber Zach konnte sich hervorragend abschirmen. Brenda auch, wußte er. Durch besseres oder schlechteres Okklumentieren konnte er also nicht auffallen. Es konnte ihm nur passieren, daß Waterford einen Vorwand fand, um ihn an diesem einen Tag noch einmal zu sprechen, wo keine Überwachungskameras und Mikrofone ihn belauschen konnten.

Zwei ganze Stunden dauerte es, dann hatte Zachary nicht nur alle genauen Lebensläufe, sondern tatsächlich siebenunddreißig Verknüpfungen. Eine Freundin des Colonels war die Großnichte von Don Enzo vom Bertucci-Clan. Außerdem hatte Watkin auch mit einem Zwischenhändler von Hugo Laroche gemeinsame Sache gemacht. Der Name löste bei Zachary immer noch Wut und Beklemmung aus. Hatten seine beiden schlimmsten Gegner aus der Muggelwelt tatsächlich einmal was gemeinsames ausgeheckt. Auch der Name Weinberger, der nichts mit der Mafia, dafür aber mit dem internationalen Waffenhandel zu tun hatte, konnte sowohl mit den Bertolonis als auch mit Longbow, einem Waffentechniker des Colonels, in Beziehung gebracht werden. "Wie vielen Terroristen mochte man das Handwerk legen, wenn die fünfzehn Nachrichtendienste der USA, alle Polizeibehörden und die Finanzaufsicht ihre Daten zusammenschütten und nach Querverweisen suchen konnten? Aber um die dann sofort nach Gefahr für die Freiheit und Privatsphäre brüllenden Bürgerrechtler zu beruhigen wurde das eben nur bedingt getan. Da müßte schon etwas gravierendes passieren, daß den Ruf nach größerer Sicherheit höher stellte als die Furcht vor den Beschneidungen von Freiheiten. Da spätestens merkte Zachary, daß er sich fast in einer Vorstellung verrannte, die er selbst nicht Wirklichkeit werden lassen wollte. Denn was genau müßte passieren, um diese Datenfusion zu rechtfertigen? Ein Anschlag mit vielen Toten, atomar, biologisch oder Chemisch. Das wollte er nicht wirklich, und Brenda, in deren Körper er gerade steckte, garantiert auch nicht. Denn sie wußten aus der Zeit von Voldemort, daß eine solche Welt aus Furcht, Angst und Unterdrückung von Freiheiten keine lebenswerte Welt war.

Zachary hörte seinen Magen knurren. Auch wenn Brenda schlanker gebaut war als er, mußte ihr Körper gefüttert werden. Doch bevor er durch alle Türen und Sicherheitsschleusen wieder hinausging um zu essen mußte er noch was wichtiges tun. Ausdrucke durfte er nur machen, wenn sichergestellt war, daß sie nicht aus dem Gebäude hinausgelangten. Aber er konnte was anderes machen. Er speicherte das komplette Ergebnis inklusive aller restlichen Daten über DDT und die damit betrauten Führungsoffiziere auf einer anderen CD ab und tat so, als müsse er die von ihm hinterlassenen Spuren im FBI-Computer sorgfältig verwischen. Dabei ließ er im Hintergrund alle Daten von der CD in das Verzeichnis seines Benutzerkontos überfließen und schloß dieses dann mit einer korrekten Abmeldung durch Administratorenpasswort. Morgen würde er in einer Zeit, wo alle in New Orleans Mittagspause machten, in einem Internetcafé mit DSL-Zugang die gehorteten Daten von seinem Benutzerkonto herunterladen und das Spurlöschprogramm drüberlaufen lassen, daß Martha Eauvive für Recherchen ohne Rückverfolgungsmöglichkeiten geschrieben hatte. Nachts spuckte der Zentralrechner nämlich Zugriffsprotokolle aus. Das sollte er besser nicht machen.

Zachary Marchand entsorgte die beschriebene CD in einem Gerät, das die praktischen Silberscheiben zu Granulat verarbeitete. Außerdem hatte er sich einen Packen mit allen Verknüpfungen ausdrucken lassen, die der Datenabgleich ergeben hatte sowie die Lebensläufe von Watkin, seinen vier noch lebenden Spezialisten und deren gesamte Lebensläufe inklusive der Verzeichnisse über Vorlieben, Hobbies und Neigungen. Diesen Packen Papier durfte er nur aus dem Rechenzentrum mitnehmen, nachdem er die Legitimation der Abteilungsleiter für Südamerika, den NAFTA-Bereich und das Archiv für Personalakten vorgewiesen hatte.

In Brendas Büro kopierte er das Gedruckte auf magische Weise, wobei er höllisch aufpassen mußte, weit genug von der empfindlichen Elektronik entfernt zu zaubern. Die Kopie des Packens Papier schickte er in sein Hotelzimmer, an allen Sicherheitsschleusen, Sensoren und Wächtern vorbei. Den Originalpacken verschloß er in Brendas feuerfestem Aktenschrank.

Ira Waterford schaffte es nicht, Brenda Brightgate an diesem Tag fern ab aller Muggel zu sprechen. Er meinte nur einmal, daß Brenda ihrem Vorgesetzten ausrichten dürfe, daß die von ihr gesichteten Daten nicht verwendet werden durften, sofern sein Vorgesetzter dem nicht zustimmte. Dann ließ er die Person, die er für Brenda Brightgate hielt wieder alleine.

Zachary rechnete bei der Rückkehr zu Justines Haus mit Anzüglichkeiten Brendas. Doch diese meinte nur, daß es durchaus mal eine interessante Erfahrung gewesen sei, wie sich das anfühlte, jungen Mädchen nachzusehen, die sie ja für einen Mann hielten.

"Ich mußte aufpassen, daß ich mich nicht in deine Kollegin Stella Curson verliebe, mit der ich heute Nachmittag gegessen habe."

Stella, du stehst auf drei Zentner schwere Frauen mitte Fünfzig?" Lachte Brenda mit Zacharys Stimme. Dann knuddelte sie ihn und meinte: "Oh, sorum fühlt sich das auch interessant an. Aber in zwei Stunden darfst du deinen Körper wieder ins Bett legen und ich meinen. Aber wehe dir, du hast mit einem der Jungs da was angestellt. Dann könnte es dir passieren, daß du meine Zwillingsschwester wirst, weil der Körper sich dann nicht mehr zurückverwanndeln kann." Zachary verzog das Gesicht. Justine und Brenda kicherten wie Schulmädchen. Dann meinte er:

"Ich dachte, wenn ein Mann, der einen Tag lang Frau ist dabei schwanger wird wird das Kind beim Zurückwandeln wie die Kleidung zum anderen Körper hinversetzt."

"Hat noch keiner ausprobiert, weil ein Tag zu wenig ist", erwiderte Justine. Jane Porter meinte, daß es irgendwer ganz unbeabsichtigt mal hinbekommen habe, vier Tage unter diesem Zauber zu stehen. Sie wollte aber nicht damit herausrücken, wer das war."

"Neh, vier Tage umständlich alles runterlassen und mich hinsetzen oder das Gedöns mit der Frisur oder der Schminke wollte ich mir nicht antun. Von meinen Füßen mal ganz zu schweigen. Aber gelohnt hat es sich doch."

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Der Zaubereiminister der Staaten fauchte als letzter aus dem Kamin in Davidsons Büro. Der Leiter des Laveau-Institutes hatte ihn, Benchwood und Whitehead eingeladen, weil es endlich gelungen war, Dokumente über die Herkunft und Eigenschaften der Feuerskelette aufzutreiben. Hierzu hatte Davidson einen Tag in Frankreich zugebracht und mit Leuten von der Liga gegen dunkle Künste gesprochen. Das hatte Benchwood verstimmt. Denn er gehörte zu jenen nordamerikanischen Zauberern, die sich über alles europäische erhaben fühlten und es strickt ablehnten, sich mit Leuten aus der alten Welt zu beraten. Das ließ der Leiter der Strafverfolgungsabteilung auch gerne herüberkommen, als sie in Davidsons Büro saßen.

Neben dem Leiter des LIs waren noch dessen Mitarbeiter Brenda und Justine Brightgate, Sylvia Montgomery, Louis Anore, Quinn Hammersmith und Zachary Marchand anwesend. Letzteren bedachten der Minister und der Leiter der Strafverfolgungsbehörde mit gewisser Mißbilligung. Der muggelstämmige Zauberer, der als Außenstelle der Zaubererwelt in der Bundeskriminalermittlungsbehörde FBI arbeitete, wirkte auch sehr verdrossen und angriffslustig. Cartridge und Benchwood bezogen das auf sich, sagten jedoch nichts dazu. Denn was Davidson zu berichten hatte war wichtiger. Vor allem hatten sie keine Zeit, sich über Zuständigkeiten oder Loyalitäten zu streiten.

"Das Ritual ist zweitausenddreihundert Jahre alt", eröffnete Davidson und präsentierte die Abschrift von Pergamenten, die er wohl hatte einsehen dürfen. Dann schilderte er, daß Rogan vom kahlen Hügel, ein den dunklen Künsten und dem Streben nach Unsterblichkeit verfallener Druide, dieses Ritual erfunden und ausgefeilt hatte, um seinen nicht minder zweifelhaften Feind Dairon vom Düsterwald zu besiegen. Diesem Dairon verdankte die Nachwelt jedoch die Kenntnis von den Vor- und Nachteilen. Davidson erwähnte zunächst die Vorteile:

"Nun, die Skelette sind größtenteils unsterblich. Geschosse und Zauber prallen an den magischen Flammen um ihre Knochen ab oder zerbersten darin. Dann sind sie natürlich von allen für uns wichtigen Lebensprozessen frei, brauchen also nicht zu essen, zu trinken, zu atmen. Sie empfinden auch kein Verlangen nach geschlechtlicher Vereinigung, obgleich ihre Art der Fortpflanzung ein zugegeben sehr trefflicher Ausgleich ist. Sie beziehen Kraft aus allen offen brennenden Feuern und dem Licht von Sonne, Mond und Sternen, wobei das der Sonne ihre stärkste Kraftquelle ist. Darin unterscheiden sie sich von der überwiegenden Mehrheit aller Vampire und den Nachtschatten. Sie können nicht verwittern oder verwesen und mögen so Jahrtausende überleben. Das es jedoch keine Feuerskelette aus der ersten Zeit dieses Rituals geschafft haben, so alt zu werden, liegt sicherlich an den von dem dunklen Druiden Dairon ergründeten Nachteilen.

Zum einen entziehen alle sich ohne Magie bewegenden Wasser Kraft, je näher und je ergiebig sie den Feuerskeletten sind desto stärker. Darin gleichen diese dann den Vampiren und Waldfrauen. Sie können bei heftigem Regen nicht so agieren wie bei Trockenheit, zumal das ihnen Kraft gebende Sonnenlicht dann auch von den Wolken gefiltert wird. Sie können nicht einzeln apparieren, oder in die Ferne wirkende Zauber ausführen, sofern diese nicht bereits vor ihrer Umwandlung eine Verbindung mit Menschen oder Dingen erzeugt haben. Sie können Feuerzauber durch Berührung wirken. Dafür sind sie aber wie Geisterwesen anfällig für direkt auf sie oder eine Tür gelegte Rückprellzauber gegen Geister. Sie müssen lernen, ihr Feuer zu unterdrücken, so wie wir lernen mußten, den Harndrang oder Stuhlgang einzuhalten, weil sonst alles brennbare unter ihrer Berührung beschädigt bis zerstört wird. Die drei größten Einschränkungen, die es jedem, der davon weiß unumstößlich vergellen, sich dieser Verwandlung zu unterwerfen sind folgende:

Erstens unterliegen sie einem gedehnten Wach-Schlaf-Rhythmus. Statt wie Wesen aus Fleisch und Blut mehrere Tages- oder Nachtstunden zu schlafen und den Rest wach und handlungsfähig zu sein, können diese Feuerskelette einen halben Mondumlaufzyklus lang ohne Schlaf auskommen. Dieser Wachzustand beginnt quasi mit ihrer Geburt als "Kinder Easars und Morrigans". Die zweite Hälfte des Mondumlaufes müssen sie jedoch unabwendbar in einem todesähnlichen Zustand zubringen. Verfallen sie diesem "Schlaf des halben Mondes" an einem für ihre Feinde zugänglichen Ort, können diese die Zeit nutzen, um die Feuerskelette zu bekämpfen, ja zu vernichten, wie unsere Vampirjäger bisher das Tageslicht nutzen konnten, um übermäßig blutgierige Vampire zu erledigen. Falls Pabblenut diese Beschränkung nicht kennen sollte, würde sich für uns eine geniale Möglichkeit ergeben, in zwei Wochen alle Feuerskelette zu erledigen. Wie das gehen kann sage ich jetzt:

Der zweite Nachteil der Feuerskelette liegt darin, daß jeder ohne Magie entstandene Spiegel nicht nur das Erscheinungsbild, sondern auch die wie unsichtbare Lichtteilchen wirkende magische Ausstrahlung reflektieren kann. Sieht sich ein Feuerskelett in einer glatten, spiegelnden Oberfläche, so fesselt der Anblick des eigenen Abbildes es, als sei es im Schlamm versunken oder in einem massiven Eisblock eingefroren. Je größer die spiegelnde Oberfläche ist, also je mehr ein Feuerskelett von sich selbst darin erkennen kann, desto stärker wirkt sich diese Lähmung aus, die vorhält, solange es sich in diesem Spiegel erkennen kann. Eine Wasseroberfläche kann sie also bannen, solange sie nicht aufgewühlt wird. Ein Spiegel kann sie bannen, solange zwischen ihm und dem gebannten Betrachter keine Dunst- oder Rauchwolke steht. Je besser es sich jedoch erkennen kann, desto unabwendbarer wirkt sich der Bann aus. Hinzukommt dann folgendes: Wenn ein Magier aus Fleisch und Blut es anstellt, Dinge aus dem Besitz des Feuerskelettes vor seiner Verwandlung zu erlangen, die mit wichtigen Erinnerungen und Lebensabschnitten des Verwandelten verknüpft sind, kann der Magier das von seinem eigenen Spiegelbild gelähmte Skelett unter seine unumkehrbare Befehlsgewalt zwingen. Er braucht drei wichtige Gegenstände, die er dem Gebannten so hinhält, daß er sie im Spiegel sehen muß. Erwähnt er die Dinge, die mit ihnen verknüpften Ereignisse und dabei den vollen Namen des Gebannten dreimal hintereinander und spricht dann die Namen der altkeltischen Götter Easar und Morrigan rückwärts aus, muß der Gebannte fast alle Befehle des ihn bezwingenden Magiers befolgen, so lange dieser lebt. Das einzige, was ein Feuerskelett nicht befolgen wird ist die Selbstzerstörung. Ansonsten kann es sich nicht gegen die Unterwerfung auflehnen oder gar den Bezwinger töten. Viel eher wird es seinen Überwinder beschützen und sein Leben verteidigen. Nur der Tod des Überwinders beendet diese magische Herrschaft.

Drittens ist das pure, von keiner Magie berührte und durchdrungene Gold der Todfeind der Feuerskelette. Es reißt die ihnen innewohnende Kraft an sich, sobald es einen Teil des knöchernen Körpers berührt. Der Kraftschwund vollzieht sich im Verhältnis der Menge Goldes mal der Zeit der Berührung. Wird dem Feuerskelett alle Kraft ausgesaugt, zerfällt sein Restkörper zu Asche. Sein Geist, darauf geprägt, mit stofflichen Dingen verbunden zu sein, fließt unverzüglich in einen losen, nichtorganischen, nichtmetallischen Gegenstand über und bleibt dort eingekerkert, bis dieser zerstört wird, um dann in den nächsten nichtmetallischen Gegenstand zu wechseln. In diesem Gegenstand kann das Gesicht des gebannten wie ein Relief erkannt werden. Die gebannten Geister können jedoch nur sehr sehr leise flüstern und keinerlei physischen Einfluß mehr auf ihre Umgebung ausüben. Derartig gebannt und eingekerkert sind diese vernichteten Feuerskelette vergleichbar mit den Insassen von Doomcastle.

Ich halte also Fest: Die langen Ruhezeiten, die Konfrontation mit ihrem Spiegelbild und die bis zur Zerstörung erzwungene Berührung mit genug Gold sind die entscheidenden Nachteile. Hinzukommt eben die Möglichkeit, diese Wesen zu versklaven und damit jeden Anreiz für diese Art zu existieren zu verwerfen. Da die Feuerskelette in einer ähnlichen Entstehungshierarchie leben wie Wertiger und Vampire, kann der Magier, der das erste Feuerskelett unter seinen Willen zwingt, damit auch alle dessen direkte oder Enkeln gleiche Abkömmlinge zu seinen Sklaven zählen. Allerdings bleiben die drei Nachteile verlangsamter Wach-und-Schlaf-Rhythmus, die Lähmung bei Anblick des eigenen Spiegelbildes und die ihre Existenz bedrohende Sogwirkung magisch unbeeinflußten Goldes weiterhin wirksam. Nur wenn ein Feuerskelett einmal einem Magier aus Fleisch und Blut unterworfen ist, dann kann diese Unterwerfung nicht mehr von einem anderen Unterwerfungsritual aufgehoben werden. Dazu müßte der betreffende Magier erst einmal sterben."

"Ist nett, daß wir das jetzt schon wissen und nicht erst dann, wenn die schwarze Spinne sämtliches Zeug von den Verwandelten eingesammelt hat", grummelte Benchwood. "Und dafür mußten Sie nach Frankreich reisen und sich den Schneckenlutschern anbiedern?"

"Ich sehe jetzt keinen Grund für unnötigen Sarkasmus", knurrte Davidson. "Wir haben natürlich erst unsere Archive durchstöbert, die schon viele alte Schriften enthalten. Da wir dort nichts zu diesen Feuerskeletten fanden außer, daß es Gerüchte gab, die alten Druiden hätten selbsttätig handelnde Gerippe erschaffen können, mußte ich anderswo suchen lassen. Was die schwarze Spinne angeht, so wissen wir nicht, ob sie in Person dieser sich als Anthelia bezeichnenden Hexe über das alles bescheid weiß. Einiges spricht dafür, daß sie es weiß, weil ja der Hinweis auf die Unterbringung von Lavinia Thornbrook in einem goldenen Käfig auf die Goldaversion hindeutet. Doch wenn die schwarze Spinne näheres über das Ritual und die Nachteile wüßte ergäbe sich für Anthelia eine ungeahnte Möglichkeit, willfährige Helfer zu verpflichten, in dem sie wichtige Dinge aus deren fleischlichem Leben beschafft. Haben Sie Hinweise auf magisch ausgeführte Einbrüche, Mr. Benchwood?"

"Keine als solche bestätigten", knurrte Benchwood. "Aber gehen Sie mal gefälligst davon aus, daß die Spinnenschwestern wissen, wozu Sie und ihre auf ihre achso großartige Ausbildung schwörenden Helfer hier Tage gebraucht haben, um das nachzuschlagen. Dann könnte dieses Hexenweib Anthelia sich die grünen Knochenfrauen locker unter einen Arm oder ein haariges Spinnenbein klemmen und damit uns und andere terrorisieren."

"Sofern ihr nicht mehr an der Einhaltung des Burgfriedens gelegen ist", warf der Minister ein. "Abgesehen davon sind Helfer, die die Hälfte eines Monats handlungsunfähig sind eben nur die Hälfte wert."

"sie verteidigen dieses Monsterweib auch noch?" Fragte Benchwood nun sichtlich entrüstet. Davidson öffnete den Mund. Doch dann ließ er den Minister zuerst antworten:

"Ich verteidige sie keineswegs, Ves. Ich halte sie trotz der Übereinkunft für eine gefährliche, ja verbrecherische Person, die wir eigentlich inhaftieren müßten. Doch zum einen hat sie genug Mittel an der Hand, sich der Festsetzung zu widersetzen. Zum zweiten ist sie im Moment das kleinere Übel, weil wir mit Nocturnia mehr Ärger haben. Drittens wissen wir bisher nicht, mit wem Anthelia fusionierte, welche Ausrichtung diese andere Entität hatte und was sie vor der Verschmelzung konnte und jetzt immer noch kann. Was ich auf jeden Fall weiß, das ist, daß diese Magierin in ihrer jetzigen Form sehr intelligent und vorausschauend ist und sich sicher keine unnötigen Aktionen leistet, mit denen sie die mit mir getroffene Übereinkunft gefährden würde. Das zeigt mir die Ruhe, die in den letzten Wochen in unserem Land war."

"Klar, abgesehen von den Einmischungen bei unserer Nachforschung zur Entstehung der Vampirkolonien Buffalo Creek und anderer Dörfer", erwiderte Benchwood.

"Außerdem habe ich über die mit Anthelia fusionierte Person etwas erfahren", rückte Davidson mit etwas heraus, womit hier keiner gerechnet hatte. "Demnach handelt es sich bei der anderen um eine durch ein uns heute nicht mehr geläufiges Mittel größtenteils unsterblich gewordene Magierin jenes alten Reiches der Vorzeit, dessen Existenz in der magischen Fachwelt immer wieder kontrovers diskutiert wird. Madame Brickston von der Liga gegen dunkle Künste erläuterte mir nach dem Fund der Ihnen gerade präsentierten Einzelheiten zu den Feuerskeletten, daß diese andere Magierin als Preis für ihre Unsterblichkeit gezwungen war, den überwiegenden Teil ihres Lebens als menschengroße Spinne zuzubringen. Diese Beschränkung ist wohl durch die Fusionierung mit der durch übermäßige Radioaktivstrahlung an den Rand des Todes geschwächten Anthelia verringert worden. Sicher fand bei der körperlichen auch eine seelische Verschmelzung statt. Daher haben wir es mit einer neuen Persönlichkeit zu tun, die nicht mehr grundsätzlich Sardonias Pfad folggen mag. Das macht sie aber für uns gefährlicher, weil wir eben nicht voraussehen können, wie sie auf was reagiert und welche Lebensziele sie nun verfolgt, zumal sie sich wegen der sicher noch bestehenden Langlebigkeit mehr Zeit mit der Umsetzung nehmen kann als wir. Insofern, Herr Minister, muß ich Ihre Begründung zurückweisen, diese Hexe könne mit einen halben Mondumlauf handlungsunfähigen Helfern nichts anfangen. Wer Zeit hat, kann auch damit wunderbar leben. Außerdem wissen wir nicht, ob die bei der unrühmlichen Abstimmung entstandenen Feuerskelette die einzigen blieben oder nach und nach weitere Artgenossinnen erzeugen."

"Die dann ihren eigenen Schlaf-Wach-Rhythmus haben, Sir?" Fragte Zachary Marchand.

"Die dann ihren eigenen Schlaf-Wach-Rhythmus haben, Mr. Marchand", bestätigte Davidson.

"Artgenossinnen?" Fragte Whitehead in die Runde.

"Gehen Sie bitte davon aus, daß sich an der von den Broomswoodianerinnen kultivierten Abneigung gegen männliche Mitmenschen nichts geändert hat", wandte Davidson ein und erntete zustimmendes Nicken von Sylvia Montgomery, Justine Brightgate und dem Zaubereiminister.

"Sie haben mich sicher dazugebeten, weil Sie das mit dem Umsiedeln des Geistes in einen toten Gegenstand erfahren haben, Sir", ergriff nun Louis Anore, ein praktizierender Schamane der Inuit, das Wort. Davidson nickte ihm zu. "Nun, ich habe gelernt, daß eigentlich alles in der Natur beseelt ist. Das die Natur ein einziger großer Organismus ist, ein Netzwerk aus Kraft atmenden Dingen und Wesen. Insofern würde, meiner besonderen Ausbildung gemäß, ein aus dem zerstörten Leib austretender Geist entweder in die Ahnenwelt einkehren oder als ihr verwehrter unruhiger Geist in unserer Welt verbleiben. Wenn er jedoch in einen anderen stofflichen Gegenstand einfahren würde, so ist dies eine Störung des Gefüges. Er würde die Seele dieses Gegenstandes überwältigen oder vertreiben müssen. Der dann neu beseelte Gegenstand wäre dann verflucht, auch wenn der darin eingedrungene Geist ein Gefangener wäre. Es ist dann nichts anderes als ein Seelenkerker, wie ihn Marie Laveaus Geist gegen den Totentänzer benutzte, dessen Körper von der Spinnenfrau zerstört wurde. Wielange sich die Natur eine derartige Beeinträchtigung bieten ließe, will sagen, wie viele ihrer Körper beraubte Geister der Feuerskelette in solche Gegenstände einfahren können ist sicher zu bedenken."

"Ihre auf religiöse und tradierte Lebensweise basierende Anschauung und Erfahrung in Ehren, Mr. Anore. Aber wir Zauberer und Hexen von der Zauberstabschwingerzunft haben da unsere praktischen Erfahrungen mit auszutreibenden Geistern und da auch schon große Erfolge verzeichnet", erwiderte Whitehead darauf. "Sie halten die Beseeltheit selbst toter Dinge für eine Tatsache und handeln danach. Ich als oberster Ministerialfachzauberer für Geisterwesen habe jedoch bis heute keinen in einem Stein gewachsenen Geist angetroffen oder gesprochen oder mit dem Geist eines fließenden Baches oder Windhauchs kommuniziert. Geisterwesen müssen vorher lebendige Geschöpfe gewesen sein, so meine aus Erfahrung geschöpfte Ansicht." Cartridge und Davidson ahnten, daß Whiteheads Ablehnung animistischer Weltanschauungen zu einer Grundsatzdiskussion ausarten konnte. Deshalb baten sie darum, dieses höchst interessante Gesprächsthema erst nach Erledigung der drängenderen Probleme zu erörtern. Anore wies darauf hin, daß es ebensoviele Beweise für das Gefüge beseelter Dinge und Kräfte gebe, er den Wunsch nach Erledigung des Feuerskelettproblems jedoch verstehen und ihm nachkommen würde.

"Magisch unbeeinflußtes Gold, was dürfen wir uns darunter vorstellen, außer Gold, das mit keinem Zauber belegt wurde?" Fragte Cartridge. Davidson erwähnte, daß damit wohl oder übel gemeint sei, daß Gold nicht einmal durch Bewegungszauber oder magische Transportarten bewegt werden dürfe. Also müsse man nicht nur von keinem Kobold oder Thaumaturgen behandeltes Gold auftreiben, sondern es auch noch auf völlig unmagische Weise an den Ort bringen, wo es gebraucht wurde und dürfe es zudem nicht einmal in den sicheren Verliesen von Gringotts aufbewahren.

"Immerhin gut zu wissen, daß diese Spinnenschwestern nicht mal eben in Fort Knox hineinapparieren und mit Tonnen von Gold wieder herausdisapparieren können, wenn sie das Gold zum Kampf gegen die Knochenfrauen benutzen wollen", grummelte Benchwood. Zwar wurde das wohl bekannteste Golddepot der vereinigten Staaten auch von magischen Wächtern beschützt, um gerade einen Diebstahl unter Ausnutzung der Magie zu verhüten. Doch die Erkenntnis, daß die schwarze Spinne keinen massiven Angriff auf die nordamerikanischen Goldreserven ausführen würde, wenn sie dabei keinerlei Magie benutzen durften, beruhigte schon sehr. Weniger beruhigend war die Vorstellung, selbst an Gold gelangen und es an den Einsatzort bringen zu müssen. Da erschien Benchwood die sache mit den Spiegeln günstiger. Allerdings erhielt er die betrübliche Auskunft, daß ein Spiegel ebenso von keinem Zauber durchflossen werden durfte wie es mit dem Gold war. Es würde dann zu einer den Spiegel zerstörenden Aufschaukelung einander bekämpfender Zauberkräfte kommen. Es würde also nichts bringen, ein Geschwader Besenflieger loszuschicken, das mannsgroße Spiegel an langen Zauberseilen herabließ, um die Feuerskelette zu bannen. Zachary Marchand warf ein, daß man dazu wohl mehrere Dutzend Hubschrauber der Muggel benutzen müsse, was natürlich von Cartridge und seinen Leuten entschieden zurückgewiesen wurde. Denn das wäre nur möglich, wenn die Steuerleute dieser Flugmaschinen in die Existenz und Gefahren der Zaubererwelt eingeweiht würden. Das verbot jedoch das internationale Abkommen zur Geheimhaltung der Zauberei vor Muggeln.

"Pabblenut ist die Anführerin. Wir solten uns darauf konzentrieren, sie zu bannen und ihre und den an ihr hängenden Kreaturen zu befehlen, sich nicht mehr in der magischen Welt blicken zu lassen", preschte Benchwood vor.

"Wenn sie in Broomswood ist kommen wir nicht an sie heran. nur Hexen, die obendrein dieser Schule gewogen sind oder noch vor Eintritt in die Pubertät stehen, erreichen dieses ehemalige Lehrinstitut unbeschadet. Die Gründungsmütter haben mit uns unbekannten Methoden dafür gesorgt, daß ihre hochheilige Bildungsstätte grundanständiger Hexen niemals von einem Zauberer betreten werden kann. Die Schließung der Schule konnten wir auch nur deshalb durchsetzen, weil das Archiv für magisch begabte Schülerinnen und Schüler alle Unterlagen gerade lernender Hexenmädchen bereithielt. Hätte dieses misandrische Frauenzimmer erst im laufenden Schuljahr gegen die restliche Welt agiert, so hätten wir die Schülerinnen dort nicht herausholen können. Aber das nur dazu. Wenn Pabblenut also in Broomswood hockt, ist sie für uns ebenso unerreichbar wie für andere Widersacher."

"Es sei denn, wir können sie herauslocken, mit einem Köder, den sie auch dann noch annimmt, wenn sie weiß, daß wir eine Falle aufgestellt haben", erwiderte Davidson und sah Benchwood an. "Es wäre günstig, wenn Sie die in Verwahrung gehaltene Ms. Thornbrook darauf vorbereiten mögen, sich mit uns zusammenzusetzen, um die neue Gefahr zu beseitigen. Ich bin mir sicher, daß Madam Thornbrook keine Absicht hegt, zu diesen grünen Skeletten zu gehören."

"Sie ist im Moment in einem Ruhezustand", erwiderte Benchwood. "Und ich werde Sie erst aus diesem Zustand erwecken, wenn einige Punkte geklärt sind: Zum einen akzeptieren Sie, Mr. Davidson es, daß das Zaubereiministerium über Ihre Mitarbeiter verfügt und alle Schritte absegnen muß, die als aussichtsreich erachtet werden. Zum zweiten händigen Sie uns Abschriften aller in Ihrem Archiv vergrabenen Dokumente aus und überordnen uns auch die Listen ihrer außerministeriellen Kontakte! Es hat sich ja jetzt erwiesen, daß das Beharren auf getrenntes Vorgehen zu unnötigen Verzögerungen führt. Was Lavinia Thornbrook angeht, so verbleibt Sie in der Obhut des Zaubereiministeriums", legte Benchwood fest. Sein Vorgesetzter starrte ihn verdrossen an, wollte jedoch erst hören, was Davidson dazu sagte.

"Ihnen ist bekannt, daß der zwischen dem Ministerium und dem LI geschlossene Vertrag magisch abgesichert ist und unbefristet gilt, solange wir vom LI nicht gegen die bestehenden Zaubererweltgesetze verstoßen, Mr. Benchwood. Ihre Bedingungen zielen auf eine Aufkündigung der Unabhängigkeit unseres Institutes ab. Diese gebe ich jedoch nicht preis. Ich wende mich vielmehr an Ihren Vorgesetzten." Er sah Cartridge an. "Herr Minister, ich übergebe Ihnen und Ihrem Mitarbeiter Benchwood gleich eine offizielle Anfrage, die in ministeriellem Gewahrsam gehaltene Madam Lavinia Thornbrook zu einer Befragung zur Verfügung zu stellen. Jetzt, wo wir mehr über die Feuerskelette wissen, ist es wichtig, den Bericht einer Zeugin ihrer Entstehung zu erhalten. Wir verfügen über ein gegen alle Arten dunkler Zauber gepanzertes und gegen alle Arten magischer Fernverbindungen abgeschirmtes Gebäude, in dem wir die in Ihrer Obhut befindliche Hexe gefahrlos vernehmen können. Selbstverständlich dürfen Sie oder Mr. Benchwood oder einer von diesem schriftlich autorisierter Mitarbeiter der Vernehmung beiwwohnen."

"Den Antrag will ich lesen", grummelte Benchwood. "Aber ob ich dem zustimmen werde sage ich jetzt nicht."

"Das liegt dann wohl auch an mir", erwiderte der Minister und bedachte sowohl seinen Mitarbeiter als auch den Leiter des LIs mit einem mahnenden Blick.

"Dann bleibt für's erste nichts weiteres zu besprechen", bemerkte Davidson noch und bedankte sich bei den drei Besuchern aus dem Ministerium. Diese verabschiedeten sich kühl von den hier sitzenden Hexen und Zauberern, die jeder und jede für sich mit ihren Fähigkeiten auch gut für das Ministerium hätten arbeiten können.

Mit lautem Rauschen verschwanden Cartridge, Benchwood und Whitehead in einer smaragdgrünen Feuerwand.

"Der wird den Antrag nicht bewilligen, Sir", warf Hammersmith ein.

"Ich denke, wenn er meine Argumente gelesen hat wird er doch zustimmen", erwiderte Davidson. "Was machen ihre Eintragsversuchsreihen, Mr. Hammersmith?"

"Ich bin jetzt erst soweit, eine magiearme Nachweismethode zu benutzen, um die Goldproben verschiedenen magischen Einflüssen auszusetzen, um den Eintrag an ruhender Magie zu prüfen. Geht aber nicht exakt, sondern nur empirisch, Sir. Geht leider nicht anders", grummelte Quinn Hammersmith. "Außerdem werden die untersuchten Proben dadurch trotz der geringeren Reaktionsmethode selbst wieder von Magie durchdrungen und somit für kommende Versuche wertlos. Das könnte teuer werden, wenn ich keine absolute Rückmeldung kriege, ob das Gold nicht auch von magischen Menschen mit bloßen Händen berührt werden darf."

"Ich gebe noch einmal zweitausend Karat unseres Diamantenvorrates für Ihre Versuche frei, Mr. Hammersmith. Bringen Sie uns bitte so schnell wie möglich ein Ergebnis, auf dem wir alle zukünftigen Vorhaben aufbauen können!" Ermahnte Davidson den Ausrüstungsexperten. Dann wandte er sich an die Cousinen Brightgate und Zachary Marchand:

"Ich habe Ihre Berichte gelesen. Ich stimme Ihnen zu, daß wir diesen Watkin ergreifen müssen, bevor diese Geheimhaltungsschergen ihm die finale Schweigsamkeit auferlegen. Aber tragen Sie bitte weiterhin die geschoßsichere Unterkleidung!"

"Natürlich, Sir", erwiderte Marchand. Die Verdrossenheit, die er bis jetzt im Gesicht zur Schau trug, wich einer unbändigen Entschlossenheit.

"Ähm, ging das wirklich nicht anders, an die Akten dieser Geheimorganisation heranzukommen, Ms. Brightgate und Mr. Marchand?" Fragte er die rotblonde Brenda Brightgate und den blondhaarigen Zachary Marchand.

"Habe ich mich auch dauernd gefragt. Aber das Ende hat die Methode gerechtfertigt. Daher war der Codename Machiavelli echt goldrichtig ausgewählt", sagte Marchand, wobei er einen Moment verlegen auf Brenda Brightgate blickte. Davidson nickte und schickte seine Mitarbeiter bis auf Sylvia an ihre Arbeit zurück.

__________

Benchwood hockte am Morgen des vierten Oktobers in seinem Büro. Gestern abend war es spät geworden. Denn Davidson hatte so prompt den angekündigten Befragungsantrag vorgelegt, daß Benchwood Mühe hatte, den Minister davon zu überzeugen, lieber noch eine Nacht darüber zu schlafen, ob er Lavinia Thornbrook wirklich überstellen sollte. Das Hauptargument für ihn war, daß das LI, wenn es Lavinia einmal in einem sicheren Bereich hatte, diese nicht mehr an das Ministerium zurückgeben mochte. Denn es war nicht völlig auszuschließen, daß Lavinia nicht nur wegen ihrer Mitgliedschaft in der LRH interessant für Pabblenut war. Stimmten die Vermutungen, daß sie eine von den schweigsamen Schwestern war, womöglich der Nachtfraktion angehörte, mochte das LI von ihr im Gegenzug zu ihrem Schutz eine Menge über diese Gruppierung erfahren. Was das Ministerium davon dann mitbekam lag dann in der Gnade Davidsons. Deshalb durfte das Ministerium sie nicht aus den Händen geben.

Benchwood nutzte die Stunden bis zum Mittag, um Akten zu sortieren. Hinter ihm an der Wand hing ein großer Spiegel. Es war kein venezianisches Kunstwerk. Doch seine reflektierende Oberfläche war poliert und warf das einfallende Licht zu fünfundneunzig Prozent zurück. Sollten die Skelette ihn hier angreifen, konnte er sich ducken und die Knochenfrauen voll in das Glas schauen lassen. Wenn stimmte, was Davidson erzählt hatte, wirkte das dann so wie auf Menschen wie ein Bewegungsbann oder anderer Erstarrungszauber.

Im Kamin brannte ein munteres Feuer. Das Knistern, Knacken und Prasseln übertönte die im fast menschenleeren Bau herrschende Stille. Benchwood hörte es nicht mehr. Er konzentrierte sich voll und ganz auf seine Dokumente. Erst als ein vernehmliches Plopp im Kamin zu hören war interessierte ihn, was dort vor sich ging.

"Ves, meine Ranch ist überfallen worden. Die Knochenfrauen haben meine Frau und meine Kinder als Geiseln genommen. Sie wollen, daß du eine gewisse Lavinia Thornbrook zu mir hinbringst, und zwar so, daß sie auf eigenen Beinen herumlaufen und sich frei bewegen kann", erklang die überaus ängstliche Stimme eines dunkelhaarigen Mannes mit wettergegerbtem Gesicht und Vollbart. Das war Robin Tindale, der in New Mexico eine Ranch mit Abraxas-Pferden und gewöhnlichen Rindern betrieb.

"Moment, Rob, diese Skelette sind bei dir eingedrungen? Ich dachte, du hättest alle möglichen Elementarabwehrzauber ausgespannt", erregte sich Benchwood. Innerlich hatte er mit einer Meldung wie dieser gerechnet.

"Die waren wertlos, Ves. Die sind zu mindestens dreißig durch die Abwehr gestürmt, und ehe ich mich versah, haben die mein Haus umzingelt und mindestens zehn von denen zu uns reingeschickt. Ich habe noch versucht, weitere Abwehrzauber anzubringen. Doch außer ein paar kurzfristig haltenden Geisterbannen hat nix geholfen. Die haben Mag, Anne und Becky mit ihren Flammenhänden angefaßt. Ich konnte die schreien hören. Dann kam mir eine, die sich Donna nannte, die mir geraten hat, meinen alten Freund Vespasianus Gordon Benchwood zu kontaktfeuern, ich hätte ja wohl das Spezialpulver noch, um direkt bei ihm durchzurufen. Ich weiß nicht, wer ihr das gesagt hat. Aber es stimmt ja. Sie wollen, daß du diese Lavinia Thornbrook mitbringst, aber sonst nichts anderes als deinen Zauberstab. Du kannst diese Lavinia auch so zu uns schicken, hat die Chefin dieser Grünfratzen behauptet. Wenn du nicht auf ihre Forderung anspringst werden sie erst Becky töten und dann Emma und dann Maggy."

"Und wenn ich mit allen Bereitschaftszauberern des Ministeriums anrücke, Rob?" Fragte Benchwood.

"Bringen sie meine Familie schneller um, als ihr bei uns seit, hat dieses grüne Oberskelett gesagt und ..." Rob schrie auf einmal. Benchwood hörte eine höchst verärgerte Frauenstimme wie knisterndes Kaminfeuer aus tiefem Schacht klingen: "Wag das noch mal, uns zu beleidigen. Sag diesem Kettenhund, er soll unsere vorenthaltene Schwester alleine zu uns bringen! Versucht er einen Befreiungssschlag, sollte er darauf gefaßt sein, daß er und seine Leute heute noch sterben. Los, sage ihm das!" Das tat der wie gepeinigt wimmernde Tindale auch.

"Ich muß das mit dem Minister besprechen, Rob. Ich kann nicht einfach über eine in Gewahrsam gehaltene verfügen wie ich will", sagte Benchwood.

"In einer Minute sollst du hier sein. Bist du es nicht, bringen sie meine Familie und mich um. Dann werden sie eine Zaubererfamilie nach der anderen heimsuchen, soll ich dir ausrichten, bis das Ministerium ihre Bedingung erfüllt hat."

"Und sowas behauptete mal, eine Liga rechtschaffender Hexen zu sein", stieß Benchwood aus. Doch die Drohung war zu ernst, um sich darüber zu amüsieren. Die Skelettfrauen wußten, daß ihnen die Zeit davonlief. Wenn sie ihre Art vor einem finalen Schlag schützen wollten mußten sie in den nächsten Tagen weitere Mitglieder werben, die dann, wenn die ersten von ihnen einen halben Monat lang zu schlafen hatten, wach sein würden. Es war nur verständlich, daß Pabblenut, die trotz möglichen Wahnsinns keine Idiotin war, ein System der Wechselschichten oder der fließenden Wachablösungen einplante. Gelang ihr das, war ihr und diesen Schreckgespenstern fast nicht mehr beizukommen. Andererseits konnte er jetzt versuchen, den unausweichlichen Endkampf Heute zu führen. Was hatte er gelernt? Spiegel bannten die Feuerskelette. An magieloses Gold würde er in nun nur noch fünfzig Sekunden nicht mehr gelangen. Doch wenn es ihm gelang, mindestens vier oder fünf Spiegel zu beschaffen, in denen keine Magie wirkte, konnte er Lavinia in einem Kabinett zurückverwandeln, das für die Knochenfrauen eine unentrinnbare Falle wurde.

"Die Zeit läuft", erinnerte Tindale ihn daran, daß er gleich zu ihm hinüber sollte.

"Ich informiere den Minister und ..." setzte Benchwood an. Da schrie Tindale erneut. Offenbar war Pabblenut direkt hinter seinem gerade kopflosen Körper und peinigte ihn. Dann hörte er noch ihre Stimme laut durch die ferne Verbindung schrillen: "In vierzig Sekunden will ich meine Schwester in die Arme schließen. Bringen Sie sie sofort zu mir hin."

"Der Weg zu mir ist genauso weit!" Rief Benchwood aus einer plötzlichen Eingebung heraus. "Wenn Sie Lavinia haben wollen flohpulvern Sie sich doch zu mir, falls Sie nicht unterwegs alle Ihre morschen Knochen verlieren, Pabblenut!"

"Verstehe", knurrte die Skelettfrau wie aus einem Brunnenschacht. "Der Herr ist der Eitelkeit verfallen, etwas, was sonst immer gerne unserem Geschlecht unterstellt wird. Aber für jede Art von Eitelkeiten habe ich kein Verständnis. Los, Schaffen Sie mir meine von Ihnen vorenthaltene Schwester zur Stelle! Sonst sterben hier alle, und Sie tragen dafür die Verantwortung." Dann fauchte es laut. Tindales Kopf schien in einem grünen Funkenschauer zerplatzt zu sein. Benchwood hoffte nur, daß diese grünen Knochenfrauen nur die Kontaktfeuerverbindung getrennt hatten. sie hatte ihm geraten, nicht eitel zu sein. War damit gemeint, daß er keinen Spiegel mitnehmen sollte? Dann hatte die wirklich Angst davor, dachte der Strafverfolgungsleiter. Mit einem Griff pflückte er den großen Spiegel von der Wand. Er rief laut ins nichts: "Dienstelfen zu mir!" Denn außer zehn Hauselfen war niemand mehr im offiziellen Ministeriumsgebäude. Keine fünf Sekunden später apparierten sieben kleinwüchsige Zauberwesen mit ausladenden Ohren in Geschirrtücher gewickelt im Büro Benchwoods. Angenehmer Geruch von Braten und Soße wehte durch das Büro. "Ich will in zwanzig Sekunden alle von euch zu beschaffenden Spiegel hierhaben, die groß genug sind. Los!" Die Elfen verneigten sich und verschwanden mit lautem Knall.

Benchwood preßte seine linke Hand an den großen Aktenschrank und berührte dessen Schloß mit der Zauberstabspitze. "Kokossterne", dachte er das geheime Passwort. Mit einem lauten Klicken und rasseln sprangen die Verriegelungen zurück. Der Schrank tat sich auf. Benchwood griff in die unterste Ablage und zog einen kleinen Kasten hervor, der mit den Runen für den Conservatempus- und den Mentiloquismusblockadezauber beschrieben war. Er öffnete den Kasten und fischte ein weißes Sofakissen heraus. An der Oberseite war ein Gesicht zu erkennen. Es sah aus wie das von Lavinia Thornbrook und bewegte sich. Es wirkte erst verdutzt, dann verärgert. Benchwood stopfte das Kissen unter seinen Umhang. Da krachten die ersten Elfen mit abgenommenen Wandspiegeln in das Büro. Benchwood konnte mit einer Zauberstabbewegung den Aktenschrank zuschließen. Dann schrumpfte er alle nacheinander eintreffenden Spiegel zusammen. Als er nur noch zehn Sekunden bis Ablauf des Ultimatums hatte trug er acht verkleinerte Spiegel bei sich. Er hatte den Schrumpfzauber so gewählt, daß eine einzige Entschrumpfungsbeschwörung alle wieder auf Normalmaß vergrößern konnte. Zumindest hoffte er so, der Knochenlady den Tag zu versauen.

Er warf eine Prise Flohpulver in den Kamin. Eine smaragdgrüne Feuerwand entstand. "Sagt dem Minister, er soll alle Bereitschaftstruppler zur Goldhuf-Ranch schicken. Jeder soll mindestens einen spiegel von der Größe eines Badezimmerspiegels mitbringen, als Schutzschild. Er weiß dann schon, was gemeint ist."

Ohne die Bestätigung der Elfen abzuwarten sprang er in die magische Feuerwand und rief: "Goldhuf-Ranch!" Dann schloß er die Augen. Das tat er immer, wenn er per Flohpulver reiste.

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Graves bekam am viertenOktober einen Anruf von seinem Vorgesetzten. "Sofort nach Mexiko. Ihr Schützling hat unseren Mann in Tihuana umgebracht. Versuchen Sie, ihn zurückzubringen! Falls er nicht mitkommen will, stecken Sie ihn in einen Leichensack! Rubicon ist genehmigt."

"Weiß Mr. T. das auch schon?" Fragte Sean Graves.

"Der unterhält sich gerade mit dem Boss aus Fort Meade über kurze Sattelitenübertragungen, die aus der Gegend abgestrahlt wurden. Wenn DDT jetzt wild in der Gegend herumsprüht könnte das sehr peinlich werden."

"Was ist mit denen vom Büro.

"Die haben nichts mitgekriegt, daß wir deren Daten mit unseren verglichen haben. Vixen hat interessante Verknüpfungen gefunden. eine davon hat mit unserer Außenstelle in Bogota zu tun. Sie besorgen mir diesen Watkin und alle, die mit ihm mitgereist sind. Wenn der wirklich mit der Mafia zusammengegangen ist, wollen die den auch haben. Seien Sie also darauf gefaßt, mit gefährlichen Leuten aneinanderzugeraten!" Graves bestätigte das. Dann stellte er ein fünfköpfiges Team zusammen, daß aus einem Elektronikexperten, einem reinrassigen Indio mit Sprachkenntnissen der mexikanischenStämme, einer ausgebildeten Einbrecherin und Diebin, einem Sprengstoffexperten und einem von der Airforce abgeworbenen Piloten bestand.

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Die Sitzung war interessant wie auch bedrückend verlaufen. Zachary Marchand hatte erfahren, daß die Feuerskelette Pabblenuts darauf ausgingen, wichtige Hexen zu ihresgleichen zu machen. Zwar besaßen die brennenden Knochenfrauen auch gravierende Nachteile. Doch wenn es ihnen gelang, noch genug Hexen zu wandelnden Schreckgespenstern zu machen, bevor sie in ihren halbmonatigen Schlaf fallen mußten, hatten sie noch mehr Feinde auf der Erde.

Als Zachary erfuhr, daß einige gute Freunde von Ernesto Torricelli nach Mexiko verreist waren stand für ihn fest, daß er auch dort hinwollte. Denn der Colonel hatte mittlerweile zehn nachträglich als CIA-Agenten ermittelte Männer getötet.

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Er fühlte ihre Hände an seinen Hüften. Er roch den Gestank verbrannter Kleidung. Dieses grün lodernde Knochenweib hielt ihn fest wie ein Schraubstock. Er hörte ihr leises Knacken und Klappern. Von der harschen Unterbrechung der Kontaktfeuerverbindung schmerzten ihm Kopf und Nacken. Was hatte er getan? Er hatte Benchwood dazu aufgefordert, sich diesen Unholdinnen auszuliefern.

Das knöcherne Unwesen hinter ihm hielt ihn sicher. Jeder Versuch, sich loszureißen war mit brennendem Schmerz beantwortet worden. Woher nahm dieses überlange Knochengestell so viel Kraft, wenn es keine Muskeln besaß? Welche infernalische Magie machte das möglich?

"Ihr habt eure Anweisungen", hörte Robin Tindale. Doch er hatte nicht mitbekommen, welche Anweisungen das waren. Offenbar verständigten sich die Knochenfrauen mentiloquistisch. Dann ging ein leichtes Zittern durch jene grüne Skelettfrau, die ihn hielt. Offenbar hatte sie etwas wahrgenommen, was er nicht wahrnehmen konnte. Doch genau zwei Sekunden später war ihm klar, was es sein mußte. Im Kamin wirbelten Funken. Dann hörte er ein immer lauter werdendes Fauchen. Die Funken verdichteten sich zu einem Flammenwirbel. Dieser spuckte einen rotierenden Körper aus. Ein Umhang flatterte. Dann konnte Robin erkennen, wer da im Kamin gelandet war.

Der Ankömmling mußte erst die Augen öffnen. Das Gesicht, das er danach zog verriet Robin, daß der Andere wohl nicht damit gerechnet hatte, sofort in einer Falle zu landen. Robin hörte von draußen lautes Klappern. Das waren diese Knochenweiber, die sein Haus umstellt hatten.

Benchwood hatte die Lage wohl schneller verkraftet, als Robin Tindale und die Skelettfrauen gedacht hatten. Mit links zog er etwas aus dem Umhang. Mit rechts führte er den Zauberstab. Er tippte das glitzernde Etwas an und hielt es nach vorne. Es blähte sich auf. Jetzt sah Tindale, daß es eine spiegelnde Oberfläche besaß. Doch bevor er sich oder die hinter ihm stehende Knochenfrau darin sehen konnte glühte das Objekt auf, sprang aus der Hand des Ankömmlings und zerschellte auf dem Steinboden. Gelächter ertönte aus fünf grün flammenden Totenschädeln.

"Netter Versuch, Mr. Benchwood. Aber So ist uns nicht beizukommen", sagte die Anführerin. "Würden Sie jetzt die Freundlichkeit besitzen, unsere Mitschwester in eine für sie und uns erträgliche Form zurückzuverwandeln?"

"Erst wenn das Klappergestell da die fleischlosen Finger von meinem Kollegen nimmt und ihr alle euch mindestens bis zur Tür zurückzieht", blaffte Benchwood.

"Sie denken, Sie könnten uns noch überrumpeln?" Fragte jene, die hier das Wort führte. "Selbst wenn Sie noch so einen verhinderten Trumpf aus dem Ärmel schütteln sollten haben meine Schwestern nebenan die klare Anweisung, Frau und Töchter dieses Menschen hier zu bearbeiten. Also vergessen Sie alles, was Sie gegen uns einsetzen wollten!"

"Ich kann Lavinia Thornbrook auch töten. Dann ist sie für Sie wertlos", konterte Benchwood mit einer Gegendrohung.

"Dann werden Sie mithelfen, alle die zu töten, die Ihnen vertraut haben, deren Beschützer Sie sein wollen. Ich erwarte nichts weiteres, als die Herausgabe unserer Mitschwester. Sie will zu uns. Sie soll zu uns. Dann werden Sie und alle, die sich keine Verfehlungen zu Schulden kommen ließen, von uns nicht mehr behelligt, und dieser Mensch hier darf mit Frau und Töchtern sein Leben weiterführen und seine Töchter irgendwann diesen koedukativen Stümpern von Thorntails und deren triebübersteuerten Knaben ausliefern."

"Ich verstehe, daß Sie sich in diesem abgemagerten Körper so wohl fühlen wie ein Salamander im Feuer. Aber trifft das auch für alle zu, die Sie dazu gezwungen haben, so zu werden, wie sie jetzt herumlaufen?" Fragte Benchwood, der offenbar nicht einsehen wollte, hier das kürzere Ende vom Besenstiel in Händen zu halten.

"Sie alle hier sind mir in das neue Dasein gefolgt, weil sie mir folgen wollten und weil sie wie ich auf nichts verzichten, was sie nicht wollten. Und jetzt kehren Sie sofort die Verwandlung von Lavinia Thornbrook um! Mentiloquieren ist nicht mehr möglich. Der Kamin wird von uns blockiert, und disapparieren können Sie aus diesem Haus auch nicht mehr", schnarrte Pabblenut. Offenbar war sie nicht so geduldig, erkannte Tindale.

"Okay, ich verwandele Sie zurück", schnarrte Benchwood. Dann griff er unter seinen Umhang. Er zog ein weißes Sofakissen hervor. Fünf paare aus glühenden Lichtkugeln warfen ihren flackernden Schein auf das Kissen, auf dem ein Frauengesicht zu erkennen war, das gerade zwischen Verdruß und Hilflosigkeit schwankte. Benchwood ließ das Kissen zu Boden fallen. Das Gesicht verzog sich beim Aufprall. Dann führte er den Zauberstab. Er zielte auf das Kissen. Dises blähte sich auf einmal auf, wurde so groß wie ein Bett, dann so groß wie ein Doppelbett. Das Gesicht Lavinias war nun mindestens fünfmal so groß. Erst dann blitzte es, und statt der normalen Hexe Lavinia Thornbrook zwengte sich nun eine vier Meter hohe Frau im dicken Umhang zwischen Boden und Decke. "Volltroll!" Brüllte sie. Doch dann kapierte sie, was Benchwood da angestellt hatte. Pabblenuts silberweiße Mondlichtaugen sprühten Funken. Lavinia hieb mit ihrer nun gigantischen Faust nach dem Brustbein der Skelettfrau. Die Fingerknöchel trafen voll. Pabblenut flog laut klappernd zurück und fiel beim Anprall an die Wand in ihre einzelnen Knochen auseinander, die klackernd auf dem Boden landeten. Lavinia schrie kurz vor Wut und Schmerz. Doch dann übermannte sie ein regelrechter Rausch. Sie drosch ohne Angst vor Schmerz und Tod nach den anderen frei stehenden Skelettfrauen, die den Zerfall ihrer Anführerin wie angewurzelt beobachteten.

"Thelma, schluck seinen Geist!" Zeterte der gerade in eine Ecke rollende Schädel Pabblenuts. Benchwood sah jedoch, das winzige grün flimmernde Lichtstrahlen die getrennten Knochen verbanden. Womöglich würde sich die Knochenlady gleich wieder zusammenfügen wie bei einem Auftritt zu Halloween. Da erwischte Lavinias Riesenfaust das hagere Skelett, daß Tindale festgehalten hatte. Dann fegte eine wuchtige Armbewegung jenes Knochengerüst aus der Bahn, das gerade auf Benchwood zuklapperte. Die Wucht der Treffer ließ die Knöchernen in ihre einzelnen Gebeine auseinanderfliegen. Doch die brennenden Knochen brachen dabei Nicht. Allerdings begann da, wo die Knochenfrauen gegen die getäfelten Wände geprallt waren Qualm aufzusteigen. Benchwood wußte, daß er nur noch die eine Chance hatte. Er ging hinter Lavinias gigantischer Gestalt in Deckung und zerrte kleine Objekte aus seinem Umhang. Lavinia prügelte derweil weiter auf die sie bedrängenden Skelettfrauen ein. Dabei trat sie beinahe auf Robin Tindale, der die Gunst nutzen wollte, das Kaminzimmer zu verlassen.

Benchwood beobachtete nur, ob durch die Tür weitere Skelette hereinkamen. Doch Lavinia hieb um sich. Knochen flogen Funken sprühend durch den Raum. Wo niedergeworfene und in Einzelknochen zerlegte Skelette am Boden lagen schoben sich die getrennten Knochen aufeinander zu. Auch Pabblenuts Schädel rollte auf einen Punkt zu, an dem sich ihre Wirbelsäule wie eine glühende Schlange wand. Endlich hatte Benchwood den Halbkreis vollendet, der den Kamin begrenzte. "Rob zu mir!" Rief er Rob Tindale zu. Da flog noch ein Knochengerüst durch die Luft. Eine grün brennende Hand versuchte, Rob am Hals zu halten. Doch Rob Tindale wippte nach links und wurde verfehlt. Er sprang geduckt zu Benchwood, der ihn hinter sich in den Kamin schupste. Dann rief er: "Restaurato Magnitudinem pro omnibus!" Funken stoben durch den Raum. Doch es waren violette Funken. Wo sie sich bündelten bewirkten sie folgendes:

Lavinia wurde in eine violette Funkenwolke gebadet und erzitterte. Dann schrumpfte sie wie ein Balon, der Luft verliert. Sie brüllte noch einmal auf. Gleichzeitig wuchsen winzige Splitter auf dem Boden zu mannshohen Spiegeln an. Einmal glaubte Benchwood, einer der Spiegel würde sofort verglühen wie der erste, den er einzusetzen versucht hatte. Doch dann standen sie da, sieben mannshohe Spiegel, so dicht an dicht, daß sie einen reflektierenden Halbkreis mit gerade einmal fingerbreiten Lücken bildeten. Das Schaben und Klappern geriet ins Stocken. Die gerade erst wieder auf die Beine gelangenden Skelette blickten auf einmal in ihr vollständiges Spiegelbild. Das fror sie förmlich am Boden fest. Benchwood konnte sogar erkennen, daß die sie umzüngelnden Flämmchen zu einer schwachen grünen Restglut schrumpften. Lavinia, die gerade den Rausch der Riesigkeit überwand sah die bereits wieder vollständigen Skelette. Gerade setzte sich auch Pabblenuts Knochengerüst wieder zusammen. Doch es blieb liegen. Die silbernen Lichter schickten irritierende Strahlenbündel zur Decke.

"Und was habt ihr jetzt davon?" Fragte Pabblenut. "Ich hole mir jetzt Lavinia in unsere Gemeinschaft, wo sie die richtige Größe angenommen hat".

"Dafür mußt du Knochenkrämerin aber aufstehen", schnarrte Benchwood. Lavinia, die gerade wohl wieder unter den magischen Zwang der Abstimmungskarten geriet, zitterte. Der Wille zum Widerstand kämpfte gegen den Drang, sich der neuen Anführerin endlich hinzugeben.

"Sie kommt zu mir hin, du Narr!" Zischte Pabblenut. Ein weiteres Skelett vervollständigte sich wieder. Es erhob sich - und blieb wie in einen Eisblock eingefroren stehen. Lavinia beugte sich herunter. Benchwood sprang auf den Kaminrost, um über die Spiegelbarriere hinwegzielen zu können. Pabblenut wollte ihre Schwester in ihre Reihen zwingen. Ihre Schwester! Sie haßte Männer. Sie verabscheute es, mit Männern zu tun zu haben. All das durchzuckte Benchwoods Gehirn in einem winzigen Augenblick. Er zielte auf Lavinia, die bereits ihre Arme öffnete. "Intercorpores Permuto!" Rief er, wobei er den Zauberstab so waagerecht er aus dieser Lage konnte zu Robin Tindale hinüberzucken ließ. Laut prasselnd spannte sich ein Lichtbogen zwischen dem Hausherrn und der Hexe aus Fleisch und Blut. Das Licht schien beide zu zerkochen. Dann krachte es, und da wo Tindale gestanden hatte stand nun Lavinia Thornbrook, und da, wo Lavinia gerade Anstalten gemacht hatte, das auf dem Rücken liegende Skelett wie eine gespenstische Geliebte zu umarmen, stand nun übergebeugt Robin Tindale. Beide, das Skelett und die in einen Mann verwandelte Hexe, zuckten zurück. Pabblenuts Totenschädel entfuhr ein katzenhaftes Wutfauchen. Sie sprang auf ihre Knochenfüße - und stand damit ihrem eigenen Spiegelbild gegenüber. Damit erstarrte auch die große Anführerin der brennenden Knochenfrauen. Draußen ertönte ein kurzer Aufschrei und ein wildes Klappern. Funken stoben durch den Raum. Benchwood fühlte es heiß von hinten. Er warf schnell einen Blick nach unten. Feuer leckte an seinen Schuhen und dem Saum des Umhangs. Wieder mußte er schnell handeln. "Extingio Maxima!" Rief er, wobei er sich einen nordamerikanischen Schneesturm dachte, der ihn umtoste. Da fühlte er, wie Gedanke und Wirklichkeit eins wurden, zumindest was seine Füße anging. Ein eisblaues Flackern hülte die Flammen ein und verzehrte diese. Nach nur drei Sekunden stand Benchwood nicht mehr in Brand. Dafür bibberte er. Seine Schuhe waren von Eiskristallen bedeckt, als sei er mit ihnen durch drei Tage alten Schnee gewandert. Die Brandlöschaktion hatte ihn jedoch von einem wesentlichen Umstand abgelenkt. Lavinia hatte mit dem Körpertausch auch alle Sachen erhalten, die Tindale am Leib getragen hatte. Die Skelette waren sich ihrer Sache offenbar zu sicher gewesen. Das zumindest mußte Benchwood erkennen, als die zum Mann gewordene Hexe einen Zauberstab emporreckte und sich auf der Stelle drehte. Es krachte laut. einzelne grüne Funken flogen durch den Raum. Lavinias verwandelte Gestalt flimmerte. Doch dann war sie fort, wie in einen zarten weißen Nebelwirbel eingesogen. Ob sie vollständig disappariert war konnte Benchwood nicht sagen. Jedenfalls war sie im Moment nicht mehr sichtbar.

"Drachenmist, mein Körper!" klang eine verängstigte Frauenstimme. Benchwood sah den wie Lavinia aussehenden Tindale, der vor Angst aufsprang und damit zwischen einen der Spiegel und dem darauf festklebenden Blick einer Knochenfrau trat. Diese kam aus der Erstarrung frei. Doch der Bann fiel offenbar nicht augenblicklich ab. Sie bewegte sich erst zögerlich. Benchwood erkannte, daß Tindale ihm den Sieg gefährdete. So rief er den Schockzauber auf. Tindale stolperte und fiel um. Das gerade auf ihn losstaksende Knochengerüst konnte sich nun wieder zum größten Teil im Spiegel sehen und verfiel erneut der merkwürdigen Lähmung, die ihr sichtbares Spiegelbild ausübte.

"So, Mädels, ihr bleibt jetzt alle hier hübsch stehen, während ich Mag und die beiden Kleinen hole", grummelte Benchwood.

Um die Spiegel nicht umzustoßen belegte er sich mit dem Deterrestris-Fluch, der ihn wie ein Korken an die Decke schnellen ließ. Er konnte sich gerade noch mit dem freien Arm abfangen und seine Beine nach hinten werfen. Jetzt lag er mit dem Rücken an die Zimmerdecke gepreßt Da. Er wandte sich umund kam bauchseitig an der Decke zum liegen. Wie eine übergroße Stubenfliege kroch er nun an der aus starken Brettern gezimmerten Decke entlang, bis er die Sichtverbindung zwischen Spiegeln und davon gebannten Knochenfrauen überwunden hatte. Dann dachte er konzentriert: "Terra Firma!" Die ihn gegen die Decke drückende Antischwerkraft ebbte langsam ab. Die natürliche Erdanziehung fing ihn wieder ein und zog ihn nach unten. Wie eine Feder schwebte er zu Boden. Erst als er den Steinfußboden berührte fiel der Rest der magischen Schwerkraftbeeinflussung von ihm ab. Er stand nun hinter den ihr Spiegelbild anstarrenden Skeletten. Er unterdrückte den Wunsch, die erstarrten Knochenfrauen zu verspotten, zumal dort draußen noch einige von ihnen herumlaufen mochten. Er wunderte sich eh, daß sie noch nicht reagiert hatten. Aber wo war Lavinia Thornbrook.

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"Das ist doch nicht sein Ernst", brüllte Cartridge, als ein aufgebrachter Hauself ihm meldete, daß Vespasianus Benchwood mit der aus dem Gewahrsam geholten auf eine Goldhuf-Ranch flohpulvern wollte und dafür insgesamt acht Spiegel mitgenommen hatte.

"Tindales Ranch! Die Knochenfrauen sind da. Einsatzgruppe New Mexico unverzüglich zwei meilen vor Gebietsgrenze Goldhuf-Ranch apparieren und auf Besen vorrücken. Bei Flugproblemen unverzüglich landen! Mitnahme von tragbaren, magielosen Spiegeln erforderlich!" Befahl er wie ein Kapitän eines Schlachtschiffes im Gefecht. Der silberne Trichter des Schallverteilers zitterte unter der Lautstärke seiner Stimme. Im Ganzen Ausweichstützpunkt des Zaubereiministeriums hallte seine Anweisung wider. Ein Verbindungszauberer zur befohlenen Einsatzgruppe gab die Order unverzüglich weiter.

"die Herren Whitehead und Dime sofort in mein Büro!" gab der Minister einen weiteren Befehl aus. Dieser war nach nur einer Viertelminute vollständig ausgeführt.

"Benchwood ist wohl lebensmüde oder größenwahnsinnig oder beides zugleich", sprach der Minister mit den beiden Ressortleitern. "Der kann nicht alleine gegen siebzig oder mehr lebende und mit magischem Feuer imprägnierte Skelette kämpfen, die noch dazu gegen die meisten Zauber immun sind, Avada Kedavra eingeschlossen.

"Warum versucht er es dann doch, Sir?" Wollte Whitehead wissen. Cartridge erwähnte nur den Namen Robin Tindale.

"Waren beide in Dragonbreath. Tindale hat Maggy Crowne geheiratet. Die beiden haben zwei Töchter, Emma und Becky", wußte Handels- und Finanzchef Dime, der mit seinem reichlich genährten Körper fast wie die Muggelvorstellung vom Weihnachtsmann aussah, hätte er statt des lindgrünen Umhangs einen hellroten Mantel getragen.

"Ich schicke meine BSB-Truppe auch los", sagte Whitehead und machte Anstalten, das Ministerbüro zu verlassen.

"Moment, wie steht's mit dem Projekt Waschgold?" Fragte der Minister.

"Die Kobolde gehen da mit, solange sie die eingetaushten Barren behalten dürfen, wenn wir sie nicht mehr brauchen. Sie haben schon Gold im Materialwert von siebentausend Galleonen eingeschmolzen und pressen es zu Muggelstandardbarren um. Wir müssen aber pro Kilogramm Tauschgold hundert Gramm Zuzahlung leisten. Dieser Knochentanz wird unseren Haushalt ziemlich übel belasten, Sir", berichtete Dime.

"Hinzu kommt, daß wir noch nicht wissen, wie wir das getauschte Gold magiearm zu einem Einsatzort bringen können", knurrte Cartridge.

"Haben Davidsons Leute da noch nichts erwähnt?" Fragte Whitehead.

"Die sind Zauberer, aber keine Rechenmaschinen", grummelte der Minister. Dime sagte: "Wenn Sie erfahren, daß auch teilweise mit Magie behandeltes Gold eine Wirkung hat können wir die Kosten vielleicht in einem verträglichen Rahmen halten, Sir."

"Diskutieren Sie das bitte in einer Runde mit Pabblenuts Feuerskeletten, diesem Hammersmith vom LI, den Kobolden von Gringotts und womöglich noch mit der schwarzen Spinne", blaffte der Zaubereiminister den Finanzhüter an, der eine verdrossene Miene machte.

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Der Zwang zur Hingabe war in dem Moment von ihr abgefallen, als dieser wahnwitzige Kettenhund sie mit dem Körpertauschfluch belegt hatte. So wie der sie vor einer ihr nicht bekannten Zeit in ein Sofakissen verwandelt hatte hatte sie im Moment, wo ihr Körper im Materiefluß des Zaubers zerging gefürchtet, gleich mit diesem Tindale androgynomorph fusioniert zu werden. Doch als sie einen eigenen Körper hatte wußte sie, daß sie zumindest für einen Tag vor Pabblenuts Knochenballett sicher sein würde.

Als sie dann begriff, daß dieser Ministeriumsdraufgänger ihr mal eben einen Zauberstab zugespielt hatte und daß Pabblenut und die im Raum anwesenden Knochenfrauen irgendwie vor dem Anblick ihres eigenen Spiegelbildes erstarrt waren riskierte sie es. Sie disapparierte. Dabei hatte sie einen Moment gedacht, in einen sich um sie ziehenden Ring aus grünem Feuer zu verbrennen. Doch dann hatte sie jene beengende Dunkelheit umklammert, die für sie nun die Befreiung war. Ihr Ziel war die Versammlungshöhle. Hoffentlich wiesen die dort aufgebauten Zauber sie nicht sofort ab!

Als sie die Welt um sich wiedererstehen sah durchbrauste sie ein heißer Schauer. Sie glaubte, jetzt doch noch zu verbrennen. Doch dann klang das beklemmende Gefühl auch wieder ab. Sie sah an sich herunter. Sie war immer noch ein Mann, noch dazu ein Kerl, der keinen Wert auf Bart- und Haarpflege zu legen schien. Wie hatte der eine Frau gefunden, die auch noch zwei Kinder von dem bekommen hatte? Egal! Die Wachzauber der Höhle hatten sie trotz des gerade bewohnten Körpers akzeptiert. Also galt nicht das äußere Erscheinungsbild, sondern die innere Beschaffenheit als Zutrittskriterium. Gut zu wissen. So würde auch keiner, der sich den Körper einer hier eingeschworenen Schwester ausborgte geduldet. Jetzt hatte sie aber ein Problem. Sie wußte nicht, ob nach Ablauf des einen Tages der Rückverwandlungsvorgang ungestört ablief, wenn sie sich hier versteckte. Und wenn dieser Tindale es hinbekam, in ihrem Körper getötet zu werden ... Sie dachte noch einmal über Ausführung und Auswirkungen des Zaubers nach, dem sie ihre Befreiung verdankte. außer einem Tausch toter Habseligkeiten, die nicht durch Diebstahlschutz an eine Person gebunden waren vollzog sich bei Intercorpores Permuto eine Körperverwandlung, kein Seelentausch. Sie würde also nach dem einen Tag in sich selbst zurückverwandelt. Nur was von Tindale noch an ihrem Leib getragen wurde, würde wohl zu diesem zurückversetzt und sie ihre Habseligkeiten zurückerhalten. Wenn jemand aber die Sachen auszog, die beim Tauschvorgang am Körper getragen worden waren? sie würde gerne den Zauberstab behalten. Denn ihr war klar, daß sie auf legale Weise keinen neuen mehr bekommen würde. Aber was noch zu klären war, wie sollte sie weiterleben? Die Knochenfrauen jagten sie. Sie wollten sie zu ihrer Schwester machen. Dieses Feuerskelett Pabblenut hatte nur von ihr abgelassen, weil keiner wußte, ob der Skelettiervorgang sie dann als männliches Knochengerüst hätte weiterexistieren lassen, auch über den einen Tag hinaus.

Warten wir es ab, was geschieht", dachte Lavinia. Sie wußte nur, daß sie wohl bis auf weiteres immer in einer anderen Körperform weiterexistieren mußte, solange die Skelette herumklapperten. Vielsaft-Trank hatte sie noch vorrätig. Wenn sie sich ein paar Haare von Muggeljungen holte konnte sie sich frei bewegen, sofern diese Knochenschwestern nicht dachten, sich nur ihren Geist zu sichern und auf den Körper zu verzichten. Da fiel ihr ein, daß die Skelette sie bei Misty Mountain erst umstellen wollten, als sie Toby Fenders ausgeborgten Körper gegen ihren eigenen getauscht hatte. Womöglich konnten die sie nur aufspüren und unterwerfen, wenn sie in ihrer rein natürlichen Gestalt herumlief. Gut zu wissen, dachte die Führerin der schweigsamen Schwestern.

Es ploppte. Lavinia fuhr herum. Da stand Beth McGuire. Diese sah Lavinia verdutzt an. Natürlich sah sie im Moment einen dunkelhaarigen, bärtigen Zauberer im groben Gebrauchsumhang. Dann lächelte sie jedoch.

"Schwester Lavinia, bist du das?" Fragte sie.

"Lady Lavinia", korrigierte Lavinia die Mitschwester, die sie als Verräterin ansah. "Du hast meine Pläne offenbart", knurrte sie und genoß den Klang der rauhen Männerstimme.

"Hätte ich das nicht getan hätten dich wohl die grünen Skelette getötet oder unterworfen, Schwester!" Spie Beth selbstbewußt aus. Woher nahm die diese Überlegenheit?

"Solange ich nicht tot bin oder wie Daianira oder Lady Hyneria durch eine permanente Verwandlung nicht mehr eure Anführerin sein kann hast du mich mit Lady Lavinia anzusprechen, Schwester Beth. Außerdem bist du eine schmutzige Verräterin. Du hast der Spinnenhexe verraten, was ich vorhatte."

"Erstens heiße ich seit dem dritten Oktober "Lady Beth Marilyn McGuire", Schwester Lavinia. Zweitens hat Lady Roberta es nicht nur gewußt, daß ich mich Anthelia angeschlossen habe, sondern es sogar befürwortet, solange ich dabei mein Leben nicht in Gefahr bringe. Drittens bin ich genau deshalb hergekommen, weil ich von allen anderen Schwestern als neue Führerin akzeptiert wurde. Das Ritual der entmachteten Führerin, du erinnerst dich?"

"Ich bringe diesen Benchwood um", schnaubte Lavinia. Tatsächlich hatte der mit seiner Verwandlungszauberei dafür gesorgt, daß das Ritual der entmachteten Führerin funktioniert hatte, weil keine Spur ihres Lebens und Denkens auf dem nordamerikanischen Kontinent zu finden war. Dann fiel ihr auf, daß ja schon Wochen verstrichen sein konnten. Sie fragte nach dem Datum und erbleichte. Sie hatte wahrhaftig über eine Woche lang in dieser Verwandlung übersprungen, ohne das zu spüren. Auch eine lehrreiche Erfahrung, daß in tote Dinge verwandelte wie natürliche Objekte in Conservatempus-Verzögerung aufbewahrt werden konnten. Denn anders konnte das nicht gelaufen sein.

"So, dann existiere ich für euch alle nicht mehr? Habt ihr mich alle abgeschrieben oder was?"

"Lady Roberta unterbreitet dir durch mich ein Angebot. Ich denke jedoch, du mußt erst einmal wieder du selbst sein, um es zu bedenken. Intercorpores Permuto?"

"Nein, Contrarigenus, du verräterisches Aas. Hat Lady Hynerias Vorgehen also nichts gebracht, und wir sollen uns wieder von einer Anthelianerin führen lassen. Da gehe ich dann doch lieber zu Pabblenuts Knochenbande."

"Und willst deren Sklavin sein, statt ein besseres Leben zu führen, mit der Möglichkeit, eines Tages die Sprecherin der nordamerikanischen Schwestern zu werden?" Fragte Beth McGuire. Lavinia stutzte. Jetzt veralberte diese miese kleine Verräterin sie auch noch. Doch Beth wiederholte die Frage und sagte dann: "Unsere Sprecherin gibt dir und uns eine Chance, Lavinia. Du bist für die Schwesternschaft so, wie du jetzt bist - das meint sie seelisch und gesellschaftlich -, wertlos geworden. Soll dein Leben noch einmal einen Wert für die Sororitas haben, mußt du deine bisherige Identität aufgeben. Näheres dann, wenn du bei Lady Roberta bist. Der Körpertauscher klingt auch ab, wenn du schläfst."

"Oder du", knurrte Lavinia und zielte mit dem zugespielten Zauberstab Tindales auf Beth. Da fühlte sie, wie etwas bedrohliches, lauerndes wie eine Decke aus landenden Hornissen über ihr herabglitt und sie einhüllte. Sie fühlte das Prickeln auf der Haut, das zu einem dumpfen Vibrieren in ihren Eingeweiden wurde. Da begriff sie, daß Beth tatsächlich die neue Anführerin war. Die vielfältige Magie der Versammlungshöhle bestrafte alle, die es wagten, die Führerin anzugreifen. Nur ein ordentlich gefordertes und akzeptiertes Entmachtungsduell verschonte die Angreiferin der anerkannten Anführerin. Beth war jetzt die anerkannte Anführerin. Sollte Lavinia sie zum Entmachtungsduell fordern, wo sie Hynerias Platz durch Absprache und Anerkennung erhalten hatte? Sie wußte aber auch, daß sie nur deshalb die Sprecherin hatte sein dürfen, weil sie Leda Greensporn aus der Gemeinschaft der Entschlossenen freigegeben hatte.

Sie wollte noch was sagen, doch da überkam sie die Müdigkeit eines magischen Schlafes. Sie sackte hinten über. Zwar waren Tindales ausgeborgte Beine stark. Doch gegen den Zauberschlaf, der sie übermannte, kamen auch sie nicht an. Beth ließ Lavinia behutsam zu Boden gleiten. Dann Ergriff sie ihre schlaffe Hand und warf sich in eine Disapparition. Die Höhle der Versammlung war nun wieder leer. Ob Lavinia Thornbrook hier jemals wieder eingelassen wurde war mehr als unwahrscheinlich.

"Ihr habt unseren Kreis gesprengt. Aber jetzt holen wir dich", schnarrte eine Frauenstimme. Er erkannte sie. Das war Thelma Archer. Er hatte sie bei dem Prozeß Pabblenuts gegen Dione Porter und deren Nichte Melanie Redlief lange genug hören dürfen. Jetzt war auch sie eine Knochenfrau und brauchte sich um Hexenkosmetik keine Gedanken mehr zu machen.

Fünf Skelettfrauen kamen auf ihn zu. Keine wagte es, durch die Tür zu gehen. Der Strafverfolgungsbeamte wußte auch warum. Denn wer durch die Tür ging blickte in mindestens einen der aufgebauten Spiegel. So sprang er zur Seite und gab den Durchblick frei. Archer und eine andere Knochenfrau sprangen jedoch sofort in seinen Fluchtweg. Ihre nur von Magie zusammengehaltenen Knochen schüttelten sich wie bei einer Gruselschau zu Halloween. Doch das war keine Schau, sondern tödlicher Ernst. "Wo sind Mag und die Mädchen?" Brüllte Benchwood.

"Kreist ihn ein, damit er nicht fliehen kann!" Rief Archer und griff mit dem Rücken der Tür zugewand nach hinten und warf die Tür zu, damit die Macht des Spiegelbildes sie nicht lähmen konnte.

"Ich wäre schon längst weg, wenn ich Mag und die beiden hätte", dachte Benchwood. Ihm war klar, daß er nur noch wenige Sekunden zu leben hatte, wenn er nicht sofort floh. Da hörte er die Stimme einer Frau, die er kannte: "Du wolltest wissen, wo wir sind? Ich bin hier, und die Kleinen sind wieder bei mir, wie damals, als ich sie ins Leben trug." Er erkannte eine Knochenfrau mit goldgelb leuchtenden Kugeln statt Augen in den von grünen Flammen umzüngelten Höhlen. Mag hatte hellbraune Augen besessen, ihre Töchter ebenfalls. Und die Stimme paßte auch. Benchwood erstarrte, als habe er ein ihn magisch fesselndes Spiegelbild vor sich. Mag war eine von denen geworden! Dieser Gedanke nagelte ihn fest. Er hatte versagt. Er hatte Lavinia entkommen lassen und doch die Tindales nicht retten können.

"Ich hole dich zu ihnen, dabei darf ich dann auch wissen, was ihr von uns wollt", sagte Mag Tindale. Sie stakste vorwärts. Da vertrat ihr Thelma Archer den Weg.

"Lady Alexandra hat mir versprochen, ihn zu bekommen. Du hast deine Bälger zurückgenommen und darfst ihren Vater dazuholen. Mir gehört Benchwood. Du bist meine Daseinstochter." maggy Tindale klapperte enttäuscht mit den Schulterknochen und gab den Weg frei.

Maggy griff mit den Knochenhänden nach denen ihrer Nachbarinnen. Benchwood versuchte noch, zu disapparieren. Doch es war, als spränge er geradewegs in einen sich zusammenziehenden grünen Feuerring hinein. Der Schmerz war unerträglich. Er schrie. Er fühlte, wie ihm die Sinne schwanden. Da riß ihn etwas noch einmal auf die Füße, um ihn im nächsten Moment in eine endgültige, tödliche Umarmung zu schließen. Alles an ihm begann im grünen Feuer zu verbrennen. Er schrie noch einmal vor unbändigem Schmerz. Dann fühlte er die Gnade der Ohnmacht. Als er wieder zu sich kam trieb er schwerelos in einem Meer grüner Flammen. Er hörte Archers von allen Seiten klingende Stimme triumphierend sagen: "Von nun an gehörst du mir. Vereinige dich mit mir, Vespasianus Benchwood!" Er versuchte, zu widerstreben. Doch die Macht des Befehls verwirbelte alle seine Gedanken. Er fühlte, wie er in einen unaufhaltbaren Strom geriet, dessen Name Thelma Archer lautete. "Vereinige dein Selbst mit mir!" Hörte er noch einmal den Befehl, der sein eigenständiges Leben beendete. Er fühlte nun und dachte nun wie Thelma Archer. Er sah durch ihre Augen die Welt und fühlte die Nähe ihrer Schwestern. Er dachte daran, daß die Spiegel jede von ihnen bannte, die ihr Spiegelbild sehen konnte. Nur wenn die Spiegel beschlugen, zerstört wurden oder einfach nur Dunst und Rauch die Sicht vernebelten, konnte die Kraft der gespiegelten Ausstrahlung nicht mehr wirken. Er hörte sich mit Archers Gedankenstimme rufen: "Brennt das Haus ab. Dann werden die erhabene und unsere Schwestern wieder frei! Mag, hol den Vater zu den Kindern, auf das ihr vier in einer vereint seid."

Benchwood dachte an das, was Davidson ihm erzählt hatte. Doch weil er nun nur noch ein Teil Archers war, ein willkommener Anteil verfügbaren Wissens, konnte er seine Erinnerungen nicht für sich behalten. Sie und er wußten nun, daß das Ministerium die Schwachstellen kannte. Benchwood erfuhr durch Archer, daß die schwarze Spinne diese Schwachstellen auch kannte und dachte an das brennende Schwert. Dieses rief seine in den Geist der grünen Knochenfrau geflossene Erinnerungen an das Schwert wach, daß einmal der Massenmörder Voldemort besessen hatte. Das Schwert war tödlicher als die Berührung mit Gold. Es konnte durch Berührung das magische Feuer der Kinder Morrigans und Easars auslöschen. Die neue Anthelia war für Archer so schon eine Todfeindin gewesen, für die Knochenfrau Archer und den in ihr aufgegangenen Vespasianus Benchwood war sie jetzt noch verhaßter und noch tödlicher. Dann dachte er daran, daß bald die Zeit des Schlafes käme. Nur die, die eine Woche nach ihr entstanden waren würden noch eine Woche länger wachen, darunter Maggy Tindale und Phyllis Greendale, ihre Daseinstöchter.

Zu jedem Widerstand vollkommen unfähig, ja die Handlungen als seine eigenen Absichten wahrnehmend bekam Benchwood mit, wie die noch handlungsfähigen Knochenfrauen mit ihren Händen die Tür in Brand steckten, die Wandtäfelungen berührten und dann in den mit den Spiegeln zugestellten Raum hineinliefen. Doch der dort wabernde Qualm verwischte die Spiegelbilder. Ruß lagerte sich auf den glänzenden Oberflächen ab. Pabblenut erwachte aus dem Bann ihres Spiegelbildes. Euphorie erfüllte die Skelette. Dann sah Archer den zu Lavinias Ebenbild umgewandelten Tindale.

"Er gehört dir, Schwester Maggy. Die Verwandlung betrifft nur den Körper."

Maggy drängte sich an Archer vorbei und riß den geschockten Zauberer im Hexenkörper hoch und in ihre Arme. Benchwood fühlte, wie der betäubte für einen Moment wieder zu sich kam und dann mit großer Freude in den Geist seiner Frau und zu den Seelen der darin geborgen liegenden Töchter zu fließen.

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Als die Sonderabteilung zur Katastrophenumkehr und die Inobskuratoren zusammen mit der Truppe zur bösartigen Spukbekämpfung die Goldhuf-Ranch erreichten, waren die Haupthäuser bereits ein Raub der Flammen. Der Menschenfindezauber zeigte keine weiteren lebenden Menschen mehr an. Auch die Skelette waren nicht mehr da. Sie waren wohl um wenige Minuten zu spät eingetroffen.

Whitehead überbrachte dem Minister die Schreckensmeldung, daß Benchwood entweder tot oder der Gefangene der Knochenfrauen war. Nachdem, was sie beide über diese Geschöpfe wußten, gingen sie vom schlimmsten Fall aus, daß sowohl Lavinia als auch Ves Benchwood nun die Sklaven oder Wissensspender der brennenden Knochen waren. Damit hatten diese Geschöpfe alles Wissen, um das Ministerium zu stürmen. Doch die Barriere aus fließendem Wasser würde diese Geschöpfe zurückhalten. Doch was die Skelette nun mit ihrem erbeuteten Wissen anstellen konnten war unvorstellbar. Cartridge rechnete mit einem Ultimatum oder mit einer Hetzjagd auf Hexen, die nicht in das Bild der Liga rechtschaffender Hexen paßten. Jedenfalls ließ er sämtliche Familienangehörigen seiner Mitarbeiter unverzüglich auf die Insel holen und richtete eine Luftschiffverbindung zur Nahrungsversorgung ein. Er sprach persönlich mit dem Leiter von Gringotts und machte ihm das Zugeständnis, bei dem Goldtausch hundertfünfundzwanzig Gramm Gold pro Kilogramm Tauschgold draufzuzahlen. Doch wie sie das Gold magielos transportieren und zielgenau einsetzen sollten wußte er noch nicht, und wo genau erst recht nicht.

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Anthelia hörte sich an, was Beth und ihre ihr nun folgenden Schwestern erfahren hatten. Auch daß Lavinia Thornbrook freigekommen war, weil Benchwood sie mit dem Zauberer Robin Tindale körpervertauscht hatte. Auch, daß der Minister eine Aktion gestartet hatte, Zauberergold gegen Muggelgold zu tauschen erfuhr die höchste Schwester. Diese bemerkte dazu:

"Dann werde ich dem Minister die Formel für den Concordia-Avorum-Zauber zuspielen, wenn er sich traut, mich zu treffen. Mittlerweile sollte er wissen, wo Broomswood liegt."

"Wir machen das nicht ganz alleine, höchste Schwester?" Fragte Beth ungläubig. So zurückhaltend aufzutreten war sonst nicht Anthelias Art. Mochte es sein, daß der Anteil jener alten Magierin, mit der sie eins geworden war, ihren Fanatismus erheblich gedämpft hatte?

"Ich muß zugeben, daß ich in diesem Fall, wo es gerade darum geht, möglichst keine Magie aufzubieten, lieber denen den Vortritt lassen werde, die über eine größere Anzahl von Ausführenden verfügen. Außerdem, Schwester Beth, muß das Ministerium Erfolge vorweisen. Nocturnia ist noch zu mächtig und obendrein weltweit verzweigt. Wir werden uns nicht anbieten, dem Ministerium einen großen Erfolg zu verschaffen. Deine übrigen entschlossenen Schwestern werden ihm sicher auch nicht als lohnende Trophäe dienen wollen. Also müssen es die Kinder Easars und Morrigans sein." Beth verstand. Es ging Anthelia darum, dem Ministerium einen besseren Stand zu verschaffen, es berechenbar zu halten, überhaupt die ganze Zaubererwelt in Ordnung zu halten. Erst wenn Nocturnia erledigt war konnten sie darauf hinarbeiten, die magische Weltordnung umzuformen.

"Der Minister wird dir wohl nicht glauben, daß du die richtigen Formeln kennst. Außerdem, was wird das Erbe Sardonias dann noch wert sein?" Fragte Beth.

"Ich habe vieles von ihr geerbt. Eines hätte mich fast in Windeln und Wiege oder im Körper einer abtrünnigen Entomanthropin enden lassen. Dieses Geheimnis preiszugeben gefährdet keine Menschenleben. Außerdem, liebe Schwester, wird dadurch, daß ich ihm etwas erläutere, was nirgendwo sonst geschrieben steht, ein gesundes Unbehagen geweckt, was ich noch alles weiß, von dem weder das Ministerium noch das Laveau-Institut etwas wissen." Beth nickte. Wenn sie das genauso Roberta Sevenrock erzählte würde diese ebenso ein Unbehagen empfinden. Das war sowieso schon groß, weil keiner wußte, mit welcher Persönlichkeit Anthelia sich vereinigt hatte. Sie wußte nur, daß der Zauberschüler Julius Latierre damit irgendwas zu tun hatte, weil die neue Anthelia eindringlich dazu aufgefordert hatte, ihm nichts zu tun.

"Wir verbleiben bis zum siebten Oktober dahingehend, daß wir nur darauf achten, ob die grünen Skelette weitere Artgenossinnen schaffen. Hütet euch vor ihnen! Und tragt immer einen großen Spiegel bei euch, um sie zu bannen!" Beth bestätigte diese Anweisung. Dann durfte sie disapparieren.

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Die Zeitungen wurden angehalten, den magischen Mitbürgern das Mitführen von tragbaren, aber unbezauberten Spiegeln zu raten. Daran mußten sich auch die Quodpotvereine halten. Brittany Brocklehurst sprach mit ihrer ehemaligen Schulkameradin Melanie Redlief darüber, als sie mit ihrem Mann Linus im Glashutturm besuchte.

"Da haben wir gedacht, mit den Nocturnia-Vampiren hätten wir das finsterste, was nach dem Unnennbaren und den Entomanthropen kommen konnte", sagte Melanie.

"Haben wir gedacht", meinte Brittany dazu, während ihr Mann sich von Melanies Großvater den Mechanismus des gläsernen Hutes erklären ließ, der ein sich langsam drehender Wintergarten mit durchsichtiger Aussichtsplattform war.

"Die Knochenweiber sind ehemalige Broomswoodianerinnen. Die jagen jetzt alles, was Spaß an der körperlichen Liebe hat", bemerkte Mel Redlief sarkastisch.

"Nur keinen Neid, Mel, weil diese Knochenfrauen eure Sachen schon nicht kaufen wollten, wo sie noch aus Fleisch und Blut bestanden", knurrte Brittany. Das Mel sie immer wieder damit anpiekte, weil sie bereits die Freuden ehelicher Pflichten erleben durfte, wo Mel noch keinen festen Partner hatte nervte sie, weil es sie langweilte.

"Na ja, aber die werden wohl zunächst alle sogenannten unanständigen Hexen jagen, wenn sie keine Skelettokratie in der Zaubererwelt einfüren wollen und dann noch die Muggelwelt übernehmen", sagte Melanie.

"Ruf bloß keinen großen Drachen, Mel!" Seufzte Brittany. "Aber das mit den Spiegeln kapiere ich nicht so ganz. Warum soll das diese Gespensterfrauen lähmen."

"Wohl weil die nicht nur das Bild von denen spiegeln sondern eben auch deren magische Ausstrahlung. Du kannst doch manche auf Licht basierende Zauber durch einen Spiegel ablenken, und Basilisken können mit ihrem eigenen Blick getötet werden, wenn jemand einen hitzebeständigen Spigel auf sie richtet."

"Du warst doch eine sehr viel bessere Schülerin in der Abwehr dunkler Künste. Bei der Oma kein Thema."

"Wird sie sicher freuen, das zu hören", seufzte Mel Redlief.

"Wieso, deine Oma Pat ist doch in der Küche", meinte Linus Brocklehurst, der gerade mit Mels Großvater väterlicherseits herunterkam.

"Wir meinen Mels andere Oma, Jane Porter, Linus." Der angesprochene verzog das Gesicht und blickte Mel dann sehr reuevoll an.

"'tschuldigung, das war jetzt seltendämlich von mir", sagte er abbittend. Mel lächelte ihn an und erwiderte, daß sie das verstehen könne, daß er erst gedacht hatte, sie meinten Patricia Redlief.

"Glo darf übrigens nach Beaux zu diesem Dreischulen-Wettkampf", sagte Melanie noch, um eine etwas freudigere Botschaft anzubringen.

"Oh schön, dann darf sie sich mit Millie oder Julius um den Pokal käbbeln."

"Millie ja nicht, weil die ja schon wen neues mitfüttern muß", grummelte Melanie. Brittany grinste. Das wußte sie doch auch schon längst. Linus fragte dann, ob sie ihr schreiben sollten, was hier in den Staaten gerade ablief.

"Neh, besser nicht. Sonst macht die sich zu große Sorgen. Die hat mit diesem Turnier sicher mehr als genug Stress um ihren schönen Lockenkopf", erwiderte Melanie. Linus und Brittany nickten. So kamen sie überein, weder Gloria noch Julius über die brennenden Knochen der ehemaligen Liga rechtschaffender Hexen zu schreiben.

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Der Schlaf fiel wie eine zuschlagende Faust auf sie nieder. Archer fiel leise Ächzend nach hinten über. Klappernd kamen ihre Wirbelsäule, die Armknochen und der Schädel auf den Boden auf. Das grüne Feuer verebbte zu einem dunkelgrünen Hauch von Licht. Die Kraft erlahmte augenblicklich. Dunkelheit umgab sie. Benchwood, der die vergangenen Tage keine eigene Regung mehr empfunden hatte, fühlte, wie er in etwas feststeckte. Doch er konnte wieder denken. Doch er war gefangen. Er war hilflos. Das war die Hölle. Kein Ort voll Feuer. Keine ihn marternden Dämonen. Kein Bad im siedenden Pech. Nein, diese Lähmende Enge und Dunkelheit, das war die höchste Folter. Und er wußte, daß er sie immer und immer wieder durchleiden mußte. Da begann seine Empfindung zu schwinden. Auch ihn holte der magische Schlaf ein, den die Feuerskelette einen halben Mondumlauf lang schlafen mußten.

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"Jetzt weck sie auf, Bethh!" Befahl Roberta Sevenrock ihrer neuen Vertrauten. Vor ihnen lag der Körper Lavinia Thornbrooks im magischen Tiefschlaf. Roberta Sevenrock hatte trotz der vielfachen Schutzzauber um ihr Anwesen befohlen, sie nicht vor dem dreizehnten Oktober zu wecken. Erst als sie sicher sein konnten, daß Pabblenut in den zweiwöchigen Schlaf gefallen sein mußte, konnten sie es wagen.

Mit Lavinias Befreiung waren die Aktivitäten der Skelettfrauen zurückgegangen. Womöglich hatten sie auch durch die Versklavung oder Zwangsverschmelzung von Ministeriumsmitarbeitern erkannt, daß man über ihre Schwächen bescheid wußte. Jetzt konnten sie es wagen, Lavinia das Angebot zu machen, daß Roberta sehr gelegen kam. Denn so mußten sie keine tragische Geschichte erfinden, die dann wieder zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde.

"Lady Roberta", erkannte Lavinia die oberste Sprecherin der nordamerikanischen Mitschwestern.

"Deine Verfolgerinnen müssen zwei Wochen schlafen. Du bist solange vor ihnen sicher. Aber um alle Zeiten sicher zu sein mußt du dein Leben von Grund auf ändern."

Lavinia blickte auf Roberta Sevenrocks Unterleib. Die Sprecherin der schweigsamen Schwestern verstand und lachte.

"Nein, nicht auf diese Weise. Ich werde keinen schwarzen Spiegel aufrufen, damit du dich selbst mit dem Infanticorpore unter mein Herz betten kannst. Aber die Richtung ist nicht ganz falsch. Du erinnerst dich an Lysithea Greensporn?"

"Ja, Daianira in Klein, weil sie so dumm war, in Anthelias Falle zu gehen und dann als Balg ihrer eigenen Cousine wiedergeboren werden mußte."

"Soweit richtig, hat Hyneria dir also alles erzählt. Lysithea ist ja aus der Zeitfresserkiste verschwunden, wie du sicher noch weißt. bisher konnte Leda Greensporn sie als vor den Spinnenschwestern zu verstecken ausgeben. Aber irgendwann wird das nicht mehr möglich sein, und irgendwann ja auch mal eine Lysithea Greensporn nach Thorntails gehen."

"Ich dachte, es sei geplant, sie sterben zu lassen", grummelte Lavinia. Doch dann erkannte sie, worauf Roberta abzielte. "Und ihr könnt mich nicht in sie verwandeln, weil sie kein von zwei Eltern gezeugtes Kind war."

"Natürlich war sie das. Aber von Daianiras Eltern haben wir auch keine Harproben. Aber von Leda, Eileithyia und Daianiras Tochter Theia haben wir haarproben. Da du ja von vornherein ein Mädchen sein müßtest gehen auch Anteile zweier geschlechtsgleicher Verwandten. Und Lysithea hat damals einige Haarproben in einer Bürste zurückgelassen."

"Nur Pech, daß da schon ein Jahr drüber vergangen ist", sagte Lavinia. Doch dann verstand sie vollends. Roberta sprach es dann auch aus.

"Wir, die ehrbaren Schwestern von der Sororitas Silenciosa, sind bereit, dir zu verzeihen, daß du mich umbringen wolltest. allerdings bist du als Lavinia Thornbrook wertlos geworden und in der Zaubererwelt bereits für Tot erklärt, weil außer uns niemand weiß, daß du fliehen konntest. Wenn du bereit bist, das Leben Lysitheas fortzusetzen, wird Leda dir eine gute Mutter sein, und du kannst eines Tages wieder zu uns zurückkehren und vielleicht sogar irgendwann auf ehrenvolle Weise meinen Platz einnehmen."

"Ich muß dann aber irgendwie ein Jahr alt werden und lernen, ein kleines brabbelndes Mädchen zu spielen."

"Das mit dem Alter ist kein Problem. Das erledigt der Alterungstrank. Und das mit der Rolle erledigen wir durch einen Gedächtniszauber. Du wirst nur das wissen und können, was ein Kleinkind wissen und können kann und alles neu erlernen, ohne dich an deinem früheren Leben stoßen oder ausrichten zu müssen."

"Kommt auch einer Hinrichtung gleich", grummelte Lavinia.

"Die Alternative wäre, dich in niederer Lebensform zu halten, die für die Skelette um Pabblenut uninteressant ist." Lavinia nickte. Kleinkind oder Hausrind. Sie hatte keine große Wahl. Sie entschied sich für den Neuanfang.

Zwei stunden später trank sie eine honigfarbene Flüssigkeit. Sie fühlte, wie sie schrumpfte und sich von innen her veränderte. Dann lag sie auf dem Boden. Nach zwei Stunden, in denen sie froh war, nicht urinieren zu müssen, erhielt sie einen Schluck Alterungstrank, um das gegenwärtige Lebensalter Lysitheas zu erreichen. Dann fegte ein Gedächtniszauber die letzten Erinnerungen an das Leben der Lavinia Thornbrook hinweg.

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Sie waren alleine, Phyllis Greendale, Maggy Tindale und Carrie Stoner, die vorerst letzten drei Kinder der Morrigan und des Easar. Maggy, die die Seelen ihrer Familienangehörigen in sich aufgenommen hatte, wußte, kannte und mochte alles, was ihr Mann und ihre Kinder gewußt, gemocht und gekonnt hatten. Phyllis wachte über den zu einem dunkel grün glimmenden Gerippe erstarrten Körper ihrer Ziehmutter. Das Licht in ihren Augenhöhlen war erloschen. Wer sie so sah mochte an einen harmlosen Gruselscherz glauben. Unheimlich fand die in ihrer Skelettgestalt noch länger wirkende Phyllis Greendale, daß keine von den hier liegenden geweckt werden konnte, bevor nicht der Mond in die Ausgangsphase zurückgekehrt war. Was hatte Thelma Archer ihr erzählt? Es gäbe keine gravierenden Nachteile?

Leises rhythmisches Knacken näherte sich aus dem Gang zur Halle der goldenen Regeln. Phyllis drehte sich um. Auch ihre grünen Knochen machten leise, in der Halle hohl wiederhallende Geräusche.

"Ich habe als kleines Mädchen manchmal gedacht, einmal hier alleine herumzulaufen", sagte Carrie Stoner, eine als Knochenfrau kleinwüchsige Erscheinung. Ihre Arm- und Beinknochen so wie die etwas gespreizten Zehen zeigten aber, daß sie als Hexe sehr füllig gewesen war. Sie hatte keine Probleme damit gehabt, eine "Radikaldiät" zu machen, als ihre alte Schulfreundin alma sie eingeladen hatte, den Kindern Morrigans und Easars beizutreten. Eigentlich hätten es noch zwei mehr sein sollen. Doch viele der ehemaligen Broomswoodschülerinnen hatten sich versteckt, um ja nicht aufgestöbert zu werden. Vor allem Godiva Cartridge, die Alexandra Pabblenut am liebsten persönlich in diese Gemeinschaft geholt hätte, war unerreichbar. Doch wenn der Großteil der Mitschwestern wieder erwachte, würde ein Plan umgesetzt, um an jedem Tag mindestens drei Wachende in diesen Mauern zu haben. Phyllis graute schon vor dem Tag, an dem sie einfach so umfallen und einen halben Mondumlauf lang wie wirklich tot daliegen würde.

"Wie ein Massengrab", seufzte Phyllis und deutete auf die in der Halle der goldenen Regeln herumliegenden Mitschwestern. Nur die große Meisterin saß auf jenem Stuhl, auf dem sie mehr als vierzig Jahre lang das Vermächtnis von Amapura Broomswood geehrt und gemehrt hatte. Nur daß der Stuhl damals noch ggoldbestickte Polster gehabt hatte und jetzt nur noch aus feuerfestem Eichenholz bestand. Dennoch wirkte das im Schulleiterinnenstuhl thronende Knochengerüst immer noch wie eine Königin; eine Königin des Totenreiches.

"Habt ihr euch schon Plätze ausgesucht?" Fragte Maggy, die einzige Familienmutter unter den grünen Knochenfrauen.

"Ich habe ein Bett in meinem alten Schlafsaal für mich ausgewählt. Aber es dauert ja noch bis übermorgen", sagte Phyllis Greendale. Irgendwie fühlten die drei Wachenden sich freier als vor dem großen Einschlafen. Die ihnen übergeordneten Präsenzen waren bis auf einen winzigen Funken erloschen. Somit kehrten ihre früheren Persönlichkeiten fast vollständig zurück, nur mit dem Unterschied, daß sie ihre neue Daseinsform als überaus angenehm und schön empfanden.

"Ich würde gerne noch einmal hinausgehen und sehen, ob ich nicht doch an Laura Mayfield herankomme", sagte Carrie. "die alte hat meine Eltern damals ziemlich runtergemacht, weil sie mich nach Broomswood geschickt haben."

"Wir brauchen nur auszuharren, bis wir alle wieder wach werden. Hier hinein kommt niemand, und in zwei Wochen haben diese Leute andere Sorgen", sagte Maggy.

"Schwester Thelma hat erwähnt, daß wir auch Muggelfrauen zu uns holen können. Wie wäre es, wenn wir an Halloween, wenn die alle sowieso Skelette und Vampire zu sehen haben wollen, einige von denen zu uns holen."

"Das muß sie befinden, ob sie Muggelfrauen in unserer Gemeinschaft haben will", meinte Carrie und deutete auf die auf ihrem Stuhl ruhende Alexandra Pabblenut.

"Vielleicht sollten wir die Frauen zu uns holen, die jeder Körperlichkeit entsagt haben", meinte Phyllis. Maggy lachte darüber:

"Du meinst diese katholischen Betschwestern, Phyllis. Das wäre doch was, diese Magiehasserinnen in unsere Welt zu holen. Ich erinnere mich noch gut an die singende Nonne." Natürlich mußte sie dann die Geister von Thorntails beschreiben, die sie und Robin kennengelernt hatten. Darüber entspann sich eine Unterhaltung über den Unterschied zwischen ihnen, Todesfeen, Dschinnen, Poltergeistern und Gespenstern. Sie kamen darüber ein, daß die ehemalige Professor Palmwood, die gerade in der Nähe des nach süden blickenden Spitzbogenfensters lag, mehr Ahnung als sie drei zusammen von diesem Fachgebiet hatte, wo sie Zaubereigeschichte und Wirksame Schutz- und Abwehrzauber unterrichtet hatte.

"Können wir die Bücher noch lesen, die in der Bibliothek stehen?" Fragte Carrie Phyllis. Diese nickte und zeigte ihr, wie sie das Zauberfeuer auf ihren Händen soweit abschwächen konnte, daß ihre Hand- und Fingerknochen genauso dunkel erschienen wie die Knochen der Halbmonatsschläferinnen. Maggy fragte nach, ob es hier auch eine Verbotene Abteilung gab und erfuhr, daß diese ein großer Schrank im Vorbereitungsraum der Lehrerinnen sei, wo die für junge Mädchen wirklich anstößigen und entwicklungsschädlichen Bücher aufbewahrt worden seien, darunter, wie die ehemaligen Schülerinnen immer gemunkelt hatten, auch erotische Literatur von Zauberern für Zauberer wie auch von Hexen für Hexen. "Index Librorum Prohibitorum", lachte Maggy. Sie erwähnte dann, daß so ein Verzeichnis aller Schriften und Bücher hieß, das die römisch-katholische Kirche angelegt hatte, um alle gegen ihren Glauben sprechenden Texte vor den Gläubigen zu verschließen und deren Besitz zu verbieten. Sie erzählte dann von einer Reise nach Rom, die sie und Robin während ihrer Schwangerschaft mit Emma gemacht hatte. Phyllis fühlte einen winzigen Moment lang großes Bedauern. Sie würde niemals ein Kind zur Welt bringen. Carrie hingegen schüttelte ihren flammenden Schädel. Ihr war allein die Erwähnung, daß eine Hexe auch Mutter werden konnte widerwärtig, wohl eher, weil dazu männliche Körperflüssigkeit nötig war, schlimmstenfalls von einem solchen Vertreter der anderen Hälfte der Menschheit mehr oder weniger Schmerzhaft in den Körper getrieben zu bekommen. Weil Maggy merkte, daß die beiden Artgenossinnen sich nicht wie sie für die Freuden einer Ehefrau und Mutter begeistern konnten und weil es ihr selbst peinlich war, dabei von den in ihr mitschwingenden erotischen Träumereien ihres Mannes angetrieben zu werden, beschränkte sie sich nur auf die touristischen Erlebnisse.

"Wenn die damals gewußt hätten, daß eine Hexe und eine gerade mal ein Achtel große und ein Zauberer ohne Schmerzen und Abscheu zu empfinden in ihrer achso heiligen Kirche herumgelaufen sind ..." beschloß sie mit amüsierter Tonlage. Hätte sie noch ein richtiges Gesicht besessen hätte sie wohl vergnügt gegrinst oder gestrahlt.

Weil es hier nichts anderes zu tun gab als zu reden und zu lesen verbrachte Carrie viele Stunden in der Bibliothek, die so aussah, als würden hier immer noch Schülerinnen lernen. Madam Foil, die "Herrin der Bücher" lag hinter dem Trhonstuhl Alexandra Pabblenuts. Hoffentlich gab es keinen Ärger, wenn sie nach dem Erwachen die bisherige Bücherordnung nicht mehr vorfand.

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"Hiermit darf ich Ihnen allen unseren neuen Leiter für magische Strafverfolgung vorstellen: Mr. Lorne Vane", sprach Zaubereiminister Cartridge zu den versammelten Mitarbeitern und den Vertretern der beiden Zeitungen. Für den Herold war diesmal Mr. Knighthorn erschienen, während für den Westwind Linda Knowles die Ehre genoß. Alle blickten sie sich um, wo der neue denn stand. Da kam er hinter dem niedrigen Sofa hervor. Viele mußten erst einmal grinsen. Doch die meisten hier wußten, daß mancher das schon bereut hatte. Lorne Vane war gerade so groß wie ein siebenjähriger Junge und wirkte ebenso zerbrechlich. Doch der schwarze Vollbart und die bereits üppig auf den Armen sprießenden Haare zeigten, daß der kleine Kerl bereits ein ausgewachsener Mann war. Er trug eine dunkelblaue jacke und eine hellgraue Hose. Unter dem Arm hielt er einen roten Zylinder, der bald so hoch war wie der ganze Mann.

"Guten Abend", quiekte er. "Ich freue mich, Sie alle zu meiner Inauguration begrüßen zu dürfen und danke dem Minister für sein Vertrauen. Ich hoffe, daß ich es nie enttäuschen werde." Linda Knowles faßte sich als erste und fragte Lorne Vane:

"Wie empfinden Sie es, der erste Zauberer in diesem Amt zu sein, in dessen Ahnenlinie sowohl eine Zwergin als auch ein Kobold vorkommen?

"Nun, Ms. Knowles, tiefstapeln könnte ich problemlos und sagen, daß ich in den Job ja erst mal reinwachsen müßte." Alle warfen sich hilflose Blicke zu. Offenbar wollte Vane sein Amt mit einem Scherz auf eigene Kosten beginnen. Linda lächelte ihn zuckersüß an. Manch großer Zauberer mochte darunter wachsweich werden. Vane mußte nach oben blicken, um der Reporterin ins Gesicht zu sehen. Dann sagte er: "Aber ich habe Minister Cartridge gesagt, ich will alles stemmen, was Benchwood und seine Vorgänger heben konnten. Allerdings weiß ich das, daß dieses Amt ein Schleuderbrett ist und ich mir gleich eine Zielscheibe vor die Brust nageln könnte. Was meine Abstammung angeht, so ist Ihnen und dem vertikal besser begnadeten Mr. Knighthorn sicher geläufig, daß ich trotz der Nähe meines Kinss zum Erdboden gut gewandt und stark genug bin, um mich auch ohne Zauberstab zu behaupten. Mit Zauberstab kommen mir die Eigenschaften des erwähnten Vorfahren mit den Spitzohren zu gute. Ich habe keine Angst vor unseren derzeitigen feinden. Vampire werden erfahren, daß ich mich nicht von denen beißen und aussaugen lassen will, Wergestaltige könnten sich an meiner Haut die Zähnchen ausbeißen, und was die Anthelianerinnen und ihre Anführerin angeht, so schützt meine geringe Fallhöhe mich besser als manchen anderen. Ich kann schneller in Deckung liegen, als eine den Todesfluch ausruft."

"Dann sehen Sie in der Schwesternschaft der schwarzen Spinne eine feindliche Organisation?" Fragte Knighthorn mit sonorer Baritonstimme. Mit seinen zwei Metern stellte er das krasse Gegenteil zu Lorne Vane dar.

"Wie sie sich in den vergangenen Jahren betätigt hat ja. Was jetzt in dieser Organisation vorgeht halte ich nur für Taktik. Sie will uns vorführen, daß wir nur deshalb mehr Ruhe haben, weil sie das wollen. Das kann sich jederzeit ändern, und ich werde dann da sein, wenn die Stunde schlägt."

"Mittlerweile wissen wir ja über die Knochenfrauen bescheid. Wie stufen Sie diese ein?" Fragte Linda Knowles.

"Brandgefährlich", erwiderte der kleinwüchsige Zauberer. Diesmal lachten sie alle, obwohl das durchaus kein Scherz war. "Nun, wir müssen wohl damit leben, daß es diese Ungeheuer gibt und daß wir irgendwann irgendwas unternehmen müssen, um sie unschädlich zu machen, sei es, sie zu einem Koexistenzabkommen zu bewegen - was bei den Vampiren ja schon danebengegangen ist - oder sie einsperren oder in ihre einzelnen Knochen zerlegen. Natürlich weiß ich, daß ich damit erst recht irgendwelche Untaten dieser knöchernen Geschöpfe herausfordere. Doch ich bin mit der festen Überzeugung in dieses Amt eingetreten, daß wir, das US-amerikanische Zaubereiministerium, uns von nichts und niemandem ins Drachenfeuer treiben und uns in den Besenschweif reinrasseln lassen. Ich rufe diesen ganzen Leuten und Schreckgestalten da draußen zu: Wir werden euch überleben, egal was ihr auch anstellt! In diesem Sinne, die Damen und Herren, ich möchte jetzt mein Büro einrichten. Einen angenehmen Abend noch!""

Alle verließen das Foyer des Zaubereiministeriums. Die Leibwache atmete auf. Keiner hatte den Augenblick genutzt, das Ministerium anzugreifen. Das wäre das peinlichste, was ihnen hätte passieren können.

Cartridge ging noch einmal in das Büro, das er seit mehreren Tagen nicht mehr betreten hatte. Dort stapelten sich die von Eulen gebrachten Briefe. Er schloß die Tür und setzte sich. In zehn Minuten sollte er wieder in der Strandhütte sein, wo seine Frau schon auf ihn wartete. Allein der Gedanke an sie erregte ihn wohlig.

Er sortierte die Gesuche verschiedener Zauberer und Hexen aus. Die Aktion Waschgold war fast abgeschlossen. War nur noch zu klären, wie er das Gold transportieren lassen konnte. Dann fand er einen Briefumschlag ohne Absender. Als er ihn mit einem Fluchfinder bestrich zeigte dieser keine Reaktion. Er zog sich dennoch Handschuhe an und öffnete den Umschlag. Darin steckte ein kleiner Zettel, auf dessen Rückseite das ihm schon unheimlich vertraute Symbol einer schwarzen Spinne im silbernen Netz prangte. Auf der Vorderseite las er :

Hoch verehrter Zaubereiminister Cartridge,

da ich mir sicher bin, daß Ihre Mitarbeiter daran interessiert sind, daß Problem der grünen Knochenfrauen so bald wie möglich zu lösen schreibe ich Ihnen diese Zeilen. Da diese Kreaturen vordringlich entstanden, um mich und meine Schwestern zu bekriegen, müßte ich eigentlich hingehen, um den Kampf gegen diese Brut aufzunehmen. Diese Skelettfrauen sind aber auch ein Problem für die Zauberer-, ja auch für die Muggelwelt. Da ich durch Kenntnis ihrer Natur Nocturnia und die asiatischen Wertiger als größere Bedrohung sehe werde ich mich auf diese konzentrieren. Allerdings möchte ich Ihnen eine Chance geben, die Angelegenheit zeitnah und erfolgreich aus der Welt zu schaffen.

die weiblichen Skelette halten sich nach meinen Kenntnissen in Broomswood auf. Diese Akademie, die auf die rigorose Ablehnung der Freuden ausgerichtet ist, die eine Hexe empfinden kann, wird von einem magischen Schutz umkleidet, den Sie nicht brechen können. Das Gelände ist zu groß und die bezauberte Fläche entsprechend unerfaßbar. Ich kenne einen Zauber, mit dem dieser Schutz aufgehoben werden kann. Näheres und die Unterlagen darüber, wenn Sie den Wagemut aufbringen, sich mit mir morgen abend um neun Uhr Ostküstenzeit in dem Waldgebiet von Silent Hill zu treffen. Ich bin überzeugt, daß wir beide erwachsen genug sind, uns dort ohne Aufsicht Ihrer- oder meinerseits zu treffen. Sie werden es nicht bereuen.

In Anerkennung unserer gedeihlichen Koexistenz verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen

Anthelia vom Bitterwald

p.s. Dieser brief wird sich nach dem Lesen in Staub auflösen.

Cartridge wollte schon versuchen, ihn sicher fortzupacken. Da zerfiel ihm das Pergament zwischen den Fingern und rieselte als ganz feiner Staub zu Boden. Cartridge sah sich um. Niemand war hier. Er hatte auch nur noch wenige Minuten Zeit. So klaubte er rasch alle weiteren Briefe zusammen und verließ sein Büro.

Abends im gemeinsamen Schlafzimmer stellte der Minister sicher, daß von außen keiner mithören konnte. Maurice und Jason lagen im Kinderzimmer nebenan. Beide schliefen. Godiva lag im Nachthemd auf dem Bett. Milton Cartridge erzählte ihr, was die Spinnenfrau geschrieben hatte. Godiva Cartridge dachte kurz nach.

"Entweder blufft sie oder hat wirklich den Geheimnisschutz von Broomswood umgangen. Als ich von dort wegging vergaß ich alles, was sie dort geheimhalten wollten. Ich weiß aber, daß ich in der Stunde, in der ich sterbe, alles von dort in meine Erinnerungen zurückbekomme. Vielleicht hat eine ehemalige Schülerin diese Zeit genutzt. Wenn ja, dann nutze die Gunst und hole dir das Wissen!"

"Das sagst du so einfach, Goddy", knurrte der Minister. "Wenn ich da alleine hingehe liefere ich mich ihr aus."

"Überlege es dir bis morgen!" Säuselte Godiva. "Du mußt deinen Kopf frei von allem Stress haben. Vielleicht kann ich dir zumindest dabei helfen. Ich guck noch mal nach den beiden." Sie stand auf und öffnete leise die Kinderzimmertür. Das Baby und sein großer Bruder schliefen schon. Godiva schloß leise die Tür und erneuerte den Klangkerker. Die Wache vor der Tür, welche dieses wandelnde Abkommen zwischen Zwerg und Kobold postiert hatte, mußte sie ja nicht bei ganz privaten Betätigungen hören.

Milton konnte nicht widerstehen. Gerade jetzt, wo seine Frau von ihrer Mutterschaft besonders wohlgepolstert und begütert war. Während sie ein x-tes mal die Ehe miteinander vollzogen und der Minister die Vorzüge seiner Frau einmal mehr genoß, hörte er sie zwischen dem heftigen Atmen sagen: "Du mußt keine Angst haben. Wenn sie was für dich hat, hole es dir ab und komm zu rück! Du brauchst keine Angst zu haben. Sie wird dir nichts tun." Er wußte nicht, warum sie das jetzt sagte. Doch er fühlte, wie es ihm Mut machte, wie er sich darüber klar wurde, eine einmalige Chance nutzen zu müssen. "Ich paß immer auf dich auf, Milton. Ich werde immer für dich da sein. Du bist nie allein, wenn du auch alleine reist." Diese säuselnden Worte flößten ihm Zuversicht ein. Begierig hielt er sich ran, schöpfte aus, was sie ihm gewährte und gab ihr dafür, was sie begehrte. Sie gehörten zusammen. Sie würde um ihn kämpfen, ihn verteidigen, ihn retten. Er konnte es wagen, in den Wald zu gehen.

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Sie hatte sich am angekündigten Treffpunkt eingefunden. Noch fehlten zwei Minuten bis neun Uhr abends. Die hereinbrechende Nacht trug die Kühle des Herbstes vor sich her. Vertrocknetes Laub raschelte an den Zweigen der Bäume. Auch unter Anthelias Füßen raschelte das bereits abgefallene Laub. Die Herbstnacht hier in den weiten Wäldern Neuenglands gefiel der Hexenlady. Es erinnerte sie an Naaneavargias Leben, die Kinderspiele mit ihrem Bruder, der irgendwann zum Großmeister des Windes wurde, daß sie auch mit ihm die körperliche Liebe erlebt hatte. Sie dachte an ihr erstes Leben als Nichte Sardonias, wo sie in den Wäldern in und um Millemerveilles gespielt hatte. Das waren sorgenfreie, ja glückliche Erinnerungen, die mit dem Herbst verbunden waren. Wo andere Menschen mit und ohne Magie trübselig und schwermütig wurden, konnte sie mit dem Herbst mehr anfangen. Sicher, der Frühling gefiel ihr als Jahreszeit auch sehr, vor allem jetzt, wo sie ihn als neue Anthelia in diesem Jahr zum ersten Mal nach langer Zeit mit den Erinnerungen Naaneavargias erlebt hatte. Sicher würde sie mal wieder hierher kommen, wenn die Bäume neues Laub austrieben.

Ein lautes Ploppen holte die höchste Schwester des Spinnenordens in die Gegenwart zurück. Sie sah frei schwebende Flammen. Dann erkannte sie, daß die Flammen auf der freien Handfläche eines Mannes tanzten, dem sie schon begegnet war.

"Ich riskiere mein Leben und meinen Ruf, daß ich dieser Einladung folgte. Doch ich konnte niemanden mitnehmen. Es hätte in den Zeitungen gestanden", schnarrte Minister Cartridge. Anthelia begrüßte ihn höflich mit einer angedachten Verbeugung. Sie hielt keinen Zauberstab in der Hand, im Gegensatz zu dem Minister. Sie brauchte keinen, um zu flüchten.

"Sie haben mir geschrieben, sie wüßten, mit welchen Zaubern Broomswood geschützt wird. Woher?"

"Diese Quelle möchte ich nicht preisgeben, Minister Cartridge", erwiderte Anthelia.

"Warum haben Sie dann um ein Treffen gebeten, Anthelia?" Schnarrte der Minister.

"Weil ich Ihnen helfen will, die Brut der brennenden Knochen zu bannen oder zu vernichten. Wissen Sie, welche Mittel es gibt, um diese Kreaturen niederzuhalten?"

"Ja, das weiß ich. Sie auch, weiß ich. Sonst hätten Sie uns kaum das mit dem goldenen Käfig vorgeschlagen. Aber warum weichen Sie dann von ihrer bisherigen Linie ab, die aus Aktionen ohne unser Wissen und ohne unsere Zustimmung besteht?"

"Weil wir eine Übereinkunft haben, Minister Cartridge. Dieser Übereinkunft nach werde ich mich nicht an der körperlichen oder seelischen Unversehrtheit von Menschen mit und ohne Zauberkraft vergreifen, solange mir diese Menschen nicht offen feindlich entgegenwirken. Sicher wäre es mir leichtgefallen, einen Hüter des amerikanischen Goldschatzes mit dem Imperius zu zwingen, seinen Leuten zu befehlen, mir soviel Gold vor die Füße zu legen, wie ich will. Sicher hätte ich mit Hilfe gewöhnlicher Räuber und Diebe, die ich mit gestohlenem Geld oder Wert bezahle, Gold aus den Geldhäusern der Muggel oder den Goldschmieden holen lassen können. Daß ich dies vermag wissen Sie alle seit dem Exorzismus des rachsüchtigen Geistes von Ruben Coal. Da ich jedoch solange Nocturnia und ähnliche Bedrohungen uns alle betreffen zugesagt habe, meine eigenen Ziele hintanzustellen, unterlasse ich derlei Aktionen. Sollten Sie darauf zurückzugreifen wünschen liegt dies nicht in meiner Verantwortung. Bedenken Sie nur dabei, daß an das Gold keine noch so feine Magie rühren darf."

"Ist mir auch schon mehrfach gesagt worden. Aber was hindert Sie, mich unter den Imperius-Fluch zu nehmen, um mich als Minister zum Sündenbock eines Mißerfolges zu machen?"

"Weil es erstens kein Mißerfolg wäre, den Sie erzielen, sofern Sie sicherstellen, daß der von mir angebotene Zauber in der Zeit des langen Schlafes ausgeführt wird. Sollten diese Knochenfrauen bereits weitere Artgenossinnen erschaffen haben, die die Schlafzeit der Urskelette bewachen können, so dürften sich Ihre und meine Anstrengungen, sie zumindest handlungsunfähig zu machen, als vergeblicher Versuch erweisen. Doch solange wir hoffen können, sollten wir es versuchen. Mein Anteil daran ist der Zauber, um den gegen alle feindlichen Hexen und Zauberer gerichteten Bann um Broomswood zu brechen. Den Erfolg wird man ihnen und ihrem Mitarbeiterstab zubilligen. Bekunden Sie einfach, daß Ihre Angetraute als ehemalige Schülerin von Broomswood diesen Zauber enthüllt hat, wenn Sie danach gefragt werden."

"Broomswood-Geheimnisse werden im Geist der Schülerinnen versiegelt, bis sie entweder dort lehren oder bis sie sterben", knurrte der Minister. "Also, woher wollen Sie wissen, welche Zauber dort wirken?"

"Von einer, die kurz vor dem eigenen Tode alles niederschreiben konnte, was sie wußte. Sie hatte genug zeit dafür. Ich habe diese Aufzeichnungen niederschreiben können. Aber Sie werden Sie nur erhalten, wenn Sie nicht weiterfragen, von wem ich sie erhalten habe. Andernfalls sehe ich dieses Treffen als gescheitert und muß einen Weg ersinnen, genug Zauberergold zu sammeln, um es in Muggelwährung zu tauschen oder damit Edelsteine zu kaufen, die dann in entsprechende Geldsummen umgewandelt werden können. Aber das dürfte Wochen dauern. Dann werden die ersten Skelette wiedererwacht sein. Was danach geschieht dürfte Ihnen klar sein." Cartridge nickte. Er verstand vollkommen. Er zog also seine Frage zurück. Er gelobte, niemandem von dieser Zusammenkunft zu berichten. Wenn er gefragt wurde, woher er die Informationen hatte, dann würde er halt behaupten, jene Quelle gefunden zu haben. Anthelia versicherte, daß die Person, von der sie die Aufzeichnungen habe, ganz und gar damit einverstanden sei. Dann übergab sie dem Minister die beiden Pergamentseiten. Dieser besah sich die Aufzeichnungen kurz. Dann murmelte er noch: "Danke schön!" Er wirbelte auf der Stelle herum und verschwand mit leisem Plopp. Anthelia zog ihren Zauberstab und disapparierte ebenfalls.

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Der Minister bedankte sich eine Stunde nach dem höchst konspirativen Treffen bei seiner Frau, daß sie die Wachen beschäftigt hatte. "Dafür legst du mir aber zu Weihnachten noch eine kleine Tochter unter meinen Umhang, Honey", hatte sie darauf geantwortet. Er zeigte ihr die erhaltenen Seiten. Einen winzigen Moment bangte er, daß Godiva beim Lesen von einem Fluch getroffen werden oder ihren Verstand verlieren konnte. Sie keuchte und wand sich. Doch sie hielt die Pergamentseiten fest und las. Dann atmete sie auf: "Das stimmt alles, was da steht. Der mir eingepflanzte Zauber hat nur versucht, meine Erinnerung weiterzuunterdrücken. Aber jetzt, wo ich es Tinte auf Pergament habe, kann ich mich genau erinnern, daß es so und nicht anders war. Amapura Broomswood, die Gründerin, hat sieben Töchter und vier Nichten dazu angeregt, ihr Monatsblut in diese Silberflasche zu vergießen, die mit Runen für Unberührtheit, reinhalten und Schutz beschrieben waren. Unsere Lehrerin für Hexengeschichte hat uns erklärt, daß das ein Zauber war, der gegen gierige und feindselige Hexen und lüsterne Zauberer erfunden worden ist. Von einem Gegenzauber wußten wir nichts. Aber wenn hier steht, daß diese Dunkelhexe Sardonia einen Gegenzauber entwickelt hat will ich das mal glauben. Am besten tue ich so, als hätte ich in meinen Schulsachen dieses Zeug gefunden, weil ich damals schon wußte, daß ich nach der Schule nichts im Gedächtnis behalten würde. Ich schreibe es noch mal ab, damit es einer Scriptorvisus-Prüfung standhält. Nur Sardonias Namen werde ich besser nicht erwähnen."

"Wenn du das machen kannst, ohne von einem Fluch getroffen zu werden", sagte ihr Mann dazu.

"Das war ein reiner Gedächtnisblockadezauber. Nur wenn ich dort wieder hingegangen wäre oder in der letzten Lebensstunde hätte ich mich daran erinnern können. Wenn ich es aber immer wieder lesen kann hält dieser Zauber nicht mehr. Er ist jetzt außer Kraft."

"Wie du meinst, Honey", erwiderte der Zaubereiminister.

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Anthelia las am Morgen nach dem geheimen Treffen, daß Leda Greensporn mit ihrer Tochter in Viento del Sol ihren dort lebenden Verwandten besucht habe. Ein Foto von der Kleinen war auch dabei. Anthelia mußte grinsen. Sie hatte gehört, daß Lady Roberta der entwischten und durch das Ritual der entmachteten Führerin entthronten ein Angebot machen wollte. Sie hatte es also angenommen. Aber so verdrossen wie damals sah die nun etwas mehr als ein Jahr alte "Tochter" Ledas nicht mehr drein. So ging es auch, dachte Anthelia und erkannte, daß sie durchaus auch derartig hätte aus der Welt verschwinden können. Doch nun, wo die Tränen der Ewigkeit in ihr wirkten, konnte ihr kein Zaubertrank mehr was anhaben. Und ob Infanticorpore noch auf sie wirkte wußte sie auch nicht. Ausprobieren wollte sie es nicht, sie nicht. Aber Sie hatte sich etwas überlegt, um ein Problem sprichwörtlich aus der Welt zu schaffen, daß sie bald vier Jahre unter diesem Dach großgefüttert hatte. Wäre Patricia Straton nicht zu einer Sonnentochter geworden, so hätte sie sie fragen können. Doch eigentlich war sie noch zu jung. Mindestens dreißig oder vierzig Jahre alt sollte diejenige schon sein. Was hatte Dido vor? Sie wollte an Halloween ausreißen. Dann war das der Tag, beschloß Anthelia. "Genieße die Tage bis zum Samhain, kleine Dido. Denn dann wird es lange dunkel um dich sein."

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Dreizehn Großmütter zusammenzubekommen, die das mit der zu rufenden Gegenkraft aufzuladende Gefäß mit ihren Haaren und denen ihrer Enkel füllen konnten war nicht schwer. Godivas Schwiegermutter war bereit, das Thema Broomswood endlich aus der Welt zu schaffen. Des weiteren fanden sich heilkundige Hexen, die bereit waren, diesen für ihre Enkel unschädlichen Zauber mitzuwirken. Schwierig war es nur, die Zeitungen in Unkenntnis zu halten.

Tage vergingen, in denen die Aktion Waschgold zum Abschluß kam. Mehrere hundert Kilogramm dieses von allen begehrten Metalls wurden mit Hilfe von Ira Waterford und seinen Verbindungen zwischen Muggelkontaktbüro und CIA in ein Flugzeug verladen und zu einer angeblich geheimen Basis geflogen, wo mit dem in kleine Würfel aufgeteilten Gold eine Wechselstube eingerichtet werden sollte, die zur Bezahlung südamerikanischer Spione benutzt werden sollte. Weit ab von Fort Knox und der Wallstraße würde niemand eine halbe Tonne Gold vermuten. Als die Überbringer die Kisten wie Piraten im Boden vergraben hatten flog das zweimotorige Propellerflugzeug wieder davon. zwanzig Kilometer entfernt stand der magische Wall von Broomswood.

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Das große Erwachen setzte genau einen vollen Mondumlauf nach dem 27. September ein. Es fehlten nur wenige Tage bis Halloween. Benchwoods Geist erwachte seltsamerweise zuerst. Er fühlte die Enge der ihn umschließenden Seelenkapsel Archers. Er fühlte wieder die Furcht, auf ewig so leiden zu müssen. Er dachte an seine frühere Zeit, wie er Cartridges Weg nach unten und wieder nach oben beobachtet hatte, dachte an Wishbone und daran, daß er Glück gehabt hatte, daß Partridge ihn damals vor den großen Säuberungen nach Wishbones Tod bewahrt und rehabilitiert hatte. Partridge war im Kampf mit Nyx gestorben. Zwar war der Mitternachtsdiamant dabei im Meer versenkt worden, doch Nocturnia bestand immer noch. Hier, eingeschlossen im gerade kristallisierten Bewußtsein einer männerfeindlichen Hexe ...Du bist schon wach? Ich halte eben nichts von triebgesteuerten Rohlingen. Sei froh, daß du keiner mehr sein mußt. Sei wieder eins mit mir!" Benchwoods freie Gedanken verschwammen im neuentspringenden Gedankenstrom Thelma Archers. Jetzt konnte er auch wieder durch ihre Augen sehen. Doch was er dachte waren ihre Gedankn. Ihr Wille war sein Antrieb.

Alexandra erfüllte alle mit ihrer übermächtigen Dominanz. Als sie sich von ihrem Stuhl erhob waren ihr alle erwachten verbunden und ergeben. Nur die, die in der zweiten Hälfte ihrer Wachphase in die Gemeinschaft eingetreten waren schliefen und bekamen nichts mit. Wo die drei Schlafenden sich hingelegt hatten bekamen die Wachen nicht mit. Denn die hatten sich in einem der vier Schlaf- und Freizeitgebäude, den vier Säulen der züchtigen Hexenheit, niedergelegt. Alexandra und Thelma fühlten die Restkraft ihrer direkten Zöglinge. Doch im Moment waren die eh nicht einsetzbar.

"In wenigen Tagen feiern die Zauberer und Hexen, aber auch die Muggel Halloween. Wir werden uns an diesem Tag neue, wertvolle Schwestern erwählen und mit dem feurigen Atem Easars und aus der Kraft Morrigans heraus als Kinder von Feuer, Leben und Tod wiedergebären", hielt Pabblenut ihre erste Ansprache nach der Zeit des Wiedererwachens. "Bis dahin verbleiben wir alle in unseren heiligen Mauern und planen, wer wohin geht. Ich teile Gruppen ein, die von meinen loyalsten Schwestern geführt werden. Wir werden ..." Weiter konnte sie nicht sprechen. Ein lautes, wildes Glockenläuten erfüllte die Halle der goldenen Regeln.

"Wer wagt es?! Wer wagt das?!!" Schrillte Pabblenut gegen das hektische Gebimmel an.

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Sie stürmten zu fünfzig Mann herein, Säcke über den Schultern, große Spiegel vor sich hertragend. Unverzüglich erstarrten alle, die auf die großen reflektierenden Scheiben blickten. Pabblenut brüllte laut und wollte einen Feuerstrahl auf die Eindringlinge loslassen. Da vertrat ihr jemand mit einem besonders großen Spiegel den Weg. Es war Godiva Cartridge persönlich. Archer wurde wütend. Doch der Anblick ihres Spiegelbildes hielt sie auf der Stelle und handlungsunfähig. "Verräterin", brandeten wütende Gedanken durch die Halle der goldenen Regeln. Zwanzig Knochenfrauen konnten sich noch bewegen. Eine versuchte, einen der angreifenden Zauberer mit schnellem Vorstoß den Spiegel aus den Händen zu schlagen. Doch da hatte ein zweiter Ministerialzauberer seinen tragbaren Spiegel in ihr Blickfeld geschoben. Sie erstarrte. Nur zwei Minuten dauerte es, da konnte sich keines der Skelette mehr bewegen. "Das werden sie bereuen", dachte Archer. Benchwoods gefangener Geist fühlte, wie er von ihr loskam. Aber sie merkte es auch. "Du gehörst mir", hörte er ihre wütende Gedankenstimme und fühlte sofort, wie er wieder mit ihr fest verbunden war.

Die Aktion mit den Spiegeln war nur ein Auftakt gewesen. Das bemerkten die grünen Skelette, als die Ministerialzauberer aus den Säcken auf dem Rücken kleine, glitzernde Würfel holten. Warum sie Handschuhe trugen verstand Archer erst nicht. Doch dann erkannte sie die wahre Absicht: Das war pures Gold!

Godiva Cartridge schien es regelrecht zu genießen, als sie sich von ihrem Mann einen dieser Würfel reichen ließ und damit das nur noch leicht glimmende Skelett Pabblenuts von der Seite ansteuerte. Sie legte ihr den Würfel auf das rechte Schulterblatt und wich sofort zurück. Denn aus den Knochen schlugen grüne Blitze, die laut knisternd in den Würfel hineinfuhren. Das Skelett erzitterte, dann knickten die Beine weg. In dem Augenblick schlugen grüne Flammen aus dem Knochengerüst heraus. Archer hörte den schmerzhaften Aufschrei ihrer Herrin. Ein weißer Glutball fegte aus dem in den Flammen verschwindenden Skelett und schlug geräuschlos in die drei Meter große Statue von Amapura Broomswood ein. Diese erstrahlte einen Augenblick in purem Weiß. Dann war ruhe. Nur Archer und die gebannten Knochenfrauen hörten ihr verhaltenes Wimmern und Wutgeheul. Dann waren die Feinde auch bei den anderen grünen Skeletten. Jedem wurde einer der goldenen Würfel aufgelegt. Als sauge das Gold das magische Feuer aus den Knochen blitzten die der Vernichtung geweihten Gestalten grün auf. Dann zerfielen auch sie in einer Flamme zu Asche. Klimpernd fielen die rotglühend gewordenen Würfel zu Boden. Thelma Archer fühlte, wie ihre Kraft schwand. Sie fühlte die nach ihr greifende Vernichtung. Dann schrie sie auf. Einen Moment konnte Benchwood im Spiegel vor sich die grüne Flammensäule entstehen sehen. Dann war ihm, als risse ihn jemand mit Urgewalt davon. Er raste zur Decke hinauf und stieß durch diese hindurch wie durch einen hauchzarten Nebelschleier. Er passierte die weiteren Stockwerke und brach ohne einen Laut durch das Dach. Dort erst erkannte er, was ihm passiert war. Sein Geist, nun frei von Archers Umklammerung, war aus dem vernichteten Körper herausgeschleudert worden. Doch sein richtiger Körper lebte nicht mehr. Er konnte nicht in ihn zurück. Aber er konnte jetzt auch nicht mehr sterben und in die mysteriöse, keinem Lebenden bekannte Nachwelt übertreten, in der seine Eltern und Ahnen auf ihn gewartet hatten. Schwermut und Wut durchfuhren seine jeder Stofflichkeit beraubte Seele. Er war jetzt dazu verdammt, bis ans Ende dieser Welt herumzugeistern. Diese grüne Knochenfrau hatte ihn mit ihrer tödlichen Umarmung einen unendlich schweren Fluch aufgeladen.

Es dauerte einige Minuten, bis Benchwoods Geist sich dazu aufraffte, in das Broomswood-Gebäude zurückzukehren. Er schaffte es, seine Bewegungen zu steuern. Reine Gedanken reichten aus, ihn in die eine oder andere Richtung zu lenken. So sank er wieder durch die für ihn nicht hinderlichen Decken und erreichte die Halle der goldenen Regeln. Dort wurde er Zeuge, wie weitere gefangene Geister aus den sie festhaltenden Körpern herausflogen. Die Seelen der wahren Besitzerinnen wurden zu weißen Glutbällen und schlugen überall dort ein, wo kein Metall und kein Holz enthalten war. Da die Spiegel hinter dem Glas mit purem Silber versehen waren fand keine der freigesprengten Seelen Halt darin. Er hörte Archers wütende, aber wie in einem tiefen Schacht steckend klingende Wuttiraden aus einer alten Tonvase, die mindestens Mannshoch war. Das war ihr Abschiedsgeschenk an die Schule, wußte Benchwood aus der unfreiwilligen Verbundenheit mit Archer. Er sah Bartholomew Moreland, der aus der Gefangenschaft seiner Schwägerin Donna befreit worden war. Wo Donna Morelands Geist abgeblieben war konnte Benchwood nicht hören. Er sah und hörte nur, wie das letzte Skelett, das von Madam Foil, mit lautem Fauchen zerfiel.

"Durchsucht die anderen Gebäude!" Befahl der Zaubereiminister, der es sich nicht hatte nehmen lassen, diesem Endkampf beizuwohnen. Benchwood folgte den Zauberern. Ob sie ihn sahen? Er wußte es nicht. Am Ende war er kein richtiges Gespenst, sondern weniger als das, unfähig, das Geisterdasein vollends auszunutzen.

In einem der Wohngebäude wurde Maggy Tindales zum Skelett gewordener Körper im Ruhezustand mit zwei Goldwürfeln in Kontakt gebracht. Eine Sekunde vor der Vernichtung schrie sie auf. Dann flog ein weißer Kugelblitz aus der Flammensäule. Doch er fuhr in keinen Gegenstand und keine Wand, sondern fächerte aus, wurde dunkler und durchsichtiger. Dann sah Benchwoods Geist, wie sich vier Gestalten daraus lösten, die einander an den Händen hielten. Maggy Tindale war nun selbst zur Geisterfrau geworden. Rechts von ihr hielt sich eine andere Frau, die von den Gesichtszügen her Lavinia Thornbrook glich. Auch die beiden Kinder waren zu Geistern geworden. Die Familienbande hielten bis über den körperlichen Tod.

"Drachenmist, ich bin immer noch diese Nachtfraktionshexe Thornbrook", brüllte der Geist, der eigentlich Robin Tindale sein sollte. Doch er besaß die Stimme Lavinia Thornbrooks. Benchwood fiel ein, daß die echte Lavinia entwischt war. Hatte sie die Zerstörung Robin Tindales überlebt? Warum war er jetzt nicht er selbst? Offenbar galten auch in diesem Fall die besonderen, unerklärbaren Gesetze der Geisterwelt. Wer starb oder auf andere Weise zum Geist wurde, erschien und klang so, wie im Augenblick, wo er oder sie den Körper verließ. Alles, was der Körper am Leib getragen hatte, wurde zur geisterhaften Kopie der Nachtodexistenz. Also mußte Robin Tindale ab heute eine Ewigkeit lang als Lavinias Geist herumspuken. Schlimmer ging also immer, dachte Benchwood. Da erblickte ihn Robin Tindale.

"Ah, der ist auch hier. Du Volltroll hast mich in dieses Nachtfraktionsflittchen verwandelt und diese Knochenweiber haben mich so verputzt und jetzt wieder ausgespuckt. Na warte, ich vermöbel dich, daß du durch alle Wände fliegst."

"Übernimm dich nicht", knurrte Benchwood. Dann jagte er los, durch die Wände, den Ministerialzauberern nach.

Alle anderen schlafenden Skelette wurden gefunden. Keines überstand die Berührung mit dem Gold.

Als die große Vernichtungsaktion vorbei war versammelten sich alle jetzt befreiten Gefangenen der Knochenfrauen in der Halle der goldenen Regeln, wo bereits Mr. Whitehead von der Geisterbehörde neben dem Winzling Lorne Vane Aufstellung nahm und mit den aus den Körpern gerissenen Erscheinungen sprach. Robin verlangte, wieder ein Mann zu werden. Barth Moreland bemerkte dazu, daß ihm das als Gespenst doch jetzt total egal sein konnte. Whitehead bedauerte, daß es keinen Zauber gab, eine Nachtodexistenz beliebig zu verwandeln und hörte sich Benchwoods Geschichte an. Dann wurde beschlossen, daß die freigesetzten Geister einstweilen im Zaubereiministerium unterkommen sollten. Es stellte sich jedoch heraus, daß die neuen Gespenster gerade bis zur Grundstücksgrenze von Broomswood kamen. Woran das lag erklärte Whitehead mit großem Bedauern:

"Sie sind in gewisser Weise verflucht worden, sich den Körper von Verfluchten zu teilen. Weil diese nicht von hier fort können sind Sie ebenfalls dazu verurteilt, in den Grenzen dieses Ortes zu verbleiben. Benchwood sah Maggy, die silberne Tränen weinte. Aus Archers Vase erklang offenbar nur für Benchwood hörbar: "Du bist immer noch mein, sollst immer bei mir sein." Irgendwie hatte diese Bemerkung was biestiges.

Versuche, die von den herausgesprengten Broomswood-Geistern besetzten Gefäße zu zerstören mißlangen. Magie prallte ab. Äxte und sogar schwere Steine gingen selbst in die Brüche. Der Fluch der alten Götter wollte nicht weichen. Benchwood verstand, daß nur jemand ohne Wissen und Verstand dieses infernalische Ritual ausführen konnte. Jetzt zahlte er den Preis für die Untaten der vom rechten Wege in den Abgrund gestürzten Liga rechtschaffender Hexen.

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Sean Graves stand perplex vor der Anlage, in der er den gesuchten Colonel erwartet hatte. Doch von der bereits vorher verfallenen Geisterstadt stand kein Stein mehr ordentlich auf dem anderen. Aus der Mitte eines Trümmerberges ragte eine Fahnenstange, an der wie zur Verhöhnung der Agenten die Fahne der vereinigten Staaten von Amerika im Wind flatterte. Daneben erkannte Sean Graves einen metallischen Gegenstand, der wie ein verbeulter Container aussah.

"Also, wenn der mal hier war, dann ist der garantiert jetzt woanders", stellte Tom Warner, der zum Einsatzteam gehörende Sprengmeister fest. Georgine Wilson, die mal als berufsmäßige Trickdiebin und Einbrecherin angefangen hatte, bis sie wegen eines ihr angehängten Mordes fast auf der Todesliege gelandet wäre, blickte auf den Container, um zu sehen, ob dieser vielleicht bewußt dort abgelegt worden war.

"Der Behälter könnte einen letzten Hinweis für uns enthalten", vermutete Graves und schickte den Sprengmeister Tom und seinen Elektronikfachmann Mike Toller vor. Mit den anderen Leuten aus seinem Einsatzteam bewachte er das Trümmerfeld.

Nach zwei Stunden kamen die beiden Fachmänner zurück. Der Container hatte tatsächlich einen Hinweis enthalten, genauer zwölf. Es waren zwölf männliche Leichen, die unterschiedliche Spuren gewaltsamen Todes aufwiesen. Darunter war auch der aus Detroit entführte Mafioso Ernesto Torricelli. Außerdem hatte bei den Toten noch ein Brief gelegen. Erst nachdem Graves Handschuhe und Atemschutz angelegt hatte las er den Brief laut vor, wobei das gleich für die Zentrale aufgezeichnet wurde:

"Ladies and Gentlemen! Wenn Sie das hier finden wissen Sie, daß meine Leute und ich hier einmal gewohnt haben. Sie können sich sicherlich vorstellen, daß wir es nicht länger mit so vielen Toten Leuten im Tank ausgehalten haben, vor allem, weil wir wissen, daß Sie uns selbst gerne in so einen Tank hineinstecken würden oder gleich in einem Panzerglaskasten zur Abschreckung Ihrer übrigen Mitläufer und Marionetten in der Firmenzentrale ausstellen möchten. Daß wir darauf keinen wert legen verstehen Sie sicherlich auch.

Über unsere Beweggründe, das mit Ihnen getroffene Abkommen zeitweilig außer Kraft zu setzen nur so viel: Hätten Sie meine Dienste besser honoriert und die bei den Einsätzen im dreckigen Hinterhof der achso glorreichen USA gefallenen Kameraden und ihre Angehörigen entschädigt, dann hätten wir es garantiert nicht nötig gehabt, für die Cosa Nostra zu arbeiten. Denen dürfen Sie übrigens mitteilen, daß die uns noch zehn Millionen Dollar schulden. Falls Sie denen das nicht mitteilen auch gut. Wir holen uns das Geld auch so.

Wenn Sie weiterhin Leute haben, die Sie vorzeitig entlassen wollen und keine Firmenrente bezahlen möchten, schicken Sie sie ruhig weiter hinter uns her! Wir kümmern uns gerne um die Abwicklung des endgültigen Ruhestandes. Sie können aber auch darauf verzichten und einfach davon ausgehen, daß wir den Arbeitgeber gewechselt haben. Jedenfalls werden wir sicher nicht abwarten, bis Sie oder eine andere mit Ihnen befreundete Firma, uns zu nahe auf die Pelle rücken. Denken Sie immer daran, daß wir wissen, wer so alles für Sie arbeitet! Denken Sie ebenfalls daran, daß wir von Ihnen viel gelernt haben und wissen, wie wir unauffindbar bleiben. Vergessen Sie das umfangreiche Dossier, das Sie über uns angefertigt haben. Wir haben alle losen Enden in unserem Leben abgeschnitten. Die zwölf, die Sie in dem Container finden werden, sind die einzigen, die wir für Sie und alle anderen, die uns nachspüren möchten, zur Warnung ausgelegt haben.

Schöne Grüße von DDT eins! Dies war mein letzter Bericht an Sie."

"Wir werden uns alle wohl dekontaminieren lassen müssen, wenn wir in der Station sind", bemerkte Henry Jennings, der als Pilot und als Arzt die kleine Agentengruppe begleitete. Graves verstand. Wenn der Colonel seine Hinterhältigkeit weiter gepflegt hatte, mochten sie alle durch die Berührung oder die Nähe der Toten unliebsame Dinge mit eingeatmet haben. Das konnte noch was geben. Jedenfalls wußten sie ab heute, daß sie einen tödlichen Gegner hatten, der bei fehlender Aufmerksamkeit die Rollen von Jägern und Gejagten jederzeit vertauschen konnte.

Mit einem Gefühl von Enttäuschung und Verachtung verließen die Agenten das Trümmerfeld. Die Jagd ging weiter. Doch wer am Ende triumphieren würde war ungewiß.

ENDE

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